Die Gartenlaube (1870)/Heft 42
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No. 42. | 1870. |
(Schluß.)
Koltoff war, als er das Manuscript las, auf dessen Titelblatt
in schöner Fracturschrift die Worte „Der Mensch und die Natur,
ein philosophischer Versuch von J. Koltoff, Lieutenant in der
Preobraschenskischen Garde“, standen, von seinem eigenen Werke
so begeistert, ja gerührt, daß er Thränen vergoß, Monsieur Perdrix
seinen Lebensretter nannte, ihn umarmte, küßte, in fünf Kneipen
schleppte; in jeder auf Kosten Lapinski’s glänzend bewirthete und
ihm endlich, gleichfalls aus Lapinski’s Tasche, ein Honorar von
zehn Rubeln, damals in der That eine stolze Summe, einhändigte.
Lapinski, der von „Dem Menschen und der Natur“ kein Wort verstand, zeigte sich gleichfalls entzückt.
Koltoff konnte also mit dem Bewußtsein einer Leuchte der Wissenschaft vor die schöne Lubina treten. Noch denselben Abend las er die Schrift des Tanzmeisters, von der er jetzt schon selbst überzeugt war, daß es seine Schrift sei, der Fürstin vor, welche ihn von Zeit zu Zeit durch ein „wie geistreich!“ oder „vortrefflich!“ oder „in der That ganz neu, vollkommen neu!“ unterbrach, so daß er zuletzt, mit gerechtem Stolz erfüllt, ihr und sich selbst das Wort gab, bei diesem ersten Schritt, den er so bescheiden einen Versuch“ genannt hatte, nicht stehen zu bleiben, sondern zu seinem und seines Vaterlandes Ruhme auf dem so glücklich betretenen Pfade fortzuschreiten.
„Der Mensch und die Natur“ aber kam aus den Händen des schönen Majors in jene der Fürstin Daschkoff und wurde von dieser der Czarin vorgelegt. Und Katharina die Zweite, dieses geniale Weib mit dem kühnen Blicke eines großen Mannes, las es. Sie las es und sagte: „Es enthält nichts Neues, aber es verräth umfassende Kenntnisse und es ist sehr gut geschrieben.“
Damit war das Glück des jungen Officiers gemacht.
Einige Tage nach der kaiserlichen Lecture erhielt er das Patent eines Capitains im Regiment Tobolsk, welches damals gleichfalls eine Dame, die schöne Amazone Frau von Mellin, befehligte. Das Manuscript des französischen Tanzmeisters aber wurde auf Kosten der Petersburger Akademie gedruckt.
Der Siegesjubel des philosophischen Officiers wurde nur dadurch ein wenig getrübt, daß auch der „Capitain“ Koltoff, der Verfasser des Buches „der Mensch und die Natur“, die schöne Amazone mit nicht größerem Erfolge belagerte, als der Lieutenant Koltoff, der Friseur des Bären.
Die coquette Schöne wich mit ebensoviel Geschick als Ausdauer jeder Auseinandersetzung aus.
Und endlich geschah es, daß Koltoff eines Abends bei der liebenswürdigen Lubina einen Anderen fand. Dieser Andere war ein schöner Pole Czartoriski, welcher den polnischen Gesandten nach Petersburg begleitet hatte; er zeichnete sich durch die seiner Nation nächst der französischen eigenthümliche Eleganz und Feinheit des Benehmens aus, hatte in Paris die Modeschriftsteller kennen gelernt und verstand es, über das physiokratische System und die Rechte des Menschen ebenso blendend zu sprechen, wie über die Toilette der Marquise von Pompadour und die Einrichtungen des Hirschparkes.
Als er die Fürstin verließ, küßte er ihr mit einem mehr liebenswürdigen als ehrerbietigen Blick die Hand, und die Fürstin erwiderte diesen Blick mit einem Lächeln.
Koltoff, in dem längst Alles wogte, begann zu fiebern. Kaum hatte der Pole das Gemach verlassen, so überhäufte er Lubina mit Vorwürfen, welche ihn ruhig, ja gleichgültig anhörte.
„Also dies ist Ihr neues Ideal?“ rief der von Eifersucht entstellte wüthende Capitain endlich.
„Sie sind in der That ein Mann von Geist,“ erwiderte die Fürstin. „Sie erraten, was Andere kaum ahnen. Sie haben mich in diesem Augenblicke über meine eigenen Gefühle aufgeklärt. Ja, dieser Pole ist mein Ideal; er –“
„Für wie lange?“ unterbrach sie Koltoff barsch; „es gab eine Zeit, wo Sie ein anderes Ideal hatten.“
„Ja wohl, ein anderes,“ lispelte die Fürstin mit einem müden Lächeln; „ich habe schon viele Ideale gehabt.“
Koltoff ging mit großen ungeduldigen Schritten in dem duftigen Boudoir auf und ab; so daß sich die weißen Fenstervorhänge wie Segel aufblähten und die Porcellanchinesen auf dem Kamin mit den großen Köpfen zu nicken begannen. Jetzt blieb er vor der übermüthigen Frau, welche er gegen seinen Willen köstlich unterhielt, stehen und sprach sehr ernst, beinahe feierlich: „Wir müssen zu einem Resultate kommen, Madame!“
„Also kommen wir zu einem Resultate,“ spottete Lubina.
„Heute noch!“
„Heute noch.“
„Sie werden offen und ohne Rückhalt auf meine Fragen antworten!“
„Ja.“
„Offen und ohne Rückhalt?“
„Offen und ohne Rückhalt.“
„Lieben Sie mich noch?“ begann Koltoff sein Verhör.
Die Fürstin schwieg.
[690] „Ich bitte um Antwort,“ rief Koltoff schon etwas unartig. „Lieben Sie mich noch?“
„Wie soll ich darauf antworten?“ lispelte die Fürstin.
„Sie versprachen mir zu antworten, offen und ohne Rückhalt,“ fuhr Koltoff vor Wuth zitternd fort, „also antworten Sie.“
Die Fürstin zögerte noch immer.
„Lieben Sie mich noch?“ fragte Koltoff immer heftiger.
„Ich weiß es nicht,“ erwiderte die Fürstin die Achseln zuckend.
„Nun, vielleicht wissen Sie, ob Sie jenen Herrn lieben!“ schrie Koltoff.
„Ich weiß es ebenso wenig,“ sagte die Fürstin.
„Jedenfalls scheine ich hier überflüssig zu sein,“ sprach Koltoff und nahm seinen Hut. In demselben Augenblick sprang die Coquette auf und hielt ihn zurück. „Sie dürfen nicht gehen,“ sprach sie ebenso stolz als dringend, „ich verbiete es Ihnen.“
Koltoff stieß ein grobes bäuerisches Gelächter aus und ging, er war auf das Aeußerste gebracht, da – er war eben im Begriffe, die Thür hinter sich zu schließen – geschah, was er am wenigsten erwartet, die Fürstin brach in Weinen aus, sank zu Boden und bekam Krämpfe. Koltoff eilte ihr zu Hülfe, er war von Neuem gefangen. –
Der Monat, welchen sich Lapinski zu seiner Verheirathung ausbedungen, war längst verflossen, aber Koltoff schien es nicht zu bemerken, er dachte nicht im Entferntesten mehr daran, sich zu erschießen. Er kam täglich wie zuvor zu der Fürstin, war täglich nahe daran, vor Wuth und Eifersucht zu ersticken, nahm jedesmal seinen Hut, um für immer zu gehen, und blieb jedesmal von der schönen Coquette im neuen Netze gefangen.
Er wäre nie in seinem Leben zu einem Ende gekommen, wenn nicht Lapinski, sein treuer Camerad, neuerdings intervenirt hätte.
„Es ist klar, daß die Fürstin Dich liebt,“ sagte dieser eines Tages zu Koltoff, der ihm seine Leiden klagte, „denn liebte sie Dich nicht, so hätte sie längst den Polen genommen und Dich gehen lassen, denn Du bist wahrhaftig weder so liebenswürdig, noch so geistreich, wie Du Dir einbildest, trotz Deinem Werke ,der Mensch und die Natur‘; es kann also nicht blos der Reiz Deiner Unterhaltung sein, der Dich ihr so werth macht, daß sie sofort Krämpfe bekommt, wenn Du an das Desertiren denkst. Sie liebt Dich, also benütze Dein Heldenglück, dringe auf eine Entscheidung von ihrer Seite, und wenn sie, wie ich erwarte, Dich abweist, bleibe einmal wirklich aus, sei ein Mann, trotze nur eine Woche ihren Thränen, ihren Krämpfen, ihren Bitten, ihren Briefen, und sie ist Dein.“
Koltoff ging noch denselben Abend an die Ausführung dessen, was ihm sein Freund so klar entwickelt hatte. Er nahm eine gewisse ernste, ja würdevolle Miene an und blieb anfangs so einsilbig, daß die Fürstin ihren Anbeter herzlich langweilig fand, und als nicht einmal das wärmste Lob, das sie dem Polen spendete, ihn aus seiner Ruhe brachte, begann die schöne Frau zu gähnen und endlich mit ihrem Affen zu spielen.
„Dies muß ein Ende nehmen,“ begann der Capitain ziemlich rauh.
„Was muß ein Ende nehmen?“ erwiderte die Fürstin, welche mit Vergnügen Leben in die Situation kommen sah.
„Das Spiel, das Sie treiben,“ sagte Koltoff.
„Wer will mir verbieten mit meinem Affen zu spielen?“ antwortete Lubina boshaft.
„Also Ihr Affe bin ich –“ schrie Koltoff auf.
„Wer spricht denn von Ihnen?“ unterbrach ihn die Fürstin mit einem kühlen Lächeln.
„Von wem sprechen wir denn?“
„Von meinem Affen, diesem reizenden Thierchen hier,“ entgegnete Lubina, indem sie dasselbe zärtlich an ihre Brust schloß.
„Ich aber spreche von mir,“ begann Koltoff von Neuem, „von Ihnen, von uns.“
„Ach! thun Sie das,“ lispelte Lubina, „ich höre Sie so gerne sprechen.“
„Sie haben mir erlaubt, um Ihre Gunst, um Ihre Hand zu werben,“ fuhr der Capitain fort, „ich bin heute gekommen, um mir eine Entscheidung über mein Schicksal zu holen, und ich werde nicht gehen, ohne dieselbe von Ihnen empfangen zu haben.“
„Aber bedenken Sie doch, Capitain, was die Leute sagen würden, wenn Sie sich bei mir einlogirten,“ erwiderte Lubina spöttisch.
„Sie wollen mir also keine entscheidende Antwort geben?“
„Nein,“ erwiderte die Fürstin, „aber wenn Sie fortfahren, so zu schreien und zu poltern, werde ich mich erinnern, daß ich Ihr Vorgesetzter bin.“
„Auch das noch!“ stammelte Koltoff, dem der Zorn den Athem benahm. „Wissen Sie, daß Sie eine Coquette sind, eine herzlose Coquette?“
„Möglich,“ erwiderte Lubina und begann zu lachen.
„Verspotten Sie mich nur,“ schrie der Capitain außer sich, „Sie sind doch mein, und kein Mensch soll Sie mir entreißen!“ Zugleich stürzte er auf seinen schönen Vorgesetzten los und schloß ihn in seine Arme. Die Fürstin schrie um Hülfe, während Koltoff sie mit Küssen bedeckte, aber es kam ihr Niemand zu Hülfe, als der kleine Affe, welcher seine Herrin in Gefahr sah, Koltoff auf den Rücken sprang und ihn solange biß und kratzte, bis der wahnsinnige Anbeter die Fürstin losließ und auf ihren Befreier, blutend, den Degen in der Hand, Jagd machte.
Aber jetzt kam Lubina ihrem Liebling zu Hülfe.
Mit voller Majestät trat sie dem Wüthenden entgegen. „Herr Capitain,“ rief sie im Commandoton. „Ich befehle Ihnen sofort Ihren Degen einzustecken.“ Und als Koltoff, wenn auch sichtlich betroffen, nicht gleich Folge leistete, fuhr sie mit dem Fuße stampfend, im Zorne fort: „Wissen Sie, was Sie begehen? Das ist Insubordination. Ich sende Sie hiermit auf die Wache.“
Koltoff wollte sich entschuldigen.
„Kein Wort!“ rief der schöne Major. „Geben Sie mir Ihren Degen …“
Koltoff übergab der Geliebten seinen Degen, verneigte sich und ging.
Nachdem Koltoff volle vierundzwanzig Stunden auf der Wache gewesen, erhielt er seinen Degen zurück. Die Fürstin begleitete diesen Act mit keinerlei Kundgebung von ihrer Seite; sie saß in ihrem Boudoir und lachte mehr als je und erwartete ihren Anbeter sofort nach seiner Freilassung als reuigen Sünder vor ihr erscheinen zu sehen.
Aber er kam nicht.
Es verging ein Tag, es vergingen zwei, eine Woche, Koltoff kam nicht. Der Major vom Regimente Simbirsk und der Capitain vom Regimente Tobolsk trotzten miteinander wie ein paar unartige Kinder. Koltoff schweifte zu Fuß und zu Pferde ruhelos in der wüsten Landschaft um Petersburg umher, er schlief nicht, er aß nicht, er fühlte sich im höchsten Grade unglücklich; aber er hatte sich geschworen, nie und nimmer den ersten Schritt zur Aussöhnung mit der Fürstin zu thun, und er blieb fest. Lubina Mentschikoff quälte ihre Kammerfrauen, ihre Soldaten, ihren Affen, ihre Hunde, vor Allem sich selbst; aber sie war zu stolz, einzugestehen, daß sie zu weit gegangen war, daß sie mit Koltoff ein coquettes Spiel getrieben, und vor Allem zu stolz, einzugestehen, daß sie ihn liebte; und das fühlte sie jetzt beinahe zu ihrer Beschämung täglich mehr; sie entbehrte ihn, sie sehnte sich nach ihm, sie weinte vor Zorn in ihre Kissen, aber sie brachte es doch nicht über sich, ihm zuerst die Hand zur Versöhnung zu bieten, so gern sie auch die seinige ergriffen hätte.
Da geschah es, daß eines Tages den Officieren des Regimentes Tobolsk bei der Wachtparade von ihrem Obersten Frau von Mellin ein neuer Camerad vorgestellt wurde, der Lieutenant Sophia von Narischkin.
Dieser neugeschaffene Lieutenant war eins der reizendsten Mädchen der damaligen russischen Aristokratie. Auf dem Lande, in der idyllischen Umgebung eines russischen Dörfchens, in den patriarchalischen Sitten russischer Landedelleute aufgewachsen, war Sophia von Narischkin, wie viele Frauen und Mädchen jener Tage von der Erscheinung Katharina’s geblendet, durch eine abenteuerliche Phantasie dem Kreise ihrer Familie, der engen weiblichen Sphäre entrückt, zur Amazone geworden, aber zu gleicher Zeit das unschuldige, gute, ehrbare Landmädchen geblieben, das mit aristokratischem Anstand und angeborenem Mutterwitz eine edle Einfalt der Gesinnung verband, welche damals an dem Hofe von Petersburg nicht weniger selten war als an jenem von Versailles.
Man ist nie mehr geneigt, sich zu verlieben, als wenn man von einer Geliebten beleidigt, getäuscht oder verlassen worden ist. [691] Koltoff sah in sich ein Spielzeug, das die schöne Lubina zu ihrem Zeitvertreibe benutzt und dann weggeworfen hatte. Alles, was die Natur des Mannes ausmacht, empörte sich in ihm bei diesem Gedanken, und es ist natürlich, daß er im ersten Augenblicke, wo er das schöne hochgewachsene Mädchen mit den wunderbaren blauen Augen sah, es liebte und beinahe in dem nächsten schon es demselben gestand. Der Eindruck, den der junge Capitain auf Sophia machte, war auch kaum weniger günstig. Das cameradschaftliche Verhältniß erleichterte die Annäherung, und so waren Koltoff und Fräulein von Narischkin bald unzertrennlich, und sie fanden es beide so natürlich, sich zu lieben, daß sie vollkommen darauf vergaßen, es sich zu sagen und sich über ihre Absichten für die Zukunft zu verständigen.
Um so mehr beschäftigte sich die Welt mit derselben, und man nannte Fräulein von Narischkin längst die Braut des Capitains Koltoff, ja man bezeichnete schon den Hochzeitstag, ehe die Liebenden über den ersten Kuß hinaus waren.
Das Gerücht drang natürlich auch zu der Fürstin Mentschikoff, und die schöne Frau entdeckte plötzlich, daß sie den Mann, den sie so raffinirt auf die Probe gestellt, den sie selbst von sich gestoßen, mit der heftigsten Leidenschaft liebte; sie verzehrte sich vor Eifersucht und war sofort entschlossen, Alles aufzubieten, um ihn wieder zu ihren Füßen zurückzuführen. Er liebe sie noch immer, sagte sich ihre Eitelkeit, nur weil sie ihn so schlecht behandelt, habe er sich aus Verzweiflung in die Arme einer Anderen geworfen. Welche Reize konnte das simple Landmädchen für ihn haben! Ein Wink von ihr, dem schönen, eleganten, geistvollen Weibe, und er war ihr Sclave wie zuvor.
Sie schrieb an ihn, indeß noch immer hochmüthig, wenige Zeilen nur, sie erlaube ihm zu kommen. Aber Koltoff war unartig genug, von der Erlaubniß keinen Gebrauch zu machen. Sie schrieb ein zweites Mal, es klang schon wie Entschuldigung, und als Koltoff dennoch nicht kam, bat sie ihn um Vergebung und bat ihn zu kommen. Koltoff gab noch immer kein Lebenszeichen. Da war der Stolz der schönen Coquette gebrochen; sie hatte den Mann, den sie liebte, dessen Besitz ihr zu ihrem Glücke unentbehrlich schien, für sich verloren, und noch dazu verloren an eine Andere, die ihn liebte und die er wieder liebte. Sie schrieb noch einmal. Sie gestand ihre Liebe, sie verrieth ihre Leidenschaft, ihre Eifersucht und sie flehte um eine Unterredung.
Koltoff erwiderte in ebenso höflicher wie entschiedener Weise, er habe der Fürstin nichts zu sagen, und nichts, was es auch sei, was sie ihm etwa mitzutheilen hätte, könne jetzt noch die Situation ändern. Wie sie über ihr Ideal längst enttäuscht sei, so sei er fern von seinen früheren Illusionen, fern davon, sie noch anzubeten. Er bitte sie also, auf die gewünschte Unterredung zu verzichten.
Eine Laune des Zufalls wollte es indeß, daß Koltoff zwei Tage, nachdem die Fürstin seine Antwort empfangen hatte, ihrer Carosse in einer engen Gasse begegnen mußte, wo ein Ausweichen unmöglich war.
Die Fürstin ließ halten und wartete nicht ab, bis der Lakai herabsprang; sie beeilte sich, den Schlag selbst zu öffnen und Koltoff beide Hände entgegenzustrecken.
Der Capitain nahm sie jedoch nicht, sondern verneigte sich mit kalter Artigkeit, und nachdem er sich über das Befinden der Fürstin beruhigt hatte, entfernte er sich rasch mit einem ebenso ceremoniellen Gruße.
Die Fürstin aber warf sich in eine Ecke des goldverzierten Wagens und weinte.
Dem kurzen russischen Herbst war ein strenger Winter gefolgt;
die nordische Capitale hatte sich in ihren weißen Schneepelz gehüllt;
die armen Leibeigenen, die Kleinbürger, rückten in ihren Isbi und
in den Branntweinschenken zusammen, die Reichen und Großen an
den Kaminen ihrer Paläste; Concerte wechselten mit Theatervorstellungen, Gesellschaften mit Bällen ab. Die Fürstin Lubina
Mentschikoff schien ihren flüchtigen Anbeter vergessen zu haben, und
Koltoff und Fräulein von Narischkin waren noch immer kein Brautpaar.
Der Verfasser des Buches „Der Mensch und die Natur“
hatte indeß ein neues Buch „Betrachtungen über die Fortschritte
des menschlichen Geistes“ mit Hülfe des französischen Tanzmeisters
Monsieur Perdrix vom Stapel gelassen und damit die Aufmerksamkeit
der Petersburger Bureaux d’esprit und der Kaiserin
Katharina der Zweiten in noch höherem Maße auf sich gezogen.
Auf dem ersten Hofballe dieses Winters erschien er denn auch mit einem ganz neuen Bewußtsein, mit dem, für einen kenntnißreichen und geistvollen Mann zu gelten, von der Gunst der Czarin wie von einer Glorie umgeben. Er verlor sich auch diesmal nicht wie sonst im glänzenden Schwarme der Cameraden, mit ihnen die Damen betrachtend, ihre Toiletten bewitzelnd und ihre Chronik recapitulirend, sondern gesellte sich zu einigen gewiegten Diplomaten und gefeierten Gelehrten der Petersburger Akademie der Wissenschaften.
Die Stirn in tiefe Falten gelegt, hatte er sogar für Sophia von Narischkin, welche bald nach ihm eintrat, nur einen höflich kühlen Gruß und schien die Fürstin Mentschikoff, welche stolz an ihm vorüberrauschte nicht einmal zu bemerken.
Im Gedränge fügte es sich, daß sich die beiden Nebenbuhlerinnen das erste Mal gegenüberstanden und feindselige Blicke wechselten. So prächtig, ja berauschend die Erscheinung der Fürstin in ihrer schweren weißen mit Rosenbouqueten in farbiger Stickerei bedeckten Robe, ihrem blitzenden Diamantenschmuck war, so konnte Sophia doch den stechenden drohenden Blick ihrer schwarzen Augen ruhig aushalten und spöttisch lächeln, denn sie war ja die Siegerin, und die Besiegte gestand es sich zu, daß dieses schlanke Mädchen mit den großen treuen naiv fragenden Augen bezaubernd war.
Das kurze Tête à Tête der Damen wurde durch den Eintritt der Czarin unterbrochen. Alle Blicke wandten sich der schönen genialen Monarchin zu, welche in natürlicher ungezwungener Majestät durch den Saal schritt.
Katharina die Zweite war noch immer schön und sie verstand es wie keine andere Frau sich immer so zu kleiden, daß ihre Schönheit zur siegreichsten Geltung kam.
Sie trug ein veilchenblaues Sammtkleid, dessen viereckiger, mit Hermelin besetzter Ausschnitt ihre herrliche Büste blendend hob. Streifen von Hermelin, durch Cocarden desselben Pelzwerkes unterbrochen, liefen bis zu dem Saum des Gewandes, der breit mit Hermelin ausgeschlagen in reicher Schleppe zurückfloß. Das hochaufgekämmte, schneeweiß gepuderte Haar trug eine kleine Nadel von Diamanten mit dem griechischen Kreuz, zwischen den Löckchen, welche auf der Stirne niederfielen, zitterten einzelne Diamanten gleich Thränen.
Die Kaiserin schien heute Abend in besonders guter Laune, sie erwiderte die ehrfurchtsvollen, beinahe demüthigen Grüße ihres Hofes mit huldreicher Herablassung, richtete, ein reizendes Lächeln um den kleinen Mund mit den vollen Lippen, an verschiedene Personen das Wort und begann endlich in liebenswürdig scherzendem Tone ein längeres Gespräch mit dem Zoologen Lagetschnikoff, welcher zu gleicher Zeit eines der bekanntesten Mitglieder der Petersburger Akademie der Wissenschaften und der schönste Mann Rußlands war.
Das Orchester eröffnete den Ball, wie es damals im slavischen Osten Sitte war, mit einer Polonaise. Die Kaiserin nahm den Arm des Grafen Panin und schritt mit ihm an der Spitze der Colonne. Der zweite Tanz war die Menuette.
Die Fürstin Lubina Mentschikoff, durch den Anblick ihrer Nebenbuhlerin und die Gleichgültigkeit Koltoff’s, welcher sie, die gefeierte Schöne, die stolze Herrin von viertausend Seelen, zu übersehen wagte, auf das Aeußerste aufgebracht und gereizt, griff jetzt zu dem letzten tyrannischen Mittel, um sich dem Manne zu nähern, der noch vor Kurzem ihr unterwürfiger Sclave gewesen war, sie machte von ihrem Rechte als Hofdame und Fürstin Gebrauch und befahl den Capitain zum Tanze.
Koltoff aber beging das Unerhörte, nie Dagewesene, diesem Befehl nicht Folge zu leisten, er entschuldigte sich bei dem Kammerherrn, welcher ihm denselben überbrachte, und – tanzte mit Sophia Narischkin, welche an diesem Abende alle Damen des Hofes in Schatten stellte und der Gegenstand allgemeiner Bewunderung war. Dies war zu viel.
Das Orchester hatte nur wenige Tacte der Menuette gespielt, als die Fürstin Mentschikoff, ihrer selbst nicht mehr mächtig, die Reihen der Tanzenden durchbrach, um Fräulein von Narischkin zu insultiren.
„Ich habe Sie zum Tanze befohlen, Capitain,“ sprach die zuerst zu Koltoff gewendet, „und Sie wagen es –“ weiter kam sie nicht, die Wuth erstickte ihre Stimme.
„Ich gehorche einem frühern Befehl des Fräuleins von Narischkin,“ erwiderte Koltoff kalt.
[692] „Ah! die Prinzessin muß also vor Ihrer Dirne, vor einer Landstreicherin zurückstehen!“ rief Lubina im höchsten Zorn.
„Sie vergessen sich,“ fiel Koltoff ein, während Fräulein von Narischkin, bis in die Lippen bleich, der Fürstin entgegentrat. „Ich verlange Genugthuung für diesen Schimpf, den ich nicht verdient habe,“ stammelte das brave, hochentrüstete Mädchen.
„Da haben Sie Ihre Genugthuung,“ rief die Fürstin und vergaß sich so weit, daß sie den Fächer erhob, um die Nebenbuhlerin zu schlagen. In demselben Augenblick trennten die Umstehenden, von der Handlungsweise Lubina’s empört, die Streitenden, aber der öffentliche Scandal war fertig; die Czarin befahl beiden Damen sofort den Saal zu verlassen.
Sie gehorchten. Die Fürstin wurde von dem Grafen Orloff zu ihrem Wagen gebracht, wo sie in convulsivisches Weinen ausbrach.
Fräulein von Narischkin hatte sich indeß, an dem Halse ihrer Mutter schluchzend, mit dem naiven Ausdruck zu Koltoff gewendet: „Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie müssen mich jetzt heirathen.“
Koltoff, außer sich vor Entzücken, Ort und Umgebung vergessend, schloß das schöne beleidigte Mädchen an seine Brust, und Fräulein von Narischkin verließ den Winterpalast erst, nachdem sie den Capitain als ihren Bräutigam vorgestellt hatte.
Damit war aber die Sache nicht zu Ende.
Am nächsten Tage sendete Fräulein von Narischkin, ohne Wissen ihrer Eltern und ihres Bräutigams, Fräulein Hedwig von Niewelinski zu der Fürstin Lubina Mentschikoff mit einer Herausforderung zum Zweikampfe und die Fürstin nahm dieselbe „mit Vergnügen“ an. In der nächsten Stunde verhandelten die Secundanten der beiden Theile, Fräulein Hedwig von Niewelinski, Officier im Regimente Tobolsk, und Gräfin Saltikoff, Major im Regimente der finnischen Schützen, über die Bedingungen des Rencontres.
Es wurde festgesetzt, daß die Waffen Pistolen sein sollten, und die Gegner auf dreißig Schritt Entfernung auf Commando zu gleicher Zeit schießen, und zwar drei Mal. Wenn sich in diesen drei Gängen keine Verwundung ergäbe, so sei dadurch der Ehre Genüge geschehen und der Zweikampf als beendet anzusehen.
Den nächsten Morgen trafen sich die beiden Parteien in einem Wäldchen in der Nähe von Petersburg. Es war ein schöner, ruhiger, aber empfindlich kalter russischer Wintertag, weithin Nichts zu sehen als ein paar große Raben, welche mit ihren schwarzen Fittichen langsam über den weißen Himmel segelten.
Da der Schnee ziemlich hoch lag, so mußte für Duellanten und Zeugen erst die Bahn frei gemacht werden, wozu die Letzteren Bauern aus der Gegend requirirten. Als alle Vorbereitungen beendet waren, kam zuerst Fräulein von Narischkin in phantastisch prächtigem Schlitten, welcher einen großen weißen Schwan darstellte, und gleich nach ihr die Fürstin.
Beide Damen beeilten sich, die Bärenfelle, mit denen sie bedeckt waren, und die großen Pelze, in welche sie sich eingehüllt hatten, abzuwerfen, und standen sich nun, nachdem sie sich kalt, aber artig begrüßt, in der coquetten Amazonentracht jener Zeit gegenüber.
Die Fürstin Lubina Mentschikoff trug hohe schwarze Reitstiefel, über der reichfaltigen grünen Sammtrobe einen Ueberrock von gleichem Stoffe mit dem Aufschlage des Regimentes Simbirsk, reich mit Zobelpelz besetzt und mit Gold verschnürt.
Die Toilette des Fräuleins von Narischkin, der durch Katharinas Vorliebe sogar hoffähig gewordenen Kosakentracht nachgebildet, bestand in Halbstiefeln von rothem Saffian, einem kurzen rothen Sammtrock, welcher nicht weiter als bis zu dem Fußknöchel herabfiel, einer enganschließenden Jacke von demselben Stoffe mit breiter Hermelinverbrämung und einer hohen runden Mütze von Hermelin.
Die beiden Damen maßen sich mit Blicken, welche deutlich genug ihre Unversöhnlichkeit verriethen, dennoch versuchten die Secundanten, wie es ihre Pflicht war, dieselben zu einem Ausgleiche zu bewegen. Vergebens. Die Fürstin hatte erst auf der Fahrt zu dem Duellplatze erfahren, daß Fräulein von Narischkin die Braut Koltoff’s sei, und war entschlossen, ihre Nebenbuhlerin zu tödten.
So wurde denn die Entfernung abgeschritten, an den Stellen, wo sich die beiden duellirenden Damen aufstellen sollten, je ein Pflock eingeschlagen. Dann luden die Secundanten gemeinschaftlich die Pistolen und gaben endlich das Zeichen zur Aufstellung. Noch wenige Secunden und die Fürstin und Fräulein Narischkin standen sich gegenüber, die Pistole, den Hahn gespannt, in der Hand. Die Zeugen nahmen ihren Posten ein und gaben das Commando: „Fertig!“ Keine der beiden Amazonen verrieth eine Bangigkeit, im Gegentheil zeigten sich beide kaltblütig und unerschrocken wie alte geriebene Duellanten von Profession.
„Eins – zwei – drei –“
Zwei Schüsse blitzten.
Die Secundanten sprangen herzu. Niemand war verwundet. Man lud also die Waffen von Neuem und nahm von Neuem Stellung.
Noch einmal ertönte das Commando, noch einmal knallten die Pistolen; diesmal war die Mütze des Fräulein Narischkin von der Kugel der Fürstin durchlöchert. Fräulein Narischkin nahm sie ab, betrachtete sie lächelnd und stülpte sie wieder auf. Ehe jedoch die Pistolen zum dritten Male geladen werden konnten, kamen im Carrière zwei Reiter herbei, welche von Weitem schon mit einem weißen Tuche wehten, und zu gleicher Zeit wurde ein Schlitten sichtbar, welcher gleichfalls die Richtung nach dem Kampfplatze nahm.
Die beiden Reiter waren Koltoff und Lapinski. Sie sprangen von den schweißbedeckten schäumenden Pferden und der erstere eilte, die kämpfenden Damen zu trennen. Er bat, er beschwor, er drohte, Alles vergebens. Fräulein von Narischkin verlangte zornglühend, mit dem Fuße stampfend, Abbitte von Seite der Fürstin für die angethane Beleidigung; die schöne Wittwe wies dagegen jedes Ansinnen dieser Art mit stolzer höhnischer Heftigkeit zurück. Beide riefen endlich, man möge die Bahn frei geben, damit sie zum dritten Male die Kugeln wechseln könnten.
Während dieses Wortwechsels war der Schlitten, welcher, wie die Officiere, auch von Petersburg her kam, pfeilschnell herangeschossen, die dampfenden Rosse hielten unweit des Duellplatzes und zwei Damen, in kostbare Pelze gehüllt und dicht verschleiert, stiegen aus und nahten schnellen Schrittes. Die erste, im kaiserlichen Hermelin, majestätisch und gebieterisch, trat zwischen die Streitenden und gebot Einhalt, zugleich den Schleier zurückschlagend. Es war die Czarin Katharina die Zweite, ihre Begleiterin die Fürstin Daschkoff.
Die Czarin hatte von dem ungewöhnlichen Zweikampfe erfahren und war herbeigeeilt, um womöglich das Blutvergießen noch zu verhindern. Sie fragte die beiden Damen, welche in einiger Verlegenheit vor ihr standen, mit einem Blicke, welcher keinen Widerspruch aufkommen ließ, ob sie sich ihrem Schiedsspruche unterwerfen wollten.
Beide Duellantinnen verbeugten sich schweigend.
Die Monarchin ließ sich hierauf die Ursache des Zweikampfes mittheilen, aber sie begnügte sich nicht mit den Erklärungen der beiden Damen, sie forschte nach dem tieferen Grunde ihres Hasses, der sich so unzweideutig aussprach, und als sie Koltoff erblickte, wandte sie sich an ihn, und der junge Officier war ehrlich oder indiscret genug, Alles zu gestehen. Katharina die Zweite lächelte.
„Hören Sie also mein Urtheil in diesem seltsamen Streite,“ sprach die Dame. „Ich verbiete die Fortsetzung dieses Zweikampfes, der Ehre ist Genüge geschehen; was aber diesen jungen Officier betrifft, so befehle ich, daß er jener der beiden Damen seine Hand reichen soll, welche ihn mehr liebt.“
„Dann gehört er mir!“ rief die Fürstin.
„Nein, mir!“ fiel Fräulein Narischkin ein.
Beide schworen, daß sie nicht leben könnten ohne ihn.
Katharina die Zweite lächelte wieder.
„Sie machen mir die Sache recht schwer,“ sagte sie, die Achseln zuckend. „Indeß habe ich einen neuen Ausweg gefunden. Koltoff ist die Ursache dieses Streites, es ist daher gerecht, daß er seine Schuld büßt. Da Sie Beide gleich gerechte Ansprüche an seine Person zu haben glauben und es nicht möglich ist, ihn in zwei Theile zu theilen, so gebiete ich, daß er sich an jenen Baum dort stellt, und Sie, meine Damen, so lange auf ihn schießen, bis Ihr Blutdurst gesättigt ist.“
„Das ist ja nicht möglich!“ stammelte Fräulein von Narischkin.
„Was wäre unmöglich, wenn ich es befehle?!“ erwiderte die Kaiserin, die stolzen Brauen finster zusammenziehend „Vorwärts Koltoff, an jenen Baum dort!“
Der junge Officier war todtenbleich geworden, aber er gehorchte.
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[694] Die Gräfin Saltikoff lud die Pistolen.
„Nun schießen Sie, meine Damen!“ befahl Katharina die Zweite.
Die Fürstin spannte den Hahn ihrer Pistole und trat vor. „Ich liebe ihn so sehr,“ sprach sie auf das Höchste erregt, „daß ich ihn lieber todt zu meinen Füßen sehen will, als in den Armen einer Andern,“ und sie zielte auf Koltoff.
In dem Augenblicke jedoch, wo sie abdrückte, schlug ihr Fräulein von Narischkin mit einem Aufschrei der Verzweiflung den Lauf in die Höhe, so daß der Schuß in die Luft ging.
„Nein, nein,“ rief sie zugleich, „er darf nicht sterben, nehmen Sie ihn hin, meine Liebe ist zu groß, ich will ihn lieber verlieren als sein Blut fließen sehen!“
Die Fürstin jubelte. „Nun sind Sie mein, Koltoff,“ rief sie, „mein Sclave!“
„Gemach,“ sprach die Kaiserin, ihr die Hand auf die Schulter legend, „Fräulein Narischkin hat bewiesen, daß sie ihn mehr liebt, als Sie. Er gehört ihr.“
Zwei Wochen später feierte Koltoff seine Vermählung mit Sophia von Narischkin.
(Schluß.)
Nach einer Nacht, die immer noch schlimmer hätte sein können, als sie in Wirklichkeit war, brachte man mich zum Pfarrer des Dorfes. Wenn bei demselben auch schon sämmtliche Stuben voll Verwundeter lagen, so war dieser Aufenthalt doch ein Eldorado gegen den früheren. Mir nebst drei anderen Cameraden wurde ein Zimmer angewiesen. In das Bett des Pfarrers kroch sofort ein Camerad, zwei lagerten sich auf Strohsäcken und ich mußte mit Streu vorlieb nehmen.
Der Pfarrer hatte uns freundlich bewillkommnet. Er selbst war erst seit einigen Tagen hierher versetzt und hatte sich noch gar nicht eingerichtet, als das Elend des Krieges das Dorf überzog. Und welch ein Elend! Selbst der Pfarrer und seine Schwester hatten nichts, rein nichts zu essen. Als wir ihnen von unserem Vorrath abgaben, dankten sie uns mit Thränen in den Augen.
Unsere Burschen waren unsere Krankenpfleger und erfüllten ihre Aufgabe mit der größten Hingebung. Nur mit der größten Mühe konnte das zum Kühlen der Wunden nöthige Wasser herbeigeschafft werden, da die öffentlichen Brunnen theils von den Franzosen zerstört, theils in Folge des übermäßigen Gebrauchs versiecht waren. Das Wasser wurde schließlich so schlecht, daß wir es nicht mehr trinken und später sogar nicht mehr zum Kühlen gebrauchen konnten.
An diesem Tage, am 17. August, erhielt ich Besuch von meinen Cameraden, welche in der Nähe bivouakirten. Abends bildeten Altarkerzen, auf eine Weinflasche gesteckt, die Beleuchtung. Mich nach dem Ursprunge der Lichter zu erkundigen, habe ich wohlweislich unterlassen.
Die Nacht war gut; wir waren so erschöpft, daß wir trotz unserer Schmerzen einen „Riesenschlummer“ thaten. Außerdem war das Pfarrhaus ziemlich entlegen, so daß uns nichts störte. Unsere Burschen schliefen in derselben Stube, und sie mußten sich gegenseitig im Wachen ablösen, damit, wenn Einer von uns aufwachte, er gleich eine neue Compresse auf die Wunde erhielt.
Der 18. August war ein schöner, freundlicher Tag und schien uns so recht zum Transport nach Pont à Mousson geeignet, wo wir eine regelmäßige ärztliche Behandlung zu erhalten hofften. Am Vormittage erschien ein Johanniter, v. H., der uns Wagen versprach und unsere Hoffnungen fast bis zur Gewißheit steigerte. Aber – es kamen keinerlei Wagen. Statt dessen hörten wir Gewehrfeuer in der Nähe des Dorfes; der Pfarrer erzählte uns, daß man eine Schlacht erwarte. Wir waren in größter Spannung, als wir nun auch anhaltendes Geschützfeuer hörten und Niemand wußte, wie es stand. Aus dem sich immer mehr entfernenden Kanonendonner schlossen wir, daß unsere Truppen avancirten. Plötzlich vernahmen wir wieder ganz nahe Infanterie- und Mitrailleusenfeuer. Immer näher kam das Gefecht. Mußten die Unsrigen zurück? Waren wir geschlagen? Eine furchtbare Unruhe bemächtigte sich unser. Ein am Fuße verwundeter Officier ließ sich an das Fenster tragen, um zu recognosciren; aber außer Pulverdampf war nichts zu sehen. Wahrhaft entsetzlich war der Gedanke, daß Vionville mit in’s Gefecht gezogen, vielleicht vertheidigt und gestürmt würde, wir vielleicht in französische Gefangenschaft gerathen könnten. Dies Alles flog blitzschnell durch unsere Köpfe. Doch wir mußten es geduldig abwarten.
Nach Stunden großer Aufregung, gegen Abend, schwieg das Feuer der Franzosen und wir hörten deutlich, daß es preußische Geschütze waren, welche feuerten. Später erfuhren wir, daß die Franzosen zurückgeschlagen seien; daß wir aber einen Sieg errungen hatten, wurde uns erst am anderen Tage bekannt.
Der Pfarrer leistete uns oft Gesellschaft, und wir unterhielten uns viel mit ihm. Er war durchaus kein Anhänger des Kaiserthums und kein Chauvinist. Daß er in seinem Hause Preußen zu beherbergen haben würde, hatte er bei Beginn des Krieges nicht geahnt; übrigens schien er doch die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben, daß ein Umschlag im Kriegsglück eintreten würde. – Ein kleiner Vorfall nahm uns Alle zu Gunsten des Pfarrers, der außerdem ein hochgebildeter Mann war, in hohem Grade ein. Von den Siebener Kürassieren waren viele Officiere gefallen, und einer der überlebenden Cameraden wollte denselben die letzte Ehre erweisen. Er stellte daher die Bitte an den Pfarrer, die Leichen einzusegnen, wenn auch die Gefallenen protestantischen Glaubens waren. Der Pfarrer griff sofort zum Hut und segnete die Leichen ein! Man sah ihm an, daß er es gern that.
Nach einer ziemlich schmerzensreichen Nacht wurden wir am andern Morgen durch Kaffee überrascht, das erste Warme, was wir seit dem Morgen des 16. August genossen. Eine schlimme Entdeckung war es aber, als unsere Burschen erklärten, gar kein Wasser mehr bekommen zu können. Außerdem waren sie den ganzen Vormittag fort gewesen und hatten sich nicht sehen lassen. Unsere Stimmung war dadurch keine brillante geworden, und die Burschen, welche wir im Verdacht hatten, auf dem Schlachtfelde gebummelt zu haben, mußten manches harte Wort hören, was sie auch hinnahmen und sonderbarer Weise, ohne die landläufigen Entschuldigungen hervorzubringen. – Mittags um ein Uhr öffnet sich die Thür, die Burschen alle vier treten ein, der vorderste mit einer Schüssel, und lange entbehrte Düfte von Braten dringen zu uns. Das Räthsel war gelöst. Statt auf dem Schlachtfelde umherzulaufen, hatten die Burschen für uns gesorgt, und ein feiner Gänsebraten erinnerte uns an die Fleischtöpfe der Heimath. Ich weiß nicht, daß mir jemals etwas so gut geschmeckt hätte wie diese Gans. Die Burschen hatten uns das Geheimniß nicht verrathen wollen; das Rupfen, Ausnehmen und Zubereiten der Gans, die sogar mit Aepfeln gefüllt war, hatte den Vormittag in Anspruch genommen. Die Burschen hatten offenbar mehr als die bloße Absolution verdient, die sie sofort erhielten.
Unsere Stimmung wurde noch mehr gehoben, als sich bald nach dieser Mahlzeit die Möglichkeit ergab auf einem Leiterwagen voll Stroh nach Pont à Mousson befördert zu werden. Der Abschied von unserm Pfarrer war in der That ein herzlicher.
Es war ein schöner, windstiller Abend. Die Sonne spendete ihre letzten Strahlen über das Schlachtfeld vom 16. August. Zerrissene Tornister und zerbrochene Helme lagen noch umher, sonst kennzeichneten nur große und kleine Gräber die Stelle des Kampfes. Wie lange wird es dauern, und der Landmann streuet friedlich seine Saat auf die jetzt noch blutigen Felder!
Hatten wir schon auf dem Marsche in Frankreich die Wohlthat guter Wege empfunden, so lernten wir sie jetzt erst recht schätzen. Ich mag gar nicht daran denken, wie wohl der Transport auf solchen Wegen, wie wir sie oft daheim im lieben Deutschland haben, ausgefallen wäre. – Lange Wagenzüge mit Verwundeten überholten wir – sie boten einen traurigen Anblick. Oft sahen wir noch herrenlose Pferde über das Feld laufen oder richtig gesagt, hinken, denn fast alle waren angeschossen.
In einigen Ortschaften reichte man uns sehr bereitwillig Wein [695] und Wasser; sonst haben wir von der Bevölkerung Nichts gesehen, da es sehr bald dunkel wurde. Nachts um ein Uhr hatten wir endlich unser Ziel erreicht und wurden dem Lazareth in der Maison de Nativité (einem Pensionat für die Kinder des Ortes) übergeben. Ein Gefühl für Götter war es, als ich meinen Feldzugsrock ausziehen und mich in ein reines Bett legen lassen konnte. So fest und tief wie diese Nacht habe ich wohl noch nie geschlafen.
Gestärkt und gekräftigt wachte ich am 20. August im Lazareth auf. Ein großer und ein kleiner Saal war für die Kranken eingerichtet, ersterer mit einigen dreißig, letzterer, in dem ich lag, mit neun Betten. Die Betten waren, wenn auch mit Strohsäcken versehen, bequem und rein. Eine Wohltat, die ich schon, ich weiß nicht wie lange, entbehrt hatte, wurde mir hier: ich konnte mich waschen; mir wurde Seife und sogar ein Handtuch gereicht. Man muß es durchgemacht haben, um zu wissen, wie Jemandem, der seit mehr als acht Tagen das Wasser nur zum Trinken benutzen durfte, zu Muthe ist, wenn er sich endlich waschen kann.
Meistens waren es Officiere, welche hier lagen, Preußen, Sachsen und Franzosen. Ich für meine Person hatte eigentlich Pont à Mousson nur als eine Etappe auf meiner Heimreise betrachtet, aber der Chefarzt, Professor Hütter von Greifswald, entriß mich rasch diesem schönen Traum, indem er mir eine Weiterreise, und zwar nicht nur heute und morgen, sondern überhaupt per Wagen verbot. Da hieß es: gehorchen. Und wirklich ging uns hier der Tag ganz gemächlich dahin; man machte sich bekannt und erzählte sich gegenseitig seine Erlebnisse. Allerdings mußte man viele kleine Annehmlichkeiten, als Cigarren etc. entbehren, und die Kost, Kuhfleisch des Mittags und Kuhfleisch des Abends, erinnerte zu sehr an das Bivouac. Ein Johanniter, H. v. Kl., welcher speciell dem Lazareth zugetheilt war, vertröstete uns indeß auf den folgenden Tag.
Die Nacht über litt ich entsetzliche Schmerzen, die erst endeten, als am andern Morgen der Arzt Hülfe brachte. Nach der Beseitigung dieser Pein sollte mich noch eine ganz besondere Lust überraschen. Der Johanniter hatte Wort gehalten, und was er brachte, war das lange am schwersten Entbehrte: Cigarren und Zeitungen! Trugen letztere auch nur die Data vom achten bis zehnten dieses Monats, so streckten sich doch alle Hände ihnen entgegen, und gierig wurde ihr Inhalt verschlungen. H. v. Kl. sorgte wie ein Vater für uns. Mit der Brieftasche in der Hand ging er zu jedem Einzelnen, fragte nach dessen Wünschen, notirte dieselben nicht allein, sondern erfüllte sie auch, wo es möglich war. So war der Wunsch nach Selterwasser laut geworden, aber trotz allen Suchens keines aufzutreiben. Da hörte H. v. Kl., daß in der Stadt ein Selterwasserfabrikant wohne. Flugs wurde derselbe requirirt, Flaschen wurden ihm gegeben, und er arbeitete sofort für die Lazarethe. Am Abend hatten wir Selterser Wasser.
Man muß nur selbst hören, was für Wünsche der verschiedensten Art laut werden. Der Eine will ein Luftkissen haben, der Andere ein Keilkissen, Dieser kleine Kissen, Jener Morgenschuhe, Andere Drahtgitter für kranke Arme, Viele möchten Briefe geschrieben haben – so viel Leute, so viel Wünsche! Daß dazu, um so vielen Anforderungen zu genügen, ein nie ermüdender Eifer gehört, ist gewiß, und daß H. v. Kl. denselben in hohem Grade besaß, davon zeugt unsere Dankbarkeit.
Dieser Tag sollte ein voller Glückstag für uns werden. Gegen Abend, als der Professor eben seine zweite Visite begonnen hatte, erschien im Lazareth König Wilhelm! Er ging zu jedem Bett und fragte jeden Einzelnen nach seinem Befinden, nach seiner Wunde, wo er sie erhalten etc. Ehe der König uns verließ, dankte er uns für unsere Dienste, und auch da noch sprach sich seine Sorge für uns aus, indem er, als Einige sagten, daß sie bald wieder zu ihren Regimentern wollten, uns mit den Worten zur Ruhe ermahnte: „Nur nicht zu früh; ich kann ja auch in meinem Interesse nur wünschen, daß es recht bald geschieht, aber lassen Sie die Wunden erst ordentlich heilen, und gehen Sie nicht zu früh aus.“
Auf den glücklichen Tag und eine stärkende Nacht folgte für mich ein froher Morgen, denn der Professor war so zufrieden mit dem Aussehen der Wunde, daß ich die Erlaubniß erhielt, weiter zu gehen, sobald die Bahn hergestellt sei. Letzteres war keine leere Hoffnung mehr, wir hatten heute schon mehrere Male eine Locomotive pfeifen hören.
Am Vierundzwanzigsten endlich konnte ich von den guten Schwestern Abschied nehmen. Zwei Bonner Studenten trugen mich auf einer Trage nach dem Bahnhofe, und hier wurde ich mit fünf anderen Officieren in einem Güterwagen gebettet. Die Johanniter hatten auch hier wieder für uns gesorgt; schöne Matratzen bedeckten den Boden, auch die nöthigen Decken wurden uns gereicht. Stundenlang dauerte das Einladen der Verwundeten. Endlich pfiff der Zug. Anfangs hieß es, wir sollten in Nancy bleiben, das wir nach einer dreistündigen Fahrt erreichten. Hier war eine Verpflegungsstation der Johanniter. Hätten wir damals gewußt, daß wir noch sechsunddreißig Stunden ununterbrochen fahren müßten, so würden wir uns hier besser vorgesehen haben.
Der Zug fuhr sehr langsam, weil viele schwerer Verwundete ein schnelleres Fahren nicht aushalten konnten; auf jeder Station dehnte sich der Aufenthalt für unsere Ungeduld viel zu lange aus, aber was half es? mußte doch bei jedem Halt ein großer Theil der dreihundert Verwundeten des Zuges frisch verbunden werden, und das ging natürlich nur langsam, da nur ein Arzt den Zug begleitete.
So lange es Tag war, hatten wir trotz der Erschütterungen des Wagens eine ganz angenehme Fahrt; wir sahen lieblich gelegene Thäler, schroff emporsteigende Felsen, welche theilweise von Ruinen gekrönt waren, mit den schönsten Wäldern abwechseln. Als aber die Nacht die Aussicht uns verschloß, schlich die Langeweile sich ein und die Stimmung wurde eine weniger rosige. Jeder versuchte zu schlafen, keinem gelang es recht. War man eben eingenickt, so hielt der Zug und weg war der Schlaf. Dabei hatten wir keine Laterne und konnten nicht die Hand vor Augen sehen.
Als mitten in der Nacht der Zug wieder einmal hielt, meinte einer unserer Burschen, der aus dem Wagen gesprungen war, vor uns blitze es sehr stark. Als wir eine halbe Meile weiter gefahren waren, wiederholten sich diese Blitze häufiger, und wir kamen auf den Gedanken, daß vor uns aus Geschützen geschossen würde. So war es denn auch. Die Bahn, auf der wir jetzt fuhren, theilt sich erst später bei Frouard in einen nördlichen Strang – unser Weg – und eine südliche Bahn, welche nach Straßburg führt. Jetzt lag Straßburg fast in der Verlängerung unserer Schienen. Deutlich sahen wir im Dunkel der Nacht die Blitze der Geschütze, deutlich sah man die Granaten ihren Weg beschreiben und dann crepiren. Dazu leuchtete ein riesengroßer Feuerschein weit über das Land. Der Anblick war ein großartiger. Infanteriefeuer konnten wir nicht hören.
Weiter ging es in die Nacht hinein im feindlichen Lande. Wie leicht konnte ein fanatisirter Elsässer einige Schienen ausgerissen haben, wie leicht ein Franctireur uns aus den Weinbergen eine Kugel senden! Nichts dergleichen, die Fahrt ging glücklich von statten und bald begrüßten wir heimathlichen Boden. Der erste größere Aufenthalt war in Mannheim. Damen und Herren eilten an die Wagen, um uns zu erquicken. Wir hatten es aber auch wirklich nöthig. In Nancy hatten wir zuletzt gegessen, und das war vor vierundzwanzig Stunden gewesen! Am Abend des 24. August hatten wir Frankfurt erreicht. Der Bahnhof stand dicht gedrängt voll Publicum, meist Neugierige, die nichts nutzten, nur im Wege standen und uns mit ihrem Angaffen belästigten. In einer außerordentlich bequemen Trage wurde ich in das mir angewiesene Gasthaus „Zur Stadt Wien“ gebracht. Ein vorzügliches Bett, brillante Verpflegung und das liebenswürdige Entgegenkommen des Hausherrn und seiner Gemahlin ließen mich bald die Strapazen der Reise überstehen. Nach einer vierundzwanzigstündigen Ruhe wurde die Reise fortgesetzt. An den Abends halb acht Uhr aus Frankfurt abgehenden Courierzug wurde durch die Bemühungen eines Johanniters, Graf S., ein Pferdewagen für uns angehängt, wurden Strohsäcke hineingeschoben und eine Laterne oben am Plafond des Wagens befestigt. Anfangs ging Alles gut, aber bald wurden die Schwankungen des Wagens so groß, daß wir uns festhalten mußten, um nicht von unseren Strohsäcken herunterzufallen. Die Laterne oben am Wagen gerieth ebenfalls in bedenkliche Bewegungen, und plötzlich erlosch sie.
Für unsere Wunden war diese Fahrt mehr als nachtheilig; wir Alle kamen wie zerschlagen in Leipzig an. Aber das Gefühl, zu Hause zu sein und Weib und Kind wieder zu sehen, ließ Alles ertragen und vergessen und Wunden heilen ja. Nur Eines blieb, das tiefe Dankgefühl gegen Gott! Hatte doch seine Hand uns sichtbar beschützt.
Von A. v. Corvin.
Es war an dem in der Geschichte dieses Krieges für immer denkwürdigen 27. September, als ich in Begleitung und unter dem Schutze zweier preußischen Pionnierunterofficiere, die in der Umgegend für ihre Compagnien requirirt hatten und von denen der eine im Frieden der königliche Baumeister Klopsch und der andere der Architekt und königliche Hofzimmermeister Otto Gutzeit war, unbehelligt von den scharf ausschauenden und controlirenden Wachen bei Auenheim über den Rhein setzte und nun in der Frische eines klaren Herbstvormittags auf dem Rheindamme nach dem reizenden Ruprechtsau fuhr, wo die dort einquartierten Soldaten ein idyllisches Schäferleben zu führen schienen. Sie halfen den Bauern bei ihrer Arbeit und neckten sich mit den hübschen Mädchen. Von Feindschaft gegen die Soldaten bemerkte man nicht das Geringste. Wir fuhren auf der mittleren Schiffbrücke über die Ill und waren bald in Hönheim. Gutzeit beobachtete fleißig das Münster und schaute nach dem weißen „Fähnle“ aus, welches immer noch nicht erscheinen wollte. Statt dessen sah man in der Luft zerplatzende Shrapnels, die stets Dampfwolken hinterließen, welche wir zuerst für einen Luftballon hielten. – Die Pionniere sagten mit aller Bestimmtheit, daß der Sturm spätestens bis Sonntag stattfinden werde.
Ueber Nieder- und Mittelhausbergen kamen wir gegen ein Uhr nach Oberhausbergen, in welchem Dorfe wir nicht weniger als achttausend Mann einquartiert fanden. Das Wirthshaus war von der Wache eingenommen; ich nahm daher mit Dank die Einladung der beiden Unterofficiere an, ihr Quartier mit ihnen zu theilen.
Hier sah ich mir aus der Bodenluke Straßburg an, welches etwa drei Viertelstunden von hier gelegen ist und klar vor uns liegt. Man erkannte selbst die Details am Münster und sah deutlich die Häuser. Die Wälle erkannte man von dieser Entfernung nicht und Straßburg sah von hier aus wie eine offene Stadt. Noch unterhielten unsere Batterien ihr Feuer. Man konnte von meinem Standpunkte jeden Schuß sehen, und ich versprach mir für die kommende Nacht ein furchtbar schönes militärisches Schauspiel. Gegen halb fünf Uhr gingen Gutzeit und ich zu dem Lieutenant, welcher die Pionniercompagnie befehligte, um für mich von ihm die Erlaubniß zum Besuch der Parallele zu erbitten; allein mein Gesuch wurde abgeschlagen und mir gesagt, daß ich zum Besuch der Parallelen die Erlaubniß des Generals v. Werder haben müsse.
Indem ich eben mein Bedauern darüber ausdrückte, stürzte ein Soldat in’s Zimmer und schrie: „Die weiße Fahne weht auf dem Münster“ – man kann sich kaum eine Vorstellung von der Wirkung machen, welche diese Nachricht hervorbrachte. Alles stürzte aus den Quartieren auf die Straße und rannte nach dem Ausgange des Dorfes, von wo man das Münster am klarsten sehen konnte. Die Nachricht war zu gut, um gleich geglaubt zu werden, und die Fahne ließ sich schwer erkennen. Sie sollte auf der Gallerie links vom Thurme stecken, allein in diese Ecke schnitt gerade die Contour der am Horizont liegenden Berge, und nur ein sehr scharfes Auge konnte die ziemlich kleine Flagge erkennen. Indessen es war darüber kein Zweifel. Man hatte von der Parallele her ungeheures Jubelgeschrei gehört, und das Feuer war fast auf der ganzen Linie verstummt. Nur von einem Flügel her, von wo man die Fahne nicht gleich sehen konnte, brummte hin und wieder ein Schuß.
Adjutanten jagten wie wahnsinnig hin und her. Wer ein Pferd auftreiben konnte, sattelte es, und Officiere und Doctoren trabten der Festung zu; Jeder wollte in derselben der Erste sein. Die Garde-Landwehr mußte antreten und marschirte bald nach der Festung zu ab. Die Aufregung war unbeschreiblich. Manchen Landwehrmann sah man da mit gefalteten Händen und feuchtem Auge. Er gedachte an Weib und Kind daheim. „Nun wird’s Friede,“ rief einer dem andern zu, „und wir gehen zu Muttern.“ Mancher, dessen Gesicht noch vor wenigen Minuten sehr ernsthaft gewesen war, weil er die Nacht in die Parallelen sollte, vielleicht seine letzte Nacht, lächelte nun froh und sandte ein Dankgebet zum Himmel. Wir hörten bald, daß es noch Niemand gestattet sei nach Straßburg zu gehen, und wir Alle fügten uns in Geduld. Ich war vollkommen zufrieden, daß ich so gerade zur rechten Zeit gekommen war, und begab mich bei einbrechender Dunkelheit auf mein Observatorium. Rauch stieg noch von Straßburg auf, und hinter dem Dome, sowie links von der Stadt, brannte es lichterloh. Von allen Seiten her hörte man Gesang, meistens „Die Wacht am Rhein“, oder „Was ist des Deutschen Vaterland“.
Am folgenden Morgen erhielten die Truppen Befehl, sich um elf Uhr auf dem rechten Flügel der ersten Parallele aufzustellen, wo die Garnison von Straßburg die Waffen strecken werde. Obwohl eine solche Ceremonie selbst in den Zuschauern ein peinliches Gefühl hervorruft, so würde ich doch um keinen Preis dieses historische Schauspiel versäumt haben; es hat mir leid genug gethan, daß ich die Uebergabe der französischen Armee bei Sedan nicht gesehen habe.
Von Oberhausbergen führt ein gerader Weg nach Straßburg. Man kommt zunächst an eine außerordentlich große Brauerei, die einem Herrn Hatt gehört. Es ist ein Wunder, daß sie nicht abgebrannt ist, denn eine Unmasse von Bomben und Granaten sind in dieselbe hineingeschlagen. Hinter ihr fängt nämlich der zur ersten Parallele führende Communicationsweg an, ein tiefer Laufgraben, durch welchen die aus Oberhausbergen kommenden Truppen in die Belagerungswerke gelangten, und welcher besonders zur Zeit der Ablösungen stets wüthend beschossen wurde. Die Zerstörung in dieser Brauerei ist ungeheuer; allein manche Maschinen sind doch unversehrt geblieben. Im Keller steht das Bier fußhoch; jedoch eine Menge der dort liegenden Fässer sind noch gefüllt, und die Soldaten finden Mittel und Wege, sich aus denselben ihre Kochgeschirre oder irgend welche andere Gefäße zu füllen.
Auch ich erquickte mich durch einen Labetrunk. Der Eiskeller, der weiter hin am Wege liegt, ist ebenfalls abgebrannt, allein das Feuer war nicht genügend, das Eis zu schmelzen, noch das ausgelaufene Bier, es aufzulösen. Es liegt da in ungeheueren Schichten. Hinter der Brauerei links und rechts vom Wege liegt ein vorstadtartiges Dörfchen, Galgendorf, welches meistens aus leicht gebauten Fachwerkhäusern besteht, – oder vielmehr bestand. Es gewährt nun einen merkwürdigen Anblick, in seiner Art fast noch merkwürdiger als der, den man in Straßburg selbst hat. Diese Häuser sind geradezu der Erde gleich gemacht; allein die meisten stehen noch, und es ist jammerschade, daß kein Photograph bei der Hand war, um diesen Anblick festzuhalten: Jedes Haus ist von Kugeln, wie ein Sieb, durchlöchert, und manche brachten die wunderbarsten Effecte hervor. Die Dächer, die nicht zusammenstürzten, haben nicht einen gesunden Dachziegel. Als ich vorüberkam, sahen Soldaten aus allen Luken heraus, um von den hohen Punkten die interessante Ceremonie mit anzusehen. Die Leute, die jetzt zurückkommen, werden Mühe haben, ihre Häuser zu erkennen.
Der Weg führt rechts bei dem Bahnhofe vorbei, den man schon von Weitem an zwei großen runden, stehen gebliebenen Locomotiv-Häusern erkennt. Rechts davon ist zum Schutze des Bahnhofes eine Lünette erbaut, welche schon frühzeitig geräumt wurde. Es war das sehr günstig, denn ehe sie genommen war, konnte man die Belagerungsarbeiten kaum beginnen. Auf dem Walle der Lünette standen Gruppen zuschauender Officiere und auch eine rothjackige Schlachtenbummlerin. Noch mehr Officiere, Doctoren etc. standen auf dem Glacis und ich gesellte mich zu ihnen. Ueberall lagen Stücke von Bomben und Granaten umher.
Die Truppen, welche von verschiedenen Dörfern herkamen, bildeten zwischen dem Glacis der Lünette und dem Dörfchen Königshofen, welches weiter rechts liegt, ein großes Viereck. – Wir mußten ziemlich lange warten, denn die Brücke am Weißthurmthor (Porte Nationale) war von den preußischen Pionnieren noch nicht hergestellt. Endlich, gegen halb zwölf Uhr, kam die französische Garnison, siebenzehntausendeinhundertundzehn Mann und vierhundertundacht Officiere. Bei den deutschen Truppen angekommen, hielten sie. Die Franzosen sowohl wie die Preußen präsentirten das Gewehr; dann legten Erstere ihre Waffen nieder und stellten sich zum Abmarsch an der Festungsseite des Vierecks auf, während die Escorte sich an ihrer Seite vertheilte.
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[698] Die ganze Besatzung zog dicht bei mir vorüber. An der Spitze marschirten die Gensd’armen, eine ganz besonders spitzbübisch aussehende Bande. Dann folgte das zehnte Chasseur-Regiment; dann das sechszehnte, dann das achtzehnte und das siebenundachtzigste Linienregiment und viertausend Mann Artillerie! Die Zahl der Zuaven und Turcos war nur gering; es schienen Ueberreste von allen möglichen versprengten Truppentheilen in Straßburg anwesend gewesen zu sein, wenigstens sah ich eine große Verschiedenheit von Uniformen. Die Stabsofficiere waren zu Pferde und alle Officiere trugen ihre Degen.
Die Capitulation war in der Nacht um zwei abgeschlossen worden. Am Abend vorher hatte man der ganzen Garnison neue Uniform gegeben, und fast jeder hatte sich mit einer großen Last unnützen Krams beladen. Viele schleppten Säcke, unter denen sie fast erlagen, und Alle hatten ein oder mehrere sehr gute Brode bei sich, da sich Alle vor dem deutschen Schwarzbrod fürchteten.
General Uhrich war natürlich mit bei der Gefangennahme, allein er zog nicht mit den Truppen vorüber, und ich habe ihn nicht gesehen. Als General von Werder erschien, wurde er von den deutschen Regimentern mit Hurrah empfangen.
Ein großer Theil der Gefangenen war betrunken. Die meisten schienen das Demüthigende ihrer Lage gar nicht zu empfinden; sie lachten, scherzten und lärmten. Einige waren sehr aufgeregt; sie riefen, daß sie wiederkommen würden, Andere, daß sie verkauft, aber nicht besiegt wären. Im Allgemeinen ging die ganze Scene übrigens ruhiger vorüber, als ich erwartet hätte, wenn auch nicht mit großer Ordnung. Die Preußen waren sehr nachsichtig. Artilleristen theilten unter den Gefangenen Cigarren aus und gaben ihnen aus ihren Feldflaschen zu trinken. Die grünen Felder schienen für die so lange in der Stadt Eingesperrten einen großen Reiz zu haben; Viele beluden sich mit Gemüsen, und ein Zwiebelfeld, über welches sie zu gehen hatten, wurde mit Jubel geplündert. Einzelne hatten Waffen behalten, die ihnen abgenommen wurden, sobald man sie entdeckte. Ein Artillerist hatte ein Gewehr unter seinem Mantel, und kaum hatte der lange Zug sich in Bewegung gesetzt, so legte er plötzlich auf einen Mann der Escorte an. Das Gewehr wurde ihm niedergeschlagen, so daß der Schuß keinen Schaden that, und als ich nach der Richtung, wo er gefallen war, hinsah, bemerkte ich, daß ein Stabsgensd’arm einen Hieb von oben herunterführte. Ich höre, daß der Artillerist verwundet in einem Lazarethe liegt. Ich war neugierig, wie sich die Turcos benehmen würden, von denen eine Anzahl mit gefangen waren, unter ihnen Burschen mit grauem Haar. Sie sahen lange nicht so häßlich aus, wie ich dachte, und manche waren sogar recht hübsch. Die meisten betrugen sich sehr ruhig, bis auf Einen, der höchst sonderbar aussah. Ein Haarbüschel, den er mitten auf dem Kopf hatte, stand wunderlich steif in die Höhe und wackelte bei den seltsamen Bewegungen des Menschen hin und her, der entweder betrunken oder in einer Art von Ekstase sein mußte.
Die Gefangenen, hieß es, sollten die Nacht bei einem Dorfe in der Nähe bivouakiren und dann vorläufig nach Rastatt gebracht werden. Eine Menge hatten sich in der Stadt versteckt und wurden später gefunden; Andern hatten sich auf Wagen davongemacht, wurden aber am Abend eingeholt und zurückgebracht.
Der neue Commissair der Republik, Herr Valentin, ein in Straßburg wohlbekannter Mann, hatte sich auf sehr pfiffige Weise in die Festung zu schmuggeln gewußt. Er lebte, als Bauer verkleidet, in Bischheim, und entkam, nachdem er die Gelegenheit studirt hatte, die Gräben durchschwimmend, in die Festung. Als er gefangen vor General Uhrich geführt wurde, präsentirte er seine Anstellung, die in seinem Aermel eingenäht war. Vor der Uebergabe verschwand er in ebenso geheimnißvoller Weise. Man sagt, daß er über Lünette 53 entkommen sei, was kaum zu glauben ist.
Die Tage vor der Uebergabe waren in Straßburg sehr stürmisch, und es war nahe daran, daß die ärmere Classe über die reichere herfiel und sie plünderte und mordete. Man schreibt diese Erbitterung dem Einfluß der katholischen Geistlichen zu. Die geringen Leute hier sind nämlich fast durchweg katholisch, während die wohlhabenderen überwiegend protestantisch sind. Die Letzteren betrachteten daher die Eroberer gewissermaßen als Erlöser.
Auf dem Rückwege nach Oberhausbergen besuchte ich die erste Parallele und die große Mörserbatterie.
Wenn man auch eine Festung ganz cernirt, so richten sich doch, wie Ihre Leser wissen werden, die Angriffsarbeiten nur gegen einen Punkt oder vielmehr eine Front, welche man für die geeignetste hält. Dies zu beurtheilen ist Sache der Ingenieure. Sind sie über diesen Punkt einig, so wird die erste Parallele tracirt, das heißt die der Angriffsfront ungefähr parallel laufende Linie bestimmt, in welcher man die ersten Batterieen errichten will, um die Werke der Festung zu beschießen. Ist das geschehen, dann beginnen die Pionniere ihre mühsame und gefährliche Arbeit; gefährlich, weil sie stets im Bereich des feindlichen Feuers geschehen muß; denn wollte man außer Schußbereich anfangen, so würde eine Belagerung unendlich viel Zeit und Geld kosten. Man arbeitet soviel wie möglich bei Nacht aus augenscheinlichen Gründen, und sorgt zunächst dafür, Deckung gegen das feindliche Feuer zu gewinnen. Zu diesem Ende gräbt man Gräben, welche tief genug sind, darin befindliche Menschen dem Feinde zu verbergen, respective sie gegen die Kugeln zu schützen, mit welchen derselbe die Punkte überschüttet, wo er arbeiten sieht. Die Natur dieser Arbeiten bringt es mit sich, daß sie nicht gerade auf das Ziel losgehen können, sondern im Zickzack von einer Parallele zur andern vorgehen müssen. Es wird nämlich in einer bestimmten Entfernung eine zweite und am nächsten der Festung eine dritte Parallele eingerichtet, deren Regeln und Bestimmungen man in jedem Conversationslexikon unter „gewaltsamer Angriff“ oder „Festungs-Fortification“ finden wird.
Wenn man, wie hier in Straßburg, einen so geeigneten Ausguckpunkt wie das Münster hat, den man aus Rücksichten schonen muß, welche sich mit militärischen Zwecken schlecht vertragen, so muß man die Laufgräben ganz außerordentlich tief machen, damit sie nicht so leicht eingesehen werden können. Das ist aber in dem Lehmboden bei trockenem wie bei nassem Wetter eine schauderhafte Arbeit. In diesen Gräben nun müssen wieder allerlei Extrabauten vorgenommen werden; erstlich die Batterien, das heißt Stände für die Geschütze, und verschiedene andere Räumlichkeiten, die große Sorgfalt erfordern, wie zum Beispiel Pulvermagazine, zu welchen Bauten man Schanzkörbe und Faschinen verwendet. Die Laufgräben in der ersten Parallele vor Straßburg sind gewiß sechs Fuß tief ohne die Brustwehr und so breit, daß drei bis vier Mann darin bequem nebeneinander gehen können. Wenn man nun bedenkt, wie viele tausend Fuß solche Gräben unter dem Feuer des Feindes gemacht werden mußten, die Batteriebauten etc. gar nicht einmal gerechnet, dann wird man eine ungefähre Idee von den Schwierigkeiten einer Belagerung bekommen. Da es gar nicht leicht ist, sich in diesem Grabengewirr zurecht zu finden, so sind überall Wegweiser angebracht.
Die Tiefe der Gräben und die Brustwehr schützen nun wohl gegen die geradeaus geschossenen Kugeln, allein keinesweges gegen die in hohen Bogen geworfenen Bomben und Granaten, da die Gräben oben kein Dach haben, und mit diesen Geschossen ist man daher sehr freigebig. Ueberall in den Gräben und noch mehr an den dahinter und seitwärts liegenden Gebäuden konnte man die zerstörenden Wirkungen der Bomben beobachten.
Die Mörserbatterie in der ersten Parallele sah so frisch und stattlich aus, als sei sie eben erst aufgestellt worden, und außerdem hatten sie auch die Artilleristen zur Ehre des Tages geschmückt. Sie hatten aus all’ den gesammelten feindlichen Kugeln eine Pyramide gebildet und diese mit Blumen geziert. Diese Riesenmörser schießen lange Bomben, welche von der Spitze an beinahe zwei Fuß lang sind und deren Cylinder acht bis zehn Zoll im Durchmesser haben mag. Die Bomben des Panzerschiffes Merrimac, die ich in Amerika sah, waren ungefähr von derselben Größe. –
Ich begreife nicht, wo die Photographen stecken. In Amerika waren sie auf jedem Schlachtfelde bei der Hand und ihnen verdanken wir die interessantesten Ansichten. Die deutschen Photographen werden angetrottelt kommen, wenn das Charakteristische der Schlachtenbilder längst verwischt ist.
Eine Menge Officiere waren nach Straßburg hineingeritten; allein es wurde mir gesagt, daß Civilisten noch nicht Zutritt hätten. Das war nicht der Fall, wie ich am Abend zu meinem Aerger erfuhr, und so beschloß ich wenigstens, mich am 29. September Morgens dahin aufzumachen. Ich verabschiedete mich von meinen freundlichen Pionier-Unterofficieren, die wüthend darüber waren, daß ihr Major es den Pionieren bei fünf Tage Mittelarrest verboten hatte in die Festung zu gehen.
Auf dem Leiterwagen des Bauern fuhr ich stolz die Straße entlang. Unterwegs hatte ich nochmals das zerfetzte Galgendorf [699] bestaunt, allein als ich vor das Weißthurmthor (Porte nationale) kam, wurde ich ganz starr vor Verwunderung und empfand einige Angst, daß die nur noch sehr lose zusammenhängenden Steine des Thorthurms mich sammt Bauer und Braunen begraben würden. Man hatte bereits, um die Passage für die kriegsgefangene Garnison frei zu machen, einen großen Theil der Trümmer aus dem Wege geräumt, und diese Vorstadt lag schon weit von dem rechten Flügel der Parallelen, war also verhältnißmäßig weniger ausgesetzt gewesen; allein trotzdem übertraf die Zerstörung, die ich hier sah, meine verwegensten Vorstellungen. Es war als ob ein Riese, hoch wie das Münster, mit einem tausend Centner schwerem Hammer in der Hand, sich damit amüsirt hätte, die Häuser zu zerklopfen. Wer je eine große Brandstätte sah, kann sich einen ungefähren Begriff von der Scene machen, nur daß bei einer solchen alle die Effecte fehlen, die durch die zerschmetternden Bomben und soliden eisernen Kugeln hervorgebracht werden. Ich halte mich jedoch dabei nicht auf, denn mein Erstaunen sollte an andern Orten noch übertroffen werden. – Der Bauer kannte die Stadt genau und durch ziemlich gesunde Seitenstraßen gelangten wir bald auf den Kleberplatz und an das Rothe Haus, das Hôtel, in welchem ich logiren wollte. Ich war so glücklich, in dem selben ein ziemlich gutes Zimmer zu finden. Ein Granatsplitter hatte nur den einen Fensterladen und eine Scheibe zerschlagen. Ueberhaupt war das Haus, welches die Front mehr nach Norden hat, sehr glimpflich weggekommen und nur mäßig beschädigt worden. Aus meinem Fenster sah ich rechts das herrliche Münster emporsteigen und bemerkte mit Bedauern, daß das riesige gothische Steinkreuz auf seiner Spitze etwas windschief stand. Eine Bombe hatte seinen Fuß gestreift und ein Stück abgerissen, so daß es ein wenig nach links überneigt. Die weiße Fahne wehte noch auf der Galerie, welche die reizende Wendeltreppe links krönt. Auch konnte ich sonst noch einige Lücken bemerken, welche die Harmonie des „Gedichtes in Stein“ störten.
Die Häuser an der Ostseite des Platzes hatten auch ziemlich gelitten, während das ihr gegenüberliegende schöne Musée de la peinture et sculpture völlig ausgebrannt war. Ob Gemälde und Sculpturen darin waren, weiß ich nicht; allein das Gebäude war der Sitz des état major de la place und dies der Grund, warum es von den Bomben besonders berücksichtigt wurde. – Die Statue des General Kleber hatte sich tapfer gehalten. Zu welchem Zweck ihr jemand zur Feier der Uebergabe einen grünen Kranz aufgesetzt hatte, ist mir unerfindlich.
Der Speisesaal im Erdgeschoß des Hôtels war auch ziemlich unversehrt. Eine Kugel hatte nur ein ganzes Fenster eingeschlagen und einen großen Spiegel zertrümmert. Der Tisch war indessen gedeckt und bereit. An einer Ecke saßen ein paar civilisirte Menschen, was ich aus den Etiketten der Weinflaschen schloß, die vor ihnen standen. Da ich zu meiner großen Ueberraschung einen Bekannten aus früherer Zeit unter ihnen fand, so schloß ich mich ihnen an und wir kamen nach frugalem Frühstück überein, gemeinschaftlich einen Ausflug durch die Stadt zu machen. Wir gingen zunächst nach dem Fischerthor, den Quai an der Ill entlang bis nach der Königsbrücke, welche die Franzosen Pont national nennen. Da die Häuser des Quais nach Nordwesten sehen, so dienten sie gewissermaßen als Kugelfang, und die Zerstörung ist ungeheuer. Von einem Hause war gewissermaßen der Vorhang weggezogen, das heißt die ganze Front war weggeschossen, und man sah ihm in’s Herz hinein. Die Balken der Etagen hingen gefährlich herab und das Ganze gewährte einen wunderbaren Anblick.
Wir gingen nun über die Brücke der Ill nach dem Judenthor und auf den Wall, von dem wir aber durch einen Posten höflich hinuntergewiesen wurden. Ueberall dieselbe Zerstörung. Es war, als ob ein Erdbeben in Straßburg stattgehabt hätte. Das giebt vielleicht den besten Begriff von dem Anblick. Das Judenthor war merkwürdig zerhämmert.
Am Steinthor sah es aber am tollsten aus. Die ganzen Vorstädte sind zerstört. Ueberhaupt sind in ganz Straßburg nicht hundert Häuser, die gänzlich unverletzt geblieben sind. Der Schaden nur an Gebäuden wurde von der Municipalbehörde schon zehn Tage vor der Uebergabe auf fünfundvierzig Millionen Franken geschätzt; jetzt bezahlen ihn keine hundertzwanzig Millionen, die Festungswerke gar nicht mitgezählt. – Das Theater ist abgebrannt und die Casernen und sonstige öffentliche Gebäude, besonders solche, die für militärische Zwecke benutzt wurden, sind zerstört. Die preußische Artillerie schoß mit einer fabelhaften Sicherheit, was sich besonders daran zeigt, daß neben gänzlich demolirten Häusern andere gänzlich unversehrt stehen, die man nicht treffen wollte. Die Officiere sahen gar nicht die Gebäude, deren Zerstörung befohlen war; sie orientirten sich nach dem Plane, der ihnen auf den Fuß die Entfernung angab, und berechneten danach die Elevation. Nach mehreren mißglückten Versuchen, auf die Wälle zu gelangen, nahm sich endlich ein preußischer Artillerie-Hauptmann unser an, führte uns auf die interessantesten Punkte und gab die nöthigen Erläuterungen. Die Zerstörung in der Stadt ist groß, allein die an der Angriffsfront ist noch bewundernswürdiger. Am interessantesten war mir Bastion elf. Die Wälle waren gar nicht mehr zu erkennen. In der rechten Stirnwehr war eine Bresche, in welche man beinahe mit Compagniefront hineinmarschiren konnte. Die Böschung war lange nicht so steil wie die auf den Bergen von Saarbrücken. Der innere Raum der Bastion war mit zertrümmerten Laffeten übersäet; auf der Geschützbank stand ein demontirter gezogener Vierundzwanzigpfünder, und das Reduit in der Mitte der Bastion war zu einem einige Fuß hohen, gänzlich unkentlichen Häufchen reducirt. Nochmals, jammerschade, daß kein Photograph bei der Hand war. Die militärischen Behörden selbst hätten, des Ruhmes der Armee wegen, dafür sorgen sollen.
Die Gräben waren allerdings noch voll Wasser; allein die Brücken zum Uebergange waren schon bereit (an einem gedeckten Orte). Das Schießen gegen die Schleußen hatte bereits seine Wirkung gezeigt, denn das Wasser war beträchtlich gefallen.
Vor uns lagen die berühmten Lünetten zweiundfünfzig und dreiundfünfzig und rechts von uns Bastion zwölf. In die linke Flanke derselben, nahe dem Schulterpunkte, war eine nur wenige Schritte breite Bresche geschossen, auf die wir von dem Hauptmann als ein artilleristisches Kunststück aufmerksam gemacht wurden. Man hatte mit den Kugeln regelmäßige senkrechte Linien in die Mauer gegraben und sie durch horizontale durchschnitten. Man hörte absichtlich mit dem Feuer auf, um den Feind nicht darauf aufmerksam zu machen, in welchem Falle er den Schaden nach Kräften reparirt haben würde. Unter dieser Bresche lag ein hohler Raum, und es bedurfte nur noch etwa hundert Schüsse, um den ganzen Wall in den Graben zu stürzen. Das beabsichtigte man kurz vor dem Sturme.
Die Franzosen behaupten, sie hätten sich noch vier Wochen halten können. Das ist nicht wahr. Sie haben sich brav genug gewehrt, das zeigen die Wälle. Daß General Uhrich die Festung übergab, wird, vom militärischen und menschlichen Standpunkte aus beurtheilt, vollkommen motivirt. Ein Sturm würde nicht nur einige tausend Menschen gekostet, sondern auch die Stadt völlig ruinirt haben.
Ich müßte noch viele Seiten füllen, wollte ich einen detaillirten Bericht von dem geben, was ich auf den Wällen und in den Vorstädten sah. Am Canal, dessen nach dem Wall zu gelegenes Ufer einigermaßen gegen die Granaten geschützt war, hatten eine Menge aus ihren Häusern vertriebener armer Familien sich unter Bretter- oder Leinwanddächern nothdürftig eingerichtet. – Ganz sicher waren sie aber auch hier nicht, das zeigen die zerstörten Brückengeländer und die versenkten Schiffe.
Der Verlust der berühmten Straßburger Bibliothek, in der sich viele nur einmal existirende Bücher befanden, wurde sehr bedauert, und wir besuchten die Ruinen der Neuen Kirche, in welcher sie ausgestellt war. Das Innere der Kirche ist ein Trümmerhaufen, und zwischen den Steinen liegen verkohlte Reste von Büchern. Ich suchte nach einem zufällig einigermaßen erhaltenen, fand aber nicht ein Blättchen welches nicht gleichmäßig kohlschwarz war. Man erkannte trotzdem noch den Druck, und ich nahm einige Fragmente mit.
Eine Menge Soldaten strömten dem Münster zu, wo wir gleichfalls Eingang fanden. Das schöne Portal mit der berühmten Fensterrose ist unverletzt. Vor dem Thurm lagen aber Steinfragmente. Die Galerie und Geländer waren hin und wieder beschädigt; und man mußte sich hüten, sich dagegen zu lehnen. Das Dach des Schiffes war gänzlich abgebrannt; allein die darunter liegenden Gewölbe hielten das Feuer von der Kirche selbst ab. An einer Ecke hatte man eine Telegraphenstange aufgestellt und ein Bureau in der Thürwärterwohnung eingerichtet. Eine Kugel war ganz nahe dem Telegraphen durch die Mauer geschlagen. Es war allerdings verboten worden, auf den Thurm
[700][701] zu schießen; allein da die Franzosen sich immer wieder auf demselben zeigten und von hier in alle Werke der Belagerer sehen konnten, so widerstanden die Artilleristen nicht immer der Versuchung, ihre Beobachtungen durch eine Kugel zu unterbrechen. – Das Schiff ist unversehrt, nur sind einige Chorstühle abgebrannt und der obere Theil der Orgel ist zerstört; allein die berühmte Uhr ist nicht beschädigt. Die Leute, welche Ansichten vom Münster verkauften, machten brillante Geschäfte.
Der Verlust der Belagerer beläuft sich an Todten und Verwundeten, leicht Verwundete mitgerechnet, auf sechshundert Mann. Von den Belagerten fielen fünfhundert Soldaten, gegen zweitausend waren verwundet; von den Bürgern kamen vierhundertachtzig um und verwundet wurden auch gegen zweitausend, die größere Anzahl Weiber und Kinder. Die Zahl der Obdachlosen ist ungeheuer.
Wer jetzt nach Straßburg kommt, wird es bereits sehr verändert finden, denn man hat sogleich angefangen, aufzuräumen. Es wimmelt in den Straßen von Menschen, sowohl Einheimischen wie Fremden; auch befinden sich noch eine Menge französischer Verwundeter und viele Officiere in der Stadt. General Werder hat befohlen, daß die Letzteren (auf Ehrenwort entlassen) bis zum 6. October abreisen sollen.
Im Rothen Hause wimmelt es von Officieren, die sämmtlich über die enormen Preise klagen, deren Erhöhung nach der Belagerung so wenig Grund hat, daß General v. Werder sich bewogen gefunden hat, dagegen einzuschreiten. Obwohl es vorgekommen ist, daß drei Preußen von französischen Soldaten ermordet wurden, so habe ich doch von Seiten der Bürgerschaft nicht die geringste feindselige Demonstration gesehen.
Der Weg nach Kehl führt in der Nähe der Citadelle vorbei, die ein Trümmerhaufen und im jetzigen Zustande für militärische Zwecke gänzlich unbrauchbar ist. Die auf der andern Seite des Rheins, in Kehl, aufgestellten badischen Mörser haben sie gänzlich zerstört. Auf einer fliegenden Brücke gelangte ich über den Rhein, da die schöne eiserne Brücke theilweise demolirt ist. Der neue Bahnhof in Kehl und die angrenzenden Stadttheile in ziemlich beträchtlicher Entfernung sind ebenso zerstört, wie die Vorstädte von Straßburg, und eine Menge von Menschen sind dadurch obdach- und erwerbslos geworden. Die Deutschen werden auch ihnen zur Hülfe kommen.[1]
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)
„Ich fürchte, Du fängst die Suche mit Anna verkehrt an,“ sagte Herr Hösli, als er mit seiner Frau beim Nachmittagskaffee saß. „So, wie ich Anna von Kindheit auf kannte, hatte nichts größeren Reiz für sie als das Verbotene. Sie hat sich von dem Augenblicke an erst recht für den jungen Grafen interessiert, als sie sah, daß wir ihn von ihr fern zu halten wünschten. Hätten wir sie gewähren lassen, sie wäre ruhig und gleichgültig geblieben; so aber hast Du ihren Trotz aufgestachelt und sie erst recht auf seine Seite getrieben.“
„Nach dieser Theorie dürften wir das Kind ja gar nicht mehr wissen lassen, was wir wünschen und nicht wünschen. Wir müßten ihr nachsehen, wohin sie ihren Lauf nimmt, so unthätig und machtlos, wie man dem vom Bogen geschossenen Pfeil nachblickt. Wahrlich, das wäre denn doch eine sonderbare Art elterlicher Pflichterfüllung. Aber ich weiß schon, Du klügelst Dir immer etwas heraus, womit Du Deine Schwäche gegen das Kind beschönigen könntest.“
Herr Hösli lächelte. „Frau, das Kind ist recht und ist so ganz von unserem Schrot und Korn, daß wir sie ruhig gehen [702] lassen können – die schlägt nicht aus der Art. Wenn es ihr jetzt auch Vergnügen macht, mit dem jungen heiteren Manne zu fahren und zu reiten oder über Heldengeschichten mit ihm zu plaudern, was thut’s? Sie ist eine echte Hösli, eine Schweizerin durch und durch; sie wird ihr Herz nie im Ernst an diesen hergelaufenen Fremden hängen. Ich kenne meine Tochter!“
Herr Hösli verschwand wieder hinter einer der ungeheuren englischen Zeitungen, die völlig einem Segel gleichen, einem Segel, mit welchem der Geist auf dem Strome der Ereignisse die ganze Welt umschifft. Frau Hösli wußte, daß, wenn ihr Eheherr dies Segel aufhißte, er für sie verloren war. Sie mußte ihn dahin ziehen lassen mit den Wogen des Weltgetriebes, und sie blieb allein mit ihren kleinen Sorgen und Kümmernissen zurück.
Eine halbe Stunde mochte in vollkommenster Stille vergangen sein, da fuhr plötzlich ein Windstoß in das Zeitungssegel und schlug es dem vertieften Schiffer in’s Gesicht.
„Oho!“ sagte Herr Hösli und schaute in die Höhe, als wolle er nach dem Unverschämten sehen, der sich das erlaubt. In demselben Augenblicke fegte aber ein zweiter Windstoß Frau Hösli’s ganzes Nähzeug vom Tische mit Nadeln, Faden und Allem, was dazu gehört.
„Das giebt was!“ sprach Herr Hösli, zog das Segel ein und jagte den kleinen Dingen nach, die noch auf dem Boden herumwirbelten. „Da drüben kommt es herauf. Wo ist Anna?“
„Sie ist mit den Herren und Tante Lilly in die Stadt gefahren. Alfred zeigt ihnen das Blindeninstitut.“
„Nun, da sind sie ja geborgen,“ meinte Herr Hösli beruhigt und schob seine Frau in ihrem Rollstuhle nach Hause. Dann eilte er, noch vor Ausbruch des Wetters einen nöthigen Geschäftsgang zu machen.
Die jungen Leute waren unter dem Schutze Tante Lilly’s mit Besichtigung des Blindeninstituts beschäftigt. Tante Lilly hatte heute ausnahmsweise keinen verdorbenen Magen. Seit sie nicht mehr unter der strengen Aufsicht ihrer Schwestern stand, überaß sie sich fortwährend, was dann regelmäßig einen fürchterlichen Verdauungskatzenjammer und einige Fasttage zur Folge hatte.
Die gute Lilly war jetzt Anna’s und Victor’s ständige Begleiterin, da Adelheid kränklich und Frau Hösli lahm war. Sie war glückselig über dieses Amt, denn es trug ihr häufige Besuche beim Conditor ein. Sie wurde ordentlich dick, trotz ihrer vielen Indigestionen und wackelte auch gar nicht mehr mit den Zähnen, denn Alfred hatte ihr ein kleines nettes Gebiß von Kautschuk machen lassen, welches sie so in Ehren hielt, daß sie es immer vor dem Essen herausnahm, um es nicht durch das Beißen zu verderben. Auch eine neue Brille hatte sie bekommen, während sie früher immer nur die Brillen hatte abtragen dürfen, die Bella zu schwach geworden waren und durch die sie fast nichts sah. Jetzt hatte sie eine passende Brille und sie sah damit ganz deutlich die verliebten Blicke, die Victor Anna zuwarf; aber bis sie nach Hause kam, hatte sie es immer wieder vergessen.
Alfred war ein besserer Hüter, seine Gegenwart verhinderte überhaupt jede Annäherung; denn wie er sich auch beherrschte, Victor fühlte doch, daß er an ihm einen Nebenbuhler habe, und nahm sich zusammen, wenn er dabei war. Es hatte sich allmählich eine gespannte Stimmung zwischen den Beiden entwickelt, die wenig gemein hatte mit der anfangs so redlich gemeinten Brüderlichkeit. Der Instinct der Eifersucht stand zwischen ihnen und erhielt sie in einer Art geheimen Kriegszustandes. Wären sie noch Knaben gewesen, sie hätten sich längst geprügelt. Der Conflict aber, der zwischen den erwachsenen Männern bestand, lag zu tief, um sich mit der Faust schlichten zu lassen. Anna selbst ahnte etwas hiervon, denn sie war in Gegenwart der Beiden oft befangen und fast ängstlich, und sie athmete auf, wenn sie mit Victor allein war. So heute wieder.
Sie durchschritten schweigend die Säle, wo der Geist manchen seiner merkwürdigsten Siege feierte, wo die Blinden mit den Fingern lesen lernten und eine Menge schöner Künste übten. Alfred war dort sehr bekannt, er hatte Studien daselbst gemacht, und der Klang seiner Stimme erregte die freudigste Bewegung unter der sanften geduldigen Schaar. Mit weit vorgestreckten Händen kamen sie ihm entgegen und einige kleine Mädchen schmiegten sich an ihn mit solch glücklichem Ausdrucke, als wären sie plötzlich sehend geworden.
„Sie waren so lange nicht mehr bei uns,“ klagten Viele und streichelten ihm Aermel und Hände. „Wir haben von Tag zu Tag gewartet – und immer vergebens!“
„O, das thut mir leid!“ sagte Alfred und nahm so viele Hände, als er nur immer fassen konnte, in die seinigen. „Seht, ich habe so übermäßig zu thun mit meinen Patienten, daß ich nicht so leicht fortkommen kann wie früher. Aber Ihr sollt nicht mehr vergebens warten; ich will einen bestimmten Tag in der Woche festsetzen, an dem ich zu Euch komme. Seid Ihr’s zufrieden?“
„Ja, o ja!“ riefen die Blinden freudig.
„Denken Sie nur,“ erzählte ein älteres Mädchen, „neulich hat uns die Frau Directorin das Märchen von den drei Wünschen vorgelesen und als sie zu Ende war, fragte sie die kleine Emma, was sie sich zuerst wünschen würde, wenn die Fee ihr die Wahl ließe, – wir dachten Alle, sie würde sagen ‚das Augenlicht!‘ Aber sie sagte ohne Besinnen. ‚Daß Herr von Salten bald wieder zu uns kommt!‘ Ach, und wir haben ihr Alle von ganzem Herzen beigestimmt!“
Alfred drückte das liebliche Kind, von dem die Rede war, fest an sich. Er hätte tausend Herzen und tausend Arme haben mögen, alle Die liebend zu bergen und zu umfassen, die ihn liebten und sich vertrauend an sein Herz drängten. Und während ihn der bunte Schwarm freundlicher jugendlicher Gestalten umgab, erinnerte er sich, wie er als Kind den Libellen und Schmetterlingen nachjagte, nicht um sie zu quälen, sondern um sie zärtlich zu hegen und zu pflegen – und es war ihm zu Muthe, als seien alle die flüchtigen Geschöpfe, die ihm damals entschlüpften, plötzlich in Menschen verwandelt und hätten als solche gelernt ihn zu verstehen und kämen nun herbei, so Viele ihrer waren, die damals versprochene Liebe einzufordern.
„Es ist, als habe er es den Leuten angethan,“ sagte Anna leise zu Victor, während Alfred sich mit den Blinden beschäftigte. „Wohin er kommt, fliegen ihm alle Herzen entgegen.“
„Es ist das Krankhafte in seinem eigenen Wesen,“ flüsterte Victor, „was die Kranken an ihn fesselt. Man sagt ja: Leidensgefährten hätten stets Sympathie für einander – und Alfred ist eben durch und durch morsch.“
„Der Unglückliche!“ sagte Anna mitleidig.
„Ja, er ist sehr zu beklagen, denn er wird es mit diesem siechen Körper nie zu etwas bringen – über kurz oder lang bricht das wurmstichige Gebäude unter der Arbeitslast zusammen und dann schleppt er sich vielleicht als ein unnützer Krüppel durch’s Leben. Schade um das ritterliche Geschlecht der Salten, daß es so verlöschen muß. Es ist wirklich traurig!“
Anna schwieg.
„Ich bitte Sie,“ sagte Victor, „können Sie begreifen, wie ein solcher Mensch nur überhaupt fortleben mag? Was hat er denn vom Leben? Nichts, gar nichts! Denn sich in der Stickluft der Spitäler zwischen Stöhnenden und Sterbenden herumzutreiben, das ist doch, auf Ehre, kein Genuß. Eine Frau wird er auch nicht bekommen, denn wer wird sich solch’ einem lecken Schiff anvertrauen? Also – wozu ist er noch auf der Welt? Zu gar nichts! Und dennoch ist er immer so besorgt um sein Leben, daß er vor jedem Lüftchen zittert. Ich schösse mir einfach eine Kugel vor den Kopf, wenn ich in seiner Lage wäre!“
„Ja, das thäten Sie!“ sagte Anna und schaute an der Gestalt Victor’s empor, die so sicher und festgefügt vor ihr stand, als könne keine Zeit und keine Krankheit ihr je etwas anhaben. „Ihre Lebensbedingungen sind andere als die Alfred’s. Sie wollen und müssen Ihren Muth, Ihre Tapferkeit bethätigen, Sie könnten es nicht ertragen mit Ihrem Thatendrang in der Brust eine lähmende Krankheit an sich nagen zu lassen, die Sie für Ihre Bestimmung untauglich machte. Alfred aber kann seine Bestimmung erfüllen, ob gesund oder krank, und so wie ich sein Herz kenne, weiß ich, er lebt nur um zu nützen, und so viel er nützt, so viel ist ihm auch sein Leben werth.“
Victor beugte sich zu Anna nieder. „Sie sprechen, als hätte ich meinem Vetter einen Vorwurf daraus gemacht, daß er sich nicht umbringt! Anna! Können Sie mich einer solchen Herzlosigkeit für fähig halten?“
„Nein,“ sagte Anna ehrlich, „denn ich weiß ja, wie Sie an ihm hängen. Aber es thut mir weh, wenn ich sehe, daß Sie sich unwillkürlich Ihrer Kraft und Gesundheit gegenüber Ihrem Vetter überheben. Sie sind so von Gott begnadet mit Allem, was einen Mann groß und herrlich macht, daß Sie doppelt edel und gütig [703] für die empfinden müssen, die Ihnen an Vorzügen so weit nachstehen wie der gute bedauernswerthe Alfred.“
„Anna, Theuerste, Beste! Zürnen Sie mir?“
„O nein,“ sagte Anna innig. „Ich weiß ja, wie leicht man in diesen Fehler verfällt, denn auch ich habe den schwächlichen Spielgefährten oft verspottet und ihn mein Uebergewicht fühlen lassen. – Aber einen Fehler, den ich beging, mag ich doch an Ihnen nicht sehen. Ich werde mein Lebtag Fehler haben, denn ich bin nun einmal ein unvollkommenes Ding – Sie aber, Sie sollen keinen haben – keinen!“
„Und warum nicht, Anna?“ fragte Victor, „warum nur an mich einen so strengen Maßstab legen? Ich bin ja auch nichts als ein gewöhnlicher Sterblicher.“
„Nein, das sind Sie nicht,“ sagte Anna groß und ruhig in ihrer Wahrhaftigkeit – „Sie sind ein ganz anderer Mann als alle, die ich kenne, drum fordre ich von Ihnen auch mehr, als von allen andern!“
Victor ergriff leise ihre Fingerspitzen: „Anna, großes, wunderbares Mädchen, Du kannst Alles aus mir machen, Du hast meine Seele in der Hand –“ er zuckte zusammen und schwieg. Alfred trat herzu, Anna war jäh erglüht, eine nie gekannte Freude und doch auch wieder ein unerklärlicher Schmerz durchströmte sie, daß ihr fast die Sinne vergingen.
„Wir wollen nach Hause,“ sagte Alfred, „Ihr scheint ja doch kein Interesse für das zu haben, was ich Euch zeigen wollte.“
Anna fürchtete, daß Alfred verstand, was in ihr vorging, und sie suchte um jeden Preis nach einem Vorwande, nicht mit den Uebrigen nach Hause fahren zu müssen. Endlich sagte sie: „Graf Victor, wissen Sie was? Wir wollen heute einmal die Wette machen, von der wir neulich sprachen, die, daß ich eben so schnell zu Wasser von Zürich in die ‚Enge‘ fahre, als Sie zu Lande. Bitte, thun Sie es mir zu Liebe.“
Es gab eine lebhafte Debatte für und wider. Alfred prophezeite ein Gewitter. Victor wollte Anna nicht so allein auf dem See lassen. Doch sie bestand auf ihrem Willen, und da die ganze Entfernung kaum fünfzehn Minuten betrug und Anna schon oft die doppelte Ruderprobe abgelegt hatte, so willigte Victor endlich ein, und Alfred, der auffallend blaß war, hatte sich schon lange des Streits begeben. –
Sie brachten Anna bis zum Landungsplatz und sie stieg in ein kleines Boot, machte sich fertig und stieß im selben Augenblicke vom Lande ab, wo die Herren mit Lilly im Wagen davon fuhren. Sie hatten aber kaum die Stadt hinter sich, als der Himmel sich verdüsterte und jener Windstoß, der Herrn und Frau Hösli in’s Haus gejagt hatte, den Pferden die Mähnen aufblies.
„Da haben wir’s,“ rief Alfred, „ich sah es ja, daß ein Gewitter käme!“
„Was nun thun?“ fragte Victor erschrocken. „Sollen wir umkehren und Anna zurückzurufen versuchen?“
„Was könnte das helfen?“ sagte Alfred; „wir haben jetzt ein Viertel des Weges gemacht; bis wir wieder an den Landungsplatz kämen, wäre Anna noch weiter, und wir könnten sie nicht mehr erreichen.“
„Vielleicht ist sie so vernünftig, gleich umzukehren, und dann sollten wir doch mit dem Wagen dort sein,“ meinte Victor.
„Kehrt sie um,“ sagte Alfred, „so kann sie in Zürich eine Droschke nehmen und uns folgen, das ist kein Unglück. Aber so wie ich Anna kenne, kehrt sie nicht um, denn sie fürchtet nichts, und die Gefahr wird sie doppelt reizen, das Probestück abzulegen. Und käme das Gewitter zum Ausbruch, bevor sie landete, so können wir ihr nur nützen, wenn wir ihr mit einem Kahn von der ‚Enge‘ aus entgegeneilen.“
„Du hast Recht,“ sagte Victor, „wir müssen sie zu überholen suchen und von dort aus operiren. Fahr’ zu, Kutscher, was die Pferde laufen können.“
Ein neuer Windstoß fing sich in der Scheibe von Tante Lilly’s großem runden Hut und riß ihn ihr vom Kopfe.
„Mein Hut, mein Hut!“ jammerte sie und rang die Hände dem Verlorenen nach, aber fort ging es ohne anzuhalten und die lockigen grauen Haare Lilly’s flatterten aufgelöst in dem Sturme, der nun in einen wahren Orcan überging. Der Chausseestaub wirbelte in dichten Wolken auf und hüllte Alles ein. Die Pferde schnaubten und schüttelten sich, der Kutscher fluchte und schalt auf den Föhn. „Und dabei ist Anna auf dem See!“ tobte Victor.
Alfred saß stumm und bleich da, seine Nägel gruben sich in das Fleisch seiner eigenen Hände ein. „Ich begreife nicht,“ schrie Victor, „wie Du so ruhig sein kannst!“
„Wird es dadurch besser, daß wir toben und wehklagen?“ fragte Alfred mit schneidender Schärfe. „Rettest Du Anna mit Deinem Geschrei?“
„Nein, aber mit meinen Armen werde ich sie retten und die Angst, die mich jetzt jammern läßt, wird mir im rechten Augenblick auch Kraft geben,“ sprach Victor mit einem Blick des Hasses auf Alfred.
Dieser schwieg. Da zuckte ein Blitz aus dem schmutzig grauen Gewölk herab, ein starker Donnerschlag folgte. Alfred blieb regungslos, nur seine Augen sprachen.
„Der Kerl fährt zu langsam, wir kommen nicht vom Flecke!“ rief Victor und mit einem Sprunge war er neben dem Kutscher auf dem Bock, riß jenem die Zügel weg, hieb auf die Pferde ein, daß sie im vollen Galopp dahinsprengten und den Wagen bald rechts bald links schwankend mit sich rissen. Wie feurige Geister, die sich an die Hufe der Rosse hängen wollten, huschten die Blitze um den Wagen her, daß die scheuenden Thiere mehr flogen als gingen.
Lilly schrie und weinte vor Angst und klammerte sich an Alfred an, während große Regentropfen ihren unbedeckten Scheitel netzten.
„Sei ruhig, Tante,“ sagte Alfred liebevoll und barg das alte zitternde Geschöpf an seiner Brust. Jetzt bogen sie um die Ecke der ‚Enge‘, wo eine Lücke in der Häuserreihe den Blick auf den See freigab. In Fetzen hingen die Wolken nieder und berührten fast die Spitzen der hohlgehenden Wellen, als wollte in einer fürchterlichen Laune der ganze Himmel sich in den See stürzen. Oede und leer lag die weite Wasserfläche da, nah und ferne kein Schiff zu sehen, denn wer nicht muß, der macht sich nicht in den Streit der Elemente und flieht, wenn er sie sich zum Kampfe rüsten sieht.
„Wo ist Anna? Kein lebendes Wesen weit und breit!“ schrie Victor.
Die Durchsicht war passirt, wenige Minuten später mußte eine zweite kommen. Der Regen schlug den Geängstigten in’s Gesicht, daß sie die Augen kaum öffnen konnten, Blitz auf Blitz und Donner auf Donner folgten sich so rasch, daß die einzelnen Schläge in einander flossen und ein ganzes tiefgrollendes Tonmeer bildeten, das sich in den Lüften da oben ergoß, unsichtbar, ungreifbar, und doch so fürchterlich nahe, als müsse es sich herabwälzen und die ganze Erde mit seinem tosenden Wellenschlag erdrücken. Jetzt gab die Straße wieder eine Durchsicht frei – dort, ja dort, ganz allein auf dem rauschenden kochenden Wasser rang ein Schiffchen mit der Fluth auf und nieder, hin und her geworfen wie eine Nußschale. Es war nicht erkennbar in der sturmverdunkelten Ferne, wer darin war; aber da war ja kein Zweifel; Victor hieb von Neuem auf die Pferde ein, da krachte ein Donnerschlag, das ganze ununterbrochene Grollen übertönend, knatternd, fast schreiend, als ergösse sich nun wirklich das drohende Schallmeer von oben herab, um alles Lebende unter sich zu begraben. Ein Pferd bäumte sich auf, sprang zur Seite und stürzte! Ein Aufenthalt in diesem Augenblick! Eine Minute verloren, jetzt, wo eine Minute ein Menschenleben galt! Victor war schneller vom Wagen als der Kutscher. Mit eigenen Händen riß er das Thier in die Höhe und wieder saß er oben und wieder sauste die Peitsche auf die zitternden Rosse nieder, daß sie durchaus rasten wie von Furien gehetzt mitten durch die wilde Wetterjagd hindurch, und Victor wußte nicht mehr, war es Angstschweiß oder Regen, was ihm von der Stirn triefte. Endlich, endlich war das Haus nahe. Noch zehn Schritte vom Thor stürzte das Pferd zum zweiten Male. Jetzt war es einerlei. Victor sprang vom Bock. Bevor Alfred mit seinem schwerfälligen Gange ihm folgen konnte, hatte er die Thür erreicht, flog durch den Garten und machte den Kahn los.
„Nimm mich mit!“ schrie Alfred hinter ihm herkeuchend.
„Soll ich warten, bis Du mir nachhinkst?“ rief Victor und warf den Rock ab. „Du kannst ja nicht einmal rudern, was kannst Du uns nützen?!“
Und prasselnd fiel die Kette, die Ruder waren gelöst, der Kahn schoß dahin wie eine Möve, die, bald untertauchend, bald aufschnellend, auf den Wellen spielt.
Die Zeiten des Faustrechts, dessen naturwüchsigen Söhnen es Herzenssache war, bisweilen gegen den ersten besten Nachbar eine Fehde vom Zaune zu brechen, schienen vorüber. Thöricht würde man den geheißen haben, der an eine Rückkehr glaubte. Und doch leben wir jetzt in ihnen, und zwar im größten Maßstabe! Ein Mann, wenn auch nicht jenen kraftstrotzenden mittelalterlichen Erscheinungen ähnlich, sondern gichtig und gelähmt, konnte noch im neunzehnten Jahrhundert ohne jeden ehrlichen Grund unser Vaterland in einen Krieg werfen, der Ströme des edelsten Blutes erfordert, – der blühende Städte vernichtet und andere neue Städte des Elends und der Schmerzen baut.
In jener weiten Fläche, die man vom Kreuzberge, den Blick von Berlin abgewendet, überschaut, ist eine solche Stadt emporgewachsen. Ein hoher Bretterzaun umschließt in unregelmäßigem Viereck Baracken und Wirthschaftsgebäude, die für fünfzehnhundert Verwundete hergerichtet sind. – Die so oftmals glänzend bewährte Wohlthätigkeit der norddeutschen Hauptstadt hat sie zum größten Theile geschaffen; das Werk aber lobt den Meister, und seine Beschreibung wird gewiß die Theilnahme, Anerkennung und Nacheiferung der weitesten Kreise, wenn dies noch nöthig wäre, erregen.[2]
Kaum forderte der heilige Krieg für deutsche Ehre und Freiheit die ersten Opfer, als Staat, Gemeinde und Privatvereine einen ruhmvollen Wettkampf eingingen, das Loos ihrer verwundeten Helden zu mildern. Der Staat begann zwanzig, die Stadt Berlin und der Hülfsverein für die Armeen im Felde je fünfzehn Baracken zu bauen; so entstanden drei Abtheilungen, deren jede ein Ganzes für sich bildet und seine eigene, in der höchsten Spitze jedoch vereinte Verwaltung hat. Die Erfahrungen der letzten großen Kriege, besonders aber des amerikanischen Riesenkampfes, waren von Aerzten, wie Virchow, Rose und Esmarch, und von Baumeistern, wie Hobrecht, Knoblauch, Steuer, Ende und Böckmann, geprüft und weise benutzt worden; ihnen hat sich eine Zahl edler Frauen angeschlossen, um das schwierige Werk der Krankenpflege zu übernehmen.
Ueber die Vorzüge des Barackensystems mag hier nur kurz angedeutet werden, was Gegenstand der gründlichsten Untersuchungen gewesen ist. Die Kriege der Neuzeit führten den Städten Verwundete in so großer Zahl zu, daß die frühere Regel, die Kranken möglichst zu zerstreuen, nicht mehr maßgebend bleiben konnte. Berlin hatte z. B. im Jahre 1866 allein über fünftausend Verwundete unterzubringen. Da belehrten uns die praktischen Amerikaner. Bei ihnen gab es Barackenlazarethe von mehr denn dreiundzwanzigtausend Kranken, und dennoch war die Sterblichkeitsziffer eine weit günstigere, als bei unserem Zerstreuungssystem. Das ganze Geheimniß liegt in dem Worte Lüftung! Wie diese erzielt wird, ergiebt eine Betrachtung der Baracken selber, zu der ich den freundlichen Leser hiermit einlade.
Gleich am Thore der Stadt, in die wir nur mit einer Einlaßkarte versehen gelangen, zeigt sich ein Theil der neuen Gemeinde: Ein dick bepflasterter Kürassier raucht, auf einem Balken sitzend, mit großer Ruhe und Genugthuung aus seiner kurzer Pfeife, ein prächtiges Bild phlegmatischen Leidens; hinter ihm, beständig schwatzend, ein halbes Dutzend leichtverwundete Mitglieder der großen Nation, die sich zu solcher Gefangenschaft und Pflege Glück wünschen mögen. An ihnen vorüber lassen wir die städtischen Baracken links und die vom Staate gebauten zur Rechten liegen und besichtigen die Abtheilung des Hülfsvereins, weil diese am weitesten vollendet, und überdies, wie es uns scheint, unter allen den Preis verdient.
Nichts Friedlicheres, als dieser Stadttheil. Die einzelnen Baracken und Wirthschaftsgebäude gruppiren sich malerisch um einen freilich noch im Entstehen begriffenen Rasenplatz, durchschnitten von sauberen Kieswegen, die strahlenförmig auf ein großes, mit Flaggen auf das Anmuthigste geschmücktes Zelt laufen, das den wackeren Kriegern zum Erholungsplatze dienen wird. Selbst der Springbrunnen fehlt nicht, um dem Ganzen, man möchte fast sagen, einen herrschaftlichen Anstrich zu geben.
Die Baracken selber erheben sich auf einem etwa drei Fuß hohen Pfahlrost, um der Feuchtigkeit von unten her den Zutritt zu wehren; etwa sechszig Schritt lang und zwölf Schritt breit, sind sie ganz von Holz gebaut, mit zweiseitigem Holzdache, das jedoch oben nicht ganz schließt, sondern von einem kleineren Dache überragt wird, so daß die Luft unbehindert in das Innere strömen kann. Klappen dienen dazu, den Luftzug zu regeln. Die Dächer und die Nordseite der Baracke sind mit asphaltirter Pappe bekleidet und sichern die Bewohner gegen jede Unbill des Wetters. Rings um das ganze Gebäude endlich läuft ein nach außen mit Leinwandvorhängen bekleideter Gang für diejenigen Kranken, welche die Baracke noch nicht verlassen dürfen. Die Heizung derselben soll durch Gas bewirkt werden.
Und welche Behaglichkeit herrscht im Innern! An jeder Seite des luftigen Saales mit den sauber gestrichenen Wänden und den mattenbelegten Fußböden stehen fünfzehn eiserne Feldbettstellen; auf elastischem Drahtgeflechte eine Matratze mit schneeweiß überzogenen Decken und Kissen. Zwischen je zwei Betten ist ein kleiner Schemel und ein gleichzeitig als Tisch dienender Kasten aufgestellt. Die Fenster, mit grünen, beweglichen Rollvorhängen versehen, lassen ein angenehm gedämpftes Licht ein. Zu beiden Seiten des Saales liegen die zur Bequemlichkeit der Kranken erforderlichen Räume, Zimmer für das Dienstpersonal, Kleiderkammern und dergleichen. Namentlich verdient aber die vorzügliche Einrichtung der Closets um so größeres Lob, als gerade in dieser Hinsicht bekanntlich die Krankenanstalten oft viel zu wünschen übrig lassen. Daß die Wirthschaftsgebäude, und besonders die riesige Küche, nicht minder einladend und zweckentsprechend sind, läßt sich erwarten; auf diese Dinge näher einzugehen, würde hier zu weit führen. Auch die kleinen baulichen Verschiedenheiten der einzelnen Abtheilungen müssen wir auf sich beruhen lassen.
Wir legten der neuen, in kaum vier Wochen entstandenen Colonie den Namen Stadt bei, und das mit Recht, abgesehen von ihrer Kirche, ihrer Polizei und ihrem sehr bedeutenden Beamtenpersonal. Von der neuen Verbindungsbahn aus, welche in weitem Bogen um Berlin läuft, ist ein Schienenstrang mitten durch die Baracken gelegt, um die Verwundeten möglichst schnell und schmerzlos ihrem Bestimmungsorte zuzuführen. Telegraphenleitungen vermitteln den Verkehr mit Berlin und den auswärtigen Bahnstationen, so daß von jedem Verwundetentransporte rechtzeitig Nachricht gegeben werden kann. Die Gesellschaft der englischen Wasserwerke hat es sich nicht nehmen lassen, unentgeltlich für steten Wasserzufluß zu sorgen, und zwei Dampfmaschinen pumpen das gebrauchte Wasser und sonstige Stoffe in ein großes unterirdisches Behältniß, von welchem aus der Abfluß vermittelt wird. Für zweckmäßige Beleuchtung und Erwärmung endlich liefert die Stadt Berlin das Gas.
So haben Vaterlandsliebe, Wissenschaft und Kunst ein Werk gegründet, auf das unser Volk mit Recht stolz sein darf. Welche riesigen Mittel erforderlich waren, mag die eine Bemerkung anschaulich machen, daß die Kosten für jedes Bett – und es sind deren fünfzehnhundert – auf hundertdreiunddreißig Thaler ermittelt sind, was einen Gesammtaufwand von fast zweimalhunderttausend Thalern ausmacht, wozu die Stadt Berlin nahezu den dritten Theil beigetragen hat, ungerechnet die vielen freiwilligen Hülfsleistungen und Gaben an Geräthschaften, Nahrungsmitteln u. dgl.
Schon ist ein Theil der Baracken besetzt; schon sind Messer und Säge in Thätigkeit, und auch der Todesengel hat bereits seine Ernten gehalten. Gott aber gebe, daß es die letzte Stadt ist, die so traurigen Ursachen ihre Entstehung verdankt; er segne unsere Waffen und ein freies, einiges, starkes Deutschland!
Von einem „Steinmetzen“. (Mit Abbildung.) Auch heute ist es ein alter Bekannter, welchen wir, wiederum von der Meisterhand Camphausen’s gezeichnet, unseren Lesern im Bilde vorführen. Schon im Jahre Sechsundsechszig war es der General Karl Friedrich von Steinmetz, dessen Name vor allen anderen Armeecorpsführern zuerst mit lautem Jubel gefeiert wurde, weil an ihn sich die erste Siegesnachricht aus Böhmen knüpfte. Die blutigen siegreichen Gefechte bei Nachod, Skalitz und Trautenau sind unter seiner Führung geschlagen worden und schon sie bewiesen, daß er, der alte Kämpfer aus der Zeit der Befreiungskriege (Steinmetz ist schon im Jahre 1796 zu Eisenach geboren) nach Recht und Verdienst mit dem eisernen Kreuz geschmückt war. Damals ging ein wahrer Steinmetz-Enthusiasmus durch die Armee, und das Bild vom „Steinmetzen“, der mit seinen vielen Gesellen so wacker drein gehämmert hat, kehrte in allen Liedern und Weisen wieder, welche, rasch wie die Siege selbst, diesen auf dem Fuße folgten.
Nach dem Kriege von Sechsundsechszig, welcher dem General von Steinmetz den Adlerorden und eine bedeutende Dotation einbrachte, sandte ihn das öffentliche Vertrauen in den norddeutschen Reichstag, wo er, natürlich nur im strengconservativen Sinne, sprach und stimmte.
Der ausbrechende Krieg dieses Jahres, der unsere braven Truppen nunmehr schon bis unter die Mauern von Paris geführt hat, verschaffte dem alten, aber jugendlich rüstigen Herrn den Oberbefehl über die deutsche Nordarmee, deren Spitze zunächst bei Saarbrücken mit dem Feinde Fühlung nahm. Nicht lange aber vermochte der feurige Führer, zu dessen Heldenmuth und eiserner Tapferkeit die Soldaten unbedingtes Vertrauen hatten, stille zu halten. Er brach los und erstürmte mit dem achten Armeecorps, dessen General, von Goeben (auf unserer Illustration dem General von Steinmetz zur Linken, während v. Zastrow, der Commandant des siebenten Armeecorps, auf dessen rechter Seite sichtbar ist) auch hier seine schon 1866 erprobte Tüchtigkeit glänzend bewährte, die Speicherer Höhen – eine heroische That, die mit der völligen Auflösung des Frossard’schen Corps endigte und heute noch in Aller Erinnerung ist. Nicht minder bekannt aber ist auch das Aufsehen, welches die plötzliche, Mitte September erfolgte Enthebung des Generals v. Steinmetz von seinem Posten als Befehlshaber der ersten Armee und seine Ernennung zum Generalgouverneur von Posen gemacht hat.
Wir übergehen die mancherlei Vermuthungen, welche zur Deutung dieses unerwarteten Vorgangs aufgestellt wurden, und begnügen uns von der Versicherung eines der Regierung nahestehenden Blattes Act zu nehmen, welches „die einfache Erklärung darin findet, daß bei der Metz cernirenden Armee ein einziges Obercommando nicht allein als ausreichend erachtet werden mußte, daß vielmehr die Zwischen-Instanz eines zweiten Armee-Obercommandos in mehrfacher Hinsicht nur verzögernd wirken konnte.“ Man hat, fügt das Blatt bei, an maßgehender Stelle dem ehrwürdigen General, dessen Ruhm und Verdienst für die Größe seines Vaterlandes wohl für alle Zeiten gesichert ist, eine wohlverdiente, ruhigere Thätigkeit zuweisen wollen, indem man ihn an seinen heimatlichen Herd zurückkehren ließ. Diese Versicherung des officiösen Blattes in Ehren, erwähnen wir nur noch, daß in der allerjüngsten Zeit noch eine andere Wendung aufgetaucht ist, nach welcher die Regierung den General von Steinmetz lediglich deshalb in die Ostprovinzen geschickt habe, um für gewisse politische Möglichkeiten einen berufenen, sichern und befähigten General an der Grenze zu wissen. In diesem Falle könnten wir der Regierung zu ihrer Wahl nur Glück wünschen.
Am Abend des 31. August in Beaumont. (Mit Abbildung.) Von unserem Künstler, Herrn Fr. Wilh. Heine, erhielten wir aus Rethel einen Brief, welchen wir zu nachstehender Mittheilung benützen:
„Die Zeichnung, welche ich Ihnen heute in der Beilage schicke, führt Ihre Leser zwar zu den letzten Tagen des August zurück, anstatt ihre Sehnsucht nach Pariser und Straßburger Bildern zu erfüllen; der Erfolg weist jedoch jenen Gefechten in der Geschichte dieses Krieges eine so ausgezeichnete Stelle an, daß wir das Terrain schon genauer ansehen dürfen, das für uns zu Siegesfeldern wurde.
Ihre Leser müssen sich im Geist in die Zeit zurückversetzen, wo Frankreichs Hoffnung nur noch auf Mac Mahon und den im Lager von Chalons neuzubildenden Armeen beruhte, nachdem Bazaine mit seiner Armee in Metz eingeschlossen war. Als damals die Kunde kam, daß Chalons plötzlich von Mac Mahon und Napoleon verlassen sei und daß die nördliche Schwenkung derselben den Plan verrathe, zwischen der neuen „vierten Armee“ des Kronprinzen von Sachsen und der belgischen Grenze hin Metz zu erreichen und durch Entsetzung Bazaine’s eine Vereinigung der französischen Heereskraft zu bewirken, galt es den französischen Marschall, falls er wirklich den verwegenen Zug ausführte, so von drei Seiten zu umklammern, daß er eine Schlacht auf dem ihm ungünstigsten Terrain und gegen bedeutende Uebermacht annehmen mußte.
Und so geschah es. Am 29. August standen die Corps der französischen Armee auf beiden Seiten der Straße von Le Chêne nach Stenay – und ihnen gegenüber breiteten die deutschen Truppen sich von Grand-Pré bis Stenay aus, wo die Avantgarden dem Feinde gegenüberstanden. Das erste Gefecht lieferten ihm die Sachsen bei Nouart, um ihm den Vormarsch gen Osten hin zu verriegeln. Mac Mahon war dadurch „gestellt“, er hatte nur noch zu wählen, ob er sich dies- oder jenseits der Maas schlagen wolle. Während er aber, letzteres vorziehend, über die Maas setzte, packte der Kronprinz von Sachsen ihn noch beim linken Flügel. unweit Beaumont. Hier begann die Reihe von Gefechten, welche von da sich nach Mouzon hinzogen, um bei Sedan zu enden.
Dem Kampfe bei Beaumont wohnte König Wilhelm auf einem Hügel über dem Dorfe Sommauthe bei, wo sich ein großer Theil des Schlachtfeldes übersehen ließ. Ihm gegenüber befand sich Napoleon mit seinem Sohn. Trotz aller bisherigen Erfahrungen herrschte bei den französischen Vorposten noch der alte Leichtsinn, sonst würde es unserer Artillerie unmöglich gewesen sein, drei Lager derselben zu überfallen und mit Granaten zu beschießen, während die Officiere sich in der Stadt Beaumont gemüthlich beim Essen amüsirten und die Soldaten mit Abkochen beschäftigt waren.
Ich kam am Tage nach der Schlacht von einem Besuch des Schlachtfeldes gegen Abend nach Beaumont. Welch’ ein Anblick! Welches Durcheinander! Auf allen Gassen durchmarschirende deutsche Truppen und Verwundetentransporte, Flüchtlinge mit ihrem geretteten Hab’ und Gut, bald auf Karren, bald auf Mauleseln, bald auf dem Rücken, dazwischen Reitertrupps und Wagenzüge, überall hastige Bewegung, beleuchtet von mehreren helllodernden Häusern, die von den Franzosen in Brand geschossen worden waren.
Todtmüde kam ich endlich zu dem Platz vor der Kirche, wohin besonders der Strom der Verwundeten sich lenkte. Und da lagen sie, Freund und Feind im Schatten des Gotteshauses, das, wie sie, die Spuren der Kugeln und Granaten trug. Das ist der Anblick, den Ihnen mein Bild bietet und der wohl Tausenden unsrer Krieger, wenn ihnen dieses Blatt später, im Schooß des Friedens, einmal in die Hand kommt, eine dann nach überstandener Gefahr gewiß wohlthuende Erinnerung erwecken wird. Die Kirche ist ein Bau von reicher Architektur, im Style gothisch mit romanischen Anhängseln. Jetzt strich der Wind durch ihre Hallen, die Fenster waren zerschmettert, und was ringsum zu den Ohren drang, waren nicht die frommen Laute des Betens und Singens, sondern die Wehschreie der Verwundeten, das Weinen und Wimmern von Frauen und Kindern, das Commando der Führung und der Fluch der Verzweiflung. Meine Zeichnung kann Ihnen nur einen Augenblick andeuten, gleichsam die plötzlich erstarrte Bewegung; denken Sie sich in jedem Augenblick das Bild verändert und nur den Hintergrund, bei der Kirchmauer, mit den Statisten des Elends besetzt, so bekommen Sie vielleicht eine schwache Vorstellung von dem, was ich dort vor Augen hatte. Das volle Bild dieses aufreibenden Krieges giebt Ihnen weder Stift noch Griffel. Die Wirklichkeit ist so großartig gräßlich und mannigfaltig, daß die erregteste Phantasie hinter ihr zurückbleibt. Nur wer es sah, kennt es, sonst Niemand!“
Ein zerstörter Sommeraufenthalt der Pariser. (Mit Abbildung.) Aus Lagny erhalten wir zugleich mit unserer heutigen Illustration folgende
Zeilen: „Wie würde der gute Pariser staunen, wenn er heute sein liebes Lagny sehen könnte, das gleich Champigny, Montmorency, Enghien und anderen im Umkreise der französischen Hauptstadt gelegenen reizenden
Orten ihm alljährlich zum heitern Aufenthalt während der schwülen
Sommermonate dient. Er würde diesen allerliebsten Ort kaum mehr erkennen. Denn wenn auch die weißen Häuser und Villen überall noch aus den grünen Gärten und den buschigen Parkanlagen verlockend herausschauen, so ist doch die kleine, sonst so anmuthig belebte Stadt, die gegenwärtig einen Theil des Hauptquartiers des Königs von Preußen beherbergt, von den Bewohnern so gut wie verlassen, und abgesehen von den Soldaten, die sich überall wohnlich eingerichtet haben und aus den Fenstern und Thüren der Häuser wie aus ihrem Privateigenthum heraussehen, ist kaum eine menschliche, französisch getaufte Seele männlichen oder weiblichen Geschlechtes zu entdecken.
Zu allem Ueberfluß bieten die Ufer der das Städtchen durchströmenden Marne das Bild der wildesten Zerstörung. Zwei Brücken, die hier über den Fluß führten, sind von dem französischen Geniecorps gesprengt worden, in reinem Unverstand und ohne allen Nutzen. Die eine dieser Brücken, die aus eisernem Fachwerk construirt und deren einer Tragpfeiler auf solche Weise zerstört worden war, hatte sich in Folge dieses Vernichtungswerkes so gesenkt, daß sie einer Rutschbahn nicht unähnlich sah und am andern Ufer erst im Wasser verlief. Hier allerdings waren Pionniere bemüht gewesen, mit Brettern und ähnlichen einfachen Hülfsmitteln die Passage wenigstens trocken zu halten, und so sah sich denn selbst der König am Abend des 19. September genöthigt, die Brücke in dieser Weise mit allen seinen Wagen zu passiren. Letztere mußten von den Soldaten getragen, die Pferde aber, ausgespannt, sorgfältig über die Brücke geführt werden. An den Ufern standen Fackelträger, und deren glührotes Licht beleuchtete durch die dunkle Nacht in höchst effectvoller Weise den Uebergang und die umherliegenden Häuser und die still dahinrauschenden Wellen der Marne.
Von einer zweiten Brücke, die weiter oben gestanden war, erblickt man nur noch links und rechts massive Steinklumpen; die Pfeiler selbst sind gleichfalls in die Luft gesprengt worden, nicht ohne in weitem Umkreis die Wände der Häuser zu beschädigen, die Dächer einzuschlagen und die Fenster zu zertrümmern. Sieht man durch letztere in das Innere eines Wohnzimmers, so bietet sich kaum ein geringeres Bild der Verwüstung – zerbrochene Möbel, zerstreute Wäsche und alle jene abscheulichen Spuren, welche eine wilde, besinnungslose Flucht der Einwohner zu begleiten pflegen.
Ich selbst hatte am Ufer der Marne von einem Hause, das noch am einladendsten aussah, am Morgen meiner Ankunft Besitz genommen. Wie man das im Kriege macht? Man überzeugt sich erst von der Wohnlichkeit des Hauses, schreibt dann Namen und Stand mit Kreide an die Thüre, schließt das völlig verlassene, unbewohnte Haus auf beste Weise und steckt den Schlüssel, sofern ein solcher da ist, zu sich. Das hindert freilich nicht, daß man in der Nacht hundertmal von pochenden und lärmenden Soldaten geweckt wird, die in’s Haus zu dringen suchen, die über irgend Etwas Auskunft verlangen, die in dem bescheidenen Gelaß durchaus ein Wirthshaus oder eine [707] Handlung sehen wollen etc. Zu allem Ueberfluß brennt es in jeder Nacht, heute in dieser, morgen in jener Straße, und dann ist die Unordnung in den unbeleuchteten finstern Gassen eine unbeschreibliche. Ueberall rennende und rettende Soldaten, dazwischen tauchen aus der Dunkelheit unheimliche Gestalten in blauen Blousen auf, alte häßliche Weiber, von denen man nicht weiß, wo sie bisher gesteckt sind, wüstes Geschrei, Verwirrung, Brandstätten – das ist Lagny, der liebliche Sommeraufenthalt der reichen Pariser und ihrer ‚Damen‘, jetzt einer der belebtesten Centralpunkte für unsere durchziehende Armee und augenblicklich der Aufenthalt zahlreicher Generäle und ihrer Stäbe.“
Colonel Pemberton. Es ließ sich erwarten, daß die Lorbeern, die
Hozier, der Berichterstatter der Times, 1866 sich mit Recht errungen,
1870 verschiedene Collegen bewegen würden, in den deutschen Hauptquartieren einen gleichen Ruhm einzuheimsen. Diese Erwartung hat sich erfüllt. Der Hozier von 1870 ist Colonel Pemberton. Ausgestattet mit den besten Papieren, erhielt der junge englische Oberstlieutenant eine Empfehlung des Bundeskanzlers Grafen Bismarck an den Kriegs- und Marineminister von Roon, und mit diesem Freibriefe der beiden berühmten, vielvermögenden Männer standen dem strebsamen Schriftsteller alle Hauptquartiere, sonst so schwer zugänglich, offen.
Colonel Pemberton ging zuerst in das Hauptquartier der zweiten Armee, zu Prinz Friedrich Karl. Er saß bald stattlich hoch zu Roß, bald bequem in seinem vortrefflichen Wagen, bald schritt er zu Fuß dahin, eine hohe, hagere Gestalt, mit grauem Filz, das blonde, dünne Haar hinten bis zum Nacken gescheitelt, stets in weißester Wäsche, mit dem steifen Halskragen und dem grauen Mantel.
Er fiel sofort auf, so daß man hundertmal gefragt wurde: „Wer ist das?“
„Colonel Pemberton, Berichterstatter der Times.“
„Colonel? Was ist das?“
„Oberstlieutenant.“
„So? Der muß viel gelernt haben und sehr tüchtig sein!“
„Weshalb?“
„Weil er noch so jung und doch schon Oberstlieutenant ist!“
„In England sind diese höheren Officierstellen käuflich. Seine Familie ist gewiß sehr reich. Pemberton hat sich den Colonel einfach gekauft.“
„Ah!“
Einen ähnlichen Dialog hörte man stets, wo Pemberton sich zeigte.
Die deutsche Presse hat viele und darunter bekannte Schriftsteller als Berichterstatter im Felde gehabt: Gustav Freytag und Berthold Auerbach beim Kronprinzen, Georg Horn bei Friedrich Karl und Hans Wachenhusen „auf eigene Faust“, etc. – es ist aber Keiner von ihnen ausgestattet gewesen wie der bis dahin unbekannte Pemberton. Sein praktischer Reisewagen war kostbar; er enthielt Feldbett und Badewanne. Im dürftigsten Quartier, wo seine zwei Bedienten sofort zur Hand waren, fehlte ihm nichts. Doch der äußerlich sehr steife Herr zeigte sich äußerst liebenswürdig gegen seine beiden Collegen in Civil, gegen den Schlachtenmaler Fritz Schulz und den Schriftsteller Georg Horn. Er theilte oft sein Quartier mit ihnen und bot dann Alles auf, dem nichtuniformirten Dreiblatt in dieser Masse von „zweierlei Tuch“ angenehme Stunden zu bereiten. Er wies im Gespräch oft und gern darauf hin, daß er diesen Kriegszug nur zur Begründung seines Ruhmes unternommen, und daß er seine Briefe der Times gratis zum Abdrucke übersende. Am liebsten sprach er von seinem Romane und pries dessen Erfolg; er wollte von demselben kurz vor dem Kriege zweitausend Exemplare abgesetzt haben. Dieser Erfolg ist so bedeutend freilich nicht, um so weniger, wenn man bedenkt, daß der reiche Pemberton manches Buch aus dieser Zahl verschenkt haben wird. Hat doch jeder Sterbliche seine Achillesferse, und ich berühre dies nur, um den Mann ganz und gerecht zu schildern.
Nachdem Colonel Pemberton dem Prinzen Friedrich Karl treu bis Metz gefolgt war, nahm er Abschied, um auch die anderen Hauptquartiere und die Vorposten kennen zu lernen. Mit der Jubelnachricht von Sedan, daß Napoleon gefangen sei und die Armee Mac Mahon’s in einer Stärke capitulirt habe, wie dies bisher in der Weltgeschichte unerhört, kam auch die Trauerkunde zu uns vor Metz, daß in diesem heißen Kampfe des 1. September Colonel Pemberton gefallen sei. Eine Kugel ist ihm durch’s Haupt gedrungen. Diese Nachricht hat manches deutsche Kriegerherz mit Trauer um den Braven erfüllt.
Colonel Pemberton, einzig in seiner Art, ist in seinem Berufe gefallen – ein Opfer seines Ehrgeizes. Wir legen still einen Cypressenzweig auf seinen Hügel französischer Erde und gönnen ihm von Herzen den reporterlichen Ruhmeskranz, den der Feldzug von 1870 auf sein blondes Haar gedrückt.
Geldnoth im Felde. Kürzlich war ich wieder in Pont à Mousson,
nachdem ich es gerade vier Wochen vorher verlassen hatte. Pont à Mousson
hatte innerhalb dieser Zeit ein ganz verändertes Ansehen bekommen; wir
hatten die hübsche Stadt bei unserem Einzuge leer und verlassen gefunden,
die Häuser und Läden geschlossen; nun scheint die Stadt die Physiognomie
wiedergewonnen zu haben, die sie vor dem Einmarsche bei Franzosenzeiten hatte. Die Läden waren sämmtlich geöffnet, die französischen Leute
standen unter den Haus- und Ladenthüren, lagen in den Fenstern und
schauten den Durchmarsch eines baierischen Bataillons gerade mit demselben oder vielleicht mit noch größerem Interesse an, als wenn es ein kaiserlich französisches Regiment gewesen wäre; preußische Helme und Uniformen hatten sie bis jetzt genugsam gesehen – nun kam eine andere deutsche Couleur in Himmelblau, und statt der Spitzen trugen diese auf den Helmen Raupen.
„Wie drollig!“ hörte man sie unter sich sagen.
Auf dem Markte bot sich mir ein Bild, eine Scene dar, die mir neu, überraschend war und mich mit tiefer Wehmuth erfüllte. Der weite Platz war theils mit den Equipages militaires, den zweiräderigen, einspännigen Karren, angefüllt, welche das Gepäck der französischen Officiere zu fahren pflegten, theils mit Pferden, welche von französischen Officiersburschen geführt wurden, und Maulthieren, welche an die erwähnten Officiersgepäckwagen gespannt waren. Zwischen den Reihen der Wagen und Pferde bewegten sich französische Officiere aller Grade und Waffen, Einwohner von Pont à Mousson, preußische Soldaten und Berliner Handelsleute, die unter den Arcaden des Marktplatzes ihren Kleinhandel mit Pfälzer Cigarren, gestrickten Unterjacken und wollenen Hemden aufgeschlagen hatten. Die französischen Officiere, welche die Capitulation von Sedan nicht angenommen hatten und als Kriegsgefangene nach Deutschland gingen, verkauften ihre Pferde, ihre Maulthiere und was sie sonst entbehren konnten oder zu veräußern gezwungen waren. Ein junger Capitain von einem Linienregimente hatte kein Pferd, kein Sattelzeug zu verkaufen; er bot seine goldene Uhrkette zum Kauf an, und ein preußischer Kürassierunterofficier erstand sie für dreißig Franken, sie war vielleicht das Dreifache werth; ich hätte sie auch kaufen können, aber ich wollte nicht etwas besitzen, an dem eine Thräne hing, und die Thränen liefen dem Officier über die Wangen herab auf das Kaufobject, als er dasselbe dem Käufer hingab. Dabei hakte er ein kleines goldenes Medaillon ab, das in der Mitte einen kleinen Türkis hatte. Der Unterofficier gab ihm zu verstehen, daß er das Medaillon auch kaufen möchte, vielleicht für die „Frau Unterofficierin“ zu Hause, der es zum sonntäglichen seidenen Kleide sehr gut stehen mochte, hat ja die Frau Hauptmännin auch eins. Aber der Käufer der Kette sollte nicht so leicht zu einem Mitbringen für die Frau Gemahlin kommen. Der Officier schüttelte traurig den Kopf, führte das Medaillon an seine Lippen und sagte zu mir, indem er den Deckel des Medaillons öffnete und mir dessen Inhalt zeigte: „Es gehört meiner Frau, meiner armen Frau!“ Dann frug er mich, ob es nicht möglich sei, einen Brief nach Paris befördern zu können. Leider mußte ich ihm jede derartige Hoffnung benehmen. Noch einmal sah er das Bild mit schmerzgefülltem Ausdrucke an, ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, dann verschloß er das Medaillon und steckte es ein.
„Wo kann man etwas zu essen bekommen?“ wandte er sich an mich.
Ich wies ihn nach einem Locale, wo es Bier und gutes Essen gab.
„Ich habe seit vier Tagen nichts als halb reifes Obst gegessen,“ gestand er, „und ich bin so sehr von allen Mitteln entblößt, daß ich nicht soviel hatte, um mir ein Stück Brod kaufen zu können.“ Sprach’s und ging grüßend von dannen.
Die Einwohner von Pont à Mousson und die Berliner Colonisten vom Mühlendamm haben jedenfalls brillante Geschäfte gemacht; die besten Pariser Ferngläser wurden zu zwanzig Groschen bis einem Thaler das Stück verkauft; ein Bekannter von mir erstand noch zwei Tage nachher einen ganz neuen englischen Sattel für fünf Thaler; ein Paar Maulthiere gingen für sieben Thaler weg, ein Pferd mit vollständigem Sattel- und Zaumzeug für hundertsechszig Franken. Ein alter Husarenoberst mit dickem rothem Kopfe, der an den Victor Emanuel’s erinnerte, mit grauem Henriquatre und grauem dicht gelocktem Haar stand vor einem prachtvollen Schimmelpaar, welches die Bewunderung der zahlreichen davorstehenden Officiere erregte. Jeder der Herren fand an den Pferden eine neue Eigenschaft zu loben, der eine den Bau und die Haltung des Kopfes, der andre den Bug, ein dritter die tiefe Schulter mit der schönen Vorhand, ein vierter die elegante Croupe, wieder ein anderer die Fessel; die Bewunderung erreichte aber den höchsten Grad, als der Oberst dem Burschen befahl, die Pferde vorzuführen; kurz, die Thiere waren von der edelsten Race und im Bau wie im Gange tadellos. Aber der Oberst machte trotzdem keine Miene, sie zu verkaufen, obgleich sie zu diesem Zwecke dastanden. Die Hände in den Hosentaschen, wie das die Sitte der französischen Officiere ist, ging er die Pferdereihe auf und nieder, bis ein preußischer Officier dem zufällig mit dem Malteserwagen in Pont à Mousson anwesenden Rittmeister S. aus Berlin den Auftrag gab, sich nach dem Preise der Thiere zu erkundigen. Persönlich wollte er mit dem Besitzer ob des sonderbaren Benehmens desselben nicht unterhandeln. Der Rittmeister trat mit dem Franzosen in’s Vernehmen. Beide entfernten sich etwa hundert Schritte, und man sah nur, wie der Husarenoberst immer den Kopf schüttelte. Der Unterhändler kam zurück mit dem Bescheide, daß der Franzose die Pferde nicht verkaufe, er wolle sie in dem französischen Depot abgeben, welches zu diesem Zwecke in Pont à Mousson errichtet worden sei, der Krieg würde doch nicht mehr lange dauern, dann sei er wenigstens remontirt.
„Bieten Sie dem Besitzer viertausend Franken für die Pferde!“ war die Antwort des Officiers.
S. ging zu dem Franzosen, um ihm diese Offerte zu machen; derselbe strich sich den Bart, besann sich einen Moment und sagte dann dem Unterhändler einige Worte, welche kurz und bündig etwa also lauteten: „Und wenn mir der Herr Vierzigtausend bieten würde, ein deutscher Officier bekommt die Pferde nun und nimmer.“
Diesem Entscheide entsprach auch das Benehmen der französischen Officiere. Am anderen Morgen sah ich denselben Oberst mit seinen Cameraden den Ort passiren, wo sich das Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl befand. Eine Reihe von unseren Officieren stand an der Straße und grüßte beim Nahen der Colonne der kriegsgefangenen Cameraden, sie erwiderten den Gruß jedoch nicht. Als aber die deutschen Cameraden um feurige Kohlen auf ihr Haupt zu sammeln, ihnen Cigarren, Chocolade, Lebensmittel auf die Wagen reichten, nahmen sie diese Gaben ohne alle Umstände entgegen, ohne daß sie auch nur das Gefühl der Beschämung im Mindesten zu empfinden schienen. Der alte Husarenoberst in rothen, himmelblaubesetzten Pantalons, rother Leibschärpe und himmelblauer, schwarzgeschmückter Husarenjacke schien der Trotzigste, Unnahbarste von Allen zu sein. Er hatte Tags vorher in Pont à Mousson richtig seine Pferde in das Depot abführen lassen. Ob er sie je wiederfinden und ob der Krieg wirklich von so kurzer Dauer sein wird, ist eine andere Frage.
[708]
Das rothe Kreuz.
Und wieder geht ein großes Sterben
Von Volk zu Volk und bitt’re Noth;
Auf Feuerrossen jagt Verderben,
Auf fahlem Roß der bleiche Tod.
Wie Blätter bei der Stürme Tosen
Wehn Menschenleben in den Staub;
Kein Sarg, geschmückt mit Kreuz und Rosen,
Verbirgt des Todes schnellen Raub.
Von Bretterwänden ungeschieden
Das Irdische zur Erde geht;
Für Hundert eines Grabes Frieden
Doch eine Thräne, ein Gebet.
Und wie der Schlachten Donnerwolke
Auch durch die Blutgefilde tost –
Es neigt zum blitzgetroff’nen Volke
Erbarmen sich und milder Trost.
Hoch über aller Völker Fahnen
Schwingt sein Panier der Menschheit Bund.
Es winkt in schön’rer Zukunft Bahnen
Das rothe Kreuz auf weißem Grund.
Zu Helden spricht das Kreuz von Eisen,
Das auf dem Grab der Väter steht.
Das Volk wird ihre Thaten preisen,
So lang’ es selbst um Siege fleht;
Solang’ die Zeiten groß und stählern
Und stolz sich ein Geschlecht erhebt,
Das aus den alten Heldenmälern
Zu neuem Kampf die Schwerter gräbt.
Das Eisenkreuz der neuen Sparter
Flammt in des Ruhmes Sonnenschein;
Ein andres Kreuz, das Kreuz der Marter,
In tiefem Schatten steht’s allein;
Es hat die ew’ge Dornenkrone
Des Schmerzes Heiligthum geweiht;
Doch einen Kranz von süßem Mohne
Hängt drüber die Barmherzigkeit.
Hoch über aller Völker Fahnen
Schwingt sein Panier der Menschheit Bund.
Es winkt in schön’rer Zukunft Bahnen
Das rothe Kreuz auf weißem Grund.
Die Sterne stehn wie Grabeskerzen
Kalt an des Himmels offner Gruft,
Wenn laut der Schrei hülfloser Schmerzen
Vom blut’gen Feld der Schlachten ruft.
Das Abendroth hat freud’gen Schimmer
Und gold’nes Lächeln schmückt die Flur
Und süße Zauber webt wie immer
Die unerbittliche Natur.
Du aber pflege schwere Wunden
Und spende Trost zu jeder Zeit,
Und üb’ in schönen Weihestunden
Den reinen Dienst der Menschlichkeit,
Und trock’ne der Verwaisten Zähren,
Und lind’re der Verlass’nen Noth,
Und jeden Schmerz mögst du verklären,
Der Liebe heilig Aufgebot !
Hoch über aller Völker Fahnen
Schwingt sein Panier der Menschheit Bund.
Es winkt in schön’rer Zukunft Bahnen
Das rothe Kreuz auf weißem Grund.
Herbei, ihr Ritter des Johannes,
Ihr Jünger, die das Kreuz nicht schmückt.
Es schändet nie den Stolz des Mannes,
Wenn er zum Opferdienst sich bückt.
Herbei, ihr holden Pflegerinnen
Mit sanftem Aug’ und thät’ger Hand!
Hier gilt’s nicht Herzen zu gewinnen,
Nur Balsam für der Wunden Brand.
Und eine Last wird das Behagen,
Der Athemzug so froh und leicht,
Wenn von der Brüder schweren Tagen
Die Kunde unser Ohr erreicht.
O mögt ihr lindern, opfern, spenden,
Mit Herz und Hand, mit Hab’ und Gut!
O lernt für’s Vaterland verschwenden –
Ihr habt ja Thränen nur für Blut!
Hoch über aller Völker Fahnen
Schwingt sein Panier der Menschheit Bund.
Es winkt in schön’rer Zukunft Bahnen
Das rothe Kreuz auf weißem Grund.
Rudolf Gottschall.
Ein Abendsegen. „Nach dem großen Kampf und Triumph von Sedan,“ schreibt uns ein thüringischer Officier, „trat das vierte Armeecorps seinen Marsch nach Paris wieder an und kam zur ersten Nachtruhe in Angecourt. Unser Bataillon vom thüringischen Infanterieregiment Nr. 96 schlug sein Quartier in der Kirche auf. Die Mannschaft lagerte im Schiffe, wir Officiere in der Sacristei. Die todtmüden Krieger streckten sich zum Schlummer aus, schon als die Abenddämmerung die hohen Kirchenfenster umschleierte. Nur einzelnes Flüstern belebte noch hier und da den heiligen Raum. Die Weihe der Dämmerung ergriff die Herzen und lenkte die Sehnsucht zu den Lieben und zur Heimath. Und doch verscheuchte die Erinnerung an den blutigen Sieg, die Wehmuth über die gefallenen und verwundeten Cameraden und wieder das stolze Bewußtsein, zum Heil und Ruhm des Vaterlandes mitgefochten zu haben, uns den Schlaf aus den Augen, wir Alle hatten das Gefühl, daß uns noch etwas zum Schluß des Tages fehle.
Da erklang in die Stille der Dämmerung erst leise, dann immer kräftiger anschwellend auf der Orgel die Melodie des Liedes ‚Nun danket Alle Gott!‘ Wie aus einer Brust stimmten Alle, Officiere und Soldaten, in den heiligen Gesang ein. Und als das Spiel zu Ende war, trat der Orgelspieler hervor und hielt uns eine kurze, aber zu Herzen gehende Ansprache, die er mit einem Hoch auf das große einige Vaterland schloß. Und abermals zur Orgel sich wendend, stimmte er zum Schluß das alte protestantische Lied an: ‚Ein’ feste Burg ist unser Gott!‘ Allen, Allen war nun wohl im Gemüth, Alle dankten dem braven Sänger und Redner. Und wer war er? Ein thüringischer Schullehrer, der als Gemeiner in der elften Compagnie steht. Ihm dankte ein ganzes Bataillon diesen herrlichen Abendsegen.“
Berichtigung. In der Quittung der Nr. 35 Zeile 3 von oben soll es heißen: Extragabe des Dr. Rasch in London, bei Gelegenheit des ersten deutschen Sieges (nicht gesammelt von Dr. Rasch).
B. in Eßlingen. Die drei Portraitbilder von Camphausen: der König, Prinz Friedrich Karl und der Kronprinz, welche so allgemeinen Beifall gefunden, können leider nicht apart, am allerwenigsten aber zur Nachbildung freigegeben werden. Wünschen Sie und Ihre dortigen Freunde Separatabdrücke, so können diese nach Vereinbarung wohl geschafft werden – vorläufig aber, wo noch an einem Wiederabdruck des letzten Quartals gearbeitet wird, ist dies unmöglich.
gingen wiederum ein: A. H. in Leutersdorf 2 Thlr.; Oppenheimer in Coesfeld 1 Thlr.; von d. S. d. B. 3 Thlr. 31/3 Ngr.; Carl Lins in Cassel, Ertrag einer 2½ Ngr.-Lotterie 10 Thlr. 5½ Ngr.; Schachspieler im Café Felsche 2 Thlr.; von zwei Freundinnen aus Lindau 2 Thlr.; zehnte Sammlung des Personals von Schelter und Giesecke 23 Thlr. 22 Ngr.; siebente Wochensammlung der Klinkhardt’schen Druckerei 7 Thlr. 8 Ngr.; neunte Wochensammlung der Drugulin’schen Druckerei 2 Thlr. 12½ Ngr.; zweiter Beitrag der Deutschen in Bari (Italien) 48 Thlr.; Septemberbeitrag der Str. Exped. Vl. Bhd. Nl. Bch. 1 Thlr. 20 Ngr.; Ertrag einer Sammlung von den Schülerinnen des Steyber’schen Instituts: Sophie und Jenny Byk, Anna Letz, Clara und Helene Oehme, Louise Rosenblatt und Gisela Wittner veranstalteten Lotterie 40 Thlr. 5½ Ngr.; von August Lange, fürstl. Ingenieur in Belgrad 10 Thlr.; ein deutsch-russisches Ehepaar 10 Thlr.; zweite Sendung des Vereins in der Maddoxstreet in London durch A. W. Dornburg 102 Thlr. 7 Ngr.; Reinertrag des durch d. Lehrer J. Zeitz in Camburg veranstalteten Kirchenconcerts 61 Thlr. 20 Ngr.
Höchstes Gebot auf die Gabe der Silberbraut (siehe Quittung Nr. 36, den Schmuck der Frau Henriette Heinze in Amsterdam) von verschiedenen ungenannten Freunden in Amsterdam 100 Thlr.
Aus Oesterreich an weiteren reichen Gaben: vom Pfarrer Mich. Olert in Mühlbach 36 fl. u. vom Gymnasiallehrer Fr. Fronius daselbst 30 fl., zusammen 36 Thlr.; eine deutsche Frau in Borbereck (Siebenbürgen) für Deutschlands Heldensöhne 10 fl.; gesammelt in der sächsischen Gemeinde Bogeschdorf bei Mediasch, vom Ortspfarrer Fabini 10 fl.; von einem Theile der Studenten zu Bistritz 10 fl.; S–r in Bösing bei Preßburg 10 fl; Reinertrag eines Concerts des Musikvereins in Kronstadt 37 fl; im Freundeskreise von Süd- und Norddeutschen, sowie deutsch-österreichischen Sinnesgenossen, gesammelt durch Ch. Fiedler in Teplitz 132 fl.; von deutschen Zechern der Locomotivfabrik in Wiener-Neustadt 11 fl.; aus Schmichow von einem deutschen Mädchen 3 fl, und von ebendaselbst von E. A. aus Sachsen 5 fl.; Verein Brudergruß in Roßbach 20 fl.; vom Schützencorps in Asch, nachträglich 2 fl; von einigen Malern in Pest durch W. Diller 74 fl.; von D. Renner in Chraustowitz 5 fl., von G. Tromm daselbst 2 fl. nebst einem Sacke Leinenzeug; Jacob in Prag 2 fl. 26 kr., Dubiner daselbst 1 fl. u. A. Welschke 1 fl. 74 kr., zusammen 5 fl.; Elsa B. in Brünn 5 fl; Gesellschaftsverein Saxonia in Wien, zweiter Beitrag 18 fl.; einer braven Agnes im Voigtlande von Bertha in Hermannstadt 5 fl.; gesammelt in einem kleinen Beamtenkreise von Hermannstadt 75 fl.; aus Hermannstadt in Siebenbürgen und zwar von: Zuckerbäcker Sadler 1 Ducaten, Daniel Melzer’schen Ehepaar 2 Stück österr. Kronenthaler, aus der Sparbüchse von 3 Mädchen 5 Silbergulden, Fleischhauer Andreas Conrad 5 fl. österr. W., Joseph Henrich 2 fl. österr. W., Scharffenbach 1 Napoleond’or, Caroline Pikeli 1 Silbergulden, Kaufmann Mofert 2 Silbergulden, Tuchmacher Karl Scherer 5 fl. österr. W. und Wilhelmine von Vaida 1 Vereinsthaler; eine große Sammlung, veranstaltet durch den Gymnasialdirector Gust. Arz in Mühlbach (Siebenbürgen) 263 fl., 20 Frcs., 2 Ducaten, 2 Thlr. Silber, 5 Frcs., 5 fl. poln., 1 fl. C. M.
- ↑ Eine zweite Schilderung aus Straßburg werden wir in unserer nächsten Nummer aus der vortrefflichen Feder des bekannten Schriftstellers Venedey bringen. D. Red.
- ↑ Wir glauben an dieser Stelle doch auch manchen anderen Städten die Anerkennung schuldig zu sein, daß sie nicht weniger als Berlin für die Pflege und Sorge der ihnen anvertrauten Kranken bekümmert waren, wie denn auch Leipzig eine der oben geschilderten durchaus ähnliche Barackenstadt besitzt, welche, mit größter Opferwilligkeit aufgebaut, von Seiten unserer Sachverständigen einstimmiges Lob erfährt. D. Red.