Die Deutschen in Australien (Die Gartenlaube 1885/32)
Die Deutschen in Australien.
Der Weg nach Australien ist weit. Ehe Maury’s treffliche Beobachtungen dem Schiffer die Anleitung zu richtiger Benutzung der Luft- und Meeresströmungen gegeben hatten, konnte sich die Fahrt über mehr als fünf Monate erstrecken, erst die Durchstechung der Landenge von Suez verringerte sie auf eben soviel Wochen. Und mit welchen Leiden und Entbehrungen war diese langwierige Fahrt verbunden! Nur mit Schaudern kann man an die Einrichtung und Ausstattung der Passagierschiffe vor dreißig bis vierzig Jahren zurückdenken. In den engsten Raum zusammengepfercht, auf schlechte Nahrung und noch schlechteres Wasser angewiesen, in Krankheitsfällen berathen von einem Arzt, der nie das Innere eines akademischen Lehrsaales gesehen hatte, so schwammen die Auswanderer der neuen Heimath entgegen, die manch einer niemals erreichte. Waren solche Uebelstände auf der vierzehntägigen Seereise nach New-York, Philadelphia oder Baltimore allenfalls zu überwinden, so wurden sie auf einer mehrere Wochen in Anspruch nehmenden Fahrt nach Adelaide oder Melbourne geradezu unerträglich.
Außerdem hatte sich bisher das schwachbevölkerte Land der Wälder und Steppen nur durch eine mäßige, freilich schnellwachsende Produktion von Wolle bekannt gemacht. Wer aber war so elend in Deutschland, daß er sein Los mit dem eines Schäfers in Australien hätte vertauschen mögen? Die Küste, welche England zur Ablagerungsstätte für sein sociales Kehricht bestimmte, hatte nichts Verlockendes für unsere Europamüden. Erst als ein anderer Theil des Kontinentes und zwar mit strenger Ausschließung aller verbrecherischen Elemente der Kultur gewonnen werden sollte, fanden sich unsere Landsleute zur Mitarbeiterschaft bereit.
In Preußen fühlten sich um jene Zeit viele Lutheraner durch die unter Friedrich Wilhelm III. vollzogene Union der beiden protestantischen Glaubensbekenntnisse zu einer apostolischen Landeskirche in ihrem Gewissen beschwert, und Tausende der Altgläubigen griffen zum Wanderstabe.
Gerade um dieselbe Zeit war in England der lange ventilirte Plan der Gründung einer Kolonie am Golf St. Vincent an der Südküste von Australien zur endlichen Reife gediehen. Die englische Regierung hatte die Südaustralische Kompagnie mit weitgehenden Rechten sowie mit großartigen Landbewilligungen ausgestattet. Man bedurfte der willigen Hände, diese Ländereien fruchtbringend zu machen, und die Anerbietungen unserer Landsleute, Australien zum Ziele zu wählen, wurden von den Direktoren jener Gesellschaft mit Freuden angenommen. Namentlich ihrem Begründer, George Fife Angas, paßten die Deutschen vortrefflich in seine Pläne, er sorgte für ihre Ueberfahrt und siedelte sie auf seinen weiten Besitzungen an, sehr zu seinem eigenen Vortheil, wenngleich auch die Deutschen sich bald zu Unabhängigkeit und Wohlstand emporarbeiteten.
Im Hintergrunde der südaustralischen Hauptstadt Adelaide steigt bis zur Höhe von mehr als 600 Meter ein schönbewaldeter Gebirgsrücken auf, der mit kleinen Unterbrechungen und unter wechselnden Namen bis hoch in den Norden der Kolonie hineinreicht. In kühlen, wohlbewässerten Thälern gedeiht hier manche Pflanze, die in den trockenen, heißen Ebenen der Kolonie nicht leben kann.
[531] In diesen Thälern wie an der äußeren Berglehne gründeten die Deutschen eine Reihe von Dörfern zu einer Zeit, da außer dem Hauptdorf Adelaide kaum ein englisches Dorf in der Kolonie vorhanden war. Mit Axt und Brand lichteten sie den mächtigen Eukalyptenwald und streuten ihre Saat zwischen die einsam aufragenden Stämme abgestorbener Baumriesen, deren nacktes Gezweig den verderblichen Schwärmen von Kakadus und Loris einen Schutz ferner nicht mehr bot. Wo der schwarzbraune Australier ehedem seine leichte Laubhütte aufgeschlagen hatte, da erbauten sie ihre festen Häuser, niedrige, langgestreckte Gebäude, nach dem Muster des sächsischen oder slavischen Bauernhauses, aus Fachwerk, Balken und Feldern in grellen Farben, am liebsten blau oder roth und weiß, recht scharf kontrastirend; über Alles breitete sich das tief hinabreichende Strohdach, dessen sich kreuzenden Giebelenden mit den roh geschnitzten Pferdeköpfen nur das Storchnest fehlte, um den Beschauer ganz vergessen zu lassen, daß über ihm nicht die grauen Wolken der nordischen Mark hinzogen, sondern der tiefblaue Himmel der Antipoden sich wölbte.
War diese erste Auswanderung religiösen Motiven entsprungen, so trieb die Unzufriedenheit mit den bestehenden politischen Verhältnissen den zweiten Zug übers Meer. Zwar dachte man noch nicht an Australien, als nach dem Wartburgfeste jene Periode politischer Verfolgungen über Deutschland hereinbrach, welche viele Hunderte zum Theil völlig schuldloser, zum Theil von schwärmerischer Begeisterung irregeleiteter Personen über die Grenzen des Vaterlandes hinaus trieb, um nicht das Schicksal ihrer in den Kasematten deutscher Festungen begrabenen Gefährten zu theilen. Diese Flüchtlinge wandten sich zumeist nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika. An Australien dachte man erst, als auf die zweite nationale Erhebung des Jahres 1848 ein zweiter, kaum weniger verhängnißvoller Rückschlag folgte.
Eine große Gesellschaft bildete sich zu Berlin unter der Leitung der Brüder Schomburgk und des Dr. Mücke, eine andere war schon früher in Bremen unter Eduard Delius zusammengetreten; beiden aber fehlte das zusammenhaltende Band, und sofortige Zerstreuung aller, sobald sie das neue Land betraten, war ihr unverzügliches Los. Aber die Meisten waren mit Weib und Kind hinüber gezogen, Alle mit dem festen Vorsatze, in dem neuen Lande Wurzel zu schlagen. Viele von ihnen gehörten zu den gebildeten Ständen, sie sind auch unter ungünstigen Verhältnissen ihrer Vergangenheit nicht untreu geworden, und manch Einer hat sich in hartem Kampfe einen ehrenvollen Platz in seiner Adoptivheimath erobert.
Und abermals floß ein frischer Strom deutschen Blutes nach Australien hinüber, als dieser Welttheil das alte Europa durch seine ans Märchenhafte grenzenden Goldentdeckungen elektrisirte. Waren früher Hunderte hinübergezogen, so schifften sich jetzt Tausende ein. Hatten ehedem ernste Männer und Frauen mit schwerem Herzen und nassem Auge den Staub des Vaterlandes von ihren Füßen geschüttelt, so eilten jetzt leichtherzige, von Hoffnungen berauschte Glücksjäger übers Meer, das sie bald goldbeladen auf dem Rückwege zur Heimath zu durchmessen gedachten. Bei wie Wenigen haben sich die hochfliegenden Erwartungen wirklich erfüllt! Einige sind enttäuscht zurückgekehrt, manch Einer ist verdorben, gestorben, die Meisten sind geblieben, um in bescheidenerem Maße stetig arbeitende Schmiede ihres Glückes zu werden.
Wie sich der Pulsschlag des australischen Lebens von der fieberhaften Erregung jener Goldzeiten zum normalen Gang alltäglicher Entwickelung beruhigte, floß auch der Strom europäischer, namentlich deutscher Einwanderung schwächer, bedächtiger. Wer jetzt hierher kam, der gedachte, wenn nicht für immer, so doch auf lange Jahre zu bleiben. Inzwischen hatten gerade während jener alle gesellschaftliche Ordnung umstürzenden Periode die ruhige Besonnenheit und das Ausharren auf dem einmal bezogenen Posten – Eigenschaften, die allein bei den Deutschen hervortraten – den hohen Werth unserer Landsleute als Kolonisten in so hellem Lichte erscheinen lassen, daß eine Regierung der australischen Kolonien nach der andern durch Bewilligung freier Ueberfahrt und andere Vergünstigungen dieselben für sich zu gewinnen suchte. Namentlich Queensland, die jüngste der sieben Schwestern, machte die größten Anstrengungen. Und so ist es denn gekommen, daß der Schwerpunkt der deutschen Bevölkerung, der sich geraume Zeit in Viktoria befand und später nach Südaustralien verlegt wurde, gegenwärtig in dieser nördlichsten Kolonie zu suchen ist. Freilich dürfen wir das nur gelten lassen, wenn Zahlen den Ausschlag geben.
Es ist aber schwer, den Bestand der deutschen Bewohner des Australkontinents ziffermäßig darzustellen. Den Nachwuchs der ins Land Gezogenen begreift die australische Statistik immer als Australier. Das Stammland der Eltern bleibt dabei ganz unberücksichtigt. So wurde der aus den kinderreichen deutschen Ehen entsprossene junge Stamm der deutschen Nationalität nicht mehr zugerechnet. Und sehr häufig kann er darauf auch in keiner Weise Anspruch machen.
Man hat die Auswanderer eines Landes mit einem wohlausgerüsteten Heere verglichen, welches, sobald es die Grenzen seiner Heimath überschritten hat, spurlos verschwindet. Der Vergleich trifft auch darin zu, daß das Heer aus Männern und zwar solchen in der Vollkraft ihrer Jahre besteht. So war es auch in Australien. Zogen auch, wie wir gezeigt haben, ganze Gemeinden hinaus, um drüben neue Ortschaften mit alten heimathlich klingenden Namen zu begründen, so bestand doch der Hauptstrom deutscher Auswanderung, namentlich zur Blüthezeit der Golddiggings, vorwiegend aus Männern. Der Deutsche aber mit seinem ausgesprochenen Familiensinn baut sich gern bald sein Nest, suchte sich hier seine Lebensgefährtinnen unter den Töchtern der englischen Einwanderer, und damit waren seine Kinder und sehr häufig er selber seiner eigenen Nationalität verloren. Aber auch die Kinder deutscher Eltern nahmen mit der englischen Sprache bald auch englische Sitten an.
Ehe der Schulmeister von Sadowa den Briten die Augen öffnete, war der Name German nichts weniger als ein Ehrenname, den man noch lieber durch das synonymisch geltende Dutchman ersetzte. Die oft ausgesprochene Entrüstungsfrage: Glauben Sie, ich bin ein Dutchman oder noch besser ein damned Dutchman? kennzeichnete deutlich genug die damalige englische Schätzung der deutschen Nationalität. Was Wunder, wenn sich die Jugend der herrschenden Nation mit Wärme anschloß und der eigenen den Rücken kehrte, ja oft nur mit Beschämung sich ihrer Abstammung erinnerte? Ein völliger Umschwung trat aber erst ein, als der glänzende französische Kaiserthron unter wuchtigen deutschen Schlägen in Trümmer zerfiel.
Die Nachkommen der Waffengefährten des Prinzen Eugen, Friedrich’s des Großen, Blücher’s mußten wohl einigen Respekt vor deutscher Tapferkeit haben; sie, die so manchen deutschen Künstler und Gelehrten in ihre Mitte aufgenommen hatten, konnten schon früher nicht umhin, deutsche Wissenschaft zu achten; aber diese Achtung blieb bei dem Einzelnen stehen, sie übertrug sich nicht auf das Ganze. Welcher Ausländer hätte in der Misere deutscher Kleinstaaterei, in der Periode des Liebäugelns deutscher Fürsten mit dem Auslande und der geschmeidigen Gefügigkeit gegen dasselbe eine solche Achtung wohl haben können?
Und so muß man es voll und ganz anerkennen, daß, trotz der englischen Vorurtheile, in Australien deutscher Tüchtigkeit allezeit freie Bahn gegeben worden ist. Männer wie Ludwig Leichhardt, Ferdinand von Müller, Richard Schomburgk, die höchsten Zierden des australischen Deutschthums, hätten nirgendwo sonst eine bereitwilligere Unterstützung ihrer Arbeiten finden können. Durchmustert man die Listen der Beamten und durch Ehrenämter Ausgezeichneten, so begegnet man einer stattlichen Reihe deutscher Namen. Und diese Tüchtigkeit ist in der australischen Presse wie in den Parlamenten der Kolonien jederzeit offen anerkannt worden. In den oft recht erregten Massenversammlungen, welche Protest einlegen sollten gegen die jüngsten friedlichen Eroberungen Deutschlands in Oceanien, hat sich nie eine Stimme gegen Deutschland und die Deutschen erhoben. Unsere Landsleute haben sich in jenem Welttheile eine Stellung erobert, auf die sie selber und wir mit ihnen stolz sein dürfen.
Desto schmerzlicher müssen wir es beklagen, daß diese Tüchtigkeit einem fremden Lande zugute kommt. Was die Deutschen als Ackerbauer, als Handwerker, als Kaufleute, als Gelehrte leisten – auf jedem dieser Gebiete wird ihr Name rühmend genannt – das ist dem Lande, dem sie entsprossen, verloren. Und selbst das Band, welches Sprache und Sitten noch um sie und die alte Heimath schlingen, lockert sich mehr und mehr. Zwar wo der deutsche Landsmann, wie in Südaustralien und Queensland, noch in kompakten, von keinem fremden Elemente durchbrochenen Ansiedelungen lebt, wird sich die deutsche Nationalität noch lange erhalten. Jedenfalls ist ihre Lebensdauer von den Alten, die [532] nicht Australien ihr Geburtsland nennen, nicht loszulösen. Wenn aber dieser Stamm einmal dahingegangen ist, ohne daß ein Zufluß frischen Blutes eine Verstärkung gebracht hätte, wenn die bisher reindeutschen Schulen durch die Konkurrenz billigerer englischer Staatsschulen erdrückt sind, dann wird auch hier sich eine Wandlung vollziehen trotz der deutschen Klubs, der Gesang- und Turnvereine, in welchen schon jetzt englische Elemente eine Rolle zu spielen beginnen. Der Deutsche wird in dem englischen Australier untergehen.
Für viele Deutsche hat das nichts Schmerzliches. Wenn sich der deutsche Geist mit dem fremden Geist so vermählt, daß das Produkt der innigen Verbindung eine Vereinigung der guten Eigenschaften beider wird, so nennen sie das eine geistige Auferstehung. Es ist das ein gefälligerer Name für eine angebliche Bestimmung unserer Nation, welche ein rauherer Mund mit dem Ausdruck „Völkerdünger“ gebrandmarkt hat. Möge sie unseren deutschen Brüdern jenseit des Meeres erspart bleiben! E. Jung.