Der Mönch von Heisterbach
Album der Poesien.
Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach
Lustwandelt an des Gartens fernstem Ort;
Der Ewigkeit sinnt still und tief er nach
Und forscht dabei in Gottes heil’gem Wort.
Er liest, was Petrus, der Apostel, sprach:
„Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr’,
Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag,“ –
Doch wie er sinnt, es wird ihm nimmer klar.
Und er verliert sich zweifelnd in den Wald;
Was um ihn vorgeht, hört und sieht er nicht; –
Erst wie die fromme Vesperglocke schallt,
Gemahnt es ihn der ernsten Klosterpflicht.
Im Lauf erreichet er den Garten schnell;
Ein Unbekannter öffnet ihm das Thor.
Er stutzt, – doch sieh, schon glänzt die Kirche hell,
Und draus ertönt der Brüder heil’ger Chor.
Nach seinem Stuhle eilend, tritt er ein, –
Doch wunderbar – ein Andrer sitzet dort;
Er überblickt der Mönche lange Reih’n –,
Nur Unbekannte findet er am Ort.
Der Staunende wird angestaunt ringsum;
Man fragt nach Namen, fragt nach dem Begehr;
Er sagt’s – dann murmelt man durch’s Heiligthum:
Dreihundert Jahre hieß so Niemand mehr.“
„Der Letzte dieses Namens,“ tönt es dann,
„Er war ein Zweifler und verschwand im Wald;
Man gab den Namen Keinem mehr fortan!“
Er hört das Wort; es überläuft ihn kalt.
Er nennet nun den Abt und nennt das Jahr;
Man nimmt das alte Klosterbuch zur Hand;
Da wird ein großes Gotteswunder klar:
Er ist’s, der drei Jahrhunderte verschwand.
Ha, welche Lösung! Plötzlich graut sein Haar;
Er sinkt dahin und ist dem Tod geweiht,
Und sterbend mahnt er seiner Brüder Schaar:
„Gott ist erhaben über Ort und Zeit.
Was er verhüllt, macht nur ein Wunder klar –
Drum grübelt nicht, denkt meinem Schicksal nach!
Ich weiß: ihm ist ein Tag wie tausend Jahr,
Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag.“