Die Burggrafen (Les burgraves), Trilogie in Versen, von Victor Hugo

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Titel: Die Burggrafen (Les burgraves), Trilogie in Versen, von Victor Hugo
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aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 5 vom 29. Juli 1843, S. 76–79
Herausgeber: Johann Jacob Weber
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Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung: Rezension des Theaterstücks von Victor Hugo
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Die Burggrafen (Les burgraves), Trilogie in Versen, von Victor Hugo.
Zum ersten Male aufgeführt auf dem Théatre-Français in Paris.

Seht ihr das schwarze Schloß dort auf der Spitze eines Felsens, wie ein Geiernest schwebend und mit Schießscharten, Zinnen und Fallthoren bewehrt? Es ist das Schloß Heppenhef. Beiläufig gesagt, man kennt in Deutschland wohl schwerlich eine Familie oder ein Schloß Heppenhef; der Name ist ohne Zweifel aus Victor Hugo’s Kenntniß des Deutschen hervorgegangen, die so luxuriös ist, daß sie sich sogar bis zum Phantastischen steigert; vielleicht dachte er an den Spottruf Hep! Hep! der auch in Frankreich bei Gelegenheit deutscher Emeuten gegen die Juden bekannt geworden ist, und verwechselte hef mit Hof, daher die seltsame Bildung Heppenhef. Kurz, dieses Schloß gehört einer alten Familie von Burggrafen. Die Herren dieser Burg

Beauvallet in der Rolle des Hiob.

haben sie, vom Vater zum Sohne, Enkel, Ur- und Ururenkel herab, seit undenklichen Zeiten besessen. Gegenwärtig, nämlich im Stücke, leben darin, Urgroßvater und Urenkel eingeschlossen, vier Generationen. Hiob ist der Name des

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Scene des zweiten Actes, wo Friedrich Barbarossa sich zu erkennen giebt.

Urgroßvaters, nach ihm kommt Magnus, nach Magnus Hatto, nach Hatto Conrad, und so geben die Grafen von Heppenhef eine Totalsumme von nahe 270 Jahren; man sieht, diese Herren stehen nicht mehr in der Jugendblüthe.

Geffroy in der Rolle des Otbert.

Mademoiselle Denain in der Rolle der Regina

Seiner Zeit galt Hiob für einen tapfern und beherzten Degen. Wie sein Panzerhemd, war auch sein Herz von Stahl; jenes widerstand dem Eisen, wie dieses der Furcht; er glaubte nur an sein Schwert, und nie ließ sich ein Fremder in der Burg erblicken, ohne daß Hiob ihn bat, Platz zu nehmen.

Magnus kam dem Beispiele seines Vaters nahe; aber es war derselbe Geist, derselbe Arm nicht mehr; das väterliche Schwert erschien ihm schon zu gewichtig, und wie sich sein Leib unter der alten Waffe beugte, wurde auch seine Seele schwächer und gab den verrätherischen Angriffen der Weichlichkeit und des Vergnügens nach.

Wie es mit Hatto steht, kann man sich denken. Der tüchtige Burggrafenstamm artet aus und wird kraftlos, und Hatto’s Sohn verspricht eine noch dürftigere Nachkommenschaft.

Was ist das für ein Geräusch, für ein Toben? Ist es das Geklirr der Waffen, der Schlachtruf der Streitenden, jenes Getöse, welches unter den Wölbungen der Burg Heppenhef erschallt? Nein, das ist der tolle Lärm eines Trinkgelages, es ist das Anstoßen der Humpen, welche sich nur leeren, um sich wieder zu füllen, und sich nur füllen, um wieder geleert zu werden. Hatto ist dabei der Anführer, und mit ihm herrschen jetzt in der Burg Ausschweifung und Gewaltthätigkeit. Entreißter sich auch einmal seinem trunkenen, tollen Leben auf der Burg, so geschieht dies nur, um sich wie ein Raubvogel von seinem Schlosse herab auf das Land zu stürzen, die Ernten zu erbeuten, die Hütten zu vertilgen, die Frauen wegzuführen und die Männer zu seinen Sklaven zu machen, während der uralte Hiob und der alte Magnus sich in die Einsamkeit des traurigen Schloßthurmes zurückgezogen haben, um dieses entehrende Schauspiel ihres eigenen Verfalls nicht vor Augen haben zu dürfen.

Beim Vater Rhein! Hatto ist heute seelenvergnügt, denn er gibt ein großes Festmahl, einen herrlichen Schmaus. Die wüsten Gesänge, die tollen Ausbrüche des Jubels donnern gegen die Zinnen und erschüttern die Luft. O du blindes, brutales Geschlecht! berausche dich; ertränke deinen Muth und die Ehre der Väter im schäumenden Becher; der Rhein ist ein fruchtreicher Strom, und die Traube, welche unter ihrer purpurnen Hülle diesen köstlichen Saft zur Reife bringt, spiegelt sich in seinen Wellen. Aber meinst du nicht, daß eine mißgünstige Schlange unter diesen Blumen lauern kann, der Schmerz in dieser Freude, die Züchtigung in diesem ungestraften Treiben, der Tod in diesem entzügelten Leben?

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Madame Mélingue in der Rolle der Guanhumara.

Woher dort der entsetzliche Schatten, welcher vor dieser verhängnißvollen Burg, wo die Orgie tost, vorbei und wiedervorbeischleicht? Ist das ein Weib? Ist’s ein Phantom? Gehört dieses Wesen der Erde an? Ist es aus dem schwarzdunkeln Abgrunde entschlüpft? Furchtbar und zurückstoßend ist das Ansehen dieses gespenstischen Wesens; Runzeln und Falten furchen sein Antlitz, und der Blick seines Auges spricht von langen Leiden und von unversöhnlichen, lange genährten Racheempfindungen. Was ist das für ein Geschöpf? Welches ungeheuere Verbrechen hat es zu sühnen, zu bestrafen? Ein ärmliches Büßergewand umgiebt seine Gestalt; ein Halseisen engt ihm den Hals ein, eine lange Sklavenkette dient ihm als Gürtel, einen eisernen Ring schleppt es mit sich am Fuße.

Dieses umheimliche Geschöpf ist – kaum sollte man’s glauben – ein Weib! Es ist Guanhumara, deren Name seinem Klange nach eher an ein mexikanisches, als an ein europäisches Idiom erinnert! Hier, sagt sie, indem sie bald da bald dorthin einen finstern Blick wirft, die Schwelgerei, dort das Elend und der Hunger! Der Tyrann auf der einen, der Sklave auf der andern Seite! Ja, jubelt nur, ihr Burggrafen, ihr habt nur ein Weib zum Feinde:

Doch zittert, Fürsten ihr! dies Weib, es ist der Haß!

Fragt ihr nun einen der gefesselten Sklaven, welche auf dem Hofe umherwanken, wer dieses garstige Weib sei, so wird er, sich bekreuzend, antworten: Eine Tochter Beelzebub’s, eine Verurtheilte, eine Hexe! – Guanhumara besitzt in der That eine übermenschliche Kenntniß! Sie versteht gräuliches Gift zu bereiten, welches einen plötzlichen Schlaf hervorbringt, sie besitzt das Geheimniß wunderbarer Getränke, welche das Opfer in’s Grab stürzen, sie hält in ihrer Hand Leben und Tod.

Es befindet sich in der Burg Heppenhef ein junger Ritter, Namens Otbert, der vor einem Jahre dahin kam, um Dienste zu nehmen, aber anstatt in den Krieg zu ziehen, bildet er sich nach dem Muster des Herrn und liebt Regina, eine junge lehnsherrliche Gräfin, nach der sich Hatto gelüsten läßt, nicht ihrer Jugend und Schönheit, sondern der herrlichen und zahlreichen Lehne wegen, womit ihre Grafenkrone geschmückt ist. So ist nun Otbert der Nebenbuhler des elenden und grausamen Hatto, und zwar im Geheimen, ohne daß Hatto darum weiß. Aber wehe! Regina lieben, heißt die Blume lieben, welche im Welken, den herrlichen Tag, welcher im Scheiden, die süße Melodie, welche im Verklingen ist. Regina leidet an einer tödtlichen Krankheit, jeder Tag raubt ihrer Jugend eine Rose, jede Stunde drängt sie dem Tode entgegen; sie wankt schwachen Schrittes, auf Otbert’s Arm gestützt, und wirft durch die vergitterten Fenster einen langen schwermüthigen Blick auf den azurfarbenen Himmel, auf die herbstlich gelben Weinreben; die Blätter fallen, sagt sie, aber sie werden wieder grünen, die Schwalben ziehen fort, aber der Frühling wird sie wieder zurückbringen:

Doch ich, nie seh’ ich mehr
Des Blattes Frühlingsgrün, des Vogels Wiederkehr!

Wer wird Regina retten? wer ihr die Gesundheit und das Leben wiedergeben? wie kann man den Stengel dieser hinschmachtenden und siechen Blume wieder aufrichten? Otbert wendet sich an die Allmacht der Guanhumara; er fleht sie an, er beschwört sie. Scheint sie doch in sein Geschick verflochten zu sein! Sie hat ihn als Kind auf ihren Armen getragen, sie weiß um das Geheimniß seiner Geburt; aber wenn er ihr den Namen seines Vaters und seiner Mutter abfragen will, steht Guanhumara bleich, stumm und unbeweglich vor ihm.

Wohl will sie Regina retten vermittelst eines jener mächtigen Säfte, welche sie aus Asien verschrieben hat; aber Guanhumara giebt Nichts für Nichts; für dies Geschenk des Lebens will sie Tod wiedergeschenkt; ja, Otbert soll, auf ein Zeichen der Guanhumara, Mörder werden; er wird Jemand würgen, wie der Henker würgt; und an dem Tage, zu der Stunde wird er diesen Jemand würgen, wann Guanhumara ihm befehlen wird, er soll zuschlagen.

Kennt ihr das Opfer, welches unter Otbert’s Dolche fallen soll? Suchet unter diesen Burggrafen! Ist’ Magnus, ist’s Hatto, ist es Hatto’s Sohn, der noch schlimmer ist als sein Vater? Weder der Großvater, noch der Sohn, noch der Enkel. Lauscht auf die Knechte, welche ein blutiges Abenteuer erzählen, das sich im Schlosse Heppenhef ereignet hat; man thut gut, auf die Diener zu hören, denn sie plaudern die Geheimnisse ihrer Herren aus.

Es war vor langer Zeit. Der alte Hiob hieß damals Fosco und hauste auf einer der furchtbaren Burgen des Rheins. Fosco und Donato – wer zweifelt, daß dies nicht deutsche Namen sind? – liebten zu gleicher Zeit dasselbe Weib. Donato wurde vorgezogen:

In einem Grabgemach, des Eingang unbekannt,
Das Liebespaar geheim sich bei einander fand.
Dort war’s, wo Fosco, rasch zur That und zornbethört,
Sie traf und das Idyll in Tragödie verkehrt.

Hirten fanden eines Tags in dem Gießbache, welcher den Fuß des Thurmes umrauschte, zwei von Dolchstichen durchbohrte Leichen; es war Donato mit seinem Schildknappen. Fosco war mit diesem doppelten Verbrechen nicht zufrieden, nach dem Morde that er der Jungfrau Gewalt an und sie gebar ein Kind, die traurige Frucht dieser Bubenthat. Die Geschichte ist aber noch viel schrecklicher; Donato war der Bruder des Fosco! Es ist dies eine Erinnerung aus Schiller’s „feindlichen Brüdern“ oder Klinger’s „Zwillingen“.

Seitdem nahm Fosco den Namen Hiob an, Hiob der Verfluchte. Die Jahre haben sich über seinem Haupte gehäuft, und mit den Jahren die Gewissensbisse; aber diese Gewissensbisse des greisen Hiob genügen Guanhumara nicht. Zweifelt man noch, daß Guanhumara das Mädchen war, welches von Donato geliebt wurde? Sie hat ihre Ehre und den Tod ihres Geliebten zu rächen – eine schreckliche Rache, welche sie seit funfzig Jahren in den Tiefen ihrer Seele nährt und hütet; eine solche Rache müßte doch endlich des Hoffens und Harrens müde werden.

Guanhumara ist nicht das Weib, welches sich mit gewöhnlichen Mitteln begnügt; sie ist raffinirter! Sie bewaffnet Otbert gegen Hiob, Otbert, diesen Sohn, welcher ein Sproß der Gewaltthat Fosco’s ist. Wirklich, diese Burg Heppenhef ist ein wüstes, verfluchtes Schloß, wo Bruder- u. Vatermord ihre Wohnung aufgeschlagen haben.

Nichtsdestoweniger setzt Hatto sein Sündenleben fort. Den Becher in der Hand schwelgt er und stimmt lustige Lieder an. Ihm zur Seite berauscht sich auch sein Sohn mit ihm: Was, Conrad, Du bist erst sechzehn Jahre alt? O Du hoffnungsvoller junger Mensch! – Und Dein Vater, Dein Großvater, wie steht’s mit denen? fragt Einer den Hatto. – Wahrhaftig, ich weiß nichts von ihnen; alte Narren sind’s; ich verdrängte sie und bediene mich meines Rechts! –

Nun überläßt sich diese Rotte übermüthiger, trunkener und schamloser Burggrafen allen Tollheiten der wildesten Entsittlichung; sie verspotten die Liebe und die Ehre, das Gewissen und den Eid. Aber eine schreckliche und zürnende Stimme läßt sich plötzlich vernehmen, es ist die Stimme des Magnus, welchen das Tosen dieses Gelags aus seinem einsamen Thurme hervorgelockt hat. Was ist das? ruft er aus:

– – Ihr jungen Leute lärmt!
Gewährt dem Alter doch, daß es sich träumend bärmt!
Der Glanz des Festmahls macht der Greise Augen schwächer;
Einst stieß man Schwert an Schwert – Anstoßet Ihr die Becher!

Ligier in der Rolle des Friedrich Barbarossa, als Bettler.

Mit wüstem Lachen, mit höhnischem Spotte wird die Anrede des Magnus beantwortet. Sein Loos ist das der Greise, deren weise Worte an der Frivolität und dem Gespött der Jugend zu Schanden werden. Bald bietet sich für die praktische Anwendung der brutalen Philosophie dieser Burgherren eine Gelegenheit dar. Ein mit Lumpen bedeckter Greis, so alt wie Hiob, klopft an das Thor; er begehrt gastfreundlicher Aufnahme; mit Steinwürfen, schreit Hatto, solle man diesen Narren hinausweisen. Da ergreift Hiob selbst das Wort, er äußert, wie es zu seiner Zeit ganz anders gewesen sei; wenn sie da geschmaust hätten, sitzend um einen auf einer goldenen Schüssel dargebotenen ganzen Ochsen, und es sei ein zerlumpter Bettler gekommen, da hätten sich die Freiherren sogleich erhoben, da hätten sich die Fürsten, selbst die des heiligen römischen Reichs, verneigt und die Alten hätten ihre Hände dem Unbekannten entgegengestreckt und gerufen: Herr, seid willkommen! Man soll den Fremden eintreten lassen! fügt er hinzu – Wer murrt noch? – Man schweige! Und Alle schaudern, als er sein Haupthaar schüttelt, bei dem mächtigen Schall seiner Worte. – Ehre dem Bettler! Ehre unserm Gaste! heißt es. Und dieser Bettler ist bestimmt, die auf dieser Burg grassirenden Geheimnisse zu vermehren.

Der Bettler ist eben nicht anmuthig in seiner Erscheinung; auf seinen Schultern wallt ein zerlumpter Mantel, welcher auch sein Haupt und seine runzelvolle Stirn bedeckt; tief und hohl sind seine Augen; ein dichter, vom Alter weißgefärbter Bart fließt in langen Silberlocken auf seine Brust herab; er stützt sich auf einen großen Knotenstock, wie ein irrender Pilger nach vollendeter Bußfahrt. An den Füßen trägt er bestäubte Sandalen und um die Hüften einen [79] Strick, von welchem ein Rosenkranz herabhängt. Indeß zeugt dies Alter von Macht und Kraft und unter diesen Lumpen verbirgt sich etwas unerklärlich Großes.

Doch wer ist dieser Mann? Hört nur, wie er über das Elend Deutschlands seufzt; wie er über den Verfall und die Schwäche dieses großen herabgekommenen Reiches klagt, wie er die Wunden des gemeinsamen Vaterlandes aufdeckt, welches die Beute von Lungerern und Strauchdieben ist! Ist das die Sprache eines Bettlers? eines armen Herumschlenderers, der auf Steinen schläft, an der Quelle seinen Durst stillt und sich Nationen und Fürsten wenig kümmern läßt? Nur Geduld! bald werden wir diesen Alten erkennen; aber noch ist die Zeit dazu nicht da; er muß sich erst auf der Bank von Stein niederlassen und im warmen Strahle der Sonne seine zweiundneunzig Jahre erquicken; denn zweiundneunzig Jahre, nicht mehr, nicht weniger ist er alt, dieser räthselhafte Unbekannte.

Inzwischen ist Regina wieder aufgeblüht. Guanhumara’s allmächtiges Elixir hat, Tropfen für Tropfen, der hinschwindenden Regina Leben und Lebenslust wieder eingetröpfelt. Aber Guanhumara fordert ihren Lohn, und worin er besteht, daß wißt Ihr. Guanhumara will durch einen Meuchelmord wieder bezahlt sein. „Ich habe mein Versprechen gehalten!“ – „Auch ich werde das meinige halten“, erwiedert Otbert. – „Wohl! ich erwarte Dich diesen Abend!“ – „Wann?“ – „Um Mitternacht!“ – „Ich werde dort sein.“ – „Du wirst dort Jemand finden.“ – „Sein Name?“ – „Fosco!“ – „Wer ist dieser Fosco?“ – „Diesen Abend sollst Du’s erfahren.“

Diese wüthende Guanhumara wird durch nichts mehr gerührt, ja, ihr Haß, ihre Wuth steigern sich noch, als sie bemerkt, daß der alte Hiob über Regina’s Wiederaufleben seine Freude äußert. Wie, denkt sie, er soll noch glücklich sein? er soll noch Freude empfinden? Hiob thut inzwischen zärtlich mit Regina und plaudert mit ihr von Otbert; er liebt diesen, ein geheimer Instinkt, eine unerklärliche Zärtlichkeit ziehen ihn zu Otbert. „Sieh, meine Regina,“ dies sind seine Worte: „diese edle Gestalt erinnert mich an mein letztgeborenes Kind; als Gott es mir gab, meinte ich, er habe mir verziehen; zwanzig Jahre sind’s bald! – Ein Sohn für mein Alter, welch ein Geschenk des Himmels! – Ohne Aufhören ging ich zu seiner Wiege; selbst wenn er schlief, plauderte ich wohl mit ihm; denn wenn man sehr alt ist, wird man auch sehr kindisch. Abends wiegte ich auf meinen Knieen sein blondes Haupt. Ich spreche mit Dir von einer Zeit – Du warst noch nicht auf der Welt – – – – Ein Jahr hatte er noch nicht, aber Geist; er kannte mich wohl! – Ich hatte ihn Georg genannt – Einst, bitterer Gedanke! spielte er im Felde – Ach, wenn Du Mutter sein wirst, laß Deine Kinder nicht zu entfernt von Dir spielen! – Man raubte ihn mir!“

Hiob ist, wie man sieht, obgleich etwas brudermörderisch, doch eine gute Haut. Ja, er ist sogar so human, die Entführung Regina’s durch Otbert zu begünstigen. Wäre er Herr zu Heppenhef, so würde er sie verheirathen; aber was würde der wilde Hatto dazu sagen? Unsere jungen Liebesleute haben kein anderes Mittel, Hatto’s Zorne zu entgehen, als die Flucht. „Mein Thurm,“ sagt Hiob, „hat eine Verbindung mit dem Schloßgraben; die Schlüssel dazu sind in meinem Besitz.“ Und in der That, Hiob will selbst die Schlüssel holen. Wahrlich viel für einen hundertjährigen Alten!

Unglücklicherweise hat Guanhumara dies Gespräch gehört und Hatto davon benachrichtigt. Dieser kommt wüthend herbeigestürzt. Otbert fordert ihn heraus. „Du bist ein bloßer Abenteurer!“ schreit Hatto, „rufe einen Edelmann zur Unterstützung und ich werde mich mit Dir schlagen!“ Da ertönt eine furchtbare Stimme: „Ich bin zweiundneunzig Jahre, ich, ich werde mich Dir stellen!“ Es ist der Bettler, der sich durch die Menge drängt. – Wer bist Du? – Friedrich von Schwaben, der Kaiser Deutschlands! – Er hat sich, unbekümmert um die Gesammtinteressen des Reichs, als Bettler in die Räuberhöhle der Burggrafen geschlichen, um sie zur Rechenschaft zu ziehen und zu strafen. Hatto und seine Kumpane bieten Trotz; was gilt ihnen ein Kaiser? Und wie wird es diesem Kaiser ergehen? – Es soll nicht sein! schreit da Hiob, es soll nicht sein! Hiob hat noch als Zögling der alten Schule Respect vor dem Kaiser. Er fällt ihm zu Füßen und nöthigt seinen Sohn und die Bewaffneten, dasselbe zu thun. Barbarossa aber wendet sich zu Hiob und sagt ihm feierlich: Fosco! – Himmel! – Kein Geräusch! – Erwarte mich Abends da, wohin Du Dich jede Nacht begiebst.

Wir haben nun die beiden ersten Abtheilungen dieser Trilogie: „L’aïeul“ und „Le mendiant“ skizziert, es bleibt uns noch die dritte „Le caveau perdu“ übrig.

Dieser unterirdische Ort ist furchtbar und düster, nur ungewiß und zweifelhaft erhellt durch einen Schimmer, welcher durch zum Theil zertrümmerte eiserne Gitter fällt. Hier ist der Brudermord begangen worden, durch diese Oeffnung hat Fosco oder Hiob den von ihm gemordeten Donato und dessen Schildknappen hinabgestürzt; hier ist Guanhumara von ihm entehrt worden, und Mord, Brudermord, Entehrung irren als gespenstige Erinnerungen in diesem schrecklichen Gewölbe umher.

Hiob steigt herab, und der Anblick dieses traurigen Schauplatzes erweckt in ihm das Andenken an sein Verbrechen. Eine Stimme ertönt: „Kain! Kain! Kain! was hast du mit deinem Bruder gethan?“ – Hiob zittert, schaut umher und erblickt Guanhumara. Sie entdeckt sich, und Hiob erkennt in ihr jene Ginevra wieder, die er entehrt hat, die Verlobte des von ihm ermordeten Donato. Die Zeit der Strafe ist nun da, aber Hiob – Fosco soll grausam büßen; er soll im nächsten Augenblicke sterben, am Orte, wo er Donato getödtet, sterben durch die Hand seines eigenen Sohnes; denn dieser Sohn, sagt Guanhumara zu ihm, lebt noch, ich war es, die ihn dir raubte. – Ich will ihn sehen! ruft Hiob. – Ja, antwortet sie:

– – – – – ihn sehen werdet Ihr!
Er ist’s, von dessen Dolch Ihr fallen sollt allhier –
Der Otbert ist’s!

Hiob glaubt an eine solche Grausamkeit nicht; nein, Otbert kann, wird ihn nicht tödten! – Er wird es thun, antwortet sie; ich habe dafür meine Bürgschaft; schont er Dein, so stirbt Regina, bereits ist ihr Sarg bereitet; sieh’ selbst! – Und wirklich, einige Verlarvte bringen den Sarg herbei und öffnen ihn – da liegt Regina, eingeschlafen; ein Trank, von Guanhumara bereitet, hat diesen dem Tode benachbarten Schlummer bewirkt. Bleibt Hiob am Leben, so wird sie die Dosis verdoppeln, und es wird um Regina geschehen sein. Wohl denn! Hiob wird sich dem Tode bieten.

Otbert erscheint, Guanhumara hält sich verborgen; Otbert bebt vor Hiob’s ehrwürdigem Ansehen zurück, wie etwa jener Cimber, welcher aufschrie: Nein, ich kann den Cajus Marius nicht tödten! – Ein seltsamer Streit erhebt sich nun zwischen Beiden, Otbert schwankt zuzustoßen und der Alte fordert es. – Tödte mich, ich habe meinen Bruder getödtet! ruft er. Otbert ist nun entschlossen; aber deus ex machina! ein Greis erscheint und fällt Otbert in den erhobenen Arm. – Dieser Bruder, welchen Hiob unter schrecklichen Gewissensbissen beweint, lebt – ich bin es, ruft der Greis. Wer ist es? drollig genug: Kaiser Barbarossa selbst, einst im Schlosse Heppenhef unter dem Namen Donato bekannt. Hiob-Fosco ist der Bastardsohn des frühern Kaisers, dessen legitimer Sohn Friedrich Barbarossa ist. Guanhumara hat nun keinen Grund zur Strafe mehr, denn Donato oder Friedrich Barbarossa hat seinem Bruder verziehen. Aber Jemand muß doch sterben, der Sarg ist einmal da, warum sollte er leer ausgehen? Guanhumara wird ihn füllen; gebt Acht! In der That, sie stößt einen Schrei aus, wirft noch einen letzten Blick auf ihren früheren Geliebten Donato, jetzt Barbarossa, und verscheidet.

Der Ton, in welchem wir unsere ziemlich ausführliche Analyse gehalten haben, beweist, wie viel komisches Element in Victor Hugo’s Tragik liegt, oder wie verführerisch sich die Versuchung aufdringt, dieses so furchtbar ernste Drama in das Komische herabzuziehen. Wie willkürlich der Dichter mit der Localität und der Zeit umgesprungen ist, liegt auf der Hand! Es ist im hohen Grade possierlich, wenn er Friedrich Barbarossa, der 70 Jahre alt im Morgenlande umkam, noch in seinem zwei und neunzigsten auf dem Schlosse Heppenhef – der Schutzgeist der deutschen Sprache verzeihe dem Dichter diesen für deutsche Ohren ganz unromantischen, höchst lustigen Namen – mit einer alten Geliebten zusammenbringt! Und der hundertjährige Hiob hat noch einen Sohn, welcher erst etwas über zwanzig Jahre alt ist – welch ein vorweltliches Geschlecht muß dem Verfasser vor Augen geschwebt haben! Alle nur immer denkbaren Unwahrscheinlichkeiten und Ungeheuerlichkeiten sind hier über und unter einander gehäuft; dabei wenig Fortschritt in der Handlung, desto mehr Erzählung und Schilderung! In den Schilderungen zeigt sich indeß auch hier, wie ein rascher, greller, aber wirkungsreicher Blitz, nicht selten das poetische Genie Victor Hugo’s; die Verse haben einen vollen Klang, etwas Pomphaftes; die Poesie des Wortes waltet überall vor. Aber gerade diese Poesie des Wortes verlangt der Besucher des Theaters am wenigsten; er begehrt die Poesie der Handlung, und ist er auch fähig, mehr als er sollte, sich an Unwahrscheinlichkeiten zu erbauen, so will er sie doch nicht in so grober Fülle, noch in so langweilig dichter Masse, wie sie hier aufgespeichert sind. Für die Blätter, welche vom Witze leben, ist dies neue Stück von Victor Hugo eine ergiebige Fundgrube. So bemerkt der Charivari, es sei Schade, daß sich der Komet nicht gleich am Tage der ersten Aufführung dieses Stücks habe erblicken lassen; doch sei es möglich, daß die Burggrafen diesmal wider Berechnung des Kometen diesem etwas zuvorgekommen wären.

Was die Costüme und die äußere Ausstattung betrifft, so bilden diese in dem Stück die Hauptschönheiten; die Panzer und Sturmhauben klingen darin mit den Versen des Dichters um die Wette. Die Darsteller gaben sich die möglichste Mühe, und namentlich verstand es Madame Mélingue, die Rolle der an sich ganz unwahrscheinlichen, ja unmöglichen Guanhumara vortheilhaft hervorzuheben.

4.