Die Gartenlaube (1855)/Heft 16
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No. 16. | 1855. |
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„Ich sah Sie diesen Morgen bei der Fontaine!“ stammelte sie. „Mein Gott, wie froh bin ich, daß es keine Täuschung war! Und dennoch mußte ich daran glauben.“
„Amalie, dann setzen Sie wenig Vertrauen in mich!“ sagte Albrecht im Tone sanften Vorwurfs. „Nach unserer letzten Unterredung in Spaa hätte ich Ihre heimliche und schnelle Abreise für unmöglich gehalten.“
Sie warf einen seelenvollen Blick auf den Baron.
„Für unmöglich?“ fragte sie weich.
„Oder sollte ich anmaßend genug gewesen sein, ein Glück vorauszusetzen, dessen ein Anderer würdiger gewesen?“
Sie trat rasch zu ihrer Toilette und holte einen Brief hervor.
„Lesen Sie!“
Der Baron las: „Angebetete Amalie! Die Vorsehung hat es gewollt, daß ich ein Duell zu bestehen hatte. Mein Gegner ist zugleich Ihr gefährlichster Feind, denn er entbrennt in lasterhafter Begierde zu Ihnen und sucht Sie mit allen Künsten der Hölle zu umstricken. Noch lebt sein ihm angetrautes Weib, und schon richtet er die lüsternen Blicke nach Ihnen, die er durch Schmeichelworte und Lügen zu berücken hofft – die heilige Jungfrau, unsere Schutzpatronin, hat Sie vor Ihrem listigen Feinde sicher gestellt, denn der Baron von Beck athmet nicht mehr, er ist in dem Zweikampfe gefallen, zu dem er mich gewaltsam gezwungen. Vereinigen wir uns diesen Abend zu einer Wallfahrt nach dem Gnadenbilde, um gemeinschaftlich unser Dankgebet abzustatten. Nehmen Sie die Versicherung treuester Ergebenheit von – Alphons von Funcal.“
„Was ist das? Was ist das?“ fragte der überraschte Albrecht.
„Diesen Brief," flüsterte Amalie, „erhielt ich Mittags zwölf Uhr – um ein Uhr reiste ich ab," fügte sie bewegt hinzu, „da mich nichts mehr an Spaa fesselte, als eine traurige Erinnerung. Wenn ich jetzt meine Freude über Ihr Wiedersehen ausspreche, so habe ich keinen andern Grund, als daß Sie dem Leben und – Ihrer Gattin erhalten sind.“
„Amalie!“
„Auf einen Besuch, Herr Baron, habe ich nicht gerechnet!“
Sie nahm mit einer Verbeugung den Brief aus seiner erstarrten Hand, und verbarg ihn wieder in dem Kasten der Toilette.
„Himmel, welche geheimnißvolle Macht verfolgt mich!“ sagte Albrecht, der von seinem Erstaunen kaum zurückkommen konnte. „Das Duell hat wirklich stattgefunden, ich konnte ihm nicht ausweichen, da meine Ehre verletzt war und vielleicht auch meiner Sicherheit Gefahr drohte; aber nicht ich ward verwundet, sondern mein Gegner, der vielleicht in diesem Augenblicke nicht mehr athmet.“
„Herr von Funcal verwundet?“ fragte Amalie mit einem schmerzlichen Lächeln. „Wann fand das Duell statt?“
„Kurz vor Mittag.“
„Jener Brief ist von seiner eigenen Hand geschrieben, die ich genau kenne – wie ist es möglich, daß er ihn gleich nach dem Kampfe verfassen und absenden konnte? Da Sie an seinem Leben zweifeln, muß er schwer verwundet sein – – “
Der Baron begriff, daß Amalie nicht anders urtheilen konnte.
„Das ist allerdings seltsam!“ murmelte er verwirrt. „Ich begreife nicht, wie das möglich ist – aber, Amalie, wie der Brief die Lüge von meinem Tode enthält, die ich durch meine unverletzte Person constatire, so sind auch die übrigen Angaben falsch.“
„Sie wären nicht verheirathet?“ fragte Amalie mit einem hellen glänzenden Blicke.
„Ich war es! Eine unbesonnene Jugendschwärmerei ließ mich den Schritt ohne Vorwissen meines Vaters thun. Aber Katharina ist längst todt, und jenes Billet von ihr, das Sie kennen – “
„Das ich kenne, Herr Baron?“ fragte Amalie verwundert. „Sie erlauben mir die Versicherung, daß der Brief des Herrn von Funcal mir die erste Andeutung gab – hätte ich ahnen können,“ fügte sie mit beleidigtem Stolze hinzu, „daß Sie bereits durch heilige Bande gefesselt seien, ich würde Ihre zärtllche Annäherung mit Verachtung zurückgewiesen haben!“
Bei den letzten Worten zitterte ihre Stimme, und das feine Roth ihrer zarten Wangen verwandelte sich in Purpur. Albrecht hatte keinen Grund, an der Wahrheit dieser Entrüstung zu zweifeln.
„Jenes Billet,“ stammelte er verwirrt, „befand sich in dem Taschenbuche, das Sie mir als Andenken verehrten.“
„Unmöglich, mein Herr!“
„Verzeihung, mein Fräulein, wenn ich beharre! Aber ich würde es nicht gefunden haben, wenn es mir Herr von Funcal nicht bezeichnet hätte.“
„Herr Baron, welchen Plan verfolgen Sie mit mir? Soll ich an eine Mystification glauben? Mein Taschenbuch ist nie in den Händen Funcal’s gewesen – “
„Und dennoch fand ich unter dem schwarzen Blatte das Papier. Amalie, lassen Sie uns vereint forschen! Jener Funcal hält uns mit unsichtbaren Banden umschlungen – begreife ich doch selbst nicht, wie er die Ereignisse meines Lebens erfahren. Aber das ist mir klar, daß er mich als seinen bevorzugten Nebenbuhler betrachtet und kein Mittel scheut, mich aus dem Wege zu räumen. Amalie, ich liebe Sie heiß und innig – können Sie sich der Sphäre entrücken, der Sie bisher [206] angehörten, so werden Sie nicht mehr allein stehen, Sie werden bald den Namen einer geachteten Familie tragen, denn ich schwöre Ihnen, daß ich Herr meines Willens und meines Herzens bin. O, glauben Sie mir, ich stehe nicht mehr in dem Alter, wo man leichtsinnig verspricht und handelt – jetzt erst habe ich die wahre Liebe kennen gelernt – Amalie, entscheiden Sie über das Glück meines Lebens!“
Er sank zu ihren Füßen nieder und sah mit flehenden Blicken, die klar die Tiefe seiner Leidenschaft verriethen, zu ihr empor. Amalie ließ ihm ihre Hand, die er mit Innigkeit an sein Herz drückte. Sie schien sich einen Augenblick in dem Triumphe zu gefallen, den Baron zu ihren Füßen zu sehen. Plötzlich, wie von einer Erinnerung ergriffen, zuckte sie zusammen. Zugleich fragte sie:
„Was soll ich glauben? Herr von Funcal liegt verwundet in Spaa, während sein Brief mir Ihren Tod berichtet –?“
„Glauben Sie, was Sie sehen, Amalie!“
„Stehen Sie auf!“ bat sie ängstlich.
„Sprechen Sie mein Urtheil aus!“
„Mein Herr!“
„Haben Sie Verpflichtungen – Ihr Gatte wird sie als ein Mann von Ehre lösen!“
Ein Blitz zischte, und ein furchtbarer Donnerschlag erschütterte das Haus, daß die Fenster laut erklirrten. Der Kniende erhob sich. Da folgte ein zweiter, noch stärkerer Schlag. Die erschreckte Amalie schwankte – er umfing die Sinkende mit seinen Armen. Geschlossenen Auges lag das reizende Wesen an seiner Brust. Ihr zartes Wesen hatte plötzlich eine Lilienblässe überzogen, und ihre Pulse schienen still zu stehen. Albrecht war seiner Sinne nicht mehr mächtig; wie berauscht küßte er die fein geschweiften Lippen und drückte den wunderbar schönen Körper fester an sich. Er schwelgte in den Wonnen, die er in der zärtlichen Berührung dieses Engels fand. In dem Augenblicke, als er sie in dem Sopha niederließ, schlug sie die Augen auf. Verwirrt und beschämt entzog sie ihm ihre Hände. Da ließ sich Geräusch in dem angränzenden Zimmer vernehmen.
„Großer Gott!“ flüsterte Amalie, indem sie sich mit Anstrengung erhob. „Das hatte ich nicht bedacht!“
„Wer befindet sich dort?“ fragte Albrecht, in dem eine gräßliche Eifersucht erwachte.
„Findet man Sie hier, so ist es um mich geschehen!“
„Um Sie? Ich vertheidige Sie!“ rief der Baron, der sich seiner Waffe erinnerte.
„Dann bin ich für Sie verloren!“ flüsterte Amalie in einer unbeschreiblichen Angst. „Um Gotteswillen, entfernen Sie sich still und heimlich! Der geringste Verdacht bereitet mir ein schreckliches Loos! Wenn Sie mich lieben,“ bat sie mit Thränen in den Augen, „so verlassen Sie mich! Es giebt keine Waffe, mit der Sie mich in diesem Augenblicke vertheidigen können!“
„Amalie, lieben Sie mich?“ flüsterte er dringend.
„Sie sehen meine Angst, Herr Baron! Sie mag Ihnen als Antwort auf Ihre Frage dienen! Erwarten Sie Herrn Barchon, er wird Ihnen sagten, wo Sie mich morgen finden!“
In dem Nebenzimmer erklangen Schritte. Der Schrecken bleichte Amalie’s Gesicht – zitternd drängte sie den Baron zur Thür.
„Ein Pfand Ihrer Liebe!“ bat er.
Sie drückte ihm flüchtig einen Kuß auf die Lippen.
„Bewahren Sie mein Geschenk!“ flüsterte sie dann.
„Und ich sehe Sie hier wieder?“
„So wahr ich mein Glück von Ihnen erwarte! Vertrauen Sie mir – Sie werden Alles erfahren!“
Albrecht verschwand aus dem Zimmer, dessen Thür Amalie hinter ihm schloß. Er eilte über den Corridor die Treppe hinab. Auf der Hausflur traf er Barchon, der leise auf und ab ging.
„Nun?“ fragte er lächelnd.
„Sie werden mir morgen Nachricht von Amalie bringen. Jetzt begleiten Sie mich.“
„Ich bedauere, Herr Baron.“
„Warum?“
„Weil ich in Amalie’s Interesse hier bleiben muß.“
„Ich verdoppele die versprochene Summe; aber ich bleibe bei Ihnen.“
„Dann treten Sie in mein Wohnzimmer.“
Der lange Mann führte Albrecht in ein Zimmer des Erdgeschosses. Kaum waren sie eingetreten, als sich das schwere Gewitter zu entladen begann.
Der Vormund.
Kaum war Amalie allein, als sich an der Thür, die zu dem Nebenzimmer führte, ein Klopfen vernehmen ließ.
„Es war hohe Zeit, daß er ging!“ flüsterte sie. „Wohlan, ich selbst werde die Krisis herbeiführen, um endlich klar zu sehen.“
Nachdem sie ihre Toilette flüchtig geordnet, öffnet sie die Thür. Ein Greis, in einen prachtvollen Sammetpelz gehüllt, trat ein. Forschend sah er durch das elegante Boudoir. Die Blicke der großen, hellen Augen verriethen deutlich seinen Argwohn.
„Das schwere Gewitter treibt mich aus meiner Kammer,“ sagte er. „Waren Sie allein, Amalie?“
„Ich stehe im Begriffe, meine Kammerfrau zu rufen.“
„Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Gesellschaft leiste, bis das Gewitter vorübergezogen ist.“
Der alte Mann ließ sich in dem Sopha nieder. Amalie beobachtete ängstlich die Blitze, deren grelles Licht durch die herabgelassenen Vorhänge der Fenster drang.
„Es ist seltsam,“ begann der Greis. „Mir war, als ob ich in meinem halb wachen Zustande die Stimme eines Mannes hörte. Nicht wahr, Amalie, ich muß mich wohl getäuscht haben?“
„Herr Graf, glaubt Ihr Argwohn einen Todten in meiner Gesellschaft?“ fragte sie ironisch.
„Einen Todten, mein Kind! Die Gräber öffnen sich nicht wieder, wenn sie einmal geschlossen sind! Sie verzeihen meine Besorgniß, Amalie – die Todten fürchte ich nicht, aber die Lebendigen. Darum will ich die kurze Zeit meines Lebens benutzen, um Ihr Loos in jeder Beziehung sicher zu stellen.“
„Das heißt, mich und mein Vermögen einem Kloster zu übergeben?“
„Amalie, Sie verkennen immer noch meine Absicht. Als Ihr Vater starb, setzte er mich zum Administrator seines Vermögens und zum Vormunde seiner Tochter ein. Das Erstere verwalte ich mit gewissenhafter Treue, denn es ist zu einem großen Reichthume angewachsen – die Letztere entzog sich meiner Fürsorge, indem sie zu einer weltlich gesinnten Tante nach Brüssel ging. Steht mir auch Ihr Seelenheil höher als Ihr Vermögen, so habe ich dennoch darauf Bedacht genommen, Ihnen einen guten und braven Lebensgefährten zu verschaffen, der nicht minder für Ihr irdisches als für Ihr geistiges Wohl sorgt.“
„Das ist mehr als ich erwarten kann!“ sagte Amalie überrascht. „Ich werde indeß keinen Mann heirathen, der nur mein Vermögen im Auge hat.“
„Er liebt Sie Ihrer selbst wegen, mein Kind; er weiß nicht einmal, daß Sie Vermögen besitzen. Er lernte Sie in Spaa kennen und lieben.“
„In Spaa?“
„Und bewarb sich um Ihre Hand!“ sagte lächelnd der alte Graf.
Amalie dachte an die beiden Heiraths-Candidaten. Sie zweifelte nicht daran, daß der Graf den im Sinne hatte, der seinen Namen führte.
„Sie meinen Alphons von Funcal?“ fragte sie gespannt.
„Wäre er auch nicht mein Vetter, ich würde ihm dennoch Ihr Glück anvertraut haben. Er ist von edler Familie und besitzt einen vortrefflichen Charakter. Sie sehen, daß ich nicht eigensinnig darauf beharre, Sie in ein Kloster zu schicken. Jeden Zweifel an seiner wahren Liebe zu Ihnen hat er dadurch beseitigt, daß er Ihnen, der unbekannten Schönen, seine Hand antrug und dann mit einem gefährlichen Raufbolde sich schoß, um Ihre Ehre zu retten. Wie er schreibt, hat er den Sieg mit einer Wunde erkauft, die ihn noch einige Tage von der Reise abhält. Und welch’ eine wunderbare Fügung der allweisen Vorsehung liegt in allen diesen Verhältnissen. Alphons bittet mich, jedes Heirathsprojekt für ihn aufzugeben, da sein Herz bereits an einen Engel gefesselt sei. Wie wird er staunen, wenn er bei seiner Ankunft sieht, daß ich ihm das Mädchen seiner Wahl zuführe. Das ist kein Zufall, mein Kind, das ist ein [207] Fingerzeig Gottes, den man nicht unbeachtet lassen darf, ohne eine Sünde zu begehen. Alphons war das Werkzeug, dessen sich der Höchste bediente, um einen verrätherischen Ehemann zu bestrafen – Sie wissen, wen ich meine!“
„Also das ist es,“ dachte sie; „jetzt sehe ich klar!“
„Ich benutze den heutigen Abend, um Sie auf Ihre Zukunft vorzubereiten,“ fuhr der Graf fort. „Sie haben die Wahl zwischen Alphons und dem Kloster. Mein Wille ist der Ihres verstorbenen Vaters, und ehe das Fest der Heiligthümer vorüber ist müssen Sie eine Entscheidung getroffen haben. In den nächsten Tagen kommt Alphons – prüfen und wählen Sie!“
„Und wenn ich mich nun zu keinem von beiden entschließe?“ fragte Amalie, indem sie ihr Köpfchen keck emporhob.
Der Graf lächelte einen Augenblick still vor sich in; dann sagte er kalt und ruhig:
„Sie werden mich nicht zwingen, daß ich meine Hand von Ihnen abziehe und Sie im Namen Ihres Vaters enterbe. Hoffen Sie nicht auf Ihre Volljährigkeit, die in drei Monaten eintritt – denken Sie vielmehr daran, daß Ihre Mutter nicht die angetraute Gattin Ihres Vaters war. Er hat Ihnen seinen Namen gegeben; aber die Erwerbung seines Vermögens hängt von Ihrem Betragen ab, und dies hat der Erblasser meinem Urtheile unterstellt. Sie sehen, ich habe eine Gewissenspflicht zu erfüllen. Schlagen Sie die Hand meines Neffen aus, den ich nach meiner innersten Ueberzeugung für den einzigen Mann halte, der Sie im Sinne Ihres Vaters beglücken kann, so werden Sie den Schleier wählen müssen.“
„Und mein Vermögen?“
„Fällt nach der testamentarischen Bestimmung dem Kloster anheim, in das Sie eintreten.“
„Also in spätestens acht Tagen muß ich mich entschieden haben?“
„Ja.“
„Gut, Alphons selbst mag die Entscheidung von mir holen. Auf ein Kloster rechnen Sie nicht, Herr Graf!“
„Desto besser, Amalie, denn Ihr junges Leben hat noch Anwartschaft auf eine schöne Zukunft. Eine stille, fromme Ehe ist dem Herrn nicht minder wohlgefällig als das Klosterleben. Ich will schlafen gehen, denn das Gewitter ist vorüber. Der Himmel stärke sie in Ihrem guten Vorsatze! Gute Nacht!“
Amalie küßte dem Greise die Hand und führte ihn bis zu der Thür seines Zimmers.
„Ich müßte eine große Thörin sein, wollte ich dem frommen Grafen widersprechen!“ flüsterte sie. „Die Bewerbungen des Herrn von Funcal gaben mir den ersten Anlaß zum Argwohn, und siehe da, es bestätigt sich. Aber wie plump ist die Lüge von dem Tode des Barons ersonnen! Er soll todt bleiben, um mich den Händen meines Peinigers zu entziehen. Den unbesonnenen Schritt seiner ersten Verheirathung verzeihe ich ihm, denn er ist jung und schön, und – ich liebe ihn! Daß ich Albrecht in Spaa kennen gelernt, ist eine Fügung der Vorsehung, Herr Graf! Er ist zur rechten Zeit erschienen, um mir Hülfe zu gewähren. Der Baron liebt mich meiner selbst wegen, und ich kann nicht anders als seine Neigung erwiedern, Aber noch darf er nicht wissen, daß ich des schönen, stattlichen Jägers wegen das Marienbild besuchte; er soll, seiner Meinung nach, meine Liebe erst erwerben. Fast hätte ich aus Schmerz über seinen Tod mich in das Kloster begraben, und die List des frommen Funcal wäre gelungen. Onkel und Neffe spielen eine Karte, das ist klar! Die Liebe soll den beiden Herren das Spiel verderben. War die Nachricht von Albrecht’s Tode Lüge, so ist auch die Behauptung erlogen, daß seine erste Gattin noch lebt. Ich beginne kühn meinen Plan.“
Amalie schloß die Thüren und schrieb dann einen langen Brief. Es war noch sehr früh, als sie am nächsten Morgen einen Spaziergang durch den Garten machte. Herr Barchon, der Besitzer des Hauses, trat ihr entgegen, indem er ehrerbietig grüßte.
„Sind Sie zufrieden?“ fragte er lächelnd.
„Der Baron wird Ihnen meinen Dank abstatten.“
„Ist schon geschehen, mein Fräulein, und Sie sehen mich zu ferneren Diensten bereit.“
Beide traten hinter einen blühenden Akazienstrauch, so daß sie von dem Hause aus nicht gesehen werden konnten.
„Herr Barchon, ich spreche nicht mehr von dem geizigen Grafen, der dieses Jahr zum letzten Male in Ihrem Hause gewohnt hat, denn nach sieben Jahren liegt der alte gebrechliche Mann im Grabe –“
„Darum halte ich mich an die Jugend!“ sagte der Koloß. „Jeder Mensch ist Geschäftsmann, und ich vor Allen, der ich stets mit Sorgen zu kämpfen habe, um mir dieses Haus zu erhalten. Ich bin ein armer Mann, war früher Küster am Dome und beziehe eine kleine Pension –“
„Sie haben mir das gestern erzählt, Herr Barchon. Hier ist ein Brief – befördern Sie ihn so schnell als möglich an den Baron.“
„Ich fliege, gnädiges Fräulein! Und die Antwort?“
„Ich kenne sie schon! Verlassen Sie mich jetzt, damit man unsere Verschwörung nicht ahnt.“
Beide trennten sich. Eine halbe Stunde später befand sich Amalie wieder in ihrem Zimmer, und Herr Barchon schritt rüstig durch das Thor der Stadt.
Aufklärung.
Albrecht hatte zwei Tage verbracht, ohne Amalie zu sehen. Am dritten, gegen Mittag, erblicken wir ihn vor dem Hause des Herrn Barchon. Er zog die Klingel, und der pensionirte Küster öffnete.
„Wo ist der Graf?“
„Er ist vor einer Viertelstunde aus dem Dome zurückgekehrt; jetzt betet er in seinem Zimmer. Fräulein Amalie,“ fügte Barchon flüsternd hinhzu, „befindet sich mit ihrer Kammerfrau in dem Garten.“
„Wer meldet mich dem Grafen?“
„Sie werden im ersten Stocke seinen Diener treffen.“
Der Baron stieg die Treppe hinan. Auf dem Corridor traf er den Neger. Da er wußte, daß der Schwarze nicht Deutsch verstand, machte er ihm durch Geberden begreiflich, daß er dem Grafen angemeldet zu sein wünsche. Kaum war der Neger verschwunden, als der Graf, der seinen Neffen erwartet hatt, in der Tür erschien. Verwundert ließ er den Fremden eintreten.
„Herr Graf von Funcal?“ fragte Albrecht, sich nachlässig verbeugend.
„Derselbe! Und wer giebt mir die Ehre?“
„Ein Geschäftsmann, Herr Graf, dessen Name so unbedeutend ist, daß es sich nicht der Mühe lohnt, ihn zu nennen. Auf einer Reise in Tyrol ward ich von einer schweren Krankheit ergriffen, und ich mußte mich der wohlthätigen Pflege eines Klosters anvertrauen, das, von der Welt geschieden, in einem einsamen Thale liegt. Meine Wärterin war eine fromme Nonne, deren unermüdlicher Sorgfalt ich mein Leben verdanke.“
„Wozu diese Geschichte?“ fragte der Graf, indem er mit unsteten, ängstlichen Blicken den Baron maß.
„Man nannte die Nonne im Kloster Jungfrau Benedicta – früher aber hatte sie sich Melanie Rocheval genannt, sie war eine Elsasserin.“
„Mein Herr,“ sagte der Graf, „ich bin als Wallfahrer nach Aachen gekommen –“
„Um so mehr werden Sie geneigt sein, ein gutes Werk zu vollbringen. Ich bitte, hören Sie mich noch eine Minute an. Melanie erzähle mir, daß sie von Verzeiflung über eine unglückliche Liebe getrieben, den Schleier genommen habe. Ihr Kind, die Frucht dieser Liebe zu dem reichen Freiherrn von Paulowski, sei unter der Obhut ihres Verführers geblieben. Wie sie durch Zufall erfahren, habe später der Freiherr, von Gewissensbissen gefoltert, ihre Tochter adoptirt und sie zur Erbin seines Vermögens eingesetzt. Der Freiherr, der ein religiöser Schwärmer geworden, habe unter dem Einflusse eines Freundes gestanden, und diesen als Vormund seiner Adoptivtochter eingesetzt, als er plötzlich von einer unerklärlichen Krankheit befallen und rasch gestorben sei. Seit dieser Zeit verwaltet nun der Freund das Vermögen, und der Tochter des Verstorbenen zahlt er jährlich eine kleine Rente. Ich erfülle eine Pflicht der Dankbarkeit, Herr Graf, wenn ich mich jetzt bei Ihnen nach Amalie erkundige, denn meine Wohlthäterin hat mich beauftragt –“
„Genug, mein Herr!“ sagte plötzlich der Graf, der bis hierher vor sich hinstarrend zugehört hatte. „Ich weiß jetzt genug, [208] um zu begreifen, in welcher Absicht Sie mich aufgesucht haben. Ich bin allerdings der Vormund der liebenswürdigen Amalie, und wenn es Ihnen möglich ist, der frommen Benedicta eine Antwort zu bringen, so sagen Sie ihr, daß ich nicht nur bisher meine Pflicht streng erfüllt hätte, daß ich auch gesonnen sei, mich durch keine Rücksicht bestimmen zu lassen, um ein Haar davon abzuweichen. Uebrigens bin ich nur meinem Gewissen Rechenschaft schuldig, denn mein verstorbener Freund hat mich mit voller Gewalt ausgerüstet – –“
„Amalie entweder in ein Kloster zu schicken oder sie an einen Funcal zu verheirathen, der lüstern nach ihrem Vermögen ist!“ fiel Albrecht ein. „Billigt Ihr Gewissen, Herr Graf, daß Sie einem lebensfrohen Mädchen eine solche Wahl stellen?“
„Mein Herr!“ rief der Greis mit funkelnden Augen und in einem drohenden Tone.
„Verzeihung, Herr Graf, ich bin ja nur ein Bote, und Sie werden mir erlauben, daß ich meine Botschaft vollende. Nicht der Vater allein, auch die Mutter hat ein Recht an das Kind, und wie Sie jenes, so gedenke ich dieses geltend zu machen. Die arme Nonne ist gestorben, aber auch sie hat ein Testament hinterlassen, das sich in meinen Händen befindet.“
Der Graf antwortete ironisch lächelnd:
„So genügen Sie als Testamentsvollstrecker Ihrer Pflicht, mein Herr; und da ich nicht glaube, daß wir collidiren, so ist jede weitere Rücksprache überflüssig.“
Er verneigte sich, als Zeichen, daß der Besuch sich entfernen möge. Albrecht stellte sich, als ob er die Andeutung nicht verstände.
„Das kostbare Dokument,“ fuhr er ruhig fort, „verfügt allerdings nicht über ein Vermögen, aber es enthält eine Geschichte, die für Sie nicht ohne Interesse ist. Die Nonne erzählt nämlich, daß ein gewisser Arzt den Tod des Freiherrn auf wissenschaftlichem Wege herbeigeführt habe, um den von Gewissensbissen gefolterten Mann zu hindern, die als blödsinnig in ein Kloster geschaffte Melanie, die Mutter seines Kindes, als seine Gattin anzuerkennen. Daß er Amalie adoptirte, war leider nicht zu verhindern, auch das nicht, daß sie sammt ihrem Vermögen unter die Willkür dessen gestellt ward, der nichts weniger als ihr Glück beabsichtigte. Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr, wir kommen jetzt zu dem Interessantesten. Sie wollen mich ohne Zweifel fragen, wodurch die verbrecherische Absicht des Vormundes bewiesen wird? Benedicta liefert ihn durch ein Liebesbekenntniß, das ihr der getreue Freund des Herrn von Paulowski übersandte, und sie zweifelt nicht einen Augenblick daran, daß sie auch die Erbin des Vermögens geworden, wenn sie sich hätte entschließen können, dem unbegüterten Grafen von Funcal die Hand zu reichen. Sie weigerte sich, und nun wurde das alte Experiment mit untergeschobenen Briefen gemacht, welche die Untreue der armen Melanie darthaten, und dazu bezeichnet man einen Baron von Beck, dessen Güter an die des Freiherrn grenzen. Der Baron hatte damals seine Gattin durch den Tod verloren, und es wäre wahrlich kein Wunder gewesen, wenn er seine Blicke auf die liebenswürdige Melanie gerichtet hätte, um seinem einzigen Sohne wieder eine Mutter zu geben. Diese Briefe, die noch vorhanden sind, machten den Freiherrn fast wahnsinnig, aber der Freund verfolgte ruhig seinen Plan. Melanie verschmähte es, die Hand des Erbschleichers anzunehmen, sie ertrug geduldig ihr Schicksal. Sie starb zehn Jahre später als der Vater ihres Kindes. Der Verwalter des freiherrlichen Vermögens wollte sich nun auch in den Besitz desselben setzen, und zu diesem Zwecke mußte die Erbin entweder gewonnen oder bei Seite geschafft werden. Da erschien der fromme Neffe des Erbschleichers und warb um die arme Amalie, von der er genau wußte, wieviel Vermögen sie ihm zubringen würde. Zugleich aber erschien auch der Sohn des mystificirten Herrn von Beck, er sah Amalie, liebte sie und ward wieder geliebt. Dieser gefährliche Mann mußte aus der Welt geschafft werden, und dazu ward ein Duell contrahirt, dessen Ausgang Sie ohne Zweifel kennen. Amalie, durch den Tod des jungen Barons erschreckt und betrübt, verließ Spaa, theils um ihrem Bewerber zu entgehen, theils um die Zusammenkunft mit ihrem Vormunde nicht zu versäumen. Sie sehen, daß der Faden in dem künstlich erschaffenen Labyrinthe gefunden ist. Genügen diese Andeutungen nicht, Sie zu bewegen, der volljährigen Amalie ihr väterliches Erbe zu übergeben, so werden die vorhandenen Documente der Behörde überliefert.“
Der alte Graf verlor scheinbar seine Ruhe nicht. Die großen Augen seines feinen, mit Runzeln durchzogenen Gesichts warfen spöttische Blicke auf den jungen Mann, der erwartungsvoll vor ihm stand.
„Ich glaube annehmen zu dürfen,“ sagte er lächelnd, „daß kein anderer als der junge Baron von Beck sich die Freiheit nimmt, Drohungen mir gegenüber auszusprechen?“
„Sie irren nicht, mein Herr, ich bin der Baron von Beck.“
„Also der Liebhaber der schönen Amalie? Nicht übel! Ihre Familie ist mir bekannt, und daher weiß ich, daß der letzte Sprosse, Albrecht, bereits daran gedacht hat, sein Geschlecht fortzupflanzen. Man bezeichnet die Tochter eines Försters als die glückliche Gattin des Edelmanns. Die christliche Religion verbietet die Bigamie, mein Herr, und der Staat hat eine strenge Strafe darauf gesetzt.“
„Ich bitte, Herr Graf, betrachten Sie mich nicht als den Liebhaber Amaliens, sondern als den Boten der unglücklichen Benedicta, der Sie an die Pflichten erinnert, die Sie Ihrem Gewissen und der Ehre des Edelmanns schulden. Sie sehen, man durchschaut Ihre eigennützigen Pläne und tritt Ihnen energisch entgegen. Weigern Sie sich, als ein Mann von Ehre zu handeln, so wird man Sie zu zwingen wissen.“
Der Graf bat in höhnender Weise, die Unterredung abzukürzen, da er durchaus nicht geneigt sei, irgend eine Antwort zu ertheilen. Er fürchte, fügte er hinzu, eben so wenig die Angriffe eines verblendeten Thoren, als das Urtheil eines Gerichtshofes. Albrecht verließ das Zimmer und suchte Amalie auf. Vergebens durchstreifte er den Garten. Endlich traf er Barchon.
„Wo ist das Fräulein?“
„Auf meine Nachricht von Ihrer Ankunft hat sie sich sogleich in ihr Zimmer begeben.“
„So wird sie jetzt den Ausgang meiner Unterredung wissen!“ dachte der Baron.
In dem Zimmer des pensionirten Küsters schrieb er einige Zeilen an die Geliebte; Barchon versprach sie zu befördern. Noch stand Albrecht sinnend am Fenster, er konnte sich nicht entschließen, das arme Mädchen in den Händen des Peinigers zurückzulassen, der ohne Zweifel andere Zwangsmittel ersinnen würde, um seinen Plan durchzusetzen. In dem Briefe hatte er ihr vorgeschlagen, zu entfliehen. Sei sie seine Gattin, so könne er immer noch einen Prozeß gegen den Vormund einleiten.
„Ich werde Sie nicht weniger lieben, auch wenn Sie arm und verlassen meine Gattin werden!“ schloß das Billet.
Da fuhr der Reisewagen vor das Haus. Ein Diener sprang vom Bocke und öffnete den Schlag. Herr von Funcal, der in Spaa verwundete, stieg aus. Sein Gesicht war todtbleich, er stützte sich auf den Diener, der ihn langsam und vorsichtig die Treppe hinanführte.
„Kennen Sie ihn?“ fragte Albrecht, in dem die Eifersucht mit neuer Gewalt erwachte, obgleich sein Nebenbuhler einen Anblick bot, der ein junges Mädchen wenig reizen konnte.
„Das ist der Fremde, der schon vor vierzehn Tagen dem Grafen einen Besuch abstattete,“ murmelte Barchon. „Er kam Abends an und reis’te den folgenden Morgen wieder ab.“
„Weiter wissen Sie nicht von ihm?“
„Nein!“ versicherte der Küster.
Albrecht glaubte sich jetzt die Abwesenheit Funcal’s von Spaa erklären zu können. Der fromme Mann war in Aachen gewesen, hatte von dem Grafen die Notizen über Albrecht’s erste Verbindung mit Katharina und wahrscheinlich auch die Anweisungen erhalten, sich des gefährlichen Nebenbuhlers zu entledigen. Wie aber war das verhängnißvolle Papier in das Portefeuille gekomen? Wenn die Tochter des Försters, deren Schriftzüge er genau wieder erkannt hatte, wirklich noch am Leben war? Dann unterlag es keinem Zweifel, daß sie mit dem Grafen in Verbindung stand. Aber, fragte er sich weiter, wie konnte der verrätherische Vormund voraussehen, daß ich je Amalie kennen lernen würde?
„Herr Barchon,“ fuhr er plötzlich aus seinem tiefen Sinnen auf, „rechnen Sie auf eine glänzende Belohnung, wenn Sie auf der Stelle den Brief in Amaliens Hände bringen, wenn Sie den Grafen genau beobachten und mir von jedem Vorgange Bericht erstatten. Sorgen Sie dafür, daß die junge Dame nicht abreis’t, ohne vorher eine Unterredung mit mir gehabt zu haben. Vergessen Sie nicht, daß ich reich, sehr reich bin!“
[209] Er warf dem großen Manne seine Börse zu und eilte nach der Stadt zurück.
„Die Leidenschaft des Herrn Barons muß man benutzen!“ dachte Barchon, indem er lächelnd die schwere Börse in seiner Hand wog. „Verliebte sind großmüthig, wenn es sich um die Erlangung der Geliebten handelt. Der geizige Graf ist alt; wenn er mich jetzt verläßt, werde ich ihn nie wiedersehen. Wer kann es mir verdenken, daß ich mir neue Kundschaft suche? Herr Baron, Sie sind freigebig und reich, folglich sollen Sie gut bedient werden.“
Barchon stieg die Treppe hinan, um den Brief an Amalie zu besorgen.
Southampton war schon viel früher, als sein mächtiger Nachbar Portsmouth, eine der wichtigsten Städte England. Es ist vielleicht so alt als London, wo man jetzt unter den Gräbern von mehreren hundert Generationen hervor Denkmäler alter, vorchristlicher Römerherrschaft und unter denselben vermorschte Waffen und Schädelstücke der vor den Römern herrschenden Ur-Briten hervorgräbt und in Museen sammelt. Unter der Römerherrschaft war es ein wichtiger Hafen. Und als die Dänen England eroberten, hatten sie den Schwerpunkt ihrer Macht in Southampton, nachdem sie es im Jahre 873 genommen. Es war ein Lieblingsaufenthalt Kanut’s des Großen, der hier einmal seine Höflinge furchtbar herunter gemacht haben soll, daß sie ihm keine absolute Gewalt über die Wogen des Meeres verschaffen könnten. Kanut wird sich inzwischen vielleicht zufrieden gegeben haben: brachten es doch die Diener absoluter Herren bis heute noch nicht so weit. Southampton war eine Zeit lang ein viel bedeutenderer Handelsplatz als London, nämlich so lange als Winchester, jetzt eine harmlose Landstadt etwas weiter landeinwärts, Hauptstadt Englands war. Es blühte unter verschiedenen Handelsmonopolen als der Haupt-Hoflieferant vom Auslande, besonders von Weinen, Seide, Stickereien und Spitzen und Borden aus dem damals welthandelnden Genua, wofür es einheimische Produkte ausführte. Nachdem König Heinrich IV. dessen Monopole aufgehoben, zog sich der Welthandel Englands in die Hauptstadt London zusammen, das sich seitdem zum eigentlichen mercantilen Herzen der ganzen Erde erweiterte. Als nun noch im Jahre 1665 die große Pest alle Reichen vertrieb und die zurückgebliebenen Bewohner zur größeren Hälfte dahinraffte, sank Southamptons Herrlichkeit vollends in Schutt und Staub.
Doch die Lage an einem der besten Häfen im Angesichte des atlantischen Oceans, vor dessen gröbsten Launen es außerdem durch die prachtvolle Insel Wight (sprich: Weit) geschützt ist, war eine zu vortheilhafte, als daß es nicht wieder hätte aufleben sollen, als die strotzende, schwellende Industrie Englands und seine dampfbeschwingten Land- und Meeresarme nach allen Seiten hin ausgriffen und Leben holten und gaben. Die große Südwesteisenbahn Londons erhob Southampton zu einem Haupthandelsarme der Weltstadt, und mit dem Erscheinen der Dampfkraft auf den Oceanen ward es von der Regierung zum Meeres-Postbureau für das mittelländische Meer, West-Indien und Südamerika ausersehen. Jetzt pulsirt es in regelmäßigen, kräftigen Schlägen eine fortwährende lebendige Verbindung mit London, Spanien, Portugal, Malta, Aegypten, den ionischen Inseln, der Türkei, der Krim, mit den westindischen Inseln, Brasilien u. s. w. und ist seitdem in drei- und vierfacher Lebenskraft aus seinem Grabe erstanden. Bewegliche und feste Dampfschlotte schicken nach allen Richtungen der Windrose lange, starke Schlangen von Dampf- und Rauchwolken, und selbst dem gewaltigen Oceane, an dessen Fuße der große Kanut sich über seine beschränkte Herrscherhand ärgerte, hat man bedeutende Stücke Landes abgerungen, so daß er mit jeder Fluth in neuer ohnmächtiger Wuth die Armeen seiner Wogen zum Sturme der Festungsthore heranwälzt, die dann so lange eifrig an den Thoren [210] rütteln und darüber hinwegzuspringen oder wenigstens zu sehen und Wasser hinüber zu spritzen suchen, bis sie ihr Obercommandeur, der Mond, der sich fortwährend damit beschäftigt, Oceane in Ebbe und Fluth hin und her zu schaukeln, zurücktreibt, damit sie die Arriere-Garde für die Fluth auf der andern Seite bilden. Also die auferstandenen Southamptoner haben dem Meere Land abgenommen, während es hier ebben mußte, um auf der andern Erdhalbkugel zu fluthen.
Die großen Ocean-Dampfer brauchten nach ihren anstrengenden Reisen Herbergen und Ruhestätten, die ihnen das Meer nicht gönnen wollte. So baute man an den reizenden Gestaden hin Docks und neuerdings Fluth-Docks. Man schloß zunächst 210 Morgen Landes seewärts gegen das Meer durch 1200 Yards lange Bollwerke ab. Von diesen Bollwerken gehen die Weltmeerdampfer ab, nachdem sie innerhalb derselben in vier großen, ruhigen Wasserbetten (Docks) neue Kräfte gesammelt haben. Aber die Ungeheuer bedürfen einer dicken, gesunden, heilen Haut, um ihrer innern Kraft froh zu werden. Deshalb lassen sie sich gern vor der langen Reise von Außen und Unten besehen, ob das tückische Meer keine Achillesfersen ausfindig machen könne. Zu diesem Zwecke muß man die Meeresfestungen auf’s Trockne bringen und gleichsam über sich hin in die Luft halten, ob auch der Himmel nicht durchscheine. Dies vermögen aber Menschenarme, selbst mit Flaschenzügen nicht, weder mit mechanischen, noch den vom Schenkwirth besorgten. So benutzte man die Mondsucht des Meeres, um die Schiffe in die Fluth-Docks hineinzutragen, das Wasser mit der Ebbe dann ablaufen zu lassen und ihm die Thore zu schließen, so daß es während der nächsten Fluth in ohnmächtiger Wuth draußen fluthen und fluchen muß, bis man so gefällig ist, ihm die Thore wieder zu öffnen, aber blos, damit es als gehorsamer Diener das Schiff wieder auf die Schultern nehme und säuberlich hinaustrage. Solcher Fluth-Docks hat man bereits mehrere gebaut, das jetzige aber, welches von zwei großen Dampfschiff-Compagnien construirt und hier in seiner dem Meere zugewandten Hälfte durch Abbildung anschaulich gemacht wird, übertrifft alle bisherigen Wasserbauten an Größe und praktischer Fügung. Es hat eine Länge von 430 Fuß und eine Breite von 88 in der Mitte. Die Fluththore, welche das Meere ausschließen, bilden geöffnet einen Eingang von 80 Fuß Breite. In dieser bedeutenden Ausdehnung halten sie, geschlossen, den Druck des ganzen Oceans zurück, und verziehen keine Miene, so häuserhoch sich der Herr, dem bekanntlich drei Viertheile der ganzen Erdoberfläche gehören, auch an ihnen in die Höhe bäumt und sich die verzweifeltste Mühe giebt, sie aus den Angeln zu heben und sich das Bischen geraubte Land wieder zu nehmen.
In diesem neuen Fluth-Dock werden die größten Meeresdampfungeheuer, wie der Himalaya und selbst der Wellington, ein bequemes, trockenes Bett finden, obgleich sie sich mit ihrem Kiele auf die lange harte Kante von Eisen-Quadraten, die wir in der Mitte angedeutet finden, legen müssen. Aber sie sind in dieser Beziehung nicht verwöhnt und schlafen hier besser, als wir zwischen Daunen. Leer sieht das Bett aus wie ein fünf Stockwerk tiefes ungeheures Grab, wie eine Mulde, eine Wanne, thurmhohe Riesen darin zu baden. Von seinen Rändern oben genießt man die herrlichsten, großartigsten Naturscenen, zwischen denen Industrie und Handel in athemloser, tausendarmiger Kunst und Kraft sich hin und her bewegen. Die großen, dampfenden Boten, die fortwährend aus fernen Welttheilen heranbrausen und abgehen, erweitern die Seele über die Erde hin und erwecken stolze Ahnungen von der Welttheile verbindenden, Völker bildenden und versöhnenden Kulturgewalt des erdumgürtenden Verkehrs und Handels – in der Zukunft, die unsere Kinder und Enkel als schöne Wirklichkeit begrüßen wird.
Gew. Mitglied der schweizerischen Bundesregierung und Präsident der Eidgenossenschaft.
Die Schweiz hat letzter Tage einen ihrer ausgezeichnetsten und edelsten Söhne und vielleicht den genialsten ihrer Staatsmänner durch den Tod verloren. Möge es einem seiner Compatrioten, der vielfach Gelegenheit gehabt, diesen merkwürdigen Mann in seinem öffentlichen Wirken sowohl als im Privatleben zu beobachten, vergönnt sein, in diesen Blättern dem Geschiedenen einige Worte des Andenkens niederzulegen.
Heinrich Druey wurde geboren in dem freundlichen waadtländischen Grenzdorfe Pfauen (franz. Faoug), den 13. April 1799. Er entstammte einer jener wackern, wohlhabenden Bauernfamilien, welche in der Schweiz, man möchte fast sagen, die Stelle des Adels vertreten, die den eigentlichen Kern des Landes ausmachen und deren schönste Zierden tiefer religiöser Sinn, reger Fleiß und vor allem das sorgfältig genährte Hochgefühl der Unabhängigkeit bilden. Diese Jugendeindrücke, welche Druey aus dem älterlichen Hause mit sich in das bewegte Leben hinaus genommen, die Erinnerungen an die reizenden Gelände des Murtensees, dessen hellblauer Spiegel sein heimatliches Dorf und den klassischen Boden, wo der mächtige Burgunderherzog sein Heer und sein Leben durch die schweizerische Tapferkeit einbüßte, begrenzt, haben sich nie aus dem Gemüthe des zu poetischen Träumereien geneigten Mannes verwischt. Mit großer Zärtlichkeit verehrte er stets seine schlichten Aeltern und namentlich seine Mutter, die bis zur Vergötterung an ihrem später im Vaterlande so berühmt gewordenen Sohne hing. Von Pfauen aus besuchte der Knabe die Schule des auf den Trümmern der mächtigen alten Römerstadt Aventicum stehenden kleinen Städtchen Vifflisburg, später eine Privaterziehungsanstalt in Bern und schließlich die Akademie in Lausanne, auf welcher vorzüglich in der damaligen Zeit ein reges, wissenschaftliches Leben herrschte. Mehrere später zu ausgezeichnetem Rufe gelangte Schweizer gehörten dort zu Druey’s Comilitonen und Freunden, worunter namentlich die Gebrüder Vuillemin, von Pforten, Favre und Briathe hier genannt zu werden verdienen.
Tüchtig vorgebildet zog er im Jahre 1819 nach dem Lande seiner Wünsche und der tiefen Denker, nach Deutschland, um dort vorläufig an der Universität Tübingen die Jurisprudenz zu studiren. Von dort begab er sich nach Heidelberg, wo er sich die persönliche Freundschaft des berühmten Geschichtschreibers Professor Dr. Schlossererwarb. Damals hatte Hegel’s Ruf seinen Glanzpunkt erreicht. Dieser zog den wissensdurstigen jungen Waadtländer weg von den freundlichen Ufern des Rheins nach Berlin, wo er mit glühendem Eifer alle sprachlichen Hindernisse überwindend sich dem Studium der Hegel’schen Philosophie hingab, zu deren Anhängern er später immer zählte. In Savigny’s Vorlesungen bereicherte er zugleich den Schatz seines juristischen Wissens. Hier wurde er wieder mit mehrern wissenschaftlich berühmten Persönlichkeit, namentlich mit dem geistreichen Professor Gans bekannt. Seine Studien in Deutschland beschloß er in Göttingen.
Deutsche Wissenschaft hatte nun der feurige junge Waadtländer an vier Universitäten mit unermüdlichem Eifer studirt, und dazu auch deutsches Volk und deutsche Sitten in vielen kleinern und größern Kreisen kennen gelernt, und nie hat sich das Andenken an diese schöne Zeit aus dem Gedächtnisse des Mannes verwischt, aus dessen ganzem Wesen später französische Leichtigkeit und deutsche Gründlichkeit, deutscher Tiefsinn und französisches Feuer in wunderbarer Mischung hervorleuchteten.
Von Deutschland begab sich Druey zu Fortsetzung einer juristischen und staatswissenschaftlichen Studien nach Paris. Auch hier verschafften die glänzenden Geistesgaben des jungen Schweizers ihm die Bekanntschaft und freundschaftliche Achtung mancher berühmten Persönlichkeit. Guizot, Barrot, Mignet, Thiers zählten zu seinen vertrautern Bekannten, und ersterer würdigte seine Kenntnisse so gut, daß er später mehrere Versuche machte den talentvollen Waadtländer für den französischen Staatsdienst zu gewinnen.
Druey vollendete seine Bildung in England und lebte sechs Monate in London in dem Hause des Redacteurs des „Morning [211] Chronicle.“ Hier hatte er die beste Gelegenheit, englisches Leben nicht nur in seiner glänzenden Außenseite, sondern auch enthüllt kennen zu lernen, und er hat sich die Gelegenheit auch zu Nutze gemacht, denn wenige Franzosen dürfte es geben, welche ein so richtiges Urtheil über englische Institutionen und Staatskunst abzugeben im Stande waren, wie dieses bei Druey der Fall gewesen ist.
Nach siebenjährigem Aufenthalte im Ausland kehrte nun Druey in sein Vaterland zurück, um sich in’s praktische Leben zu begeben. Er begann seine Laufbahn als Advokat in dem waadtländischen Städtchen Milden (Moudon). Sein Auftreten vor den Schranken des Gerichts, seine glänzende Beredtsamkeit und sein überall hervortretender edler Charakter erwarben ihm in sehr kurzer Zeit die Hochachtung seiner Mitbürger. Schon zwei Jahre darauf ward er zum Mitgliede des gesetzgebenden Körpers, und kurze Zeit darauf zu einem solchen des Appellationsgerichtshofes erhoben. Mit dieser Epoche beginnt Druey’s interessante und in Hinblick auf die einfach bescheidenen Verhältnisse seines Vaterlandes glänzende politische Laufbahn und seine rastlose Wirksamkeit im Verwaltungsfache und in der Gesetzgebung.
Druey’s Talente, seine Geschäftsgewandtheit, machte sich in den obersten Behörden seines Cantons auf so glänzende Weise geltend, daß er zu Anfang der vierziger Jahre als Gesandter seines Cantons an die eidgenössische Tagsatzung geschickt wurde, zu deren hervorragendsten Mitgliedern er sofort zählte. Die Aufhebung der aargauischen Klöster, welche den Anfang zu jenen Wirren in der Schweiz bildeten, die später ihre Lösung im Sonderbundskriege fanden und mit der Niederlage der ultramontanen Partei endeten, gehörten zu den Hauptverhandlungen jener Tagsatzung, welche das schweizerische Volk bis in die entlegensten Thäler hinein aufregten. Seltsamer Weise sprach und wirkte Druey gegen die Aufhebung der Klöster. Diese Denkweise findet nur in seinen unerschütterlichen Grundsätzen von der Heiligkeit des Besitzes ihre Erklärung.
Ebenso unerschütterlich war Druey in seiner Achtung vor dem Mehrheitswillen des Volkes. Selbst als im Jahre 1839 im Canton Zürich eine Regierung gewaltsam gestürzt wurde, mit welcher er politisch sympathisirte, und Männer an ihre Stelle kamen, deren Denkweise er verabscheute, gehörte er zu denjenigen, welche dem Ausspruche des nach seiner Ansicht mißgeleiteten Volks sich beugten. Als indeß Druey sich einmal von den staatsgefährlichen Umtrieben des Ultramontanismus überzeugt hatte, gehörte er auch zu ihren unerbittlichsten Gegnern, und der Sonderbund fand an ihm einen der eifrigsten und auch talentvollsten Bekämpfer. Das waadtländische Volk, dessen Regierung nicht Partei gegen den Sonderbund nehmen wollte, strömte im Jahre 1845 nach der Hauptstadt und stürzte die Regierung. Druey stellte sich an die Spitze der Bewegung. Von einer Leiter herab, die seither eine klassische Berühmtheit erhalten hat und schon bei politischen Festen in Prozession herumgetragen wurde, proklamirte er in glühender unwiderstehlicher Sprache die freisinnigen Grundsätze, welche jetzt im Canton Waadt zur Geltung gelangt sind.
An der verhängnißvollen Tagsatzung des Jahres 1847, wo die Zertrümmerung des Sonderbundes und die Austreibung der Jesuiten beschlossen wurde, entwickelte er dieselbe unbeugsame Energie und dieselbe rastlose Thätigkeit. Einige seiner bei jener Gelegenheit gehaltenen Reden konnten als Muster klassischer Beredsamkeit gelten.
Im folgenden Jahre fanden seine Talente erst die rechte Gelegenheit zu fruchtbarer Thätigkeit. Er wurde mit Dr. Kern, derzeitigem Schulrathspräsidenten der Eidgenossenschaft, mit der Redaction des neuen Bundesvertrages beauftragt, eine Aufgabe, welche er im Vereine mit seinem ausgezeichneten Mitarbeiter in glänzender Weise löste. Nach der Proklamation der neuen Bundesverfassung wurde er zum Mitgliede des Bundesrathes und zum Vicepräsidenten dieser Behörde ernannt und für das Jahr 1850 zum wirklichen Bundespräsidenten gewählt. Mit seiner Stellung war die Direction der Justiz und Polizei verbunden.
Die hohe Stellung, zu welcher Druey in den letzten Jahren seines bewegten Lebens gelangt war, brachte ihm viele Dornen, und der Staatsmann gerieth vielfach mit dem weichen, herzensguten innern Menschen in Conflikt. Die Staatsklugheit gebot der Schweiz die Entfernung der Flüchtlinge aus der Schweiz, und ihm, als Chef der eidgenössischen Polizei, lag es ob, die verhaßte Maßregel, die seinem Herzen widerstrebte, wenn er auch im Rathe dazu gestimmt, zu vollziehen. Und er gehorchte dem Befehle des Vaterlandes, aber manchmal blickte er mit thränendem Auge auf die armen Exilirten, die ein Opfer der Politik und heißblütiger Ideale hinüber geschickt wurden in’s ferne Amerika, um im finstern Urwalde die Freiheit zu finden, für die sie in der verlornen Heimath gekämpft, und oft wanderte seine ganze Baarschaft in die Tasche der unstäten Söhne Polens oder der schnurrbärtigen Husaren vom Strande der Theiß.
Druey war nicht nur ein warmer Freund des Vaterlandes, er war auch ein Freund des Völker und der Armuth, die er mit nimmer ermüdender Wohlthätigkeit unterstützte. Von seltener Bescheidenheit, wenn von ihm selbst die Rede war, gern fremdes Verdienst anerkennend, ein treuer theilnehmender Freund war er, wenn sein Geist ungetrübt, ein im vollen Sinne des Wortes „liebenswürdiger Mensch.“ Dagegen aber sprudelte die Lebhaftigkeit seiner burgundischen Abstammung bei gewissen Momenten mit sprühender Heftigkeit hervor, und wenn die Gelegenheit sich bot, sagte er den Menschen die bitterste Wahrheit mit einer Schonungslosigkeit in’s Gesicht, die bei dem sonst so sanften Manne in Erstaunen setzte und Manchen verblüffte. Wenige Menschen aber haben dem Grundsatz, daß man auch dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse, so unbedingt gehuldigt, wenn es galt, diese Liberalität auch auf seine persönlichen Gegner auszudehnen. Der Mann, der mit den Ultramontanen so manchen harten Strauß zu bestehen hatte, besaß einen tief religiösen Sinn. Er las fast jeden Tag in der Bibel und sprach in philosophischem Geist gern mit seinen Freunden über dieses Buch. Daß er von seinen Gegnern gleichwohl als Ketzer und Ungläubiger dargestellt zu werden pflegte, wird Niemanden verwundern.
Druey’s äußere Erscheinung war gleich seinem ganzen Wesen ein kurioses Gemisch von Adel, Würde und gerade wieder vom abstraktesten Gegentheil. Eine hohe, breite Stirne, unter welcher die geistreichen Augen Gedankenblitze schossen, überwölbte einen breiten, dicken Kopf, der auf einem kurzen schlagflüssigen Halse unbehülflich ruhte. Der ganze Körper, unförmlich zusammengedrungen, bewegte sich langsam, fast rollend auf walzenförmigen Beinen, während die Arme von den Gedankenströmungen des rastlosen Geistes getrieben, der diesem wunderlichen Gehäuse innewohnte, mit außerordentlicher Behendigkeit sich in allen Richtungen zu bewegen pflegten. Ebenso sonderbar war Druey als Redner. Das erhabenste Pathos, die glänzendsten Wendungen, die reichste Fülle der Gedanken, hinreißend durch die vollendetste Dialektik, aber zugleich unwiderstehlich zum Lachen reizend, durch eine, bald im tiefen Basse grollende, bald im Affekte in den höchsten Fisteltönen krähende Stimme, die sich mühsam durch das Fett des Halses Bahn zu brechen schien. Das Gesicht triefend von Schweiß, aber Alles überwältigend durch die Schärfe seiner Logik und den Zauber seiner Bilder, so pflegte man diesen seltenen Sprecher des Liberalismus in den Rathssälen der Schweiz zu sehen.
Heinrich Druey erlag den 29. März 1855 nach kurzen Leiden den Folgen eines Schlagflusses, der ihn wenige Tage vor seinem Hinscheiden betraf und ihn sofort der Besinnung beraubte. Sein Vaterland verliert in ihm einen edlen Sohn, die Schweiz ihren genialsten Staatsmann und der Liberalismus in seiner edelsten, humansten Bedeutung einen der aufrichtigsten und talentvollsten Vertreter. Mit der deutschen Sprache, der deutschen Literatur, Philosophie und Anschauungsweise so vertraut, wie mit derjenigen Frankreichs, war er das vermittelnde Element zwischen den beiden hauptsächlichsten Völkerstämmen der Schweiz, und darum wird sein Verlust doppelt schwer zu ersetzen sein.
Wenigen Schweizern ist auf dem Gange nach der letzten Ruhestätte so viele äußere Ehre erwiesen worden, und bei noch wenigern mag die innere Theilnahme einer Nation so warm und allgemein gewesen sein, wie dieses bei der Leichenfeierlichkeit Heinrich Druey’s der Fall gewesen ist.
Zuerst fand bei der Wohnung des Verewigten in der Bundesstadt Bern die Ceremonie des Leidabnehmens Statt. Zahllos war die Reihe der Theilnehmer. In bedecktem Wagen wurde von da die Leiche nach dem sechs bis sieben Stunden von Bern entfernten Heimathsorte des Geschiedenen abgeführt. In langer Wagenreihe gaben ihm der Bundesrath und die Regierung von Bern in corpore, nebst einer großen Anzahl der höhern Beamten der Eidgenossenschaft das Geleite, theils bis vor die Thore der Stadt, theils bis an den entfernten Begräbnißort selbst. Auf dem ganzen [212] langen Wege, den die Leiche zu passiren hatte, legte das Volk die rührendste Theilnahme an den Tag. In dem freiburgischen Grenzstädtchen Murten rückte das Knabencadettencorps aus und gab dem Trauerwagen das Ehrengeleite bis an die Grenze des Heimathcantons Waadt, von wo aus bis nach dem Begräbnißorte Pfauen das waadtländer Militär Spalier bildete.
Montags den 3. April fand die Beerdigung der Leiche auf dem ländlichen Friedhofe von Pfauen Statt. Aus den entferntesten Gauen der schönen Waadt waren die Bürger in zahlloser Menge herbeigeströmt, um ihrem guten „Papa Henry“ (wie Druey gewöhnlich vom Volke bei Lebzeiten genannt wurde) die letzte Ehre zu erweisen. Die Regierung des Cantons Waadt in corpore wohnte der Feierlichkeit bei. Die Regierungen der Nachbarcantone Freiburg, Neuenburg und Genf ließen sich durch Abgeordnete vertreten. Den unabsehbaren Leichenzug eröffnete Artillerie mit Scharfschützen und schloß mit Infanterie. Der deutsche Gesangverein von Murten trug durch Absingung passender Lieder vieles zur tiefern Weihe der Trauerfeierlichkeit bei. Staatsrath Fornerod von Waadt sprach am Grabe einige ergreifende Worte über den herben Verlust, den das Vaterland, das Volk, die Humanität und die Wissenschaft durch den zu frühen Hinscheid des edeln Mannes erlitten. Die Feier endete um fünf Uhr Abends ohne Unfall. In Druey beklagt mit Recht die Schweiz einen ihrer vortrefflichsten Bürger.
Die strenge, anhaltende Kälte des verflossenen Winters hatte große Eismassen in der Weichsel gebildet, und der breite, stark fließende Strom war an einzelnen Stellen fast bis auf den Grund zugefroren. Mit begründeter Besorgniß sahen die Bewohner der Weichselniederungen dem Eisgange entgegen und trafen alle möglichen Vorkehrungen, Durchbrüche zu verhüten, oder wenigstens, falls ihnen dies nicht gelänge, ihre Habe zu retten. Die zur Eiswache erforderlichen Mannschaften wurden bereits Mitte März an verschiedenen Punkten der Deiche aufgestellt und Dielen, Pfähle, Faschinen, Wehrholz in Bereitschaft gehalten; denn die Eismassen konnten sich, da plötzlich anhaltendes Regenwetter eingetreten war, jeden Augenblick in Bewegung setzen.
In der Nacht vom 27. zum 28. März stieg schnell das Wasser bis zu einer nie gekannten Höhe.
In der Gegend von Kulm brach zuerst die Eisdecke unter fürchterlichem Krachen, während sie bei Thorn, oberhalb Kulm, noch stehen blieb. Die Eisstücke wurden von der heftigen Strömung fortgetrieben und dabei häufig bis zu einer Höhe von 40 Fuß auf einander geschichtet. Die Deiche vermochten dem Drucke der ungeheuern Wassermasse und dem Stoße der Eisblöcke nicht zu widerstehen. Was man gefürchtet hatte, trat leider ein. Bei Kulm, Marienwerder und Neuenburg entstanden Durchbrüche, und gewaltige Wasser- und Eismassen wälzten sich brausend in die fruchtbaren Fluren der Niederung. In aller Eile flüchteten die Menschen auf die Böden der Häuser, um nur das nackte Leben zu retten. Doch leider waren sie auch hier nicht sicher. In der Gegend von Neuenburg wurden viele Häuser, die im Außendeiche standen, von den Fluthen weggerissen. So furchtbar war die Gewalt der Wassermassen, daß Häuser, Scheunen, Ställe, Bäume nicht selten mit dem Erdstücke, auf dem sie standen, fortgetragen wurden und noch eine lange Zeit im Wasser trieben, ehe die Eismassen sie zerdrückten. Ein sicherer Tod erwartete die Unglücklichen, welche ein solches Haus bewohnten; denn mit Kähnen durch die Eisschollen zu dringen, war unmöglich; das Eis hätte den Kahn augenblicklich in die kleinsten Splitter zerknickt. Nur wie durch einen Zufall gelang es, ein Dachstück eines Hauses aus den Fluthen zu ziehen, auf dem sich sieben Menschen befanden. Sechs davon wurden aber nur gerettet; eine Frau fiel nämlich bei dem Versuch, sie an’s Land zu ziehen, in den Strom und wurde nicht mehr gesehen.
In grausigem Chaos schwammen Bretter, Balken, Hausgeräthe, Häuserwände, Dächer, entwurzelte Bäume auf und zwischen den Eisbergen mit unglaublicher Geschwindigkeit dahin. Ich habe selber gesehen, daß sich in einem ziemlich wohlerhaltenen Stalle, den die Fluthen aus der Erde gehoben, und dann fortgeführt, noch eine Kuh befand, als der Stall bei Marienburg vorüberschwamm. Auf einem großen Düngerhaufen, der ebenfalls zwischen den Eismassen trieb, bemerkte ich ein wohlgenährtes Schwein, daß, da es gemüthlich wühlte, von seinem augenscheinlichen Untergange keine Ahnung hatte.
Das größte Unglück, welches die Wasserfluthen anrichteten, traf aber das große Werder, einen fruchtbaren Landstrich, der von Weichsel und Nogat umflossen wird.
An der Stelle, wo die Nogat von der Weichsel rechts abgeht, liegt im Werder das schöne Kirchdorf Gr. Montau. Hier haben die Deiche den schwersten Anprall auszuhalten, und darum ist es auch erklärlich, daß hier ein Durchbruch stattfand. Unglücklicher Weise kam das Eis der Nogat eher in Gang, als die Decke der Weichsel, und so schob denn das Wasser thurmhohe Eisberge gegen den Damm. Welche Kraft dieselben besitzen, geht daraus hervor, daß die bei Montau in der Nogat erbauten dreißig Eisbrecher, von denen jeder aus 12–15 durch eiserne Bänder fest verbundenen Eichenstämmen besteht, die mit der Dampframme tief in die Erde getrieben sind, durch den Anprall der Eisschollen nicht ausgerissen, wohl aber etwa drei Fuß unter dem Wasserspiegel wegrasirt wurden. Die auf den Eisbrechern ruhende Brücke stürzte in die Fluthen und wurde, wie im vorigen Jahre, so auch jetzt, ein Raub des wüthenden Elements. Beiläufig bemerke ich nur, daß der Bau dieser Brücke schon circa zwei Millionen Thaler gekostet hat. Glänzend bestanden aber die zur Eisenbahnbrücke erbauten Pfeiler ihre Probe. Es war ein großartiger Anblick, wenn die großen Eismassen unter einem donnerähnlichen Krachen an den Mittelpfeiler stießen, dann plötzlich zusammenstürzten und wie von einer gewaltigen Scheere zerschnitten, in einzelnen Stücken schäumend und brausend, als zürnten sie des gewaltigen Widerstandes, vorbeizogen.
Die Dämme bei Montau konnten also unmöglich, trotz ihrer bedeutenden Stärke, den ungeheuern Druck auf die Dauer aushalten.
Um fünf Uhr Morgens am 28. März zeigten sich plötzlich Spalten auf der Krone des Dammes, die in schlangenartigen Windungen landwärts anfingen und stromwärts endigten. Viele Hände bemühten sich, diese Spalten und Risse zu verstopfen, indem man Faschinen, Dünger und Erdsäcke hineinsenkte. Jedoch blieben alle Bemühungen fruchtlos; die Spalten und Risse wurden von Augenblick zu Augenblick immer klaffender, während sich noch viele andere bildeten. Endlich sickerte das Wasser durch den Deich. Man sah ein, daß der Damm nicht mehr zu halten sei, und Alles flüchtete schnell, entweder auf eine sichere Stelle des Deiches, oder auf die Böden feststehender Häuser, um wenigstens das Leben zu retten.
Nach wenigen Augenblicken strömte nun die Wassermasse durch die Spalten und Risse, und spülte dabei große Stücke des Dammes fort. In kurzer Zeit hatte es sich eine weite Oeffnung gebahnt, und wüthend und zischend stürzten sich die Fluthen und Eisberge geradenwegs auf das unglückliche Dorf Montau. Gegen zweihundert Menschen hatten sich auf den Damm und Viele auf die Kirche geflüchtet; dagegen waren Manche durch die Schnelligkeit des hereindringenden Wassers in ihren Wohnungen zurückgehalten worden und suchten auf den Dächern einen Zufluchtsort. Der Kraft, mit welcher die Wasserfluthen und Eisschollen gegen die Häuser andrangen, konnte das Werk von Menschenhänden nicht lange Widerstand leisten. Ein Gebäude nach dem andern wurde zertrümmert oder ganz und gar aus dem Boden gespült und mit fortgerissen. Auf der Firste des einen Daches saßen 21 Menschen und riefen jammernd um Hülfe, die ihnen Niemand bringen konnte. Nach einer halben Stunde stürzte es zusammen, noch ein furchtbarer Schrei drang in’s Ohr der auf den Damm Geflüchteten; dann war Alles verschwunden. Von dem schönen, großen Dorfe Montau standen eine Stunde nach dem Durchbruche nur noch die Kirche und drei Höfe. Der Lehrer des Dorfes rettete sich mit seiner Familie auf einer Eisscholle, auf welcher die Unglücklichen fast drei Meilen forttrieben, ehe sie von hülfreichen Händen in Sicherheit [213] gebracht werden konnten. Die Fluthen strömten unterdeß unaufhaltsam in’s große Werder; es entstanden dort mehrere Durchbrüche, und binnen kurzer Zeit waren gegen hundert Ortschaften mit 25,000 Einwohnern total überschwemmt. So weit das Auge vom Schloßthurme Marienburgs reichte, bemerkte man eine unübersehbare Wasserfläche, aus der nur Häuser- und Baumspitzen einige Fuß hoch hinausragten.
Da der Eisgang der Nogat[WS 1] den ganzen Tag hindurch sehr stark blieb, so konnte man nicht hinüber, um den Ueberschwemmten, die sich nur mit wenigen Ausnahmen Kähne besorgt hatten, Hülfe zu bringen. Als man sich endlich gegen Abend durch das Nogateis einen Weg bahnte, vereitelten wieder starke Strömungen im Werder jedes weitere Vordringen. Um diese Zeit hatte sich bei Montau ein zweiter Durchbruch gebildet, und die auf den Damm Geflüchteten befanden sich jetzt auf einem Deichstücke, das in jedem Augenblicke versinken konnte. Am Morgen des 29. März versuchte man, sie mit Kähnen zu retten; es war aber nicht möglich, die gewaltigen Strömungen an den Durchbrüchen zu passiren. Erst am andern Tage gelang es den von Danzig zur Hülfe herbeigeeilten Pionieren, die von Angst, Hunger und Kälte schwer heimgesuchten Unglücklichen von dem Dammstücke, so wie die in die Kirche Geflüchteten in Sicherheit zu bringen. Kähne durchschnitten nun in allen Richtungen das überschwemmte Werder, sammelten Unglückliche von Dächern und Bäumen und brachten Lebensmittel und warme Kleidungsstücke. Manche dieser Armen waren so erstarrt, daß sie nicht mehr gehen konnten. Ich habe einen solchen Unglücklichen gesehen, den man in’s marienburger Krankenhaus brachte. Man hatte ihn auf einer Weide gefunden, die ihm fast dreißig Stunden zum Aufenthalt gedient. Er vermochte kein Glied zu regen; Füße und Hände waren ihm dick angeschwollen, das Gesicht schien das einer Leiche zu sein, wofür man ihn immer halten konnte, als er starr und regungslos in’s Lazareth getragen wurde[1].
Daß aber der entartete Mensch noch grausiger ist als das entfesselte, wüthende Element, dafür liefert diese Ueberschwemmung einen fürchterlichen Beleg. Es ist nicht nur vorgekommen, daß reiche Besitzer, deren Höfe weniger von den Fluthen bedrängt waren, den schutz- und obdachlosen Flüchtlingen ihr Haus und ihre Vorräthe verschlossen, sondern gleich am Tage nach dem montauer Durchbruch fuhren Boote, mit Dieben und Räubern bemannt, in die heimgesuchten Höfe und Dörfer und stahlen, wo etwas zu stehlen war oder brandschatzten mit grenzenloser Frechheit. Man hat aber den Piraten sehr bald das Handwerk gelegt, und jetzt muß jedes Boot, das am Werder kreuzt, die polizeiliche Erlaubniß dazu haben.
Das ist ein kurzes, aber getreues Bild von der furchtbaren Ueberschwemmung, die einen großen Landstrich betroffen hat. Noch läßt sich alles Elend und alles Unglück, das die Fluthen angerichtet haben, nicht bis in’s Detail summiren, da das Wasser noch fußhoch und an vielen Stellen bis an die Häuserdächer das Werder bedeckt; so viel steht aber fest, daß Montau verschwunden, außerdem noch viele andere Häuser fortgerissen, viele Menschen umgekommen oder verarmt, viele Thiere ertrunken und große Landstrecken versandet sind. Die Wintersaat ist wohl gänzlich zerstört und theilweise auch die Aussicht auf einen Ertrag der Sommerernte, denn das Wasser kann vielleicht noch Wochen lang stehen bleiben.
Gegenwärtig hat man zwar schon Anstalten zur Wiederherstellung der durchbrochenen Dämme getroffen und mit dem Bau eines Fangdammes begonnen; eine solche Arbeit ist aber sehr schwierig und erfordert Zeit, und so werden die armen Bewohner des Werders mindestens drei bis vier Wochen Wasserstand haben und die Folgen dieser fürchterlichen Ueberschwemmung noch Jahre lang drückend fühlen.
Gesundheitsregeln.
Die Frauen verdanken eine Menge von beschwerlichen und gefährlichen Krankheiten ihrer theils unzweckmäßigen, theils ungenügenden Kleidung, und zwar deshalb, weil diese entweder selbst als Krankheitsursache wirkt oder den krankmachenden Einflüssen leichten Zutritt zum Körper gestattet. Um dies erklärlich zu finden, erinnere man sich nur an Das, was der Körper zu seiner regelmäßigen Erhaltung verlangt (s. Gartenl. Jahrg. III. Nr. 6). Er braucht zuvörderst ein gutes Blut, welches flott durch alle Organe des Körpers hindurch läuft, sodann bedarf er aber auch noch des gehörigen Wärmegrades und des zweckmäßigen, mit gehöriger Ruhe abwechselnden Thätigseins aller seiner Theile. Die Bereitung eines guten Blutes ist nur bei guten Verdauungs- und Athmungsorganen [214] durch Aufnahme passender Nahrung und Luft zu bewerkstelligen; nebenbei ist dann aber auch noch die Reinigung des Blutes (von alten, abgestorbenen und unbrauchbaren Stoffen) durch Lungen, Nieren, Milz und Haut ganz unentbehrlich. Der Mehrzahl dieser zur Erhaltung der Gesundheit erforderlichen Processe tritt nun bei den meisten Frauen die jetzige Kleidung hindernd in den Weg; vorzüglich sind es der Athmungs-, Kreislaufs-, Verdauungs- und Blutreinigungsproceß, welche dadurch gestört werden. Diese Störung geht aber ebensowohl von der Oberkörper- wie Unterkörperbekleidung aus und wird theils vom Kleide und Schnürleibchen, theils von den Unterröcken und der Fußbekleidung veranlaßt.
Das Corset oder Schnürleibchen, welches immer nur erst von dem Jungfrauenalter an, niemals schon von dem Schulmädchen getragen werden sollte, verlangt eine solche Einrichtung, daß die am Körper wichtigste und bei der jetzigen Construction der meisten Corsets am übelsten behandelte Körpergegend, die dicht oberhalb des Nabels befindliche Oberbauchgegend nämlich, freien Spielraum behält. Diese Gegend, an welcher äußerlich zu beiden Seiten die untern Rippen (Hypochondrien) und vorn in der Mitte die Magen- oder Herzgrube wahrzunehmen ist, birgt in ihrem Innern oberhalb des Zwerchfells das Herz und die untere Portion der Lungen, dicht darunter aber Leber, Magen und Milz, sonach die lebenswichtigsten Organe. Wird diese Gegend fest zusammengeschnürt, so werden alle die genannten Organe eingezwängt und in ihrer Thätigkeit behindert; ja an der verkleinerten, mißgestalteten Leber, bisweilen auch an der Milz, zeigen sich dann sehr oft tiefe Eindrücke der Rippen und des spitzen Endes des Brustbeins (des Schwertfortsatzes).
Eine solche verkrüppelte, mit Schnürstreifen versehene Leber, welche schon im I. Jahrg. der Gartenlaube (Nr. 26) neben einer gesunden nach der Natur abgebildet wurde, sieht der Leser hier vor sich. – Sollen nun die großen Nachtheile, welche das Zusammenschnüren der Oberbauchgegend nach sich zieht, wegfallen, dann muß das Corset so eingerichtet werden, daß es nur unterhalb dieser Gegend und oberhalb der Hüften den Leib zusammenschnürt, wodurch auch die Taille verbessert und dem Unterleibe ein sicherer Halt gegeben wird. Deshalb dürfte das hier abgebildete Schnürleibchen empfehlenswerth sein. Es wird nur an einer kleinen Stelle (b) geschnürt, darüber (c) und darunter (d) locker gebunden; am Hüftausschnitte (a) läßt sich nach Belieben eine künstliche Hüfte ansetzen, um die Unterkleider tragen zu helfen. Das Planschet (f) könnte recht gut wegfallen; an jedem Seitentheile ist ein breiter elastischer Streifen (e) eingesetzt, um das Ausdehnen der Oberbauchgegend zu erleichtern.
Die Unterkleider, Unterröcke, bringen wie die Corsets ebenfalls der Oberbauchgegend Nachtheil, wenn sie hier blos mittels einfacher Bänder festgebunden werden. Es zeigt sich dies deutlich an der Leber, welche dadurch einen tiefen Quereindruck bekommt. Um dies zu verhüten, sollten die Unterkleider entweder an das Corset angeheftelt, oder durch Trag- (Achsel-)Bänder gehalten werden, oder mittels eines breiten Bundes auf den Hüften aufruhen.
Das Oberkleid kann insofern eine unzweckmäßige Construction haben, als es den Oberkörper theils einengt, theils der Erkältung (besonders des Rückens und der Achselhöhle) aussetzt. Ausgeschnittene, enge, die Schultern, Arme und den obern Theil des [215] Brustkastens (mit dem gerade die Frauen am meisten athmen) einzwängende Kleider sind ebenso unschön wie nachtheilig.
Die Fußbekleidung ist bei den meisten Frauen, zumal bei kalter und nasser Witterung, viel zu leicht. Daher kommt es denn aber auch, daß viele Frauen neben kalten Füßen sogenannten Congestionen oder Blutstockungen in diesem oder jenem Theile ihres Körpers haben, welche recht leicht unheilbare und sehr beschwerkliche Leiden veranlassen können. Ueberhaupt verlangt die untere Körperhälfte bei der Frau weit mehr Schutz vor Erkältung, als ihr gewöhnlich geboten wird und deshalb sind
Beinkleider ganz unentbehrliche Kleidungsstücke für das erwachsene weibliche Geschlecht. Es können dieselben übrigens kurz (bis zum Knie reichend), im Winter von dünnem Wollen- oder Baumwollenzeuge, im Sommer von Leinewand sein. – Strumpfbänder, wenn sie zu tief unten und fest gebunden werden, schaden nicht nur der schönen Form der Wade, sondern stören auch den Blut- und Lymphlauf im Beine, und verdienen deshalb ebenfalls eine Beachtung. – Nur leichtsinnige, ihres Berufes unwürdige Frauen können einer Mode huldigen, welche nicht blos ihren eigenen Körper ruinirt, sondern auch den Grund zur Verkümmerung ihrer ganzen Nachkommenschaft legt.
Fast jeder Schlacht- und Kampfbericht, den die Zeitungen aus der Krim mittheilen, spricht von den Zuaven, und zwar stets mit Bewunderung; bald klettern sie wie Katzen, bald kriechen sie wie Schlangen, bald springen sie wie Panther, immer und überall sind sie voran an Muth, Tapferkeit und Ausdauer, stets aber auch die heitersten und anstelligsten in der Armee, die sich überall zu helfen und einzurichten wissen.
Wer und was sind diese Zuaven?
Als der General Clausel im Sommer 1830 an die Spitze der französischen Armee in dem eben eroberten Algier trat, fühlte er das Bedürfniß, sowohl sein geschwächtes Heer zu verstärken als auch gleichzeitig die Bewohner des unterworfenen Landes fester an die neue herrschende Macht zu binden. Beides glaubte man durch Errichtung eines Corps von Eingeborenen der eroberten Provinz zu bewirken. Dies geschah durch eine königl. Ordonnanz vom 21. März 1831 und die zwei Bataillone, die man zunächst organisirte, wurden Zuaven, oder arabisch, vielmehr Zuaoua genannt. Diese Zuaoua sind Kabylenstämme im Gebirge, muthige, stolze, fleißige Leute, die bisher ihre Boden- und Gewerberzeugnisse in die Stadt Algier gebracht, auch unter den frühern Fürsten bisweilen Kriegsdienste gethan und sich dabei den Ruf erworben hatten, vortreffliche Soldaten zu sein. Um an diese in Algier bereits bekannten Truppen zu erinnern, wählte man jene Namen, aber man nahm unter dieselben nicht blos eigentliche Zuaouas auf, sondern Eingeborene aller Art, die zum Dienst bereit und tauglich waren, und, weil man nicht nur Eingeborene bewaffnen wollte, auch allerlei französische Freiwillige, sowie abenteuernde andere Europäer jener Art, aus welcher man später die Fremdenlegion bildete. Die Führung dieser bunt zusammengewürfelten Corps übertrug man erprobten französischen Unteroffizieren, muthigen, eifrigen Öffizieren. Viele der ausgezeichnetsten französischen Generale haben unter den Zuaven gedient, mit diesen ihre ersten Lorbeeren gepflückt und die tüchtigste Schule durchgemacht, z. B. Lamoricière, Cavaignac, Leflo und Duvirier, Saint-Arnaud, Changarnier, Bouat, Espinasse, Thomas, Bosquet, Canrobert u. s. w.
Schon sechs Wochen nach ihrer Organisation erhielten die Zuaven die Feuertaufe, und gleich bei ihrem ersten Auftreten zeigten sie, was sie heute noch auszeichnet, ihre Anstelligkeit und Geschicklichkeit zu allem: sie mauerten, schmiedeten, zimmerten, schneiderten im Nothfalle, marschirten schneller und länger als die andern Truppen, trugen dabei ohne Ermüdung Lebensmittel auf mehrere Tage bei sich oder wußten sich dieselben mit bewundernswürdiger Schlauheit und Keckheit zu verschaffen, manövrirten mit der äußersten Präcision und gaben in den Kämpfen nicht blos Beweise von seltenem Muthe, sondern auch von schlauer Benutzung aller Umstände.
Obwohl der Kern dieser Truppen heute noch aus Franzosen besteht, ist ihre Uniform doch die orientalische Tracht in den Farben der ganzen französischen Infanterie mit einigen Abänderungen, welche diese Uniform vielleich zu der zweckmäßigsten macht, die Soldaten jemals getragen haben. Sie ist für ein warmes Klima berechnet, läßt allen Gliedern die freieste Bewegung, schützt indeß gegen plötzliche Temperaturwechsel und läßt sich bei kalter Witterung leicht vervollständigen. Selbst der scheinbar so unbequeme Turban, den sie tragen, hat seine Vorzüge, denn die Zuaven lassen ihn bald im Nacken hinunterhängen, um sich gegen den Sonnenbrand zu schützen, bald binden sie ihn um Mund und Nase, wenn es kalt ist, bald – wie es namentlich jetzt in der Krim bei dem langen Feldzuge häufig genug vorgekommen ist – müssen Stücke davon zur Ausbesserung der Jacke oder der Hosen dienen. Die Offiziere indeß tragen die Uniform der andern französischen Regimenter, und zeichnen sich vor diesen nur durch das Fez aus, das sie häufig statt des Kappi tragen.
Im größten Glanze ihrer Tapferkeit zeigten die ersten Zuaven sich bei der Belagerung von Constantine. Während der Aufstellung der Batterien vor dem Platze zogen die Zuaven am hellen Tage und unter dem Feuer der Festung die Vierundzwanzigpfünder an Ort und Stelle, welche Pferde in der Nacht nicht hatten fortbringen können. Bei dem Sturme hatten sie die Ehre, an der Spitze der ersten Colonne zu stehen; aber der Ruhm ward stets theuer erkauft; das kleine Bataillon der Zuaven verlor über den zehnten Theil seiner Leute; mehrere seiner Offiziere fielen in der Bresche, nicht Einer kam ohne zum Theil schwer verwundet davon. Der große französische Maler, Horace Vernet, hat diesen Sturm der Zuaven auf Constantine durch eines seiner großartigsten Schlachtgemälde verewigt, auf dem man Lamoricière, mit seiner kleinen Schaar, unter Pulverdampf, im wildesten Gedränge auf der Bresche erblickt. (Es befindet sich in der großen Gallerie zu Versailles).
In den spätern Kämpfen gegen den Emir Abd-el-Kader waren die Zuaven fast nur auf den Vorposten, und sie verbrachten kaum einen Tag ohne forcirten Marsch oder Kampf. Wo irgend eine ungewöhnliche Anstrengung zu machen, eine Position zu erstürmen war, mischten sich gewiß die Klänge ihres so bekannten Marsches in den Lärm.
Es ist ungewiß, ob die Zuaven, die so viel erfunden haben, was zur Erleichterung und Bequemlichkeit der Soldaten dient, auch die Ersten waren, welche sich auf dem Marsche durch eigenthümliche Hornklänge begleiten ließen. Diese Marschtöne dienten ihnen dazu, im Dunkel der Nacht, im Pulverdampf, im Nebel u. s. w. sich zurecht und zusammen zu finden. Diese Einrichtung erwieß sich so zweckmäßig, daß bald jedes Regiment in Algier seinen eigenthümlichen Marsch dieser Art annahm, welcher gleichsam die Regimentsmelodie wurde, die man stets mit Stolz auch in den gefährlichsten Augenblicken erklingen ließ, um weithin schallend anzuzeigen, das … Regiment sei auch dabei.
Auch die leicht transportablen Zelte, welche jetzt bei der ganzen französischen Armee eingeführt sind, sollten eine Erfindung der Zuaven sein, die bei dem Ausruhen von einem Marsche im heißen Afrika Tücher, Hemden etc. zeltartig auf Stöcke hingen, um sich Schatten zu schaffen.
In einem Kampfe mit den regulären Truppen Abd-el-Kaders waren den Zuaven die Patronen ausgegangen, und rasch entschlossen griffen sie zu Steinen, warfen damit heftig auf die Feinde und retteten so das bereits zum großen Theil vernichtete 17. Regiment.
Die Zuaven hatten sich seit ihrer Organisation viele Jahre hindurch so ausgezeichnet, daß 1852 eine Vermehrung ihres Corps angeordnet wurde. Man bildete zunächst drei Regimenter, jedes zu drei Bataillonen und gab ihnen überdies gezogene Gewehre.
Da indeß Menschen sehr verschiedener Art in diesen Regimentern vereinigt sind, die zwar meist gutmüthig und immer tapfer sind, größtentheils aber auch heftige Leidenschaften besitzen und [216] dieselben nicht gern beherrschen, so müssen die Offiziere und Führer derselben Männer von Energie sein, die strenge Disciplin halten, freilich nicht gamaschenartige, sondern gelegentlich über unschuldiges Versehen ein Auge zudrücken; müssen sich die Liebe ihrer Soldaten erwerben, unerschütterliches Vertrauen, Achtung und wohl auch Furcht, dann ist ihnen mit solchen Leuten alles auszuführen möglich. Die Zuaven selbst rechnen zu ihren besten Offizieren Lamoricière und Cavaignac.
Karaiten von Theodosia auf der Krim. Unter den mannigfachen Völkerschaften der Krim, mit denen die Leser dieses Blattes schon übersichtlich bekannt gemacht wurden, nehmen die Karaiten in sittlicher und intellectueller Beziehung den ersten Rang ein. Der Abstammung nach sind sie Juden, aber mit besonderen Traditionen und Kulten. Ihre Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ist auf der ganzen Krim und unter den Kaufleuten des schwarzen Meeres sprüchwörtlich bekannt. Sie sind deshalb auch im Ganzen reich, da sich Jeder an sie wendet, der sichere Handelsgeschäfte machen will, so sehr sie auch durch die Einnahme Theodosia’s (oder Kaffa’s) von den Russen litten. Die meisten Karaiten leben in dieser Stadt, nur Wenige in andern Orten und dann nicht dauernd. Sie behaupten, den Urtext des alten Testamentes in seiner reinsten, unverfälschten Gestalt zu besitzen, und an ihn halten sie sich in ihrem Religionskultus, so daß sie nicht unter den Machwerken und Pedantereien des Talmud, durch welchen die andern Juden so beschränkt werden, insofern sie für orthodox gelten wollen, zu leiden haben. Von Moses kommt in ihrem Bibeltexte gar nichts vor. Er beginnt mit dem Buche Josua. Jeder Karaite hält es für seine religiöse Pflicht, diese ganze Bibel wenigstens einmal in seinem Leben schön und rein abzuschreiben. Bei ihren sonst praktischen Verdiensten könnten sie sich leicht davon dispensiren. Doch läßt man ihnen gern ihren Glauben, der so gesunde Früchte im Leben zeitigt, sogar ihren Aberglauben, der schön poetisch ist in Bezug auf ihre Todten, von welchem wir durch den Engländer Clarke hören, indem er ihr wunderschönes „Feld der Todten“ beschreibt. „In einem abgelegenen Thale rechts von der Stadt fanden wir zwischen Bergen das heilige Thal der karaitischen Juden mit überhängenden Felsen und dicht beschattet von dicklaubigen Bäumen, unter denen sich die weißen Marmordenkmäler still und die weißen Gestalten der schönen Frauen und Töchter lebendig erhoben. Abends und Morgens in dieses schattige, grüne Thal zu gehen und mit den Seelen ihrer verstorbenen Lieben, die über ihren Gräbern schweben und den Hinterbliebenen Trost und Hoffnung zuflüstern, bildet fast die einzige Freude und Erholung der karaitischen Jüdinnen, ähnlich denen der Türkinnen, die denselben schönen Aberglauben theilen. Wenn ich etwas von ihnen haben möchte, wäre es dieser schönmenschliche Glaube.“
Was ihren Hauptsitz betrifft, Theodosia, wird die Stadt schon lange vor Christi Geburt erwähnt. Der griechische Redner Demosthenes erwähnt sie schon als die segensreichste Kornlieferin für Athen. Sie spielte eine Rolle gegen Mithridates, den großen König und Krieger des Pontus-Reiches, den furchtbarsten Feind der Römer, deren er mit seinem Heere an einem Tage über 80,000 erschlagen haben soll (120 bis 64 Jahre vor Christi Geburt). Unter Mohamed II. kam Theodosia (1474) unter türkische Herrschaft, eben so die genuesischen Colonieen des schwarzen Meeres und dessen blühende Städte zusammen, besonders seit 1672, wo der Bosporus für alle Schiffe geschlossen ward. Im Jahre 1783 fiel Theodosia nach einem harten Kampfe in die Hände der Russen. Letztere fanden nur noch 50 Familien in der alten, blühenden Handelsstadt, die bis auf wenige Häuser in einen Schutthaufen verwandelt worden war. Die Sieger machten marmorne Moscheen zu Magazinen und Pferdeställen, rissen die Minarets herunter, und herrliche Springbrunnen und Wasserleitungen auf. Am Meere standen zwei besonders prachtvolle Moscheen mit Minarets, 16 Klaftern hoch und mit um sie gewundenen Treppen, die auf die Spitze führten; aber auch sie wurden zerstört und in’s Meer geworfen. Die wenigen damals überlebenden karaitischen Familien haben sich bis jetzt noch nicht wieder zu ihrem alten Ruhme ehrlichen Handels erheben können.
Salomo und David in all ihrer Herrlichkeit. Als König David sein Allerheiligstes vollendet hatte, ergab es sich, daß für 50,000,000 Thaler Gold dafür bezahlt und hineingearbeitet worden war. Während seiner Regierung nahm er in seiner Weisheit und Psalmen-Poesie dem Volke mehr Steuern ab, als die große englische Nationalschuld beträgt, nämlich etwa 7,000,000,000, sieben tausend Millionen Thaler (889 Millionen Pfund Sterling), sagt ein Engländer, obwohl Crito blos von 798 Millionen sprach. Das Gold, womit Salomo den Haupttempel zu Jerusalem decken ließ, ward auf 276,000,000 Thaler geschätzt. Man pflegt wohl zu sagen, Gold sei ein edeles Metall und roste nicht, aber in Jerusalem, wo’s doch sehr dick lag, ist’s längst alle geworden. Jerusalem ist jetzt einer der verhungertsten Orte der Erde. Wo das Gold zu dick hinkömmt, wachsen bald Bettelstäbe. Ganz Spanien ist an den Bettelstab gekommen, weil es zu viel Gold von Potosi und der neuen Welt überhaupt heimschleppte.
Napoleon’s Schriften. Der Neffe hat bekanntlich alle Schriften des großen Onkels gesammelt, um sie in prächtigen Bänden herauszugeben. Sie werden unter Anderem über 5000 Briefe und Dokumente, die bis jetzt nicht bekannt waren, enthalten. Die interessantesten Schriftstücke der Art sind aus der Jugendzeit, als er noch nicht berühmt war und an andere gewöhnliche Leute schrieb, welche nun zum Theil die vergilbten Briefe hervorsuchten und sie der Regierung zusandten. Auch sechzig inplausible, strategische Briefe, die er während der Belagerung von Toulon an Cardinal Fesch schrieb, Erlasse an den Kultusmininster mit dem Grundsatze, daß die Kirche sich nicht in Politik zu mischen habe, Befehle, Rathschläge, Zurechtweisungen in allen möglichen Sphären des Lebens, das Aktenstück, welches die französische Komödie in Paris concessionirt, datirt von Moskau, und sonst tausenderlei authentische Ausflüsse seines kometarischen Riesengeistes mit allen seinen Widersprüchen, an denen er zu Grunde ging, wird man in den gesammelten Schriften dieses Schriftstellers finden, den man wohl überall eifriger studiren wird, als die Kinder unserer Laune.
Roman der Wirklichkeit. Nach vielen dreibändigen Romanen zu schließen, müßte eine Liebe, wo Er in Californien und Sie in Frankreich ist, ohne daß sie sich kennen oder sich nur gesehen haben, 70 Bände haben, ehe sie sich kriegen können. Und doch geht’s heutzutage sehr rasch. Die Schwester einer Dame in Montpellier heirathete vor etwa drei Jahren einen Mechaniker und wanderte mit ihm nach Californien aus, nachdem sie sich ihre schöne Schwester hatte portraitiren lassen. In Californien hing das Portrait bald über einem hübschen, häuslichen Kamine. Ein reicher Mann, der bei dem Mechaniker etwas bestellen wollte, bekam das Bild in die Augen, betrachtete es eine Zeit lang und rief dann aus: „bei Zeus, das Mädchen heirath’ ich, wenn sie in der Welt zu finden ist.“ Die Frau mußte ihm die Adresse der Schwester geben, darauf ging er eifrig davon, immer für sich wiederholend: „Bei Zeus, die heirathe ich, die heirath’ ich, unter allen Umständen heirath’ ich sie.“ Das Erste, was er that, um sich in Montpellier einzuführen, waren zwei Sendungen Geld, jedesmal 300 Thaler. Unlängst klopfte es an der Thür der schönen Schwester in Montpellier. Sie öffnete und ein derber, hübscher, bronzenfarbiger junger Herr bat um Erlaubniß, eintreten zu dürfen. Er hatte sich schon durch zwei Briefe anmelden lassen. Erröthende Verlegenheit. Eintreten. Kurze Auseinandersetzung seines Anliegens, das kein Spaß sei, da er blos deshalb vom anderen Ende der Erde gekommen sei, wo sich die Frau Schwester sehr wohl befinde. Also ja? Erst die Mutter fragen. Mutter: I nun, da und weil – obgleich, aber ihrerseits. Also richtig. Glänzende Hochzeit in Montpellier, worüber die ganze Nachbarschaft erstaunte und wovon sie Wochen lang sprach. Ende des Romans, Anfang einer glücklichen Ehe.
Die chinesische Staatszeitung. Man wundert sich über die großen englischen und amerikanischen Zeitungen, obgleich sie gegen die Peking-Zeitung, deren Redakteur der Kaiser selbst ist, sehr klein erscheinen. Sie ist der allgemeine „Moniteur“ des ganzen Reiches und enthält jedesmal eine Uebersicht aller öffentlichen Angelegenheiten und merkwürdigen Ereignisse, die an den Kaiser gerichteten Petitionen und seine Antworten darauf, seine Befehle und Instruktionen an die Mandarinen und das Volk, Gerichtsentscheidungen mit Verurtheilungen und Begnadigungen und Inhaltsangabe der Verhandlungen des Staatsrathes. Sie erscheint täglich auf 60 bis 70 Folio-Seiten und kostet nicht mehr als jährlich etwa 12 Franks. So theilt uns der Franzose Huc mit, der merkwürdigste China- und Thibetreisende, der allein und ohne Schutz nicht nur durch die ganze Breite China’s drang, sondern mitten in das verschlossene Priesterreich Thibet, das Land des Dalai-Lama, der bisher keinen Fremden in seine Mysterien eindringen ließ. Le Huc, der Missionär, kam überall mit Schlauheit, noch öfter aber mit unverschämter Courage und imponirender Tollkühnheit durch. Sein Buch ist eins der reichhaltigsten über China.
Soeben erschien:
Buch vom gesunden und kranken Menschen
das Buch vom kranken Menschen.
Mit Inhaltsverzeichniß und Register der 1. und 2. Abtheilung.
19 Bogen, geh. 25 Ngr.
In allen soliden Buchhandlungen vorräthig.
Leipzig, d. 16. April 1855.- ↑ Die Zeitungen erzählen noch folgende Episode aus Marienburg vom 2. April: „Vorgestern Abend wurde, aus den Fluthen gerettet, eine alte Frau mit einem Kinde von Gr. Montau hier eingebracht, die wohl das Schrecklichste erlebt hat, was ein Mensch erleben kann. Sie saß mit ihrem Schwiegersohne, dessen Frau und Kindern und einem Pflegekinde, im Ganzen acht Personen, auf dem Dache, als dasselbe plötzlich einbrach und alle in die Fluthen stürzten; sie retteten sich sämmtlich auf einer Bohle und trieben in dem reißenden Strome hinunter. In der Todesangst sieht sie sich zum Oefteren nach ihren Angehörigen um, sieht aber immer weniger auf dem Brette, bis sie zuletzt mit einer Enkelin und dem Pflegekinde allein ist. Sie wurden jetzt durch ein Dorf getrieben, wo sie auf einem ganz nahen Hofe drei Männer in einem Kahne sieht, die sie nun auf das Erschütterndste bittet, sie zu retten; die Männer rühren sich nicht, und sie schwimmen weiter. Außerhalb des Dorfes verschwindet auch das Mädchen unter den Fluthen; später trieb sie durch noch ein Dorf; dann schwand ihr Bewußtsein, bis sie auf einem Bette erwachte; sie war schon erstarrt, als sie gerettet wurde.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Nogart