Der Pfingst-Schustertanz in Stolp

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Titel: Der Pfingst-Schustertanz in Stolp
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 388
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[388] Der Pfingst-Schustertanz in Stolp. In sehr vielen deutschen Städten werden heute noch von den Handwerkern viele aus der Blüthezeit der Innungen, dem Mittelalter, stammende Gebräuche festgehalten und Feste gefeiert, deren Bedeutung und Ursprung die heutige Generation nicht mehr kennt.

So wird in der alten, seit den letzten zwanzig Jahren im schnellsten Aufblühen begriffenen hinterpommerschen Stadt Stolp jetzt noch alle drei Jahre, früher alljährlich, von der Schuhmacher-Innung ein aus den frühesten Zeiten stammendes Fest gefeiert, welches an Sonderbarkeit nichts zu wünschen übrig läßt und uns lebhaft an Sitten und Gebräuche fernliegender Zeiten erinnert. Schon am Vorabend des Festes, welches jedesmal am Mittwoch nach Pfingsten begangen wird, bringt eine Musikcapelle dem Bürgermeister der Stadt, sowie den Vorstehern der Innung sogenannte „Ständchen“. Am Morgen des Festtages springen, von den Lehrlingen des edlen Schuhmachergewerkes schon sehnsüchtig erwartet, zwei als Bajazzos gekleidete Schuhmachergesellen aus der Thür ihrer Herberge hervor und beginnen, Jeder für sich eine andere Richtung einschlagend, einen Rundlauf durch die Straßen der Stadt. Die Burschen folgen ihnen auf Schritt und Tritt, und die Größeren und Stärkeren unter ihnen lassen es sich nicht nehmen, den Bajazzo streckenweise auf ihren Schultern oder auf einer mit grünen Zweigen verzierten Bahre zu tragen. Unaufhörlich singen sie dabei:

„Unser Bruder Aermel (Halb Sieben), der soll leben;
Seine Seele sei vergnügt,
Und sein Liebchen auch daneben,
Weil er sie so zärtlich liebt.
Rühret die Trommel und schenket tapfer ein!
Unser Bruder Aermel (Halb Sieben) soll lustig sein.“

Bruder Aermel und Bruder Halb Sieben sind nämlich die zwar wenig poetischen, aber althergebrachten Namen der beiden Bajazzos.

Auf ihrem Wege durch die Straßen statten die Beiden den Läden der Krämer, Bäcker und Fleischer Besuche ab und werfen von dort aus ihrer immer stärker anwachsenden Begleitung Rosinen und andere Süßigkeiten, Cigarren, Semmeln und Wurstenden zu, verschmähen aber auch nicht, bei dieser Gelegenheit kleine Geldgeschenke einzustecken.

Da am Tage dieses Festes in Stolp stets ein Wochenmarkt abgehalten wird, zu welchem viele Landleute mit ihren Fuhrwerken zur Stadt hineinkommen, so ist es gerade nichts Seltenes, daß einer der Bajazzos mit Hülfe seiner Begleitung einem unbeaufsichtigt dastehenden Gefährte die Pferde ausspannt und meistens freilich sehr kläglich ausfallende Reitversuche anstellt. Das Gewerk setzt zur Schadloshaltung der durch die Bajazzos heimgesuchten Ladenbesitzer einen bestimmten Geldbetrag fest, der nicht überschritten werden darf, sehr selten aber in Anspruch genommen wird, da die Bajazzos in der Regel sehr bescheiden auftreten und nur das nehmen und hinauswerfen, was ihnen zu diesem Zwecke hingestellt wird; daß diese Waaren gerade nicht zu den besten und theuersten gehören, ist wohl selbstverständlich. Als Beweis dafür, daß der Scherz der Gebrüder Aermel und Halb Sieben auch seine sehr einträglichen Seiten hat, dürfte aber die Thatsache gelten, daß mancher arme Geselle, der es verstand, die Rolle eines Bajazzo geschickt durchzuführen, durch die erhaltenen Geldgeschenke in die glückliche Lage versetzt wurde, selbstständig ein kleines Geschäft zu begründen.

Nachmittags bewegt sich von der Herberge aus ein bunter, aus den Mitgliedern der Schuhmachergesellen-Brüderschaft gebildeter Festzug durch die Hauptstraßen der Stadt nach dem, am Südende derselben, im sogenanten Anker gelegenen Festplatze. Vorauf marschirt ein Musikcorps, welchem der Fahnenträger mit der Innungsfahne, begleitet von zwei mit Degen bewaffneten Fahnenjunkern, folgt. Auf dem Kopfe tragen dieselben einen mit Goldborten besetzten dreieckigen Hut, Dreimaster genannt. Der Nächste im Zuge ist der Maigraf, kenntlich an einer breiten, über der Schulter getragenen Schärpe, dem zu beiden Seiten der Laden- und der Altmeister marschiren; dann folgen die beiden Altgesellen, jeder einen silbernen, der Schuhmachergesellen-Brüderschaft gehörigen Pokal in der Hand tragend, welchen sich paarweise vier bis acht Schaffner oder Schöffen mit rothen Baretts, weißen, grüngeränderten Schärpen und bändergeschmückten meterlangen Stäben, Schaffner- oder Schöffenstäbe genannt, anreihen. Die übrigen Gesellen, in schwarzen Anzügen, nur eine große grüne Rosette am Hute, bilden das Gros des Zuges, den der Schreiber, eine riesige Feder hinter dem Ohre, einen Stoß Acten unter dem Arme, den Dreimaster auf dem Kopfe, und einen Schleppsäbel an der Seite, beschließt. Auch raucht er eine Cigarre, die besonders für ihn angefertigt wird und wohl das Zehnfache der gewöhnlichen Länge und Stärke mißt. Die unermüdlichen Bajazzos umtanzen den Zug während des ganzen Weges, sind bald vorn, bald hinten, bald an den Seiten desselben zu finden, und theilen, platzschaffend, mit ihren buntbemalten Pritschhölzern ungefährliche Hiebe an die Straßenjugend aus.

Nachdem der Festzug auf dem Festplatze, einer grünen Wiese, angekommen, hält der Maigraf eine Ansprache in Knittelversen, in welcher er das hohe Alter des Schuhmachergewerbes aus dem alten Testamente zu beweisen sucht, die Vorzüge und Annehmlichkeiten dieses Berufes hervorhebt, der großen und berühmten Männer gedenkt, welche aus diesem Handwerk hervorgegangen sind, wie Hans Sachs, Hans von Sagan etc., dann auf die Gegenwart kommt und schließlich mit der Ausbringung zahlloser Lebehochs endet.

Nach beendigter Rede führt der Maigraf in der sogenannten Winde oder Windelbahn im Kibitzschritt einen Tanz aus. Die Windelbahn ist eine mit Rasen ausgelegte, etwa einen Meter in der Tiefe und zehn Meter im Durchmesser haltende kreisrunde Grube, welche von einem schmalen Wege in vielen Schlangenwindungen durchzogen ist. Der Maigraf muß bei seinem Tanze diesen Weg genau innehalten und darf sich durch die beiden ihn umspringenden Bajazzos nicht irre führen lassen.

Nach beendigtem Tanze wird dem Maigrafen von einem der beiden Altgesellen in einem silbernen Pokale ein Trunk Wein credenzt und ihm für den gut ausgeführten Tanz und die Rede der Dank der Festgenossen ausgesprochen. Dann treten zwei Schaffner gleichzeitig zu Anfang und Ende des gewundenen Weges zum Tanze an und führen denselben in gleicher Weise wie der Maigraf aus, nur daß sie sich in der Mitte der Bahn begegnen und vorbeitanzen müssen. Nach einigen Worten des Altmeisters ordnet sich nun der Zug wieder und kehrt in derselben Reihenfolge wie beim Ausmarsch zum Versammlungsorte zurück. Ein Ball, zu welchem nur Schuhmacherfamilien Zutritt haben und bei dem die Schaffner bedienen müssen, beschließt das Fest.

Noch im vorigen Jahrhundert wurde das Tanzfest auf einem von alten Bäumen bekränzten grünen Platze („unter grünen Lauben“ heißt es in den Acten) dicht am Walle abgehalten, auch lag die Windelbahn der Stadt bedeutend näher. Der Platz ist aber später an die Stadt verkauft worden und die Windelbahn, welche einer zu erbauenden Chaussee im Wege lag, etwa tausend Schritt weiter in’s Anker hineinverlegt.

Ueber den Ursprung dieses Festes ist in den Archiven der Stadt nichts hierauf Bezügliches zu finden, und so bleiben nur die mündlichen Ueberlieferungen übrig, die aber, wie dies ja gewöhnlich der Fall zu sein pflegt, in ihren Behauptungen weit aus einander gehen.