Der junge Geldmacher
Der junge Geldmacher.
„Das machst nach, wenn Du kannst!“ sagte der Oberveitel zu Dölsach und zeigte am Tisch eine neue Fünfzigernote herum. „So ein Nachmachen von Geldzetteln, das kann kein Mensch vollbringen, keiner nicht! Da gehört ein Kaiserkopf dazu, zum Geldmachen. Ja, meine lieben Leut’!“
„Was Einem etwa geschehen thät, wenn man herginge und mit dem scharfgespitzten Bleistift den Fünfziger schön sauber nachzeichnen wollt’!“ So gab Einer dran.
„Probir’s!“ rief der Oberveitel, „bist im Stand, den kleinwinzigen Druck da auch nur zu lesen? Und werden Dir nicht die Finger zittern, wenn Du zwanzigmal schreiben sollst: Die Fälschung dieser Staatsnote wird mit lebenslänglichem schwerem Kerker bestraft? Hast die Kurasch dazu?“
„Leicht nicht,“ sagte ein Anderer, „da thue ich lieber drei Monate lang Holz hacken – ist der Fünfziger auch gemacht und ist keine Gefahr dabei.“
Deß waren sie alle einverstanden, die Bauern zu Dölsach. Nur Einer, ein ganz junger noch, ein schlank aufgeschossenes Bürschlein, schien nicht recht darüber im Reinen zu sein, wieso man diese interessante Sach’ so mir nichts, dir nichts fallen lassen könne. Etwas tiefsinniger, als es der Franz sonst gewohnt war, ging er vom Hause hinan gegen die grüne Höhe, wo die Zirmbüsche stehen und wo man den weiten Ausblick hat in’s schöne Land Tirol. Da unten sind die blauenden Thäler, in welchen man von diesem einen Punkte aus nicht weniger als achtundvierzig Kirchthürme blinken sieht. Dort drüben stehen die weißen Berge der Dolomiten, von wannen im Lenz der lawinenstürzende Föhn kommt und im Sommer das Schloßen schleudernde Wetter.
[342] Heute liegt über der Gegend der milde Sonnenschein, und die Glocken der Almheerden klingen auf den Hochmatten, und die Hirten jauchzen oder liegen im duftigen Grase, wollen nichts und denken nichts – lassen sich schaukeln von dem, der in seiner Hand den Erdball dreht.
Dem Franz ist heute nicht um’s Jauchzen und nicht um’s Liegen auf dem Bauch. Er sieht aus, wie alle übrigen munteren Bauernburschen, aber inwendig ist er ganz anders gerathen, als die Anderen. Schnitzen und Malen! Unser Herrgott hat’s auch so getrieben, hat die Welt geschnitzt, hat den Himmel gemalt. Der Junge zieht jetzt sein Taschenmesser, schärft es an einem Quarzstein und schneidet sich damit einen Zirm-Ast.[1] Der Bacherwirth unten im Dorfe hat einen fuchsbraunen Hengst, ein schönes, feueriges Thier; das soll jetzt dran – das wird nachgeschnitzt aus dem feinen, harten, glattrindigen Zirmholz. Das Hengstenachmachen ist nicht verboten. Ist aber auch keine so große Unterhaltlichkeit dabei, als etwa beim Geldnachzeichnen.
„Kein Mensch könnt’s vollbringen? Es gehört ein Kaiserkopf dazu!“ meint der Oberveitel. Das wollte dem Jungen nicht aus dem Sinn. Dabei stellte sich heraus, daß das zu gleicher Zeit nicht geht, nämlich das Denken an’s Geldmachen und das Schnitzen von Hengsten; der Hengst bekam unglaublich lange Ohren und der Geldmachergedanke einen langen Schweif. Und der Schweif hing ihm an, sodaß der Bursche niederstieg zu seinem Hause, von seinem Vater eine Fünfzigernote borgte und sich damit in die Kammer einschloß. So eine große Banknote war im Hause ein seltener Gast, der es allemal gar dringend hatte und sich nur für kurze Zeit im Ederhause aufhielt; er machte immer nur eine flüchtige Rast auf seiner abenteuerlichen Wanderung durch das Land – dort Gutes stiftend, hier Uebles. So ein Kerlchen muß portraitirt werden! Dann mag’s so wieder laufen und Sünden machen so viel es will. Der Franz spitzte den Bleistift. Immerfort das Heiligenbildermalen, das Rösser- und Vogelzeichnen – das ist nicht spaßig. Wir wollen einmal redlich wissen, ob der Oberveitel die Wahrheit sagt: „Das kann kein Mensch vollbringen. Keiner nicht.“ Wollen es versuchen.
So der Franzl und ging mit flinken Fingern an die Arbeit. „Das feine Papier können wir freilich nicht nachmachen,“ dachte er bei sich, „wir sind kein Papiermacher. Der Wasserdruck schiert uns auch nicht – der ist was für den Müllner. Aber die Zeichnung!“ Die Fälschung dieser Staatsnote wird mit lebenslänglichem schwerem Kerker bestraft – diese Worte schrieb der Franzl mit einem einzigen wagrechten Striche.
„Jesus Maria, Franzl!“ rief seine Schwester draußen, „was treibst Du in der Kammer, daß Du Dich einsperrst?“
Die Fälschung dieser Staatsnote wird mit lebenslänglichem schwerem Kerker bestraft, schrieb der Franzl. Seine Finger zitterten nicht dabei.
„Du bist drinnen?“ rief die Schwester, „Du stellst was an; Du brichst was.“
„Ich mach’ was,“ antwortete der Bursche.
„Dabei verriegelt man nicht die Thür.“
„Sie ist schon offen.“
Am Abend, als die Leute beisammen waren, schauten sie das Kunststück an; Einer gab die Note dem Andern in die Hand, und sie fingen an die echte mit der falschen zu vergleichen, bis Einer fragte: „Ja, wo ist denn nachher dem Franzl sein Geldschein?“
Der war’s, den der Mann in der Hand hielt.
„Aber das ist ja doch der Echte! Jesus Christus, das wäre der Falsche?“
„Ja schau man her!“ rief der alte Eder, Franzl’s Vater, schmunzelnd, „Du Lump, Du junger!“
Die Zeichnung ging – stolz knisternd, wie ein echtes Stück Papiergeld – in den Händen herum, und der Franz kümmerte sich nicht weiter drum. Er hatte es vollbracht – das Papier brauchte er nicht mehr.
Ein junger Nachbar war im Hause, der Patritz: der verfolgte an diesem Abende eine Person der Ederfamilie, um sie auf lebenslang gefangen zu nehmen. Aber eine unschuldige Person, nicht etwa den Geldfälscher, sondern dessen muntere Schwester mit dem krausen Haar. Er schlug sie in glühende Ketten, in jene gefährlichen ewigen Bande, denen sich selten ein Mädchen entwinden kann oder will: er legte seine Arme um ihren geschmeidigen Leib.
„Maria,“ flüsterte er ihr in’s Ohr, „ich will Dir was sagen.“
„Sag’s nur her!“ antwortete sie, „es wird gewiß wieder was Wichtiges sein, was ich schon seit Ostern her weiß.“
„Wissen wirst es schon seit letztem Fasching her.“
„Seit letztem Fasching her weiß ich, daß Du ein dummer Bub bist,“ neckte sie.
„Wenn’s dumm ist, daß Einer das schönste Dirndl auf der Welt gern hat! Das liebste Dirndl! Das herzliebste Dirndl! – nachher hast Du mit Deiner Red’ recht.“
So stritten sie sich in die Verlobung hinein – der Patritz und die Maria.
Als an demselben Abende der Patritz fast ungebührlich spät nach Hause ging, gesellte sich ihm der Gaisbub des Jakhofes zu und lud ihn ein, noch mit in’s Wirthshaus zu kommen; er zahle heute ein Maß Glühwein.
„Schau hin, das Wirthshaus hat schon schwarze Fenster,“ sagte der Tritz (Patritz).
„Die Kellnerin muß noch einmal aufzünden. Die Wirthin muß auf aus dem Bett; ich will einen gezuckerten Eierschmarn haben und einen Kaffee dazu. Der Wirth muß auch aus dem Bett; ich will was Cithernschlagen hören; ich bin just einmal aufgelegt zum Lustigsein. Himmelherrgott, geh her – was kostet die Welt?“
„Du thust ja gerad’, als ob Deine Gaisen eine goldene Milch thäten geben,“ sagte der Tritz.
„Die Lieserl muß auch aus dem Bett,“ fuhr der Gaisbub fort, „ich will mit ihr Eins tanzen.“
Der Tritz konnte den Uebermuth dieses sonst so duckmausigen Burschen gar nicht begreifen.
„Mir scheint, Du kommst ohnehin schon vom Wirthshaus,“ sagte er.
„Von unsers Herrgotts Keller, ja; hab mir eben beim Ederhofbrunnen gerad’ früher meinen Durst gelöscht. Ist schade um den prächtigen Durst, aber ’s ist schon wieder ein neuer da, und den lösch’ ich mit Löschpapier!“
Damit hielt der Gaisbub eine große Geldnote in die mondhelle Luft hinein:
„Der Krämer muß auch aus dem Bett; ich will einen Feigenkranz haben für die Lieserl.“
„Wo hast denn Du diesen Funfziger her?“ fragte der Tritz, indem er nach dem Papier langte.
„Du kannst auch einen haben, Camerad,“ vertraute ihm der Gaisbub, „der Eder-Franz macht sie.“
„So,“ sagte der Tritz, „das ist der vom Eder-Franz? Schau, Gaisbub, den muß ich Dir wechseln. Geh mit zum Richter; dort laß ich Dir zweimal fünfundzwanzig dafür geben, ist auch fünfzig.“
Damit war der Gaisbub denn nun gar nicht einverstanden; er bettelte, er schmeichelte, er zankte und schimpfte, aber er war von Beiden nicht der Stärkere. Der Tritz hatte das Papier schon in gutem Gewahrsam, und dem Gaisbuben blieb auf der Welt nichts übrig, als seinen schönen Durst beim nächsten Hausbrunnen zu löschen.
Der Tritz ging seines Weges, und die falsche Geldnote sorgfältig glättend und in seine Brieftasche legend, dachte er: So, mit dem Häutlein mach’ jetzt ich meinen Spaß.
An einem der nächsten Tage finden wir den Eder-Franz wieder auf der freien Höhe.
„Auf der Alm, da ist’s fein,
Giebt’s ka Sünd’ und ka Pein.
Ist der Berg wie ein Rosenstock,
Ist der Wind wie ein Nagerlduft,
Glanzt’s Wasser wie ein Silberring,
Spielt d’ Sonn’ wie eine goldene Lust.
Wann ih jauchz und a Gsangel sing:
Da Schall wie ein Glöckerl klingt;
Mein Herz, das ist alleweil voll Freud,
Kennt ka Sünd und ka Pein.
Auf der Alm ist’s gut sein!“
So sang der Bursche, und sein leuchtendes Auge sagte, daß er’s nicht aus dem Leeren sang. – Wir dürfen den Franzel ja wohl näher betrachten; denn das ist Einer, an dem wir ein wenig Herzeleid erleben werden, aber auch viel Ehre und Wunder.
[343] Er kann nicht viel älter sein als sechszehn Jahre; sein volles Haupthaar ist braun wie reife Kastanien; ob es auch recht lind ist, möchte die Sennerin wissen, aber er biegt ihre Hand weg, wenn sie ihn am Haupte anfühlen will. Sein etwas längliches Gesicht ist weiß und roth, echte Farben, die sich selbst in der Sonne nicht bräunen, von Bart noch gar nichts da; die Oberlippe spitzt sich noch in Knabentrotz, aber das Auge ist weich und sinnend; es schaut eine Welt von Schönheit heraus, und es schaut eine Welt von Schönheit hinein.
Niedrige Bundschuhe trug der Junge und nackte Waden und eine ziegenhäutene Kniehose und über der sich frei wölbenden Brust nichts, als das rauhe Linnenhemd und den ledernen Hosenträger. Das Ungefügige an dem ganzen Bürschlein war ein hoher, schoberförmiger Filzhut, ein sogenannter Sternstecher, wie die spitzen Tirolerhüte heißen, die nach landläufigem Sprüchwort so hoch sind, daß man damit vom Himmel die Sterne herabstechen kann. Dieser Sternstecher ragte wie ein finsterer Thurm über das heitere Antlitz des Franzel.
So ging er über die weichen Matten hin zwischen den Zerben, und es war ihm, als suche er etwas und wisse nicht, soll es ihm aus dem Erdboden herauswachsen oder vom Himmel herabfliegen. „Es war ein extriger, ein stader Bua,“ hat Einer von ihm erzählt.
Aus dem Thale der Drau, der Isel, aus dem weiten Boden von Lienz klangen in zartem Gesumme die Glocken des Feierabendes herauf. Zu solchen Stunden ist es ja, als wären vieltausend Saiten gezogen von Berg zu Berg, über das ganze Tirolerland, und als spielte auf dieser Cither ein unsichtbarer Künstler – so leis, so zart und getragen tönt es durch die Lüfte.
Die Glocken der Kirchthürme waren es, die zum Feierabendgottesdienste riefen. Es war ja wieder eine arbeitsschwere Woche vorbei, und die Leute hatten vollauf zu thun gehabt, das liebe Brod zu fassen und zu heimsen, das der Weltvater in goldenen Halmen aus der Erde reckte. Jetzt sollten sie danken gehen und sich ausruhen in der kühlen, dunklen Kirche und sich an Leib und Seele vorbereiten für den Sonntag. Das riefen die Glocken im Thale. Aber der Franzel stieg nicht hinab; ihm gefiel es auf dem Berge, und er schaute zu dem lichten Hochaltare des Großglockners hinüber, hinter welchem still und groß die Sonne niedersank.
„Mein Herz, das ist alleweil voll Freud!
Auf der Alm, da ist’s gut sein!“
Auf demselben Berge gab es heute auch Andere, die das Läuten der Kirchenglocken nicht achteten. Dieselben Anderen saßen in der Bergschenke der Niederung, die den schönen Namen „Auf der Wacht“ trägt. Im heiligen Jahre Neun sind dort die Tiroler auf der Wacht gestanden mit Messer und Stutzen, um ihr liebes Heimathland zu schützen vor den übermüthigen Franzosen. Die Jungen haben mit ihrer Brust die Engpässe des Landes vertheidigt; die Alten haben von den Höhen Felstrümmer niedergelassen auf den heranstürmenden Feind; die Weiber haben Kugeln gegossen aus dem Blei der Kirchenfenster; die Kinder haben mitten in der Schlacht die verschossenen Kugeln mit Messern aus dem Erdboden oder aus den Baumrinden gestochen; die Priester haben – in der einen Hand das Kreuz, in der anderen das Gewehr – den Befreiungskampf gepredigt.
Die größte Heldenthat, die das Jahrhundert kennt – das kleine Tirol hat sie vollbracht. Das Heimathsgefühl der Völker, der Freiheitsdrang einer Welt ist damals, und zwar im Bauernstande, zum gewaltigen, glorreichen Ausdruck gelangt – das Ideal unserer Zeit ist im Bauernthume eingeweiht worden.
Heute ist es friedsam auf den grünen Matten, genannt „Die Wacht“. Und auch an jenem Sonnabende war es friedsam dort und heiter dabei, obwohl ein anderer, ein unsichtbarer Feind bigott und heuchlerisch heranschwamm in den sonst so schönen Klängen der Festglocken. Es fanden sich in dem Berghause an schönen Sommertagen gern die Almer ein und die Burschen des Thales, die Scharfschützen, um beim rothen Tirolerwein, bei Mädchenaugengluth und Citherklang die Nächte zu „durchwachten“; denn nimmer veröden darf das Haus „Auf der Wacht“, und ein Feuer, sei es nun das der begeisterten Vaterlandsliebe oder der Mädchenminne oder auch des Hasses gegen einen persönlichen Feind, wird in jenem einsamen Berghause bewahrt, wie unten in der Pfarrkirche das „ewige Licht“.
Die Frömmigkeit des alten Moidle, das des Wirthes Schwester ist, hilft all nichts. Schon mehrmals war sie heute lauernd in der Gaststube umhergeschlichen und hatte ziemlich laut vor sich hingemurmelt:
„Zusammenläuten thun sie. Zum Segen thun sie läuten. Christenmensch! Unsereins mühselige Haut wollt’ gern in die Kirchen gehen, wenn die Füß’ thäten tragen. Und das junge Volk schaut sich neuzeit um den Herrgott gar nimmer um. Geh weg; jetzt seh’ ich’s schon, die Leut’ werden ganz kalt im Glauben. Eiskalt werden sie im Glauben, die Leut’; setzt seh’ ich’s schon.“
Man kümmerte sich nicht um das frömmelnde Gethue der Alten; man sang, man lachte; man scherzte mit den Mädchen, bis das Moidle dreinschrie:
„Jawohl, die Dirnen sind Euer Rosenkranzgebet heutzutag. Jawohl, ihnen den Kranz vom Kopf beten, das ist Euer liebster Gottesdienst. Jawohl!“
Die Bursche lachten, und einer rief:
„Sag’ noch so was, Moidle, daß wir wieder was zu lachen haben!“
„Werd’s nicht lachen, wenn die Straf’ Gottes kommt, weil Ihr keinen Glauben habt,“ versicherte die Alte.
„Weible,“ sagte einer der Burschen, „wegen unseres Glaubens brauchst Du Dir gar kein graues Haar wachsen zu lassen, das wachst Dir so auch schon. Einen Glauben haben wir noch, mußt wissen. Bin voreh gewiß nicht der Letzte in der Predigt und im Segen gewesen. Seitlang sie aber die Leut’ mit den Standarn (Gensd’armen) in die Kirche treiben lassen, seitlang mag ich gar nicht mehr hineingehen. Ich mag nicht mehr. Zum Beten laß ich mich nicht zwingen.“
Die Geschichte spielt in den „schwarzen Jahren“, zur Zeit des Concordats – der Oesterreicher weiß, was das heißt, und der Nichtösterreicher verlange es nicht zu wissen!
Damals war’s, daß man die Leute vom Marktplatz in die Kirche trieb und bisweilen sogar hinter ihnen die Thür zusperrte, und damals war’s auch, daß der Staat und die Kirche gemeinschaftlich im Volke die Religion umgebracht haben. ’s ist vorbei.
Der Wirth „Auf der Wacht“ war an den stämmigen Burschen herangetreten, der die obigen Worte gesprochen.
„Reden könnt’s, was Ihr wollt’s,“ sagte er leise, „aber nur nicht zu laut. Ich sehe Euch gern bei mir, Männerleut’ und Weiberleut’, aber soll ich’s aufrichtig sagen, heute wär’s mir lieber, wenn –“
„Wenn wir zum Loch hinausgingen,“ vervollständigte Einer die Rede des Wirthes.
„Auf das sag’ ich nicht nein,“ versetzte jener. „Es ist halt morgen der Rosenkranzsonntag, wo im Wirthshaus keine Zusammenkunft sein soll, und an solchen Feierabenden auch nicht; schau’ Dir die neue Polizei-Ordnung an, die ich erst heut’ an die Wand genagelt habe!“
„Die hängt ja umgekehrt!“ riefen die Burschen lachend. „Wirth, die hast Du bei den Füßen aufgehängt, wie ein geschlachtetes Schwein.“
„O du Höllensaggera,“ knurrte der Wirth; „so ist’s, wenn der Mensch nicht lesen kann; dann stellt er die Gesetze auf den Kopf. Das muß ich gleich anders machen; ich fürcht’ halt, die Spitzhauben kommen noch heut’ herauf.“
„Sie sollen nur kommen.“
„Aber schaut’s, meine lieben Leute,“ gab der Wirth zu bedenken, „wenn sie Euch da beisammen finden! Unsereiner wird halt so viel gestraft, wenn man Unterstand giebt.“
Im Tischwinkel hub sich eine alte braune Knochengestalt zu bewegen an.
„Was meinst, Wirth, was meinst?“ grollte er. „Von Unterstand sagst was? Sind wir Schwärzer, Wilddiebe, Strolche, daß von Unterstandgeben die Red’ ist? Wir sind Bauersleut’ und Holzleut’ und sitzen nach der Arbeit friedlich im Wirthshaus. Weißt, Wirth, daß im Wirthshaus der ehrliche Gast sein gutes Recht hat? Weißt es nicht, so schreibe ich Dir’s auf den Buckel, und gewiß nicht verkehrt, wie Deine Polizei-Ordnung.“
„Geh, geh!“ beschwichtigte ein Anderer, ein dicker, staubiger Kohlenbrenner aus dem Iselthale, „weißt es so gut, wie wir, daß der Wirth nicht anders kann. Willst Deinen Zorn auslassen über die neumodische Einrichtung, so mußt ganz wo anders anklopfen.“
„Anklopfen,“ rief der Knochige, „wie im Achtundvierzigerjahr zu Brixen beim Herrn Bischof, daß die Fenster haben gesungen! [344] Wir sind katholische Christen, will ich ihm in’s Ohr schreien, aber mit Deiner neuen Standarnreligion hol’ Dich der –“
„Spielmann!“ rief der stämmigste der Burschen in die Stube. „Schlafst, Spielmann?“
„Ein klein Bissel bin ich noch da,“ sagte dieser, sich aus dem Ofenwinkel hervorwindend.
„Wenn Du nicht schlafst, so sei so gut und kratz’ ein paar Saiten!“
„Lustig wohlauf,
Ist der Drauthaler Lauf,
Ist der Drauthaler Zier,
Und dies Dirndl g’hört mir.“
Singend umschlang er das hübsche, blühende Mädchen, das an seiner Seite saß und jetzt dem kernfrischen Burschen freudig und stolz in’s kecke Auge blickte. Das war der Tritz, und das Mädchen seine Braut Maria, die Schwester des Franz, der zur Zeit draußen auf den freien Höhen sich umtrieb.
Laut erschollen jetzt die übermüthigsten Lieder; die Cither klang, und es wollte just der muntere Reigen anheben – da schoß plötzlich der Wirth durch die Stube, um in angstvoller Hast das erst angezündete Kerzenlicht auszublasen.
„Was willst denn?“ rief der Tritz und zog den Leuchter weg, „ist’s besser, wenn wir im Finstern sind?“
„Um des lieben Gottes willen!“ schnaufte der Wirth, „da draußen, da draußen – ich hab’ sie gesehen; es steigen die Spitzhauben daher.“
„Wer wird denn da das Licht auslöschen? Wir wollen sie uns anschauen. Sie sollen kommen!“
Sie waren auch schon da. Dröhnenden Schrittes traten zwei Gensd’armen zur Thür herein. Die Stube war finster vor Rauch, aber die Eintretenden waren noch finsterer; zwischen den Zechtischen blieben sie stehen und schauten um sich. Die Burschen thaten trotzig, und Keiner rückte an seinem Tische, daß die Landpatrouille Platz nehmen konnte.
Endlich sahen die Gensd’armen einen leeren Tisch, setzten sich und hielten die Gewehre zwischen den Beinen. Sie wollten etwas trinken. Ueber diese Wendung war der Wirth glückselig. Schmunzelnd sagte er, als er auf einer Blechtasse die schwitzende Flasche brachte, es wäre „der Beste“, und in der That, sie merkten es bald, der Schlechteste war es nicht.
Nun ja, sie wollten auch einmal ein gemüthliches Stündlein haben. Mußten sie doch unten im Thale mit ihren Spießen tagaus, tagein umhersteigen, wie die leibhaftige Straf’ Gottes, fanden nirgends freundlichen Anspruch und mußten gar manchmal Einen einführen, weil er etwas gethan hatte, was sie selber gethan hätten, wenn Gelegenheit dazu gewesen wäre. Aber – „auf der Alm giebt’s ka Sünd“, da braucht man also keinen Pfarrer und keinen Gensd’armen, und da darf Jedweder, der das Zeug dazu hat, ein lustiger Bursch’ sein. Das martialische Aussehen der Landwächter wurde von Minute zu Minute zahmer; sie wollten sich an die heitere Gesellschaft schließen, mit den Burschen „warteln“, mit den Mädchen schalken. Doch die Gesellen thaten nicht viel desgleichen, als ob sie an dem geselligen Zuwachse eine besondere Freude hätten, und Etliche knurrten gar wie ein Kettenhund, der gern beißen möchte, aber den Stiefelabsatz fürchtet.
Als es wieder an’s Tanzen ging, warb einer der Gensd’armen um das schönste Dirndl im Reigen; da stand schon der Tritz da, zog das Mädchen mit sich fort und sang:
„A Spitzkappenbua
Hat ein’ Dirndl nachg’fragt;
A Spitzbua will ich heißen,
Wann’s ihm was tragt.“
Da war’s nun freilich kein Wunder, daß es kam, wie es kam. Es stand nicht lange an, so leerte der Gensd’arm sein Glas, stieß es scharf auf den Tisch und rief:
„Heimgehen! Sperrstunde!“
Da trat eine befremdliche Stille ein; nur einer der anwesenden Bauern brummte in die Ofenwand hinein, aber so laut, daß man es weiterhin hören konnte:
„Sperrstunde! Ueberall wollen sie zusperren, heutzutage. Redlich wahr: Haus Oesterreich ist ein Gefangenhaus geworden“
Als das Wort heraus war, hätte es der Sprecher selbst wieder gern eingefangen und seinen eigenen Mund fürsorglich zugesperrt. Aber der Landwächter schickte sich schon an, den Namen des Vorlauten aufzuschreiben.
„Seid keine Narren miteinand’!“ rief jetzt ein Möllthaler dazwischen, um der bedenklich werdenden Stimmung einen kecken Ruck zu geben, „lasset jetzt die gespreizten Geschichten und seid’s lustig! Wir kommen so jung nimmer zusammen. Wein her, Wirth! Und die Herren müssen auch mitthun. Wisset, wir Bauersleut’ haben keine Rösser; darum reiten wir die Wörter – und ist nicht schlecht gemeint. Na, auf Gesundheit! Auf gute Freundschaft!“
Einer der Gensd’armen wollte schon anstoßen mit dem neugefüllten Glas.
„Hüte Dich!“ raunte ihm der Andere zu, „sie retiriren – nur aufschreiben, Alle aufschreiben!“
Sie schrieben – aber sie schrieben in ihr Armensünderbüchlein lauter falsche Namen; den echten behielt jeder der Inquirirten schlau für sich selber.
„Die Kerze ist auch schon benebelt,“ bemerkte der Aufschreiber nicht ohne Laune, da das Licht vor lauter Tabaksqualm kaum den nöthigen Schein gab.
„Wirth!“ rief der Tritz, „bring’ noch Kerzen, daß dem Herrn Standarn ein Licht aufgeht. Ich zahl’s.“
Er möge, murmelte der Landwächter, das Geld in seinem Beutel behalten, würde leicht Platz haben drinnen. Und die Bettelkerze sei man bei den Drauthaler Bauern längst gewohnt.
„Bettelkerze!“ sagte der Tritz mit spottender Weichheit. „Na, das nicht! So vornehmen Herren müssen die Drauthaler Bauern schon eine Extrakerze verehren.“
Dabei zog er sein Ledertäschchen aus der Tasche und langte aus demselben eine Fünfzigguldennote hervor.
„Versaufen?!“ rief der Bursche mit heller Stimme, indem er den Schein mit zwei Fingern hoch über den Köpfen hielt, daß er wie ein Kirchweihfähnlein flatterte; „versaufen? Nein, das nicht. Licht wollen wir machen, daß der Herr Standar zum Schreiben sieht.“
Gelassen rollte er vor den Augen der Gensd’armen den Fünfziger zusammen, hielt die Rolle über das Kerzenlicht, und als sie lichterloh brannte, rief er:
„Ich bitt’, meine Herren, wenn’s gefällig!“
Die Landwächter schrieben nicht; sie thaten den Mund auf und waren stumm. Hingegen schlugen die anderen Leute einen hellen Lärm, und die Weiber waren dem Tritz in den Arm gefallen, um ihm das Geld zu entreißen. Zu spät war’s, zu spät – die „Anweisung“, für welche der Sage nach die privilegirte österreichische Nationalbank dem Ueberbringer fünfzig Gulden Silbermünze ausbezahlt, flog als Aschenflaum auf den Tisch.
„Heilige Maria vom grünen Anger!“ zeterten sie, „jetzt hat er Geld verbrannt. – Jetzt hat er eine Kuh verbrannt,“ riefen die Halter (Hirten). „Jetzt hat er ein Joch schönes Lärchbaumholz verbrannt,“ riefen die Holzhauer. „Den heurigen Haferbau hat er verbrannt,“ riefen die Bauern. „Auf zehn Jahre Tabakgeld hat er verbrannt,“ kicherte ein alter Raucher. Und Maria, seine Braut, hub zu weinen an und fragte den Geliebten:
„Bist denn ein Narr worden, Tritz?“
„Den Arrest habe ich Einem verbrannt,“ sagte der Bursche und setzte sich ruhig an seinen Platz.
„O, wart’, Bauer!“ brummte der Gensd’arm, „der Arrest und die Hölle sind feuersicher gebaut; Du kommst in beide.“ Und er schrieb die That des übermüthigen Burschen in das Sündenbuch.
„Jetzt fistelte aus dem dunkelsten Winkel her eine Stimme: „Ist nicht so gefährlich beim Patritz, wenn er Banknoten verbrennt. Er hat einen künstlichen Schwager.“
Da er statt künstlerisch: künstlich sagte, so war die Frage, was das heißen sollte?
„Der macht ihm’s!“ schrie der Gauch und huschte zur Thür hinaus.
Da horchten die Gensd’armen erst recht auf, aber die Leute merkten, es wäre nun die höchste Zeit, das Wirthshaus „Auf der Wacht“ zu räumen, und sie räumten es auch. – –
Der Eder-Franz wußte von all dem nichts; er erging sich immer noch auf den mondhellen Höhen und sang in die stille Nacht hinaus:
„Mein Herz, das ist alleweil voll Freud!
Auf der Alm ist’s gut sein!“
[345]
Am Sonntag darauf, nach dem Gottesdienst war es, daß auf dem Kirchplatz zu Dölsach der Oberveitel plötzlich neben dem Patritz stand und ihm in’s Ohr flüsterte:
„Lauf’ eilends davon! Versteck’ Dich in dem Walde! Sie suchen Dich.“
„Wer sucht mich?“ fragte der Bursche.
„Die Spitzhauben.“
Da war zwischen der Menge schon der Dorfrichter in Sicht, hinter ihm die Gensd’armen. Der Richter machte mit der Hand ein paar verstehbare Deuter: der Tritz solle sich davon machen! Da sie aber nicht beachtet wurden, so machte der Richter von seinem Amte Gebrauch und ließ den Burschen festnehmen.
Wohin die Reise? Nach Lienz zum Gericht!
Der Patritz Neuleitner hat den Feierabend entheiligt und die Polizei verhöhnt. Diese beiden Fälle wären noch etwa von den Behörden in Dölfach zu schlichten gewesen. Anders der dritte! Der Bursche hat eine große Geldnote verbrannt. Was hat es damit für eine Bewandtniß? Das muß untersucht werden; da steckt was dahinter. Und wäre es auch nur der Verschwendung wegen.
Das Protzigthun mit dem Gelde war ein alter Schaden der Drauthaler Bauern. Man ließ es noch hingehen, wenn sie bei Hochzeiten tagelange Gelage hielten, wenn die Todtenmahle oft die ganze Erbschaft des Verstorbenen verschlangen; man „verstattete“ es dem Drauthaler Großbauer oder Holzknecht, wenn er an seiner Sonntagsjoppe anstatt Bein- oder Messingknöpfe echte Maria-Theresien-Thaler trug. Wenn sie aber würfelten, kegelten, karteten um nichts Geringeres als um Ducaten, wenn sie zur „Bankozettelzeit“ (nach dem großen Staatsbankerotte) ihre Pfeifen mit eitel Zehnguldennoten anzündeten – das konnte man nimmer gehen lassen, nicht vom moralischen und nicht vom volkswirthschaftlichen Standpunkte aus. Es war Zeit, einmal ein nachdrückliches Beispiel aufzustellen, wie man in Zukunft gegen Uebermuth, Verschwendung und Trotz vorzugehen gedenke.
Die sehnigen Arme des Patritz hatten sich anfangs wild gegen die Eisenbanden aufgelehnt, aber die hohe Obrigkeit hatte guten Stahl in ihren Ketten, und der schnitt in’s Fleisch. Mit an einander geschlossenen Armen schlug sich der Bursche den Hut tief in die Stirn, und so ging es die weiße Landstraße entlang gen Lienz. Die ihm begegneten, wunderten sich baß, was doch der Patritz Neuleitner auf einmal für ein hoher Herr geworden sei, daß er zwei Adjutanten mit sich habe.
Am selbigen Nachmittag saß Maria in der Christenlehre und weinte. Der Pfarrer war höchlich darüber erfreut, daß sein Wort Gottes heute einmal ein Herz rühre. Aber sie hörte nicht die heilige Lehre; sie hörte das Gericht, das über ihren Tritz das Urtheil sprach. Und er war trotz der schweren Anklage so unschuldig wie das Gotteslamm dort auf dem Altare.
Sie wußte Alles. Als Verschwender werden sie ihn strafen und ihm sein Haus wegnehmen und es einem „Gerhab“ (Vormund) zur Verwaltung geben, es war davon die Rede gewesen. Es war Anderen auch schon so gegangen. Dann steht auch die Heirath um, und sie hat nichts, und er hat nichts. Und Alles dieses höllischen Fetzen Papiers wegen! Es war ja nur ein nichtiger Fetzen gewesen, den er am Kerzenlicht verbrannt, nichts als jene gottverlassene Zeichnung, die Franzel ausgeführt hatte.
Jetzt eilte das Mädchen den Berg hinan zu ihrem Elternhause, dem Ederhof. Sie lief zu dem Franz, der eben an der Schnitzbank saß und ein Pferd schuf.
„Jetzt wirf mir den Holzscherben weg und geh’ nach Lienz hinab,“ sagte sie. „Du bist an Allem schuld. Jetzt geh’ und sag’s! Das Papier hat keinen Werth gehabt – geh’ und sag’s! Du hättest es gezeichnet, das sag’ jetzt, wenn Du mein Bruder bist!“
„Ich soll es beim Gericht sagen, daß ich eine Banknote nachgemacht hab’? Der Narr werde ich nicht sein.“ So der junge Schnitzer. „Hab’ ich ihm das Papier gegeben? Hab’ ich gesagt, daß er die ‚Standarn‘ damit foppen soll? Etliche Tage im Schatten sitzen – sonst geschieht ihm nichts, dem Tritz, und das schadet nicht.“
„Du bist der Fälscher, und er soll eingesperrt sein – ist das eine Gerechtigkeit?“ rief das Mädchen. „Kannst das verlangen, Franz? Hat er Dir’s nicht gut gemeint, daß er dem Gaisbuben den Wisch weggenommen und ihn verbrannt hat? Sonst holen die Spitzhauben leicht Dich, und Dich hängen sie auf. Noch jetzt kann er Dich einbringen, wenn er will, aber er läßt sich lieber mit Messern schneiden, als daß er Dich verrath.“
Sie schluchzte zum Erbarmen.
„Schwester,“ sagte Franz, „zum Gericht geh’ ich nicht. Aber wenn sie kommen und mich fragen, werd’ ich’s nicht leugnen.“
„Und sie werden kommen!“ sagte Maria.
Nun trat der Vater, der alte Eder, tief bekümmert herzu.
„Kinder,“ sagte er, und sein Haupt wankte bei jedem Wort, „Ihr werdet mir noch eine Dummheit machen. Der Teufel hat Dich reiten müssen, Franz, daß Du mit dem Geld angefangen hast. Jetzt ist die Sau fertig. Dein Glück kann’s Dir kosten. Aber das sage ich Dir: selber verrath’ Dich nicht! Ob der Tritz ein paar Tage im Arrest sitzt oder Du zwanzig Jahr im Criminal – das wird ein Unterschied sein. Nicht? Meinst nicht, Dirn? Und wer kann’s beweisen, daß der verbrannte Fünfziger ein falscher gewesen? Nur gescheidt sein!“
Gescheidt sein! Das ist leicht gesagt. Und vollends von verliebten Leuten verlangen, daß sie gescheidt seien! Die Maria war ja verliebt bis über die Ohren. Und jetzt, da der Tritz unschuldig im Gefängniß saß, wie die wahrhaftigen Helden in den Rittergeschichten, jetzt stand er in ihrem Herzen so groß da, und ihr war, als gehöre zu diesem ritterlichen Helden eine treue, ebenso heldenmüthige Jungfrau, die ihn befreite. Ihr Vater mußte sie fast mit Gewalt zu ihrer Arbeit auf die Alm schicken, daß sie nicht hingehe, um dem Bräutigam zu Liebe den Bruder zu verrathen. – –
Am nächsten Tage wurde der alte Eder vor Gericht geladen. Als der Franzel sah, wie ernst die Sache zu werden begann, wollte er sich stellen.
„Untersteh’ Dich nicht!“ rief der Alte. „Spring’ nicht selber in die Schlammaß! Geh’ Du zu Deiner Zirmmatten hinauf, bleib’ in den Heuhütten, bis ich Dich rufen laß!“
Dann ging der Alte nach Lienz zum Gericht. Dort wurde er an den grünen Tisch gestellt vor das Crucifix. Aber einer der Herren setzte sich neben ihn und sagte vertraulich:
„Die Sache ist nicht so bös, mein lieber Eder. Thut es jetzt nur schön offen erzählen, was es mit der verbrannten Fünfzigerbanknote für eine Bewandtniß hat.“
„Gebt’s mir Ruh!“ brummte der Alte.
„Ihr habt es gesehen, als Euer Sohn den Schein zeichnete. Er ist ja noch ein Kind, und wir wollen daraus auch gar nichts Criminalistisches machen. Aber den Sachverhalt müssen wir wissen, daß wir den Patritz Neuleitner freilassen können. Also Euer Sohn hat sich zum Scherz versucht, das Ding nachzumachen?“
Sie wollen Dich fangen, warnte eine innere Stimme den Alten, sag’ nichts, bleib still wie der Fisch im Wasser! Jedes Wort könnte dem Franzel ein Jahr seines Lebens kosten. Er ballte die Fäuste auf seinen Knieen und starrte mit verglasten Augen auf den Boden.
Der Richter erhob seine Stimme:
„Hat Euer Sohn die Note gemacht oder nicht?“ Er deutete auf das Crucifix. „Ihr steht vor dem, den Ihr in Eurer Sterbestunde anrufen werdet! Ihr seid ein Ehrenmann gewesen Euer Leben lang; Ihr wollt es bleiben. Also auf meine Frage: Ja oder Nein!“
Da zuckte der Verhörte seine Achseln und murmelte:
„Wenn Ihr mich so angeht! Lügen kann ich nicht. Mein Franzel hat die Dummheit gemacht, aber keine Absicht dabei gehabt, keine schlechte Absicht. Der Fetzen ist aus aus der Hand gekommen – sonst hätten wir ihn gleich zerrissen.“
„Und ist’s auch das einzige Mal gewesen, daß er sich in derlei versucht?“
„Das hab’ ich ihn gefragt, und er hat gesagt: das erste und das letzte Mal. Und es ist auch so; ich kenne meinen Franzel; es ist auch so.“
„Folglich ist die Sache in Ordnung, Eder, und Ihr könnt wieder nach Hause gehen.“
Der Bauer ging, aber sein Herz war nicht leicht. „’s ist doch eine Falle,“ sagte er sich, denn zu jener Zeit hat Jeder dem Gericht mißtraut.
Als er nach Hause kam und der Franzel noch immer nicht davon gegangen war, wollte er ihn zur Flucht bewegen.
„Davon laufen mag ich nicht,“ sagte der Bursche trotzig, „dann thäten sie mich erst recht für einen Spitzbuben halten.“
Am nächsten Tage kam auch der Patritz heim und wußte zu sagen: Alles sei abgethan. Aber den Franzel möchten sie sehen.
[347] Der Alte schlug die Hände über den Kopf zusammen: Jetzt sei Alles verspielt. Der Franzel aber ging nach Lienz.
Die Herren schauten ihn mit Wohlgefallen an und meinten, wenn er schon eine so gute Hand zum Zeichnen habe, so solle er ihnen einen Beweis geben. Der Franz nahm Bleistift und Papier und portraitirte Einen nach dem Andern. Und als sie die Bilder sahen, da waren sie darüber eins: das wird kein Banknotenfälscher; der findet sein Fortkommen und seinen Ruf anderswo. –
Es kam jetzt noch eine kurze, aber lustige Bauernlebenzeit. Der Patritz heirathete seine Maria, und es ist ein Paar geworden, an dem die Leute noch heute ihre Freude haben.
Und der Franzel? Ihr lieben Leute, den findet ihr nicht mehr in der Gegend. Er lebt heute in einer großen Stadt und ist ein berühmter Mann. Gern erzählt er noch von jener harmlosen, aber nicht ganz ungefährlichen Geldmachergeschichte. Was er heute schafft, das ist mehr werth, als alle Banknoten auf der ganzen Welt zusammen genommen – es sind die herrlichen Bilder aus dem Tiroler Volksleben; denn der Träger dieser kleinen Geschichte ist kein Anderer als unser – Franz Defregger.
- ↑ Eine Art Nadelbaum (pinus cembra).