Didos Tod

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Autor: Vergil
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Titel: Didos Tod
Untertitel: Beschluß des vierten Buchs der Aeneide.
aus: Neue Thalia. 1792-93.
1792, Erster Band,
S. 283-306
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: Friedrich Schiller
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Fortsetzung des ersten Teils
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[283]
I.
Didos Tod.

Beschluß des vierten Buchs der Aeneide.


83.

Verhaßt ist ihr fortan des Himmels Bogen,
von gräßlichen Erscheinungen bedroht,
vom Schicksal selbst zum Abgrund hingezogen,

660
beschließt die Unglückselige den Tod.

Einst, als sie den Altar beschenkt mit frommen Gaben,
verwandelt jählings sich des heilgen Weines Flut –
Entsetzliches Gesicht! in Blut,
und dies Geheimniß ward mit ihr begraben.

[284]
84.

665
Auch stand, den Manen des Gemahls geweiht,

im Hause eine marmorne Kapelle,
verehrt von ihr mit frommer Zärtlichkeit,
geschmückt mit manchem Laub und glänzendweißem Felle.
Von hier aus hörte sie, wenn alles ringsum schlief,

670
des Gatten Ton, der sie mit Nahmen rief,

und einsam wimmerte auf hohem Dach die Eule
ihr totweissagendes Geheule.

85.

Auch manch Orakel wird in ihrem Busen wach,
Aeneens Schatten selbst scheucht sie mit grimmgem Blicke,

675
eilt der Geängstigten in Träumen drohend nach,

und einsam stets bleibt sie zurücke.
Ihr däucht, sie wandle hin auf menschenleerer Flur,
sie ganz allein auf einem langen Pfade,
und suche ihrer Tyrer Spur

680
längs dem verlassenen Gestade.

[285]
86.

So siehet Pentheus Fieberwahn
die Schaar der Furien ihm nahn,
zwey Theben um sich her, zwey Sonnen aufgegangen.
So ruft der Bühnen Kunst Orestens Bild hervor,

685
wenn mit der Fackel ihn und fürchterlichen Schlangen

der Mutter Schatten jagt, der Racheschwestern Chor,
gespieen aus dem Schlund der Hölle,
ihn angraust an des Tempels Schwelle.

87.

Als jetzt ein Raub der schwarzen Eumeniden

690
Elisa sich dem Untergang geweiht,

auch über Zeit und Weise sich entschieden,
tritt sie die Schwester an mit falscher Heiterkeit,
läßt im verstellten Aug der Hoffnung Strahlen blitzen,
tief scheint der lange Sturm des Busens jetzt zu ruhn:

695
Geliebte freue dich, ein Mittel weiß ich nun,

ihn zu vergessen oder zu besitzen.

[286]
88.

Am fernen Mohrenland, dort wo des Tages Flamme,
sich in des Weltmeers letzte Fluthen neigt,
wo unterm Himmel sich der Atlas beugt,

700
wohnt eine Priesterinn aus der Massyler Stamme.

Ihr ist der Hesperiden Haus vertraut,
sie hütete die heilgen Zweige,
besänftigte mit süßem Honigteige
des Drachen Wuth, und mit dem Schlummerkraut.

89.

705
Die rühmt sich, jedes Herz verletzt von Amors Pfeilen,

durch ihres Zaubers Kraft zu heilen,
auf andre drückt sie selbst den Pfeil des Kummers ab.
Sie zwingt in ihrem Lauf die Ströme still zu stehen,
die Sterne kann sie rückwärts drehen,

710
und Nachtgespenster ruft sie aus dem Grab,

zerreißt der Erde brüllend Eingeweide,
und zieht den Eichbaum von des Berges Haide.

[287]
90.

Daß es bis dahin mit mir kommen muß!
Bei deinem theuren Haupt! bei Zevs Olympius!

715
es fällt mir schwer! – Doch jetzt kann Zauber nur mich retten.

Drum, Liebe, richte still mir einen Holzstoß auf
im innern Hof des Hauses! Lege drauf
das Schwerdt, jedweden Rest des Schändlichen, die Betten,
wo meine Unschuld starb! Die Priesterinn gebeut,

720
zu tilgen jede Spur, die mir sein Bild erneut.


91.

Sie sprichts und Todesblässe deckt
ihr Angesicht. Doch daß in diesem Schleyer
der Schwester eigne Leichenfeyer
sich birgt, bleibt Annens blödem Sinn versteckt.

725
In der Verzweiflung Tiefen unerfahren,

besorgt sie schlimmres nicht, als was Elisens Gram
beim Tod des ersten Gatten unternahm,
drum säumt sie nicht, der Schwester zu willfahren.

[288]
92.

Bald steht durch ihrer Hände Fleiß

730
ein großer Holzstoß aufgerichtet,

aus Fackeln und aus dürrem Reis
im innern Hofraum aufgeschichtet.
Ihn schmückt die Königinn, wohl wissend was sie thut,
mit einem Kranz und der Cypresse traurgen Aesten,

735
und hoch auf ihrem Brautbett ruht

des Trojers Bild und Schwerdt mit allen Ueberresten.

93.

Auf jeder Seite zeigt sich ein Altar,
und in der Mitte steht mit aufgelöstem Haar
die Priesterinn in heilge Wuth verloren.

740
Ihr fürchterlicher Ruf durchdonnert selbst die Nacht

des Erebus. Des Chaos wilde Macht,
ein ganzes Heer von Göttern wird beschworen,
Persephoneiens dreyfache Gewalt,
Dianens dreymal wechselnde Gestalt.

[289]
94.

745
Die Fluthen des Avernus vorzustellen,

besprengt sie den Altar mit heilgen Wellen.
Nach jungen Kräutern wird gespäht,
die von des Giftes schwarzen Tropfen schwellen,
beim Mondlicht mit der Sichel abgemäht;

750
auch forscht man nach dem Liebesbißen,

der auf der Fole jungem Haupt sich bläht,
dem Zahn des Mutterpferds entrissen.

95.

Sie selbst, das Opferbrod in frommer Hand,
mit bloßem Fuß, mit losgebundenem Gewand,

755
bereit zum Tode, steht an des Altares Stufen,

auf ihres Mörders Haupt der Götter Strafgericht,
der Sterne Zorn herabzurufen,
und neigt ein Gott sein Angesicht
auf Liebende herab, die ihre Schwüre brechen,

760
so bietet sie ihn auf, zu strafen und zu rächen.

[290]
96.

Gekommen war die Nacht, und alle Wesen ruhten
erschöpft im süßen Arm des Schlafs. Tief schweigt
der Wald, gelegt hat sich der Zorn der Fluthen,
zur Mitte ihrer Bahn die Sterne sich geneigt.

765
Der Vögel bunter Chor verstummt, die Flur, die Heerden,

was sich in Sümpfen birgt und in der Wälder Nacht,
vergißt der Arbeit und Beschwerden,
gefesselt von des Schlummers Macht.

97.

Nur deines Busens immer wachen Kummer,

770
unglückliche Elisa! schmilzt kein Schlummer,

nie wird es Nacht auf deinem Augenlied.
Empfindlicher erwachen deine Schmerzen,
aufs neu entbrennt in deinem Herzen
der Kampf, den, ach! Verzweiflung nur entschied.

775
Jetzt Raub des Grimms, jetzt ihres Kummers Beute,

beginnt sie so in diesem innern Streite.

[291]
98.

Unglückliche, ruft sie, was soll nunmehr geschehn?
Gehst du, von neuem dich den Freyern anzutragen,
die du verächtlich ausgeschlagen,

780
und der Nomaden Hand fußfällig zu erflehn?

Gehst du, den Teukriern als Magd dich anzubieten?
Du kennst ja ihre Dankbarkeit,
du solltest wissen, wie bereit
sie sind, empfangne Opfer zu vergüten.

99.

785
Und öffnen sie dir wohl der Schiffe stolzen Schooß,

gesetzt, du könntest diese Schmach verschmerzen?
So wenig weißt du, wie gewissenlos
Laomedontier mit Treu und Glauben scherzen!
Folgst du den stolzen Ruderern allein?

790
Hohlst du mit deinen Tyriern sie ein?

und kaum aus Sidons Stadt gewaltsam fortgezogen,
vertraust du sie aufs neu dem Spiel von Wind und Wogen?

[292]
100.

Nein stirb, wie du verdient! Das Schwerdt befreie dich.
Dir Schwester dank ich meinen Fall. Du gabest mich

795
dem Feinde Preiß, von meiner Thränen Fluth bestochen!

Konnt ich nicht schuldlos, von Begierden rein,
nicht frey von Hymens Band mich meines Lebens freun?
Mein Wort hab ich Sichäus dir gebrochen,
geschworen deinem heiligen Gebein.

800
Erzürnter Geist, du wirst gerochen!


101.

So quälte jene sich, indeß auf hohem Schiff,
entschlossen und bereit, Karthagos Strand zu räumen,
Aeneas schlief. Ihm zeigte sich in Träumen
dasselbe Bild, das jüngst mit Schrecken ihn ergriff,

805
und bringt denselben Auftrag wieder,

dem Flügelboten gleich an Stimme, an Gestalt,
dasselbe blonde Haar, das Majens Sohn umwallt,
derselbe schlanke Bau der jugendlichen Glieder.

[293]
102.

Ists möglich, ruft er, Göttinnsohn,

810
an des Verderbens Rand kannst du des Schlummers pflegen?

Siehst die Gefahren nicht, die ringsum dich bedrohn,
und hörst die Winde nicht, die deine Segel regen?
Von wilder Wuth empört, sinnt jene, dich mit List
mit unentrinnbarem Verderben zu umschlingen,

815
du eilst nicht mit des Windes Schwingen

davon, da dir noch Flucht verstattet ist?

103.

Grüßt dich Aurora noch in diesem Land,
so siehst du weit und breit die Wellen
mit Schiffen überdeckt, den ganzen Meeresstrand

820
von mordbegiergen Fackeln sich erhellen.

Flieh ohne Aufschub! Flieh! Veränderlich
ist Frauensinn und nimmer gleicht er sich.
Er sprichts und fließt in Nacht dahin. Voll Schrecken
fährt jener aus dem Schlaf, und eilt sein Volk zu wecken.

[294]
104.

825
Wacht auf, ruft er. Geschwind! Ergreift die Ruder! Spannt

die Segel aus! Ein Gott, vom Himmel her gesandt,
treibt mich aufs neu, nicht länger mehr zu weilen,
die Stränge zu zerhaun, die Abfahrt zu beeilen.
Wer du auch seyst, erhabne Gottheit! Ja!

830
Frohlockend folgen wir dem Wink, den du gegeben,

Verleih uns Schutz! O sey uns hold und nah!
Laß über unserm Haupt geneigte Sterne schweben!

105.

Er sprichts, und aus der Scheide blitzt
sein flammend Schwerdt und trennt des Ankers Seile,

835
ihm folgt die ganze Schaar, von gleicher Glut erhitzt,

rafft alles fort, und treibt und rennt in voller Eile.
Schnell ist die ganze Küste leer,
verschwunden unter Schiffen ist das Meer,
es keucht der Ruderknecht und quirlt zu Schaum die Wogen,

840
zahllose Furchen sind durchs blaue Feld gezogen.

[295]
106.

Jetzt eben windet sich aus Tithons goldnem Schoos
des Morgens junge Göttinn los,
und überströmt die Welt mit neugebohrnen Strahlen.
Aus ihren Fenstern sieht mit silberfarbem Grau

845
die Königinn den Horizont sich mahlen,

sieht durch der Wasser fernes Blau
die Flotte schon mit gleichen Segeln fliegen,
die Küste leer, den Hafen öde liegen.

107.

Da schlägt sie mit ergrimmter Hand

850
die schöne Brust, zerrauft die gelben Locken.

Allmächtger Zevs, ruft sie erschrocken,
Er geht! Er flieht von meinem Strand!
Dem Fremdling gieng es hin, mich straflos zu verspotten?
Bewaffnet nicht ganz Tyrus mein Geheiß?

855
Auf, auf! Reißt aus dem Zeughaus meine Flotten!

Bringt Fackeln! Rudert frisch! Gebt alle Segel preiß!

[296]
108.

Wo bin ich? – Ach, was für ein Wahnsinn reißt mich fort?
Jetzt hat dein feindlich Schicksal dich ereilet,
Unglückliche! Da galts, da war der rechte Ort,

860
als du dein Reich mit ihm getheilet.

Das also ist der Held voll Treu, voll Edelmuth,
der seines Vaters Last auf fromme Schultern lud,
der mit sich führen soll auf allen seinen Bahnen
die Heiligthümer seiner Ahnen!

109.

865
Konnt ich in Stücken ihn reissen, nicht zerstreun

im Meer, ihn und sein Volk? Nicht seinen Sohn erwürgen?
Auftischen ihm zum Mahl? – Wo aber meine Bürgen,
daß er nicht siegte? Mocht es immer seyn!
Was fürchtet, wer entschlossen ist zu sterben?

870
Sein Lager steckt ich an, mit einer Löwinn Wuth,

vertilgte Vater, Sohn, die ganze Schlangenbrut,
und theilte dann frohlockend ihr Verderben!

[297]
110.

O du, vor dessen Strahlenangesicht
kein Menschenwerk sich birgt, erhabnes Licht!

875
Du Gattinn Zevs, die meine Leiden kennet,

du Hekate, die man durch Stadt und Land
auf finstern Scheidewegen heulend nennet,
ihr Furien, ihr Götter, deren Hand
die sterbende sich weiht! Vernehmt von euren Höhen

880
der Rache Aufgebot! Neigt euch zu meinem Flehen!


111.

Muß der Verworfne doch zum Ufer sich noch ringen,
ist dem Verhängniß nichts mehr abzudingen,
ists Jovis unabänderliches Wort,
o so erduld er alle Kriegesplagen,

885
von einem tapfern Volk aus seinem Reich geschlagen,

gerissen aus des Sohnes Armen,
such' er bey Fremdlingen Erbarmen,
und sehe schaudernd der Gefährten Mord!

[298]
112.

Und fügt er sich entehrenden Verträgen,

890
so mög er nimmer sich des Throns noch Lebens freun.

Er falle vor der Zeit! Dieß sey mein letzter Segen,
mit diesem Wunsch geh ich dem Acheron entgegen,
im Sande liege unbeerdigt sein Gebein!
Dann Tyrier verfolgt mit ewgen Kriegeslasten

895
den ganzen Saamen des Verhaßten,

dieß soll mein Todesopfer seyn!

113.

Kein Friede noch Vertrag soll jemals euch vereinen,
ein Rächer wird aus meinem Staub erstehn,
in ihren Pflanzungen mit Feur und Schwerdt erscheinen,

900
früh oder spät, wie sich die Kräfte tüchtig sehn.

Feindselig drohe Küste gegen Küste,
rachgierig thürme Fluth sich gegen Fluth,
Schwerdt blitze gegen Schwerdt, der späten Enkel Brüste
entflamme unversöhnte Wuth.

[299]
114.

905
Sie sprachs und sann voll Ungeduld, die Bande

des traurgen Lebens zu zerreissen, rief
Sichäus Amme (ihre eigne schlief
den langen Schlummer schon im mütterlichen Lande)
laß, spricht sie, teure Barce, schnell

910
die Schwester sich mit frischem Quell

benetzen, sag ihr an, daß sie die Thiere
und die bewußten Opfer zu mir führe.

115.

Du selbst, geliebte, säume nicht,
mit frommer Binde dir die Schläfe zu verhüllen,

915
ich will des angefangnen Opfers Pflicht

dem unterirrdschen Zevs erfüllen,
und meinen Gram auf ewig stillen.
Sogleich flammt mit dem Bösewicht
der Holzstoß in die Luft! – Sie sprichts und sonder Weile

920
wankt jene fort mit ihres Alters Eile.

[300]
116.

Sie selbst, zur Furie entstellt
vom gräßlichen Entschluß, der ihren Busen schwellt,
mit bluterhitztem Aug, gestachelt von Verlangen,
der Farben wechselnd Spiel auf krampfhaft zuckenden Wangen,

925
jetzt flammroth, jetzt, vom nahenden Geschick

durchschauert, bleich, wie eine Büste,
stürzt in den innern Hof, und, Wahnsinn in dem Blick,
besteigt sie das entsetzliche Gerüste.

117.

Reißt aus der Scheide des Trojaners Schwerdt,

930
(ach, nicht zu diesem Endzweck ihr geschenket!)

doch, als ihr Blick sich auf Aeneens Kleider senket
und auf das wohlbekannte Bette, kehrt
sie schnell in sich, verweilt bey diesem theuren Orte,
läßt noch einmal den Thränen freien Lauf,

935
schwingt dann aufs Bette sich hinauf,

und scheidet von der Welt durch diese letzten Worte:

[301]
118.

Geliebte Reste! Zeugen meiner Freuden,
solang's dem Schicksal und den Himmlischen gefiel!
Entbindet mich von meinen Leiden,

940
empfangt mein fließend Blut, auf euch will ich verscheiden.

Ich bin an meines Lebens Ziel.
Vollbracht hab ich den Lauf, den mir das Loos beschieden,
jetzt fliehet aus des Lebens wildem Spiel
mein großer Schatten zu des Grabes Frieden.

119.

945
Gegründet hab ich eine weitberühmte Stadt,

und meine Mauren sah ich ragen,
bestraft hab ich des Bruders Missethat,
der Rache Schuld dem Gatten abgetragen.
Ach! hätte nie ein Segel sich

950
aus der Trojaner fernem Lande

gezeigt an meines Tyrus Strande,
wer war glückseliger als ich!

[302]
120.

Sie sprichts und drückt ins Kissen ihr Gesicht.
Und ohne Rache, ruft sie, soll ich fallen?

955
Doch will ich fallen, doch! Gerochen oder nicht!

So ziemts, ins Schattenreich zu wallen!
Es sehe der Barbar vom hohen Ozean
mit seinen Augen diese Flammen steigen,
und nehme meines Todes Zeugen

960
zum Plagedämon mit auf seiner Wogenbahn.


121.

Eh diese Worte noch verhallen,
sehn ihre Frauen sie, durchrannt
von spitzgen Stahl, zusammenfallen,
das Schwerdt mit Blut beschäumt, mit Blut die Hand

965
besprützt. Ihr Angstgeschrey schlägt an die hohen Säulen

der Königsburg; sogleich macht des Gerüchtes Mund
die grauenvolle That mit tausendstimmgem Heulen
dem aufgedonnerten Karthago kund.

[303]
122.

Da hört man von Geschrey, von jammervollem Stöhnen,

970
von weiblichem Geheul die hohlen Dächer drönen,

des Aethers hohe Wölbung heult es nach.
Nicht fürchterlicher konnt es tönen,
wenn in Karthagos Stadt die Flut der Feinde brach,
das alte Tyrus fiel, der Flammen wilde Blitze

975
sich fressend wälzten durch der Menschen Sitze

und durch der Götter heilges Dach.

123.

Geschreckt durch den Zusammenlauf der Menge,
durchschauert von dem gräßlichen Gerücht,
stürzt Anna halb entseelt sich durchs Gedränge,

980
zerfleischt mit grimmgen Nägeln das Gesicht,

die Brust mit mörderischen Schlägen.
Das also wars, ruft sie der Sterbenden entgegen.
Mit Arglist fiengst du mich! Dazu der Opferheerd,
dazu das Holz und des Trojaners Schwerdt!

[304]
124.

985
Weh mir verlaßnen! Wen soll ich zuerst beweinen?

Unzärtliche! Warum verschmähtest du im Tod
die Schwester zur Begleiterinn? Vereinen
sollt uns derselbe Stahl, von beider Blute roth!
Und fleht' ich darum Tyrus Götter an, erbaute,

990
daß ich allein dich deinem Schmerz vertraute,

dieß Holzgerüste? Weh! Mich ziehst du mit ins Grab,
dein armes Volk, dein Reich, dein Tyrus mit hinab.

125.

Gebt Wasser, gebt, daß ich die Wunden wasche,
mit meinen Lippen ihn erhasche,

995
wenn noch ein Hauch des Lebens auf ihr schwebt.

Sie rufts und steht schon oben auf den Stuffen,
stürzt weinend an der Schwester Hals, bestrebt
an ihrer warmen Brust ins Leben sie zu rufen,
die schon der Frost des Todes überflogen,

1000
zu trocknen mit dem Kleid des Blutes schwarze Woogen.

[305]
126.

Umsonst versucht (aus weitgespaltnem Munde
pfeift unter ihrer Brust die Wunde,)
umsonst die sterbende, den schwerbeladnen Blick
dem Strahl des Tages zu entfalten,

1005
rafft dreimal sich empor, von ihrem Arm gehalten,

und dreimal taumelt sie zurück,
durchirrt, das süße Licht der Sonne zu erspähen,
des Aethers weiten Plan und seufzt, da sies gesehen.

127.

Erweicht von ihrem langen Kampf, gebeut

1010
Saturnia der Iris fortzueilen,

der Glieder zähe Bande zu zertheilen,
zu endigen der Seele schweren Streit.
Denn da kein Schicksal, kein Verbrechen,
Verzweiflung nur sie abrief vor der Zeit,

1015
so hatte Hekate den unterirrdschen Bächen

das abgeschnittne Haar noch nicht geweiht.

[306]
128.

Jetzt also kam, in tausendfarbem Bogen
der Sonne gegenüber, feucht von Thau,
die Goldbeschwingte durch der Lüfte Grau

1020
herab aufs Haupt der Sterbenden geflogen:

Dieß weih ich auf Befehl der Gottheit dem Kozyt,
ruft sie, vom Leibe frei mag sich dein Geist erheben.
Sie sagts und lößt das Haar ab, schnell entflieht
der Wärme Rest, und in die Lüfte rinnt das Leben.