Deutsche Künstler in Rom
Seit Jahrhunderten ist Rom das Mekka unserer begeisterten Kunstjünger. Politische und sociale Wandlungen haben hieran so wenig geändert, wie ästhetische und philosophische. Die Kluft zwischen der Gegenwart und dem Zeitalter Goethe’s ist eine ebenso riesige, wie die zwischen dem alten kirchenstaatlichen Regiment und dem nationalen Königthum Humbert’s und Victor Emanuel’s; die rein ästhetische Welt- und Lebensbetrachtung ist seit jenen Tagen immer entschiedener zurückgewichen, genau so, wie die Grenzen des ehemaligen Patrimonium Petri: aber der Zauber, den die ewige Stadt auf Alles ausübt, was da künstlerisch denkt und empfindet, ist derselbe geblieben, und noch heute darf man kühnlich behaupten, daß es keinen Punkt der bewohnten Erde giebt, wo sich das wahrhaft schöpferische Talent so wohl, so glücklich, so im Vollgenusse seiner geistigen und gemüthlichen Kräfte fühlt, wie in Rom. Tausend begeisterte Künstlerherzen haben diese Wahrheit in allen Gauen verkündet, sodaß schon der bloße Name Rom genügt, um die Herzen der Schönheitsfreunde höher schlagen zu lassen – sei es im schwärmerischen Glück der Erinnerung, sei es in jener unwiderstehlichen Sehnsucht, die den Grafen Platen zu dem Ausspruch vermochte: „Ich muß nach Italien, und wenn ich mich dahin betteln sollte.“
Zwei Momente sind es vorzugsweise, die den Aufenthalt in Rom für den productiven Künstler so begehrenswerth machen. Einmal, wie selbstverständlich, die ungeheure Fülle von Meisterwerken aus allen Perioden der Plastik, der Malerei und der Architektur; dann aber – und es will mir fast scheinen, als ob dieser zweite Punkt in seiner Art fast ebenso wichtig wäre, wie der erste – die eigenthümliche Physiognomie des Lebens, die harmonische Gestaltung aller Existenzverhältnisse, die ruhevolle, zwischen olympischer Heiterkeit und leiser Elegie vibrirende Stimmung, die hier wie ein undefinirbares Etwas die ganze Atmosphäre durchgeistigt. Nur die wunderbare Vereinigung dieser beiden Momente erklärt die souveraine Stellung Roms vor allen anderen Städten Europas. Die Gemäldesammlungen von Madrid und Florenz sind den römischen Gallerien weit überlegen; das Leben und Treiben des Alterthums tritt uns am Golfe Neapels, in Pompeji und dem reichgefüllten Nationalmuseum ungleich anschaulicher vor die Seele, als in Rom; auch an landschaftlichem Reiz steht die Siebenhügelstadt hinter Florenz und Neapel zurück: und doch vermag keine dieser Städte als Künstleraufenthalt mit der unvergleichlichen Königin am Tiberstrande zu wetteifern.
Das Leben in Rom ist ein im schönsten und tiefsten Sinne des Wortes behagliches, anregend ohne aufregend, reich ohne erdrückend zu sein. Der Blick wendet sich hier von dem fiebernden Ringen um irdische Glücksgüter, von dem rastlosen Kampf des Jahrhunderts hinweg; er weilt einerseits auf jener großartigen Trümmerwelt, die ihm die Richtigkeit alles Irdischen und hiermit die praktische Weisheit eines vernunftgemäßen Lebensgenusses predigt; andererseits aber mustert er mit unsäglichem Wohlgefühl die unermeßlichen Schätze, die das Gemüth aus den Regionen der Vergänglichkeit wieder emporheben in das Reich der unvergänglichen Schönheit. Das Bewußtsein dieser künstlerischen Fülle, die uns von allen Seiten zum stillen Genusse ladet, verbunden mit der Herauslösung unseres Ichs aus den prosaischen Interessen des Zeitalters, übt zu Anfang einen wahrhaft berauschenden Einfluß aus. In gewissem Sinne glaubt man erst jetzt zu leben; das befremdliche Distichon August’s von Platen:
„Zeit nur und Jugend verlor ich in Deutschland; Lebenserquickung
Reichte zu spät Welschland meinem ermüdeten Geist ...“
wird uns mit einem Male als Ausdruck dieser Stimmung verständlich. In der That haben fast alle künstlerisch veranlagten Menschen in ähnlicher Weise die Uebersiedelung nach Rom als ein Glück, als eine Gnade des Himmels gefeiert. So ruft Goethe in seiner siebenten Elegie:
„O, wie fühl’ ich in Rom mich so froh, gedenk ich der Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meinen Scheitel sich senkte,
Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag,
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
Düstere Wege zu spähn, still in Betrachtung versank!
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Aethers die Stirne:
Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht; sie klingt von weichen Gesängen,
Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum’ ich? Empfänget
Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?“
[532] Was eben noch stürmisch wogte, wird hier nach und nach zur ruhigen, krystallklaren Fluth; das künstlerische Gemüth kommt völlig in’s Gleichgewicht und erreicht so den höchstmöglichen Grad von Fähigkeit, das Ewige wiederzuspiegeln, das heißt schöpferisch thätig zu sein.
Die deutschen Künstler in Rom bilden eine stattliche Colonie, eine Gemeinde für sich, die, ohne sich gegen die römische Gesellschaft grundsätzlich abzuschließen, doch vorzugsweise unter einander verkehrt, ihre besonderen Kaffeehäuser, Kneipen etc. besucht, gemeinschaftliche Feste veranstaltet und das künstlerische Streben und Schaffen der einzelnen Mitglieder in rege Wechselwirkung zu sehen weiß. Gesellschaftlicher Mittelpunkt dieser Kunstjünger ist der deutsche Künstlerverein, der, von hervorragenden Persönlichkeiten und insbesondere von den jeweiligen diplomatischen Vertretern Deutschlands und der Einzelregierungen gefördert, seit lange eines verdienten Rufes genießt.
Die deutschen Künstler in Rom – das darf man ohne Weiteres behaupten – sind vielleicht das glücklichste Völkchen unter der Sonne. Inmitten dieser unvergleichlichen Umgebung, voll von Plänen, Hoffnungen und Entwürfen, zwischen heiterem Genuß und freudiger Arbeit verständig abwechselnd, führen sie hier ein ideales, köstliches Dasein, dessen Harmonie die höchste Blüthe menschlichen Empfindens, den Humor, zu Tage fördert. Nirgends in der Welt geht es so geistreich-fröhlich, so übermüthig und doch so harmlos-gemüthlich zu, wie bei einem römischen Künstlerfeste – und wäre es auch nur eine improvisirte Wagenfahrt nach einer der Osterien vor der Porta del Popolo. Ein paar jugendliche Schwestern in Apollo – es giebt deren in den römischen Künstlerkreisen sehr hübsche, und nicht alle tragen rundglasige Brillen wie die kluge Else in Wilbrandt’s „Malern“ – oder eine nationalrömische Freundin, die Tochter der Padrona, bei der man in Miethe wohnt, oder – chi lo sa? – ein holdes, weicharmiges Liebchen werden von „Maratta“, dem jüngsten Bruder des kunstfrohen Ordens, zu der lustigen Excursion eingeladen; „Tizian“ und „Domenichino“ schmücken den zweiräderigen Ochsenkarren des wackeren Beppo, der links vom Thore wohnt, mit Lorbeerreisern – dafür sind sie ja Künstler; der „Rothbart“ sorgt für Blumen und ein paar farbige Lampen – und das Fest kann in Scene gehen …
An dem stolzen Obelisken mit den vier wasserspeienden Löwen vorüber rollt das groteske Gespann durch die alterthümliche Pforte. Die großhörnigen Stiere mit den elegisch bimmelnden Glocken haben’s nicht eilig; die Künstler und ihre schönen Gefährtinnen ebenso wenig. Es geht ein wenig gedrängt zu auf dem lorbeergeschmückten Karren. Die meisten Theilnehmer haben Stehplätze; man glaubt beinahe ein neapolitanisches Corricolo zu erblicken, dessen lebendige Ladung überall Posto faßt, wo sich dem Fuße ein Haltepunkt bietet: auf der Deichsel, auf den Achsen, ja auf den schweren, nägelbeschlagenen Schuhen des guten Pfarrers, der seine Füße gravitätisch aus dem Wagen heraus streckt. Ganz so schlimm steht es hier nicht, aber auch hier muß die Freude ein wenig über die Unbequemlichkeit weghelfen – die Freude an Rom, an der abendlichen Octobersonne, die Alles rings mit flüssigem Gold überkleidet, die Freude an dem tiefblauen Himmel, an der herrlichen, thauklaren Luft, an dem Kraftgefühl der Jugend und dem silbernen Lachen der jungen Mädchen.
So wird die lange holpernde Fahrt wie durch Zauber verkürzt. Ehe man sich’s versieht, ruft der Führer sein „Ecco Signori!“, springt von dem Lenkersitze herab und müht sich, bei den „belle signore“ den Galanten zu spielen· Corpo di Dio! So ein römischer Karrenführer weiß, was die gute Sitte erfordert. Rom ist die einzige Großstadt, die keinen Pöbel besitzt; eine gewisse Ritterlichkeit in Geberden und Haltung kennzeichnet den ärmsten Trasteveriner. Die guten Dienste des ehrlichen Beppo sind hier indeß überflüssig. Im Nu hat sich der Karren geleert. Die Gesellschaft begiebt sich lachend und singend in den Garten der Osteria, um zunächst ein ländliches Mahl einzunehmen. Gebratene Hühner – polli arrosti – (das römische Lieblingsgericht), duftige Macaroni und Früchte aller Art bilden die Grundlage eines solchen Künstlersoupers. Dabei wird den großbäuchigen Flaschen, deren schlanke Hälse so zerbrechlich aus dem Binsengeflechte hervorlugen, kräftig zugesprochen; auch von Seiten der Damen, denn die Kunst macht frei, und prüde Zaghaftigkeit ist unter dem Himmel Roms ein unbekannter Artikel. Ist die Mahlzeit beendet, so wird gesungen, gespielt und getanzt. Man hat vielleicht eine Gesellschaft junger Bursche und Landmädchen getroffen, mit denen man ohne Weiteres gemeinsame Sache macht. In einer Pause trägt Domenichino auf seiner Flöte ein nordisches Volkslied vor und entlockt so den Lippen der Römerin ein sympathisches Lächeln. Da mit einem Male tritt ein Paar aus dem Kreise heraus und beginnt zur Augenweide für jedes echte Künstlergemüth den Saltarello, während die schöne Rosina, nachlässig auf ihren Strohstuhl gelehnt, das Tambourin schlägt. Der berauschende, fanatisirende Klang dieses dumpf-eintönigen Instrumentes scheint Feuer in die Adern der beiden Tänzer zu gießen. Wie dämonische Kreisel, aber immer anmuthig, immer künstlerisch vollendet in ihren Bewegungen, schweben die Zwei um einander herum, sich suchend, sich fliehend und endlich in einem stürmischen Schlußtempo vereinigt. Lauter Beifall belohnt das reizende Intermezzo.
Endlich ist die Gesellschaft müde. Man spricht von der Heimfahrt, da aber schlägt der liebenswürdige Tizian mit komischer Grandezza wider das Glas und verkündet der überraschten Versammlung in humoristischer Rede, daß noch ein ganz besonderer Genuß ihrer warte, ein Genuß, der gewissermaßen zu den Nationaleigenthümlichkeiten der Römer gehöre und jedem gerechten und vollkommenen Feste der Siebenhügelstadt die Krone aufsetze. Nachdem er durch verschiedene launige Anspielungen der Gesellschaft verrathen hat, daß dieses geheimnißvolle Etwas ein Feuerwerk sei, streckt er wie ein Jupiter tonans die rechte Hand aus – und in demselben Augenblicke erschallt ein ungeheures Gelächter, denn die Rakete, die der Verabredung mit Beppo gemäß majestätisch zum Azur aufsteigen sollte, hat den Gehorsam verweigert und, plebejisch am Grunde der Erde haftend, fährt sie brutal zischend unter die leergetrunkenen Flaschen in die Ecke der Gartenwand.
„Silenzio!“ ruft Tizian, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. „Kein Mensch kann für Unglück, und Rom ist nicht an einem Tage erbaut worden. Achtung, Beppo! Zeigt diesen Zweiflern, daß Ihr etwas von dem Blute Nero’s in Euren Adern tragt, der ganz Rom in Brand steckte!“
Die kleine Rosina meint spitziger Weise, Beppo habe schon durch dieses Debut ein unverkennbares Talent zur Brandstiftung an den Tag gelegt, aber der Wagenführer straft diese Injurie mit stiller Verachtung.
„Pronto? Fertig?“ fragt Tizian.
„Pronto!“ ertönt es hinter dem Strauchwerke.
„Wohlan denn,“ ruft der Maler mit Donnerstimme, „fiat lux – es werde Licht!“
Und leise rauschend steigt eine Feuergarbe gen Himmel, diesmal lothrecht wie die Kuppel der Peterskirche. Hoch im Blauen zertheilen sich die feurigen Spitzen, und zwanzig, dreißig farbige Kugeln gießen ihr taghelles elektrisches Licht aus. Ein lautes „Ah!“ geht durch die entzückte Versammlung. Dann folgt ein stürmisches Bravo.
„Evviva, Tiziano, evviva, Beppo, evviva Beppino!“ schallt es im Chore.
Noch drei- oder viermal entlockt der Wagenführer seinem dankbaren Publicum die rauschenden Beifallsrufe. Auch Tizian erntet reichliche Lobsprüche. Dann aber heißt es: „Partenza!“ Die Stiere sind wieder vorgespannt. Maratta hat die Kerzen in den farbigen Papierkugeln angezündet, und Beppo klatscht unternehmungslustig mit der mächtigen Peitsche. Die Damen drapiren sich in die mitgenommenen Plaids, denn es ist nicht weit mehr von Mitternacht, und in der Nähe des Ponte Molle wird’s kühl werden. Einige Mitglieder der Gesellschaft benutzen sogar diese Kühle zum Vorwande, um zu Fuß zu gehen; man hat jedoch dringliche Gründe zur Vermuthung, daß Amor, der gottlose Schalk, bei dieser philiströsen Vorsicht ein wenig betheiligt ist. Wer kann dafür?
„Ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom.“
Und so geht es heimwärts in einer Stimmung, deren romantisches Wohlgefühl der Unerfahrene nicht ahnen kann. Scherzend, lachend, singend wie bei der Herfahrt, aber doch um so viel höher und poesievoller gestimmt, als der weiche Zauber der Nacht über der Klarheit des Tages steht –: so nähert sich die glückliche Gesellschaft dem Gemäuer der Porta del Popolo,
[533][534] das Herz und die Sinne erfüllt von jenem unsäglichen Zauber, der in den Worten „Jugend“ und „Rom“ gipfelt.
Jahre um Jahre ziehen in’s Land; der Künstler ist in die Heimath zurückgekehrt; er hat Schönes und Edles geschaffen; er ist zu Ansehen und Ruhm gelangt: aber inmitten seiner Triumphe wird er mit stiller Wehmuth an die unberühmten Tage zurückdenken, an die unaussprechlich glücklichen Tage in Rom, an die unaussprechlich glücklichen Tage der Jugend.