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Der Walter Scott Schwabens

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Textdaten
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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: Der Walter Scott Schwabens
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 772–776
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Walter Scott Schwabens.
Von Schmidt-Weißenfels.

„Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod.“ Der dieses volksthümliche Lied sang, sah es an sich selbst erfüllt. Am 18. November 1827 starb zu Stuttgart Wilhelm Hauff (geboren am 29. November 1802) noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt. In so jugendlicher Blüthe raffte der Tod ihn jählings dahin, als er eben erst die geistige Sprühkraft seines Lebens zu äußern begonnen. Sein Name erstrahlte eben zu einem Sterne dichterischen Ruhmes, das deutsche Volk aber begann zu ihm aufzuschauen wie zu einem Liebling, dem herrliche Hoffnungen winken. Alle diese Hoffnungen sanken mit ihm in’s Grab.

Fünfzig Jahre sind nun verflossen, und noch immer strahlt in keuschem Glanze sein Name, noch immer ist er einer der

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Wilhelm Hauff und seine Geisteskinder.
Original-Composition von Arnold Baldinger in Stuttgart.

[774] Lieblinge unserer Jugend, und Viele, Viele, die ihn aus seinen Schriften kennen, beklagen es, daß er so früh schon dem Leben entrissen wurde. Wer von diesen fände es nicht recht und würdig, daß heute ein neuer Kranz auf sein Grab gelegt werde, und daß man das Volk an dasselbe rufe, um dem zu früh verschiedenen Dichter ein Gedächtniß zu weihen? Seine Dichter und Denker zu ehren, ist eines Volkes Stolz und Pflicht, und Wilhelm Hauff gebührt diese Ehre, weil er im echtesten Sinne ein deutscher Volksschriftsteller war.

Seines Lebens Wege von der Wiege bis zum frühen Grabe waren eben und sonnenbeschienen von der Liebe der Eltern, der Geschwister und zuletzt noch eines jungen, heiteren Weibes.

Nach dem Besuche der Tübinger Latein- und der Klosterschule zu Blaubeuren an der schwäbischen Alp öffneten sich ihm die Pforten jener Studienwelt, welche auf altgewohnter breiter Bahn abzuwandeln gleichsam ererbtes Gesetz für jeden Württemberger Sohn der gesellschaftlich anspruchsvolleren Familien ist. Diese Bahn geht durch das klösterliche niedere Seminar, dann in’s Stift als Jünger der Tübinger Hochschule; von da, wenn nicht in die Pfarre oder Schulstube, so in ein anderes Amt oder in die freie Berufswelt. Als er ins Stift nach Tübingen kam, um dort vier Jahre lang, 1820 bis 1824, Philologie, Philosophie „und leider auch Theologie durchaus zu studiren, mit heißem Bemühen“, war er immerhin nur ein schwächlicher Bursche, aber im Geiste nahm er lebendigsten Antheil an Allem, was jugendliche Gemüther in jener Periode begeisterte: die Sehnsucht nach freiheitlicher Gestaltung des politischen Lebens und die Hoffnung auf Deutschlands Einheit. In seinen wenigen Liedern, die zumeist in jenen Studentenjahren entstanden, hat er austönen lassen, was seine Seele davon erfüllte. „O, weile hier,“ ruft er die Freiheit an, „wirf ab die Adlerflügel! Du schweigst? Du meidest ewig Deutschlands Hügel?“

„Das schöne Land soll ganz vergessen sein?
Noch denkst du fein; es wird dich wiedersehen,
Wird auch dein Geist dann längst mein Grab umwehen.“

Der wüsten Außenseite des Burschenschaftswesens konnte er, eine feine, weiche Natur, keinen Geschmack abgewinnen, aber dem inneren Schmelze des brüderlichen Studentenlebens erschloß er sein volles Gemüth. Er gehörte einer unpolitischen Verbindung an, die sich „die Feuerreiter“ nannte und die in glücklichem Gemisch sämmtlicher Facultäten und gar verschiedener Charaktere um ihre vierzehn gleichgesinnten Genossen ein enges Freundschaftsband schlang, welches dieselben auch noch weit über die Universitätszeit hinaus zusammenhielt. Hauff, der durch sein in prächtigen blauen Augen sich spiegelndes geistvolles Wesen und seinen heiteren Sinn der Liebling dieses Kreises war, erfreute ihn manchmal mit einem Gebilde seiner nach poetischem Ausdruck verlangenden Phantasie. Ein Stück seiner Novelle „Der Mann im Monde“: die Kirche, trug er einmal aus seinem Manuscripte in jenem Kreise vor, wie ein Genosse desselben erst nachträglich berichtet hat. Ebenso das muntere Trinklied und die schwungvoll patriotischen Lieder zur Feier des 18. Juni, des Waterloofestes, welches alljährlich von den Burschenschaftern auf dem schattigen Wöhrd, dem Festplatze Tübingens, gefeiert wurde. Welch ein Stolz auf sein Volk, das diese Schlacht geschlagen, diese Siege über den Eroberer errungen, athmete in diesen Liedern! Enttäuscht genug über die Folgen jener Siege für die inneren Verhältnisse des Vaterlandes, lebte doch in ihm die Hoffnung von dessen endlicher Wiedergeburt, wie sie erst ein halbes Jahrhundert später aus Traum zur Wirklichkeit wurde. Und noch heute klingt es beherzigenswerth, wie Hauff damals die Jugend zum Kampf für die Erreichung der Ideale aufforderte:

„Drum tretet muthig in die Kämpferbahn!
Noch gilt es ja, das Ziel uns zu erringen.
Für’s liebe Vaterland hinan, hinan!
Doch nur von innen kann das Werk gelingen,
Und nicht durch Völkerzwist, durch Waffenruhm,
Nein, unser Weg geht durch Minerva’s Hallen;
Laßt uns vereint zum Ideal, zum höchsten, wallen,
Erschaffen uns ein echtes Bürgerthum!“

Diese Gedichte, selten noch beachtet, kennzeichnen in ihrer Gesinnung Wilhelm Hauff auch als Einen aus jenem schwäbischen Dichterkreise, der mit Altmeister Uhland so wuchtig und gesinnungsvoll für die Hoffnungen der ganzen deutschen Nation eintrat, als sie unter das Joch der engherzigsten Metternich’schen Reaction gebeugt wurde. Deutschland, möchte man sagen, war damals im Lager dieser Sänger. Wie auch sonst Hauff in der innigsten Fühlung zum Volksgemüth stand, beweisen seine zwei allbekannten, vielgesungenen Lieder: „Reiters Morgengesang“ (Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod) und „Soldatenliebe“ (Steh’ ich in finst’rer Mitternacht). Dieser Zug nach der Seele des Volksthümlichen geht durch sein ganzes literarisches Schaffen mit immer wachsender Bestimmtheit.

Nachdem Hauff mit den Studien fertig und glücklich der philosophiae doctor geworden, stand es bei ihm fest, als Schriftsteller seine vielversprechenden Talente zur Geltung zu bringen. In edlem Ehrgeiz erfaßte er die Aufgaben dieses Berufs in hochidealem Sinne. Unklar noch, in welcher Art er seine stürmische Kraft dafür einsetzen solle, war er doch von dem heiligsten Ernst erfüllt, die Gunst des Publicums nur mit den edelsten Mitteln gewinnen zu wollen. Gelegen kam ihm demungeachtet eine Anstellung als Hauslehrer beim damaligen württembergischen Kriegsrathspräsidenten, späteren Kriegsminister Freiherrn von Hügel in Stuttgart; sie gab ihm nicht nur einen festen Boden für die ersten Versuche in der Literatur, sondern in einem feinen und geselligen Hause auch die Gelegenheit zu einer Fülle neuer Anregungen und zu näherer Bekanntschaft mit dem Leben der Wirklichkeit, welches ihm doch wesentlich noch im Licht romantischer Vorstellungen erschien. In zwei glücklichen Jahren, bis 1826, zog er diesen geistigen Gewinn aus seiner Stellung und schied daraus mit einer Mappe voll schriftstellerischer Arbeiten, die er nun hoffnungsfreudig der Oeffentlichkeit übergeben wollte. Eine Reise durch Deutschland und nach Berlin war als ein erster Abschluß dieser geistigen Vorbereitung anzusehen.

In Berlin nahm man den jungen Mann mit jener erhebenden Herzlichkeit auf, mit welcher damals jedes neue literarische Talent als ein Mitglied der geistigen Republik begrüßt wurde. Wilhelm Hauff kam mit seinem ersten junger Ruhm; im Stuttgarter Morgenblatte hatten bereits einige seiner kleinen Novellen und Genrebilder gestanden; sein Märchen-Almanach war erschienen, und der erste Band seiner Mittheilungen aus den „Memoiren des Satans“. Aus allen diesen Arbeiter leuchtete ein frischer, heller Geist, eine anmuthige Phantasie, ein oft sehr glücklicher Humor, dem zwar zu größerer Wirkung noch die Lebenserfahrung mangelte, aber der von den achtungswerthesten Instincten in Bewegung gesetzt wurde. Es war dies besonders in dem bruchstückartigen Werk der „Memoiren des Satans“ der Fall, in welchem er mit Laune und Satire das Studententreiben jener Zeit, die Streitfragen der Philosophie, gesellschaftliche Unsitten und dergleichen mehr zu geißeln suchte. Heute ist Vieles davon wegen der Anspielungen auf längst verschwundene Verhältnisse unverständlich und wirkungslos geworden. In ihrem vollen Reiz dagegen haben sich die Märchen Hauff’s erhalten, die er in freiem Phantasiespiel und mit echt poetischem Sinn älteren Erzählungen nachdichtete.

In schneller Folge erschienen 1826 und 1827 die meisten der anderen Arbeiten Hauff’s, wie sie in dessen fünf Bänden gesammelter Schriften, die nach seinem Tode Gustav Schwab herausgab, sich befinden. Zwei Jahre somit nur hat der junge Dichter Zeit gehabt, sich zu entfalten und aus der Wirkung seiner Schriften auf das Publicum die Erkenntniß zu schöpfen, welchen der eingeschlagenen Wege er weiter verfolgen müsse, um das erstrebte Ziel zu erreichen. Denn als solches Ziel schwebte ihm vor, ein populärer Schriftsteller seiner Nation zu werden und für das Edle gegen das Gemeine und Flache in der Literatur einzutreten. Unter solchem Gesichtspunkte muß man die verhältnißmäßig große Fruchtbarkeit betrachten, die Hauff in so kurzer Frist entwickelte, das Irren und Tasten seiner Phantasie nach verschiedenen Richtungen, jene kriegslustige Stimmung, die dem Ehrgeiz entsprang und sich in satirischen Sittenbildern, in humoristischen oder ernsten Angriffen auf literarische Zustände und Personen so häufig Luft machte.

In dieser Beziehung hat seine zuerst im „Morgenblatt“ erschienene Novelle „Der Mann im Monde“ eine gewisse literarhistorische Bedeutung. Sie gilt mit Recht als eine glückliche und erfolgreiche Satire gegen die Clauren’schen Romane, welche mit ihrer sentimentalen Lüsternheit und geistarmen Liebelei damals noch eine in Mode stehende Lieblingslectüre des Leihbibliotheken-Publicums bildeten. Hauff ahmte in seiner Novelle Styl und [775] Manier Clauren’s (Carl Heun’s) nach und veröffentlichte sie sogar unter dem Namen des vielgelesenen Berliner Schriftstellers. Jedenfalls nahm das Publicum mehr in scherzhafter, denn in ernsthafter Weise diesen Spott beifällig auf, denn bei vielen gelungenen satirischen Einzelnheiten war das Hauff’sche Werk doch im Ganzen für eine Persiflage zu unbestimmt gehalten. Es folgte daher auch in der „Controverspredigt“ ein directer Angriff Hauff’s gegen Clauren nach, in dem er mit beißendem Witze und schneidiger Schärfe den Charakter von dessen Mimili- und Vergißmeinnicht-Erzählungen bloßstellte und mit sittlicher Entrüstung das Publicum zum Abfall von dieser verwerflichen Literatur aufforderte. Der Aufruf hat sicherlich dazu beigetragen, der Clauren-Mode ein schnelles Ende zu bereiten, aber hauptsächlich ist der Hauff’sche Feldzug dagegen charakteristisch für den sittlichen Grundzug, der seinem Unternehmer eigen war und den er allen seinen Werken einprägte.

Die Mehrzahl derselben besteht bekanntlich aus Novellen, die dem romantischen Zuge jener literarischen Epoche durch eine gewisse Vorliebe für Geheimnißvolles und grell Phantastisches entsprechen, aber in einer Art stillen Kampfes mit dieser Richtung die Stoffe dem frischesten Leben der Gegenwart entnehmen, dem der Salons, der Künstlerwelt, dem literarischen Getriebe, in welchem der junge Mann sich bewegte. So „Die Bettlerin vom Pont des Arts“, „Die Sängerin“, „Othello“. Diese Arbeiten sind an und für sich geschmackvoll gehaltene Erzählungen, aber man spürt doch in ihnen die ringende Jugendkraft, welche nach höheren Aufgaben verlangt. Die Verbindung des Romantischen darin mit dem Wirklichen verräth uns die Absicht des Dichters, durch poetische Unterhaltung weittragendere Wirkung auf das Publicum auszuüben, es auf sich selbst und seine unmittelbaren Lebensinteressen aufmerksam zu machen und die Literatur auch in Roman und Novelle, mehr als bisher geschah, in den Dienst der nationalen deutschen Aufgaben zu stellen. Diese Bestrebungen wurden in Hauff mehr und mehr zu klaren Ueberzeugungen. Die herzigen, künstlerisch vorzüglich gehaltenen „Phantasien im Bremer Rathskeller“, eine Zwiesprache mit sich und seinem Lebenszwecke, sind bereits völlig durchzogen davon. Auch in den „Rittern von Marienburg“ sprach er sich schon deutlich darüber aus, indem er den historischen Roman als den Hebel des nationalen Volksthums bezeichnete. Was die Walter Scott’schen Romane für die britische und zuletzt für die ganze literarische und lesende Welt bedeuteten, sollten ähnliche deutsche historische Romane für das deutsche Publicum bewirken: Liebe zum Vaterlande, Kenntniß seiner Geschichte und Sitten und Freude daran. So meinte er der „blauen Wunderblume“ der Romantik an altem, ehrwürdigem Gemäuer auf heimischem Boden einen ihrer würdigen Platz zu geben, die Phantasie Wirkliches aus der vaterländischen Geschichte umranken zu lassen. „Wir ahnen,“ schrieb er darüber, „in der Geschichte des Landes und Volkes, die uns Professoren auf Kathedern vortragen, daß es nicht immer die Könige und ihre Minister waren, die Großes, Wunderbares, Unerwartetes herbeiführten. Da oder dort hat die Tradition den Schatten, den Namen eines Mannes aufbehalten, von dem die Sage geht, er habe großen und geheimnißvollen Antheil an wichtigen Ereignissen gehabt. Solche Schatten, solche fabelhafte Wesen schafft die Phantasie des Dichters zu etwas Wirklichem um. In den Mund eines solchen Menschen, in sein und seiner Verbündeten geheimnißvolles Treiben legt er die Idee, legt er den Keim zu Thaten und Geschichten, die man im Handbuche nur als geschehen nachliest, vergebens nach ihren Ursachen forschend. Indem solche Figuren die Ideen persönlich vorstellen, bereiten sie dem Leser hohen Genuß, und oft ein um so romantischeres Interesse, je unscheinbarer sie durch Bildung und die Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft anfänglich erscheinen.“

Es lag nahe, daß der geborene Schwabe zunächst in der Geschichte seines eigenen Heimathlandes nach Stoffen solcher Art suchte, um seine Gestaltungskraft daran zu erproben. Der „Jud Süß“, der berüchtigte allmächtige Vertraute des Herzogs Karl Alexander, nach dessen Tode er 1738 schmählich in einem eisernen Käfig gehenkt wurde, bot sich ihm als eine ungemein interessante und dabei im Volke Württembergs förmlich populäre historische Persönlichkeit. In einer sehr anziehenden Novelle schilderte Hauff diesen Mann auf der Höhe seines Glückes als liebenden Vater und das verhängnißvolle Geschick seiner edlen Tochter in Folge seines Sturzes. Diese romantische Behandlung der Geschichte des Juden Süß durch Hauff ist so sehr in die Auffassung des Volkes übergegangen, daß bei demselben die wahre Historie dagegen nicht mehr aufzukommen vermag, Beweis genug, wie glücklich hier der Dichter die sich gestellte Aufgabe zu lösen verstand.

Tiefer war der Griff in die schwäbische Geschichte mit dem Roman „Lichtenstein“, dem einzigen größeren, den Hauff und zwar in einer Hast schrieb, als ahnte er seinen nahen Tod. Die Sagen, welche die Geschichte des gewaltthätigen Herzogs Ulrich, seine Leiden, seinen endlichen Sieg und seine eigene Läuterung nach so herben Prüfungen umschweben, bildeten für eine so echte Dichternatur, wie Hauff, eine verführerische Gelegenheit, seine Phantasie damit zu versetzen und sie künstlerisch gestaltend darauf wirken zu lassen. In der Begeisterung, die ihn erfüllte, aus diesem dankbaren volksthümlichen Stoff alles das zu machen, was er sehnsüchtig in der Auffassung eines nationalen Dichterberufs bisher erstrebt, schuf er einen der besten unter den deutschen historischen Romanen. Ohne Klügelei und Tendenzhascherei formte sich die Erzählung aus einem Guß zu einem plastischen Gemälde der wilden Kriegszeit Herzog Ulrich’s, der das zerschlagene und verhandelte Württemberg des Grafen im Bart wiederherstellte. Dichtung und Wahrheit fließen hier geschickt verwoben in einander. In bestrickendem Reiz und alle jene Personen gehalten, in denen der Dichter das echt Volksthümliche zum Ausdruck bringen wollte und die sich in so glücklicher Art, dramatischen Lebens voll, aus dem Gemälde schwäbischer Sittenzustände und politischer Kämpfe abheben, von Georg von Sturmfeder und seiner Braut Maria von Lichtenstein an bis zu dem buckeligen, ränkevollen Kanzler Ambrosius Volland.

Die Aufnahme dieses Romans war in ganz Deutschland eine der günstigsten, die einem solchen Buche werden kann. Mit freudigster Genugthuung sah der junge Dichter, dessen Wangen noch von der Erregung bei dieser Herzensarbeit glühten, den Traum des Ehrgeizes erfüllt, den er uns in seinen „Phantasien im Bremer Rathskeller“ auch verrathen. Zu der Geliebten, deren Herz und Hand er sich gesichert, durfte er nun wirklich glänzenden Auges sprechen: „Ein berühmter Dichter bin ich jetzt und mochte ich werden, nur daß Du von mir hörtest und stolz zu Dir sagtest: ‚Der hat Dich einst geliebt.‘“

In Schwaben gar heimelte der Roman „Lichtenstein“ in so hohem Maße an, daß er im Nu populär und in alle Häuser, bis in die einfachsten Hütten der Alp, als ein vaterländisches Brevier getragen wurde. Und noch heute wird Lichtenstein von jedem Württemberger wie ein Evangelium der alten schwäbischen Geschichte angesehen; wie Hauff diese Epoche dichterisch verklärt, so lebt sie in den Gedanken und Gefühlen des Volkes. Jedes Schwabenkind, kaum daß es lesen kann, vertieft sich in dieses Buch mit Entzücken, und wenn alljährlich zu Pfingsten Tausende aus allen Winkeln des Schwabenlandes wie in heiliger patriotischer Pflichterfüllung nach dem neu wieder auferbauten Felsenschlößlein Lichtenstein freudigen Herzens pilgern, dann erinnern sie sich all der populären Personen aus dem Roman, als seien es liebe, alte Bekannte, und sie sprechen ihnen manch’ Wörtlein nach, das der Dichter ihnen in den Mund gelegt. Wohl keinen schöneren Erfolg kann ein Schriftsteller sich wünschen, als mit einem seiner Werke so innig dem Herzen seines Volkes verbunden zu sein – und wer sagte da nicht, indem er solch ein Werk als das Vermächtniß eines trefflichen Jünglings betrachten muß, mit tiefem Bedauern: er ist zu früh gestorben!? Wie tief seine Schriften in das deutsche Volk gedrungen sind, das bezeugt am besten die Thatsache, daß gelegentlich der fünfzigsten Gedächtnißfeier seines Todes die Rieger’sche Verlagsbuchhandlung in Stuttgart mit der sechszehnten Auflage der Gesammtausgabe der Hauff’schen Werke vor’s Publicum tritt. Vom „Lichtenstein“ und den „Märchen“ sind außerdem noch Prachtausgaben erschienen.

Aber indeß sein „Lichtenstein“ ihm alle Herzen gewann, schlich der Tod schon tückisch an das seine und saß lauernd bei ihm, als er an dem Entwurf eines neuen ähnlichen Romans arbeitete, der in der neuesten Heldengeschichte Tirols spielen sollte. Eine Reise nach Paris unternahm er noch in heiterster Lebenslust. Nach Stuttgart zurückgekehrt, erhielt er die Redaction des [776] Cotta’schen „Morgenblattes“, eine Belohnung für seine bisherigen Thaten. Im Februar desselben Jahres (1827) führte er das längst geliebte Bäschen – seine Braut führte denselben Familiennamen wie er – mit dem er in scherzendem Uebermuth noch einen wirklichen Liebesroman gespielt, als sein Weib heim. Die Musen und das Glück schienen ihn zu ihrem Günstling erkoren zu haben. Als ihm dann noch eine Tochter geboren wurde, athmete er in trunkener Lust auch diese neue Lebensfreude ein. Die Seele hob sich in mächtigeren Schwingen; das Auge leuchtete mit berechtigtem Selbstbewußtsein und im Vollgefühl selbstständiger Kraft zu höheren Zielen der dichterischen Laufbahn empor. Die Freiheit, deren Jünger und Sänger ja auch er war, sandte ihm vom griechischen Meere Grüße, die ihn in Begeisterung versetzten – die Seeschlacht bei Navarin hatte die türkische Flotte vernichtet. Alles ging bei ihm dann in Fieberkämpfe über. „Laßt mich!“ rief er, „ich muß hin; ich muß es Müller sagen“ – dem Sänger der zündenden Lieder für die griechische Freiheit, der ihm als Freund ein paar Wochen zuvor durch jähen Tod entrissen worden. In diesem Nervenfieber endete dann sanft sein junges Leben.

Groß und allgemein war die Trauer um seinen Verlust. An seinem Grabe, von zahlreichen Freunden schmerzvoll umstanden, ehrten ihn die Nachrufe eines Uhland, eines Schwab, eines Karl Grüneisen. Seine Büste vom Bildhauer Wagner, Daunecker’s Schüler, erhob sich darnach über der Gruft; Epheu umrankte sie; treue Liebe und Erinnerung der Freunde, dankbare Empfindungen nachfolgender Geschlechter hielten oft davor eine stille Messe für den todten Dichter. Verwittert ist schon das Steinbild, aber lebendig in großer Kraft ist noch das Andenken im Volke an Wilhelm Hauff, und nur eines Wortes bedürfte es, daß Tausende freudig ihr Scherflein beitrügen, um die Liebe der Nachwelt für ihn durch ein neues sichtbares Denkmal zu bezeugen.