Der Erstgeborene (Die Gartenlaube 1885)

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Autor: P. K. Rosegger
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Titel: Der Erstgeborene
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 648–649, 664
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[648–649]


Der Erstgeborene.0 Von Franz Defregger.

Photographie im Verlage von Fr. Hanfstängl in München.

[664] Der Erstgeborne. (Mit Illustration S. 648 und 649.) „Hops, mein Bübel, hops! Und lustig sein, Micherl! Schau, der Oheim und die Base sind da. Zeig’ einmal, was Du kannst! Händelpatschen! So! Schau, der Oheim ist auch ein braves Bübel, der thut Dir nichts!“

So plaudert die junge Mutter mit ihrem Knäblein. Und der Oheim und die Base, ei ja freilich, die sind am Heimwege von der Schule auf Besuch gekommen zu der verheiratheten Schwester, um ihr kleines Bübel wieder einmal zu sehen. Aber heute werden der kleine blondlockige Oheim und die kleine schwarzäugige Base in den Hintergrund gedrängt; mit ketzermäßigem Gepolter schnaufen der Wurzelstecher Fabian und seine Dudel in die Stube.

„Gelobt sei’s Christi! Ein Bissel rasten thäten wir gern, kreuzsaubere Brunnbäurin, mit Verlaub!“ sagt der alte Waldbär, „die Täg sind lang, und der Athem wird alleweil kürzer, der Sakra! Ei ja, wenn ich zu den Gamswurzen hinauf kunnt auf die Höh’, nachher wollt’ ich der Weltkugel schon wieder ein paar Löcher schlagen, nachher!“

„Sei still, alter Dodel, und schrei’ nicht so ungeschickt daher!“ verweist die mit ihm eingetretene Weibsperson den polternden Alten, „siehst es denn nicht, daß sich das Kind vor Dir schreckt?“

Denn das kleine Micherl beginnt sein Mäulchen bedenklich zu krümmen, aber nicht so sehr des possirlich daherwackelnden Alten wegen, als vielmehr aus Angst vor dem gewaltigen Hut, den die Weibsperson auf dem Kopfe hat.

„Vor Deiner Kopfbutten dadert (ängstigt) es sich!“ sagt ihr der Alte zurück, „und nicht vor mir. – Gelt?“ und diese Worte richtet er an das Knäblein, das auf dem Mutterschoße verzagt dreinschaut, noch tapfer bestrebt, das drohende Schluchzen zu überwinden. „Gelt, wir zwei, wir werden uns bald verstehen.“

„Wie heißt es denn?“ fragt die Dudel. „Ah so, Micherl heißt es. Das ist aber brav, daß es Micherl heißt. Schau, Dein heiliger Namenspatron, der heilige Michael, ’s ist richtig wahr auch, der thut den höllischen Drachen verjeiken (verjagen).“

„Wohl, wohl, und auch die alten Weiber!“ setzt der Wurzelstecher Fabian bei.

„Los (höre) nicht auf den alten Ameismarder da!“ sagt die Dudel zum Kleinen. „Bist ja so viel klug und fein! Und die feisten Händeln, ’s ist aus der Weis’! Wirst heut’ halt müssen mit mir gehen, ich hab’ auch gern so ein liebes Bübel, ich.“

Jetzt aber platzt das geängstigte Micherl los, und weinend birgt es sein kleines Haupt an dem zarten, trauten Busen der Mutter.

„Da hast es!“ knurrt der Fabian vorwurfsvoll gegen die Dudel. „Es thut Dir kein gut, so lang nicht Eins schreit. Du bist die helle Kinderscheuchen, Du! Geh mir weg mit Deiner Pfundnasen! Die kleinen Kindlein ärgern, das kann ich was nicht leiden! – Sei gut, Micherl, sollst hübsch bei Deiner Mutter bleiben. Los’ einmal!“

Er spitzt den Mund und ahmt das Zwitschern der Amsel nach. Das muntert den Kleinen auf, er stellt das Weinen ein; wohl mit einigem Mißtrauen, aber doch mit Interesse wendet er sein Gesichtlein dem Alten zu. Dieser hat sich auf einen Stuhl niedergelassen, seinen Stock unter das bärtige Kinn gestemmt, macht allerhand komische Geberden und drällert:

Stieglitz, Stieglitz,
’s Zeiserl is krank,
Gehn ma zum Bader,
Lassn ma ’n zur Ader,
Stieglitz, Stieglitz,
’s Zeiserl is krank!“

Jetzt lächelt der kleine Schelm, und der Alte sagt: „Guck! Guck! Ein herziger Kerl bist! Guck, Bäurin, Du bist so gut und laßt mich ein wenig hocken da, vor Deinem kleinen Himmelreich. Schau, wenn ich einem Kindel kann ins Gesicht schauen, das sind meine Weihnachten und Ostern und alle heiligen Zeiten.“

Wer jetzt das Lächeln der Mutter betrachten wollte! Wenn einst die Sterne vom Himmel fallen und die Sonne blind wird, und es ist so dunkel auf der Welt, daß der Mensch die Blümlein auf der Au nicht mehr sieht und das Mein und Dein nicht mehr unterscheiden kann – ein einziges solches Lächeln einer jungen Mutter, und es wird wieder licht. Ihr seht ja, wie auch hier auf dem Bilde das Mutterglück und Kindeslächeln auf allen Gesichtern wiederstrahlt; die Dudel lacht, der kleine Oheim lacht, die junge Base lacht – das wird auch einmal Eine, die! – der alte Fabian schmunzelt.

„Und mein liebherzig Bürschel!“ sagt er zum Knäblein, „wenn ich Dir einen guten Rath darf geben: laß Dir Zeit mit dem Großwerden, und verlang’ Dir dieweilen kein Brüderl oder Schwesterl. Bleib’ sitzen auf dem warmen weichen Sessel, wo Du jetzo sitzest, so lang’ sie Dich lassen. Glaube mir, man sitzt nirgends auf der Welt – gewißlich auch auf güldenem Königsthron nicht – so gut, wie auf dem Mutterschoß. Bleib sitzen, Micherl, so lang’ sie Dich lassen, und behüt’ Dich Gott!“ Damit erhebt sich der Wurzelstecher mühselig und knurrt: „Alte Dudel, jezt mach’, wir rucken weiter.“ P. K. Rosegger.