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Die Gartenlaube (1861)/Heft 25

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1861
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 25.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Acht Tage waren vergangen. An einem klaren Herbstvormittage landete die Fähre die mit der Eisenbahn von Philadelphia gekommenen Passagiere auf New-Yorker Boden, und nach einem kurzen Gewühle rollten die harrenden Lohnkutscher und Gepäckwagen mit ihrer eingenommenen Last auseinander, während die übrige Menge sich nach den verschiedenen an der Landung ausmündenden Straßen zerstreute. Einer der Letzten, welche der Stadt zuschritten, war ein junger Mann, der die Augen über die nächste Umgebung schweifen ließ, als sei er noch unschlüssig, welche Richtung einzuschlagen; bis er endlich, als sei ihm ein leitender Gedanke gekommen, seinen Weg nach einem vor ihm liegenden Verkaufslocal nahm.

Max Reichardt war es, der nach einer vollbrachten Irrfahrt so arm an Hoffnung wie an Geld, mit leerem Herzen und gebeugtem Muthe wieder auf dem Boden angelangt war, den er vor noch nicht zwei Monaten voll glänzender Erwartungen, im Vollgefühle seiner Jugendkraft und seiner Kenntnisse zuerst betreten.

Nach seiner Flucht von St. Louis hatte er Cincinnati erreicht, aber es hielt ihn dort nicht, es trieb ihn fort – weiter nach New-York, in das Gewühl der Weltstadt, wo er das Nöthigste zum Leben noch am leichtesten finden konnte, sollte er auch Musik in einer Bierstube machen müssen. Auch fand er dort den Kupferschmidt, dessen Adresse er in sein Notizbuch verzeichnet. Er hatte, einmal zum Entschlusse gekommen, noch an demselben Nachmittage eine genaue Revision seiner Habseligkeiten vorgenommen, hatte von seinem reichlichen, kurz vor seiner Abreise nach Amerika erst angeschafften Kleidervorrath nur einen bessern Anzug und die nöthigste Wäsche zurückbehalten und das Uebrige, sammt seiner Uhrkette, in dem ersten Verkaufslocale, das sich ihm für seine Absicht bot, losgeschlagen, für den Koffer mit einigem Gewinn sich eine gebrauchte Reisetasche eingehandelt und so das Passagegeld zur Rückkehr nach New-York zusammengebracht. – Oft, wenn er die kurze und doch so inhaltschwere Zeit, seit er New-York verlassen, an sich vorüberziehen ließ, schüttelte er bitter den Kopf. Hätte er nicht jetzt im Besitze alles dessen, was Menschen Glück nennen, sein können, wenn er nicht der Narr seiner Gefühle gewesen wäre? Er durfte sich ja nicht einmal sagen, daß ihn bewußte Grundsätze geleitet, als er Harriet’s Liebe zurückgewiesen – und wenn er sich auch Alles wieder zurückrief, was er später sich selbst zu seiner Rechtfertigung angeführt. Alles, was er in dem langen Seelenergusse, welchen er dem Mädchen gesandt, niedergelegt, so wollte es doch seiner jetzigen Lage gegenüber kaum in’s Gewicht fallen. Unwillkürlich trat ein alter Vers in seine Erinnerung:

Wer einmal sein Glück verstoßen kann,
Den sieht’s auch im Leben nicht wieder an!

und es wurde ihm ganz so, als sei er bestimmt, ein illustrirendes Beispiel dafür abzugeben.

So war er in New-York angekommen, ohne einen Plan auch nur für seine nächsten Schritte entworfen zu haben, war aber endlich mit sich einig geworden, zuerst den Kupferschmied aufzusuchen, und wo möglich mit diesem zusammen seine Wohnung zu nehmen.

Im nächsten Verkaufslocale hatte er Einsicht in den dickleibigen Wohnungs-Anzeiger genommen, nach längerem Suchen unter den Hunderten von Johnsons auch glücklich die bezeichnete Firma, in deren Fabrik Meißner beschäftigt sein sollte, entdeckt und wanderte nun der oberen Stadt zu. Es waren nicht eben die freundlichsten Gefühle, welche ihn noch vor wenig Tagen gegen den Kupferschmied beseelt; dieser war es gewesen, welcher dem Agenten gegenüber ein zweifelhaftes Licht auf das Verhältniß zwischen Reichardt und Mathilden geworfen, und so die Ursache zu dem ganzen Unglücke in St. Louis gegeben hatte. Reichardt kannte die kaustische Manier, in welcher der Witzbold sich gern gehen ließ, so wenig auch seine Worte von einem bösen Herzen dictirt wurden; als aber dieser erste Eindruck vorüber war und die Erinnerung an das übrige treuherzige Wesen des Reisegefährten, an die vielfachen Beweise von Anhänglichkeit, welche dieser ihm während der Ueberfahrt gegeben, sich geltend machte, ließ er gern seinen Groll schwinden und nahm sich nur vor, ihm die ganzen Folgen, welche ein paar unvorsichtige Worte hervorzubringen im Stande sind, durch sein eigenes Beispiel vor die Seele zu führen.

Es war ein großes Gebäude in einer der Geschäftsstraßen der mittleren Stadt, von welchem dem Angekommenen die Firma „F. Johnson and Son“ in gewaltigen Lettern entgegenblickte. Der untere Raum, dessen nur durch eiserne Säulen getrennte Thüren weit offen standen, war mit langen, regelmäßigen Reihen über einander lagernder Fässer besetzt, während die linke Seitenmauer von vier kolossalen bis fast zur Decke aufsteigenden Holz-Bottichen eingenommen war und rechts eine Riesenhand die daneben befindliche Treppe hinauf nach der „Office“ wies. Reichardt warf unwillkürlich zuerst einen Blick über den ganzen, von seltener Ordnung und Reinlichkeit zeugenden Raum und trat dann auf einen zwischen den Fässern beschäftigten Arbeiter zu.

„Meißner?“ erwiderte der Angeredete auf Reichardt’s Frage [386] nach dem Kupferschmied, „ich denke nicht, daß Jemand dieses Namens hier im Geschäft ist – o, warten Sie einmal!“ unterbrach er sich plötzlich, „das kann der Willy oder Billy sein, wie wir ihn nennen, und der ist gleich hier nebenan!“ Er wandte sich nach der Hinterthür und ließ dort ein lautes: „He, Bill, Billy!“ hinausklingen; Reichardt aber dachte zum ersten Male an die Möglichkeit, den Gesuchten hier nicht mehr zu treffen und dann wieder allein sich seinem Glücke oder Unglücke überlassen zu müssen – Schritte klangen hinter den Fässern her, und mit einer peinlichen Spannung sah er der Erscheinung des Herankommenden entgegen. Da tauchte ein theilweis geschwärztes Gesicht auf, das ihn einen Moment scharf ansah, sich dann aber zu einem Lachen verzog, das unter den schwarzen Flecken zur vollständigen Grimasse wurde. – „Halloh, der Professor! ’s ist bei Gott der Professor!“ rief es, aber erst als Reichardt seine Finger in dem Händedruck des Andern fühlte, erkannte er die bekannten Züge. „Wo zum Gewitter haben Sie denn gesteckt, daß man nicht die kleinste Spur von Ihnen hat finden können? Kommen Sie von außerhalb oder wollen Sie gehen?“ fuhr er, einen Blick auf die Reisetasche werfend, fort.

So wohl auch des „Kupferschmieds“ Willkommen dem jungen Manne gethan hatte, so kalt berührte ihn doch die Art der letzten Frage. Er hatte für ein halbes Leben Abenteuer durchgemacht, hatte sich endlich mit Sorgen und Opfern wieder nach New-York gerettet, und jetzt schien es kaum anders, als habe er den Freund zwei Tage lang beim Bier nicht gesehen. „Ich komme von einer weiten Reise, Meißner,“ sagte er, „und mein erster Gang war zu Ihnen, da ich zufällig Ihre Adresse erfahren – Sie haben jetzt wohl aber kaum Zeit, eine halbe Stunde mit mir nach irgend einem ruhigen Platze zu gehen?“

Der Andere warf einen kurzen forschenden Blick in Reichardt’s gedrücktes Auge. „Wenn Sie mich brauchen, so muß sich immer Zeit finden, ich dächte, so viel wüßten Sie,“ erwiderte er mit einem Händedruck, „warten Sie nur zwei Minuten, daß ich mir ein menschliches Aussehen geben und den nöthigen Bescheid sagen kann.“

Nach kurzer Zeit schritten Beide nach einem der nächstgelegenen Trinkkeller hinab, Meißner rief nach Bier und winkte dann seinem Begleiter nach einem Tische in der entlegensten Ecke. „Jetzt, Professor,“ sagte er, nachdem sich Beide niedergelassen, „wenn Sie nichts besonders Nothwendiges drängt, so beginnen Sie mit Ihrer Geschichte von dem Augenblicke an, der uns im Shakespare von einander trennte; ich habe manche Gründe zu vermuthen, daß ich Ihnen, wie früher bisweilen, ein Stückchen Moralpredigt werde halten müssen –“

„O, Sie deuten auf das Verhältniß zwischen Mathilde Heyer und mir,“ unterbrach ihn Reichardt; „Sie hatten es dem Agenten der Operngesellschaft in einer Weise dargestellt, daß ich in St. Louis den Menschen erstechen und dann flüchtig werden mußte –“

Meißner fuhr in die Höhe, als habe er sich auf eine Nadelspitze gesetzt, und starrte eine Secunde lang mit offenem Munde auf den Sprechenden. „Erstechen?“ rief er, blickte aber auch im nächsten Momente erschrocken in dem leeren Raum umher und drückte die Hand auf den Mund. „No, Professor,“ fuhr er mit gedämpftem Tone fort, „fangen Sie unser Gespräch nicht mit solchen Phantasien an!“

„Pure Wirklichkeit, Meißner, ich säße sonst nicht hier!“ erwiderte der Andere gedrückt, „ich wollte indessen erst später davon sprechen und Ihnen die Folgen zeigen, wenn man von einem Freunde lieber das Schlimme als das Gute glaubt –“

„Reichardt, ich will das Beste glauben, wenn Sie es verlangen, ich glaube es schon,“ drängte der Kupferschmied halblaut, „aber sagen Sie, daß Sie einen dummen Spaß gemacht haben!“

„Wir werden darauf kommen, und dann mögen Sie selbst urtheilen,“ enigegnete Reichardt in seiner frühern Weise, „Sie sollen Alles hören, was ich erlebt, wie ich jetzt stehe, und dann reden wir weiter.“ Er that einen langen Zug aus dem schäumenden Bierglase, während der Andere nur langsam und kopfschüttelnd seinem Beispiele folgte, und begann dann die Erzählung seiner Erlebnisse, von dem ersten Tage seines Boardinghauslebens an, schilderte das Fehlschlagen aller seiner Hoffnungen auf dem kaufmännischen Felde und dann Mathildens verunglückte Concertspeculation, erzählte, wie der Schmerz über den unerwarteten Fehlschlag das Mädchen an seine Brust geworfen, wie sie am andern Morgen verschwunden gewesen und er aus ihrem Briefe zum ersten Male ein tieferes Gefühl für den „Bruder“ errathen. Der Kupferschmied hatte die gedrängte Schilderung nur mit einzelnen, kurzen Kopfnicken begleitet; als aber der Redende jetzt eine kurze Pause machte, reichte er ihm mit einem Blicke der vollen Verständigung die Hand. Mit sichtlich erhöhtem Interesse verfolgte er nun Reichardt’s Berührung mit der amerikanischen Aristokratie, das sich entwickelnde Verhältniß zu Harriet, und der wechselnde Ausdruck seines Gesichts bildete die bezeichnendste Illustration zu allen später auf einander folgenden Scenen; in athemloser Spannung aber lauschte er Reichardt’s Verfolgung durch den Mob, seiner Flucht in Harriet’s Schlafzimmer, und als der Erzähler in sinkendem Tone des Mädchens Antrag und wie er diesen zurückgewiesen, berichtet, schlug der Zuhörer plötzlich auf den Tisch, daß beide Gläser in die Höhe sprangen. „Dacht’ ich’s doch!“ rief er erregt, „zu gewissenhaft, zu stolz um zuzugreifen, wenn ihm das Schicksal einen Braten vor die Nase hängt – hätte das auch in dem Verhältniß mit der Gnädigen vom Schiffe ahnen und meine natürlichen Vermuthungen fortlassen können. Sie werden wohl niemals zu etwas Rechtem in der Welt kommen, trotzdem Niemand mehr das Zeug dazu hätte, als gerade Sie, aber – nur laufen lassen, was sich nicht halten läßt, ich ändere’s doch nicht – heiliges Gewitter! so ein Mädchen und so eine Partie; warum denn nur unser Einem das Glück nicht einmal kommt!“

Reichardt hatte, ohne ein Wort zu äußern, den Sturm über sich ergehen lassen und nahm, als der Kupferschmied beide Arme kopfschüttelnd vor sich auf den Tisch legte, die Fortsetzung seiner Erzählung auf; aber nur verdrossen schien der Zuhörer den weiteren Ereignissen zu folgen und erst, als der letzte Act, der Streit mit dem Agenten und dessen tödtlicher Ausgang an die Reihe kam, zeigte sich sein volles Interesse wieder rege.

„Eine weitere Nachricht, daß der Mann wirklich todt ist, haben Sie also nicht?“ fragte er, als der Erzähler geschlossen, und sprang bei dessen Verneinung mit sichtlicher Erleichterung von seinem Stuhle. „Well, Professor,“ fuhr er, dicht an den Andern heran tretend, halblaut fort, „so sehe ich auch noch gar keinen Grund, weshalb er durchaus gestorben sein muß. Wir nehmen vorläufig das Beste von dem Unglück an, wie es jeder vernünftige Mensch thun würde, bis es sich anders zeigt, und sind um so mehr dazu berechtigt, als wir Beide nur die unschuldigen Ursachen waren.

Ich sage Ihnen, ich sehe den Menschen ganz genau auf seinen zwei Beinen herumgehen und sich freuen, daß Sie ihm so geschwind aus dem Wege gegangen sind – so!“ fuhr er laut fort, seinen Platz wieder einnehmend, „und nun gehen wir zu den andern nöthigen Dingen über. Frisches Bier!“ rief er und begann mit beiden Gläsern auf dem Tische zu trommeln, bis der „Barkeeper“ vom andern Ende des Raumes heransprungen war.

Reichardt lehnte sich, die Hand gegen die Stirn gedrückt, in seinen Stuhl und athmete leichter auf, als es seit einer Woche geschehen. Ob ihm das freie Aussprechen Luft gegeben, ob des Kupferschmieds aufgewecktes Wesen belebend auf ihn gewirkt, oder die bekannten New-Yorker Umgebungen ihren Einfluß übten, er wußte es nicht; seine Zukunft aber, so wenig Aussicht sie ihm auch zeigte, wollte ihm nicht halb so trostlos mehr erscheinen als noch vor wenigen Stunden.

„Ja, zu den andern nöthigen Dingen,“ begann er, als das Bier auf dem Tische stand, seine frühere Stellung wieder einnehmend. „Sie wissen jetzt meine ganze Lage, Meißner, und alles Zanken über meine Verfahrungsweise ändert nichts daran. Mein einziger Plan ist jetzt, den kleinen Musiker wieder aufzusuchen, der mir in Saratoga Beschäftigung geben wollte, oder, wenn er mich abweist, mich vorläufig nach einer Stelle in einem Trinklocale als Pianist oder Violinist umzuthun. Eine Geige allerdings muß ich mir wieder zu verschaffen suchen, aber das wird nicht zu den Unmöglichkeiten gehören. Wissen Sie etwas Anderes für mich, Meißner, so sagen Sie es.“

Der Angeredete stützte den Kopf in die linke Hand und malte mit der andern große Buchstaben aus dem verschütteten Bier auf den Tisch. „Meine Meinung ist,“ sagte er nach einer Weile, „daß aus dieser Art Musikanten-Geschichten niemals etwas Rechtes herauskommen kann. Ein gewöhnlicher Mensch wird dabei zu jeder andern Arbeit untauglich und stirbt wie er angefangen, und wen es vorwärts treibt, ohne daß er einen Weg dazu sieht, der wird aus Desperation liederlich. Ich kann Ihnen jeden Abend [387] ein halbes Dutzend lebendiger Beispiele zeigen. Lieber mit der niedersten reellen Arbeit angefangen – Jeder hat da einen Weg vor sich, wie er ihn sich selbst zurecht zu machen versteht.“

„Ja doch, ich acceptire jede Arbeit, deren mein Körper fähig ist,“ erwiderte Reichardt eifrig; „aber was, wie, wo?“

Der Kupferschmied hatte noch immer seine Buchstaben gemalt, begann sich aber jetzt mit vollen Kräften hinter dem Ohre zu kratzen. „Ich wüßte wohl etwas,“ sagte er endlich, auf den Tisch schlagend, „aber ich weiß doch, daß es nicht geht. Wenn Sie mit Ihrer Violine in der schmutzigsten Bierstube stehen, so können Sie mit jedem Striche zeigen, daß Sie wo ganz anders hin gehörten, und schaffen sich eine Befriedigung daran – hier aber handelt es sich um die einfache, nackte Erniedrigung bei Ihren Kenntnissen, und es ist ungewiß, ob es überhaupt einmal anerkannt wird, was Sie verstehen.“

„Gut, Meißner, so sagen Sie wenigstens, wie diese Erniedrigung heißt; das Musikmachen ist nichts für mich als die letzte Retirade vor dem Hunger, und ich will gern das irgend Mögliche ergreifen, das mich davor schützt. Wollen Sie noch etwas hören, so sage ich Ihnen, daß mir mit dem Verluste meiner Violine noch die letzte Poesie geschwunden ist, die sie mir in das Musikanten-Gewerbe legte, und daß dieser letzte Schlag nach meinem übrigen Unglücke mir nur wie das Siegel zu der unsichtbar geschriebenen Warnung vorkam: Suche Dein Heil auf einem andern Felde!“

„Und also war ich mit meinen Worten zum nachdrücklichen Postscriptum bestimmt!“ nickte der Andere mit einem Anfluge von Satire, „so mag denn auch die unsichtbare Macht das Uebrige auf sich nehmen. Einer von unsern Porters wird heute noch kündigen, und ich denke, daß ich so viel Einfluß habe, um Ihnen die Stelle zu verschaffen, wenn nämlich, wie gesagt –“

„Porter, was ist das?“ unterbrach ihn Reichardt.

„Porter – well,“ erwiderte der Kupferschmied zögernd, und in seinem Gesicht spielte es halb wie Humor, halb wie eine Art Verlegenheit, „in ehrlichem Deutsch: Hausknecht, nach amerikanischen Begriffen nämlich –“

Er hielt inne; Reichardt hatte den gespannten Blick plötzlich niedergeschlagen, sich dann rasch erhoben und durchschritt mit schnellen Schritten die ganze Länge des Locals. Langsam kam er wieder zurück. „Beantworten Sie mir gewissenhaft die eine Frage, Meißner,“ sagte er, vor dem Dasitzenden stehen bleibend, „würden Sie die Stelle annehmen, wenn Sie eben nichts Besseres hätten?“

„Ei, ich habe sie versehen, bis die Herren ausfanden, daß ein Kupferschmied mit Brennerei-Kenntnissen sich vortheilhafter verwenden läßt!“ entgegnete der Befragte; „ich habe sie versehen und mich dabei gar nicht übel befunden – das war ich indessen –“

„Gut, und jetzt bin ich es!“ entgegnete Reichardt, während ein leises Roth in sein bleichgewordenes Gesicht stieg, „thun Sie für mich, was Sie können, und ich hoffe den Platz auszufüllen.“

Ein eigenthümlicher Glanz trat in des Kupferschmieds Auge, als er die dargebotene Hand ergriff. „Ich wußte ja wohl, daß Sie ein tüchtiges Herz haben,“ sagte er, „wenn es sich nur nicht Ihrem eigenen Vortheile in den Weg stellen wollte. Aber es mag sein – laufen lassen, was sich nicht halten läßt!“ setzte er hinzu, als wolle er damit die ihn überkommene Stimmung von sich werfen. „Damit Sie indessen nicht unter falschen Erwartungen eintreten, Professor, so sage ich Ihnen, daß Sie trotz aller Kenntnisse kaum Hoffnung haben, später einmal zu einem Platze in unserer Office zu avanciren. Es sind neben einem alten Buchhalter, der sitzen bleiben wird bis an sein Lebensende, mehr Söhne vorhanden, als das Geschäft jemals Clerks brauchen kann. Sie werden sich auf ein Glück von anderer Seite her verlassen müssen, und so, ehe Sie sich mit grober Arbeit die Hände für die Musik verderben, überlegen Sie Ihren Entschluß nochmals reiflich.“

„Ich bin fertig mit mir, und damit lassen Sie es genug sein!“ erwiderte Reichardt, dem Freunde auf die Schulter schlagend und dann seinen Platz wieder einnehmend. „Will mich das Glück finden, so bin ich ihm auch als Hausknecht nicht aus dem Wege – es hängt in der Welt doch nur Alles von der Chance ab – und ich werde jede ergreifen, die sich mit Ehren benutzen läßt.“

„Sei’s denn so, wenn Ihnen die Hoffnung genügt,“ nickte Meißner, nach seinem Glase greifend, „lassen Sie uns darauf trinken; dann aber werde ich Sie in meinem Boardinghause einquartieren, bis ich Alles in Ordnung gebracht habe.“ – – –

Am nächsten Morgen standen die beiden Freunde bereits vor dem Geschäftshause, als sich dort langsam die erste Thür aufthat und eine breitschultrige Gestalt verdrießlich in die Straße hinaus sah. „Die Zeit verschlafen, Henry?“ lachte der Kupferschmied.

„O, der Teufel mag in dem dunkeln Loche aufwachen, und dazu hat mich der Hund in der Nacht nicht schlafen lassen, wollte absolut die Hälfte des Bettes haben,“ brummte der Oeffnende, „möchte nicht für lange hier mein Lager haben – indessen denke ich doch, ihr seid die Ersten!“

„Well, bedanken Sie sich, ich bringe die Ablösung,“ rief der Erstere launig, „hier Mr. Reichardt, der heute eintritt – und hier,“ wandte er sich an seinen Begleiter, „unser Henry, der mit zwei vollen Whiskeyfässern Polka tanzt, unser erster Porter!“

„Auch ein Deutscher?“ erwiderte der Letztgenannte, „das ist recht, wenn er auch,“ fuhr er, Reichardt’s Finger zwischen seiner breiten, schwieligen Hand drückend, fort, „wohl noch kaum ordentlich gearbeitet hat. Es lernt sich aber in Amerika Alles, und ich denke, wir werden mit einander hinkommen!“ Mit einem Kopfnicken machte er sich an das Oeffnen der übrigen Thüren.

„Und nun warten Sie, bis Sie Jemand nach der Office hinaufgehen sehen, melden sich dort als den neuen Porter, den der Bill gebracht hat, und das Uebrige findet sich dann allein!“ sagte Meißner, in das Innere vorangehend – ihnen nach betraten zwei andere Arbeiter mit einem kurzen „guten Morgen!“ den Raum, und der Kupferschmied wandte sich in ihrer Gesellschaft dem hintern Ausgange zu.

„Hier können Sie gleich eine andere Bekanntschaft machen, die nahe genug werden wird,“ lachte der zurückgebliebene Porter, auf einen großen Neufundländer Hund deutend, der langsam und sich streckend aus dem Hintergrunde hervorkam, den dastehenden Ankömmling gleichgültig beroch und sich dann gähnend in den Ausgang stellte. „Der Kerl ist wie ein Lamm am Tage, aber hat verteufelte Mucken des Nachts. Ich hätte ein richtiges Gefecht mit ihm bestehen müssen, wenn ich ihm nicht seinen Willen mit dem Bett gethan – Sie wissen doch, daß Sie Nachts hier schlafen? können sich gleich die Gelegenheit ansehen, es ist dort unter der Treppe – recht gut, ich habe nichts dawider, nur zu dunkel und für mich ein Bischen eng.“

„Ich denke, es wird sich wohl Alles erträglich einrichten lassen!“ erwiderte Reichardt.

„Erträglich – warum nicht? – der Mensch gewöhnt sich an Alles!“ versetzte der Andere gutmüthig, hing eine große Lederschürze über und folgte den Uebrigen.

Der Zurückbleibende suchte sich einen Sitz auf einem hervorstehenden Whiskeyfasse und schlug die Arme übereinander. Es war nicht die geringste Unsicherheit über das, was er zu thun hatte, in ihm; er wollte seine amerikanische Carriere „von der Pike auf“ beginnen und sich durch alle Schwierigkeiten durcharbeiten, wie es schon so viele Andere vor ihm gethan; er hatte sich selbst gesagt, daß der geringste Gewinn, welchen er sich dadurch erringen konnte, eine praktische Geschäftskenntniß sei. Dennoch hatte er mit sich selbst zu kämpfen, um nicht den Contrast zwischen seiner jetzigen ungewohnten Umgebung und dem Gesellschaftskreise, in welchem er sich während der letzten Wochen bewegt, zu sehr zu empfinden. Schon das letzte Nachtquartier hatte ihm einen Vorgeschmack des zu Erwartenden gegeben. Fünf Mann in drei Betten schliefen in einer Stube, und der Kupferschmied hatte es arrangirt, daß Reichardt als der Sechste zu ihm gelegt ward. Es herrschten ein Humor und eine Zwanglosigkeit unter den Stubengenossen. die sichtlich von allen Seiten gepflegt wurden, nur daß Reichardt sich nicht so schnell an die directen, plastischen Ausdrücke, an die verschiedenen auftauchenden Gerüche und den herrschenden Ton im Allgemeinen gewöhnen konnte. Selbst Meißner schien eine Ahnung von den Empfindungen des Freundes zu bekommen, als dieser, um allen äußeren Eindrücken zu entgehen, die Bettdecke über die Ohren zog, und flüsterte ihm zu: „Well, Professor, Sie müssen jetzt die Verhältnisse nehmen, wie sie sind, wir haben hier noch die anständigste Gesellschaft im ganzen Hause!“ Jetzt erschien es ihm fast wie ein Glück, daß er seine Schlafstelle im Store bekam, und unwillkürlich richteten sich seine Augen nach seinem künftigen Gesellschafter, dem großen Hunde, der noch immer, die Straße beobachtend, in einer der offenen Thüren saß. Reichardt war immer ein Hundefreund gewesen und es berührte ihn wie ein gutes Vorzeichen, als das schöne Thier leicht seinem Locken folgte, ihm während seiner Liebkosungen aufmerksam in’s Auge sah und dann [388] mit seiner Nase eine genauere Inspection der neuen Bekanntschaft vorzunehmen schien.

Ein kurzer Husten in seiner Nähe machte ihn aufsehen, und sein Auge traf auf die Gestalt eines kleinen ältlichen Mannes, welcher einen scharf musternden Blick über den Wartenden gleiten ließ und dann die Treppe nach der Office hinaufstieg. Das war, Meißner’s Andeutungen nach, jedenfalls der Buchhalter, und nach Verlauf einiger Minuten folgte Reichardt. Eine Art heimisches Gefühl überkam ihn, als er in das helle, von dem frei durchlaufenden Lager-Raume des obern Stocks abgeschlagene Comptoir trat. Die drei eleganten Pulte mit ihren Sesseln, welche ihm entgegenblickten, wie der eigenthümliche Schreibstuben-Geruch mahnten ihn lebendig an eine vergangene Wirksamkeit, die er in übermüthigem Leichtsinne von sich geworfen, und er fühlte jetzt erst recht, wie glücklich er wäre, in dem alten Berufe seine ganze Genugthuung suchen zu dürfen.

Der alle Buchhalter stäubte eben in sichtlicher Mißstimmung sein Pult ab und wandte sich mit fragendem Blicke nach dem Eingetretenen.

„Der neue Porter, welchen Bill empfohlen hat!“ beeilte sich dieser zu melden.

„Ein Deutscher wieder?“ entgegnete der Alle grämlich, einen neuen Blick über Reichardt’s ganze Erscheinung werfend, „werden wohl ebensowenig vom englisch Lesen und Schreiben verstehen, als der vorige!“

„Ich hoffe, daß ich darin allen Ansprüchen genügen kann, Sir!“

„Wird sich bald ausweisen, ich mag keine Noth mehr damit haben. Jetzt fegen Sie hier aus, aber nehmen Sie die Papiere in Acht – nicht Einem von den Andern ist es eingefallen, daß man sich nicht in Staub und Schmutz hersetzen kann!“ Mit einem ärgerlichen Husten öffnete der Sprechende eins der Fenster, dem jungen Manne den Rücken zukehrend.

Reichardt sah einen Moment mit halb rathlosem Blicke um sich, er mochte seiner Brauchbarkeit nicht mit Fragen über Wo und Wie ein übeles Zeugniß geben, und doch fehlte ihm noch jede Localkenntniß. Im nächsten Augenblicke aber besann er sich, einen Besen in dem unteren Raume bemerkt zu haben, und nach wenig Secunden war er bereits an der ungewohnten Arbeit. Ehe er diese indessen in den äußern Räumen fortsetzte, begann er mit dem von dem Buchhalter gebrauchten Pfauenwedel eine sorgfältige Reinigung der Pulte, stieß die gefalzten Papiere in den ausgestaubten Fächern sorgfältig zusammen, legte die Schreibmaterialien in gefällige Ordnung und hatte die Genugthuung, das Gesicht des Alten, welches seinen Verrichtungen scharf gefolgt war, zu allerhand sonderbaren Mienen sich verziehen zu sehen. „Ist hier noch etwas für mich zu thun?“ fragte er, nach rascher Beendigung der Arbeit.

„Kann noch nichts sagen – weiß überhaupt nicht, ob Sie angenommen werden,“ erwiderte der Buchhalter, sich nach seinem Pulte wendend, „müssen warten bis Mr. Johnson kommt – können sich dort auf den Stuhl setzen.“

Reichardt nahm ruhig den ihm angewiesenen Platz ein, wenn auch die letzten Worte des Alten eine neue Unruhe in seine Seele geworfen hatten. Nach den fortwährenden Fehlschlägen zur Erlangung eines dauernden Unterkommens schien ihm der jetzige Versuch durch den Kupferschmied fast zu schnell geglückt, und es wäre ihm kaum unerwartet gekommen, wenn selbst bei den niedern Ansprüchen, welche er jetzt machte, sich neue Hindernisse in seinen Weg gestellt hätten.

Eine halbe Stunde mochte lautlos vergangen sein, als sich die Thür geräuschvoll öffnete und ein junger Mensch, eine Opernpièce pfeifend, hereintrat. Er ließ nur einen flüchtigen Blick über den Wartenden streifen und warf sich dann, ohne den Hut vom Kopfe zu nehmen, auf den Schemel vor eines der Pulte. Einen Augenblick schien er die hier neu geschaffene Ordnung zu mustern, dann aber begann er mit allen zehn Fingern trommelnd die wieder aufgenommene Melodie zu begleiten.

Der Buchhalter, das Gesicht finster verzogen, sah langsam auf. „Wenn Sie nicht arbeiten, Sir,“ sagte er, „so sollten Sie wenigstens Rücksicht auf Andere nehmen, die es thun.“

Der Angeredete unterbrach seine Unterhaltung. „Soll geschehen, Sir,“ erwiderte er mit einem Ausdrucke gutmüthiger Laune, „wußte nicht, daß Sie in Ihrer übeln Stimmung waren, Sir, ist auch sehr unrecht das, Sir, bei einem so prächtigen Morgen – sehen Sie einmal hinaus, Mr. Black, ob Sie dann noch einmal so ein Gesicht ziehen können!“

„Habe an mehr zu denken als an Ihren schönen Morgen,“ brummte der Alte, sich wieder über seine Bücher beugend, „und Ihre Briefe werden Sie wohl auch nicht damit beantworten – die westliche Post schließt um zwölf Uhr!“

„Halloh, die Briefe, richtig – wird aber Alles zu gehöriger Zeit gethan sein!“ rief der junge Mann, seinen Hut vom Kopfe reißend, „denn einmal los dafür, daß die Spähne fliegen, wenn’s doch nicht anders sein kann!“ Bald klang wieder nur das Geräusch der sich auf dem Papiere bewegenden Federn im Zimmer.

Jedenfalls war der Neueingetretene einer der Söhne, von denen Meißner gesprochen, und wenn auch Reichardt über die leichte Weise, in welcher Jener seinen Geschäften vorzustehen schien, innerlich den Kopf schüttelte, so fühlte er sich doch auch zu dem ganzen Wesen des jungen Menschen, in welchem sich noch die ganze Harmlosigkeit der Jugend mit einer glücklichen Laune gepaart aussprach, lebhaft hingezogen. Wenn sich in der übrigen Familie ähnliche Charaktere zeigten, so wußte der Deutsche, daß er sich trotz seiner augenblicklichen niederen Stellung zufriedener fühlen würde, als er erwartet.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Erinnerung an Friedrich den Großen.

(Schluß.)


Unfähig sich seiner Umgebung weiter verständlich zu machen, war der König einige Schritte vorgesprengt, um durch einen Wink mit der Hand diesen unerwünschten Lärmen der Musik verstummen zu machen. Leider nahmen die Husaren indeß die Gebehrde des Monarchen für eine ihnen gespendete königliche Begrüßung. Einen Augenblick fesselte noch ein starres Schweigen ihre Reihen, denn seit dem letzten Kriege beinahe war ihnen eine solche Begünstigung schon nicht mehr zu Theil geworden, dann aber brach es los, lawinenartig, donnergleich, und fünfzehnhundert rechtschaffene Husarenkehlen brüllten: „Vivat Fridericus!“ daß die Luft davon erschütterte. Der Ruf pflanzte sich fort auf die rückwärtigen Truppen, die Musik schmetterte darein, dieser Unglückspauker von Ziethen schien in der Freude seines Herzens absolut heute noch das Fell seiner Pauken sprengen zu wollen.

Voll wüthenden Aergers drückte Friedrich seinem Schimmel die Sporen in die Weichen, daß das edle Thier wie ein Pfeil mit ihm dahinsauste. „Will Er aufhören!“ schnaubte er den Pauker an, der unbekümmert um die zornfunkelnden Blicke des Königs noch immer, und jetzt wenn möglich noch eifriger denn zuvor, fortfuhr, sein Instrument zu bearbeiten. „Ich werde Ihm Augen machen! Hat Er nicht Ordre pariren gelernt? – General-Wachtmeister von Ziethen, der Kerl taugt nichts, er soll sofort mit seinen Pauken nach Berlin zurückgeschickt werden.“ Der Jubelruf war plötzlich verstummt, die Trompeten schwiegen, nur ein dumpfes Murren lief durch die Glieder. Doch ein Herrscherblitz des Königs, und die eiserne Disciplin des damaligen preußischen Heeres hielt jeden Mund gefesselt.

Ohne nur noch einen Blick auf das Regiment zurückzuwerfen, war Friedrich langsam die Front desselben entlang den commandirenden Generälen und Regimentschefs entgegengeritten, welche jetzt aus allen Richtungen auf ihn zusprengten. Unter der gegenseitigen Begrüßung und der Entgegennahme des Tagesrapports und der Disposition zu den heutigen Manövern hatte der General Winterfeld, nach noch einem raschen, prüfenden Blick auf das unverändert in seiner vorigen Stellung befindliche Ziethen’sche Husaren-Regiment, den Naditschzander zu sich gewinkt und mit demselben eine leise geführte Unterhaltung begonnen: „Es is sich ein Scandal, Excellenz,“ drang aus diesem Geflüster

[389]

Friedrich der Große auf dem Manöver bei Spandow.

[390] die grobe Stimme des Letzteren zu des Königs Ohren, „kann sich Husar da nix machen. Bassateremptete! wie is sich möglich zu formiren in diese Sumpf? Nix gut, nix schön. Nur der Ungar sein Husar, der Ungar sich nie in eine solche Falle vor die Maus hineinlegen.“

Auch der König warf jetzt noch einen Blick zurück nach dem Standorte des Ziethen’schen Regiments, dann überflog sein Adlerblick das Terrain. Er hatte sich orientirt und seinen Entschluß genommen.

„Messieurs,“ wandte er sich an seine Generäle, „die Situation ist zu favorable, als daß ich unsern leichten Truppen die Gelegenheit sich zu distinguiren entziehen möchte. Darum hier statt der gestern ausgegebenen folgende neue Disposition: Ein starkes Westcorps ist von Ketzin über Fahrland gegen Spandow im Anzuge, ein demselben an Zahl wenig nachstehendes Ostcorps ist zur Deckung dieser nur schlecht verproviantirten und auf eine Belagerung vorbereiteten Festung aus der Richtung von Nauen eben dort links bei dem Dorfe Seeburg eingetroffen. Zur Aufklärung seiner rechten Flanke hat der Commandeur jenes ersten Corps das Ziethen’sche Husaren-Regiment gegen das Havelufer entsendet, und befindet sich dasselbe etwa eine halbe Stunde allen andern Truppen seiner Abtheilung voraus, dort auf der Potsdam-Spandower Landstraße, eben zwischen Gatow und Fahrland im Defiliren begriffen. Der Gegner, hiervon benachrichtigt, entsendet seine Husaren und etwas schwere Cavallerie, um diese seine eigene linke Flanke bedrohende Bewegung zu verhindern und wenn möglich über das genannte Regiment einen Succès davonzutragen. Der General-Wachtmeister von Ziethen und der Oberst von Szekuli mögen hierbei gegen einander operiren.“

Die Adjutanten sprengten fort, um die nöthigen Befehle auszurichten. „Apropos,“ hielt der König die ihnen folgen wollenden Generäle zurück, „in Abänderung meiner gestern hierfür gegebenen Bestimmung soll hierbei ausnahmsweise der General Lieutenant von Winterfeld das Westcorps und –“ ein unendlich vieldeutender Seitenblick fiel auf seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, „Ew. Königliche Hoheit können das Ostcorps commandiren. Vielleicht finden Dieselben da gleich die Gelegenheit die Meriten und valeur der preußischen Husaren aus eigner expérience beurtheilen zu können.“

„Höre Er, Ziethen,“ rief der König unter dem Davonsprengen der Genannten diesen an seine Seite, „entwickele Er mir doch mal schnell seine Disposition für den gegebenen Fall.“

Alle noch Anwesenden spitzten die Ohren, der Naditschzander vermochte sich vor Vergnügen über diese neue Demüthigung seines Rivalen kaum zu mäßigen.

Die Augen des alten Husaren funkelten vor Zorn. „Majestät,“ erwiderte er fast augenblicklich, und seine Stimme klang völlig dumpf vor innerer Erregung, „wenn ich auf den Platz komme, werd’ ich’s zeigen.“

Friedrich schaute ganz erstaunt den kühnen Sprecher von der Seite an, doch der Versuch, den erzürnten Reiterführer so auf das Unpassende seiner lakonischen Antwort aufmerksam zu machen und ihn in die Schranken des unbedingten Gehorsams zurückzuweisen, schlug gänzlich fehl, Ziethen hielt vielmehr den auf ihn gerichteten Blick des Königs aus, ohne nur mit den Wimpern zu zucken. Der Mann schien völlig umgewandelt zu sein.

„Na, höre Er, Ziethen,“ hub der König nach einem fast minutenlangen Schweigen wieder an, „Er muß Sich aber doch für jegliche Situation einen Plan zu bilden wissen. Als commandirender Officier wird Er doch, nicht allein auf den blinden hasard handeln wollen. Explicire Er mir doch, wie hat Er Sich denn hierin bei Rothschloß, Neustadt und Moldau-Tein verhalten? Es wäre doch curiös, wenn Er da bei seinen remarquabelsten Rencontres auch ohne eine vorher entworfene Disposition gehandelt hätte.“

„Majestät,“ erwiderte der Alte ohne Besinnen, „wenn ich mich von der Stärke und Stellung des Feindes unterrichtet hatte, ging ich auf ihn zu, beobachtete seine Anstalten, griff ihn an und schlug ihn.“

Friedrich schien über diese kurze und doch so vielsagende Antwort betroffen, und einen Augenblick leuchtete es wie von einer freundlicheren Empfindung in seinen Zügen. Da schmetterten vom linken Flügel der bereits in Ausführung der erhaltenen Befehle begriffenen Truppen die Trompeten der Husaren von Szekuli, und man sah dieses Regiment, wie hinter demselben als zweites Treffen die Dragoner von Meinecke sich gegen die noch immer in ihrer vorigen Aufstellung verbliebenen Ziethen’schen Husaren in Bewegung setzen.

„Na, Herr General-Wachtmeister,“ wandte sich der König nach einem Blick dort hinüber in fast spöttischem Tone zu Ziethen, „zu recognosciren braucht Er diesmal nicht, da sind fünfzehn Escadrons, die zur Attaque auf Ihn ansetzen. So mache Er denn, daß er auf den Platz kömmt, und zeige Er, wofür Er Uns die Erklärung verweigert.“

Einen Augenblick nach dem Anlangen Ziethen’s bei seinem Regiment herrschte dort unten eine anscheinend unlösbare Verwirrung. Ursprünglich, in der Richtung gegen Potsdam aufgestellt, mußte die wackere Truppe zunächst auf dem so sehr beschränkten Terrain die Front ändern. Die Husaren von Szekuli, dahinter die Dragoner, rasselten heran, der Boden dröhnte von dem Gestampf ihrer Rosse. Es schien unmöglich, daß jene den auf sie geführten Stoß noch rechtzeitig würden pariren können.

Plötzlich brachen gegen Fahrland zwei Escadrons aus dem Gebüsch hervor. Wie eine Rakete schossen sie in schräger Richtung vorwärts, schnell wie der Gedanke hatten sie die rechte Flanke der Szekuli’schen Husaren überflügelt. Diese stutzten, doch bevor noch das „Halt“ der Trompeten dieses Regiments verklungen, rasselten zweimal vier Escadrons gradaus wider die Mitte desselben. Dichte Staubwolken stiegen auf und hüllten Alles in ihren Schleier. „Kehrt“, „Halt“ und „Zurück“ wurde aus den undurchdringlichen Staubwirbeln bunt durcheinander geblasen.

Das Resultat dieses unerwarteten Doppelangriffs hätte auf dem Ernstfelde keinem Zweifel unterliegen dürfen, die geworfenen Szekuli’schen Husaren würden die ihnen folgenden Dragoner mit über den Haufen gestürmt haben. Auch konnte sich der König, von diesem Meisterstreich ganz enthusiasmirt, des Ausrufes: „magnifique!“ nicht enthalten.

Da jagten von der Angriffsstelle ein Paar reiterlose Pferde an ihm vorüber. Die Ziethen’schen und Szekuli’schen Husaren waren bei dem auf so kurze Distanz unternommenen Choc der ersteren zum Theil wirklich zusammengeprallt, und einige der letzteren hatten unter diesem unerwarteten Gewaltstoß den Sattel räumen müssen.

Ueber diese unwillkommene Wahrnehmung ging bei Friedrich die anfängliche Zufriedenheit schnell wieder in eine zweifelhafte Stimmung über. Das Fernglas am Auge hafteten seine Blicke unverwandt auf dem wahrscheinlichen Orte des Zusammentreffens der beiden Regimenter; indeß das Zurückgehen der Dragoner und der Husaren von Szekuli verhinderte durch den hierbei aufgerührten Staub noch immer dort irgend etwas unterscheiden zu können.

Endlich hoben sich diese Schleier allmählich, und wie mit dem Aufrollen eines Vorhangs stand dahinter, im blendendsten Sonnenglanz, das Ziethen’sche Regiment jetzt in Linie aufgeritten. Der herrliche Anblick hatte rings um Friedrich einen Laut der Bewunderung wachgerufen. „Ein Meisterstück!“ „Wer thut’s ihm nach?“ „Superbe!“ murmelten die Herren durcheinander. „Es ist und bleibt doch der Ziethen aus dem Busch!“ wagte, von seinem energischen Temperament fortgerissen, der Prinz Dietrich von Anhalt-Dessau fast an der Seite des Königs zu äußern.

Selbst seine ärgsten Feinde hätten Ziethen kaum einen schlimmeren Streich als hier seine Freunde und Bewunderer spielen können. Friedrich vermochte Alles, nur nicht ein Vorgreifen in seinem militärischen Urtheil zu ertragen. Ein ähnlicher Fall mit diesem nämlichen Prinzen hat ihn vier Jahre später die schon gewonnene Schlacht bei Kollin verlieren gemacht, fast alle großen Unglücksfälle seines Lebens, Hochkirch, Kunnersdorf, Maxen, haben aus derselben Charaktereigenheit ihren Ursprung genommen.

„Ew. Liebden,“ kehrte sich der König in zorniger Aufwallung zu dem Prinzen, „sehen also die abgesessenen Husaren nicht, die dort hinter der Front des Regiments die über diese glorieuse Attaque zu Schanden gerittenen Pferde in das Gebüsch hinein schleppen? Das ist ja ein wirkliches champ de bataille, aber kein Manöverfeld. Für die Campagne mag der Ziethen seine Meriten besitzen, aber ich kann um seinetwillen doch keinen Krieg anfangen, und in der Garnison taugt er den Teufel nicht.“

„Sag’ ich Sie, Herr Oberst,“ äußerte gerade jetzt der Naditschzander zu seinem Nachbar in dem königlichen Gefolge, laut genug, um von dem Könige verstanden zu werden, „is sich der Officier da zwischen die zwei Husars der Oberst von Szekuli – Ah! [391] und da und dort, noch zwei von die Officiers, allesammt von die Pferd gestürzt und zusammengeritten.“

Die Sache hatte leider ihre volle Begründung. Der Zusammenprall der beiden Regimenter vorhin war zu heftig gewesen, und die vor der Front ihrer Züge und Escadrons befindlichen Officiere des Szekuli’schen Regiments, darunter auch dessen Oberst, waren die nächsten Opfer hiervon geworden. Jetzt, wo das Regiment auf weichem Wiesengrund dahintrabte und der Staub die Aussicht nicht mehr behinderte, konnte man deutlich hinter demselben diese Verletzten, von je zwei oder einem Husaren unterstützt, gewahr werden. Auch erschien in dem nämlichen Augenblicke beinahe noch der Adjutant des Obersten von Szekuli, um dem König Bericht von dem Sturz seines Regimentschefs abzustatten, bei welcher Benachrichtigung übrigens von dem Obersten die Ursache des erlittenen Unfalls, großmüthig genug, einem Fehltritt seines eigenen Pferdes zugeschrieben wurde.

Szekuli, ebenfalls ein nach dem zweiten schlesischen Kriege aus dem österreichischen in den preußischen Dienst übergetretener Ungar, doch von ungleich besserem Schlage als Naditschzander, stand zur Zeit bei Friedrich in nicht geringem Ansehen. Der Zorn des Königs kannte deshalb auch jetzt keine Grenzen mehr, er nahm sich kaum Zeit den Adjutanten zu Ende zu hören, sondern stürmte querfeldein zu dem in der Verfolgung des abziehenden Feindes mittlerweile ziemlich nahe herangekommenen Ziethen’schen Regiment hinüber.

„Herr General-Wachtmeister,“ donnerte er schon auf zwanzig Schritt auf den ihm zum Rapport entgegensprengenden Ziethen ein, „vermag Er seine Leute in der Attaque nicht besser zusammenzuhalten? Das ist ja eine schändliche Negligence und Unordnung, die in seinem Regimente eingerissen. Ist so etwas erhört, nur auf dem Manöverplatz ein ganzes Regiment mit sämmtlichen Officiers über den Haufen zu reiten? – Das Regiment,“ kehrte er sich zu der lautlos haltenden Front der Husaren, „ist das Brod nicht werth! Plumpes, unbearbeitetes Bauernvolk! …“

Weiter gelangte der König in seiner Strafrede nicht. Im heftigsten Affect war Ziethen noch zwei Schritt näher auf ihn zugeritten. Das Antlitz des alten Kriegsmanns glühte, seine Augen schienen Blitze zu sprühen, sein ganzer Körper bebte. Voll Wuth stieß er seinen Säbel in die Scheide. „Wenn wir denn jetzt nichts mehr taugen,“ rief er dem starr vor Staunen auf ihn blickenden Monarchen zu, „so haben wir doch vormals unsere Schuldigkeit gethan, und als man uns brauchte, waren wir gut genug!“

Eine Minute und darüber hielten sich der König und sein General so gegenüber. In athemloser Spannung harrten die Theilnehmer dieser Scene des Ausgangs derselben, von Moment zu Moment erwartete jeder den Verhaftsbefehl aus Friedrichs Munde zu vernehmen. Ganz im Gegentheil sänftigte sich jedoch die erste zornige Aufwallung in des Monarchen Zügen fast ebenso schnell, als sie über dieselbe aufgestiegen war. Sein Pferd herumwerfend, entgegnete er in weit gemäßigterem Tone als vorhin auf diese ihm trotzig gebotene Herausforderung nur: „Ja, damals wart Ihr gut, aber durch Eure Vernachlässigung taugt Ihr jetzt durchaus zu Nichts!“

Damit kehrte der König dem General den Rücken und ritt langsam die Front des Regiments hinunter. Er schien es nicht zu bemerken, daß Ziethen, nach Uebergabe des Befehls an seinen Oberstlieutenant von Zedmar, sich seiner Suite angeschlossen hatte. Im Begriff, zu dem vorigen Standort zurückzureiten, wandte er sich jedoch im Sattel und winkte den Naditschzander zu sich. „Höre Er,“ redete er denselben an, „ich habe Ihm heute früh die Gelegenheit sich zu zeigen, versprochen und ich will Ihm Wort halten. Er soll an des gestürzten Obersten von Szekuli Stelle für heute dessen Regiment commandiren. Die Disposition zu dem statthabenden Manöver kennt Er, besondere Instructions habe ich dem nicht hinzuzufügen. Er braucht nur die Ideen, und Intentionen über die Verwendung der Husaren auszuführen, die Er neulich vor mir und dem General von Winterfeld explicirt hat. Um Ihm für einen gelegentlichen coup de main freie Hand zu lassen, soll Er übrigens nur im mittelbaren Anschluß an das Winterfeld’sche Corps, in dem Verhältniß als Partisan und Parteigänger operiren.“

Der neue Befehlshaber glaubte dem Könige durch die nachträgliche Ausführung der vorhin gegen das Ziethen’sche Regiment gescheiterten Absicht einen besonderen Beweis seiner Geschicklichkeit liefern zu können; allein das Prinz Heinrich’sche Corps war nach der disponirten Zeitbestimmung mittlerweile bereits auf dem Manöverfelde angelangt, und die Lage der Dinge hatte sich dadurch natürlich sehr geändert. Auch verlor Naditschzander, um ja vor jedem Fehlschlag gesichert zu sein, mit den Vorbereitungen zu der beabsichtigen Attaque so viel Zeit und zersplitterte seine Kräfte so sehr, daß darüber das Ziethen’sche Regiment nicht nur Gelegenheit erhielt, sich aus dem Defilé heraus und an seine Infanterie heranzuziehen, sondern, der Unterstützung jetzt gewiß, auch sicher sein konnte, überallhin mit Ueberlegenheit auf den Feind zu treffen. Umgekehrt befand sich die Abtheilung Naditschzander’s durch das von demselben angeordnete erneute Vorgehen bei 4000 Schritt von ihrem Hauptcorps getrennt, mit der natürlichen Rückzugslinie auf die Havel. Die wiederholten Befehle endlich, welche Winterfeld an seinen bisherigen Protégé gesendet hatte, sich unverzüglich wieder mit ihm in Verbindung zu setzen, waren von diesem im Hinweis auf die ihm überwiesene selbstständige Stellung abgelehnt und unberücksichtigt gelassen worden. Erwähnt muß übrigens noch werden, daß der Oberstlieutenant von Zedmar allgemein und mit Recht als Ziethen’s bester Schüler betrachtet wurde, und daß die so sehr gereizte Stimmung im Ziethen’schen Regiment wohl voraussetzen ließ, wie sehr die Officiere und Mannschaften desselben heute Alles aufbieten würden, sich wenn möglich selbst zu übertreffen.

Der König hatte wiederholt bei den Anstalten Naditschzander’s den Kopf geschüttelt, das Glas kam kaum von seinen Augen. „Ist denn der Kerl toll geworden?“ hörte man ihn zwischen den Zähnen murmeln.

Was vorauszusehen war, geschah. Lange bevor Naditschzander mit seinen Vorbereitungen zu Ende gekommen, warfen sich die Ziethen’schen Husaren auf seine Abtheilung. Der Angriff zeigte sich dabei so wohl berechnet, daß die aus dem zweiten Treffen herbeistürmenden Dragoner von Meinecke sich gleich von vorn herein von den Husaren von Szekuli getrennt befanden. Winterfeld besaß bei seinem Corps an Cavallerie noch die zwei Cürassier-Regimenter „Leibcürassiere“ und „Prinz von Preußen“, er schickte beide vor, um jenen zur Aufnahme zu dienen. Indeß bereits hatte auch die gesammte noch übrige Cavallerie des Prinzen Heinrich, zusammen 16 Schwadronen, mit in die Action eingegriffen. Attaque folgte nun auf Attaque. Auch die beiderseitige Infanterie war darüber auf einander getroffen, Staub und Pulverdampf machten jedes Erkennen der ferneren Vorgänge unmöglich. Endlich mit dem Seitens des General Winterfeld in der Richtung auf Seeburg angetretenen Rückzüge ließ sich die Lage der Dinge wieder ungefähr beurtheilen.

Der größte Theil der Cavallerie des Letzteren war von seinem Corps abgeschnitten und gegen Spandow zurückgeworfen, ein Theil des Ziethen’schen Husaren-Regiments nebst noch einem Dragoner-Regiment des Prinz Heinrich’schen Corps verfolgten dieselbe. Das Gros der Cavallerie dieses letzten Corps befand sich dagegen in der linken Flanke der Infanterie von Winterfeld, welche überdies in der Front von dem gesammten Fußvolk des Gegners, nach dem französischen Ausdruck, mit dem Bajonnet in der Rippe, gedrängt wurde. Von dem Szekuli’schen Regiment endlich entdeckte man einige Escadrons über das Defilé von Glatow hinaus, auf der Potsdam-Spandower Landstraße; weitere drei Escadrons desselben befanden sich hart unter dem Standort des Königs, an die Havel gedrängt, und weitab in der Richtung von Pichelsdorf schien nach dem lustigen Getümmel, das dort sichtbar wurde, der andere Theil des Ziethen’schen Regiments den Rest der Husaren von Szekuli in die dort gelegenen Sümpfe und Lehmgruben getrieben zu haben. Eben in diesem Moment löste sich aus dem bunt durcheinander treibenden Gewühl daselbst eine rasch querfeldein zurücksprengende kleine Abtheilung von vielleicht dreißig bis vierzig Reitern los; ein nicht enden wollendes Jubelgeschrei, untermischt mit den verschiedenartigsten Reitersignalen, tönte von dorther bis zu dem König herüber.

Die Situation konnte keinem Zweifel unterliegen. Den siegenden Feind in der Front und in der Flanke hätte Winterfeld auf der beinahe völlig ebenen Plaine bis Seeburg seinen Rückzug nimmermehr bis zu diesem noch eine gute Viertelmeile entfernten Dorfe fortsetzen können, ohne zuvor gesprengt und so gut wie aufgerieben zu werden. Auf dem Manöverfelde war dies ein unglücklicker strategischer Zug, auf dem Schlachtfelde wäre es eine totale Niederlage gewesen.

[392] Das Manöver hatte mit diesem Ausgange seinen Abschluß erreicht, auf beiden Seiten ward deshalb zum Sammeln und Frieden geblasen. Die Commandeurs und Oberofficiere sprengten zum Könige, um über ihre Leistungen dessen Urtheil einzuholen.

Als der Erste von Allen war übrigens bei dem Standorte des Monarchen der Herr Naditschzander eingetroffen. Freilich sehr wider seinen Willen und in einem Aufzuge, der zu seinem stolzen Auftreten von heute Morgen den schneidendsten Contrast bildete. Der Rittmeister von Reitzenstein, Ziethen’schen Regiments, hatte sich vorhin vor Pichelsdorf einen günstigen Moment ersehen, war auf ihn eingesprengt, hatte ihn am Kragen ergriffen, vom Pferde gerissen und gefangen genommen. Zu Fuß, durch den Sumpf geschleift, eine Fouragirleine um den Leib und unmittelbar, wie er aus den Fäusten der erbitterten Husaren hervorgegangen, erschien der Ungar jetzt vor dem Könige. Der Anblick war so lächerlich, daß dieser selbst seinen Ernst nicht bewahren konnte. Friedrich lächelte, die Generäle und Officiere seines Gefolges schüttelten sich vor Lachen über diesen traurigen Ausgang des fremden Abenteurers, der allgemeine Jubel wollte kein Ende nehmen.

„Majestät,“ schrie Naditschzander dazwischen, „habe ich mich zu beklagen über die Husaren von die Ziethen. Is sich keine Art! Haben sie mich geschlagen mit die Strick und die Säbel. Sind sich das schlechte Husar, verstehe sich nix von die Krieg und die Manöver …“

„Na höre Er, Naditschzander,“ unterbrach der König den Wüthenden, „seine Theorie über den Dienst der Husaren von neulich war recht gut, aber in der Praxis hat Er heute ganz erbärmlich bestanden. Im Uebrigen laß Er mir die Ziethen’schen in Frieden, den Krieg wenigstens verstehen die aus dem Grunde, das sollte Er heute doch wohl zur Genüge an sich selber erfahren haben – Und sind sie allerwege gut,“ fügte er in erhöhtem Tone zu dem Rittmeister von Reitzenstein und den mit demselben gekommenen Husaren gewendet hinzu, „selbst wenn sie mir beim Manöver gelegentlich wieder einmal ein paar Pferde gleich in Grund und Erdboden reiten sollten.“

Zusammenfallend mit diesen letzten Worten des Königs waren der Prinz Heinrich von der einen, und der General von Winterfeld von der anderen Seite auf denselben zugesprengt. Das Antlitz des letzteren erschien ganz blaß vor Wuth und Beschämung, seine innere Erregung riß den sonst so gewandten Hofmann fort, wider die Etiquette den König zuerst anzureden.

„Haben Ew. Majestät die Gnade,“ begann er fast noch unter dem Pariren seines Pferdes, „den Ausfall des heutigen Manövers nicht mir zuzuschreiben. Dieser verdammte Kerl, der Naditschzabder –“

Ein Blitz aus den Herrscheraugen Friedrichs machte den General mitten in seiner Entschuldigung verstummen; mit tödllichem Schrecken ward er, der den König so gut kannte, sich bewußt, daß er diesen durch jenen ersten Verstoß und danach noch weit mehr durch den ungeschickten Versuch, dessen Urtheil zu captiviren, in ein und demselben Moment zweifach verletzt habe.

Die Strafe hierfür sollte nicht auf sich warten lassen. „Ew. Königliche Hoheit,“ hatte sich Friedrich, wie wenn er die Anrede des Generals ganz überhört hätte, an seinen Bruder gewendet, „haben bei dem heutigen Manöver die ganze Force und Geschicklichkeit eines tüchtigen Generals zu erkennen gegeben. Eine gleiche Sicherheit Zug um Zug, ein bestimmteres Eingreifen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort ist mir noch selten zu Gesicht gekommen. – General-Lieutenant von Winterfeld,“ kehrte er sich zu diesem, „Er hat heute seinen unglücklichen Tag gehabt und wird seine üble Meinung über die preußischen Husaren nun wohl geändert haben. – Höre Er, Ziethen.“ rief der König, sein Pferd zur Heimkehr wendend, den alten Reitergeneral an seine Seite, „weiß Er, heute in Sanssouci bei der Mittagstafel kann Er uns beiden, mir und meinem Bruder, die Geschichten von Rothschloß, Neustadt und Moldau-Thein gleich miteinander erzählen.“




Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 3.
(Schluß.)
Nattern – Die Blindschleiche und ihre Ungefährlichkeit – Die Frösche, Kröten, Unken und Salamander – Die Feuerfestigkeit des Salamanders – Ehrenrettung der vielverleumdeten Kröte – Ihre Verwendung in Salat- und Gemüsepflanzungen – Die Geburtshelferkröte.

Die Viper beißt, wie schon angeführt, den Menschen nur in der Noth, zur Vertheidigung; denn sie nährt sich nur von kleineren Thieren, welche sie ganz hinabschlingen kann. Vögel mag sie bei ihrer Plumpheit und Trägheit nur selten erhaschen, und was man von der Zauberkraft ihres in der That schönen Auges erzählt, ist eitel Fabel. Ihre Lieblingsnahrung besteht aus Mäusen und selbst Maulwürfen, die sie ganz hinabschlingt. Wyder in Lausanne, einer jener seltenen Schlangenfreunde, der sein ganzes Haus förmlich mit lebenden Reptilien angefüllt hatte, fand eines Tages eine scheinbar dickgeschwollene Kreuzotter regungslos am Wege liegen. Er stopfle sie in eine Flasche, durch deren Hals der dicke Leib nur mit Mühe hindurchzubringen war, und brachte so seine Beute nach Hause. Als er dort seine Flasche hervorzog, fand er darin die vollkommen schlank gewordene Kreuzotter und die Leiche eines großen Maulwurfes, die in keiner Weise mehr durch den Hals der Flasche zu bringen war.

Den gefeieten Feind der Otter, den Igel, habe ich schon erwähnt. Außerdem aber fürchten Marder und Wiesel, Iltis und Hermelin, sowie Bussarde und Wespenhabichte den Biß der Otter durchaus nicht und nehmen sie in den allgemeinen Raub mit, sobald sie dieselbe auf ihren Wegen finden. Auch auf Thiere mit kaltem Blute, wie Frösche, wirkt das Gift in keiner Weise.

Die übrigen Schlangen, welche wir in Deutschland und der, Schweiz besitzen: die meist graublaue Ringelnatter (Coluber [Tropidonotus] natrix), mit dem gelben, gewöhnlich schwarz eingefaßten Halsbande; die schöne Schwalbacher Natter (C. flavescens), mit bräunlichem Rücken und schwefelgelbem Bauch; die glatte Schlingnatter oder österreichische Natter (Coronella laevis) mit röthlichgrauem Leibe und braunen, fast in Zickzack gestellten Flecken auf dem Rücken; die Vipernatter (Coluber viperinus), welche in ihrer äußeren Zeichnung der Viper so ähnlich sieht – alle diese Schlangen sind vollkommen unschädliche Thiere, die einen Menschen kaum verwunden können und sich entweder, wie die wasserliebenden Ringelnattern, von Fröschen oder von jungen Mäusen und ähnlichen kleinen Bestien nähren, die sie ganz hinabschlingen. Ein neuerer Verfasser hat über diese Schlingoperation an Fröschen äußerst poetische Ergüsse in einem kleinen Buche geliefert. Wir wollen ihm in dieser Beschreibung nicht folgen, doch erlaube ich mir, seine letzten Worte zu citiren, nur um zu zeigen, wie weit Ueberschwenglichkeit sich verirren kann: „Dieser Augenblick quält dem armen Thiere regelmäßig jenen kläglichen Weheruf ab, von dem wir oben gehört haben. Unter dem Eindrucke dieses schmerzlichen Seufzers scheint auch der letzte Blick, den der Frosch aus dem Schlangenrachen in die Welt wirft, etwas besonders Trauriges zu verkünden.“

Mag man auch, um jede Ungewißheit zu vermeiden, den Satz aufstellen, daß es gut sei, alle Schlangen, die man antrifft, ohne Weiteres zu tödten, indem auch die unschuldigen der menschlichen Oekonomie keinen wesentlichen Nutzen stiften, so möchte ich doch ein Wort des Schutzes für ein Thier einlegen, dem seine leidige Schlangengestalt eine Menge von unverdienten Verfolgungen zuzieht und das sich zum Unheile eine ungünstige Maske trägt. Ich meine die Blindschleiche (Anguis fragilis), jenes harmlose walzenförmige, bräunliche Schlänglein, dem wir auf Grasplätzen, Waldwegen, an Hecken und Gebüschen begegnen, das sich nur langsam schlängelnd weiter bewegt, beim Angreifen leicht zerbricht und die meistens dem Zorne gegen die Schlangen als Opfer fällt. Gewiß würde sich die Verfolgungssucht einigermaßen legen, wenn die Leute sich wohl einprägen wollten, daß die Blindschleiche keine Schlange, sondern eine fußlose Eidechse ist, vollkommen so organisirt wie die [393] übrigen Eidechsen, jene niedlichen Thierchen, denen kein Mensch etwas zu Leide thun mag, und nur durch den Mangel der Füße von ihnen unterschieden. Denn der unterscheidende Charakter von Eidechsen und Schlangen liegt nicht in den Füßen – es giebt Schlangen mit Fußstummeln, wie die Riesenschlangen; zweifüßige Eidechsen und vollkommen fußlose Eidechsen. Der Unterschied liegt im Gegentheile in der Organisation des Maules und der Dehnbarkeit des Rachens. Die Unterkiefer der Schlangen sind im Kinne gar nicht vereinigt und stehen auf einem complicirten Gerüste ineinander gelenkter Knochenstücke, welche jede Unterkieferhälfte so mit dem Schädel verbinden, daß der Unterkiefer nicht nur nach unten, sondern auch nach der Seite außerordentlich weit abgezogen und der Rachen selbst um das Fünf- und Sechsfache des Körperdurchmessers der Schlange erweitert werden kann. Anders verhält es sich bei den Eidechsen. Bei ihnen sind die Unterkieferhälften in der Mitte fest verbunden oder selbst verwachsen; der Rachen kann sich also nur etwa so öffnen, wie derjenige eines Säugethieres, und die seitliche Erweiterung ist unmöglich. Die Blindschleiche theilt aber diese Organisation des kleinen, mit äußerst feinen, kaum einen sichtbaren Eindruck auf die Haut lassenden, kleinen Zähnchen besetzten Maules mit allen übrigen Eidechsen.

Wie diese, nährt sie sich auch. Ich habe Dutzende von Blindschleichen geöffnet und nie etwas Anderes in ihrem Magen gefunden, als Reste von Käfern, Würmern, namentlich aber von nackten Landschnecken und besonders von Acker- und Gartenschnecken, die ihre Lieblingsnahrung zu bilden scheinen. Diesen nach kriecht sie im Grase und in der Nähe der Gartenbeete und erweist sich somit äußerst nützlich für die Vertilgung unserer zerstörendsten Gartenfeinde. Sie saugt eben so wenig an Schafen und Kühen, als die Ringelnatter, welche sich in die Nähe der Ställe begiebt, um ihre Eier in die gährenden Misthaufen zu legen; – sie schleicht auch die Schlafenden nicht blind, indem sie über ihre Augen kriecht, und schlüpft nicht durch den geöffneten Mund in ihren Magen, um ihnen, wie das Volk sich ausdrückt, den Herzbündel abzubeißen. Es ist eines der unschuldigsten, harmlosesten, ja sogar nützlichsten Thiere, die man in einem Garten hegen und pflegen kann, und wetteifert in seinem nützlichen Treiben mit seinen leichtfüßigen Verwandten, den Mauer- und Landeidechsen, welche nach Insecten, Schnecken und ähnlichem Gewürme laufen, springen und klettern.

Auch die froschartigen Amphibien: die Laub- und Grasfrösche, die Kröten und Unken, sowie die geschwänzten Salamander möchte ich ausdrücklich Ihrer Liebe und sorgsamen Pflege empfehlen. Die Kirche hat sehr wohl gewußt, daß Froschschenkel zu den delicatesten Bissen gehören, und sie deshalb mit den Fischen unter die Fastenspeisen gesetzt. Die harmlosen Laubfrösche sind sogar Lieblinge der Apotheker geworden, die sie in einigen Gegenden Deutschlands als lebendige Barometer benutzen und an ihren lebhaften Sprüngen nach Fliegen in ihrer Clausur sich zu ergötzen belieben. In der That unterscheiden sich aber die Laubfrösche von den physikalischen Barometern insofern, als das Barometer mit mehr oder minder Sicherheit das Wetter anzeigt, welches kommen soll, der Laubfrosch aber dasjenige, das wirklich vorhanden ist. Ich habe wenigstens immer gesehen, daß der Laubfrosch mir nicht mehr sagte, als ein Blick aus dem Fenster; daß er im Wasser saß, wenn es draußen regnete, und auf der Leiter, wenn die Sonne schien. Es ist aber für wissenschaftlich gebildete Leute, wie die Apotheker gemeiniglich sind, jedenfalls angenehm, eine Controle der unmittelbaren Beobachtung zu besitzen.

Die kleinen Wassersalamander oder Tritonen mit zusammengedrückten breiten Flossenschwänzen, die in Gräben und Tümpeln leben, gelten an einigen Orten Deutschlands für Anzeichen trinkbaren Quellwassers, in gleicher Art wie die Grundeln; obgleich sie sich ebenso gut in stehenden Lehmgräben und Schlammtümpeln, als in den stillen Quellenbächen schattiger Wälder aufhalten. Sonst hat die Volkssage wohl keinerlei Bedeutung an diese Thierchen geknüpft; dagegen hat sie sich reichlich entschädigt an den größeren Erdsalamandern mit abgerundetem Schwanze und gelben Flecken, welche wir besonders in feuchten Waldgegenden häufig antreffen. Sie sondern allerdings aus ihren Hautdrüsen einen weißen, schaumigen Schleim ab, der knoblauchartig riecht und einige ätzende Eigenschaften besitzt; allein auch diese hat man gewaltig übertrieben. Ich habe lebendige Erdsalamander stundenlang in der Hand gehalten und einmal auf einer Excursion nach dem Stockhorn, wo wir von einem starken Gewitterregen überrascht wurden, nach dem Aufhören des Regens mehr als hundert der kleineren, schwarzen Alpensalamander, welche die Feuchtigkeit aus ihren Verstecken hervorgelockt hatte, mit bloßen Händen gesammelt, ohne anderes Ungemach davon zu spüren, als den unleidlichen Geruch, der ziemlich fest an den Händen haftet. Die reichliche Schleimabsonderung aber, die stattfindet, wenn man den Salamander reizt oder quält, und die sogar einige Köhlchen auslöschen kann, wenn man ihn in’s Feuer setzt, scheint die Ursache zu all’ den Sagen gegeben zu haben, welche dieses Thier zum Gegenstande haben und wornach es im Feuer leben und in entsetzlichem Maße giftig wirken soll. Die Alten schon beschäftigten sich mit diesen Sagen, Aristoteles freilich nur mit großem Zweifel, der Compilator Plinius dagegen mit erstaunlichen Uebertreibungen. Erlauben Sie mir, Ihnen die bezüglichen Stellen nach Oken’s Verdeutschung anzuführen.

Aristoteles sagt von ihnen nur: „Daß die Natur gewisser Thiere dem Feuer Widerstand zu leisten fähig sei, zeigt auch der Salamander, der, wie man sagt, wenn er durch das Feuer geht, dasselbe auslöscht.“ (Buch V. Cap. 17 oder 19.)

Plinius dagegen sagt: „Der Salamander, ein Thier von Eidechsengestalt und sternartig gezeichnet, läßt sich nur bei starkem Regen sehen und kommt bei trockenem Wetter nie zum Vorschein. Er ist so kalt, daß er wie ein Eis durch bloße Berührung Feuer auslöscht. Der Schleim, der ihm wie Milch aus dem Munde läuft, frißt, er mag eine Stelle treffen, welche es sei, die Haare am ganzen menschlichen Körper weg, und die benetzte Stelle verliert die Farbe und wird zum Male.“ (Buch X. Cap. 86.)

„Unter allen Giftthieren sind die Salamander die boshaftesten, denn andere verletzen nur einzelne Menschen und tödten nicht mehrere zugleich. Nicht zu gedenken, daß andere Giftthiere, wenn sie einen Menschen verwundet haben, durch das Bewußtsein davon umkommen und von der Erde nicht wieder angenommen werden; will ich nur sagen, daß der Salamander ganze Völker tödten kann, wenn sie nicht auf ihrer Hut sind. Wenn er auf einen Baum kriecht, vergiftet er alle Früchte, und wer davon genießt, stirbt vor Frost, nicht anders als ob er Aconitum genommen hätte. Ja, wenn bei einem Holze, das er nur mit dem Fuße berührt hat, Brod gebacken wird, so ist es vergiftet; und fällt er in einen Brunnen, so ist es das Wasser nicht minder. Wenn man mit seinem Speichel einen Theil des Körpers befeuchtet, und wenn es auch nur die Fußsohle ist, so geht das Haar am ganzen Leibe davon aus. Doch wird dieses so giftige Thier von einigen anderen Thieren gefressen, wie z. B. von den Schweinen, da dann jene natürliche Antipathie die Oberhand behält. Außer dem, was man von einem Kantharidentranke und von einer gespeisten Eidechse erzählt, ist wahrscheinlich, daß sein Gift vorzüglich durch solche Thiere gedämpft wird, welchen es zur Nahrung dient. Die übrigen Gegenmittel sind bereits angeführt, und einige werden am gehörigen Ort noch vorkommen. Wäre das gegründet, was die Magier vorgeben, da sie nämlich gewisse Theile des Salamanders als Mittel wider Feuersbrünste vorschlagen, weil er das einzige Thier ist, welches das Feuer auslöscht, so würde Rom längst den Versuch gemacht haben. Sextius sagt: wenn man einem Salamander die Eingeweide ausnimmt, Füße und Kopf abschneidet und ihn in Honig aufbewahrt, so diene er, als Speise genossen, zu einem stimulirenden Mittel; leugnet aber, daß er das Feuer lösche.“ (Buch XXIX. Kap. 23.)

Die Erzählung Benvenuto Cellini’s in seiner Lebensbeschreibung, wonach sein Vater einen im Feuer tanzenden Salamander sah, mag Ihnen beweisen, daß das alte Märchen auch im Mittelalter in vollem Glauben stand. Die Beobachtung belehrt uns, daß der Salamander ein harmloses Thier ist, das feuchte, dunkele und schattige Orte bewohnt, Tags über sich verborgen hält, nur bei Nacht oder Regenwetter aus seinen Schlupfwinkeln hervorkommt und sich hauptsächlich von Würmern, nackten Schneckchen und weichen Insecten nährt.

Ich komme zu den Kröten, die sich zoologisch weit weniger durch die warzige Haut und den kriechend schleppenden Gang, als vielmehr durch die Zahnlosigkeit ihres Maules von den Fröschen unterscheiden. Giebt es etwas Häßlicheres, als eine recht große, platte Kröte mit dickgeschwollenem Bauche, die langsam nächtlicher Weile aus ihrem Verstecke unter Gebüschen und Steinen hervorschleicht, [394] den Genuß des Mondscheines in warmen Sommernächten stört und einen eklen Knoblauchgeruch um sich verbreitet? Der Sachsenhäuser erschöpft allen Abscheu, den er in Ausdruck, Stimme und Ton zu legen fähig ist, wenn er zu einem Gegner: „Du Krott!“ sagt.

Vor einiger Zeit machte eine Notiz Aufsehen, die durch alle Tagesblätter lief. Ein beträchtlicher Handel, hieß es, werde von Frankreich nach England mit Kröten getrieben. Man bezahle in London für eine kräftige ausgewachsene Kröte von guter Gesundheit bis zu einem Schilling – ein Pfund für das Dutzend, und setze diese Kröten in die Londoner Gärten, wo man ihnen eigene Schlupfwinkel zurichte. Es gab nicht Wenige, die über diese neue Bizarrerie der englischen Gärtner die Köpfe schüttelten. Die Engländer haben Recht. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Aber es ist nicht so leicht wider den Stachel zu löken. Ich hatte eine faustgroße, braune Kröte in meinem Garten, die Abends aus einem Gebüsche unter einer Mondscheinbank hervorkroch und über deren Geschick ich sorglich wachte. Ein weibliches Wesen, das sie einst gewahrte, zerhieb sie mit dem Spaten und glaubte eine gute That verrichtet zu haben. Die Schnecken aber fraßen die Reseda’s, die bis dahin so wohlriechend vor der Bank geduftet hatten.

Was hat man den armen Kriechern nicht Alles angedichtet! Die Erzählung im Decamerone des Boccaccio, in welcher zwei Liebende durch die Ausdünstung einer großen Kröte getödtet werden, die unter dem Salbeibusche sitzt, an dem sie sich getroffen haben, ist nur ein schwaches Spiegelbild dessen, was man den Kröten zumuthet.

Es ist wahr, daß die meisten Arten, besonders die große braune Gartenkröte (Bufo vulgaris), sowie die grüne Knoblauchskröte (Bufo calamita) eine warzige, dick mit Drüsen besetzte Haut besitzen, welche einen weißlichen scharfen Saft absondert, der besonders bei der letztgenannten sehr scharf und unangenehm riecht, vielleicht auch eine zarte Haut ein wenig zu röthen im Stande ist. Vögel, denen man diesen scharfen Saft einimpfte, starben nach kurzer Zeit unter Zuckungen. Auch der Geschmack scheint nicht besonders angenehm; wenigstens schonen manche Thiere, die Frösche fressen, die Kröten oder verzehren sie wenigstens nicht. Aber gefährlich und giftig ist dieser Saft für den Menschen nicht. Ich habe manche Kröte lebendig zu Versuchen geöffnet und längere Zeit in den Händen gehabt und habe nie auch nur Röthung an den Händen gesehen oder Brennen gespürt. Die Hautabsonderung ist, wie die des Salamanders, scharf und unangenehm, aber schädlich kann sie den Menschen nicht werden.

In den „Lehren der Weisheit und Tugend“, die wir als Knaben auswendig lernen mußten, stand auch die berühmte Fabel (von Lichtwehr, wenn ich nicht irre) von dem Johanniswürmchen und der Kröte, die „all’ ihr Gift nach ihm spritzt“. Die Kröten spritzen also Gift! Sie spritzen in der That manchmal, wenn man sie ängstigt, eine klare wasserhelle Flüssigkeit aus dem After. Die Frösche thun das auch, und kein Mensch hält sie deshalb für giftig. Es ist fast reines Wasser, welches die Thiere auf diese Weise aus einer sogenannten Harnblase von sich geben, und von Gift ist gar keine Rede.

Der Biß der Kröten ist entsetzlich giftig! Wir wollen das glauben, sobald wir eine Bißwunde von einer Kröte gesehen haben. Die Kiefer aber sind durchaus zahnlos, mit weicher Haut überzogen, nicht einmal hart, hornig und scharf, wie ein Vogel- oder Schildkrötenschnabel, und so dünn und so schwach! Eine Kröte kann bei Weitem nicht einmal so stark mit diesen Kiefern klemmen, wie ein neugeborenes Kind mit seinen zahnlosen Kinnladen, das kaum Kraft hat, die Brustwarze seiner Mutter fest genug zum Saugen zu umfassen. Sage doch Einer, daß ein wenig Tage alter Säugling auf’s Blut beißen könne.

Gut – so beißen sie nicht! Aber sie saugen den Ziegen und Kühen im Stalle die Milch aus, und ihr Speichel legt durch seine giftige Wirkung die Thiere trocken!

Speichel? Sie haben kaum solchen, und saugen können die Kröten eben so wenig als die Frösche. Der Bau ihres Maules erlaubt es nicht.

Wahrlich, alle diese Anschuldigungen sind eitel Dunst und Verleumdung. Sehen wir davon ab und gehen wir auf den Grund, indem wir einsehen, daß ein nächtliches Thier von abschreckender Häßlichkeit, unheimlicher Lebensart, unangenehmem Geruche nothwendig alle Vorurtheile auf sein Haupt sammeln muß.

Fragen wir aber die Beobachtung, die nüchterne Beobachtung, und unser Abscheu wird sich wenigstens in Duldung verwandeln. Wir sehen nun ein Thier, das mit dem Sinken der Nacht, besonders bei feuchtem Wetter und Regen, seinen dunklen Schlupfwinkel verläßt und langsam, halb hüpfend, halb schlurrend, spähenden Auges in Feld und Garten am Boden schleicht. Es kann außerordentlich lange hungern und dabei fast zur Mumie eintrocknen – es kann große Mahlzeiten zu sich nehmen und fast übermäßig fressen. Aber nie wird man etwas Anderes in seinem Magen finden als unverdaute Reste von Insecten, von Käfern, Larven und Würmern, vor Allem aber von nackten Gartenschnecken. Davon vertilgt eine Kröte so bedeutende Mengen, daß man keinen besseren Hüter der zarten Salatpflanzen, der jungen Gemüse finden kann. Wenn Nacht und Feuchtigkeit die Schnecken aus dem Boden hervorlocken, dann beginnt auch die Kröte ihre langsame, aber sicher schleichende Jagd, die erst mit dem Sonnenlichte aufhört. Sie hat nur ein kleines Revier, dies aber begeht sie auch gründlich und lernt es um so besser kennen, als ein langes Leben sie befähigt, es Jahre lang zu durchstreifen.

Die englischen Gemüsegärtner haben sich dies zu Nutze gemacht. Die Naturforscher haben schon seit Jahrzehnten die Unschädlichkeit der Kröten gepredigt, aber man hörte sie nicht. Cuvier schon sagte vor fünfzig Jahren: „Die Kröten sind Thiere von häßlicher, ekelhafter Gestalt, die man aber mit Unrecht anklagt, durch ihren Speichel, ihren Biß, ihren Harn und selbst durch ihre Hautausdünstung giftig wirken zu können.“ Jetzt, wo die Engländer in Mißachtung historisch angewachsener Vorurtheile vorangegangen sind, werden andere Länder vielleicht ihrem Beispiele folgen. Man wird finden, daß die Kröten höchst nützliche Thiere sind, daß sie kein Gift bereiten und daß man sie auch nicht vor Spinnen zu hüten braucht, unter deren Geweben sie platzen sollen, wenn sie darunter wegkriechen. Man wird sich überzeugen, daß ein Garten, in dem Kröten, Blindschleichen und Maulwürfe hausen, weit mehr Gemüse bringt, als ein anderer, in welchem man alle diese Schleicher und Wühler sorglich entfernt hat, und man wird sich freuen, Kröten Jahre hindurch zu hegen und am Ende zu freundlich zahmen Hausthieren werden zu sehen.

In der That gewöhnen sich die Kröten an den Menschen und scheinen zarten Gefühlen nicht unzugänglich. Man kennt Beispiele, die den alten Volksmärchen entnommen scheinen, wo eine bejahrte Kröte, die schon seit dreißig Jahren unter einer Treppe hauste, jedesmal hervorkam, wenn die Familie zu Nacht speiste, um wie Hund und Katze ihren Theil mit zu haben, und wo die Familie trauerte, als ein Unglücksfall ihrer Hausunke das Leben raubte. Einige meiner Freunde behaupten, nach Wohlthaten, die sie einer Kröte bezeigt, ganz auffallende Beweise von Dankbarkeit von dem häßlichen Thiere erhalten zu haben. Ein Capitain Percy, der sich ein Nachkomme des Heißsporn rühmte, erzählte, daß er auf einer Reise in das Innere von Sicilien eine Schlange am Wege gefunden habe, die im Begriffe stand, eine Kröte zu verschlingen. Er erschlug die Schlange – die Kröte schlich davon. Sechs Tage darauf kehrte er Abends auf dem nämlichen Weg zu Esel zurück. Plötzlich patscht etwas auf seinen Schenkel – es war seine Kröte, die ihm auf diese Weise ihre Dankbarkeit bezeigen wollte und ihn ganz gewiß erkannt hatte.

„Aber, Capitain, wie konnten Sie denn erkennen, daß es gerade die Kröte war, die Sie gerettet hatten? Eine Kröte sieht ja der andern gleich, wie ein Ei dem andern!“

„Das ist wahr,“ antwortete der Capitain. „Aber sie hat mich mit so dankbaren Augen angeguckt, daß ich an ihrer Identität gar nicht zweifeln konnte!“

Wer aber noch zweifeln wollte, daß es unter den verrufenen Kröten auch empfehlenswerthe Vorbilder zärtlicher Tugend geben könne, dem will ich die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) in das Gedächtniß zurückrufen. Das Weibchen legt eine Eierschnur mit dichter Hülle, die allmählich zu einer kautschukähnlichen Masse sich verdichtet. Das Männchen hilft diese Eierschnur zu Tage fördern und wickelt sie sich in Achtertouren um die Schenkel. Dann verbirgt es sich mit seiner Bürde oft mehrere Fuß tief in feuchtem Mergel und sitzt nun Wochen lang ohne Nahrung in dem finstern Loche, um die Eier reifen zu lassen. Erst wenn die Larven so weit entwickelt sind, daß sie selbstständig leben können, verläßt es seine Brutstätte und sucht den nächsten Tümpel auf, um darin die [395] Eier abzusetzen. Ich habe während eines ganzen Sommers eine Colonie dieser brütenden Männchen in einem großen Kachelofen im Mergel gehalten und zuweilen welche gefunden, die sich die Schenkel so fest umwunden hatten, daß sie brandig geworden waren. Sie vertrieben sich die Zeit ihrer Clausur mit leisem Glockenrufe, der wie eine entfernte Harmonika klang und meine Besucher häufig stutzen machte, da sie den Ort nicht entdecken konnten, von wannen er kam. Die Unken sind ebenfalls geschickte Bauchredner, und ihr Unk! Unk! tönt wie aus weiter Ferne, wenn sie neben uns in einem Tümpel hocken. Erinnern aber meine Geburtskröten nicht lebhaft an den Otahaiti’schen Fürsten, den Cook im Kindbette liegend fand, weil seine Frau niedergekommen war, und der während der vierwöchentlichen Dauer seines Wochenbettes nicht schnupfen durfte, was er sonst gern that, weil es dem Kinde schaden könnte?




Die älteste noch vorhandene Landkarte.

Die Kunst, die Oberfläche der Erde bildlich darzustellen, ist fast so alt, als die Geschichte der Völker. In der That steht sie auch im innigsten Zusammenhange nicht nur mit der Entwickelung des Handels und der Schifffahrt, sondern auch der Kriegskunst und Mathematik. Dem Seefahrer und Kaufmann waren Karten von jeher ein ebenso nothwendiges Bedürfniß, wie dem Feldherrn, der auf Eroberung in fremde Länder auszog. Daher finden wir nicht allein schon in der Bibel Andeutungen über ihr Vorhandensein, sondern die Schriftsteller der Alten haben uns auch die bestimmte Kunde hinterlassen, daß der griechische Geograph und Astronom Anaximander, der 500 Jahre vor Chr. G. auf Kreta lebte, der Erste war, der seine Forschungen und Kenntnisse über die Erdoberfläche im Zusammenhange bildlich zu veranschaulichen suchte. Durch die Handelszüge der Griechen und Carthager, ganz besonders aber durch die Ausdehnung des macedonischen Reichs unter Alexander d. Gr., der bis über das heutige Afghanistan nach Indien vordrang, endlich späterhin durch die Entwickelung der römischen Weltherrschaft wurde naturgemäß die Kenntniß der Erde im Sinne der Geographie beträchtlich erweitert. Bewunderungswürdig ist uns noch heute die Vollkommenheit des römischen Heerwesens und alles damit Zusammengehörigen. Zur Blüthezeit der Römerherrschaft, d. i. zur Zeit von Christi Geburt, bedeckten die Militärcolonien und Standlager der Legionen Roms in systematischer und strategischer Ordnung fast die ganze damals bekannte Welt, und als redende Zeugen dieser glanzvollen Vergangenheit sprechen zu uns nicht nur die Trümmer ihrer Ansiedelungen, aus denen viele unserer blühendsten Städte hervorgegangen sind (Köln, Mainz, Straßburg, Augsburg), sondern auch die Meilensteine, welche den kriegerischen Schaaren ebenso gut als Wegweiser wie der politischen Eintheilung als Grenzmarken dienten. Der Afrikareisende Heinrich Barth fand sie tief im Innern Afrika’s in der großen Oase Fezzan in der Sahara ebenso gut, wie sich ihre Linien noch heute am Südfuße der schottischen Gebirge, längs des Rheins und des ganzen Laufs der Donau, ja am Südhange der Karpathen verfolgen lassen. In Asien reichen sie weit über den Taurus bis an den Euphrat und Tigris, in Aegypten bis an den Obernil in der Wüste Bahiuda. Es liegt nahe, daß zur Verwaltung dieses Reichs eine Art Landkarten vorhanden sein mußte, und es bestätigt dies der Schriftsteller Varro, nach welchem die Römer Zeichnungen ihrer Länder in ihren Archiven besaßen; Cäsar selbst nahm an den Ausmessungen verschiedener Länder in Germanien thätigen Antheil. So darf es uns denn auch nicht wundern, daß M. Agrippa eine auf Straßenvermessung beruhende Weltkarte entwerfen ließ, welche Kaiser Augustus vollendete und im Sinne der damaligen Zeit durch Anmalen an die Wand des von Agrippa erbaueten Porticus zu Rom zum Gemeingut für das Publicum machte. Und merkwürdigerweise ist daraus für unsere Zeit die einzig übriggebliebene Karte aus jenem Zeitalter hervorgegangen.

Diese Karte ist in der gelehrten Welt unter dem Namen der Peutinger’schen Tafeln bekannt, so genannt, weil Conrad Peutinger zu Augsburg der Erste war, der sie aus dem Dunkel hervorzog. Das an dem Porticus gezeichnete Original ist natürlich längst, wahrscheinlich schon zur Zeit der Verwüstung Roms durch die Germanen, zu Grunde gegangen, ebenso sonstige gezeichnete Pläne und Karten aus der römischen Vorzeit. Aber jenes Original, welches sich mit einer riesigen Post- und Reisekarte nach unsern heutigen Begriffen vergleichen läßt, war zweifelsohne in Bruchstücken vielfach copirt worden und zum Staats- und Militärgebrauch in den römischen Colonien und Ansiedelungen vorzufinden. Auf diesem Wege gelangte im 13. Jahrhundert ein der Zerstörung entgangenes Exemplar in die Hände eines Mönches zu Colmar, der es copirte, vielleicht auch nur die Nachbildung einer Originalcopie vornahm. Diese Zeichnung kam endlich in den Besitz des genannten Patriziers Peutinger, der die historische Wichtigkeit derselben zuerst erkannte und bekannt machte. Aus Peutinger’s Händen, der 1547 starb, ward das Original Eigenthum Martin Welser’s zu Augsburg, und späterhin ward es von der kaiserlichen Bibliothek zu Wien erworben, wo das kostbare Document noch jetzt aufbewahrt wird. Im Laufe der letzten drei Jahrhunderte ist dasselbe mehrfach publicirt und der allgemeinen Beurtheilung zugänglich gemacht worden, doch mochten sich durch das mehrfache Abzeichnen einer Auflage von der andern Irrthümer eingeschlichen haben. Deshalb erwarb sich Franz Christoph von Scheid ein großes Verdienst, indem er das Original zu Wien von einem Sachverständigen auf in Oel getränktes Papier durchzeichnen und 1753 in einer neuen Ausgabe in Blättern in natürlicher Größe (ein jedes 13 Zoll hoch und 24 Zoll lang) herausgeben ließ. Auf dieser Karte beruht endlich die neueste von der Münchner Akademie der Wissenschaflen 1824 veranstaltete Publication, nachdem mehrere Gelehrte die Scheib’sche Karte nochmals mit dem Original verglichen hatten. Ein verdienter Geograph, Conrad Mannert, Mitglied jener Akademie, hat die Tafeln mit einem erläuternden Texte in lateinischer Sprache versehen.

Soweit reichen die historischen Nachweise über den interessanten Fund; was diesen nun selbst angeht, so wird der Anblick eines Bruchstücks dieser Karte, das wir hier beifügen, den Beschauer allerdings mit einer gewissen Enttäuschung berühren. Vor Allem ist es die Verschiebung des Bildes in Bezug auf geographische Länge und Breite, was uns zunächst auffällt. Indeß ist zu bedenken, daß den Alten die Vollkommenheit unserer Meßgeräthe nicht zu Gebote stand, daß auch die sogen. mathematische Geographie noch in der Wiege lag. Obschon vor Christi Geburt von den Schülern des Aristoteles die Lehre von der Kugelgestalt der Erde aufgestellt worden war, so war dieser Lehrsatz doch zu August’s Zeiten noch nicht zu allgemeiner Anerkennung gelangt. Man hielt den damals bekannten Theil der Erdoberfläche vielmehr für eine ebene Scheibe. Erst 160 Jahre nach Chr. Geb. trat der alexandrinische Gelehrte Claudius Ptolemäus, ein berühmter Astronom und Geograph, mit der Bezeichnung der Meridiane, Polarcirkel und des Aequators hervor; doch konnte dies auf die Peutinger’schen Tafeln nicht mehr rückwirken, wenn das uns überkommene Exemplar auch erst aus der Zeit Kaiser Alexander Sever’s (der 235 n. Chr. starb) stammt, wie Wietersheim in seiner Geschichte der Völkerwanderung schlagend nachweist. Ihre Entstehung datirt eben aus dem Anfange der Kaiserzeit. Jedenfalls wurde diese alte Staatskarte je nach den Gebietsveränderungen der Römer zeitweilig nachgetragen und abgeändert, und da wir aus den Schriften jener Zeit die Sitze der Völker zu jeder Periode ziemlich genau kennen, so ist auch das Alter jener Karte nahezu festgestellt. –

Das auffallende Mißverhältniß zwischen der geographischen Länge und Breite in der Lage der Orte rührt jedenfalls daher, daß die ursprüngliche Bestimmung der Karte, vom Publicum in einem Säulengange angeschaut zu werden, es nothwendig machte, das Bild sehr lang, aber nicht zu hoch zu machen. Es sind aber auch die Entfernungen der Orte unter sich nicht proportional, was jedenfalls daher rührt, daß der Chartograph alle Wegelängen, wie die angeschriebenen Distanzen verrathen, geradlinig eintrug, ohne auf die Wegekrümmungen, Steigungen und Senkungen Rücksicht zu nehmen. Man bedenke aber auch die einfachen Hülfsmittel, die den alten Römern nur zu Gebote standen. Eine astronomische Zeitdifferenz zur Bestimmung der Lage der Orte konnten sie nicht ausdrücken, da ihnen unsere Taschenuhren und Chronometer unbekannt waren. Als Ersatz diente ihnen die Gnomonik, die Kunst, aus der Länge des Schattens, den der Stift auf die Ebene einer Sonnenuhr wirft, den Stand einer Sonnenhöhe und sonach die Tageszeit zu ermitteln. Wollten die Alten eine Höhe messen, so bedienten sie sich des Jakobsstabes, ein einfaches Instrument, das auch noch lange [396] die Seefahrer anwendeten, um die Höhe eines Sternes oder der Sonne anzugeben. Es bestand aus einem viereckigen stabartigen Stück gut ausgetrockneten Holzes, das an seinen Seitenflächen eine Einteilung hatte, die zugleich die Winkel angab oder in Zolle und Linien eingeteilt war. Im letzteren Falle war dann eine Tabelle nöthig, welche die mit den Zollen und Linien entsprechenden Winkel angab. An diesem Stäbe war kreuzartig ein anderes Holz angebracht, welches sich vor- und rückwärts schieben ließ. Um nun einen Winkel, z. B. die Steigung eines Weges, zu messen, sah man mit dem Auge über das erste Holz und schob das andere so lange vor- oder rückwärts, bis die beiden Punkte, welche mit dem Auge des Beobachters den zu messenden Winkel bildeten, über die Endpunkte des zweiten Holzes genau abschnitten. An der Scala der Seitenflächen las man den gemessenen Winkel ab. Diese Manipulation konnte nach unsern heutigen Begriffen nur sehr oberflächlich ausfallen und eine genaue Grundlage zur Kartenconstruction nicht abgeben.

So liegt der Werth der Peutinger’schen Karte denn mehr darin, daß sie uns den damaligen Stand der Chartographie vergegenwärtigt, da alle sonstigen Karten im Gewirre der Völkerwanderung, ganz besonders aber durch den Brand der großen Bibliothek zu Alexandrien unter dem fanatischen Araber Amru für uns verloren gegangen sind. Endlich bildet sie aber in Verbindung mit den wenigen erhaltenen Schriften aus jener Zeit eins der wichtigsten historischen Documente, wenn sich auch durch die Mangelhaftigkeit des Urbilds wie durch die Unwissenheit der Nachahmer und Abschreiber vielfache Unrichtigkeiten nachweisen lassen. Immerhin ist es höchst wichtig, die Richtung der großen Militärstraßen der Römer, die Entfernung der Reisestationen, die Lage der Hauptstädte, Castelle, Bäder, Colonien, die Stellen, wo Flüsse zu passiren sind, die Wohnsitze der barbarischen Völker, endlich sogar eine Art Gebirgsdarstellung in diesem interessanten Documente niedergelegt zu finden.

Die älteste Landkarte.

Das in genauer Abbildung hier dargestellte Bruchstück ist dem Segment II. entnommen und enthält den Mittellauf des Rheines abwärts von Coblenz (Confluentes). Der an dem obern Rande der Zeichnung laufende Fluß ist der Rhein (Fl. Rhenus). Da die Karte nicht mit der jetzt üblichen Orientirung angelegt ist, wonach der Norden oben liegt, sondern um ¼ Kreis nach links gedreht ist, so entspricht der Name Burcturi auf dem rechten Rheinufer der Völkerschaft Bructerer, welche nach der Karte etwa zwischen dem heutigen Neuß und Ober-Ingelheim gewohnt haben müssen, nach Wietersheim’s Forschungen aber ihren Sitz südlich der Lippe hatten. Das ganze rechtsrheinische Gelände unterhalb der Main-Mündung hatte sich bis zum 3. Jahrhundert noch frei von römischer Eroberung gehalten, war daher noch nicht bekannt. Das linksrheinische Gelände war dagegen schon seit Jahrhunderten eine blühende römische Provinz, Germania im engeren Sinne genannt. In den Grundzügen sehen wir auf der Peutinger’schen Karte noch dieselben strategischen Straßenlinien wie heute, so die linksrheinische Straße von Coblenz über Bonn (Bonnae) nach dem Straßenknoten Köln (Agrippina). – Bei Coblenz sehen wir die Mosel (Fl. Musalla) einfallen und an derselben das uralte Trier (Augusta Trevirorum) verzeichnet. Sogar die Quellgebirge der Mosel und das linksrheinische Schiefergebirge (Eifel, hohe Veen) finden wir angedeutet; ebenso die dort wohnenden Urbewohner Treveri, Trierer, und Mediamatrici (von Mediomatricum, Metz), also die Metzer oder Lothringer. Der links entspringende Fluß Mosa ist die Maas, an deren Quellen wir ein großes römisches Standlager bemerken.

Wir begnügen uns mit diesen Andeutungen, welche dem Beschauer ein ungefähres Bild der chartographischen Behandlungsweise dieser alten Karte geben, und fügen nur noch bei, daß sie sich in gleichem Charakter weiter fortsetzt. Sie enthält in dieser Manier ein Stück des alten Britanniens, Galliens und Spaniens, ferner in Deutschland das linksrheinische Gelände aufwärts von der Nordsee bis Mainz; von hier springt die Nordgrenze ins Quellgebiet der Donau (das Zehntland) und folgt der Donau bis in die Nähe von Peterwardein im heutigen ungarischen Banat. Eine Heerstraße führt von hier nach Temesvar und eine andere von 50 Meilen Länge von Orsova bis an die obere Theiß am Fuße der Karpathen (das westliche Dacien). Weiter geht die Karte durch die heutigen Donaufürstenthümer bis zu den großen Flußmündungen der Donau, des Dniester, Bug und Dnieper in den Pontus (das schwarze Meer) und umschließt Kleinasien, die Länder am Euphrat, Tigris und oberen Ganges, Syrien, Aegypten und Libyen und endigt mit Theilen der mauritanischen (nordafrikanischen) Küstenländer. Selbstverständlich sind alle in diesem Umfange liegenden Lander (Italien, Griechenland) ausführlich behandelt. – Bei allen Mängeln, welche dieses Kartenwerk begleiten, ist daher schon der Umfang desselben von interessantester Belehrung für den Geschichtsforscher. –



[397]

Deutsche Herzen, deutscher Pöbel.

Erzählung von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)

In dem Saale des Kriegsgerichts sah ich auch die Richter des jungen Mannes. Ich begegnete nur strengen, harten, mitunter stumpfen Soldatengesichtern. Der Präsident allein, ein Stabsofficier, zeigte einen anderen Zug, als den der dienstlichen Unempfindlichkeit, aber er schien das Menschliche, das sich in ihm regte, seiner Umgebung gegenüber zurückdrängen zu müssen. Hatte der Angeklagte von diesen Richtern eine Hoffnung?

Das bekümmerte Gesicht seines Vertheidigers, jenes kräftigen, stattlichen Mannes, den ich schon vorhin durch das Fenster gesehen hatte, suchte mit Anstrengung den Ausdruck der Zuversicht festzuhalten, wohl nur, um dem Angeklagten nicht seinen Muth zu nehmen. Aber es bedurfte dessen für diesen nicht; mochte er Hoffnung oder keine Hoffnung haben, mochte er aus diesem verhängnisvollen Saale in die Arme seines Weibes, seiner Kinder zurückkehren, oder mochten sie ihn unmittelbar von hier zu der abgelegenen grünen Wiese führen, wo die sieben Todeskugeln seiner harrten, er stand ungebeugt, stolz und muthig da, und der Stolz und Muth waren auch ferner in ihm nicht zu brechen.

Sie kennen ihn ja, fuhr der junge Erzähler zu mir fort, jenen edlen Angeklagten, Sie haben mit ihm, er hat mit Ihnen gekämpft für Deutschlands Freiheit und für Deutschlands Einheit. Dieser Sohn eines der edelsten deutschen Geschlechter, dieser Mann der ausgezeichnetsten Bildung, des einnehmenden Wesens, des wohlwollenden Herzens, des eisenfesten Charakters, der glühendsten Vaterlandsliebe. Ich erkannte ihn; ich hatte ihn nie gesehen, ich hatte nur am Tage vorher flüchtig seinen Namen gehört; ich war ja am Tage vorher noch der leichtsinnige Student.

Ich sah ihn. Ich sah ihn, wie er so stolz und muthig, wie er so groß kämpfte für sein Leben, nein, noch immer für sein deutsches Vaterland, für das er sein Leben eingesetzt hatte, für das er noch jetzt es einsetzte. Seine Liebe zu seinem Vaterlande, seine Aufopferung für sein Volk, das waren seine Verbrechen geworden, wofür auf der stillen grünen Wiese die sieben Soldatenkugeln ihn treffen sollten. Ich sah den Gatten jener unglücklichen Frau, mit dem schönen, leichenblassen Gesichte, wenige Schritte von ihm in Todesangst um ihn bebend.

Der Vertheidiger schrieb etwas. Der alte Diener, den ich suchte, stand vor ihm; er schien auf das Geschriebene zu warten. Der Greis war der Diener auch des Angeklagten; er vermochte nicht den Blick auf seinen Herrn zu richten, es hätte ihm das Herz brechen müssen; die alten Augen standen ihm voll Thränen.

Der Präsident setzte, während der Vertheidiger schrieb, die Verhandlung fort; sie war bis nahe zu ihrem Schlusse gediehen. Die Zeugen waren vernommen, der anklagende Officier hatte die Anklage aufrecht erhalten. Der Vertheidiger hatte geantwortet; ich hatte ihn vorhin durch das Fenster gesehen, als er seine Rede hielt.

Der Präsident richtete, während ich eintrat, die gewöhnlichen Schlußfragen an den Angeklagten:

„Angeklagter, haben Sie noch etwas zu Ihrer Vertheidigung anzuführen?“

Es waren die letzten Worte, die er jetzt zu seinen Richtern zu sprechen hatte. Sie konnten entscheidend für ihn sein, die Würfel über Leben und Tod, selbst jenen kalten, starren Richtern gegenüber. Die letzten Worte eines Angeklagten üben oft eine wunderbare Macht aus.

Der Angeklagte verlor nichts von seiner Ruhe, seinem Stolze, seinem Muthe.

„Meine Herren Richter,“ sprach er mit fester, klarer Stimme, „ich habe an dem Kampfe Theil genommen, der in diesem Lande gekämpft wurde. Sie nennen ihn die Revolution. Sie haben in diesem Augenblicke ein Recht dazu, denn Sie sind die Sieger.“

Unter den Zuschauern wurde es unruhig, er kümmerte sich nicht darum, er fuhr ruhig fort:

„Aber, meine Herren Richter, es wird eine andere Zeit kommen, und sie muß kommen, sie kann nicht mehr fern sein, da werden Sie für das Nämliche kämpfen, für das ich, für das wir gekämpft haben, für ein einiges Deutschland. Denn nur für –“

Er wurde unterbrochen; ein lauten Lachen erhob sich in dem Zuhörerraume. In den vorderen Reihen, unter den vornehmsten und elegantesten Damen begann es höhnisch; lauter pflanzte es sich von Reihe zu Reihe fort, bald hatte es den ganzen Raum erfüllt. Dem aristokratischen Pöbel war der Angeklagte ein Ueberläufer aus dem Lager der Aristokratie in das der Demokratie.

Die unglückliche Frau da hinten an ihrem einsamen Fenster – sie konnte dort ihren Gatten sehen – ihr Herz, wenn auch nicht ihr Ohr, hatte seine Worte vernommen; dieses rohe, gemeine Gelächter war die Antwort darauf – wie mußte es ihr Herz zerreißen!

In den Augen des Präsidenten des Kriegsgerichts blitzte ein edler Unwille; aber erst eine ernste, strenge Ermahnung konnte den Ausbruch der Gemeinheit zum Schweigen bringen.

Der Angeklagte hatte sich stolzer erhoben.

„Ja,“ fuhr er fort, „nur für unser Vaterland, nur für Deutschlands Einheit, Freiheit und Größe haben wir gekämpft. Jetzt hat nur das deutsche Volk den Kampf aufgenommen, aber wie gerade vor einem Menschenalter Deutschlands Heere und Fürsten mit dem Volke sich vereinigen mußten, um das Vaterland, das sie leider nicht einig machen konnten, und das deshalb seitdem auch nicht wieder groß werden konnte, wenigstens wieder frei zu machen, so wird nochmals eine Zeit anbrechen, in der das gesammte deutsche Volk wieder für seine Freiheit und dann auch für seine Einheit und Größe kämpfen wird, mit seinen Fürsten und seinen Heeren, oder wenn die Fürsten nicht wollen, ohne sie; und das deutsche Vaterland wird dann einig und groß werden, und an das Wort Revolution – wer möchte dann daran denken wollen, denken können? – Doch, meine Herren, das ist erst eine Sache der Zukunft. Sie haben über Thatsachen der Vergangenheit und der Gegenwart zu richten, ich weiß es. Und dafür habe ich Ihnen nur noch wenige Worte zu sagen; urtheilen Sie über mich, wie Ihr Gewissen es von Ihnen fordert. Erwägen Sie dabei zweierlei: zuerst, kein unlauterer Gedanke hat mich geleitet; und dann, ich habe ein edles Weib, das mich liebt – ich habe drei unmündige Kinder. Dürfen Sie milde gegen mich sein, seien Sie es um der Armen willen.“

Es herrschte doch tiefe Stille in dem weiten Saale; ein Schluchzen unterbrach sie. Der alte Diener konnte das laute Weinen nicht mehr zurückhalten; er hatte von dem Vertheidiger ein Billet empfangen. Er war geblieben, um die letzten Worte seines Herrn zu hören; er mußte aus dem Saale hinausstürzen, wenn er nicht zusammenbrechen wollte.

Ich mußte ihm folgen, in dem entscheidendsten Momente. Die Verhandlung war beendigt; die Richter mußten sich jetzt zurückziehen, um ihr Urtheil zu berathen, in wenigen Minuten mußten sie zurückkehren, um das gefundene Urtheil dem Angeklagten zu verkünden, Leben oder Tod. Der Greis hatte sich erschöpft draußen an einen Thürpfosten gelehnt, ich trat zu ihm.

„Ihre Herrin erwartet Sie, sie ist hier.“

Er erschrak.

„Hier die Arme? Führen Sie mich hin.“

Er erzählte mir unterwegs; er kam aus der Residenz. Der alte Vater des Angeklagten, der höchsten Aristokratie angehörig, selbst in seinem hohen Alter unvermögend zu reisen, hatte den greisen Diener mit einer Bittschrift für das Leben seines Sohnes an die Regierung gesandt. An zweihundert Bauern von den Gütern des Angeklagten hatten eine gleiche Bittschrift beigefügt. Der Bote hatte die Gesuche in der Residenz übergeben; sie waren zurückgewiesen. Er hatte dem Vertheidiger die unglückliche Antwort in die Gerichtssitzung gebracht. Er mußte sie jetzt noch seiner Herrin mittheilen.

Aber die arme Frau kannte sie ja schon. Sie hatte an ihrem Fenster ihn in den Saal treten, ihn mit dem Vertheidiger sprechen, darauf diesen trostlos gesehen. „Es ist Alles vorbei!“ hatte sie dann gerufen.

„Es ist Alles vorbei!“ stürzte sie dem Diener entgegen.

„Bei den Menschen, die von Gottes Gnaden sprechen,“ sagte der Greis. „Aber hoffen wir doch noch auf die Gnade Gottes.“

Er überreichte ihr ein Billet. Es war das, welches der Vertheidiger

[398] in der Sitzung geschrieben hatte. Sie durchflog es. Es enthielt keinen Trost für sie. Der Vertheidiger schien sie, um ihr keine vergeblichen, grausamen Hoffnungen zu machen, auf das Schrecklichste vorbereitet zu haben. Man las es in ihren Zügen. Sie zuckte einen Augenblick zusammen, wie unter ihrem eigenen Todeskampfe. Aber dann hatte sie sich erhoben.

„Adolph ist gefaßt, schreibt mir der Vertheidiger. Er läßt mich bitten, daß auch ich es sei, möge kommen, was da wolle. Ich will es sein. Ich will seiner würdig sein. Die Verhandlung ist zu Ende, wenn ich recht gesehen habe. In wenigen Minuten muß die Entscheidung folgen. Sie wird mich stark finden, wie sie meinen Gatten groß finden wird. Bleibe Du hier, Konrad. Und auch Sie, mein Herr. Sie haben mir Ihren Beistand bisher gewidmet, verlassen auch Sie mich nicht.“

Sie war wunderbar gefaßt. Ihr edles Herz war auch ein starkes. Sie kehrte zu ihrem Fenster zurück. Sie hatte es wieder geöffnet. Der Diener und ich waren ihr gefolgt. Man konnte tief in den Saal hineinsehen, weiter als ich an dem andern Fenster es früher gekonnt hatte. Man sah den Vertheidiger und zugleich den Angeklagten. Das Gericht war noch nicht zurückgekehrt.

Der Angeklagte saß auf seinem Platze. Er hatte seine Ellbogen auf seine Kniee gestützt und das Gesicht in die Hände gelegt. Welche Empfindungen, welche Gedanken mochten ihn durchströmen in diesen Augenblicken, so nahe vor der Entscheidung über sein Schicksal! Daß die Gattin in seiner Nähe war, daß ihr Auge ihn sehen konnte, er hatte keine Ahnung davon. Wie viel schwerer hätte es ihm das Herz machen müssen!

Der Vertheidiger ging unruhig auf und nieder. Seine Bewegung litt ihn nicht auf seinem Platze. Das Publicum verhielt sich ruhig. Jene Mahnung des Präsidenten wirkte wohl noch nach. Zu ihrer Ehre wollen wir glauben, daß auch das Schwere, Furchtbare des Moments selbst auf jene Menschen seine Einwirkung ausübte.

Die Gattin des Angeklagten blieb gefaßt. Das Gericht kehrte noch nicht zurück. Sie erzählte dem Diener, wie sie im Gasthofe auf seine sich mehr und mehr verzögernde Rückkehr zuletzt nicht mehr habe warten können und daher, indem sie Niemanden gefunden, dem sie sich anvertrauen mochte, sich allein hierher zu der schon gestern gemietheten Stube auf den Weg gemacht habe. Unterwegs, setzte sie großmüthig hinzu, habe sie meinen Schutz angenommen.

Wir Alle hatten unterdeß die Blicke unverwandt nach dem Gerichtssaale gerichtet. Das Gericht war noch immer nicht zurückgekehrt. Es waren furchtbar peinliche Momente des Wartens. Sie waren in der tiefen Stille, die umher herrschte, um so schrecklicher.

Die Mitternachtsstunde war längst vorüber. Die Tanzgesellschaft neben dem Zimmer, in dem wir uns befanden, hatte sich während der Zeit, daß ich abwesend gewesen war, entfernt. Im Hause war Alles still. Aus dem Gerichtssaale drang kein Laut hervor. Einen Augenblick wurde die arme Frau von ihren Gefühlen überwältigt.

„Wie sie entsetzlich lange ausbleiben!“ rief sie.

Ich suchte sie aufzurichten.

„Sollte es nicht ein günstiges Zeichen sein? Es zeigt eine Uneinigkeit der Stimmen, einen Widerspruch gegen das härtere Urtheil. Wie leicht kann da die mildere Meinung siegen!“

Aber sie schüttelte schmerzlich das bleiche Gesicht.

„Bei diesen Richtern nicht. Sie können nur hassen. Sie sollen es nur.“

Dann hatte sie sich wieder gefaßt. Dem Hasse konnte sie nur Größe entgegensetzen. Sie nahm ihren Platz am Fenster wieder ein.

Endlich entstand in dem Gerichtssaale eine Bewegung. Man hörte dort eine Thür sich öffnen. Das Militärgericht trat wieder ein, der Präsident an der Spitze. Sie begaben sich zu ihren Plätzen.

Hunderte von Herzen schlugen in banger, furchtbarer Erwartung. In meiner eigenen Brust hörte ich das laute Klopfen. Ich glaubte auch das unruhige Pochen in der Brust der Frau an meiner Seite zu vernehmen. Es herrschte in diesem Augenblicke rund um uns her die tiefste Stille. Sie trug die Schritte des zurückkehrenden Soldatengerichts aus dem Saale zu uns herüber. Die Fenster waren noch geöffnet, das des Saals, wie das, an dem wir uns befanden. Wir mußten jedes Wort verstehen können, wenn der Präsident jetzt das Urtheil verkündete.

Ich zitterte am ganzen Körper. Die unglückliche Frau hatte krampfhaft eine Stange gefaßt, die sich an dem Fenster befand. Der alte Diener hatte sich zur Seite niedersetzen müssen. Er hatte sein Gesicht mit beiden Händen verhüllt. Der Präsident des Gerichts erhob sich. Er nahm ein Papier in die Hand. Es war das Urtheil, das er nun verkünden wollte.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Ein Bild aus den jetzigen amerikanischen Zuständen. St. Louis, Mitte Mai. Es giebt ein Wort in der englischen Sprache, für welchen der Deutsche keine völlig bezeichnende Uebersetzung hat, weil in seinem Leben ganz der Begriff dafür fehlt. Es ist das Wort „rowdy“, das einen Menschen bezeichnet, der, keck und verwogen, bei den kleinsten Gelegenheiten mit Messer und Revolver bei der Hand ist, dem ein Menschenleben nichts gilt und dessen Gemüthsrohheit alle bessern Eigenschaften, wenn er deren hat, paralysirt. Der genauere Beobachter amerikanischer Zustände aber erkennt bald, daß dieses Rowdy-Element den Grundzug des gesammten männlichen Amerikanerthums, vom Vereinigten-Staaten-Senator herab bis zum Sackträger, bildet – bei den gebildeteren Ständen von einem Firniß gesellschaftlicher Höflichkeit überzogen, der indessen im Zustande der Erregung sofort abspringt; bei den arbeitenden Classen offen zu Tage getragen und hier eine eigene Kaste professioneller Rowdies bildend, die sich hart an jede Art noch schlimmerer Gewerbe anschließt. Diesen Grundzug nennt der Amerikaner Unabhängigkeitsgefühl und respectirt ihn in seinen Kindern so, daß er dem zehnjährigen Knaben bereits den Gebrauch der Feuerwaffen gestattet und seiner Rohheit als ein Zeichen kräftigen Charakters völligen Raum läßt – und so sind blutige Messergefechte zwischen Schulknaben und jede Art der vulgärsten Kraftworte etwas Gewöhnliches – schlimmerer Dinge nicht zu gedenken.

Dieser durchgehende Rowdygeist ist der Fluch der amerikanischen Republik, die kein Mittel zu seiner Bändigung hat; er erzeugt die Prügeleien im Congresse und macht jeden Ort, an dem sich verschiedenartige politische Elemente bis zur Erhitzung reiben, zu einem blutigen Schlachtfelde, und den Messern und Revolvern erliegt gewöhnlich die gute Sache.

Der Süden wird in diesem Augenblicke völlig und allein von diesem Geiste regiert, und die Furcht vor dem Strick und Revolver, der Peitsche und dem Theeren und Federn hält jeden Ausdruck von Sympathie mit der Union nieder – in den Grenzsclavenstaaten aber, wie Virginien, Maryland, Tennessee, Kentucky und vor Allem Missouri, welche neben der Partei der Sclavenbesitzer eine unabhängige, freisinnige Bevölkerung einschließen, in denen das eingewanderte Element zahlreich vertreten ist, kämpft das Rowdythum für die südliche Partei noch um die Macht, und wo es hier und da die Ueberhand bekommt, jagt es die friedlichen Landbewohner von Haus und Hof, sengt und brennt und versucht durch den Schrecken jeden Widerstand zu ersticken.

St. Louis war noch die einzige Stadt in diesen Grenzsclavenstaaten, in welcher das deutsche Element, verbunden mit einem kleinen Theile unionstreuer amerikanischer Bevölkerung, die Rowdymacht der Secessionisten oder Anhänger der Südpartei niedergehalten hatte. Der Staats-Gouverneur, halb wahnsinnig vor Begierde, es den andern südlichen Staaten gleich zu thun, hatte umsonst alle Minen springen lassen, um den Widerstand des „fremden Elements“ zu brechen. Er kündigte dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, welcher die Stellung von Miliz-Regimentern für die bevorstehende Execution gegen die Baumwollen-Staaten gefordert, den Gehorsam – in Zeit von acht Tagen aber hatte das deutsche Element von St. Louis aus sich selbst fünf vollzählige Regimenter dem Präsidenten zur Disposition gestellt, welcher auch sogleich ihre Aufnahme in das hiesige Ver. Staaten Arsenal anordnete, um so einen kräftigen Schutz für die Unionsleute von St. Louis gegen das sich immer stärker erhebende Rowdythum der Secessionisten zu gewähren. Damit war aber aus der deutschen Bewohnerschaft auch die ganze junge wehrhafte Kraft gezogen, und zur Abwehr für augenblickliche Gefahren traten die Familienväter zusammen, eine „Home-Guard“ oder Heimathswehr von ca. 6000 Mann bildend. Jeden Tag marschirte ein Theil derselben nach dem Arsenale hinaus, um sich einschwören und mit Gewehren und Munition versehen zu lassen.

Mit Wuth waren Seitens des Gouverneurs und der Secessionisten-Partei diese Maßregeln wahrgenommen worden, und die ingrimmigste Rache ward Allem, was deutsch hieß, geschworen. Zwei Compagnien bereits einexercirter und gut bewaffneter Amerikaner, die sich „Minutenmänner“ nannten, vereinigten sich mit einer amerikanischen Miliz-Compagnie, um den Deutschen innerhalb der Stadt Widerpart zu halten; der Gouverneur aber, die Geringfügigkeit dieser Macht erkennend, ordnet die Bewaffnung des Staats an, stiehlt zu diesem Zwecke mit Hülfe des secessionistischen gesetzgebenden Körpern den Schulfond des Staats sammt den zur Bezahlung der Zinsen für die Staatsschuld bestimmten Geldern und befiehlt die Zusammenziehung eines Militair-Lagers bei St. Louis. Die ganze Hefe der Staats-Bevölkerung, das professionelle Rowdythum, die Hafenarbeiter

[399] (unter dem Namen Levee-Ratten ein Schrecken aller ruhigen Leute) werden zusammengetrommelt, und ca. 2000 Mann stark wird an dem dem Arsenale entgegengesetzten Ende von St. Louis ein Lager aufgeschlagen, so daß die Stadt zwischen zwei sich bis auf den Tod hassenden Truppenkörpern liegt und jeden Augenblick einen Kampf in ihren Straßen erwarten muß.

Am letzten Donnerstag, den 9. Mai, landet nun noch ein Dampfschiff, zieht die Secessionsflagge auf und schifft für das Secessionslager vier Kanonen und eine gewaltige Masse Gewehre nebst Munition aus, und Alles geht, ohne das geringste Hinderniß zu finden, durch die Stadt nach seinem Bestimmungsorte. Die Deutschen sind in gewaltiger Aufregung, und die Entrüstung, daß der Commandant des Arsenals so ruhig der Verstärkung offener Landesverräther zusieht, ist allgemein. Aber der Kommandant hat mit Vorbedacht so gehandelt: die ganze Ladung war aus den südlichen Arsenalen der Ver. Staaten gestohlen, und jetzt hat er ein Recht, den Rowdies zu Leibe zu gehen.

Am Freitage Mittag durchzieht eine Macht von ca. 5000 Mann, mit Artillerie versehen, aus dem Arsenale kommend, die Stadt, die gesammte deutsche Heimathswehr ist daneben auf ihren Alarmplätzen versammelt, und die Stadt ist in fieberhafter Aufregung. Die Geschäfte schließen sich – aber wer nicht durchaus an sein Haus gebunden ist, eilt zu Pferde und Wagen, mit der Straßeneisenbahn oder zu Fuß nach dem Platze der Entscheidung – es scheint nicht ein Treffen, sondern eine aufregende Schaustellung bevorzustehen, und die „Ladies“, selbst Frauen mit Kindern machen einen ziemlich bedeutenden Theil der Neugierigen aus. So ist nun einmal der Amerikaner, und wenn die Kartätschen fliegen, er muß es sehen. Die Dispositionen waren so gut getroffen, daß das Secessionslager von den Unionsmannschaften wie mit einem Schlage völlig eingeschlossen war, und, jeder Hoffnung gegen die Uebermacht baar, giebt sich der Commandirende mit seinen Mannschaften gefangen. Die ganze wilde Bande wird, obwohl zähneknirschend, entwaffnet, und wer sich weigert, den Kampf gegen die Ver. Staaten abzuschwören, soll den Marsch nach dem Arsenal als Gefangener antreten. Unter der Zuschauermenge, die fast ganz aus secessionistischen Amerikanern besteht, ist die Erbitterung furchtbar – in jetzigen Zeiten geht Niemand zehn Schritte weit, ohne mit einem geladenen Revolver bewaffnet zu sein – und dem Rowdygelüste folgend, geben einige der Zuschauer auf die Unionstruppen Feuer; dies ist nur für Andere ein Signal, rechts und links, besonders aus den Wagen, fallen Schüsse: Steine fliegen sogleich von allen Seiten, und der so plötzlich attakirte Theil der Truppen schlägt an – die Angreifer stürzen unter die Masse der Frauen, die Wagen jagen davon. Alles zermalmend, was auf ihrem Wege ist, das Pelotonfeuer kracht, und heulend zerstiebt Alles – das Feld aber ist mit Leichen beiderlei Geschlechts bedeckt.

Düster treten die Truppen, ihre Gefangenen in der Mitte, den Heimmarsch an, in St. Louis sind die Straßen gespensterhaft todt – Jeder fürchtet einen Ausbruch des Rowdythums innerhalb der Stadt, die Home-Guards stehen die ganze Nacht unterm Gewehr, aber der Schlag war zu tiefgreifend, und nur an einzelnen Ecken standen lärmende Versammlungen echten Gesindels, deren Redner den Kreuzzug gegen die Deutschen und deren radicale Vertilgung predigten. Noch am Morgen desselben Tags hatte das unter der Autorität des Gouverneurs erscheinende „State Journal’ den Passus gebracht: „und dieser Krieg wird geführt werden, so lange noch ein Deutscher ein Leben auf dem Boden von Missouri zu verlieren oder ein Haus zu verbrennen hat!“ – was sollten sich also die Rowdies geniren? Blieb aber auch die Nacht äußerlich ruhig, so wurde doch im Geheimen gearbeitet – die reichen Amerikaner, meist sämmtlich Sclavenhalter und deshalb geschworene Feinde der Deutschen, thaten ihre Geldkasten auf, und wo nur eine Feuerwaffe zu kaufen war, wurde sie um jeden Preis erworben.

Der Sonnabend kam, und die bleischwere Angst lag auf der Stadt, die Geschäfte blieben geschlossen. – Rowdy-Haufen durchzogen die Straßen, jedes deutsche Gesicht, das sich zeigte, wurde insultirt, bald blieb es nicht mehr dabei; Hetzjagden wurden auf offener Straße angestellt, und wo es Widerstand gab, ward gefeuert – die Home-Guard war kaum erst organisirt und nur gegen stärkere Auflaufe zu gebrauchen – so zählte man schon zehn meuchelmörderisch Erschossene bis Mittag; mit jeder Minute aber ward der Fanatismus größer; „Tod den Deutschen!“ war das immer häufiger werdende Geschrei – die deutschen Quartiere aber waren wohl genug bewacht, und so, als es keine Menschen mehr zu morden gab, richtete sich die tolle Wuth gegen Hunde und Pferde – nur um knallen zu hören und Blut zu sehen.

Am Nachmittag wurde es eine Zeitlang still – es schien etwas vorbereitet zu werden und gegen 5 Uhr kam es schrecklich zum Vorschein. Die letzte Abtheilung der Home-Guard war nach dem Arsenal gegangen, circa 1000 Mann stark, um dort eingeschworen zu werden und ihre Waffen zu erhalten. Scharf geladen treten sie ihren Rückmarsch an; kaum passiren sie aber die oberhalb einer dortigen Kirche nur von reichen Amerikanern bewohnte Walnut-Straße, als vor und hinter ihnen ein Regen von Büchsen- und Revolverkugeln, theils aus der Kirche, theils aus den Häusern, theils von einem offenen Trupp Secessionisten gefeuert, auf sie einschlagen – die überraschten Bürger machen Front nach allen Seiten und geben Feuer, die Spitzkugeln säubern auf fürchterliche Weise die Straße, dringen in die Häuser und vertilgen, wo sie etwas Lebendiges treffen – 25 Leichen bedecken in drei Minuten das Pflaster; dann marschiren die Angegriffenen in guter Ordnung weiter – aber noch zwei Mal haben sie erneuerten Attaquen zu stehen, von allen verborgenen Plätzen schlagen Kugeln in ihre Reihen, und ihre Todten mit sich tragend erreichen sie endlich ihr Hauptquartier. Der Amerikaner hätte jedes Haus demolirt, aus dem auf ihn geschossen wurde, der Deutsche aber fühlt sich in seiner plötzlich so selbstständigen gefährdeten Existenz noch so unsicher, daß er erst die rechte Besinnung wieder erhält, wenn er sich in seinem heimathlichen Viertel findet. Da weiß er, was er zu thun hat.

Heute ist Sonntag, der Regen gießt in Strömen, und so ist es bis auf einzelne hie und da abgefeuerte Schüsse ruhig geblieben. Was morgen wird, mag Gott wissen – nur Belagerungszustand und Kriegsrecht kann einem allgemeinen großen Unglücke vorbeugen. Eine peinliche Gedrücktheit liegt auf der Stadt, die Schulen sind geschlossen, und die Familien fliehen über den Mississippi nach dem freien Boden von Illinois. Das ist der Anfang dessen, was sich erst noch entwickeln soll.


Drei Tage später.

Gestern kam Hecker mit seinen zwei Söhnen und trat als Gemeiner in eins der freiwilligen Regimenter ein. Die Deutschen jubeln ihm entgegen. Dowiat, der schon einige Monate den Baumwollen-Baronen die Schuhe putzt, soll jetzt Feldprediger in einem südlichen Regimente sein.

O. R. 




Ein Dohlenpaar. Seit einer Reihe von Jahren, erzählt uns Herr Menge, der Thürmer des Nicolaithurms in Leipzig, nistete in einer Maueröffnung neben dem Krahnbalken auf meinem Thurm ein flottes Dohlenpaar und war in dieser ganzen Zeit wahrscheinlich niemals ernstlich gestört worden. Im vorigen Frühjahr nun hatten dieselben wieder ihr altes Nest bezogen, Eier gelegt, dieselben ausgebrütet, und flogen den ganzen Tag ein und aus, die Jungen mit Futter zu versorgen, zu welchem Zwecke sie auch Besuche auf den Fenstersimsen meiner Wohnung machten, um die kleinen Abfälle, welche für sie hingelegt wurden, in der größten Geschwindigkeit wegzuholen. Dies war für mich und meine Familie eine bekannte Sache, da das Pärchen seit 10–12 Jahren regelmäßig im Frühjahr sein altes Nest wieder bezog.

Nun hatte ich schon lange gewünscht, eine junge aber flügge Dohle in meinen Händen zu haben, um dieselbe genau besehen zu können; ich erstieg zu diesem Zwecke mittelst einer Leiter das Nest, um nachzusehen, ob die Jungen noch da wären oder ob sich dieselben schon fortgemacht hätten, denn einige Tage vorher hatte ich noch beim Füttern das Piepen und Gluchzen derselben gehört. Es saß richtig noch ein Junges, schon ziemlich flügge, auf dem Neste und stemmte, sperrte und zischte gewaltig, als ich es ergriff und wegnahm. Die Alten waren bei diesem Raube nicht zugegen, konnten also auch bei ihrer Zurückkunft nicht wissen, wo ihr Junges hingekommen war; trotzdem sahen sie es im Augenblicke ihren Ankommens auf der Gallerie sitzen, wohin ich es mittlerweile, nachdem ich es meiner Familie gezeigt gebracht hatte; mit lautem Geschrei und Gekrächze umflogen sie den Thurm unaufhörlich, bis auf einmal das Junge, welches noch sehr steif und ungelenk war, mir unter den Füßen wegflatterte, durch das eiserne Geländer kroch und hinunter in eine Rinne des Kirchdaches stürzte, wo es ruhig sitzen blieb. Mit einer ungeheuren Geschwindigkeit schossen die Alten nach, setzten sich neben dasselbe hin, besahen es von allen Seiten, gackelten und gluchzten um es herum, und da sie es unbeschädigt fanden, erhoben sie sich wieder und flogen in der Richtung nach Schönefeld davon.

Die Rinne, in welcher das Junge saß, befand sich dicht unter einem Dachfenster, so daß ich, als ich hinunter kam, es bequem wieder erfassen und nochmals heraustragen konnte; dieses Mal setzte ich es aber nicht wieder auf die Gallerie, sondern in sein altes Nest, wo ich es weggenommen hatte, und eilte nun wieder in der größten Geschwindigkeit hinauf, um die Alten beobachten zu können. Ich brauchte auch nicht lange zu warten, da kamen dieselben wieder zurück, aber nicht allein, sondern in Gesellschaft von wenigstens 12–14 andern Dohlen, wahrscheinlich den nächsten Freunden und Verwandten, umkreisten unter unaufhörlichem Geschrei fortwährend den Thurm und suchten das während der Zeit verschwundene Junge.

Endlich mochte die Mutter doch wegbekommen haben, daß sich ihr Kind wieder im Neste befand, denn sie setzte sich auf den Krahnbalken, blickte aufmerksam hinein, horchte und lockte, bis sie sich überzeugt hatte, daß nirgends mehr Gefahr drohte, krächzte laut, wahrscheinlich um die Andern zu rufen, und kroch nun in das Nest hinein.

Was nun im Innern vorging, kann ich nicht sagen, allein nach einigen Minuten kam auch der Vater, lief auf dem Krahnbalken bis hinter an das Nest, während die Verwandten fortwährend den Thurm umkreisten, erfaßte das Junge mit dem Schnabel an dem Flügel, und zog und zerrte dasselbe, während die Mutter hinten schob und hackte, bis auf die äußerste Spitze des schrägen, dachartig mit Eisenblech beschlagenen, also sehr glatten Balkens; dort angekommen ließ der Vater nun los, hüpfte von dem Balken hinunter, blieb aber schwebend dicht unter demselben, und nahm nun das Junge, welches wahrscheinlich vor Angst zitterte, da es die ungeheure Tiefe vor sich sah, und welchem die Mutter noch einen derben Stoß mit dem Schnabel versetzt hatte, sodaß es von dem schrägen Eisenblech herunter mußte, auf den Rücken, die Mutter flog sofort neben ihm so dicht, daß man das Zusammenschlagen der Flügel hören konnte, und nahm nun die Hälfte der Last auf sich, indem das Junge, mit jedem Fuße auf einem der Alten stehend und mit den Flügeln schlagend, wie ein Kunstreiter in der Luft davon zog, begleitet von dem laut jubelnden Schwarme seiner Verwandten und Freunde, welche wahrscheinlich vor Freude außer sich waren über die glückliche Rettung ihres jungen Vetters.

Dieses Jahr habe ich vergebens auf die Wiederkehr unserer alten Bekannten gewartet; sie sind nicht erschienen, wenigstens nicht im Neste zum Legen und Brüten, sondern nur auf Besuch, um sich einige fette Bissen aus dem Fenster zu holen, worauf sie sofort wieder verschwanden; ihr altes Nest ist noch ganz in dem Zustande, wie sie es verlassen haben, und einstweilen von einem Paar zärtlicher Thurmtauben eingenommen, und ich glaube auch nicht, daß jemals wieder Dohlen sich darin ansiedeln.



[400] Das Pferd des Gemordeten. Ein Herr S., der an der Grenze der Staaten Mississippi und Louisiana bei einem Pflanzer zum Besuch war, ritt eines Morgens in einem der letzten Winter mit seinem Freunde nach Franklinton. In der Nähe eines Dickichts an der Seite der Straße wurden die Pferde sehr unruhig, fingen an zu schnauben und wollten nicht weiter. Der Herr stieg also ab, gab den Zügel seinem Freunde, dem Pflanzer, und ging in das Dickicht hinein, um die Ursache dieser großen Aufregung der Pferde zu entdecken.

Er sah in dem Staube des Weges eine Spur von irgend einem schweren Gegenstande, den man geschleift hatte, und derselben folgend fand er bald, was er suchte. Vor ihm lag der Leichnam eines wohlgekleideten, schönen Mannes, den man schändlich ermordet hatte; eine Kugel war durch seinen Kopf gegangen und außerdem hatte man ihm den Hals von einem Ohr bis zum andern durchgeschnitten; die gestickte Weste und das feine Hemd waren voll Blut, welches aus breiten Messerwunden in Brust und Seite strömte. Der Körper war kaum kalt. Neben demselben lagen zwei lederne Satteltaschen, die man geplündert hatte und deren Inhalt umher gestreut war. Der Ausruf des Schreckens, der dem Herrn entfuhr, lockte seinen Freund herbei, und dieser erkannte in dem Ermordeten sogleich einen Herrn Hendrichs, einen geachteten Advocaten aus einer benachbarten Grafschaft.

Während die beiden Männer damit beschäftigt waren, die Leiche zu untersuchen, hörte man in der Nähe ein Schnauben und Stampfen, und der Pflanzer, der dem Lärm nachging, kam bald mit einem wunderschönen, braunen Vollblutpferde zurück, welches Jedermann in jener Gegend als das Eigenthum des Herrn Hendrichs kannte. Das schöne Thier war in der höchsten Aufregung; es zitterte an allen Gliedern und fiel beinahe vor Entsetzen zur Erde, als es auf die Leiche seines Herrn sah. Die Vorderfüße vorgespreizt, Hals und Kopf lang ausgestreckt, die Mähne beinahe aufgerichtet, starrte es, ein Bild des Entsetzens, mit glühenden Blicken auf den Todten, dem es sich nach einigen Augenblicken zögernd näherte. Dann bog das treue Thier seinen Kopf herunter und als es sich durch Beschnuppern überzeugt hatte, daß es wirklich sein Herr sei, leckte es seine kalten Hände, wie es ein Hund gethan haben würde.

Dieser Mord erregte in der ganzen Gegend eine große Aufregung. Es fand sich, daß der Advocat eine bedeutende Geldsumme bei sich gehabt, die er von einem seiner Clienten erhalten hatte, und im Begriff war, diese nach Franklinton in die Bank zu bringen. Diese Summe und eine goldene Uhr fehlten, so daß Niemand daran zweifelte, Herr Hendrichs sei von irgend welchen Straßenräubern angefallen und ermordet worden. Verschiedene verdächtige Personen wurden arretirt; allein der Mörder wurde nicht entdeckt. Einige Wochen waren seitdem vergangen, als der Herr, welcher die Leiche gefunden hatte, auf dem noch immer im Gewahrsam des Pflanzers befindlichen Vollblutpferde des Ermordeten nach Franklinton ritt, wo gerade Gerichtssitzung und eine große Menge versammelt war. Das wohlbekannte Pferd des Herrn Hendrichs erregte natürlich Aufmerksamkeit, und eine Menge Menschen drängten sich heran, es zu sehen. Plötzlich sprang das Pferd so heftig zur Seite, daß es den Reiter beinahe abgeworfen hätte, und schnaubte laut, wie entsetzte Pferde zu thun pflegen.

Das außerordentliche Benehmen des Thieres erregte Verdacht, und man fand bald, daß die Ursache desselben die Annäherung eines Mannes war, welcher sich in den Kreis drängte, um zu sehen, was da vorgehe. Es war dies ein Speisehauswirth, Namens Bill Nevins. Dem Reiter des Pferdes entging der eigenthümliche Ausdruck auf dem Gesichte dieses Mannes nicht, als er das Pferd erblickte, und ebensowenig die tödtliche Blässe, die seine Wangen färbte, als Jemand aus der Menge den durch das Benehmen des Pferdes erweckten Verdacht gegen Bill Nevins geradezu aussprach. „Wer sagt, daß ich den Advocaten Hendrichs todtschlug? Es ist Alles Lüge!“

Sein Benehmen zeigte indessen so sehr von Schuld, daß man ihn daraufhin einzog. Es war jedoch nicht leicht, ihm dieselbe zu beweisen, und außerdem war es nicht ausgemacht, in welchem der beiden an einander grenzenden Staaten der Mord begangen worden sei, da aus der Spur im Sande der Straße hervorging, daß der Gemordete eine Strecke geschleppt worden war. Man fand die Leiche freilich in Mississippi; allein er konnte ebenso gut in Louisiana ermordet worden sein, dessen Grenze nur wenige Schritte entfernt war.

Der Tag für das Gericht über Nevins war festgesetzt und noch immer weiter nichts gegen ihn vorzubringen, als das allerdings verdächtige Entsetzen des Pferdes bei seinem Anblick. Einige Tage vor der Gerichtssitzung jedoch ritt der Entdecker des Mordes abermals nach Franklinton in Gesellschaft von mehreren anderen Herren. Als man in die Nähe der Stelle kam, wo man den Gemordeten gefunden hatte, zeigte das Pferd wieder dieselben Zeichen der Angst wie früher, während die anderen Thiere seine Aufregung nicht theilten. Die Reiter hatten den fatalen Fleck bereits hinter sich, als der Braune plötzlich, ohne sich an den Zügel des Reiters zu kehren, mit diesem in ein Dickicht hineinsetzte, und sich durch Ranken und Gestrüpp zu einem großen Wurzelstock seinen Weg bahnte, wo er stehen blieb und in heftiger Aufregung mit dem Vorderfuße den Grund schlug.

Da alle Herren Zutrauen in die Klugheit den Pferdes hatten, so untersuchten sie sogleich die Stelle, vollkommen davon überzeugt, daß Hendrichs hier ermordet worden sei. So war es auch. Man fand ein eigenthümlich geformtes Bowiemesser, welches sogleich als eins erkannt wurde, welches Nevins gehabt hatte, und an den Wurzeln des Baumes fand man blutiges Haar, welches unstreitig von Hendrichs kam. Diese Beweise genügten. Der Mann bekannte seine Schuld. Er hatte in Erfahrung gebracht, daß Hendrichs viel Geld bei sich habe, paßte ihm auf, lockte ihn unter einem plausiblen Vorwand in das Dickicht und ermordete ihn.

Von Hunden hat man häufig ähnliche Beweise von Klugheit gehört; allein durch die Klugheit eines Pferdes ist wohl noch nicht oft der Mord eines Menschen entdeckt worden.




Bob, der Hund der Londoner Feuer-Brigade, war eine Berühmtheit der Weltstadt. Sobald die Feuerglocke an der Station, wo er sich aufhielt, geläutet wurde und die Spritzen sich bereit machten, placirte sich Bob an die Spitze und rannte mit lautem Bellen voraus, den Weg frei zu machen. Auf dem Platz angekommen, war er stets der erste, welcher die Feuerleiter hinauf lief, durch die Fenster in brennende Zimmer drang und den Feuermännern den Weg zeigte, wo ihre Hülfe am nöthigsten war. Als vor einiger Zeit ein Haus in Folge einer Explosion in Brand gerieth, stürzte Bob hinein und kam zurück – eine gerettete Katze im Maul. Bei einem andern Feuer in Lambeth, einem Theil Londons auf dem südlichen Ufer der Themse, hatten die Feuermänner bereits das Haus verlassen, überzeugt, daß kein Mensch mehr darin sei; allein Bob blieb vor einer Seitenthür laut bellend stehen und wollte nicht wanken noch weichen. Man schlug die Thür ein und fand im Gange ein halbersticktes Kind. Bei einer Versammlung des Anti-Thierquäler-Vereins im vorigen Jahre zeigte Bob manche seiner Kunststücke und arbeitete z. B. an der Pumpe einer Spritze. Vor einigen Wochen wurde dieses kluge Thier überfahren und getödtet. Bob trug ein messingnes Halsband mit folgender Inschrift:

Stop me not, but let me jog,
For I am Bob, the London firemen’s dog.

„Haltet mich nicht auf, sondern laßt mich laufen, denn ich bin Bob, der Hund der Londoner Feuermänner.“


Kleiner Briefkasten.

M. Kd. in Stettin. In den nächsten 5–6 Nummern hoffen wir die Ruppius’sche Novelle: „Ein Deutscher“, die so großen Anklang gefunden, beenden zu können. Eine Separatausgabe – eine englische Uebersetzung existirt noch nicht – wird sofort nach Abdruck des Schlusses erscheinen und alle diejenigen Stellen enthalten, welche unter dem Redactionsstifte unserer Zeitschrift nothwendig fallen mußten.

B. M. in Hamburg. Legen Sie die falsche Scham ab und frankiren Sie zukünftig Ihre Wünsche.

Dchs. in K. Die Gesangbuchsverse des Herrn Th. mögen Ihnen gefallen – wir können keinen Geschmack daran finden. Aehnliche Waare finden Sie in allen Gebetbüchern.

Br. in Sch. Ihre Wünsche können wir vielleicht schon in nächster Zeit erfüllen.

F. T. in K. Nicht brauchbar.

L. S. in G. Die „Schießordnung des Gothaer Schützenfestes“ ist erschienen und kann sowohl in der Redaction der Gartenlaube eingesehen, wie von dem Ausschuß in Gotha bezogen werden.

L. D. in St. – Se. aus T. – V. in Hamm. – Hausfrau in Ldbg. – B. B. Nr. 76A. M. in Annaberg. O. F. Nr. 20. – C. C. Nr. 23. – Wir müssen die Herren und Damen, welche unter obiger Chiffre Beiträge einsandten, leider ersuchen, über ihre Manuscripte zu verfügen. Gedicht-Manuscripte, erklären wir nochmals, werden nicht zurückgesandt.

K. in Olb. Für das italienische Sprachstudium können wir Ihnen die Grammatik von Fornasari und den Lehrgang von Philippi, zur Erlernung der spanischen Sprache „Hobelmann’s Unterricht“ empfehlen.

D. in G. Die gewünschte Auskunft werden Sie besonders in dem Werke des früheren hiesigen Missionsdirector Graul: „die Unterscheidungslehren etc.“, ferner in Winer’s comparativer Symbolik (augenblicklich nur antiquarisch zu haben), in dem gleichnamigen Werke von Matthes (Leipzig, bei Wöller), so wie in Kirchengeschichten und Conversationslexicis finden können.

A. in D. Vortrefflich! Angenommen.


Für die Abgebrannten in Glarus

gingen mir bereits zu von: Carl Geibel in Leipzig 15 Francs – J. E. in Spremberg 1 Thlr. – A. S. in Altenburg 1 Thlr. – C. F. Henke in Ebersbach 2 Ducaten – J. G. S. und G. 5 Thlr. – Dr. Schildbach in Leipzig i Thlr. – Redaction und Verlagshandlung der Gartenlaube 20 Thlr. – R. Htm. in L. 2 Thlr. – A. W. in L. 1 Thlr.

Jede Liebesgabe, auch die kleinste, ist willkommen. Denkt Eurer unglücklichen Brüder. Ernst Keil.


Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.      Ernst Keil.