Der Kulihandel

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Autor: Franz von Holtzendorf
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Titel: Der Kulihandel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 615–618
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[615]
Der Kulihandel.
Ein Aufruf an die Menschheit des neunzehnten Jahrhunderts.
Von Franz von Holtzendorff.


Zu allen Zeiten ist der Glaube eine Macht gewesen. Er ist es auch noch heute. Gerade diejenigen, welche mit kirchlichen Formen nichts zu thun haben mögen, bekennen sich zu dem festen Glauben, daß die Menschheit in stets vorwärts schreitender Bildung höheren Zielen der Gesittung entgegengeht. Inmitten der unberechenbaren Bereicherung unserer naturwissenschaftlichen Kenntnisse, umgeben von den überraschenden Anwendungen neuer Entdeckungen auf Gewerbe und Volkswirthschaft, empfangen wir die Offenbarungen der niemals rastenden Forschung.

Es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß wir Angesichts täglicher, in unser Leben tief einschneidender Verbesserungen und Umwandlungen uns rückhaltlos dem Glauben an den Fortschritt der Menschheit hingeben. Wer vermöchte zu leugnen, daß dieser Glaube eine Macht in der heutigen Gesellschaft ist? daß er den Trägen anspornt, den Ehrgeizigen reizt, den Zweifelnden verstummen läßt und den schlummernden Trieb des Vorwärtsschreitens in minder thatkräftigen Naturen zur Thätigkeit antreibt? Aber dieser an sich wohlthuende Glaube wird zum verderblichen Wahn, wenn er die Gesammtheit der menschlichen Lebensverhältnisse, ohne nähere Unterscheidung naturwissenschaftlicher und sittlicher Verhältnisse, ergreift. Es giebt in der Gegenwart einen Culturwahn, der auf die Nachtseiten unseres Zeitalters hochmüthig herabblickt. Er meint, daß nach dem Gesetze des Fortschreitens Alles von selbst besser werden müsse, daß es keiner menschlichen Anstrengung bedürfe, um die unser sittliches Dasein bedrohenden Gefahren zu beseitigen. Diesem Glauben an die Vortrefflichkeit der Dinge entstammt die träge Macht des bequemen Beharrens, der unthätigen Gleichgültigkeit, einer oft erschreckenden Gefühllosigkeit, aus welcher dann die größten Nichtswürdigkeiten die Bedingungen ihres Daseins und Fortwucherns entnehmen. Es ist Culturwahn, zu glauben, daß die Freiheit der Menschen von selbst komme. Freilich schießen die Aehren der Saatfelder anfangs höher empor, als die Blüthen des Unkrautes. Was würde man aber von dem Landmann sagen, der da meint, das Unkraut werde sich selbst ausrotten, wenn man nur den Weizen ungehindert emporwachsen lasse? Aus dem sittlichen Culturwahn der Gegenwart und seinen Uebertreibungen entspringt die Gleichgültigkeit, mit welcher die heutige Welt den Rückfällen in die Barbarei zuschaut. Solche Rückfälle ereignen sich gleichwohl täglich, trotz aller naturwissenschaftlichen Fortschritte. Die Epoche der Religionszwiste, des Glaubenshasses, der Verfolgungssucht, die wir für immer beseitigt wähnten, erneuert sich vor unsern Augen. Eigenthum und Familie, die wir als gesicherte Güter unserer Vergangenheit betrachteten, werden von der durch Genußsucht aufgestachelten Menge von nun an in Frage gestellt. Und umgekehrt, die Heiligkeit der menschlichen Arbeit verfällt der Verachtung derer, welche glauben, durch Börsenspiel im Umsehen reich werden zu können. Meinten wir nicht, der Sclaverei sei mit dem Siege der nordamerikanischen Union endlich ihre Grabesstätte bereitet worden? Kaum verschwindet an den Gestaden des atlantischen Oceans der Negerhandel, da verpestet die Ufer des stillen Meeres der nichtswürdigste Menschenschacher. Wir sind Zeuge eines Rückfalles in die Sclaverei, deren Opfer der asiatische Kuli ist.

Fragt euren Nachbar, ob er etwas von den Kuli’s gehört habe, ob ihn ihr Schicksal bekümmere? Ich wette darauf, daß Jeder, der eine Zeitung liest, irgendwo einmal auf den Kuli gestoßen sein muß. Aber ebenso sicher bin ich, daß die meisten der Zeitungsleser sich dabei keinen Augenblick des Nachdenkens gönnen, sondern auf ihrer Wanderung durch die Zeitungsspalten sich gleich dem Reisenden, der auf dem Eilzuge durch unfruchtbare Gegenden fliegt, in eine Ecke werfen, ohne nach dem Namen der Station zu fragen, an welcher sie einige Minuten halten. Die wenigsten achten es der Mühe werth, zu fragen, welche Bewandtniß es mit den Kuli’s habe. Es geht sie nichts an, so meinen sie, ich denke aber, daß es hohe Zeit ist, sich mit dem Kuli zu beschäftigen, denn sein Schicksal belehrt auch uns über die uns bedrohenden Gefahren jenes giftigen Unkrautes, das wir Culturwahn genannt haben.

Zuvorderst also: der Kuli ist eine Menschengestalt, welche als Waare verhandelt wird.

Das Aufkommen des Kulihandels steht mit der Abschaffung der Negersclaverei in einem unleugbaren Zusammenhange. Sobald die afrikanische Bezugsquelle spärlicher floß, wendete der Scharfsinn des menschlichen Eigennutzes sich andern Himmelsgegenden zu. Spanische Ansiedler des sechszehnten Jahrhunderts waren die ersten, welche Negersclaven nach ihren indischen Besitzungen brachten. Republikanische Abkömmlinge dieser Spanier in Peru waren auch die ersten, welche Kuli’s (das heißt Handarbeiter niederen Ranges) nach dem östlichen Gestade des stillen Oceans schleppten. Aeußerlich wirkten hierbei zwei Thatsachen zusammen: die im Anfange des vierten Jahrzehntes dieses Jahrhunderts erfolgte Freigebung der bis dahin gehemmten chinesischen Auswanderung und die Abschaffung der Negersclaverei in Peru unter Castilla’s Präsidentschaft. Allmählich verbreitete sich, einer Seuche gleich, das von Peru gegebene Beispiel über andere tropische und subtropische Länder, insbesondere die Antillen, Centralamerika, Guyana, Australien. Unter dem Namen der Auswanderung chinesischer Arbeiter auf Grund von Passagevorschuß und Dienstvertrag bildete sich nach und nach ein in allen Einzelheiten sorgfältig ausgebildetes [616] System des Menschenfanges, bei welchem alle Erfahrungen der geschicktesten kaufmännischen Technik und des Rhedereigewerbes mit Betrug, Hinterlist, Gewaltthätigkeit, Raub und Mord so innig zusammengewoben sind, daß die Opfer der Gewinnsucht gleichsam in den Schlingen der Gesetzesparagraphen selbst erdrosselt werden.

Das Verfahren in der Hauptsache ist bekannt. Der wichtigste Stapelplatz für den Handel in frischem Menschenfleische ist die an der Mündung des Cantonflusses gelegene altportugiesische Besitzung von Macao, der Freihafen aller denkbaren Nichtswürdigkeiten. Seit 1847, wo die ersten Auswanderungsschiffe von dort ausliefen, ist das Geschäft in fortwährendem Aufblühen zu kaum glaublicher Ausdehnung emporgeschwollen. Das alte Muster des „Auswanderungscontractes“ war in der Kürze dieses: Freie Ueberfahrt nach den amerikanischen Arbeitsmärken; als Gegenleistung die Verpflichtung, acht Jahre lang gegen einen geringen Lohn (monatlich nicht ganz sechs Thaler) zu arbeiten, Ueberlassung der Auswanderer nach der Ankunft in Amerika an den Meistbietenden. Mit anderen Worten: Der Auswanderer verpflichtet sich nicht einem bestimmten Herrn und Arbeitsgeber, sondern degradirt sich selbst in allen Formen eines Vertrages zu einer Sache, die auf den Mark gebracht und etwa wie ein Ballen Rinderhäute je nach der Conjunctur theurer oder billiger öffentlich versteigert wird.

Das schlimmste Schicksal traf Diejenigen, welche auf den peruvianischen Chinchas-Inseln mit der Gewinnung des Guano zu Tode gepeinigt wurden. Auch das Wort Guano mahnt uns an gewisse Formen des Culturwahns. Bildet man sich nicht ein, daß vor hundert Jahren die Folter unter christlichen Nationen abgeschafft wurde? Freilich wohl dem Namen nach gegen verstockte Diebe und Gauner. Was aber in der Republik Peru „freigeworbene“ Kulis auf den Guano-Inseln auszustehen haben, würde Dante, hätte er dergleichen gekannt, für seine Schilderungen der Hölle verwerthet haben. Beneidenswerth im Verhältnisse zu den Qualen dieser Chinesen war das Schicksal Derer, welche etwa vor hundert Jahren in einsamen Folterkammern die Daumschrauben und „spanischen Stiefel“ oder den „gespickten Hafen“ und ähnliche Marterwerkzeuge kennen lernten. Bereits 1860 rechnete man, daß von viertausend auf den Guano-Inseln gelandeten Arbeitern nicht ein einziger am Leben geblieben war.

Je weniger das Schicksal chinesischer Auswanderer in der Gegenwart verborgen bleibt, je weniger es zur Nachahmung im Reiche der Mitte ermuthigen konnte, desto planmäßiger mußten die Mittel des Menschenfanges in Macao ausgebildet werden. Der Reihe nach entstanden jene zahlreichen „Barrakuns“ oder Sclavendepôts, in denen die chinesischen Kulis in der Zwischenzeit zwischen ihrer Anwerbung und ihrer Einschiffung wie in einer Vorrathskammer aufgespeichert wurden. Sobald der Kuli das sorgfältig bewachte und vergitterte Eingangsthor passirt hat, öffnet es sich nur noch einmal für ihn, wenn er an Bord des Schiffes in die Heerde seiner Leidensgefährten getrieben wird.

Nach allen Regeln anderer Arbeitstheilung betrieben, zerfällt der Kulihandel in mehrere eng ineinander greifende Geschäftszweige. Der erste in der Reihe der Gauner ist der chinesische Auswanderungsagent, welcher seine Kopfgelder für jedes „Stück“ empfängt. Unter ihm arbeiten, von ihm angewiesen und angelernt, Menschen, die man den Abschaum der chinesischen Betrüger nennen kann. Sie benutzen in öffentlichen Localen die Uebereilung des verzweifelnden Glückspielers, den sie zur Rettung des Verlorenen anspornen, seinen Leib gegen eine Summe Geldes auszuwürfeln. Der Leichtsinnige, der von ihnen zur Ausschweifung und zum Trunke verlockt wurde, bezahlt die Schulden einer einzigen Nacht mit der Unterschrift, die ihm seine Freiheit, sein Leben kosten wird. Nichts ahnende Handwerker oder Bauern werden unter betrügerischen Vorspiegelungen eingefangen, öfter aber durch unternehmende Seeräuberzüge geraubt und fortgeschleppt. Niemand in den südchinesischen Küstengegenden ist gegen solche Gewaltthat geschützt. Selbst der Verrath spielt seine Rolle, indem er persönliche Feinde dem Menschenhändler überliefert. Alle diese Frevelthaten, obwohl in jenem Himmelsstriche weltbekannt, geschehen in den täuschenden Formen des Rechts. Chinesische Mandarinen beziehen ihre Procente und der portugiesische Procurator, der in Macao die Auswanderungsschiffe mustert, findet bei seinen Revisionen Alles „vorschriftsmäßig“. Die Gesammtkosten für Anwerbung und Transportirung eines Kuli nach Westindien beziffern sich auf etwa dreihundertundsieben Thaler. Nimmt man, wie Sachverständige rechnen, den Reinertrag des Geschäfts für jeden Kuli auf einhundert Procent des Capitals an, so wird man anerkennen: diese Speculanten in Macao und Canton haben allen Anspruch darauf – „Gründer“ eines Vermögens genannt zu werden.

Den Portugiesen gesellten sich alsbald, durch so große Erträgnisse angelockt, andere Nationalitäten zu. Die englisch-französischen Verträge von 1860 stipuliren von China die „Freiheit der Auswanderung“. Seit jener Zeit ist ein englisches und ein französisches Auswanderungsbureau in Canton eröffnet worden.

Wie es den Kulis auf dem Transporte ergeht, darüber sind von Zeit zu Zeit Nachrichten in die Oeffentlichkeit gedrungen, deren Wirkung eine nachhaltige sein würde, wenn sie in gebührender Ordnung und in ihrem Zusammenhange gelesen und gewürdigt werden könnten. In kleinen Notizen zerstreut, entgehen sie aber der nachhaltigen Aufmerksamkeit; sie verfallen dem Schicksale der Vergessenheit mit dem Verschwinden der Zeitungsnummer, die sie gebracht hatte. Höchst werthvolle Mittheilungen enthalten aber die englischen Parlamentsberichte, welche diesem Gegenstande gewidmet sind. Ob sie Alles sagen? – wer weiß es! Mehr als die Wiederholung solcher Schreckensberichte bedeutet vielleicht die statistische Ziffer. In dem zwanzigjährigen Zwischenraume zwischen 1847 und 1866 sind allein nach Cuba 211 Fahrzeuge mit 85,768 Kulis verschifft worden. Verstorben unterwegs 11,209!! Wie viele später an Krankheiten und an Selbstmord in kurzer Zeit nach ihrer Ausschiffung endeten, bleibt dunkel. Jedenfalls behält der Chinese nach seiner Landung kaum eine Hoffnung, seine Heimat wiederzusehen. Ein spanisches Gesetz aus dem Jahre 1860 verbot den Aufenthalt freier Chinesen auf Cuba; wer nach Ablauf seines achtjährigen Arbeitscontractes die Rückfahrt nicht zu bezahlen vermag, hat nur die eine Möglichkeit, sich wiederum für acht weitere Jahre zu verdingen, und so fort. Begreiflich ist es, daß die Chinesen in ihrer Sprache das Kulitransportgeschäft „Schweinehandel“ nennen.

Die englischen Richter in Hongkong haben zu wiederholten Malen öffentlich in ihren Urtheilen ausgesprochen, daß das Kuligeschäft seiner ganzen Natur nach nichts anderes sein kann als Sclavenhandel und daß alle sogenannten „Regulative“ zur Beaufsichtigung dieses Gewerbes wirkungslos bleiben. Jenen Richtern gereichte es zur besonderen Ehre, in dem oft genannten Proceß Kwok-a-Sing einen chinesischen Kuli freigesprochen zu haben von der Anklage des Todtschlags und der Meuterei gegen den Capitain eines Kulischiffes. Es wurde angenommen, daß unter den obwaltenden Umständen gewaltsame Befreiungsversuche auf hoher See nur als berechtigte Nothwehr angesehen werden könnten.

Und wie oft werden derartige Versuche unternommen! Unterliegen die empörten Kulis der meistens trefflich bewaffneten Schiffsmannschaft, so ist das Schicksal der Ueberlebenden um so schrecklicher. Behalten die Kulis die Oberhand, so schonen sie nur das Leben derer, welche erforderlich sind, das Schiff in den nächsten chinesischen Hafen zurückzusteuern.

Eine etwas veränderte Gestalt zeigt der Menschenhandel in der Südsee. Dort fehlen mancherlei Rücksichten, die an den Küsten Chinas genommen werden müssen. Roher und gewaltsamer vermag der Menschenfänger der Südsee zu verfahren. Auf dem unermeßlichen Seegebiet Polynesiens (Australien) ist eine Ueberwachung so gut wie unmöglich. Tiefer ist der Bildungsstand der zum staatlichen Leben noch nicht vorgeschrittenen Insulaner. Die hauptsächlichsten Ansatzpunkte für den „schwarzen Vogelfang“ sind die nördlichste der englischen Austral-Colonien, Queensland, die französischen Besitzungen von Neu-Caledonien und die Fidschi-Inseln, auf denen sich neben der eingeborenen Bevölkerung in den letzten Jahren zahlreiche Engländer und Franzosen niederließen, um unter König Kakoban’s constitutioneller Regierung ihre Geldbeutel möglichst schnell zu füllen. Was zur Abstellung der scheußlichsten Verbrechen des Menschenfangs bisher von der englischen Colonialregierung oder von der Marine unternommen wurde, hat sich als eitle Spiegelfechterei erwiesen.

Das Verfahren, das beim Einfangen der polynesischen Kulis beobachtet wird, ist in der Regel dieses: Sobald in der Nähe der Insel ein fremdes Schiff vor Anker geht, finden sich die Eingeborenen auf ihren Booten ein, um Tauschhandel zu treiben. [617] Ist dies geschehen, so werden durch allerlei Veranstaltungen die Eingeborenen entweder auf das Verdeck gelockt, wozu man als Lockvögel einige Farbige mit sich führt, und alsdann eingefangen. Oder die Boote der Eingeborenen werden von der Schiffsbesatzung mittelst sorgfältig vorbereiteter Veranstaltung zum Umschlagen gebracht. Die alsdann Schwimmenden werden durch Schrotschüsse leicht verwundet oder mit Schlingen so lange gewürgt, auch mit Keulenschlägen betäubt, bis man sie an Bord gebracht hat. Einzelne Menschenfänger verkleiden sich als Missionare, vertheilen werthlose Kleinigkeiten, stimmen fromme Gesänge an und täuschen dadurch die arglosen Insulaner. Ist die Ladung ausreichend, so werden die Eingefangenen durch Zwangsmittel aller Art belehrt, mittelst Aufhebung mehrerer Finger und Hersagens einer entsprechenden Ziffer, beispielsweise „drei“ oder „vier“, die Anzahl von Jahren auszudrücken, für welche sie sich freiwillig verdungen haben. Sobald alsdann der revidirende Consul in einem englischen Hafen die Eingefangenen mustert und besichtigt, verfahren diese „vorschriftmäßig“ nach der ihnen gewordenen Dressur; Alles wird amtlich in Ordnung befunden und das Geschäft ist besorgt. Es ist unvermeidlich, daß auch in der Südsee von den Eingefangenen Befreiungsversuche mit meistentheils unglücklichem und blutigem Ausgange unternommen werden.

Den besten Aufschluß über den Hergang der Sache bietet die Geschichte des Piratenschiffes „Karl“ und der Strafprozeß, welcher im Herbste 1872 theils in Sydney, theils in Melbourne gegen die Schuldigen verhandelt wurde. Zwei der Betheiligten, darunter der Capitain Armstrong, wurden in Sydney zum Tode verurtheilt; der Hauptschuldige, der Eigenthümer des Schiffes, ein Doctor der Medicin, blieb unverfolgt, nachdem er sich in seiner Eigenschaft als Denunciant die Straflosigkeit als „Königszeuge“ durch einen englischen Consul hatte versprechen lassen. Dr. James Patrick Murray, so hieß der Nichtswürdige, segelte im Juni 1871 mit dem „Karl“ nach Leonka auf den Fidschi-Inseln, wechselte dort aus Vorsicht die Schiffsbesatzung und begab sich auf zwei Unternehmungen oder Geschäftsreisen. Auf einer dieser Reisen brach unter den geraubten Insulanern ein Aufstand aus. Sie bemächtigten sich einiger Pfähle von Schiffsplanken, gingen ihren Peinigern zu Leibe, wurden aber durch den Gebrauch der Schußwaffen in ihren Käfig unter Deck zurückgetrieben und hier eingenagelt. Nicht nur die zahlreichen Todten wurden den Wellen preisgegeben, sondern auch sechszehn Schwerverwundete, an Händen und Füßen geknebelt, über Bord geworfen und gleich neugeborenen Katzen ersäuft.

Während die bereits Ueberwundenen eingesperrt waren, ließ Dr. Murray durch den Schiffszimmermann ein zollgroßes Loch durch die Planken bohren. In aller Bequemlichkeit und ungesehen feuerte er durch diese Oeffnung seine Revolverkugeln unter den in der Dunkelheit zusammengeballten Menschenknäuel. Fünfunddreißig Todte wurden später über Bord geworfen. Die Ueberlebenden, bei ihrer Ankunft im Ausschiffungshafen gemustert, erklärten, in üblicher Weise auf drei Jahre contractlich gemietet zu sein, und wurden „durch die inspicirenden Behörden“ sämmtlich in gehöriger Ordnung befunden. Dr. Murray behielt seinen Geschäftsgewinn. Ein Mitglied der gesetzgebenden Versammlung von Adelaide in Südaustralien, Herr Blackmore, berichtete in englischen Journalen über diesen Fall mit dem Bemerken, daß alle erdenklichen Maßregeln der Aufsicht vergeblich sein würden und daß es nur ein einziges wirksames Mittel gebe: völliges, absolutes Verbot der Menscheneinfuhr. Vergleicht man Murray’s That mit derjenigen der fürchterlichsten Verbrecher, so wird man sagen dürfen, Traupmann’s Mordthat, durch welche ganz Europa erschüttert wurde, sei doch ein Kinderspiel gewesen gegenüber der teuflischen Bosheit, welche aus sicherem Hinterhalt durch ein Loch zum Vergnügen in wehrlose Menschenhaufen hineinfeuert und Schwerverwundete hinterher in die See werfen läßt. Daß die aufgebrachten Südseeinsulaner von Zeit zu Zeit an irgend einem beliebigen Weißen einen Act der Blutrache vollziehen, ist nicht zu verwundern. Bischof Patterson fiel in seiner missionaren Thätigkeit als eines der Opfer für die Schandthaten Anderer. Dieser ausgezeichnete Geistliche bemerkte übrigens aus Anlaß des Menschenfanges, es sei empörend sowohl als lächerlich, von „Arbeitscontracten“ zu sprechen; keiner der Südseeinsulaner sei im Stande, den Begriff des Contractes zu verstehen.

War der alte Sclavenhandel an den afrikanischen Küsten im Vergleich zu diesen Unternehmungen nicht ein ehrliches Gewerbe? Ich meine, ja! Damals kaufte der Sclavenhändler von einem siegreichen Negerhäuptling die Kriegsgefangenen, die er nach barbarischer Sitte einfach hätte abschlachten können. Dem afrikanischen Sclaven ward durch Ankauf das Leben gerettet. Der asiatische Kulihandel ist nicht blos Gewaltthat, sondern mehr als Barbarei. Es ist jener schnöde, die Formen des Rechts äußerlich nachahmende, aber die Gerechtigkeit schändende Hohn auf die Menschheit, den man zu den schwersten Sünden gegen den heiligen Geist zu zählen hat.

Den Negerhandel nach Amerika haben die Staatsverträge unterdrückt. Eben jetzt versucht man, den Negerhandel nach Asien von der afrikanischen Ostküste abzuschneiden. Und den Kulihandel sollte das neunzehnte Jahrhundert nicht als eine Schmach empfinden? Ihr Kirchenfreunde sendet Missionen unter halbnackte Wilde, um sie mit der christlichen Dogmatik und dem Katechismus bekannt zu machen. Aber Ihr schweigt dazu, wenn christliche Regierungen durch ihre Duldung jene Verbrechen ermuthigen, ohne welche der Kulihandel nicht denkbar ist. Sendet vor allem Andern die Boten der christlichen Liebe in die Hauptstadt von Portugal und unter die Pflanzer von Cuba, nach Lima oder Demerara! Ihr Quäker und Volksbeglücker haltet Friedenscongresse, um den Krieg zu brandmarken, der für die heiligsten Interessen einer Nation geführt wird, obwohl er die Culturvölker doch immer nur als schnell vorübergehende Geißel bedroht. Bedenkt doch, daß Ihr erst die Gesinnungen ausrotten müßt, aus denen der Kulihandel hervorgeht, ehe Ihr von dem Anrecht der Menschheit auf friedliche Gesittung sprechen dürft. Ihr Kaufherren redet von der nach Ostasien mächtig fortschreitenden europäischen Cultur. Bedenket, daß Ihr in den Augen der Chinesen nicht viel mehr geltet, denn als Opiumhändler und Menschenräuber. Ihr Freihändler lasset den Russen die Ehre, in China die Sclaverei abzuschaffen, und bemüht Euch darzuthun, daß die Nothwendigkeit, für Eure Felder Guano herbeizuschaffen oder aus Demerara und Westindien Zucker zu importiren, die Sclaverei der Kuli’s erfordert! Werdet Ihr vielleicht auch beweisen, daß die volkswirthschaftlich ungehinderte Bewegung des Seehandels jede Einmischung in das Transportgeschäft der Kulischiffe verbietet und daß die Ueberführung der Kuli’s durch den stillen Ocean nichts Anderes ist, als eine Art der Freizügigkeit zwischen Ostasien und Amerika?

Die englische Regierung war bisher die einzige, welche, die Wucht schwerer Anschuldigungen fühlend, einige schwächliche, völlig unzureichende Versuche machte, dem Unwesen des Kulihandels zu steuern. Aber selbst wenn sie thatkräftiger einschreiten wollte, als sie unter dem Banne colonialer Interessen thun wird, immer wäre sie außer Stande, allein ohne Uebereinstimmung mit den übrigen Mächten zum Ziele zu gelangen.

Die beiden Großstaaten, welche wirthschaftlich am Kulihandel am wenigsten interessirt sind, Deutschland und die nordamerikanische Union, haben die nächste Aufgabe, für die Rechte der Menschheit mit ihrem Einflusse einzutreten. Wir haben keine Colonie zu versorgen, keine Pflanzer zu schonen, keinen Widerspruch aus unserer Mitte zu befürchten. Freilich müssen wir mit Beschämung eingestehen, daß auch die deutsche Handelsflagge mit dem Makel der Antheilnahme an dem schimpflichen Gewerbe behaftet ist. Um so größer ist unsere Verpflichtung, uns von jeder Mitschuld zu reinigen. Es ist die höchste Zeit, daß durch völkerrechtliche Verträge der betrügerischen Ausbeutung ostastatischer Auswanderung ein Ziel gesetzt, daß insbesondere den Portugiesen in Macao das Handwerk gelegt werde. Tritt Deutschland thatkräftig für diese edle Sache ein und begegnet es ernsthaftem Widerspruche bei anderen Mächten, – wohl, so hat es die Beruhigung, daß es sein Gewissen bewahrt hat, während andere Staaten sich selbst an den Pranger der Weltgeschichte stellen. Ich bin meinerseits nicht befähigt, zu entscheiden, ob durch Völkerverträge die Auswanderung der Kuli’s mit hinreichend schützenden Formen umgeben werden kann oder gänzlich zu unterdrücken ist. Aber das weiß ich, daß das jetzige System der Ueberfahrts- und Arbeitsverträge nicht länger geduldet werden darf, wenn irgend eine Gemeinschaft sittlicher Ideen unter den Culturvölkern fortbestehen soll. Auf die Zustimmung der Vereinigten Staaten zu einem gemeinschaftlichen Vorgehen ist um so mehr zu hoffen, als diese [618] durch völlig freie und naturgemäße Einwanderung der Chinesen die etwa fehlenden Arbeitskräfte auf das Leichteste ersetzen können. Ebensowenig bezweifle ich die Mitwirkung der italienischen, österreichischen und russischen Regierung. In anderem Sinne als ehemals ist gegen den Kulihandel unter den osteuropäischen Staaten und Rußland eine heilige Allianz zu schließen. Warten wir ab, ob der Geltung der Menschenrechte von Portugal, Spanien und Peru die Vertröstung auf Guano und Zuckerrohr entgegengesetzt werden wird.

Wie sich die höchsten sittlichen Aufgaben gleichzeitig immer im Verlaufe der Zeiten auch als die nutzbringenden erweisen, so wird in Wahrheit die Abschaffung der neuen mit dem Mißbrauche der Rechtsformen verbrämten „Sclaverei“ dahin führen, daß jene Vorurtheile schwinden, die uns den Weg in das Innere Chinas versperren und welche wir leider angesichts des Kulihandels als unsererseits verschuldet und verdient bezeichnen müssen. Ich glaube nicht, daß der deutsche Reichstag es über sich vermögen wird, die Sache der Kulis als eine unserer Nation gleichgültige von der Hand zu weisen. Er hat ausgesprochen, daß das Privateigenthum des Feindes im Seekriege von habgieriger Wegnahme verschont bleiben sollte, obwohl dies nach dem geltenden Völkerrechte gestattet ist. Und er sollte kein Wort der Rüge und der Theilnahme haben, wenn mitten im Frieden Freiheit, Gesundheit und Arbeitskraft einer mit uns in Frieden lebenden Bevölkerung unter betrügerischen Vorstellungen geschädigt und vernichtet werden? Für die Beobachtung der Sonnenfinsternisse in fernen Zonen, für die Ergründung der Meerestiefen, für die Durchforschung afrikanischer Wüsteneien, für die Erreichung des Nordpols hätte das deutsche Volk Sinn und Verständniß, und der Wiedereinführung der Folter und der Sclaverei im Kulihandel sollte es gleichgültig zuschauen? Belehren wir doch die Pfaffen, die von der Entchristlichung des deutschen Staates so viel faseln, daß wir deswegen eine christliche Nation sind, weil wir den verfolgten Juden Rumäniens beistehen und weil wir die mit Füßen getretenen Rechte der Heiden männlich und entschieden vertheidigen und diese christlichen Pflichten unseren Staatsmännern und Volksvertretern auf das Gewissen zu legen gesonnen sind.