Die Baumwollengarnspinnerei, Appretur und Bleiche von Lohse & Naumann in Schlettau

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Titel: Die Baumwollengarnspinnerei, Appretur und Bleiche von Lohse & Naumann in Schlettau
Untertitel:
aus: Album der Sächsischen Industrie Band 1, in: Album der Sächsischen Industrie. Band 1, Seite 177–180
Herausgeber: Louis Oeser
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Louis Oeser
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Erscheinungsort: Neusalza
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Kurzbeschreibung: siehe auch: Baumwollengarn-Spinnerei v. Naumann & Lohse in Schlettau
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Baumwollengarnspinnerei, Appretur u. Bleiche v. Naumann & Lohse in Schlettau.

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Die Baumwollengarnspinnerei, Appretur und Bleiche von Lohse & Naumann in Schlettau.


In einer angenehmen Gegend des oberen Erzgebirges, theils in dem schönen Zschopauthale, theils an dem sanften Abhange eines gegen Süden aufsteigenden Berges, eines Vorläufers des mächtigen Scheibenberges, liegt über dem linken Zschopauufer und an dem Rothenbach, an der von Annaberg nach Schwarzenberg führenden Chaussee, das alte Bergstädtchen Schlettau, 1952 Fuß über der Meeresfläche. Ehemals bis zu dem dreißigjährigen Kriege herab sehr bedeutend, zählt es jetzt in 197 bewohnten Gebäuden nur noch 1944 Einwohner, allerdings wieder eine bedeutende Vermehrung gegen 1834, wo es in 151 Häusern 1528 Einwohner hatte und gegen 1779, wo in 98 Gebäuden 492 Menschen lebten. Schlettau liegt in der Nähe vieler Städte; seine Entfernung von Annaberg beträgt eine Stunde und von Buchholz ¾ Stunden und eben so viel von Scheibenberg, in dessen Gerichtsbezirk es gehört; von Elterlein und Geier ist es 1¾, von Grünhain 2½, von Jöhstadt 3 und von Zwickau 10 Stunden entfernt.

Die Hauptbeschäftigung der Einwohner Schlettaus besteht in Posamentirarbeit und 1854 gab es hier 109 Posamentirmeister (1820 nur 30) mit 48 Gesellen und 90 Lehrlingen, welche inclusive der Frauen auf 350 Stühlen arbeiteten, und diese Zahl ist sich bis jetzt ziemlich gleich geblieben. Die meisten Posamentirer sind aber Lohnarbeiter, theils für hiesige, theils für auswärtige Kaufleute und ihr Loos ist im Allgemeinen nicht sehr glänzend zu nennen, denn nur wenn die Geschäfte besonders gut gehen, kann der Posamentirer hoffen, es die Woche bis auf drei Thaler Verdienst zu bringen, während gewöhnlich [178] der ganze jährliche Verdienst nur achtzig bis neunzig Thaler beträgt; eine Frauensperson aber – wenn sie die Nacht mit zu Hilfe nimmt – bringt es die Woche auf zwanzig Neugroschen. – Ein weiterer Erwerbzweig ist das Franzendrehen und Nähen, mit dem sich gegen vierhundert Frauen und Mädchen beschäftigen. – Auch die Spitzenklöppelei wird betrieben, vorzüglich häufig im Winter, wo die Feldbeschäftigung eines großen Theils der Einwohner ruht; denn man treibt hier viel Feldbau und Viehzucht, sowie einige Torfgräberei und sprichwörtlich sagt man auch von den Schlettauern: „ist der Bauer auf dem Felde, so ist kein Bürger zu Hause.“ – Endlich findet eine bedeutende Anzahl Personen bei dem industriellen Etablissement der Firma Lohse und Naumann Beschäftigung.

Der einst so ansehnliche Bergbau um Schlettau, welcher dieser Stadt einen vorzüglichen Rang unter Sachsens Bergstädten erwarb, ist jetzt gänzlich gesunken, ja, verschwunden. Ehemals besaß die Stadt die Gruben Gottes-Gnade- und Grüner-Zweig-Erbstollen am Lauseberge, Rosenbusch-Fundgrube am Scheibenberge, so wie Sankt-Michaels-Stollen, wo die reichsten Silbererze brachen, und sich selbst gediegenes Silber und Kobalt fand; auch der edle Granat war häufig in dem dort vorkommenden Gaeus. Diese Gruben sind verfallen und die zuletzt noch bestandene Zinnwäsche mit Pochwerk ist verschwunden. – Auch die ehemals weitberühmte Bierbrauerei, welche noch 1697 594 Faß Bier braute, ist gegen sonst sehr unbedeutend geworden.

Gegenwärtig besitzt Schlettau nur zwei bedeutende industrielle Etablissements, das eine die rühmlich bekannte Flachsaufbereitungsanstalt von Friedrich Lohse, auf welche wir nächstens ausführlicher zurückkommen werden, und

die Baumwollengarnspinnerei, Bleiche und Appretur von Lohse und Naumann.

Die Gebäude dieses Etablissements zerfallen in drei getrennt liegende Complexe, von denen der ansehnlichste an dem nördlichen Ende der Stadt liegt, wo der Rothenbach sich mit der Zschopau vereinigt; seinen Mittelpunkt bildet das über alle anderen Gebäude emporragende gethürmte alte Schloß.

Dieser erste Complex umfaßt

ein großes Spinnereigebäude;
ein Bleich- und Appreturgebäude;
das zu einem Trockenhause umgewandelte alte Schloß;
ein Wohngebäude, das neuere Schloß, mit der Wohnung des Besitzers und dem Comptoir, und noch mehrere andere Gebäude zu verschiedenen Zwecken.

Gegenüber von diesem liegt der zweite Complex, bestehend aus

einem großen, schön gebauten Spinnereigebäude mit Thürmchen;
einigen Nebengebäuden und
einer Gärtnerwohnung mit Gewächshäusern u.s.w.

Entfernter endlich liegt noch

ein ansehnliches Spinnereigebäude nebst Nebengebäude.

Zusammen bestehen diese Gebäude aus

neun Hauptgebäuden und
fünfundzwanzig Nebengebäuden.

Hierzu kommen noch mehrere Mühlen und Wohnhäuser in und bei der Stadt, welche ebenfalls Eigenthum des Herrn Naumann sind.

Das Schloß – bei welchem sich auch ein Teich befindet – ist mit reizenden englischen Gartenanlagen umgeben; auch sonst gehören zu dem Etablissement noch mehrere Gärten, sowie Wiesen und Felder.

[179] Die hier vertretenen Branchen sind:

das Baumwollengarngeschäft,
die Baumwollengarnspinnerei,
die Bleichanstalt und
die Appreturanstalt.

Die Haupterzeugnisse des Etablissements sind Posamentir- und Webergarne in roh und gebleicht.

In den drei Spinnereigebäuden sind zusammen neun bis zehntausend Spindeln im Gange, betrieben durch Wasserkraft; und es werden im Ganzen hier fortwährend mehr als zweihundert Leute beschäftigt.

Besitzer des Etablissements ist Herr Julius Herrmann Naumann. Es hat sich derselbe um Schlettau und Umgegend viel Verdienste erworben, z. B. daß er in dem Theuerungsjahre 1847 nicht nur seinen Arbeitern fortwährend Beschäftigung gab, sondern auch vielen Anderen bei der damals herrschenden Arbeitslosigkeit durch Ausführung von Bauten – namentlich eines bedeckten Canals zu einer Spinnerei, welcher bedeutenden Kostenaufwand verursachte, – Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst bot.

Das Etablissement wurde im Jahre 1811 von den Herren Lohse und Naumann gegründet und mit zweitausend Spindeln in Gang gesetzt; es fand nach und nach, namentlich aber von 1840 an, seine jetzige Ausdehnung.

Das alte Schloß, welches jetzt zu industriellen Zwecken dienen muß, was seine Erbauer und späteren fürstlichen Bewohner gewiß nicht geahnt, ist ein vier Stock hohes, ganz nach altem Styl erbautes Gebäude, mit großen, in ihren Stöcken mit Leistenwerk verzierten, jetzt aber fast ganz zugemauerten Fenstern, außerordentlich dicken und festen Mauern und einem Thurm. – Oft hat es seine Besitzer gewechselt, viele Stürme sind an seinen altersgrauen Mauern vorübergebraust und mancherlei sind die Schicksale, welche es im Laufe der Zeiten erfahren, und um den Unterschied zwischen Sonst und Jetzt dieses alten Bauwerks klarer vor Augen zu führen, sei es uns vergönnt, einen kurzen Rückblick auf seine Geschichte zu werfen.

Die Sage läßt in den ältesten Zeiten hier Raubritter hausen, und obgleich sich keine historischen Belege dafür finden, so wollen wir in Berücksichtigung jener wilden Zeiten die Möglichkeit nicht bestreiten, daß das älteste Schloß, welches stand, ehe noch Schlettau selbst existirte – das erst 1367 Stadtgerechtigkeit erhielt – seiner Zeit als Raubschloß gedient haben mag, doch jedenfalls nicht lange, denn 1240 wird es als Besitzthum des reichen Cisterzienserklosters Grünhain aufgeführt. Aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich die zweite, ebenfalls durch keinen historischen Nachweis begründete Sage, dieses Schloß sei auch einst Kloster gewesen.

Von dem Kloster kam Schlettau in die Hände der angesehenen Familie von Schönburg, von welcher Glieder hier wohnten, und es stand unter Oberhoheit der meißnischen Markgrafen. Im Jahre 1413 aber vertauschte es Fritz von Schönburg, überhaupt ein großer Klosterfreund, gegen einige in Böhmen gelegene Ortschaften wieder an das Kloster Grünhain, welches nun bis zu seiner 1536 erfolgten Aufhebung in dessen Besitz blieb. Während dieser Zeit aber hatte das Schloß, gleich der Stadt, schwere Drangsale zu überstehen, denn die Hussiten stürmten und ruinirten es mehrere Male, aber sie wurden auch 1553 hier von Friedrich dem Sanftmüthigen gänzlich geschlagen und man legte zum Andenken an diese Schlacht drei Pfeilspitzen in den Thurmknopf des Schlosses, wo sie 1649 noch gefunden wurden. 1525, als die deutschen Bauernunruhen auch im Erzgebirge Anklang fanden, drangen im April die ausgestandenen Unterthanen des Abts von Grünhain plötzlich mit Gewalt in das Schloß, plünderten und verwüsteten es.

[180] Nach der Secularisation des Klosters fiel Schlettau an den Herzog Georg den Bärtigen und das Schloß wurde von ihm und seinen Nachfolgern als Jagdschloß benutzt und oft haben sich von nun an sächsische Regenten oder Mitglieder des Fürstenhauses kürzere oder längere Zeit hier aufgehalten. Vater August besuchte Schlettau einige Mal; 1595 hielt sich der Administrator Friedrich Wilhelm mit den kurfürstlichen Prinzen und dem Herzog Johann Casimir von Sachsen-Coburg längere Zeit hier auf. Besonders häufig nahm der jagdlustige Kurfürst Johann Georg I. auf dem Schloß Schlettau seinen Aufenthalt. So besuchte er es unter Anderen 1613, obgleich im genannten Jahre die Pest in Schlettau herrschte; 1615 kehrte er längere Zeit wieder und schoß damals bei Walthersdorf einen Hirsch, der sieben Centner und zwanzig Pfund wog. Zu jener Zeit, wahrscheinlich die glänzendste Periode des Schlosses, mögen wohl oft genug Hornfanfaren, Rossegewieher und Rüdengebell da erklungen sein, wo jetzt die Räder unaufhörlich klappern, rauschen und brausen und die Spindel ihr monotones Lied abschnurrt; in den Räumen aber, wo jetzt Waaren trocknen, sammelten sich damals die ermüdeten Waidmänner und Becher und Humpen klangen zusammen; denn Johann Georg liebte fröhliches Zechen, namentlich dem edlen Gerstensaft sprach er fleißig zu und Schlettaus damals wohlrenommirtes Bier mag wohl oft von dem Fürsten erprobt worden sein. – Auch Johann Georg II. befand sich mehrere Male in Schlettau.

Später ward das Schloß Sitz einer Oberförsterei, welche aber 1787 nach Schneeberg verlegt wurde, doch blieb das Schloß noch einige Zeit zu forstdienstlichen Zwecken benutzt. 1797 ward das alte Schloß an den Maurermeister Lohse verkauft, welcher es reparirte und auf das wohnlichste einrichtete. Auch das alte Schloß kam nun in Privathände und später in Besitz des Hofcommissairs Wunnerlich, welcher seiner Zeit dem alten Bau wieder eine gewisse Berühmtheit verschaffte, denn er war, nach der Bezeichnung seiner Zeitgenossen „ein furchtbarer Mann“. Er erschoß 1809 (8. November) den General-Accis-Einnehmer Hesse, mit dem er in Streitigkeit lebte, in der Nähe des Schlosses, und trotzte dann nicht nur allen Belagerungen, sondern hielt sich auch bis 1812 heimlich in dem Schlosse auf. 1811 war das Schloß zur Subhastation gelangt und von dem Maurermeister Lohse ebenfalls erstanden worden, doch nahm dieser es erst im folgenden Jahre in Besitz, als Wunnerlich endlich spurlos verschwunden war.