Deutsche Bühnenleiter/Karl Freiherr von Perfall – August Freiherr von Loën

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Autor: M.
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Titel: Karl Freiherr von Perfall. – August Freiherr von Loën
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 381-382
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsche Bühnenleiter.

Karl Freiherr von Perfall. – August Freiherr von Loën.

Unter den Bühnenleitern des deutschen Reiches gehören zwei Männer zu den Hauptvertretern der idealen Kunstrichtung: Karl Freiherr von Perfall, Generalintendant der Hofbühne zu München, dieser südlich heiteren, geistig bewegten Stadt der schönen Künste, und August Freiherr von Loën, Generalintendant des Hoftheaters der zwar kleinen, aber von classischem Geist durchwehten Dichterstadt Weimar.

Beide übernahmen die Regentschaft der ihnen unterstellten Kunstanstalten zur selbigen Zeit, nämlich im Herbste des Jahres 1867. Bei der glücklichen Uebereinstimmung ihrer künstlerischen Grundprincipien konnte es ihnen zugleich nicht an vielen inneren Berührungspunkten fehlen. Wie Perfall, der als Musiker in seinen Lieder- und Operncompositionen eine edle, echt deutsche Richtung vertrat, ohne darum als Bühnenleiter in den eigenen Neigungen befangen zu bleiben, so zeigte Loën als Schriftsteller eine Vorliebe für das Feinempfundene, Gefällige und einfach Schöne, während ihn als Bühnenleiter die Weite des Blickes und das Verständniß für die Zeit vor starrer Einseitigkeit bewahrten. Den großen Strömungen nur da entgegentretend, wo es sich um das triviale niedere Genre handelte, dessen Pflege selbst an bedeutenden Bühnen an der Tagesordnung ist, trugen Perfall und Loën allen anderen Richtungen volle Rechnung, namentlich, wenn ein hervorragender Geist, wie Richard Wagner, die Blicke der Zeitgenossen auf sich hinlenkte.

Karl Freiherr von Perfall.

August Freiherr von Loën.

Perfall, der im Anfange schwere Kämpfe durchzumachen hatte, wurde seinem Mitstrebenden gegenüber insofern vom Schicksal begünstigt, als es ihn an eine weitaus größere Wirkungsstätte, in die eigentliche Kunststadt von Deutschland stellte. Der hochsinnige Monarch von Baiern ist der Schirmherr der Musik und Schauspielkunst, und ein unausgesetzter Fremdenbesuch steigert das Interesse an den theatralischen Aufführungen. Dazu gesellte sich für den Intendanten der Vortheil, daß ihm zwei schöne Häuser zu Gebote standen, das Hof- und Nationaltheater und das königliche Residenztheater. Alle Stücke im heiteren wie im ernsten Genre, die zu einer intimeren Wirkung einen kleineren Rahmen forderten, verlegte Perfall in das freundliche Residenztheater, während die Oper und die hohe Tragödie, die zur Entfaltung der Comparserie eines großen Rahmens bedurften, ihre Heimstätte im Hof- und Nationaltheater erhielten.

Das Stammgut des Münchener Repertoires trägt einen ausgesuchten Charakter, und in der gediegenen Auswahl der dramatischen Novitäten geht München allen Bühnen voran. Zugleich finden wir neben den deutschen und englischen Nationaldramen unter den französischen die sonst nirgends in dieser Weise vertretenen Werke von Molière. Die Münchener Schauspielaufführungen befriedigen in ihrer Mehrzahl die Besucher in seltenem Maße: ein geistig bewegtes Ensemble, eine lebendige Wahrheit des Spiels und eine malerische Anordnung im Großen und Einzelnen wecken in den Zuschauern die Ueberzeugung, daß die dramatische Kunst im ganzen deutschen Reiche auf keiner so hohen Stufe steht, wie in München. Da das recitirende Drama dort nicht die bekannte Aschenbrödelrolle spielt, so erhellt zur Genüge, daß Perfall, obgleich Musiker, dennoch keinen einseitigen Cultus mit der Oper treibt, wenn dieselbe auch den Ruhm einer glänzenden Schwester für sich in Anspruch nimmt. Die ewigen Frühlingsgesänge der alten Meister wie Gluck, Mozart, Beethoven, Weber etc., wo kommen sie herrlicher zu Gehör, als auf der Münchener Bühne, und wo werden gegenwärtig sämmtliche Tondramen von Richard Wagner in gleicher Vollendung gegeben?

Einer besonderen Einrichtung im Zuschauerraume der Münchener Hofbühne müssen wir noch flüchtig gedenken, da sie von dem Schönheitssinne ihres Erfinders, des Intendanten, ein nicht geringes Zeugniß ablegt. In den Schauspielvorstellungen sieht man nämlich nicht, wie anderswo, den leeren, gähnenden Orchesterraum, sondern es führt über denselben hinweg eine breite, römische Treppe bis zu den Füßen des Publicums im Parquet. Die Zuschauer gewinnen dadurch einen intimeren Zusammenhang mit den Darstellern. Das Ganze ist in der That die eigenthümlich poetische Idee eines Künstlers.

Der Leiter der Hofbühne von Weimar, der Nachfolger von Dingelstedt, bethätigte schön lange vor seiner Berufung durch den Großherzog seine warme Theimahme an der lebendigen Fortentwickelung des deutschen Dramas. Die Sympathie des musenfreundlichen Fürsten sollte Loën in Folge seiner Essays über das Culturleben der Gegenwart gewinnen, in welchen er die höheren Aufgaben des Theaters beleuchtete. In diesen Essays war nichts von der Luft der Studirstube zu spüren, es sprach vielmehr daraus ein offenes Verständniß für die anzustrebenden Ziele und ein feiner Sinn für dramatische Poesie. Angehende Bühnenschriftsteller, auch wenn sie zu den zweifelhaften Talenten gehörten, erprobten in Weimar zuerst die Kraft ihrer Schwingen, und Diefenigen, die dann den Weg über andere Bühnen fanden, boten ihrem Bahnbrecher reichen Ersatz für die übrigen. So führte Loën Stücke von Wildenbruch auf, als noch Niemand den Namen dieses Dramatikers kannte. Zugleich betrachteten namhafte Schriftsteller, wie Lindau, Heyse, Hopfen, Roquette, Spielhagen, Weilen etc., das stille Weimar als eine Art Versuchsstation für die Wirksamkeit ihrer Werke.

Bei der Säcularfeier von Goethe’s Ankunft in Weimar wurden daselbst beide Theile des „Faust“ in der Eimrichtung von Otto Devrient, mit der Musik von Lassen, zum ersten Male aufgeführt. In dieser eigenthümlichen, dem Geiste des Goethe’schen Weltgedichtes zwar nicht überall entsprechenden, aber doch vielfach glänzenden Einrichtung, deren malerische Wirkungen namentlich den zweiten Theil zur vollen Geltung brachten, ging die Faust-Tragödie über eine Reihe deutscher Bühnen.

In der Oper zeigte Loën eine Vorliebe für Wagner ohne Einseitigkeit. Außer München hatte keine Bühne gewagt, den „Tristan“ zu geben: in Weimar gelang es. Im Jahre 1871 gab die erste Gesammtaufführung der Wagner’schen Opern unter Mitwirkung der vornehmsten Gesangskräfte den Anlaß, daß sich die Verehrer Wagner’s aus allen Richtungen der Windrose zusammen fanden. In ähnlicher Weise suchte Loën während seiner sechszehnjährigen Thätigkeit nach allen Seiten hin anregend und fördernd zu wirken. Unter seiner Leitung steigerte sich das Interesse für das Theater in einem früher nie gekannten Maße, ja es erreichte eine solche Höhe, [382] daß die Blicke der gebildeten Welt abermals auf die durch ihre Traditionen geweihte Bühne Weimars gerichtet sind.

Die beiden hier flüchtig skizzirten Bühnenleiter bringen uns Eines lebhaft zum Bewußtsein: Soll das Theater wirklich das Reich des schönen Scheines, soll es im Geiste Schiller’s eine der Kunst geweihte Stätte sein, von welcher die Schauenden zu höheren Empfindungen entflammt und begeistert werden, so muß es ein kunstsinniger Monarch oder ein städtisches Gemeinwesen gegen Privatspeculationen sicher stellen und zwar dadurch, daß die Oberleitung Persönlichkeiten übertragen wird, welche durch ihre Fähigkeiten und ihre ganze Geschmacksrichtung dazu berufen, durch den Umfang ihrer Rechte aber zugleich in den Stand gesetzt sind, dem Theater eine bestimmte künstlerische Signatur zu verleihen. Wenn Schiller den Künstlern zuruft:

„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!“

so haben vor Allem die Bühnenlenker, denen die Künstler unterstellt sind, dieser beherzigenswerthen Mahnung eingedenk zu sein. M.