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Der versöhnte Menschenfeind

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Textdaten
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Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Der versöhnte Menschenfeind
Untertitel:
aus: Thalia - Dritter Band, Heft 11 (1790), S. 100–140
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1790
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[100]
VI.
Der versöhnte Menschenfeind.
Einige Scenen.



Gegend in einem Park.
Erste Scene.

Angelika von Hutten. Wilhelmine von Hutten, ihre Tante und Stiftsdame, kommen aus einem Wäldchen; bald darauf Gärtner Biber.


Angelika. Hier wollten wir ihn ja erwarten, liebe Tante. Sie setzen sich so lange ins Kabinet und lesen. Ich hohle mir meine Blumen beim Gärtner. Unterdessen wirds neun Uhr und er kommt. – Sie sinds doch zufrieden?

Wilhelmine. Wie es dir Vergnügen macht, meine Liebe. (Geht nach der Laube.)

Gärtner Biber. (bringt Blumen.) Das Beste, was ich heute im Vermögen habe, gnädiges Fräulein. Meine Hyazinthen sind alle.

[101] Angelika. Recht schönen Dank auch für dieses.

Biber. Aber eine Rose sollen Sie morgen haben, die erste vom ganzen Frühling, wenn sie mir versprechen wollen –

Angelika. Was wünschen sie guter Biber?

Biber. Sehen sie gnädiges Fräulein, meine Aurikeln sind nun auch fort, und mein schöner Levkojenflor geht zu Ende, und der gnädige Herr haben mir wieder nicht ein Blatt angesehen. Da hab ich voriges Jahr den großen Sumpf lassen austrocknen gegen Mitternacht und einige tausend Stück Bäume darauf gezogen. Die junge Welt treibt sich und schießt empor – es ist ein Seelenvergnügen, drunter hinzuwandeln – Ich bin da, wie die Sonne kommt, und freue mich schon im voraus der Herrlichkeit, wenn ich den gnädigen Herrn einmal werde herein führen. Es wird Abend – und wieder Abend – und der Herr hat sie nicht bemerkt. Sehen Sie mein Fräulein, das schmerzt mich. Ich kanns nicht läugnen.

Angelika. Es geschieht noch, gewiß geschiehts noch – haben sie indes Geduld guter Biber.

Biber. Der Park kostet ihm, Jahr aus Jahr ein, seine baaren Zweitausend Thaler, und ich werde bezahlt, wie [102] ichs nicht verdiene – wozu nütz ich denn, wenn ich dem Herrn für sein vieles Geld nicht einmal eine fröhliche Stunde gebe? Nein gnädiges Fräulein. Ich kann nicht länger das Brod ihres Herrn Vaters essen, oder er muß mich ihm beweisen lassen, daß ich ihn nicht drum bestehle.

Angelika. Ruhig, ruhig lieber Mann! Das wissen wir alle, daß Sie das, und noch weit mehr, verdienen.

Biber. Mit ihrer Erlaubniß mein Fräulein. Davon können Sie nicht sprechen. Daß ich meine zwölf Stunden des Tags seinen Garten beschicke, daß ich ihm nichts veruntreue und Ordnung unter meinen Leuten erhalte, das bezahlt mir der gnädige Herr mit Geld. Aber daß ich es mit Freuden thue, weil ich es ihm thue, daß ich des Nachts davon träume, daß es mich mit der Morgensonne heraustreibt – das mein Fräulein, muß er mir mit seiner Zufriedenheit lohnen. Ein einziger Besuch in seinem Park thut hier mehr als alle sein Mammon – und sehen sie mein gnädiges Fräulein – das eben wars, warum ich sie jetzt habe. –

Angelika. Brechen sie davon ab, ich bitte. Sie selbst wissen, wie oft und immer vergeblich – Ach! sie kennen ja meinen Vater.

[103] Biber. (ihre Hand fassend und mit Lebhaftigkeit) Er ist noch nicht in seiner Baumschule gewesen. Bitten Sie ihn, daß er mir erlaube, ihn in seine Baumschule zu führen. Es ist nicht möglich, diesen Dank einzusammlen von der unvernünftigen Kreatur, und Menschen verloren geben. Wer darf sagen, daß er an der Freude verzweifle, so lange noch Arbeiten lohnen, und Hoffnungen einschlagen? –

Angelika. Ich verstehe sie, redlicher Biber – vielleicht aber waren sie mit Gewächsen glücklicher, als mein Vater mit Menschen.

Biber. (schnell und bewegt) Und er hat eine solche Tochter? (er will mehr sagen, unterdrückt es aber, und schweigt einen Augenblick.) Der gnädige Herr mögen viel erfahren haben von Menschen – der schlecht belohnten Erwartungen viel, der gescheiterten Plane viel – aber (die Hand des Fräuleins mit Lebhaftigkeit ergreifend) eine Hofnung ist ihm aufgegangen - alles hat er nicht erfahren, was eines Mannes Herz zerreissen kann –

(er entfernt sich)


[104]
Zweyte Scene.

Angelika, Wilhelmine.


Wilhelmine. (steht auf und folgt ihm mit den Augen) Ein sonderbarer Mann! Immer fällts ihm aufs Herz, wenn diese Saite berührt wird. Es ist etwas unbegreifliches in seinem Schicksal.

Angelika. (sich unruhig umsehend) Es wird sehr spät. Er hat sonst nie so lang auf sich warten lassen – Rosenberg.

Wilhelmine. Er wird nicht ausbleiben. Wie ängstlich wieder und ungeduldig!

Angelika. Und dießmal nicht ohne Grund, liebe Tante – Wenn es fehlschlagen sollte! Ich habe diesen Tag mit Herzensangst herannahen sehen.

Wilhelmine. Erwarte nicht zu viel von diesem einzigen Tage!

Angelika. Wenn er ihm mißfiele? – Wenn sich ihre Karaktere zurückstießen? – Wie kann ich hoffen, daß er mit ihm die erste Ausnahme machen werde? – wenn sich ihre Karaktere zurückstießen? – Meines [105] Vaters kränkende Bitterkeit und Rosenbergs leicht zu reizender Stolz! Jenes Trübsinn und Rosenbergs heitre muthwillige Freude! – Unglücklicher konnte die Natur nicht spielen – und wer ist mir Bürge, daß er ihm einen zweyten Besuch nicht eben darum verweigert, weil er schon bei dem Ersten Gefahr lief, ihn hochzuschätzen?

Wilhelmine. Leicht möglich meine Liebe – Doch von allem dem sagte dir noch gestern dein Herz nichts.

Angelika. Gestern! So lang ich nur ihn sah, nur ihn fühlte, nichts wußte als ihn! Da sprach noch das leichtsinnige liebende Mädchen. Jezt ergreift mich das Bild meines Vaters und alle meine Hoffnungen verschwinden. O warum, konnte denn dieser liebliche Traum nicht fortdauren? Warum mußte die ganze Freude meines Lebens einem einzigen schrecklichen Wurf überlassen werden?

Wilhelmine. Deine Furcht macht dich alles vergessen, Angelika. Von dem Tage an, da dir Rosenberg seine Liebe bekannte, da er deinetwegen alle Bande zerriß, die ihn an seinen Hof, an die Vergnügungen der Hauptstadt gefesselt hielten, da er sich freywillig in die traurige Einöde seiner Güter verbannte, um dir näher zu seyn – seit jenem Tage hat der Gedanke an deinen Vater deine Ruhe vergiftet. Warst du es nicht selbst, die an der Heimlichkeit dieses Verständnisses Anstoß nahm? Die [106] mit unablässigen Bitten und Mahnungen so lange in ihn stürmte, bis er ungern genug, sein Versprechen gab sich, um die Gunst deines Vaters zu bewerben. Mein Vater sagtest du, hängt nur noch durch ein einziges Band an den Menschen, die Welt hat ihn auf ewig verloren, wenn er die Entdeckung macht, daß auch seine Tochter ihn hintergangen hat.

Angelika. (mit reger Empfindung) Nie, nie soll er das! – Erinnern sie mich noch oft liebe Tante. Ich fühle mich stärker, entschloßner. Alle Welt hat ihn hintergangen – aber wahr soll seine Tochter seyn. Ich will keinen Hofnungen Raum geben, die sich vor meinen Vater verbergen müßten. Bin ich es seiner Güte nicht schuldig? Er gab mir ja alles. Selbst für die Freuden des Lebens erstorben, was hat er nicht gethan, um mir sie zu schenken? Mir zur Lust schuf er diese Gegend zum Paradies, und ließ alle Künste wetteifern, das Herz seiner Angelika zu entzücken und ihren Geist zuveredeln. Ich bin eine Königinn in diesem Gebiet. An mich trat er das göttliche Amt der Wohlthätigkeit ab, das er mit Blutendem Herzen selbst niederlegte. Mir gab er die süße Vollmacht, das verschämte Elend zu suchen, verhehlte Thränen zu troknen, und der flüchtigen Armuth eine Zuflucht in diesen stillen Bergen zu öffnen. – Und für alles dieses, Wilhelmine, legt er mir nur die leichte Bedingung auf, eine Welt zu entbehren, die ihn von sich stieß.

[107] Wilhelmine. Und hast du sie nie übertreten, diese leichte Bedingung?

Angelika. – Ich bin ihm ungehorsam geworden. Meine Wünsche sind über diese Mauern geflogen – Ich bereue es, aber ich kann nicht wieder umkehren.

Wilhelmine. Ehe Rosenberg in diesen Wäldern jagte, warst du noch sehr glücklich.

Angelika. Glücklich, wie eine Himmlische – aber ich kann nicht wieder umkehren.

Wilhelmine. So auf einmal hat sich alles verändert? Auch deine sonst so traute Gespielin, diese schöne Natur, ist dieselbe nicht mehr?

Angelika. Die Natur ist die nehmliche, aber mein Herz ist es nicht mehr. Ich habe Leben gekostet, kann mich mit der todten Bildsäule nicht mehr zufrieden geben. O wie jetzt alles verwandelt ist um mich herum. Er hat alle Erscheinungen um mich her bestochen. Die aufsteigende Sonne ist mir jetzt nur ein Stundenweiser seiner Ankunft, die fallende Fontaine murmelt mir seinen Namen, meine Blumen hauchen nur seinen Athem aus ihren Kelchen. – Sehen Sie mich nicht so finster an, liebe Tante – Ist es denn meine Schuld, daß [108] der erste Mann, der mir ausserhalb unsrer Grenzsteine begegnete, gerade Rosenberg war?

Wilhelmine. (gerührt sie ansehend) Liebes unglückliches Mädchen – also auch du – ich bin unschuldig, ich hab es nicht hintertreiben können – Klage mich nicht an, Angelika, wenn du einst deinem Schicksale nicht entfliehen wirst.

Angelika. Immer sagen Sie mir das vor, liebe Tante. Ich verstehe sie nicht.

Wilhelmine. – Der Park wird geöffnet.

Angelika. Das Schnauben seiner Diana! – Er kommt. Es ist Rosenberg.

(ihm entgegen.)


Schluß der Dritten Scene.

Angelika. Ach Rosenberg, was haben Sie gethan? Sie haben sehr übel gethan.

Rosenberg. Das fürcht ich nicht meine Liebe, Es war ja ihr Wille, daß wir mit einander bekannt werden sollten, sie wünschten, daß ich ihn interessiren möchte.

[109] Angelika. Wie? Und das wollen Sie dadurch erreichen, daß sie ihn gegen sich aufbringen?

Rosenberg. Für jezt durch nichts anders. Sie haben mir selbst erzählt, wie viele Versuche auf seine Gemüthskrankheit schon mißlungen sind. Alle jene unbestellten feierlichen Sachwalter der Menschheit haben ihn nur seine Ueberlegenheit fühlen lassen und sind schlecht genug gegen die verfängliche Beredsamkeit seines Kummers bestanden. Ihm mag es einerley seyn, ob wir übrigen an die Gerechtigkeit dieses Haßes glauben, aber nie wird er’s dulden, daß wir geringschätzig davon denken. Dieser Demüthigung fügt sich sein Stolz nicht. Uns zu wiederlegen war ihm freilich nicht der Mühe werth, aber in seinem Unwillen kann er sich wohl entschließen, uns zu beschämen – Es kommt zum Gespräch – das ist alles, was wir fürs erste wünschten.

Angelika. Sie nehmen es zu leicht lieber Rosenberg. – Sie getrauen sich mit meinem Vater zu spielen. Wie sehr fürchte ich –

Rosenberg. Fürchten sie nichts meine Angelika. Ich fechte für Wahrheit und Liebe. Seine Sache ist so schlimm, als die meinige gut ist.

[110] Wilhelmine. (welche diese ganze Zeit über wenig Antheil an der Unterredung zu nehmen geschienen hat.) Sind Sie dessen würcklich so gewiß, Herr von Rosenberg?

Rosenberg. (der sich rasch zu ihr wendet, nach einem kurzen Stillschweigen, ernsthaft.) Ich denke, daß ichs bin, mein gnädiges Fräulein.

Wilhelmine. (steht auf) Dann schade um meinen armen Bruder! Es ist ihm so schwer gefallen, der unglückliche Mann zu werden, der er ist, und, wie ich sehe, ist es etwas so leichtes, ihm das Urtheil zu sprechen.

Angelika. Lassen Sie uns nicht zu voreilig richten, Rosenberg. Wir wissen so wenig von den Schicksalen meines Vaters.

Rosenberg. Mein ganzes Mitleid soll ihm dafür werden, liebe Angelika – aber nie meine Achtung, wenn sie ihn wirklich zum Menschenhasser machten. – Es ist ihm schwer gefallen, sagen sie (zu der Stiftsdame) dieser unglückliche Mann zu werden – aber wollten sie wohl die Rechtfertigung eines Menschen übernehmen, der dasjenige an sich vollendet, was ein schreckliches Schicksal ihm noch erlassen hat? Dem Rasenden wohl das Wort reden, der auch den einzigen Mantel noch von [111] sich wirft, den ihm Räuber gelassen haben? – Oder wissen Sie mir einen ärmern Mann zwischen Himmel und Erde, als den Menschenfeind?

Wilhelmine. Wenn er in der Verfinsterung seines Jammers nach Giften greift, wo er Linderung suchte, was geht das sie Glücklichen an? Ich möchte den blinden Armen nicht hart anlassen, dem ich kein Auge zu schenken habe.

Rosenberg. (mit aufsteigender Röthe, und etwas lebhafter Stimme) Nein, bey Gott! Nein, – aber meine Seele entbrennt über den Undankbaren, der sich die Augen muthwillig zudrükt, und dem Geber des Lichtes flucht – Was kann er gelitten haben, das ihm durch den Besitz dieser Tochter nicht unendlich erstattet wird? Darf er einem Geschlechte fluchen, das er täglich, stündlich in diesem Spiegel sieht? Menschenhaß, Menschenfeind! Er ist keiner. Ich will es beschwören, er ist keiner. Glauben Sie mir Fräulein von Hutten, es giebt keinen Menschenhasser in der Natur, als wer sich allein anbetet, oder sich selbst verachtet.

Angelika. Gehen Sie Rosenberg. Ich beschwöre sie, gehen Sie. In dieser Stimmung dürfen sie sich meinem Vater nicht zeigen.

Rosenberg. Recht gut, daß Sie mich erinnern Angelika. – Wir haben hier ein Gespräch angefangen, wobey ich [112] immer versucht bin, allzulebhaft Partey zu nehmen – Verzeihen sie meine Fräulein. – Auch möcht ich nicht gern Gefahr laufen, vorschnell zu seyn, und soll doch erst heute mit dem Vater meiner Angelika bekannt werden. – Von etwas anderm denn, – Dieses Gesicht wird so ernsthaft und die Wangen der Tochter muß ich erst heiter sehen, wenn ich Muth haben soll, bey dem Vater für meine Liebe zu kämpfen – das ganze Städtchen war ja geschmückt, wie an einem Festtag, als ich vorbey kam. Wozu diese Anstalt?

Angelika. Meinen Vater zu seinem Geburtstage zu begrüßen.


Vierte Scene.

Julchen in Angelikas Diensten, zu den Vorigen.


Julchen. Der Herr hat geschickt gnädiges Fräulein. Er will sie vor Mittag noch sprechen. – Sie auch da Herr von Rosenberg? Sie will er auch sprechen.

Angelika. Uns beyde! beyde zusammen – Rosenberg – Uns beyde! Was bedeutet das?

[113] Julchen. Zusammen? Nein, davon weiß ich nichts.

Rosenberg. (im Begriff wegzugehen, zu Angelika) Ich lasse Sie vorangehen gnädiges Fräulein. Sanfter werd ich ihn aus ihren Händen empfangen.

Angelika. (ängstlich) Sie verlassen mich Rosenberg – Wohin? – Ich muß sie noch etwas wichtiges fragen.

Rosenberg. (führt sie bey Seite. Wilhelmine und Julchen verlieren sich im Hintergrunde)

Julchen. Kommen Sie mit gnädiges Fräulein, den festlichen Aufzug zu sehen.

Angelika. Das ist ein banger fürchterlicher Morgen für uns, Rosenberg – Es gilt Trennung, ewige Trennung! – Sind sie auch vorbereitet – gefaßt auf alles, was geschehen kann? – Wozu sind sie entschlossen, wenn sie meinem Vater mißfallen?

Rosenberg. Ich bin entschlossen, ihm nicht zu mißfallen.

Angelika. Jetzt nicht diesen leichten Sinn, wenn ich Ihnen jemals theuer war, Rosenberg – Es steht nicht bey [114] ihnen, wie die Würfel fallen – Wir müssen das schlimmste erwarten, wie das erfreulichste – Ich darf sie nicht mehr sehen, wenn sie unfreundlich von einander scheiden – was haben sie beschlossen zu thun, wenn er ihnen Achtung verweigert?

Rosenberg. Gute Liebe! – sie ihm abzunöthigen.

Angelika. O wie wenig kennen sie den Mann, dem sie so zuversichtlich entgegen gehen! Sie erwarten einen Menschen, den Thränen rühren, weil er weinen kann – hoffen, daß die sanften Töne ihres Herzens wiederhallen werden in dem seinigen? – Ach es ist zerrissen dieses Saitenspiel, und wird ewig keinen Klang mehr geben. Alle ihre Waffen können fehlen, alle Stürme auf sein Herz mißlingen – Rosenberg! noch einmal! Was beschließen sie, wenn sie alle mißlingen?

Rosenberg. (ruhig ihre Hand faßend) Alle werden’s nicht, alle gewiß nicht! Fassen sie Herz liebe Furchtsame. Mein Entschluß ist gefaßt. Ich habe mir diesen Menschen zum Ziele gemacht, habe mir vorgesetzt, ihn nicht aufzugeben, also hab ich ihn ja gewiß.

(sie gehen ab)


[115]
Fünfte Scene.
Ein Saal.
von Hutten, aus einem Kabinet.

Abel sein Haushofmeister, folgt ihm mit einem Rechnungsbuch.


Abel. (ließt) Herrschafftlicher Vorschuß an die Gemeine nach der großen Waßersnoth vom Jahr 1784. Zweytausend, neunhundert Gülden –

Hutten. (hat sich niedergesetzt und durchsieht einige Papiere, die auf dem Tisch liegen) Der Acker hat sich erhohlt, der Mensch soll nicht länger leiden, als seine Felder. Streich’ er aus, diesen Posten. Ich will nicht mehr daran erinnert seyn.

Abel. (durchstreicht mit Kopfschütteln die Rechnung) Ich muß mir’s gefallen lassen – blieben also noch zu berechnen die Interessen von sechsthalb Jahren –

v. Hutten. Interessen! – Mensch?

Abel. Hilft nichts, Ihr Gnaden. Ordnung muß seyn in den Rechnungen eines Verwalters. (will weiter lesen)

[116] v. Hutten. Den Rest ein andermal. Jetzt ruf er den Jäger, ich will meine Doggen füttern.

Abel. Der Pachter vom Holzhof hätte Lust zu dem Polaken, mit dem Euer Gnaden neulich verunglückten. Man soll ihm die Mähre hingeben, meynt der Reitknecht, ehe ein zweytes Unheil geschehe.

von Hutten. Soll das edle Thier darum vor dem Pfluge altern, weil es in zehen Jahren einmal falsch gegen mich war? So hab ich es mit keinem gehalten, der mir mit Undank lohnte. Ich werde es nie mehr reiten.

Abel. (nimmt das Rechnungsbuch und will gehen)

von Hutten. Es fehlten ja neulich wichtige Empfangscheine in der Kasse, sagt er mir, und der Rentmeister sey ausgeblieben?

Abel. Ja, das war vorigen Donnerstag.

von Hutten. (steht auf) Das freut mich, freut mich – daß er doch endlich noch zum Schelm geworden ist, dieser Rentmeister. Er hat mir eilf Jahre ohne Tadel gedient – Setz er das nieder, Abel. Erzähl er mir mehr davon.

[117] Abel. Schade um den Mann, Ihr Gnaden! Er hatte einen unglücklichen Sturz mit dem Pferde gethan, und ist heute morgen mit einem gebrochenen Arm hereingebracht worden. Die Quittungen fanden sich unter andern Papieren.

von Hutten. (mit Heftigkeit) Und er war also kein Betrüger! – Mensch, warum hast du mir Lügen berichtet?

Abel. Gnädiger Herr, man muß immer das schlimmste von seinem Nächsten denken.

von Hutten. (nach einem düstern Stillschweigen) Er soll aber ein Betrüger seyn, und die Quittungen soll man ihm zahlen.

Abel. Das war mein Gedanke auch, Ihr Gnaden. Steckbriefe waren einmal ausgefertigt, und das Nachsetzen hat mir gewaltiges Geld gekostet. Es ist verdrießlich, daß dieß alles nun so weg geworfen ist.

von Hutten. (sieht ihn lang verwundernd an) Theurer Mann! Ein wahres Kleinod bist du mir – wir dürfen nie von einander.

[118] Abel. Das wollte Gott nicht – und wenn mir gewisse Leute auch noch so große Versprechungen

von Hutten. Gewisse Leute! Was?

Abel. Ja Ihr Gnaden. Ich weiß auch nicht, warum ich länger damit hinter dem Berge halte. Der alte Graf –

von Hutten. Regt der sich auch wieder? Nun?

Abel. Zweyhundert Pistolen ließ er mir bieten und doppelten Gehalt auf Zeitlebens, wenn ich ihm seine Enkelin Fräulein Angelika, ausliefern wollte.

von Hutten. (steht schnell auf und macht einen Gang durch das Zimmer. Nachdem er sich wieder gesetzt hat, zum Verwalter) Und dieses Gebot hat er ausgeschlagen?

Abel. Bey meiner armen Seele, ja! Das hab ich.

von Hutten. Zweyhundert Pistolen Mensch, und doppelten Gehalt auf Zeitlebens! – wo denkt er hin? hat er das wohl erwogen?

Abel. Reiflich erwogen, Ihr Gnaden, und rundweg ausgeschlagen. Schelmerey gedeyht nicht, bey Euer Gnaden will ich leben und sterben.

[119] von Hutten. (kalt und fremd) Wir taugen nicht für einander. – (Man hört von ferne eine muntere ländliche Musik, mit vielen Menschenstimmen untermischt. Sie kommt dem Schlosse immer näher) Ich höre da Töne, die mir zuwider sind. Folg er mir in ein andres Zimmer.

Abel. (ist auf den Altan getreten, und kommt eine Weile darauf wieder) Das ganze Städtchen, Ihr Gnaden, kommt angezogen im Sonntagsschmuck, und mit klingendem Spiel, und hält unten vor dem Schloß. Der Gnädige Herr, rufen sie, möchten doch auf den Altan treten, und sich ihren getreuen Unterthanen zeigen.

Hutten. Was wollen sie von mir? Was haben sie anzubringen?

Abel. Euer Gnaden vergessen –

Hutten. Was?

Abel. Sie kommen dießmal nicht so leicht los, wie im vorigen Jahre –

Hutten. (steht schnell auf) Weg! Weg! Ich will nichts weiter hören.

[120] Abel. Das hab ich ihnen schon gesagt, Ihr Gnaden – aber sie kämen aus der Kirche hieß es, und Gott im Himmel habe sie gehört.

Hutten. Er hört auch das Bellen des Hundes und den falschen Schwur in der Kehle des Heuchlers, und muß wissen, warum er beides gewollt hat – (indem das Volk hineindringt) O Himmel? Wer hat mir das gethan? (er will in ein Kabinet entweichen, viele halten ihn zurück, und fassen den Saum seines Kleides.)


Sechste Scene.

Die Vorigen. Die Vasallen und Beamten Huttens, Bürger und Landleute welche Geschenke tragen, junge Mädchen und Frauen, die Kinder an der Hand führen oder auf den Armen tragen. Alle einfach aber anständig gekleidet.


Vorsteher. Kommt alle herein, Väter, Mütter und Kinder. Fürchte sich keines. Er wird Graubärte keine Fehlbitte thun lassen. Er wird unsre Kleinen nicht von sich stoßen.

Einige Mädchen. (welche sich ihm nähern.) Gnädiger Herr, dieses wenige bringen Ihnen ihre dankbaren Unterthanen, weil sie uns alles gaben.

[121] Zwei andere Mädchen. Diesen Kranz der Freude flechten wir Ihnen, weil sie das Joch der Leibeigenschaft zerbrachen.

Ein drittes und viertes Mädchen. Und diese Blumen streuen wir Ihnen, weil Sie unsre Wildniß zum Paradies gemacht haben.

Erstes und zweites Mädchen. Warum wenden Sie das Gesicht weg, lieber gnädiger Herr? Sehen Sie uns an. Reden Sie mit uns. Was thaten wir Ihnen, daß Sie unsern Dank so zurückstoßen?
 (eine lange Pause.)

Hutten. (ohne sie anzusehen, den Blick auf den Boden geschlagen.)
Werf er Geld unter sie Verwalter – Geld so viel sie mögen – Schon er meine Kasse nicht – Er sieht ja, die Leute warten auf ihren Lohn.

Ein alter Mann. (der aus der Menge hervortritt.)
Das haben wir nicht verdient gnädiger Herr. Wir sind keine Lohnknechte.

Einige Andre. Wir wollen ein sanftes Wort und einen gütigen Blick.

Ein Vierter. Wir haben Gutes von Ihrer Hand empfangen, wir wollen danken dafür, denn wir sind Menschen.

[122] Mehrere. Wir sind Menschen und das haben wir nicht verdient.

Hutten. Werft diesen Nahmen von euch, und seyd mir unter einem schlechtern willkommen – Es beleidigt euch, daß ich euch Geld anbiete? Ihr seid gekommen, sagt ihr, mir zu danken? – Wofür anders könnt ihr mir denn danken, als für Geld? Ich wüßte nicht, daß ich einem von euch etwas beßeres gegeben. Wahr ists, eh ich Besitz von dieser Grafschaft nahm, kämpftet ihr mit dem Mangel und ein Unmensch häufte alle Lasten der Leibeigenschaft auf euch. Euer Fleiß war nicht euer, mit ungerührtem Auge sah’t ihr die Saaten grünen, und die Halmen sich vergolden und der Vater verbot sich jede Regung der Freude, wenn ihm ein Sohn gebohren war. Ich zerbrach diese Fesseln, schenkte dem Vater seinen Sohn und dem Sämann seine Aernte. Der Seegen stieg herab auf eure Fluren, weil die Freiheit und die Hoffnung den Pflug regierten. Jetzt ist keiner unter euch so arm, der des Jahrs nicht seinen Ochsen schlachtet, ihr legt euch in geräumigen Häusern schlafen, mit der Nothdurft seid ihr abgefunden und habt noch übrig für die Freude.
 (indem er sich aufrichtet und gegen sie wendet)
Ich sehe die Gesundheit in euren
Augen und den Wohlstand auf euern Kleidern. Es ist nichts mehr zu wünschen übrig. Ich hab euch glücklich gemacht.

[123] Ein alter Mann. (aus dem Haufen)
Nein gnädiger Herr. Geld und Gut ist ihre geringste Wohlthat gewesen. Ihre Vorfahren haben uns dem Vieh auf unsern Feldern gleich gehalten. Sie haben uns zu Menschen gemacht.

Ein Zweiter. Sie haben uns eine Kirche gebaut und unsre Jugend erziehen lassen.

Ein Dritter. Und haben uns gute Gesetze und gewissenhafte Richter gegeben.

Ein Vierter. Ihnen danken wir, daß wir menschlich leben, daß wir uns unsers Lebens freuen.

Hutten. (in Nachdenken vertieft.)
Ja, ja – das Erdreich war gut, und es fehlte nicht an der milden Sonne, wenn sich der kriechende Busch nicht zum Baume aufrichtete. – Es ist meine Schuld nicht, wenn ihr da liegen bliebet, wo ich euch hinwarf. Euer eigen Geständniß spricht euch das Urtheil. Diese Genügsamkeit beweißt mir, daß meine Arbeit an euch verloren ist. Hättet ihr etwas an eurer Glückseligkeit vermißt – es hätte euch zum erstenmal meine Achtung erworben.
 (indem er sich abwendet.)
Seid, was ihr seyn könnt – Ich werde darum nicht weniger meinen Weg verfolgen.

[124] Einer aus der Menge. Sie gaben uns alles, was uns glücklich machen kann. Schenken Sie uns noch ihre Liebe.

Hutten. (mit finsterm Ernst.)
Wehe dir, der du mich erinnerst, wie oft meine Thorheit dieses Gut verschleuderte. Es ist kein Gesicht in dieser Versammlung, das mich zum Rückfall bringen könnte. – Meine Liebe – Wärme dich an den Strahlen der Sonne, preise den Zufall, der sie über deinen Weinstock dahin führte, aber den schwindlichten Wunsch untersage dir, dich in ihre glüende Quelle zu tauchen. Traurig für dich und sie, wenn sie von dir gewußt haben müßte, um dir zu leuchten, wenn sie, die Eilende, in ihrer himmlischen Bahn deinem Danke still halten müßte! Ihrer ewigen Regel gehorsam gießt sie ihren Strahlenstrom aus – gleich unbekümmert um die Fliege, die sich darin sonnt, und um dich, der ihr himmlisches Licht mit seinen Lastern besudelt – Was sollen mir diese Gaben? – Von meiner Liebe habt ihr euer Glück nicht empfangen. Mir gebührt nichts von der eurigen.

Der Alte. O das schmerzt uns mein theurer Herr, daß wir alles besitzen sollen und nur die Freude des Dankens entbehren.

Hutten. Weg damit. Ich verabscheue Dank aus so unheiligen Händen. Waschet erst die Verläumdung von [125] euren Lippen, den Wucher von euren Fingern, die scheelsehende Mißgunst aus euren Augen. Reinigt euer Herz von Tücke, werft eure gleißnerischen Larven ab, lasset die Waage des Richters aus euren schuldigen Händen fallen. Wie? Glaubet ihr, daß dieses Gauckelspiel von Eintracht mir die neidische Zwietracht verberge, die auch an den heiligsten Banden eures Lebens nagt? Kenne ich nicht jeden Einzelnen aus dieser Versammlung, die durch ihre Menge mir ehrwürdig seyn will? – Ungesehen folgt euch mein Auge – Die Gerechtigkeit meines Hasses lebt von euren Lastern.
(zu dem Alten)
Du maßest dich an, mir Ehrfurcht abzufodern,
weil das Alter deine Schläfe bleichte, weil die Last eines langen Lebens deinen Nacken beugt? – Desto gewisser weiß ich nun, daß du auch meiner Hoffnung verloren bist! Mit leeren Händen steigst du von dem Zenith des Lebens herunter, was du bei voller Mannkraft verfehltest, wirst du an der Krücke nicht mehr einhohlen. – War es eure Meynung, daß der Anblick dieser schuldlosen Würmer (auf die Kinder zeigend) zu meinem Herzen sprechen sollte? - O sie alle werden ihren Vätern gleichen, alle diese Unschuldigen werdet ihr nach eurem Bilde verstümmeln, alle dem Zweck ihres Daseyns entführen – O warum seid ihr hieher gekommen? – Ich kann nicht – Warum mußtet ihr mir dieses Geständniß abnöthigen? – Ich kann nicht sanft mit euch reden.
 (er geht ab.)


[126]
Siebente Scene.

Eine abgelegene Gegend des Parks, rings um eingeschlossen, von anziehendem etwas schwermüthigem Karakter.


Hutten.
(tritt auf, mit sich selbst redend)

Daß ihr dieses Nahmens so werth wäret, als es mir heilig ist! – Mensch! Herrliche, hohe Erscheinung! Schönster von allen Gedanken des Schöpfers! Wie reich, wie vollendet giengst du aus seinen Händen! Welche Wohllaute schliefen in deiner Brust, ehe deine Leidenschaft das goldene Spiel zerstörte!

Alles um dich und über dir sucht und findet das schöne Maaß der Vollendung – Du allein stehst unreif und mißgestaltet in dem untadelichen Plan. Von keinem Auge ausgespäht, von keinem Verstande bewundert, ringt in der schweigenden Muschel die Perle, ringt der Krystall in den Tiefen der Berge nach der schönsten Gestalt. Wohin nur dein Auge blickt, der einstimmige Fleiß aller Wesen, das Geheimniß der Kräfte zur Verkündigung zu bringen. Dankbar tragen alle Kinder der Natur der zufriedenen Mutter die gereiften Früchte entgegen, und wo sie gesäet hat, findet sie eine Aernte – Du allein, ihr liebster, ihr beschenktester Sohn, bleibst aus – nur was sie dir gab, findet sie nicht wieder, erkennt sie in seiner entstellten Schönheit nicht mehr.

[127] Sey vollkommen. Zahllose Harmonien schlummern in dir, auf dein Geheiß zu erwachen – Rufe sie heraus durch deine Vortreflichkeit. Fehlte je der schöne Lichtstrahl in deinem Auge, wenn die Freude dein Herz durchglühte, oder die Anmuth auf deinen Wangen, wenn die Milde durch deinen Busen floß? Kannst du es dulden, daß das Gemeine, das Vergängliche in dir das Edle, das Unsterbliche beschäme?

Dich zu beglücken ist der Kranz, um den alle Wesen buhlen, wornach alle Schönheit ringt – deine wilde Begierde strebt diesem gütigen Willen entgegen, gewaltsam verkehrst du die wohlthätigen Zwecke der Natur – Fülle des Lebens hat die Freundliche um dich her gebreitet und Tod nöthigst du ihr ab. Dein Haß schärfte das friedliche Eisen zum Schwerdte, mit Verbrechen und Flüchen belastet deine Habsucht das schuldlose Gold, an deiner unmässigen Lippe wird das Leben des Weinstocks zum Gifte. Unwillig dient das Vollkommene deinen Lastern, aber deine Laster stecken es nicht an. Rein bewahrt sich das mißbrauchte Werkzeug in deinen unreinen Dienste. Seine Bestimmung kannst du ihm rauben, aber nie den Gehorsam, womit es ihr dienet. Sey menschlich oder sey Barbar – mit gleich kunstreichem Schlage wird das folgsame Herz deinen Haß und deine Sanftmuth begleiten.

Lehre mich deine Genügsamkeit, deinen ruhigen Gleichmuth Natur – Treu wie du habe ich an der Schönheit gehangen, von dir laß mich lernen die verfehlte [128] Lust des Beglückens verschmerzen. Aber damit ich den zarten Willen bewahre, damit ich den freudigen Muth nicht verliere – laß mich deine glückliche Blindheit mit dir theilen. Verbirg mir in deinem stillen Frieden die Welt, die mein Wirken empfängt. Würde der Mond seine strahlende Scheibe füllen, wenn er den Mörder sähe, dessen Pfad sie beleuchten soll? Zu dir flüchte ich dieses liebende Herz – Tritt zwischen meine Menschlichkeit und den Menschen. – Hier wo mir seine rauhe Hand nicht begegnet, wo die feindselige Wahrheit meinen entzückenden Traum nicht verscheucht, abgeschieden von dem Geschlechte, laß mich die heilige Pflicht meines Daseyns in die Hand meiner großen Mutter, an die ewige Schönheit entrichten (sich umschauend) Ruhige Pflanzenwelt, in deiner kunstreichen Stille vernehme ich das Wandeln der Gottheit, deine verdienstlose Trefflichkeit trägt meinen forschenden Geist hinauf zu dem höchsten Verstande, aus deinem ruhigen Spiegel strahlt mir sein göttliches Bild. Der Mensch wühlt mir Wolken in den silberklaren Strom – wo der Mensch wandelt, verschwindet nur der Schöpfer.

(er will aufstehen. Angelika steht vor ihm.)


Achte Scene.

Hutten. Angelika.


Angelika. (tritt schüchtern zurück) Es war ihr Befehl, mein Vater – Aber wenn ich ihre Einsamkeit störe. –

[129] Hutten. (der sie eine Zeit lang stillschweigend mit den Augen mißt, mit sanftem Vorwurf) Du hast nicht gut an mir gehandelt Angelika.

Angelika. (betroffen) Mein Vater –

Hutten. Du wußtest um diesen Ueberfall – Gesteh es – du selbst hast ihn veranlaßt.

Angelika. Ich darf nicht nein sagen, mein Vater.

Hutten. Sie sind traurig von mir gegangen. Keiner hat mich verstanden. Sieh, du hast nicht gut gehandelt.

Angelika. Meine Absichten verdienen Verzeyhung.

Hutten. Du hast um diese Menschen geweint. Läugne es nur nicht. Dein Herz schlägt für sie. Ich durchschaue dich. Du mißbilligst meinen Kummer.

Angelika. Ich verehre ihn, aber mit Thränen.

Hutten. Diese Thränen sind verdächtig – Angelika – du wankst zwischen der Welt und deinem Vater – Du mußt Partey nehmen, meine Tochter, wo keine Vereinigung zu hoffen ist – Einem von beiden mußt du ganz entsagen oder ganz gehören – Sey aufrichtig. Du mißbilligst meinen Kummer?

[130] Angelika. Ich glaube, daß er gerecht ist.

Hutten. Glaubst du? Glaubst du wirklich? – Höre Angelika! – Ich werde deine Aufrichtigkeit jetzt auf eine entscheidende Probe setzen – Du wankst und ich habe keine Tochter mehr – Setze dich zu mir.

Angelika. Dieser feierliche Ernst –

Hutten. Ich habe dich rufen lassen. Ich wollte eine Bitte an dich thun. Doch ich besinne mich. Sie kann ein Jahr lang noch ruhen.

Angelika. Eine Bitte an ihre Tochter, und Sie stehen an, sie zu nennen?

Hutten. Der heutige Tag hat mir eine ernstere Stimmung gegeben. Ich bin heute fünfzig Jahr alt. Schwere Schicksale haben mein Leben beschleunigt, es könnte geschehen, daß ich eines Morgens unverhofft ausbliebe, und ohne zuvor – (er steht auf) Ja, wenn du weinen mußt, so hast du keine Zeit, mich zu hören.

Angelika. O halten sie ein, mein Vater – Nicht diese Sprache. Sie verwundet mein Herz.

Hutten. Ich möchte nicht, daß es mich überraschte, ehe wir miteinander in Richtigkeit sind – Ja, ich fühle es, [131] ich hange noch an der Welt – Der Bettler scheidet eben so schwer von seiner Armuth, als der König von seiner Herrlichkeit – Du bist alles was ich zurück lasse.

(Stillschweigen)

Kummervoll ruhen meine letzten Blicke auf dir – Ich gehe und lasse dich zwischen zwey Abgründen stehen. Du wirst weinen, meine Tochter, oder du wirst beweinenswürdig seyn – – Biß jetzt gelang mirs, diese schmerzliche Wahl dir zu verbergen. Mit heiterm Blicke siehst du in das Leben, und die Welt liegt lachend vor dir.

Angelika. O möchte sich dieses Auge erheitern mein Vater – Ja, diese Welt ist schön.

Hutten. Ein Widerschein deiner eignen schönen Seele Angelika – Auch ich bin nicht ganz ohne glückliche Stunden – Diesen lieblichen Anblick wird sie fortfahren, dir zu geben, so lange du dich hütest, den Schleyer aufzuheben, der dir die Wirklichkeit verbirgt, so lange du Menschen entbehren wirst, und dich mit deinem eigenen Herzen begnügen.

Angelika. Oder dasjenige finde, mein Vater, das dem meinigen harmonisch begegnet.

Hutten. (schnell und ernst) Du wirst es nie finden – – – Aber hüte dich vor dem unglücklichen Wahn, es gefunden zu haben (nach einem Stillschweigen, wobey er in Gedanken verloren saß) Unsre Seele Angelika, erschafft sich zuweilen [132] große bezaubernde Bilder, Bilder aus schöneren Welten, in edlern Formen gegossen. In fern nachahmenden Zügen erreicht sie zuweilen die spielende Natur, und es gelingt ihr, das überraschte Herz mit dem erfüllten Ideale zu täuschen. – Das war deines Vaters Schicksal Angelika. Oft sah ich diese Lichtgestalt meines Gehirnes von einem Menschenangesicht mir entgegenstrahlen, freudetrunken streckt’ ich die Arme darnach aus, aber das Dunstbild zerfloß bey meiner Umhalsung.

Angelika. Doch mein Vater –

Hutten. (unterbricht sie) Die Welt kann dir nichts darbieten, was sie von dir nicht empfienge. Freue dich deines Bildes in dem spiegelnden Wasser, aber stürze dich nicht hinab, es zu umfassen; in seinen Wellen ergreift dich der Tod. Liebe nennen sie diesen schmeichelnden Wahnsinn. Hüte dich, an dieses Blendwerk zu glauben, das uns die Dichter so lieblich mahlen. Das Geschöpf, das du anbetest, bist du selbst; was dir antwortet, ist deine eigene Echo aus einer Todtengruft, und schrecklich allein bleibst du stehen.

Angelika. Ich hoffe, es gibt noch Menschen, mein Vater, die – von denen – –

Hutten. (aufmerksam) Du hoffest es? – Hoffest! – (er steht auf. Nachdem er einige Schritte auf und nieder gegangen) Ja, meine [133] Tochter – das erinnert mich, warum ich dich jetzt habe rufen lassen (indem er vor ihr stehen bleibt, und sie forschend betrachtet) Du bist schneller gewesen als ich, meine Tochter – Ich verwundere mich – ich erschrecke über meine sorglose Sicherheit: – So nahe war ich der Gefahr, die ganze Arbeit meines Lebens zu verlieren!

Angelika. Mein Vater. Ich verstehe nicht, was sie meynen.

Hutten. Das Gespräch kommt nicht zu frühe – Du bist neunzehn Jahr alt, du kannst Rechenschaft von mir fodern. Ich habe dich herausgerissen aus der Welt, der du angehörst, ich habe in dieses stille Thal dich geflüchtet. Dir selbst ein Geheimniß wuchsest du hier auf. Du weißt nicht, welche Bestimmung dich erwartet. Es ist Zeit, daß du dich kennen lernest. Du mußt Licht über dich haben.

Angelika. Sie machen mich unruhig, mein Vater –

Hutten. Deine Bestimmung ist nicht, in diesem stillen Thal zu verblühen – Du wirst mich hier begraben, und dann gehörst du der Welt an, für die ich dich schmückte.

Angelika. Mein Vater, in die Welt wollen Sie mich stoßen, wo Sie so unglücklich waren?

Hutten. Glücklicher wirst du sie betreten (nach einem Stillschweigen) Auch wenn es anders wäre, meine Tochter – [134] Deine Jugend ist ihr schuldig, was mein frühzeitiges Alter ihr nicht mehr entrichten kann. Meiner Führung bedarfst du nicht mehr. Mein Amt ist geendigt. In verschlossener Werkstätte reifte die Bildsäule still unter dem Meisel des Künstlers heran; die vollendete muß von einem erhabeneren Gestelle strahlen.

Angelika. Nie nie, mein Vater, geben sie mich aus ihrer bildenden Hand.

Hutten. Einen einzigen Wunsch behielt ich noch zurücke. Zugleich mit dir wuchs er groß in meinem Herzen, mit jedem neuen Reize, der sich auf diesen Wangen verklärte, mit jeder schönern Blüthe dieses Geistes, mit jedem höhern Klang dieses Busens sprach er lauter in meinem Herzen – Dieser Wunsch, meine Tochter – reiche mir deine Hand.

Angelika. Sprechen sie ihn aus. Meine Seele eilt ihm entgegen.

Hutten. – Angelika! Du bist eines vermögenden Mannes Tochter. Dafür hält mich die Welt, aber meinen ganzen Reichthum kennt niemand. Mein Tod wird dir einen Schatz offenbaren, den deine Wohlthätigkeit nicht erschöpfen kann – – Du kannst den Unersättlichsten überraschen.

Angelika. So tief, mein Vater, lassen sie mich sinken!

Hutten. – Du bist ein schönes Mädchen Angelika. Laß deinen Vater dir gestehen, was du keinem andern [135] Manne zu danken haben sollst. Deine Mutter war die schönste ihres Geschlechtes – du bist ihr geschontes veredeltes Bild. Männer werden dich sehen, und die Leidenschaft wird sie zu deinen Füßen führen. Wer diese Hand davon trägt –

Angelika. Ist das meines Vaters Stimme? – O ich höre es. Sie haben mich aus ihrem Herzen verstoßen.

Hutten. (mit Wohlgefallen bey ihrem Anblick verweilend) Diese schöne Gestalt belebt eine schönere Seele – Ich denke mir die Liebe in diese friedliche Brust – Welche Aernte blüht hier der Liebe – O dem Edelsten ist hier der schönste Lohn aufgehoben.

Angelika. (tief bewegt, sinkt an ihm nieder und verbirgt ihr Gesicht in seinen Händen)

Hutten. Mehr des Glückes kann ein Mann aus eines Weibes Hand nicht empfangen! – Weißt du, daß du mir alles dieß schuldig bist? Ich habe Schätze gesammelt für deine Wohlthätigkeit, deine Schönheit hab ich gehütet, dein Herz hab ich bewacht, deines Geistes Blüthe hab ich entfaltet. Eine Bitte gewähre mir für dieß alles – in diese einzige Bitte fasse ich alles zusammen, was du mir schuldig bist – wirst du sie mir verweigern?

Anglika. O mein Vater! Warum diesen weiten Weg zum Herzen ihrer Angelika?

[136] Hutten. Du besitzest alles, was einen Mann glücklich machen kann (er hält hier inne, und mißt sie scharf mit den Augen) Mache nie einen Mann glücklich.

Angelika. (Verblaßt, schlägt die Augen nieder.)

Hutten. – Du schweigst? – diese Angst – dieses Zittern – Angelika!

Angelika. Ach mein Vater –

Hutten. (sanfter) Deine Hand meine Tochter – Versprich mir – Gelobe mir – Was ist das? Warum zittert diese Hand? Versprich mir, nie einem Mann diese Hand zu geben.

Angelika. (in sichtbarer Verwirrung) Nie mein Vater – als mit Ihrem Beifall.

Hutten. Auch wenn ich nicht mehr bin – Schwöre mir, nie einem Mann diese Hand zu geben.

Angelika. (kämpfend, mit bebender Stimme) Nie – niemals, wenn nicht – wenn Sie nicht selbst dieses Versprechens mich entlassen.

Hutten. Also niemals (er läßt ihre Hand los. Nach einem langen Stillschweigen) Sieh diesen welken Hände! Diese Furchen, die der Gram auf meine Wangen grub! Ein Greis steht vor dir, der sich zum Rande des Grabes hinunterneigt, und ich bin noch in den Jahren der [137] Kraft und der Mannheit! – Das thaten die Menschen – Das ganze Geschlecht ist mein Mörder – Angelika – Begleite den Sohn meines Mörders nicht zum Altar. Laß meinen blutigen Gram nicht in ein Gauckelspiel enden. Diese Blume, gewartet von meinem Kummer, mit meinen Thränen bethaut, darf von der Freude Hand nicht gebrochen werden. Die erste Thräne, die du der Liebe weinst, vermischt dich wieder mit diesem niedern Geschlechte – die Hand, die du einem Mann am Altare reichst, schreibt meinen Nahmen an die Schandsäule der Thoren.

Angelika. Nicht weiter mein Vater. Jetzt nicht weiter. Vergönne Sie, daß ich (Sie will gehen, Hutten hält sie zurück)

Hutten. Ich bin kein harter Vater gegen dich meine Tochter. Liebt ich dich weniger, ich würde dich einem Mann in die Arme führen. Auch trag ich keinen Haß gegen die Menschen. Der thut mir Unrecht, der mich einen Menschenhasser nennt. Ich habe Ehrfurcht vor der menschlichen Natur – nur die Menschen kann ich nicht mehr lieben. Halte mich nicht für den gemeinen Thoren, der die Edeln entgelten läßt, was die Unedeln gegen ihn verbrachen. Was ich von den Unedeln litt, ist vergessen. Mein Herz blutet von den Wunden, die ihm die Beßten und Edelsten geschlagen.

Angelika. Oeffnen sie es den Beßten und Edelsten – sie werden heilenden Balsam in diese Wunden gießen. Brechen Sie dieses geheimnißvolle Schweigen.

[138] Hutten (nach einigem Stillschweigen) Könnt’ ich dir die Geschichte meiner Mißhandlungen erzählen, Angelika! – Ich kann es nicht. Ich will es nicht. Ich will dir die fröhliche Sicherheit, das süße Vertrauen auf dich selbst nicht entreißen. Ich will den Haß nicht in diesen friedlichen Busen führen. Verwahren möcht ich dich gegen die Menschen, aber nicht erbittern. Meine treue Erzählung wurde das Wohlwollen auslöschen in deiner Brust, und erhalten möchte ich diese heilige Flamme. Ehe sich eine neue und schönere Schöpfung von selbst hier gebildet hat, möchte ich die wirkliche Welt nicht von deinem Herzen reißen.

(Pause. Angelika neigt sich über ihn mit thränenden Augen.)

Ich gönne dir den lachenden Anblick des Lebens, den seligen Glauben an die Menschen, die dich jetzt noch gleich holden Erscheinungen umspielen; er war heilsam, er war nothwendig, den göttlichsten der Triebe in deinem Herzen zu entfalten. Ich bewundre die weise Sorgfalt der Natur. Eine gefällige Welt legt sie um unsern jugendlichen Geist, und der aufkeimende Trieb der Liebe findet, was er ergreife. An dieser hinfälligen Stütze spinnt sich der zarte Schößling hinauf, und umschlingt die nachbarliche Welt mit tausend üppigen Zweigen. Aber soll er, ein königlicher Stamm, in stolzer Schönheit zum Himmel wachsen – o dann müssen alle diese Nebenzweige ersterben, und der lebendige Trieb, zurückgedrängt in sich selbst, in gerader Richtung über sich streben. Still und sanft fängt die erstarrte Seele jetzt an, den verirrten Trieb von der wirklichen Welt abzurufen, und dem göttlichen Ideale, [139] das sich in ihrem Innern verklärt, entgegen zu tragen. Dann bedarf unser seliger Geist jener Hülfe der Kindheit nicht mehr, und die gereinigte Glut der Begeisterung lodert fort an einem innern unsterblichen Zunder.

Angelika. Ach mein Vater! Wie viel fehlt mir zu dem Bilde, das Sie mir vorhalten! – Auf diesem erhabenen Fluge kann ihre Tochter sie nicht begleiten. Lassen Sie mich das liebliche Phantom verfolgen, bis es von selbst von mir Abschied nimmt. Wie soll ich – wie kann ich außer mir hassen, was Sie mich in mir selbst lieben lehrten! Was sie selbst in ihrer Angelika lieben?

Hutten. (mit einiger Empfindlichkeit.) Die Einsamkeit hat dich mir verdorben, Angelika. – Unter Menschen muß ich dich führen, damit du sie zu achten verlernest. Du sollst ihm nachjagen deinem lieblichen Phantom – du sollst dieses Götterbild deiner Einbildung in der Nähe beschauen – Wohl mir, daß ich nichts dabey wage – Ich habe dir einen Maaßstab in dieser Brust mitgegeben, den sie nicht aushalten werden. (mit stillem Entzücken sie betrachtend) o noch eine schöne Freude blüht mir auf und die lange Sehnsucht naht sich ihrer Erfüllung. - Wie sie staunen werden, von nie empfundnen Gefühlen entglühen werden, wenn ich den vollendeten Engel in ihre Mitte stelle – Ich habe sie – Ja ich habe sie gewiß – ihre Besten und Edelsten will ich in dieser goldenen Schlinge verstricken – Angelika! (er naht sich ihr mit feierlichem Ernste und läßt seine Hand auf ihr Haupt niedersinken) Sey ein höheres Wesen unter diesem gesunknen Geschlechte! – Streue Segen um dich, [140] wie eine beglückende Gottheit! – Uebe Thaten aus, die das Licht nie beleuchtet hat! – Spiele mit den Tugenden, die den Heldenmuth des Helden, die die Weißheit des Weisesten erschöpfen. Mit der unwiderstehlichen Schönheit bewaffnet wiederhohle du vor ihren Augen das Leben, das ich in ihrer Mitte unerkannt lebte, und durch deine Anmuth triumphiere meine verurtheilte Tugend. Milder strahle durch deine weibliche Seele ihr verzehrender Glanz, und ihr blödes Auge öffne sich endlich ihren siegenden Strahlen. Bis hieher führe sie – bis sie den ganzen Himmel sehen, der an diesem Herzen bereitet liegt, bis sie nach diesem unaussprechlichen Glück ihre glüenden Wünsche ausbreiten – und jetzt fliehe in deine Glorie hinauf – in schwindlichter Ferne sehen sie über sich die himmlische Erscheinung! ewig unerreichbar ihrem Verlangen, wie der Orion unserm sterblichen Arm in des Aethers heiligen Feldern. – Zum Schattenbilde wurden sie mir, da ich nach Wesen dürstete, in Schatten zerfließe du ihnen wieder. – So stelle ich dich hinaus in die Menschheit – Du weißt, wer du bist – Ich habe dich meiner Rache erzogen.*)[1]
 (er entfernt sich.)


  1. *) Die hier eingerückten Scenen sind Bruchstücke eines Trauerspiels, welches schon vor mehrern Jahren angefangen wurde, aber aus verschiednen Ursachen unvollendet bleibt. Vielleicht dürfte die Geschichte dieses Menschenfeindes und dieses ganze Karaktergemählde dem Publikum einmal in einer andern Form vorgelegt werden, welche diesem Gegenstand günstiger ist, als die dramatische.
      d. V.