Der erste deutsche Journalist
Der „Gartenlaube“, dem verbreitetsten deutschen Blatte, kommt es gewiß vorzugsweise zu, an den viel zu wenig beachteten Mann zu erinnern, welcher die erste Zeitschrift in deutscher Sprache herausgab und dadurch der Begründer des jetzt wichtigsten und einflußreichsten Zweiges unserer Literatur wurde, – um so mehr, als er zu den ehrenhaftesten, freisinnigsten und geistvollsten Männern gehört, auf die Deutschland stolz zu sein Ursache hat, sein ganzes Leben lang unermüdet für Wahrheit, Recht und Aufklärung kämpfte, darum aber auch Leiden und Verfolgungen aller Art zu erdulden hatte, selbst aus seinem Vaterlande vertrieben wurde und sonach nicht bloß der erste deutsche Journalist sondern auch der erste Märtyrer der der deutschen Journalpresse ist.
Es war ein Leipziger, Christian Thomas (leider bekannter unter seinem latinisirten Namen Thomasius, obgleich er selbst, fern von aller Pedanterie, auf seinen deutschen Schriften und namentlich auf seiner Zeitschrift stets seinen guten deutschen Namen Thomas gebrauchte), der Sohn des Rectors der Thomasschule, Jakob Thomas, und am 12. Januar 1655 geboren. Nachdem er die Schule seines Vaters besucht hatte, studirte er in Leipzig Theologie ging dann aber nach Frankfurt a. O., um sich dem Studium der Jurisprudenz zu widmen, machte nach der damaligen Sitte eine Reise nach Holland und trat nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt zunächst als Advocat auf, widmete sich aber bald der akademischen Laufbahn, auf der er allerdings großen Ruhm, aber auch Dornen vollauf finden sollte. Er ging nämlich nicht in dem bequemen Gleise des Herkommens fort, sondern dachte und forschte selbst und sprach die gefundenen Resultate ohne Scheu aus. Nur erzählt er, im Anfange habe er sich gefürchtet, mit Neuerungen aufzutreten, weil er gewähnt, er würde deshalb „der ewigen [135] Verdammniß“ verfallen. Diese Besorgnis erklärt sich aus dem Umstande, daß er hauptsächlich gegen die damals den Staat und alle Wissenschaften beherrschenden Theologen und für das von denselben, seiner Meinung nach, verunstaltete Naturrecht ankämpfen zu müssen glaubte. Er hielt z. B. dafür und sprach es bald genug offen aus, daß die Vielweiberei, der Selbstmord etc. nur nach gemachten Gesetzen untersagt und ebenso die priesterliche Trauung, der äußerliche Gottesdienst etc. geboten sei; daß die zehn Gebote nicht überall Moral, noch die ganze Moral enthielten; daß die Todesstrafe nicht zu rechtfertigen sei; daß keine weltliche Macht das Recht habe, Strafen wegen des Glaubens anzuordnen; daß man Mängel in dem Staate, in welchem man lebe, allerdings rügen dürfe; daß die Majestät der Könige nicht unmittelbar von Gott komme, und daß der Streit über alle diese Dinge die Theologie gar nichts angehe.
Aber nicht bloß die Anmaßung und die Macht der Theologen griff er an, er verhöhnte auch das Zopfthum der deutschen Gelehrten und wies die traurigen Wirkungen desselben nach. Er rügte und verspottete ihre Grobheit und Rohheit und wollte die Gelehrsamkeit nicht nur mit dem Tone der feinen Welt – damals Hofton genannt – vereinigt wissen, sondern auch die Wissenschaft für das Allgemeine nutzbar gemacht sehen und in solcher Weise die Bildung in immer weiteren Kreisen verbreiten. Er wußte recht wohl, wie weit zu seiner Zeit das deutsche Volk z. B. dem französischen an Aufklärung und die deutsche Sprache allen anderen an Ausbildung nachstand. Den Hauptgrund fand er darin, daß die französischen Gelehrten in ihrer Muttersprache schrieben und sonach Alle die Bücher lesen konnten; deshalb nahm er sich vor, ebenfalls dem Lateinischen so viel als möglich zu entsagen und in seiner lieben deutschen Sprache zu schreiben, die damals so höchst ungelenk und namentlich mit lateinischen und französischen Flickflecken verunstaltet war. „Es schrieben ja,“ sagt Thomas, „die griechischen Philosophen nicht hebräisch, noch die römischen griechisch, sondern ein Jeder seine Muttersprache. Die Franzosen wissen sich dieses Vortheils sehr wohl zu bedienen; warum sollen denn wir Deutsche stets von Andern uns auslachen lassen, als ob die Gelehrsamkeit in unserer Sprache nicht vorgetragen werden könnte?“
Und er schrieb und er hielt Vorlesungen in deutscher Sprache. Wir können uns jetzt kaum eine Vorstellung von dem Aufsehen machen, das seine Neuerung erregte, obgleich die Herrschaft der lateinischen Sprache auf den Universitäten erst in den letzten Jahren unserer Zeit ganz gebrochen worden ist und die Nachwehen der Sprachmengerei aus deutschen Schriften heute noch nicht ganz verschwunden sind.
Weil also dem rührigen Manne die Ausbildung der Muttersprache, die Verbreitung nützlicher Kenntnisse und damit die Ausrottung der Pedanterie und Heuchelei am Herzen lag, unternahm er es, eine periodische Schrift in deutscher Sprache herauszugeben. Sie erschien von Januar 1688 an zunächst unter dem Titel: „Scherz- und ernsthafte, vernünftige und einfältige Gedanken über allerhand lustige und nützliche Bücher und Fragen. Von der Gesellschaft derer Müßigen. Frankfurt und Leipzig, bei Weidmann.“ (Der Beisatz „von der Gesellschaft der Müßigen“ blieb schon auf dem zweiten Hefte weg.) Jedem der monatlich erscheinenden 5 bis 6 Bogen in kleiner Buchform starken Hefte war ein meist allegorischer und satirischer oder erläuternder Kupferstich beigegeben, denn Thomas wußte schon, wie er in der Vorrede sagt, „daß die Menschen durchgehends gern bildern.“
Kühn genug begann er sein Unternehmen mit einer Zuschrift an „Tartüffe“ und „Barbon“ –einen Heuchler und einen Pedanten – weil er gegen diese seine Angriffe vorzugsweise zu richten gedachte. Die Form, in der er schrieb, war für jene pedantische Zeit ziemlich geschickt, denn er sah auf Unterhaltung seiner Leser und auf Mannigfaltigkeit. Er bringt nämlich in jedem Hefte eine Gesellschaft von mehr oder weniger Personen zusammen, die sich über „Bücher und Fragen“ besprechen und zwar meist in scherzendem und spottendem, bisweilen aber auch in sehr ernstem Tone. So beginnt er das erste (Januar-) Heft in folgender Weise: „Die Leipziger Neujahrsmesse begunte nunmehr herbey zu nahen, und diejenigen, so auf selbiger entweder in Handel und Wandel oder wegen anderer Geschäfte etwas zu verrichten hatten, stellten sich allmählich daselbst ein; als vier einander sonst unbekannte Personen aus einer Landkutsche aus Frankfurt a. M. ausführen, des Vorhabens, auch ihres Orts sich in diese sowohl von den Studien als der Handlung berufene Stadt zu machen, wiewohl in unterschiedenem Absehen etc.“
Seine „deutschen Monate“, erzählt Thomas, „brachten die ganze Heerde der Heuchler und Pedanten“ gegen ihn in Aufruhr. Sie nannten ihn einen unruhigen, ungläubigen und streitsüchtigen Menschen, weil er sich nicht scheute, Glaubenssätze und Einrichtungen anzutasten, bei denen sich „die Heuchler und Pedanten“ so lange gar wohl befunden hatten. Gleich in dem ersten Hefte, in dem auch von „Liebesromanen“ die Rede ist, sagt er, Niemand lese dieselben, zumal die schmutzigsten, eifriger als die frommen Heuchler, die, wenn man sie bei der Lectüre solcher Bücher überrasche, kopfschüttelnd erklärten, auf den Inhalt achteten sie nicht, nur an der schönen Sprache, in der sie geschrieben, und an der geistreichen Erfindung hätten sie ihre Freude. „Ich wollte wetten,“ läßt Thomas Einen der vier Reisenden in der Landkutsche sagen, „daß unter hundert jungen Leuten, die in der Bibel die Geschichte von Joseph und des Potiphar’s Gemahlin lesen, ungeachtet der „heilige Geist“ dieselbe schlechtweg und ohne Bewegung eines Affects geschrieben hat, doch kaum Einer oder der Andere sein werde, der in seinem Herzen den Joseph nicht für einen albernen Tölpel hielt oder wohl gar wünsche, daß ihm dergleichen Gelegenheit begegnen möchte, und sich dabei in seinen Gedanken delectirt, wie er dieselbe sodann sich besser als Joseph zu Nutze machen wollte; was denkt aber ein junger Mensch bei sich, wenn er jene Geschichte weitläufiger geschrieben lieset, wie solche Daniel Greissensohn in seinem „keuschen Joseph“ mit artigen Erfindungen ausgeschmückt und die beweglichen Reden der Sapphira (der Frau Potiphar’s) dazugesetzt hat?“
Leipziger Professoren beschwerten sich denn auch bereits nach dem Erscheinen der ersten beiden Hefte und trugen in Dresden auf Bestrafung des Verfassers, sowie auf Unterdrückung der Schrift an. Um der letzten: zu entgehen, that Thomas schon, was seitdem Viele ebenfalls zu thun genöthigt gewesen sind –; er ließ seine Zeitschrift von dem dritten Hefte an in einem Nachbarstaate, und zwar in Halle, drucken. Und nun schrieb er noch entschiedener. Er verspottete die Mängel der akademischen Verträge, die unglaubliche Unwissenheit der meisten Gelehrten in wichtigen Fächern, äußerte sich rückhaltslos über die Unduldsamkeit der Protestanten, über die Mißbräuche bei der Censur, über das Lächerliche des damaligen Proceßverfahrens, über schlechte Prediger, namentlich aber übergoß er die Anhänger der herrschenden aristotelisch-scholastischen Philosophie mit der schärfsten Lauge seines Witzes. Das ganze Aprilheft füllte er mit einem Romane aus dem Leben des Aristoteles, in dem er in der beißendsten Weise schilderte, wie die Herren Philosophen Alles besser wissen und Alles ergründet haben wollen, darum hochmüthig auf alle Anderen herabsehen, ja, sich sogar den Frauen gegenüber für unwiderstehlicher halten als alle anderen Männer. So erzählt er z. B., Aristoteles habe die vier Farben der Spielkarten erfunden, um seine Lehre von den vier Elementen auch den gemeinen Leuten von Jugend auf beizubringen, weil er wohl gewußt, daß die Kinder eher mit der Karte spielen lernten, als sie ihren Katechismus auswendig könnten. Den König Philipp aber habe der Philosoph veranlaßt, eine Verordnung ergehen zu lassen, daß die Bürger wenigstens einmal des Tages spielen müßten etc.
Es konnte nicht fehlen, daß man dem freimüthigen Spötter alle möglichen Schandthaten, Religionsverachtung, Majestätsverbrechen etc. schuld gab. Man kam wirklich bei dem Oberconsistorium in Dresden mit der Klage ein, „er bringe ehrenrührige Beschuldigungen gegen die Professoren vor, mache die Wissenschaften lächerlich, die doch unter dem Befehl und dem Schutz des Landesherrn gelehrt würden, und vergreife sich dadurch auf das Frechste an Seiner Durchlaucht höchstem Ansehen selbst; er bediene sich einer spöttischen und ärgerlichen Schreibart und dazu in deutscher Sprache, so daß auch der gemeine Mann ihn lesen könne; er lästere Jedermann und besonders seine ehemaligen Lehrer, verachte die Religion, spotte der Prediger und ihrer Predigten und habe sogar einige Tage vor dem Genusse des Abendmahls eine Schmähschrift gegen seinen Beichtvater (Carpzov) aufgesetzt, außerdem aber auch, gegen die Verfassung der Universität, eigenmächtig einen Hörsaal in seiner Wohnung eingerichtet.“
Seine Hauptgegner waren drei Theologen in Leipzig, der bereits genannte Carpzov, Alberti und Pfeifer, von denen der letztere sogar häufig von der Kanzel herab gegen des verhaßten Mannes [136] Schriften und Aussprüche donnerte. Thomas aber vertheidigte sich gegen die Anklagen, die wider ihn gerichtet waren, so vortrefflich, daß er für diesmal noch ohne Strafe ausging. Dies ermuthigte ihn, als Bild zu dem ersten Halbband seiner „Monate“ aus Moliere’s „Tartüffe“ die Scene mit dem Busentuche stechen zu lassen. Mit seinem Muthe aber wuchs auch die Zahl und die Erbitterung seiner Feinde, wie die Gefahr für ihn. Im Jahre 1689 begannen in Sachsen die unglückseligen Zänkereien wegen der „Pietisten“. Die vortrefflichen Männer Spener in Dresden und Franke (nachmals Stifter des großen Waisenhauses in Halle) drangen nämlich auf eine gründlichere Bildung der jungen Theologen, besonders auf genaue und richtige Kenntniß der Bibel. Zu diesem Zweck veranstalteten sie Vorlesungen. Dies war den alten Professoren eine gräuelvolle Neuerung, und sie traten, wie gegen Thomas, so auch gegen jene beiden „Neuerer“ auf, denen sie den Spottnamen „Pietisten“ gaben. Wie die Partei der Pietisten später ausartete, gehört nicht hierher. Genug, Franke sollte sich einer Untersuchung bei der Leipziger Universität unterwerfen und wählte sich Thomas als juristischen Beistand. Dieser schrieb ein sehr klares, aber ziemlich heftiges „Bedenken“, das ihm neue Feinde zuzog. Dazu kam ein Fall, der ihn bei dem Hofe in Dresden selbst, wo er bis dahin Schutz gefunden hatte, sehr unbeliebt machte. Der letzte Herzog von Sachsen-Zeitz vermählte sich 1689 mit einer reformirten Prinzessin, der ältesten Tochter des großen Kurfürsten von Brandenburg. Da nun der Haß der Lutheraner gegen die Reformirten in Sachsen groß war, so erregte jene Heirath, die überdies gegen die Pläne des Kurhauses verstieß, gewaltigen Aerger. Es erschien dagegen eine Schrift (von dem Propst Müller in Magdeburg). Thomas, der eifrige Vertheidiger der Glaubensfreiheit, gab sofort eine Gegenschrift heraus, die wichtige Folgen für ihn haben sollte; denn sie machte ihn zuerst dem Hofe zu Berlin bekannt. Er selbst erzählt, er habe seine Schrift nach Zeitz geschickt, sei darauf von dem Herzog eingeladen, sehr gütig aufgenommen und nach zwei Tagen mit einem Geschenk von 100 Thalern entlassen worden. „Nun kann ein Jeder,“ fährt er fort, „leicht erachten, daß in dem Zustande, in welchem ich damals lebte, dieses Alles ein nicht geringes Vergnügen bei mir erweckt haben müsse.“ Bei seiner Rückkunft von Zeitz fand er überdies ein Schreiben aus Berlin mit der Anzeige, daß der Kurfürst seine Schrift gnädig angesehen und befohlen habe, ihm dafür 100 Ducaten auszuzahlen. „Dieses erfreute mich um so mehr, weil ich nicht darum gebettelt, ja nicht einmal ein Exemplar nach Berlin an Jemand befördert hatte.“
Auf der andern Seite aber behauptete ein Wittenberger Theolog, Löscher mit Namen, Thomas habe in seiner Schrift zu Gunsten der Reformirten „dem (enthaupteten) Kanzler Krell das Wort geredet und die frommen Vorfahren Sr. Durchlaucht in dem, was sie zur Erhaltung der reinen lutherischen Lehre gethan, schändlich gelästert.“ In Leipzig selbst hielt man Vorlesungen und Predigten gegen ihn als Atheisten. Nur um sich mit gleichen Waffen zu vertheidigen, begann Thomas vor vielen Zuhörern Vorlesungen über den Unterschied des Rechtes und des Anständigen. Das nannten seine Feinde „Gewaltthätigkeit“ und klagten von Neuem. Jene Vorlesungen wurden ihm untersagt; aber Thomas war nicht der Mann, der sich leicht, schrecken ließ. Er las sofort „über die Vorurtheile“ und schilderte darin unter andern „den echten Christen im Gegensatz zu den Heuchlern“, von denen er vierzehn Kennzeichen angab, z. B. daß sie von Menschen gemachte Bekenntnißschriften der Bibel gleichhielten, bei Streitigkeiten sich mehr auf jene menschlichen Bücher beriefen etc. Alsbald erfolgte die Klage gegen ihn, daß er „Dinge, die er zu lehren keinen Beruf habe, in seinen Vorlesungen abhandele, auch oft in seiner Monatsschrift, was von Predigern auf der Kanzel dem Worte Gottes gemäß vorgetragen, auf das Schimpflichste durchhechele.“
Der dänische Hofprediger und Professor der Theologie, Masius in Kopenhagen, ließ in einer lateinischen Abhandlung drucken, daß nur der lutherische Glaube die Throne aufrecht erhalte, denn nur dieser lehre, daß die Obrigkeit unmittelbar von Gott sei und die Unterthanen selbst einem mit Gewalt eindringenden Fürsten wegen der unverletzlichen Majestät desselben nicht widerstehen dürften, daß also nur der lutherische Glaube den Regenten die höchste Sicherheit gewähre und deshalb vor allen Religionen den Vorzug verdiene; denn die Reformirten, Puritaner etc. lehrten, daß Könige durch das Volk abgesetzt werden dürften, daß man Gewalt mit Gewalt vertreiben könne, weil die Obrigkeit nicht unmittelbar von Gott komme, sondern in dem Volke wurzele. Diese Schrift nahm Thomas in dem Decemberheft seiner Zeitschrift mit Ernst und Würde vor, obgleich er es auch an geeigneten Stellen an starken Ausdrücken nicht fehlen ließ. Er erklärte darin, daß die Majestät allerdings von Gott komme, aber nicht unmittelbar, sondern eigentlich von dem Volke, daß die Anklage gegen die Reformirten höchst ungerecht und ein Hinderniß der so wünschenswerthen Vereinigung der beiden evangelischen Parteien sei etc.
Die Leipziger sorgten natürlich, daß der Herr Hofprediger in Kopenhagen ein Exemplar der Schrift erhielt. Dieser schrieb nicht nur klagend an einen hochgestellten Mann in Dresden, daß ein lutherischer Professor an einer lutherischen Universität ihn in solcher Weise angegriffen, sondern verfaßte auch eine plumpe und fade Schmähschrift unter dem Namen Peter Schipping gegen Thomas. An dieser hatten die bekannten drei theologischen Freunde so großes Wohlgefallen, daß sie dieselbe nachdrucken ließen, um ihr um so größere Verbreitung zu geben. Thomas nahm aber das ganze Machwerk in seine Zeitschrift auf und spickte es mit zahlreichen ernsten und witzigen Anmerkungen, so daß er die Lacher ganz auf seine Seite brachte. Solche „Frechheit“ konnte nicht ungestraft bleiben; Masius setzte Himmel und Hölle in Bewegung und vermochte in der That seinen König Christian V., in heftigen Ausdrücken bei dem Hofe in Dresden sich über Thomas zu beschweren, der „sich vermessentlich unterstanden, ein von einem k. Professor mit des Königs Vorwissen und Approbation publicirtes Scriptum mit groben Anzüglichkeiten anzufechten, auch von der Majestät und Gewalt, so alle Potentaten und Prinzen unmittelbar von Gott haben, ganz verkleinerlich zu schreiben.“ Darum bat der König, daß Thomas „wegen seiner ärgerlichen Schriften förderlichst zu Rede gestellt und nicht allein das, was er gegen die Fürsten zu behaupten sich erkühnt, sondern auch die gegen Ehren Masius ausgestoßenen Injurien zu verneinen angehalten, auch deshalb Andern zum Abscheu gebührlich bestraft werden möge.“ In Dresden ging man bereitwillig auf diesen Antrag ein. In einem Rescripte an die Universität wurde das, was Thomas gethan, „ungebührlich, befremdend und zu mehrerern Mißfallen billig veranlassend“ genannt und ihm verboten, ohne vorhergegangene Leipziger Censur, auch auswärts, etwas drucken zu lassen. Dabei blieb es aber nicht, denn noch war keine Entscheidung über die früheren Leipziger Beschwerden und über die Wittenberger Denunciation erfolgt. Diese erschien jetzt und lautete in Bezug auf die erstern, daß „dem Thomas ernstlich und bei Strafe von 200 Gulden alles Collegienlesen und Disputiren, es geschehe öffentlich oder privatim, oder auf was für Art und Weise es wolle, sowie jede Herausgebung irgend welcher Schriften bis auf weitere Verordnung untersagt werde,“ in Bezug auf die letztere aber: „daß man sich seiner Person versichern und dann gegen ihn peinlich inquiriren solle.“ Den ersten Befehl ließ man in Leipzig sogleich bekannt werden, den zweiten hielt man aber absichtlich geheim, da man die Absicht hatte, in dem Termin, in welchem man Thomas den ersten mittheile, sogleich den zweiten zu veröffentlichen und bei dieser Gelegenheit sofort ihn zu verhaften.
Thomas war verheirathet, hatte keine Besoldung und lebte von dem, was ihm seine Vorlesungen und seine Bücher einbrachten. Er wäre also verloren gewesen mit seiner Familie, wenn jene Befehle hätten zur Ausführung kommen können. Er hatte aber Aehnliches vermuthet und sich für solche Fälle vorbereitet. Er wartete nicht, bis man ihm die Rescripte vorlas, sondern reisete heimlich von Leipzig ab nach Berlin, um dort die Erlaubniß zu erbitten, sich in Halle niederlassen und Vorlesungen halten zu dürfen. Seine Feinde waren um so aufgebrachter als sie ihre Rache an Thomas nicht kühlen konnten. Wenigstens nahm man Alles in Beschlag, was er in Leipzig zurückgelassen hatte, und der Schöppenstuhl erkannte, „daß er zum Arrest zu bringen und gegen ihn mit Specialuntersuchung zu verfahren sei.“ Das geschah im März 1690. Masius in Kopenhagen aber war damit nicht zufrieden. Er hatte bereits früher einen Befehl von seinem König erwirkt, der im März 1691 ausgeführt wurde. Die Hefte der Monatsschrift von Thomas, in welchen Masius angegriffen war, wurden auf offenem Markt in Kopenhagen von Henkers Hand verbrannt und der Verfasser derselben für ehrlos erklärt.
Der brandenburgische Staatsminister Eberhard v. Dankelmann dagegen erwarb sich den unvergänglichen Ruhm, den aufgeklärten und verfolgten Thomas freundlich aufgenommen und für [137] das Land gewonnen zu haben. Er erwirkte für denselben den Titel eines kurfürstlichen Rathes mit einer Besoldung von 500 Thalern und verwendete sich auch dringend und mit günstigem Erfolg bei dem Kurfürsten von Sachsen, so daß Thomas 1691 seine Familie und seine Habseligkeiten von Leipzig nach Halle nachkommen lassen durfte.
Diese Uebersiedelung unseres Thomas nach Halle ist zugleich die Veranlassung zur Stiftung der Universität daselbst. Der berühmte Lehrer zog allein eine große Anzahl junger lernbegieriger Männer dahin. Ihm schlossen sich bald zwei ebenfalls Vertriebene an, Spener und Franke, und als 1691 der Kurfürst von Brandenburg auf einer Reise Halle berührte, fand er gegen 300 Studenten da, wo keine Universität war, die erst 1694 wirklich begründet wurde.
Seine Monatsschrift ließ Themas mit dem Jahre 1691 aufhören, dagegen gab er eine Sammlung von „juristischen Händeln“ heraus und war somit auch der Erste, welcher in Deutschland Rechtsfälle auf eine für das große Publicum lesbare Art herausgab. Seine übrigen Verdienste, namentlich um das Aufhören des Hexenverbrennens, können wir unerwähnt lassen, nur ein Ausspruch Friedrichs des Großen über ihn möge hier stehen: „Im Jahre 1708 (?) ward eine Frau, die das Unglück hatte, alt zu sein, als Zauberin verbrannt. Diese unmenschlichen Wirkungen der Unwissenheit erregten bei Thomas, einem gelehrten Professor in Halle, den lebhaftesten Eindruck: er machte die Hexenmeister und die Hexenprocesse lächerlich und redete so laut, daß man sich ferner solcher Rechtshändel schämte, und seitdem kann das weibliche Geschlecht in Frieden alt werden und sterben. Unter allen Gelehrten, welche Deutschlands Namen verherrlicht haben, leisteten Leibnitz und Thomas dem menschlichen Geiste die wichtigsten Dienste. Sie zeigten den Weg, auf welchem der Verstand zur Wahrheit gelangen kann; sie bekämpften die Vorurtheile jeder Art; sie drangen in allen ihren Schriften auf die Analogie und die Erfahrung und zogen eine Menge Schüler.“
Thomas starb 1728, ein Jahr vor der Geburt dessen, welcher um Vieles größer war als er und glänzend durchführen sollte, was Thomas nur geahnt und begonnen hatte – Lessing’s.