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Die Gartenlaube (1871)/Heft 14

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1871
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[225]

No. 14.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.[WS 1]


Ein klarer Januartag lag über einer jener Städte des Mississippi, die noch vor zwei Jahrzehnten aus einem Dutzend roh gezimmerter Holzhäuser bestanden und sich im Laufe dieser Zeit mit dem schnellen Wachsthum der amerikanischen Ortschaften zu mächtigen, reich bevölkerten Handelsplätzen emporgeschwungen hatten. Die Mittagssonne fiel hell in die Fenster eines Landhauses, das, in einiger Entfernung von der Stadt gelegen, von einem Hügel die ganze Aussicht beherrschte, und sich durch die Pracht seiner Bauart und den Reichthum seiner Anlagen vor allen übrigen auszeichnete.

In dem reich ausgestatteten Parlour, dessen Einrichtung die ganze Fülle jenes Comforts zeigte, der dem reichen Amerikaner als unerläßliches Lebensbedürfniß gilt, saß eine junge Dame in eleganter Hauskleidung am Kamin. Es war ein Mädchen von vielleicht achtzehn bis zwanzig Jahren, das im vollsten Lichte des auf- und niedersinkenden Feuers, das Haupt nachdenklich auf den Arm gestützt, der Unterhaltung ihres Gegenübers zuhörte. Das dunkle Haar umgab ein Gesicht vom reinsten Oval und jenem matten, klaren Braun, welches das Antlitz bleich erscheinen läßt, die großen dunklen Augen und die mit vollendeter Regelmäßigkeit gezeichneten Züge gaben ihm unbedingt Anspruch auf Schönheit, und dennoch fehlte etwas in diesem schönen Gesicht. Es war jener Ausdruck von Heiterkeit und Unbefangenheit, der der Jugend so selten mangelt, jener Hauch von Schüchternheit, der den achtzehn Jahren fast immer eigen ist, und vor Allem jener Zug von Weichheit, den ein Frauenantlitz fast niemals ganz, und dann niemals zu seinem Vortheil, entbehrt. Es lag ein kalter Ernst in dieser ganzen Erscheinung, eine sichere Ruhe, ein unleugbares Selbstbewußtsein, und doch schien es nicht, als hätten schwere Lebensstürme oder frühzeitige bittere Erfahrungen dem jungen Mädchen jetzt schon die Errungenschaften späterer Jahre aufgezwungen; dazu war die Stirn noch zu klar, das Auge zu hell; angeboren oder anerzogen mußte dieser Ernst sein, durch den ihre Schönheit an Eindruck so mächtig gewann und an Anmuth so unendlich viel verlor.

Ihr gegenüber, gleichfalls im niedrigen Fauteuil, saß ein junger Mann in tadellosem Gesellschaftsanzuge. Es lag eine gewisse Aehnlichkeit in dem Aeußern der Beiden, die wohl nicht allein in der gleichen Farbe des Haares und der Augen ihren Grund hatte, sondern vielmehr in dem Ausdruck kalter Ruhe und selbstbewußten Stolzes, der Beiden in gleich hohem Maße eigen war; nur trat bei dem Mädchen das Alles viel bedeutender und schärfer ausgeprägt hervor, während es bei dem Manne zum Theil unter einer conventionellen Glätte und Förmlichkeit verschwand, die seiner Erscheinung, trotzdem auch sie unbedingten Anspruch auf Schönheit erheben konnte, doch eine gewisse Nüchternheit gab. In lebhafter Unterhaltung mit der jungen Dame begriffen, fuhr er in der eben begonnenen Erzählung fort.

„Mein Vater hält diese europäische Reise für nothwendig zur Vollendung meiner kaufmännischen Ausbildung, und ich füge mich seinen Wünschen um so lieber, als sie mir viel Interessantes verspricht. Ich gehe zuvörderst auf einige Monate nach New-York, wo das Interesse unseres Hauses augenblicklich eine persönliche Vertretung verlangt, und von dort im März nach Europa. Ein Jahr wird gerade hinreichend sein, um England und Frankreich, auch Deutschland kennen zu lernen, und zum Schluß eine Tour durch die Schweiz und Italien zu machen, ohne die gesehen zu haben man ja nicht zurückkehren darf. Im nächsten Frühjahr hoffe ich wieder hier zu sein.“

Die junge Dame war mit augenscheinlichem Interesse dem in kurzen Zügen entworfenen Reiseplan gefolgt; sie ließ jetzt den aufgestützten Arm sinken und blickte empor.

„In der That ein reiches Jahr, das vor Ihnen liegt, Mr. Alison! Es wird meinem Vater leid sein, daß sein Zustand ihm nicht erlaubt, Sie noch einmal vor der Abreise zu sehen.“

„Auch ich bedaure, daß Mr. Forest zu leidend ist, um meine Abschiedsgrüße persönlich zu empfangen. Darf ich Sie bitten, Miß, ihm dieselben in meinem Namen zu überbringen?“

Sie neigte leicht das Haupt. „Gewiß! Und inzwischen nehmen Sie auch von mir die besten Wünsche für eine glückliche Reise und eine frohe Wiederkehr.“

Sie reichte ihm mit ruhiger Freundlichkeit die Hand; es blitzte etwas auf bei dieser Berührung in dem Auge des jungen Mannes, er ergriff diese schöne kühle Hand und hielt sie fest.

„Miß Forest, darf ich eine Frage an Sie richten?“

Ein flüchtiges Roth glitt einen Augenblick lang über die Züge der jungen Dame, aber es verschwand ebenso schnell wieder.

„Sprechen Sie, Mr. Alison!“

Er erhob sich rasch, und ihre Hand noch immer fest in der seinigen haltend, trat er dicht an ihre Seite.

„Der Zeitpunkt ist vielleicht schlecht gewählt zu einer Erklärung; aber ich weiß zu gut, daß Miß Forest das Ziel so vieler Bestrebungen ist, die dem Abwesenden gefährlich werden können. Verzeihen Sie deshalb, Miß, wenn ich gerade jetzt von einer Neigung zu sprechen wage, die Ihnen vielleicht kein Geheimniß [226] mehr ist. Darf ich hoffen, daß meine Wünsche Erhörung finden und daß ich bei meiner Rückkehr diese Hand auf’s Neue ergreifen und festhalten darf für das Leben?“

Er hatte in ruhiger, fast geschäftsmäßiger Art begonnen; aber der Ton steigerte sich allmählich zur Wärme, es lag eine fast gewaltsam unterdrückte Bewegung darin, und jetzt hing sein Auge in brennender Unruhe an ihrem Antlitz, als wolle er darin die Antwort lesen.

Miß Forest hatte schweigend zugehört. Keine Gluth der Ueberraschung, keine mädchenhafte Verwirrung, nicht der leiseste Wechsel in ihren Zügen verrieth, ob ihr der Antrag erwünscht oder unerwünscht kam; erst als er geendet, hob sie das Auge zu ihm empor; die Ruhe desselben bildete einen seltsamen Contrast zu dem seinigen, und die Antwort kam fest und klar, ohne das geringste Zögern oder Verbergen.

„Sie haben mich offen gefragt, Mr. Alison, und so soll auch meine Antwort sein. Ich kenne die Neigung, welche Sie für mich hegen, ich erwidere sie, und wenn Sie zurückkehren, werde ich meine Hand mit vollem Vertrauen in die Ihrige legen, für eine gemeinsame Zukunft.“

Ein Strahl der Freude brach heiß mitten durch die Kälte von Alison’s Zügen, aber sofort kehrte die gemessene Ruhe seines Wesens zurück, es war, als schäme er sich dieses unwillkürlichen Aufflammens.

„Ah, Miß Jane, Sie machen mich sehr glücklich; darf ich jetzt nicht Mr. Forest –?“

„Nein!“ unterbrach sie ihn rasch. „Nicht Sie, ich selbst werde es ihm mittheilen. Ich habe überhaupt eine Bedingung zu stellen, der Sie sich fügen müssen, Mr. Alison. Ich kann nicht Braut sein am Sterbebette meines Vaters, ich kann und will ihm auch keine einzige der Stunden entziehen, die dies neue Verhältniß beanspruchen würde. Lassen Sie daher das Gesagte vorläufig noch Geheimniß bleiben, wenigstens für jeden Fremderen. Bei Ihrer Rückkehr mag es ausgesprochen werden, bis dahin aber verlangen Sie keins von den Rechten, die Ihnen mein Jawort giebt – ich kann sie Ihnen jetzt nicht gewähren, und will es auch nicht.“

Es lag wenig von der Hingebung einer Braut in diesem entschiedenen „Ich will es nicht!“ das ihm gleich in der ersten Minute entgegentrat, und Alison mochte das fühlen, eine leichte Wolke des Unmuthes verdüsterte seine Stirn.

„Das ist eine harte Bedingung, Jane! Sie werden mir doch jetzt gestatten, meine Abreise zu verschieben und Ihnen zur Seite zu bleiben, wenn ein, wie ich fürchte, unabwendbarer Schlag Sie in nächster Zeit treffen sollte?“

Sie schüttelte verneinend das Haupt. „Ich danke Ihnen, aber ich bedarf keiner Stütze. Was mir bevorsteht,“ hier zuckte es zum ersten Male während der ganzen Unterredung heftig um die Lippen des Mädchens, „werde ich zu tragen wissen, und ich trage es am besten allein. Ich fordere, daß Sie Ihre Abreise um keine Stunde verschieben, und Ihre Rückkehr um keine Woche beschleunigen. In einem Jahre sehen wir uns wieder, bis dahin muß Ihnen mein Wort genügen, wie mir das Ihre.“

Sie hatte sich erhoben und stand ihm jetzt gegenüber, mit dem Ausdruck einer so völligen Entschiedenheit, daß Alison sofort die Unmöglichkeit einsah, gegen den mit so großer Bestimmtheit kund gethanen Entschluß anzukämpfen; er sah, daß sie in der That keiner Stütze bedürftig war, und jedenfalls fand er sich nicht allzu schwer in die ihm auferlegte Nothwendigkeit.

„Ich werde Ihnen zeigen, Jane, daß ich Ihre Wünsche zu ehren weiß, selbst wenn es mir schwer fällt. Aber wenn ich auch noch keines von meinen Rechten geltend machen darf, das erste und für jetzt einzige werden Sie mir wenigstens nicht versagen.“

Jane antwortete nicht, aber sie widerstrebte auch nicht, als Alison sie in seine Arme zog und einen Kuß auf ihre Lippen drückte. Es blitzte wieder leidenschaftlich auf in seinem Auge, und er preßte sie eine Secunde lang fest an sich, aber als er die Liebkosung wärmer, heißer wiederholen wollte, machte sie sich mit einer raschen Bewegung frei.

„Genug, Henry! Erschweren wir uns den Abschied nicht unnöthig. In einem Jahre finden Sie Ihre Braut, bis dahin – Schweigen.“

Er trat zurück, doch etwas erkältet durch dies schnelle Abbrechen, und auch seine Züge nahmen wieder den kühlen, stolzen Ausdruck an, der die ihrigen nicht einen Moment lang verlassen hatte. Mr. Alison war augenscheinlich nicht gemacht, Zärtlichkeiten zu erflehen, die man ihm nicht freiwillig zugestand.

Ein Räuspern und ein nahender Tritt im Nebenzimmer veranlaßte Beide, sofort wieder die Gesellschaftshaltung anzunehmen, die junge Dame saß wie vorhin im Fauteuil und Alison ihr gegenüber, als der, welcher sich soeben bemerklich gemacht, in’s Zimmer trat. Es war ein kleiner ältlicher Mann mit ergrautem Haar und scharfen durchdringenden Augen, in denen ein unverhehlter Spott aufblitzte, als er das junge Paar so fremd nebeneinander sitzen sah.

„Der Arzt ist soeben im Begriff fortzufahren, Miß Jane; Sie wünschten ihn vorher noch zu sprechen.“

Jane erhob sich schnell. „Verzeihen Sie, Mr. Alison, ich muß zu meinem Vater. Ich werde ihn auf Ihren Besuch heute Abend vorbereiten.“

Sie reichte ihm die Hand, ein bedeutsamer Druck, ein Blick tiefen ruhigen Einverständnisses, dann schieden sie mit einem flüchtigen Gruße und Jane verließ das Zimmer.

Als die Thür des Nebengemaches sich hinter ihr geschlossen hatte, trat der zuletzt Gekommene zu Alison und legte die Hand auf seine Schulter.

„Ich gratulire!“

Der junge Mann wendete sich hastig um. „Wozu?“ fragte er scharf.

„Zur Verlobung!“

Alison zog finster die Augenbrauen zusammen. „Es scheint, Mr. Atkins, daß es Ihnen beliebt hat, zu spioniren.“

Der Genannte nahm den Vorwurf in großer Gemüthsruhe hin.

„Möglich! Aber Sie sollten doch wissen, Henry, daß ich nicht unter die ‚Fremderen‘ gehöre, denen die Sache noch geheim bleiben soll.“

Die Stirn des jungen Mannes glättete sich etwas. „Sie sind allerdings eine Ausnahme, also –“

„Also nehmen Sie meinen Glückwunsch ohne Weiteres an,“ ergänzte Atkins. „Schnell genug waren Sie übrigens Beide mit der Sache fertig! ‚Willst Du mich? Ich will Dich! Abgemacht! Ueber’s Jahr ist die Hochzeit!‘ Alles kurz, glatt, klar, ohne viel Redensarten und Sentimentalitäten, ganz im Geschmacke von Miß Jane. Unsere verstorbene Missis wäre freilich außer sich gerathen über eine solche Verlobung.“

Alison’s Lippen kräuselten sich verächtlich. „Wenn Miß Forest ihrer Mutter gliche, würde ich mich schwerlich um sie beworben haben.“

„Da haben Sie Recht!“ sagte Atkins trocken. „Mein Geschmack war sie auch nicht! Immer krank, immer zu Thränen und Scenen geneigt, voll Sentimentalität und Ueberspanntheit – eine echte Deutsche, ist auch schließlich am Heimweh gestorben. Zum Glück hat ihre Tochter nichts von all’ dem Zeuge geerbt, die ist der Vater, Zug um Zug!“

„Ich weiß es! und Mr. Forest wird schwerlich Jemand einer überflüssigen Sentimentalität beschuldigen.“

„Nein!“ sagte Atkins ruhig, „aber wie mir scheint, hat er auch sein gehöriges Theil davon besessen, zum Glück war er einsichtig genug, dies und alles Andere, was wir hier nicht brauchen können, drüben zu lassen. Als Mr. Forest vor zwanzig Jahren hier anlangte, mußten sie ihm in der Heimath wohl arg mitgespielt haben, denn er brachte einen ganz gesunden Haß gegen sein Deutschland und gegen Alles, was damit zusammenhing, mit herüber. Er warf denn auch den ganzen Erinnerungskram mit aller Energie hinter sich, amerikanisirte sogar seinen Namen – Sie wissen doch, daß er früher Förster hieß – und als unsere Colonie sich ausdehnte, und die Deutschen natürlich wieder zusammenhielten wie die Kletten, ging er ihnen gründlich aus dem Wege und hielt sich zu den Amerikanern. Das aber ertrug nun wieder die Frau nicht, die sich an das Leben hier nie gewöhnen konnte; es gab Streit und Bitterkeit ohne Ende, und als das Kind heranwuchs, wurde die Sache noch schlimmer. Der Vater wollte sie zur Amerikanerin erziehen, und er setzte denn auch seinen Willen durch, zumal Miß Jane sich bald genug mit aller Entschiedenheit auf seine Seite stellte; das brach nun aber der Mutter vollends das Herz. Wir haben oft genug arge Scenen gehabt, sage ich Ihnen; es wurde erst Ruhe, als Mrs. Forest dem Heimweh erlag; aber wie die Sachen jetzt stehen, fürchte ich, er wird sie nicht lange überleben.“

[227] Die Stimme des Sprechenden war bei den letzten Worten aus ihrem spöttischen Tone unwillkürlich zum Ernst übergegangen, Alison, der schweigend zugehört, nahm jetzt seinen Hut vom Tische.

„Sie haben es gehört, ich darf meine Abreise nicht verschieben, es rufen mich auch in der That dringende Geschäfte nach Newyork. Wenn der Fall eintritt, den wir erwarten müssen, so stehen ja Sie Miß Forest zur Seite. Wenn jedoch,“ hier machte sich Alison mit dem Zuknöpfen seiner Handschuhe zu thun, „wenn sich in Bezug auf das Ordnen des Nachlasses oder sonst irgend wie Schwierigkeiten herausstellen sollten, so wird mein Vater gern bereit sein, mit seinem vollen Einfluß und seiner ganzen Geschäftskenntniß einzutreten. Es dürfte wohl überhaupt gerathen scheinen, daß er den Interessen der künftigen Tochter nicht fremd bleibt, da ich durch meine Reise verhindert werde, sie kennen zu lernen.“

Derselbe Spott wie vorhin blitzte wieder in Atkins’ Augen, als er sarkastisch erwiderte: „Ich danke verbindlichst für das Anerbieten, aber das Vermögen bleibt laut Testament in meinen Händen, und folglich wird es sich auch in vollkommener Ordnung befinden. Sie und Ihr Vater werden sich wohl noch ein Jahr lang gedulden müssen, so lange, bis Miß Jane Ihnen die Mitgift selbst in’s Haus bringt. Inzwischen kann ich Ihnen jedoch die Beruhigung geben, daß Mr. Forest in der That sehr reich ist, reicher sogar, als Sie ihn schätzen – und um das war es Ihnen bei dem gewünschten Einblick in unsere Verhältnisse doch wohl hauptsächlich zu thun.“

Alison machte eine heftige Bewegung. „Mr. Atkins, Sie sind bisweilen ganz entsetzlich rücksichtslos!“

„Weshalb?“ fragte dieser in unzerstörbarer Ruhe. „Nehmen Sie das als einen Vorwurf? oder meinen Sie, ich könnte Ihnen im Ernst die Thorheit zutrauen, eine junge Lady ohne Vermögen zu heirathen, jetzt, wo der großartige Aufschwung Ihres Handlungshauses und die Verbindungen, die Sie in Europa anknüpfen wollen, Ihnen das Capital doppelt nothwendig macht? Nein, Henry, da hege ich denn doch eine zu hohe Meinung von Ihnen, um Sie dieser unpraktischen Romantik für fähig zu halten.“

Alison wandte sich um und sah ihn forschend an. „Ich habe allerdings als Theilnehmer und dereinstiger Chef unseres Hauses selbst bei der Wahl einer Gattin Rücksicht zu nehmen, aber ich gebe Ihnen mein Wort, wenn das Vermögen Miß Forest’s nur einigermaßen meinen Erwartungen entspricht, so ziehe ich sie unbedingt jeder reicheren Erbin vor.“

Atkins lachte. „Das glaube ich Ihnen ohne Schwur, Henry! Sie haben ziemlich arg Feuer gefangen, mich soll nur wundern, ob Sie es auch aus unserer schönen kalten Miß hervorlocken werden, bis jetzt ist sie noch etwas kühl. Nun, das wird sich geben; jedenfalls ist es ein Glück, wenn der Kaufmann und der Liebhaber nicht in Conflict gerathen, und hier ergänzen sie sich vollständig. Noch einmal, ich gratulire Ihnen dazu.“ –

Jane hatte, als sie die Beiden verließ, rasch mehrere Zimmer durchschritten, und betrat nun ein halbdunkles, ebenfalls reich sind prachtvoll ausgestattetes Schlafgemach. Ueber den Teppich hingleitend näherte sie sich dem Bette und schlug die schweren Vorhänge desselben zurück.

Jetzt zeigte es sich, woher jener seltsame Zug in dem Antlitz des jungen Mädchens stammte, der es denen ihrer Altersgenossinnen so unähnlich machte; der finstere Ernst, die kalte Festigkeit, der energische Stolz, das Alles fand sich, unverwischt und ungemildert durch die Spuren der Krankheit, in dem Gesicht des Mannes wieder, der hier auf den Kissen lag. Er wendete langsam das Haupt nach der Tochter, die sich über ihn beugte.

„Man hat mir den Arzt erst jetzt gemeldet, er war allein bei Dir, und ich wollte doch zugegen sein. Hattest Du das so befohlen, mein Vater?“

„Ja, mein Kind! Ich wollte einen Ausspruch von ihm hören, den er mir in Deiner Gegenwart schwerlich so unumwunden gegeben hätte. Ich weiß jetzt, daß ich nur noch Tage zu leben habe.“

Jane war an dem Bette auf die Kniee gesunken und drückte ihr Haupt in die Kissen, sie antwortete nicht, aber ihr ganzer Körper bebte in einem gewaltsam zurückgedrängten, thränenlosen Schluchzen. Der Kranke blickte auf sie nieder.

„Sei ruhig, Jane! Dich kann der Ausspruch so wenig überraschen, wie mich, wenn wir Beide auch vielleicht auf eine längere Frist hofften. Es muß sein, und Du wirst mir die Nothwendigkeit des Scheidens nicht durch Thränen erschweren wollen.“

„Nein!“ Sie richtete sich plötzlich auf und blickte den Vater an, der Schmerz war mit vollendeter Selbstbeherrschung unterdrückt, kaum daß ihre Lippen noch zuckten; der Kranke lächelte, aber es lag etwas wie eine leise Bitterkeit in diesem Lächeln, vielleicht hätte er es lieber gesehen, wenn sie nicht so schnell hätte gehorchen können.

„Ich habe mit Dir zu sprechen, mein Kind, und ich weiß nicht, wie viel ruhige, schmerzfreie Stunden mir noch beschieden sein werden. Komm näher zu mir und höre mich an.“

Jane gehorchte, sie nahm an der Seite des Bettes Platz und wartete schweigend.

„Ich kann Dich ruhig zurücklassen, denn ich weiß, daß Du trotz Deiner Jugend keiner Stütze und keines Vormundes bedarfst. Was die äußeren Angelegenheiten betrifft, so hast Du Atkins zur Seite; seine sarkastische, ewig spottende Natur ist mir nie sympathisch gewesen, seine Redlichkeit und Anhänglichkeit aber habe ich in einem fast zwanzigjährigen Zusammenleben erprobt. Du weißt, daß er längst ein eigenes Vermögen gesammelt hat und es dennoch vorzog, in unserem Hause zu bleiben, er wird auch Dir zur Seite bleiben, bis Du in den Arm eines Gatten übergehst, was vielleicht bald –“

„Mein Vater!“ unterbrach ihn Jane ruhig, „ich habe Dir eine Mittheilung zu machen, Du weißt, daß Mr. Alison bei mir war – er hat um meine Hand gebeten.“

Der Kranke richtete sich mit dem Ausdruck lebhafter Spannung empor.

„Und Du?“

„Ich habe sie ihm zugesagt.“

„So?“ Forest sank wieder in die Kissen zurück, er schwieg.

Befremdet beugte sich Jane über ihn. „Bist Du damit nicht einverstanden? Ich glaubte Deiner Billigung im voraus gewiß zu sein.“

„Du weißt, Jane, daß ich Dich in der Wahl Deines Gatten weder beschränken noch beeinflussen werde. Es ist Deine Zukunft, und ich bin überzeugt, Du hast nicht ohne ernste Ueberlegung darüber entschieden.“

„Nein! Der Antrag kam mir nicht unerwartet. Ich habe unbedingtes Vertrauen zu Mr. Alison’s Charakter und zu seiner Zukunft, seine Familie gehört zu den ersten der Stadt, seine Lebensstellung ist glänzend, und ich bin gewiß, daß sein kaufmännisches Genie ihm später eine bedeutende Rolle in der Handelswelt ertheilen wird. Scheint Dir das nicht hinreichend, mein Vater?“

„Mir? Wenn es Dir genug ist!“

Jane richtete ihre dunklen Augen mit dem Ausdruck des Erstaunens auf den Vater, was sollte denn sonst noch von einer Ehe zu fordern sein? Forest lächelte wieder, mit derselben Bitterkeit wie vorhin.

„Du hast Recht, Jane, vollkommen Recht! Ich dachte nur an meine eigene Brautwerbung und an das Jawort Deiner Mutter. Gleichviel! Mr. Alison besitzt in der That alle die Eigenschaften, die Du genannt, Du bist ihm darin mehr als ebenbürtig, Ihr werdet sehr – zufrieden miteinander sein.“

„Ich hoffe es!“ und Jane begann jetzt, dem Vater die Bedingung mitzutheilen, die sie ihrem Verlobten auferlegt, und die Frist, welche sie ihm gestellt hatte. Forest folgte mit lebhafter Aufmerksamkeit ihren Worten.

„Das ist mir lieb! Du kamst, ohne es zu wissen, meinen Wünschen entgegen mit diesem Entschluß, denn auch ich habe Dir eine Bedingung aufzuerlegen. Was würdest Du sagen, wenn ich von Dir verlangte, dies Jahr, in welchem Du noch frei bist, in Deutschland bei unseren dortigen Verwandten zuzubringen?“

Mit dem Ausdruck peinlichster Ueberraschung erhob sich die junge Dame von ihrem Sitze. „In Deutschland? Ich!“

„Ja, Du liebst Deutschland nicht?“

„Nein!“ sagte Jane kalt, „so wenig wie Du, mein Vater. Ich liebe das Land nicht, das Deine Jugend vernichtete, Dein Leben verbitterte sind Dich zuletzt ausstieß, wie einen Verbrecher. Ich habe es der Mutter nie verzeihen können, daß sie ohne Verständniß für Alles, was Du dort gelitten, immer nur daran hing, und Dich und sich grenzenlos unglücklich machte mit diesem unvertilgbaren Heimweh.“

[228] „Schweig, Jane!“ unterbrach sie Forest heftig. „Das sind Dinge, die Du nicht verstehst und nie verstehen lernst! Ich habe bei Deiner Mutter kein Verständniß gefunden, das weiß ich, sie hat mich unglücklich gemacht, ja! und dennoch hat sie mir Stunden des Glückes gegeben, die Du Deinem Gatten nie geben wirst – nie, Jane! Freilich, Mr. Alison wird ihrer auch nicht bedürfen.“

Jane schwieg, sie war es bereits gewohnt, den Vater in der Krankheit seltsam reizbar und bisweilen ganz unbegreiflich zu finden. Mit der Schonung, die man einem Kranken schuldet, ertrug sie auch jetzt diesen heftigen Ausbruch und nahm schweigend ihren Platz am Bette wieder ein.

Nach einigen Minuten wendete sich Forest wieder zu ihr. „Verzeih’ mir, Kind!“ sagte er dann milder, „ich war ungerecht. Du bist geworden, wie ich Dich erzog, wie ich Dich haben wollte, und ich bereue noch jetzt nicht, Dir diese Richtung gegeben zu haben. Du wirst den Kampf mit dem Leben besser bestehen, als Deine schwache, zarte Mutter. Laß das ruhen, es war ja etwas Anderes, was Du von mir hören solltest – Weißt, Du, daß Du einen Bruder hattest?“

Jane schreckte empor, ihr Auge heftete sich in fragender Spannung auf den Vater.

„Als Kind habe ich bisweilen davon gehört, aber später sprach man nie wieder davon zu mir. Er ist todt?“

Ein schwerer Seufzer hob Forest’s Brust. „Vielleicht! Vielleicht auch nicht! Wir haben nie Gewißheit darüber erlangen können. Ich verbot schließlich, seinen Namen zu nennen, weil Deine Mutter der Erinnerung zu erliegen drohte, vergessen hat sie ihn dennoch nie.“

Mit athemlosem Interesse beugte sich Jane näher über den Vater, er faßte ihre Hand und behielt sie in der seinigen.

„Du bist nicht fremd in der neuesten Geschichte Deines Geburtslandes, Jane, Du kennst die Bewegung, welche im Anfange der dreißiger Jahre ganz Deutschland und zumal die deutschen Hochschulen ergriff. Ich studirte gerade damals, und der zwanzigjährige Jüngling flammte auch auf, wie so viele seiner Gefährten, für die Idee der Freiheit und Größe seines Vaterlandes. Der Staat antwortete uns auf dies Verbrechen mit dem Todesurtheil, das bei mir, im Wege der Gnade, auf ‚dreißig Jahre Festung‘ umgewandelt ward. Sieben davon habe ich ertragen müssen, wie, das hast Du oft genug von mir gehört, ich mag die Erinnerung daran heut nicht wieder wach rufen. Ihr Gutes haben selbst diese Jahre gewirkt, sie machten den Jugendträumen und Jugendidealen ein Ende für alle Zeit, und als endlich die Amnestie kam, da war im eisernen Druck des Kerkers, in endlosen Demüthigungen, im glühenden Hasse der Mann gereift, der den Kampf mit dem Leben und dem Elend besser aufzunehmen und zäher auszuhalten wußte, als der zwanzigjährige Träumer.“

Forest schwieg einen Augenblick, aber die harte wilde Bitterkeit, welche jetzt in seinen Zügen lag, und die sich fast noch herber in Jane’s Antlitz widerspiegelte, zeigte, daß ihr diese Erinnerungen nicht fremd waren, und daß die Tochter darin von jeher die Vertraute des Vaters gewesen war.

Nach einer kurzen Pause begann dieser von Neuem: „Kaum war ich frei, so beging ich die Thorheit zu heirathen. Es war ein Wahnsinn in meiner Lage, aber ich hatte mich bereits auf der Universität mit Deiner Mutter verlobt, sie hatte Jahre lang meiner geharrt, eine glänzende Lebensstellung ausgeschlagen um meinetwillen, und jetzt stand sie allein und verlassen da, als Waise, der Gnade und Härte Fremder preisgegeben, das konnte ich nicht ertragen, eher wagte ich Alles. Wir wurden getraut, und ein Jahr darauf ward Dein Bruder geboren. Dir,“ hier streifte ein langer, fast schmerzlicher Blick das schöne Antlitz der Tochter, „Dir glich er nicht, Jane. Er war blond und blauäugig wie seine Mutter, aber eine reine Freude vermochte auch sein Besitz mir nicht zu geben. Die ersten acht Jahre meiner Ehe waren die dunkelsten meines Lebens, furchtbarer als selbst die Zeit auf der Festung. Dort stand und litt ich wenigstens allein, hier galt es für Weib und Kind und mit ihnen den Kampf gegen das Elend, das mit all’ seinen Schrecken herandrohte. Meine Laufbahn war natürlich vernichtet, meine Verbindungen zerrissen! was ich auch begann, was ich unternahm, dem Demagogen schlossen sich alle Thüren, entzog sich jeder Erwerb. Ich habe damals meine beste Kraft eingesetzt, und im Ringen um das tägliche Brod das Aeußerste gethan, und doch genügte selbst dies Aeußerste nicht immer, die Meinigen vor dem Mangel zu schützen. Wir wären ihm vielleicht erlegen, da kam das Jahr Achtundvierzig, und da zeigte es sich, daß der alte Träumer noch immer nicht gelernt hatte, mit seinen Idealen abzurechnen. Er ließ sich wieder verlocken, er folgte zum zweiten Male dem Sirenengesang, um auf’s Neue am Felsen zu scheitern. Ich brachte Weib und Kind bei Verwandten in Sicherheit, und warf mich mitten in den Strom der Bewegung. Du weißt, wie sie endigte! Unser Parlament ward gesprengt, der Kampf in Baden brach aus, ich war einer der Führer der Revolutionsarmee, wir wurden geschlagen, vernichtet. Hatte ein günstiges Geschick mich das erste Mal vor dem Aeußersten bewahrt – jetzt war ich vogelfrei! Aber ich wollte nicht wieder, und diesmal vielleicht für immer, dein Kerker verfallen, ich wollte die Meinen nicht rettungslos dem Untergange preisgeben, deshalb beschlossen wir die Flucht nach Amerika. Mein Schwager streckte mir die dazu nöthige Summe vor, vielleicht aus gutem Herzen, vielleicht auch, um den berüchtigten Demagogen, die Schande der Familie, endlich los zu werden. Es galt Vorsicht, denn schon ward eine Hetzjagd auf uns veranstaltet, durch ganz Deutschland.

Verkleidet, unter fremdem Namen gelangte ich nach Hamburg, wo meine Frau mit den Kindern mich erwartete. Du warst mir während der letzten Monate geboren worden. Armes Kind, es war eine böse Stunde, in der ich Dich zum ersten Male an’s Herz drückte! Mit dem ersten Kuß des Vaters fiel auch die Thräne glühenden Hasses, bitterer Verzweiflung auf Dein kleines Gesicht – ich fürchte, sie hat einen Schatten auf Dein ganzes Leben geworfen, ich habe Dich nie unbefangen froh wie andere Kinder gesehen. Wir gingen erst kurz vor der Abfahrt an Bord, getrennt, um kein Aufsehen zu erregen. Deine Mutter, Dich auf dem Arme tragend, schritt voran, ich folgte in einiger Entfernung, meinen Knaben an der Hand. Da erblickte ich unmittelbar an der Schiffstreppe ein unheilvolles Gesicht; der Späher kannte mich, wie ich ihn; wenn er mich erblickte, war ich verrathen. Rasch entschlossen befahl ich dem Knaben, der Mutter zu folgen, er war alt genug, und er sah sie noch vor sich – ich selbst warf mich in das dichteste Gewühl des Hafens. Eine Stunde später war der Spion verschwunden und es glückte mir, unbemerkt an Bord zu gelangen. Meine Frau, auf eine mögliche Verspätung meinerseits vorbereitet, eilt mir entgegen, ihre erste Frage ist nach dem Kinde, in wenigen schreckensvollen Worten verständigen wir uns, es ist ihr nicht gefolgt, es muß noch am Lande sein. In Todesangst eile ich zurück, ohne die drohende Gefahr zu achten, ich frage und suche den ganzen Hafen auf und nieder, Niemand hat den Knaben gesehen, Niemand vermag mir Auskunft zu geben. Daß ich damals, trotz meiner Aufregung, der Entdeckung entging, daß der Späher gerade in jener Stunde fern war, habe ich später als ein halbes Wunder ansehen lernen, in jenem Augenblick dachte ich kaum daran. Das Signal zur Abfahrt ertönte; wenn ich blieb, war ich verloren, und Weib und Kind schwammen verlassen und hülflos auf dem weiten Ocean einem fremden Welttheil entgegen. Die Wahl war schrecklich, aber kurz! Wie ich das Schiff betrat ohne mein Kind, wie ich die Küste schwinden sah, an der es allein zurückblieb, Allem preisgegeben – nun, die Heimath ließ mich in dem Moment, wo ich mich auf ewig von ihr losriß, noch einmal die Bitterkeit eines ganzen Lebens auskosten, er drückte das Siegel auf unser Scheiden und auf die Erinnerung.

Noch am Tage der Landung in New-York schrieb ich an den Bruder meiner Frau, aber es waren bereits Wochen vergangen, ehe der Brief abging, es vergingen noch Wochen, ehe er anlangte. Mein Schwager nahm sich der Nachforschungen mit warmem Eifer und redlicher Theilnahme an, er reiste selbst nach Hamburg, er that alle möglichen Schritte – umsonst, auch nicht die kleinste Spur wurde aufgefunden, unser Kind war und blieb verschwunden.“

Forest schwieg, er athmete schwer und tief, aber Jane, in leidenschaftlicher Spannung vorgebeugt, dachte nicht daran, eine Aufregung zu hindern, die ihm gefährlich, vielleicht tödtlich werden konnte, dergleichen rücksichtsvolle Zärtlichkeiten lagen nicht in dem Verhältniß zwischen Vater und Tochter. Sie hatte ein Geheimniß zu hören, ein Vermächtniß zu empfangen, und wenn er darüber zu Grunde ging, das hielt ihn so wenig ab, das Nothwendige auszusprechen, als sie, es zu hören, es mußte nun einmal geschehen. Nach einer kurzen Pause der Erholung fuhr er wieder fort.

(Fortsetzung folgt.)
[229]

Die heimliche Feldpost.
Originalzeichnung von Bernh. Woltze.

[230]
Vorposten-Gepäck.
Skizze von Fr. Gerstäcker.

Wenn man aus unseren geordneten Verhältnissen heraus plötzlich in das wilde Kriegsleben Frankreichs eintritt und nun nichts als Zerstörung und Wüsteneien sieht, wo früher der häusliche Herd glücklicher Menschen gestanden, da dreht sich Einem manchmal das Herz um und man fragt sich: mußte denn das Alles sein? konnte nicht das Nämliche erreicht werden ohne diese muthwillige Verwüstung aller Orten?

Ich glaube ja, aber – was da ist, hat auch eine Berechtigung zu sein, und betrachten wir das große Ganze, so wissen wir noch gar nicht, ob es nicht auch eben wieder seinen Zweck hat und ihn erfüllt.

Unsere Soldaten sind keine Engel, sondern auch nur Menschen wie alle übrigen, und daß sie im Lande der Nation, die uns zu diesem Kriege förmlich gezwungen, nicht überall glimpflich verfuhren, kann man allerdings vom humanen Standpunkt aus bedauern, braucht sich aber wahrhaftig nicht darüber zu verwundern oder gar Zeter darüber zu schreien. Es hätte Manches unterbleiben können, da es nun aber einmal geschehen und nicht mehr zu ändern ist, so kann man sich auch nicht verhehlen, daß es für die Zukunft vielleicht noch selbst manches Gute hat.

Die Herren in und um Paris herum werden sich, mit diesen unvermeidlichen Folgen eines jeden Krieges vor Augen, auch so viel länger daran erinnern, was es eigentlich heißt, ihren sonst wohl gemüthlichen und ruhigen Nachbar verächtlich zu behandeln und mit ihm sogar einen Streit vom Zaune zu brechen. Diese Cassagnacs, Girardins, Victor Hugos, Gramonts und wie die Schreier und Maulhelden alle heißen, die bis jetzt nur französische Siege in fremden Ländern registrirten, und auf Kosten dieser ihre Gloire aufspeicherten, können jetzt aus eigener Anschauung sehen, was es heißt, in blindem Wahnsinn ein Volk gegen das andere zu hetzen, und die Jahrzehnte, die Frankreich jetzt daran zu arbeiten hat, um den erlittenen Schaden wieder – und wenn auch nur einigermaßen – auszumerzen, werden ihm eine sehr nützliche Warnung für die Zukunft sein und Europa ferner vor Ueberfällen von dieser unruhigen Seite her bewahren.

Und was hat das Alles mit „Vorpostengepäck“ zu thun? – Alles eben, denn gerade dies Vorpostengepäck, das ich dem Leser gleich näher beschreiben werde, zwingt uns unwillkürlich solche Gedanken auf, denn unbedeutend ist es wahrlich nicht.

Jeder, der den Kriegsschauplatz besucht hat, bestätigt, daß in den Städten und Ortschaften, in welchen die Einwohner ruhig in ihren Häusern blieben, diesen allerdings schwere Einquartierungslast als unvermeidlich auferlegt, ihr Eigenthum aber, soweit es Geld, Werthsachen, Möbel und Hausgeräthe betraf, auch stets geschont wurde, ja daß man die Aermeren sogar noch mit von dem ernährte, was die Soldaten als Rationen bekamen. Leider aber war die Bevölkerung Frankreichs durch die gewissenlosen Pariser Zeitungsschreier so mit Lügen und Schreckensberichten über die deutschen Barbaren erfüllt worden, daß sie beim Nahen des gefüchteten Feindes lieber mit Weib und Kindern flohen und Alles im Stich ließen, um nur nicht den entsetzlichen Prussiens in die Hände zu fallen und von ihnen gemißhandelt, vielleicht gar ermordet zu werden.

Das Resultat blieb, daß die einziehenden Truppen fast ausschließlich vollkommen unbewohnte, oft sogar törichter Weise verschlossene Häuser vorfanden, und dann auf ihre eigene, nicht sehr zarte Art zu wirthschaften anfingen.

Rohes Volk giebt es überall, manchmal waren sie auch wohl durch den heimtückischen Widerstand, den sie durch Franctireurs erfahren, durch Ermordung Einzelner aus der Truppe, durch Verrath und Hinterlist gereizt, und ließen es dann die Stätten entgelten, die früher ihren Feinden Schutz geboten. Rückten sie dann weiter, so ließen sie eine Wüste mit leeren Mauern hinter sich, und die nachfolgenden Cameraden mochten selber sehen, wie sie sich unterbrachten – allerdings ein nicht leichtes Unternehmen, als besonders das Wetter kalt wurde und die muthwillig zerschlagenen Fensterscheiben und verbrannten Thüren keinen Schutz mehr gegen die eisigen Winde boten.

Von da an wurden die Herren ein wenig vorsichtiger, und wo sie – was ja doch fortwährend geschah – wieder in neue, noch nicht von der Kriegsfurie erreichte Stellungen vorrückten, sahen sie mehr auf ihren persönlichen Comfort, als daß sie sich einfach der Zerstörungswuth hingegeben hätten, was freilich schließlich den fernen Eigenthümern wieder nicht zum Vortheil gereichte.

Besonders in der Cernirungslinie um Paris wechselten die Truppenaufstellungen sehr häufig und ganze Bataillone wie einzelne Compagnien zogen bald da, bald dorthin, theils um Stellungen zu verstärken, die man besonders gefährdet wußte, theils auch um von angestrengtem Vorpostendienst abgelöst und durch frische Mannschaften ersetzt zu werden.

Da traf es sich denn manchmal, daß solche Abtheilungen, die ziemlich behagliche Quartiere verlassen hatten, in vollkommen öde und ausgeräumte Nester einziehen mußten, und dort weder Matratzen noch Tische oder Stühle, ja nicht einmal einen Teller oder eine Tasse vorfanden. Das aber behagte ihnen nicht; sie waren gewissermaßen schon verwöhnt worden und fingen jetzt an, für ihre eigene Bequemlichkeit zu sorgen.

Was sie nämlich an Möbels oder sonstigem Hausgeräth besaßen, ließen sie nicht mehr zurück, vielmehr suchten sie es von nun an mitzunehmen ja, sie vervollständigten auch ihre „Einrichtung“ aus anderen, nicht besetzten Gebäuden, soweit sie sich im Bereich derselben befanden.

Vor ihnen lag z. B. ein Dorf oder ein Städtchen, das vom Feinde geräumt, von den Unseren aber noch nicht besetzt war und in das, um unser Einrücken zu verhindern die französischen Granaten einschlugen und den Ort in Brand zu setzen und zu zerstören suchten. Das hat aber in Frankreich insofern seine Schwierigkeiten, als die Häuser dort – selbst die der Dörfer – fast durchschnittlich aus solidem Mauerwerk bestehen und eben nicht brennen. Man kann zuweilen das innere Material durch Feuer zerstören – aber auch nicht immer; die Mauern bieten dazu keineswegs die Hand, und im günstigsten Falle zertrümmern die Granaten das Dach und reißen die Wände auseinander.

Möbels bleiben in solchen Fällen noch immer hier und da zurück, und unsere Truppen gingen dann insofern auf den Fang aus, daß sie sich eben Abends in das Granatfeuer hineinwagten und für sich „retteten“ und „rollten“, was eben zu retten und zu rollen war.[1]

Blieben unsere Soldaten nun längere Zeit in einem solchen Ort und bekamen Gelegenheit, sich mit Stahlfedermatratzen, Fauteuils, Stühlen, Betten etc. behaglich einzurichten so dachten sie auch natürlich gar nicht daran, alle die Gegenstände, die sie sich hier mühselig „erworben“ hatten, den neu Einziehenden als gute und willkommene Beute zurückzulassen und nachher in ihrem neuen Aufenthaltsort wieder mit leeren Wänden zu beginnen. Vielmehr wurden Wagen und Pferde requirirt, wo sie nur möglicher Weise zu beschaffen waren (und die Officiere sorgten selber mit dafür), und jetzt begannen die betreffenden Compagnien aufzuladen, was eben nicht niet- und nagelfest war – ja, selbst das wurde zuweilen losgerissen und aufgepackt, wie man denn z. B. nie einen Ofen mit seinen Röhren zurückließ.

Als ich von Le Vert galant nach Margency fuhr, traf ich in Montmorency auf eine solche ausziehende Colonne, die näher zu den vorgeschobenen Batterien rücken sollte, oder auch sonst vielleicht andere Verwendung gefunden haben mochte, und etwas Pittoreskeres ließ sich wirklich kaum denken.

Den Soldaten selber war ich kurz vorher begegnet, hatte aber auf ihre Zahl nicht besonders geachtet, und erfuhr erst später, daß es nur zwei Compagnien – nicht einmal ein volles Bataillon, wie ich zuerst geglaubt – gewesen sei. Unmittelbar hinter ihnen [231] aber, und kaum eine Viertelstunde entfernt, folgte die Wagencolonne, und wenn eine ganze Ortschaft ausgewandert wäre, hätte sie nicht mehr Gepäck (und zwar Alles anderen Leuten zugehörig) haben können.

Im Ganzen zählte ich zwanzig mit Pferden bespannte größere und kleinere Wagen, aber doch meistens Zweispänner, von denen manche zwei bis drei Stahlfedermatratzen, keiner aber weniger als eine, mitführten, und was für ein buntes Gemisch von Dingen war dann außerdem aufgepackt! Fein gepolsterte und überzogene Fauteuils, Mahagonitische und Tische aus weißem Tannenholz, kostbar geschnitzte Stühle, eiserne Oefen und Ofenrohre, die Gott weiß woher requrirt worden, eiserne Töpfe und Porcellangeschirr, Federbetten und Roßhaarmatratzen; Spiegel sogar und Fenstergardinen, wenn man diese auch zu anderweitigen Zwecken verwandte; Schütten Stroh (d. h. volle Weizengarben) und wollene Decken oder Ueberzüge – mit einem Wort den buntesten Mischmasch, den man sich auf der Welt nur denken kann. Eine Anzahl von Handkarren, die Männer in blauen Blousen zogen, bildeten dazu den Nachtrab, und einzelne Soldaten gingen als Wache nebenher.

Der Verdacht lag nämlich ziemlich nahe, daß die französischen Fuhrleute sich kaum ein Gewissen daraus gemacht haben würden, einen Theil dieses noch entschieden französischen Eigenthums auch irgendwo anders abzusetzen, und der richtige Herr desselben hätte sich nachher schwer legitimiren können. Das aber gab dem ganzen Zug eine besonders bunte Färbung, daß jeder Wagen wenigstens zwei Hunde angebunden mitführte, während die Wachen noch selber einzelne an der Leine hatten. – Die französischen Hunde sind überhaupt in dem ganzen Kriege, und völlig unschuldiger Weise, am schlechtesten weggekommen, denn in Paris selber wurden sie einfach geschlachtet und verzehrt, während man sie in den bis jetzt besetzten Departements, wo man ihrer nur habhaft werden konnte, annectirte.

Hund schien dabei Hund; vom edelsten Pointer bis zum verachtungswürdigsten Spitz herunter hatte Jeder seinen Liebhaber und seinen Strick gefunden, und wenn sich auch manche gutwillig in ihr Schicksal fügten und geduldig neben ihrem neuen Herrn oder dessen Burschen einhertrotteten, so protestirten doch andere wieder ganz entschieden gegen das unbequeme deutsche Halsband, suchten den Kopf rückwärts durch die Schlinge zu ziehen – genau so, wie es die französischen Generale gemacht hatten – und zeigten auf jede mögliche Art und Weise ihre Unzufriedenheit mit der jetzigen Behandlung. Aber es half ihnen Nichts, denn die Soldaten lassen, was sie einmal haben, nicht so leicht wieder los, und nur einmal war ich Zeuge, daß ein solcher einen Hund, den er an einem ledernen Riemen führte, wieder herausgeben mußte – aber freilich auch nicht an seinen richtigen französischen Herrn.

Als die Truppen in St. Denis einrückten, führten sie, wie gewöhnlich, ebenfalls eine Anzahl Hunde mit, und ein Soldat hielt einen prachtvollen braunen Jagdhund an der Leine, als er von einem höheren Officier eines anderen Regiments erspäht wurde, der wie ein Wetter auf ihn zufuhr.

„Halt, mein Bursch! Wo hast Du den Hund her? Der gehört mir.“

„Von meinem Herrn Lieutenant,“ stotterte der Bursch verlegen, der Majorsuniform gegenüber.

„Dann sag’ Du nur Deinem Herrn Lieutenant,“ erwiderte da der ältere Herr, „daß der Major sein Eigenthum reclamirt hat,“ und damit ließ er ohne Weiteres den Hund frei, der den Major allerdings – wer weiß seit wie lange erst! – kannte und mit augenscheinlicher Freude an diesem emporsprang.

Der Herr Lieutenant aber war entschieden um seinen Hund. Wohin nun diese zwei Compagnien jetzt auch kamen, so richteten sie sich dort, und wenn sie vollkommen leere Häuser vorfanden, doch mit ihren Betten und Meubeln behaglich ein, und die nach ihnen ihre behaglichen Quartiere bezogen, mochten sich ebenso versehen oder sonst zuschauen, wo sie etwas herbekamen, denn dafür sorgte die wenn auch noch so umsichtige Militärverwaltung nicht.

Das ist nun auch Alles ganz gut, und im Kriege mag es gehen und läßt sich eben nicht ändern; weshalb wollten die Franzosen nicht mit uns in Frieden leben! Wie wird das aber jetzt nach einmal erst abgeschlossenem Frieden, und welche Heidenverwirrung ist dann, neben den zerstörten Wohngebäuden, unter dem beweglichen Besitzthum der verschiedenen Landbewohner angerichtet!

Mancher freilich, der vielleicht, als er fortlief, einen Strohsack und ein paar tannene Tische und Bänke zurückließ, findet in seinem Schlafzimmer Stahlfedermatratzen und in der Stube mit Plüsch überzogene Meubeln (wenn auch von verschiedenen Farben.), aber im Ganzen haben sich die Betten, Sophas und Fauteuils doch so über die verschiedenen Ortschaften zerstreut, ja stehen sogar manchmal draußen in einer bombenfesten Hütte neben den Batterien bis an die Kniee im Schlamm, daß es rein unmöglich sein würde, auch nur das Ameublement einer einzigen Stube wieder zusammenzutragen, denn Meilen liegen oft zwischen den einzelnen Theilen. Zufällig mag Mancher in einer ganz andern Ortschaft auf sein eigenes Sopha oder auf seine eigene Matratze zu liegen kommen, aber wie will er beweisen, daß es sein Eigenthum ist – ja wird er es in dem jetzigen Zustande, mit Schmutz bedeckt und von Stiefeln und Sporen arg heimgesucht, nur überhaupt wiedererkennen?

Aber was kümmert das unser leichtherziges Soldatenvolk, das Strapazen und schlechtem Wetter hat genug trotzen müssen, um es sich auch einmal, wo es das irgend haben konnte, bequem zu machen! Und ist es doch Thatsache, daß sie weder Betten noch Hausgeräth je aus einer Wohnung mitgenommen haben, die von ihren Bewohnern nicht verlassen worden. Fanden sie dort Wein oder Lebensmittel, so war das freilich eine andere Sache, aber sämmtliche verlassene Gebäude wurden dagegen von vornherein für vogelfrei erklärt, und wenn wir noch einmal nach Frankreich hineinkommen sollten, was die französische Kriegspartei ja herbeizuführen sucht, so mag das Volk wenigstens aus dieser ersten „Invasion“ etwas gelernt haben: was nämlich so ein Vorpostenzug für Gepäck braucht, wenn er überall auf wüste und leere Wohnungen trifft.


 Vaterlands Frühling.

Nun sollt’ ich wieder heben an und singen
Von vielen hohen, schönen und lieben Dingen,
Das sollt’ euch baß erfreuen im Gemüthe,
Von warmem, goldnen Frühlingssonnenscheine,

5
Von Himmelsbläue still und klar und reine,

Von grüner Dämmernacht im tiefen Walde,
Von bunter Blumenpracht auf hoher Halde,
Von Gottes Güte.

Doch einen andern Frühling laßt mich preisen

10
Mit meinen Liedern und mit meinen Weisen,

Der Frühling ist’s vom deutschen Vaterlande.
Nun steht es da so fest, so groß, so mächtig;
Nun steht es da so stolz, so siegesprächtig,
Wie einst in seinen thatenvollsten Tagen,

15
Davon wir heute noch singen und noch sagen –

Aus ist die Schande!

Sein neuer Ruhm ist durch die Welt geklungen,
Von neuem Leben ist sein Volk durchdrungen;
Hoch fliegt sein Aar mit mächt’gem Flügelschlagen.

20
O brächte dieses hehren Frühlings Sonne

Dir nun auch ganz und voll der Freiheit Wonne! –
Du deutsches Land, wem hast du dann zu weichen?
Du deutsches Volk, wo haft du Deinesgleichen?
So thät’ ich fragen. –

 Hermann Allmers.

[232]

Die Napoleoniden und die Frauenwelt.
Nr. 1. Der große Kaiser. Von Arthur von Loy.


Der Roman der Liebe füllt nur wenige Seiten aus in der Geschichte des ersten Napoleon. Er suchte weder das Herz noch den Geist der Frauen. Seine beiden Ehen schloß er hauptsächlich aus Speculation. Mit der Hand einer älteren Frau erhielt der erst siebenundzwanzig Jahre zählende Bonaparte das Obercommando über die italienische Armee durch den damals in Frankreich allmächtigen General Barras. Die spätere Heirath des einundvierzigjährigen Kaisers mit der jugendlichen Erzherzogin Maria Louise von Oesterreich krönte das eitle Streben des Emporkömmlings nach hoher fürstlicher Familienverbindung. Dem weiblichen Geschlecht im Allgemeinen bewies Napoleon große Rücksichtslosigkeit, deren unzarte Aeußerungen oftmals hart an Rohheit streiften, und den berühmten Frauen seines Zeitalters gegenüber nahm er eine fast kriegerische Stellung ein, er liebte es, sie zu verkleinern und zu demüthigen.

Darum fehlen in seinem Leben jene halb excentrischen, halb sentimentalen Freundschaftsbündnisse mit bedeutenden Frauen, wie sie fast alle anderen berühmten Männer, selbst Friedrich der Große, hatten. Eine Ausnahme ist Napoleon’s aus Phantasiefäden und Weihrauchnebeln gewebtes Verhältniß zur Herzogin Dorothea von Kurland. Diese hatte eine Art von toller Freundschaft für ihn, deren Ausbrüche er sich sehr behaglich gefallen ließ. Die Herzogin lebte mit ihrer sonst geliebten Schwester Elisa von der Recke in beständigem Streit über ihr Idol, denn Letztere war eine begeisterte deutsche Patriotin.

Wie abwehrend sich Napoleon gegen Frau von Staël benahm, die anfangs seine enthusiastische Bewundererin war, ist bekannt, vielleicht weniger seine verspätete Anerkennung auf St. Helena. Er vergleicht sie, wie Las Cases erzählt, mit einer Armida und Clorinde zugleich, Schloß Coppet, der Verbannten reizender Zufluchtsort an den Ufern des Genfer Sees, nennt er einen Waffensaal, in dem man seine Feinde zu Rittern schlug, und er bedauert, sich in Frau von Staël aus einer „gefährlichen Widersacherin“ nicht lieber rechtzeitig eine „nützliche Verbündete“ geschaffen zu haben.

Napoleon’s Betragen gegen die berühmt schöne Julie Recamier war ebenfalls höchst unritterlich. Das Bild vom Hercules am Spinnrocken mochte ihm wohl dabei vorschweben und etwas zu seiner Entschuldigung beitragen.

Denn der rauhe Despot kannte und schätzte vollkommen die Zaubermacht schöner Frauen. Er traute sich selber sogar nur sehr geringe Widerstandskraft zu, wie folgende Thatsache beweist. Als im Jahre 1807 die edle Königin Louise von Preußen ihrem Lande und ihrem Hause das heldenmüthige Opfer brachte, persönlich sich als Bittende dem Sieger zu nahen, setzte Napoleon vorher, von Talleyrand unterstützt, die Preußen vernichtenden Friedensbedingungen fest. Erst nachdem er sich also gesichert hatte, wagte er es, dem berühmten Liebreiz und der holden Unterredungskunst der schönen unglücklichen Frau Trotz zu bieten. Diese Schlauheit und Energie belohnte sich für ihn, denn die Gegenwart der Königin zog einen verwirrenden Zauberkreis um den hartherzigen Corsen, er wurde liebenswürdiger und pflückte sogar eine frischerblühte Rose von einem Fensterbrett im Vorübergehen, um sie der Königin huldigend darzubieten. Die arme Louise hoffte wenigstens noch das feste Magdeburg für Preußen erhalten zu können und fragte:

„Bekomme ich diese Rose mit Magdeburg?“

Beinahe hätte sich die Festung ergeben, da raunte Talleyrand seinem Gebieter in die Ohren:

„Sire, soll die Nachwelt sagen, daß Sie einer schönen Frau Ihre größten Siege zum Opfer gebracht haben?“

Napoleon faßte sich gewaltsam und erwiderte der bittenden Königin:

„Vergessen Eure Majestät nicht, daß ich der Geber, Sie aber die Empfängerin sind!“

Napoleon war spröder, eigenartiger Natur, in seiner Jugend handelte er nach spartanischen Grundsätzen. Seine Sittenreinheit als Jüngling wird durch seine Ehe mit einer Frau, welche älter war als er, noch wahrscheinlicher, denn es ist eine psychologisch merkwürdige Thatsache, daß unverdorbene junge Männer sich vorzugsweise in schöne reifere Sirenen verlieben. Die Proben seiner Charakterfestigkeit legte der junge Bonaparte bereits im Beginn seiner Laufbahn während des italienischen Feldzuges ab. Die schönen Italienerinnen vergötterten den jugendlichen Helden, obgleich er der Feind ihrer Landes war, er reizte ihre Lust an Intriguen, gar Manche wollte ihn gern erobern. Allein Bonaparte sah den Abgrund unter den Blumen, denn Ehrgeiz ist ein zuverlässiger Herzenshüter, und er widerstand jeder Versuchung. Als der jugendliche Commandeur älterer Generale, als beneideter Emporkömmling dem scharfen Zahn des Neides preisgegeben, wußte er, daß die geringfügigste Veranlassung ihm den politischen Todesstoß versetzen konnte. Auch als erster Consul und anfangs als Kaiser befolgte er diese Principien der Enthaltsamkeit, dann aber, auf der Höhe seines Ruhmes und seiner Macht angelangt, schien er solche Strenge gegen sich selbst nicht mehr nothwendig zu finden. Während der wenigen Friedensjahre seiner Regierung tauchte er sich mit Bewußtsein und Behagen tief in die schäumenden Wogen der leichtlebigen französischen Hauptstadt und überließ sich mehreren flüchtigen Neigungen, Leidenschaften, die seiner nicht immer würdig waren.

Außer der Kaiserin Josephine und ihrer Tochter Königin Eugenie Hortense, der anmuthigen geistvollen Mutter Napoleon’s des Dritten, hat eigentlich keine Frau wirklich seelischen weiblichen Einfluß auf Napoleon ausgeübt. Er war ein guter Sohn; doch stand eine unsichtbare Scheidewand zwischen ihm und seiner Mutter Lätitia, es trennte sie die Urader ihres Wesens, die gleichartige Herrschsucht. Auch mit der schönen Pauline Borghese, seiner Lieblingsschwester, von der behauptet wird, daß sie als Modell zu einer Venus des Canova gesessen habe, verknüpfte ihn kein inniges festes Seelenband, und von seiner zweiten Gemahlin Marie Louise entfernte ihn zu sehr der Abstand der Jahre, obgleich ihn ihre kindliche Natürlichkeit und weibliche Frische entzückten und er sich oft und gern über den hohen Reiz der deutschen Frauen aussprach.

Napoleon lernte die Gefährtin seines Ruhmes und die Freundin seines Lebens, die verwittwete Vicomtesse Josephine von Beauharnais, geborene Tascher de la Pagerie, im Salon der Madame Château-Renaud kennen. Trotz der rettenden That vom 13. Vendemiaire spielte der junge Bonaparte in den glänzenden Gesellschaftskreisen des Generals Barras eine höchst unbedeutende Rolle. Die schöne strahlende Vicomtesse, … „eine Fee aus Spitzen und Gaze gewebt,“ … redete einige Male aus Mitleid den Verlassenen, Uebersehenen in der ihr eigenthümlichen holdselig-gütigen Weise an; zum Dank dafür verliebte sich der junge Held sterblich in sie. Die Vicomtesse wurde durch seinen Heirathsantrag höchlichst überrascht und wollte den kecken Freier ablehnen, da sie ihn für „unerträglich herrschsüchtig“ hielt, auch „röche er zu sehr nach Tuch und Stiefeln“. Allein Barras wünschte das Genie des jungen Bonaparte sich dienstbar zu erhalten und redete der jungen unbeschützten Wittwe sehr zu, ihn zu erhören. Seine Worte: „Die Heirat mit Frau von Beauharnais wird dem obscuren kleinen General einen Namen in der Welt schaffen,“ berühren uns jetzt fast komisch, denn heutzutage interessirt sich Jedermann ja eben nur wegen Napoleon’s Ruhm für Madame Beauharnais. Josephinens Freundinnen, Madame Tallien, die Modekönigin damaliger Zeit, und Madame Château-Renaud, sowie die spätere Herzogin von Abrantes, die geschwätzige Mademoiselle de Permon, folgten treulich ihrem weiblichen Instinct, Ehen zusammenzubringen, und boten alle ihre Ueberredungskünste auf zu Gunsten des kleinen Generals. Doch zögerte sie lange mit ihrem Jawort, weil sie sich ahnungsvoll vor ihm „fürchtete“. Sie schrieb an eine dieser Freundinnen:

„Ich bin erschreckt über die Macht, welche Bonaparte über seine Umgebung auszuüben vermag. Sein forschender Blick hat etwas Räthselvolles, er imponirt damit sogar den Directoren; denken Sie, wie er eine Frau einschüchtern muß! Und was mir an ihm gefallen sollte, die Heftigkeit seiner Leidenschaft für mich, erregt mir gerade Bedenken; ich bin über die ersten Jugendjahre fort; werde ich mir diese wilde Zärtlichkeit erhalten können, die bei ihm dem Ausbruch eines Vulcans gleicht?“

Napoleon besiegte indeß durch Beharrlichkeit und Bitten ihre [233] Vorurtheile; am 9. März 1796 wurde die Civilehe vollzogen. Man verdachte Josephine in gewissen Kreisen sehr diese Heirath und nannte sie spottweise die „ci-devant vicomtesse“, eine stolze Marquise verschmähte sogar auf einem Ball den Stuhl neben ihr, weil sie „ihr Unglück verhandelt habe“, und konnte ihr nicht verzeihen, daß sie ihren ersten guillotinirten Ehemann aus reinstem Adelsblute nicht wie eine römische Kaiserin lebenslänglich betrauert hatte. Für Napoleon aber wurde seine Verbindung mit der anmuthigen Frau ein mächtiger Hebel seines Glückes; ihre Geschicklichkeit und Menschenkenntniß ebneten dem kühnen Emporkömmling seine Wege; er wäre schwerlich erster Consul geworden ohne ihre Hülfe; sie wurde seiner Größe unentbehrlich, da in Frankreich stets die Intrigue das Verdienst unterstützen muß; dabei war sie das Muster einer treuen Gattin, einer zärtlichen, sich aufopfernden Freundin.

Es giebt fast keine schöne weibliche Eigenschaft, die Josephine nicht besessen hätte; ihre Liebenswürdigkeit ist berühmt geworden; sie sagte Niemandem etwas Unangenehmes, sie erpreßte Keinem Thränen. Sie milderte die Härten ihres Mannes, sie erwirkte Amnestie für die Verbannten und Verurtheilten und gewann ihm aus Feinden Freunde. Für Literatur und Kunst besaß sie Liebe und Verständniß und einen lebhaften Sinn für alles Schöne. Namentlich war sie eine große Blumenfreundin; sie verpflanzte die erste Camelia aus ihrer Antillenheimath nach Europa und bürgerte zugleich auch jenen eigenthümlich poetischen Zaubervogel, den schwarzen Schwan, bei uns ein.

Die Briefe, welche der General Bonaparte an die Neuvermählte aus Italien schrieb, athmen die größte Leidenschaft:

„Weib! Traum, Qual, Glück meiner Seele, Deine Briefe waren kalt, sie haben nicht den Pulsschlag der Seele. Alles liebst Du mehr als mich, Du versäumst meinetwegen nicht die erste Aufführung eines neuen Stückes im Theater, sagst kein Diner bei Barras ab, um an mich zu schreiben. Mir, dem Ehemanne, zollst Du nur so ein Bischen Achtung, ein Tröpflein der holden Liebenswürdigkeit, von der Dein Herz überströmt … ich beneide Fortuné (der Lieblingskater), ja Fortuné um Deine Liebkosungen …“ Einmal sandte er ihr vom Kriegsschauplatz die hübschen anerkennenden Worte: „Während ich Schlachten gewinne, gewinnst Du mir daheim die Herzen!“

Diese Liebe hatte aber die Schattenseite der heftigsten Eifersucht. Bonaparte bestellte seiner Frau Sittenwächter in der Person seiner Adjutanten und Secretaire, selbst ihren Kutscher und ihre Bedienten ernannte er zu ihren Aufpassern. Das Uebermaß der Liebe führte ihn mehrmals nahe zu demselben Schritt, den er zwölf Jahre später unter dem Einfluß des entgegengesetzten Gefühls wirklich that, er drohte mehrere Male mit Ehescheidung. „Ich will die Bande von Lockenköpfen und blonden Gecken, die Dir schmeichelt, vernichten, ja ich will einen Eclat, einen öffentlichen Bruch, eine gerichtliche Scheidung!“ schreibt der eifersüchtige Napoleon. Einmal ließ er sämmtliche Sachen seiner Frau in die Portiersloge setzen und ihr selbst den Eintritt in sein Cabinet durch die Domestiken verwehren, und er gab nur sehr zögernd den Bitten und Flehen seiner Stiefkinder Eugène und Hortense von Beauharnais nach, die weinende, geängstigte Josephine wieder in seine Arme zu nehmen. Als Friedenspfand schenkte er ihr nach einer solchen Scene den ersten türkischen Shawl, der überhaupt nach Europa kam. Er gefiel Josephinen so, daß sie sich im Laufe ihres Daseins nicht weniger als hundertfünfzig Stück derselben anschaffte.

Aber auch mit seinem Geize quälte Napoleon die arme Josephine. Sie verstand es meisterhaft, sich gut zu kleiden und mit gebührendem Prunk und Glanz ihre Rolle als Kaiserin zu spielen, aber sie brauchte natürlicher Weise dazu sehr viel Geld. Der stolze reiche Kaiser schalt und tobte ärger über ihre hohen Putzmacherinnenrechnungen, als ein armer Bourgeois, der fürchten muß, durch seine verschwenderische Frau ruinirt zu werden. Dennoch gab er ihr bei Hoffesten den ausdrücklichen Befehl, „durch ihre Schönheit und die Pracht ihrer Toilette zu blenden! Gefiel ihm ihr Kleid nicht, so goß der Barbar sein Tintenfaß darüber aus. Ihre Lieferanten sperrte er in’s Gefängniß, anstatt sie zu bezahlen, bei Gelegenheit seiner Weigerung, eine Rechnung von einem Monat für dreihundert Hüte zu berichtigen, zerschlug er in der Aufwallung eine kostbare Vase und ein prachtvolles Kaffeeservice, die zusammen etwa den Werth der fraglichen Summe repräsentirten. Besonders warf Napoleon Josephinen ihre Verschwendung bei der Restauration Malmaisons vor, dieses Schlosses, das einst in seinen Mauern sein schönstes häusliches Glück schützte, dann Zeuge des rührendsten Napoleonscultus der geschiedenen Frau war und jetzt von französischen Kanonen zerstört worden ist. Die Wände Malmaisons waren mit Gobelintapeten, von Josephinens eigener Hand gestickt, bekleidet, im Treibhause zog sie in tausendfältigen Exemplaren die Bonapartea speciosa, eine südamerikanische Prachtpflanze, vom Botaniker Palisot dem Kaiser zu Ehren so genannt. Das Arbeitscabinet Napoleon’s durfte nie ein Fremder betreten, sie selbst reinigte die getragenen Kleidungsstücke, die dort auf Stühlen ausgebreitet waren, vom Staube, ihre Reliquien nannte sie dieselben. Auf dem Schreibtisch lag ein historisches Werk, an der Stelle gezeichnet, wo er aufgehört hatte zu lesen. Wunderbarer Weise brachte Napoleon nach der Schlacht von Waterloo vier Tage, vielleicht die bittersten seines Lebens, in Malmaison zu. Von dort begab er sich nach Rochefort, um sich den Engländern auszuliefern. Was mag er empfunden haben in diesen Räumen, denen noch die der Fußspur der einst geliebten Frau aufgedrückt war, in denen noch ihr Seufzer wehte? Diese Frau, die sein guter Engel gewesen, der seine Grausamkeit die Todeswunde gegeben und die dennoch sein Unglück nicht überleben konnte!

Das erste Scheltwort zwischen Ehegatten ist fast immer das erste Körnlein einer ganzen Lawine von Schmerz und Zank. Bald schalt Napoleon nicht nur über Josephinens Verschwendung, sondern über alle anderen unangenehmen Vorkommnisse, sogar über die Ungunst des Wetters. Er ließ sie seine Launen fühlen; das Gewaltsame in seiner Liebe löste sich in den crassesten Despotismus und Egoismus auf. In empörender Weise zwang er sie auf Kosten ihrer Freiheit und Gesundheit zum Dienste der Etiquette; selbst als er sich bereits ernstlich mit Scheidungsgedanken trug, spannte er alle ihre Kräfte für huldvolle Einwirkung und glänzende Repräsentation in seinem Interesse an. So riß er einst die fieberkranke Kaiserin am Arm aus dem Bette, zwang sie Toilette zu machen und in vollem Glanz auf einem Balle zu erscheinen. In Folge dieser Barbarei bekam Josephine eine bösartige Hautkrankheit.

Die Scheidung Napoleon’s von seiner Frau bleibt ein schwarzer Fleck in seinem Leben, von welcher Seite sie auch beleuchtet werde; sie war eine schlechte und eine unnütze Handlung. Als im Cabinetsrath die Lösung der Ehe beschlossen war, verkündete der Kaiser selbst der unglücklichen Josephine das Schreckenswort. Er speiste noch einmal mit ihr zusammen, nach beendeter Mahlzeit erfolgte die peinlichste Scene. Sie erzählt dieselbe folgendermaßen:

„Nach dem Kaffee schickte Bonaparte die Diener fort, ich blieb mit ihm allein. Gott, welchen Blick hatte er! er zitterte am ganzen Körper, mich schüttelte der Schauder bis in’s Herz. Er nahm meine Hand, legte sie auf seine Brust und nun sprach er die Worte: ‚Meine Josephine! Du weißt, wie sehr ich Dich geliebt habe. Dir allein, Dir verdanke ich das Glück meines Lebens, aber meine Bestimmung ist größer als mein Wille. Zu Gunsten Frankreichs entsage ich meiner liebsten Neigung! …‘ ‚Nicht weiter!‘ hatte ich die Kraft zu rufen, ich wußte dies, ich erwartete dies, dennoch war der Schlag tödtlich! … plötzlich hatte ich das Gefühl, ich müßte wahnsinnig vor Schmerz werden, die Dinge drehten sich um mich, ich stürzte ohnmächtig zu Boden.“

Die übrigen Präliminarien zur Scheidung ließ der Kaiser durch Mittelspersonen vollbringen, er war zu feige, persönlich weiter mit seinem Opferlamm zu verhandeln. Nach der Scheidung jedoch suchte er ein friedliches Freundschaftsverhältniß mit Josephinen sich zu erhalten. Er schrieb Briefe voll zarter Rücksicht an sie, besuchte sie zuweilen und schickte ihr sogar seinen Sohn, den König von Rom. Nach seinem Sturze, als neben dem Unglück sich ihm auch der schwärzeste Undank nahte, äußerte sich bei ihm wirkliche rührende Sehnsucht nach der treuen Freundin, es rächte sich die begangene Grausamkeit durch die Einsamkeit seines Herzens. „Ich suchte den Tod in mehreren Schlachten, er würde mir heute eine Wohlthat sein, aber einmal, einmal möchte ich noch Josephine wiedersehen!“ so lauten die Schlußworte des letzten Briefes, den sie von ihm empfing.

Nachdem Napoleon von der Großfürstin Anna von Rußland, Kaiser Alexander’s jüngster Schwester, einen Korb erhalten, heirathete er am 2. April 1810 Maria Louise von Oesterreich. Würde ihm auch die Hand dieser Erzherzogin versagt worden sein, so hätte er, [234] … nach dem Memorial von St. Helena, … eine junge Dame aus dem Faubourg St. Germain geheirathet, „une de ces belles tiges de l’aristocratie française.“ Die anderen „schönen Schößlinge“ des Adels wollte er dann adoptiren und sie mit europäischen regierenden Fürsten vermählen! Eine solche Aussicht für seine Töchter würde allerdings den schmollenden Adel Frankreichs ihm gänzlich gewonnen haben!

Trotzdem Napoleon anfangs sehr in seine zweite junge Frau verliebt schien, hat er auf St. Helena diese Heirath ausdrücklich eine „unglückliche“ genannt. Vielleicht hatte er die Vorahnung von Maria Louisens Treulosigkeit, den bekanntlich vermählte sie sich später mit einem Grafen Neipperg. Seinem Sohn, den er nur als rosiges goldgelocktes Kind gekannt hatte, bewahrte Napoleon bis zum letzten Athemzuge abgöttische Liebe.

An seinem Todtenbette saßen zwei fremde Frauen, durch Hochherzigkeit und Treue an ihn gefesselt, die Gräfin Montholon und die Generalin Bertrand. Keine verwandte Hand linderte den tragischen Schmerz seines letzten Augenblicks.




Mein Einzug in Paris.
Vom Feldmaler F. W. Heine.


Margency, Anfang März.

Die schönen Tage von Margency sind nun zu Ende! Ich schreibe Ihnen zum letzten Male von hier aus und verlasse morgen in aller Frühe das schlichte Gemach, in welchem ich unter der schützenden Obhut des Hauptquartiers der Maasarmee monatelang alle Freuden und Leiden eines berichterstattenden Malers und eines malenden Berichterstatters gründlich durchgekostet und, eingeschneit und eingefroren, so manche Stunde lang den Fall der „heiligen Stadt“ mit aller Inbrunst meines Herzens herbeigesehnt habe. Nun ist er gekommen, ist wirklich zur Wahrheit geworden, und wenn die eitlen Pariser noch immer nicht daran glauben wollten, so mußten sie sich in diesen Tagen wohl in das Unvermeidliche fügen, da der stramme Schritt der deutschen Regimenter auf dem Macadam der Boulevards dröhnte und die Melodie der „Wacht am Rhein“ von den stolzen Wölbungen des Triumphbogens widerhallte.

Ich war mitten dabei und war mitten drin und habe meine Zeichnung an Ort und Stelle aufgenommen – aber da über jene in der Geschichte Deutschlands für immer denkwürdigen Stunden, wenn Sie diese Zeilen veröffentlichen, gewiß schon unendlich viel gedruckt und gelesen worden ist, so kann es hier nur darauf ankommen, daß ich Ihnen von mir selbst erzähle, was ich bei meinem „Einzug in Paris“ Besonderes sah und hörte, und das allein will ich denn auch in den nachfolgenden Zeilen thun.

Ich war schon in der frühesten Morgenstunde des ersten März in Margency aufgebrochen und hatte mich über Argenteuil, Colombes und Courbevoie an die Brücke bei Neuilly begeben, da man mir gesagt hatte, daß von hier aus der Einzug stattfinden solle. Indessen fand ich an dem genannten Orte so wenig Leben, daß ich stutzig wurde, um auf verschiedene Anfragen endlich zu erfahren, wie bereits seit dem ersten Morgengrauen Truppen auf Truppen über die erst Tags zuvor geschlagenen Pontonbrücken bei Suresnes, St. Cloud und Sèvres marschirt seien und wie ich also jedenfalls nach dieser Richtung hin – schon Suresnes liegt weit südlicher als Neuilly am Fuße des Mont Valerien – meinen Weg zu nehmen habe. Ich hatte das Richtige getroffen. Als ich mich der Brücke von Suresnes näherte, drängte sich mehr und mehr Militär zusammen, Patrouillen streiften längs der Landstraße hin und Gensd’armen ritten dieselbe unaufhörlich ab. Plötzlich – es ging wohl schon auf elf Uhr – ward unter den Posten haltenden Soldaten eine eigenthümliche Bewegung bemerkbar. Schon kurz vorher hatte die Cavallerie- und Infanteriestabswache sammt den Pferden des Kaisers die von einer Schwadron Königshusaren besetzte und an ihren Pfosten mit flatternden Preußenfahnen geschmückte Brücke passirt. Jetzt aber drängten die Gensd’armen die wenigen Zuschauer, welche sich im Laufe der Zeit eingefunden hatten, mit ihren Pferden zurück und „Der Kaiser kommt!“ lief es lauter und lauter von Mund zu Mund. Da ward auch schon der Vorreiter des Kaisers sichtbar, staubaufwirbelnd und von einem schallenden Hurrah der Soldaten empfangen näherte sich rasch ein vierspänniger Wagen und in ihm der Kaiser in Generalsuniform mit Helm, Waffenrock und Schärpe und gefolgt von einer kleinen Suite. Nach kurzem Aufenthalt setzte der schimmernde Zug über die Brücke, Soldaten aller Waffengattungen strömten und drängten nach, und mitten unter ihnen nahm auch ich meinen Weg hinüber zur Rennbahn von Longchamps, wo der Kaiser Heerschau über die zum Einmarsch in Paris bestimmten dreißigtausend Mann hielt.

Was soll ich Ihnen nun über diese Heerschau schreiben! Es war ein geradezu überwältigender, in seiner Art unbeschreiblicher Anblick, als der greise Kaiser, zur Linken den Sohn, und gefolgt von einer wohl über vierhundert Köpfe zählenden, in allen Farben glänzenden, den ersten Geschlechtern Deutschlands angehörenden Suite, die lange Front der in zwei Treffen aufgestellten Truppenmassen von der Rechten zur Linken hinabgaloppirte. Ein donnernder Jubelruf empfing ihn, die Musikchöre der ganzen Armee intonirten „Heil dir im Siegerkranz“, wie ein Sturm sauste und glänzte und blitzte der kaiserliche Zug an den Augen der Zuschauer vorüber und die Standarten wallten im Winde, manche freilich nur mit ihren zerfetzten Resten, so gut es eben gehen wollte – es war ein großartiger Moment und gewiß Jedem unvergeßlich, der das Glück hatte, ihn zu erleben und seiner Zeuge zu sein. Ja, Mancher trug es vielleicht in diesem Augenblick leichter, daß der „Einzug in Paris“, wie er eben stattfinden sollte, doch nicht so ganz alle Wünsche erfüllte, und daß der berechtigte Triumph des deutschen Volkes über das gedemüthigte Paris nur ein unvollkommener sei, so lange nicht von den Tuilerien das deutsche Banner wehe und so lange nicht in Notre-Dame ein Te Deum für die Verleihung des Sieges angestimmt werde. Nachdem der Kaiser das zweite Treffen wieder heraufgeritten war, nahm er Stellung etwas rechts von der großen Tribüne, und nun begann bekanntlich der Vorbeimarsch der einziehenden Truppen unter der Anführung des Kronprinzen als preußischen Feldmarschalls und Oberbefehlshabers der dritten Armee. Den Beginn machte das sechste Corps (General v. Tümpling), dann folgte das elfte Corps unter General v. Schachtmeyer und den Schluß bildete das zweite bairische Corps unter dem General v. Hartmann. Da die Truppen in Bataillonscolonnen vorbeimarschirten, so dauerte die Parade wohl an zwei Stunden, und so sehr denn auch die einzelnen Corps, die in strammster Haltung Regiment um Regiment vorbeidefilirten, meine ganze Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich zogen, so viel Interesse erregte es mir auch, den Kaiser selbst während dieses merkwürdigen, aber auch höchst anstrengenden Schauspieles zu beobachten. Und wahrlich, es gehörte eine echte Soldatennatur, wie die des Kaiser Wilhelm ist, dazu, eine so mächtige Siegerschaar während so langer Dauer mit immer gleichem Interesse an sich vorbeidefiliren zu lassen, nie müde, die Rechte grüßend an den Helm zu führen, nie ein Auge von der Mannschaft verwendend, und noch die letzte Schwadron mit derselben Aufmerksamkeit musternd, mit welcher er dem Vorbeimarsch des ersten Bataillons gefolgt war.

Kaiser und Kronprinz kehrten nach der etwa um ein Uhr zu Ende gegangenen Parade nach Versailles zurück; die Kriegerschaaren aber zogen sich in langen Linien und in staunenswerther Ordnung durch das Boulogner Hölzchen und mit ihnen nahm ich meinen Weg in der Richtung nach dem Triumphbogen. Kurz vor der Stadtmauer kamen wir an einem großen abgeholzten Theil des Hölzchens heraus, an dem Flecke, der den Parisern während der Belagerung zur Gewinnung des nöthigsten Feuerungsmaterials angewiesen worden war. Es war bald ein halb zwei Uhr, als wir in die Nähe der Stadtmauer kamen. Hier hatte sich schon eine ziemliche Anzahl neugieriger Pariser eingefunden, viele von ihnen saßen auf den Wällen, alle aber waren offenbar in der muntersten Laune, als handle es sich für sie um das fröhlichste Schauspiel von der Welt. Nun hielt ich es auch für angemessen, mich definitiv einer bestimmten Truppenabtheilung anzuschließen, um in ihrem Schutze allen möglichen Fährlichkeiten zu begegnen. Ich stieß zu den Sechser Jägern und marschirte mit ihnen strammen Schrittes die schöne breite avenue de la grande armée entlang bis kurz vor den Triumphbogen, wo wir Halt machten,

[235] Angesichts einer unzähligen Menschenmenge, meist Blousenleuten und halbwüchsigen Burschen, welche auf die Nachricht von dem Einmarsch der Deutschen aus der ganzen Stadt hierher geeilt waren und sich nun skandalbereit herumtrieben. Man sah nur wenige wirklich anständige Menschen, die Fensterläden aber waren in allen Etagen fest verschlossen oder schienen wenigstens fest verschlossen zu sein, denn manchmal konnte man deutlich wahrnehmen, wie sie sich leise bewegten, wie hinter ihnen ein Vorhang sacht zur Seite geschoben wurde und wie das neugierige Gesicht einer Pariserin dahinter sichtbar wurde, um sofort wieder zu verschwinden, wenn man lachend die Aufmerksamkeit der umstehenden Soldaten darauf zu lenken suchte.

Gegen zwei Uhr endlich rückten die Baiern in geschlossenen Massen an. Ihrem Einmarsch schien sich für den Augenblick ein Hinderniß entgegenstellen zu wollen, als hinter dem Triumphbogen eine Rotte Blousenmänner und Gassenbuben – wohl tausend Köpfe stark – eine Erdbarricade aufgeworfen hatten und ihr republikanisches Leben auf dem Altar des Vaterlandes hinopfern zu wollen schienen. Ein betäubendes Gebrüll tönte den Anmarschirenden entgegen; die aber ließen sich nicht weiter irre machen, sondern schwenkten nach kurzem Besinnen mit rauschender Musik links um den Triumphbogen herum und die Pariser Maulhelden waren um ihren Theatercoup, auf den es doch allein abgesehen war, in der einfachsten Weise gebracht. Freilich begleitete die Baiern unbeschreibliches Zischen fort und fort, jene marschirten in unveränderten Reihen weiter, lachend hörten sie Alles mit an, indeß der süße Pöbel straßenbreit Arm in Arm dem Musikcorps vorauf und neben ihm hinzog, entweder pfeifend oder die Marseillaise singend. Das dauerte bis zum Concordienplatz, wo die Baiern die Gewehre zusammenstellten, indeß die Menge sich vertheilte und größtentheils wieder dem Triumphbogen zulief, den neu ankommenden Regimentern den gleichen Empfang zu bereiten. Ueber den mit seinen kolossalen Formen schwerfällig in die Höhe ragenden Triumphbogen glaube ich hier kein Wort der Beschreibung verlieren zu müssen, da er schon so oft geschildert worden ist und da ich auch hoffen darf, in meiner Illustration die Raumverhältnisse des gewaltigem Baues mit größter Genauigkeit wiedergegeben zu haben. Der Generalstab, den ich auf meinem Bilde gezeichnet habe, passirte etwa eine halbe Stunde nach den Baiern den Triumphbogen, ebenfalls außen links herum, dann aber sich dicht an den Bogen wieder hindrängend und gegen die Mitte einschwenkend; es war der des General von Tümpling.

Es wurde nach und nach Abend, die Soldaten hatten sich in ihren Quartieren zurechtgefunden und standen oder promenirten nun mit ihren mächtigen deutschen Tabakpfeifen in den schönen Straßen von Paris herum. Auch ich mußte auf ein Nachtquartier denken und wendete mich deshalb nicht umsonst an einen jungen Unterofficier vom zweiundzwanzigsten Regiment, der mich mit der größten Bereitwilligkeit und Freundlichkeit in seiner Wohnung, Rue Mac Mahon 113, aufnahm. Ein herrlicher Mondschein ließ mich indessen noch nicht zur Ruhe kommen, ich trieb mich mit den Soldaten auf den halbdunkeln Straßen herum, gleich ihnen mit den Einwohnern Bekanntschaft machend, oder nach einem Glas Wein oder Bier fahndend, bis der Zapfenstreich auch dem ein Ende machte und die letzte Strophe der vielen schönen deutschen Lieder verhallt war, welche unsere wackeren Soldaten am Bivouacfeuer auf den Plätzen und umdrängt von den lauschenden Parisern sangen.

Am nächsten Morgen trieb es mich hinüber in das eigentliche Paris. Eine Zeit lang ging ich unschlüssig an den Uebergängen hin und her, die – es mochte nun ein Platz, oder eine Straße, oder eine Brücke sein – diesseits wie jenseits auf einer Entfernung von zwanzig bis vierzig Schritten von deutschen und französischen Posten bewacht wurden. Bald aber sah ich, daß heute der Verkehr herüber wie hinüber ungehindert stattfand, während er Tags zuvor nur mit Passirscheinen möglich gewesen war; so schlug ich mich denn ohne Besinnen durch die Posten und war denn auch in wenigen Minuten drüben. Mit klopfendem Herzen, ich gestehe es, denn wenn ich auch selbst Tags und Abends zuvor keine einzige Ruhestörung mitangesehen hatte, so war mir doch von dieser und jener Brutalität Kunde geworden, die sich der Pariser Pöbel an anderen Orten gegen Männer und Frauen erlaubt hatte, denen das Unglück begegnet war, sein Mißtrauen zu erregen oder sein Mißfallen auf sich zu ziehen.

Auch hier in den Straßen fand ich in der Nähe der Demarcationslinie fast alle Läden geschlossen, dafür lagerten überall französische Truppen – an der Madeleine-Kirche, auf dem Platze Vendome, sowie in den anstoßenden Straßen, war Alles voll Mobilgardisten; Chasseurs zu Pferde, sowie die ehemalige Kaisergarde zu Pferde ritten unaufhörlich mit gezogenen Säbel die Straßen auf und ab. Ich näherte mich den schönen Boulevards, und das herrliche, sonnendurchglänzte Frühlingswetter begünstigte meinen Einblick in das Pariser Leben. Vor den dichtgefüllten Cafés waren ganze Reihen Stühle hintereinander aufgestellt, mit Mobilgardisten und anderen Gästen, Herren und Damen besetzt – das wogte und schwirrte und plauderte und lachte durcheinander, als ob die Welt im tiefsten Frieden läge, und als ob die deutsche Armee sich ganz wo anders befände, und nur nicht in der „heiligen Stadt“ Paris. Omnibusse fuhren vorbei, der Verkehr, den sie vermittelten, war der lebhafteste. Es war nur schade, daß ich nirgends lange verweilen und noch weniger die Straßen oder die Menschen mit der dem Fremden eigenen Neugierde betrachten durfte. Manchmal mochte mir das denn doch wohl passiren, so sehr ich auch auf der Hut zu sein bestrebt war; dann aber konnte ich gleich bemerken, wie Vorübergehende oder Umstehende mich in höchst fataler Weise zu mustern begannen – ja, ein paarmal hörte ich auch in’s Ohr sagen: „voilà un Allemand.“ Ich ließ mich aber nicht einschüchtern: hatte ich mir doch Maryland-Cigaretten gekauft, mit denen ich trotz dem echtesten Pariser drauf losqualmte; hatte ich mich doch mit der neuesten Nummer des Journal officiel versehen, in der ich, wie fast jeder Pariser, mit dem größten Eifer zu lesen begann, sobald ich etwas Unheimliches zu bemerken glaubte, im Portemonnaie hatte ich gleichfalls vorsichtiger Weise nur französische Münze, und so schlenderte ich denn die Boulevards entlang, scheinbar ganz unbekümmert, die Maryland-Cigarette im Munde, die Linke in der Hosentasche und in der Rechten das Zeitungsblatt, bereit zum augenblicklichen Gebrauch.

Am Boulevard St. Denis bog ich rechts ab nach den Tuilerien zu, glaubte aber in einer Restauration des Boulevard de Sebastopol noch einmal einkehren zu müssen, denn ich hatte einen unbändigen Hunger. Auf der Firma hatte ich gelesene: Déjeûner et dîner. Hier hoffte ich mich in Ruhe erholen zu können und bestellte mir denn sofort beim Eintritt eine Flasche Bordeaux und ein Dejeuner. Der Garçon sah mich eigenthümlich von der Seite an und verschwand. Ich blieb lange allein und es fing mir an unhaglich zu werden, zumal als ich bemerkte, daß durch das in die Gaststube führende Küchenfenster nacheinander mehrere Gesichter zum Vorschein kamen, die mich ziemlich unfreundlich anstierten und bei der ersten ungeduldigen Bewegung meinerseits wieder verschwanden. Ich überlegte eben, ob es nicht passend für mich sei, unter solchen Umständen einen concentrirten Rückzug anzutreten. Da trat der Garçon wieder in das Zimmer. Er trug eine Flasche in der Hand, bei deren Anblick mir etwas leichter um’s Herz wurde. Die Flasche schob er mir verdrießlich hin, dabei kurz bemerkend, zu essen könne ich nichts bekommen. Vermuthlich um die Wahrheit seiner Behauptung zu bekräftigen, hatte er die Küchenthüre offen stehen lassen, durch die mir ein so vollkräftiger Geruch von Gebratenem und anderen Delikatessen in die Nase stieg, daß mein Magen noch mehr gereizt und daß mir fast übel wurde. Aber ich bezwang mich; schweigend und duldend goß ich die Flasche Bordeaux in den leeren Magen und eilte dann, nach geschehener Bezahlung, aus der ungastlichen Höhle, meinen dringendsten Hunger bei einem Bäcker mit Weißbrod zu stillen.

Am Louvre, in der Rue Rivoli fand ich große Aufregung. Da, wo der Eingang von dieser Straße in die Tuilerien ist, wogte eine ungeheure Volksmasse hin und her, Schreien, Zischen, Heulen, Pfeifen erfüllte fast betäubend die Luft. Die hohen starken Gitterthore waren geschlossen; Jungen waren an denselben in die Höhe geklettert, als ich aber näher kam, sah ich, daß es sich um eine Demonstration gegen deutsche Soldaten handelte, welche compagnieweise im Louvre herumgeführt wurden. Der Pöbel entblödete sich nicht, durch das Gitter die Unbewaffneten mit Steinen zu bewerfen. Hier war nicht gut sein. So trollte ich denn eine Strecke unter den schönen Arcaden der Rue Rivoli hin, kaufte mir einige Ansichten von der „heiligen Stadt“ und machte mich alsdann wieder auf den Heimweg nach dem „deutschen Paris“.

Hier war mir noch eine kleine Ueberraschung vorbehalten und nicht die angenehmste. Während ich mich in dem „französischen Paris“ herumgetrieben hatte, war von diesem die Weisung an die

[236]

Der Einzug der deutschen Truppen in Paris am 1. März 1871.
Nach der Natur aufgenommen von unserem Feldmaler F. W. Heine.

[237] 

WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [238] Demarcationslinie ergangen, keinen Menschen mehr weder herüber noch hinüber passiren zu lassen. Dieser Umstand eröffnete keine erfreuliche Aussicht für mich, und ich fand es nichts weniger als wünschenswerth, noch länger oder gar noch die kommende Nacht mitten in der fanatisch aufgeregten Bevölkerung zu verweilen. Aber auch die Pariser waren mit der getroffenen Anordnung unzufrieden. Viele von ihnen waren ja in der gleichen Lage wie ich, so daß es an höchst unliebsamen Erörterungen nicht fehlen konnte. Die Masse der heimwärts Begehrenden häufte sich an einzelnen Punkten so sehr an, daß eine Verstärkung der Wachen sich nöthig machte; trotzdem gelang es weder mir noch Anderen, die Postenkette zu durchbrechen.

Der erwähnte Befehl war so unerwartet gekommen, daß eine Frau, die nur wenige Häuser von der Demarcationslinie wohnte und nur gegangen war, einen Eimer Wasser zu holen, nun mit diesem und in bloßen Armen auf der Straße stand, ohne zurück zu können. Es war eine höchst ergötzliche Scene, ihren ausbrechenden Unmuth zu beobachten; trotzdem wuchs meine eigene Unruhe von Minute zu Minute, denn schon an zwei Stunden irrte ich längs der Demarcationslinie hin, ohne irgendwo durchschlüpfen zu können. Endlich kam ich in ein kleines Gäßchen, wo nur zwei Posten standen und wo der Verkehr des Publicums gleich Null war. Ich machte mich an die beiden Mobilgardisten heran und fand sie freundlicher, als ich hoffen durfte. Noch ein paar eindringlich bittende Worte meinerseits, dann ein Lächeln des einen Mobilgardisten, zuletzt eine artig gewährende Handbewegung des andern und ich war wieder im „deutschen Paris“. Ich athmete aus vollem Herzen auf; dann aber dachte ich zunächst an meinen Magen, dem den ganzen Tag wider meinen Willen die größte Mißachtung meinerseits widerfahren war, und als ich auch diese Pflicht freudig erfüllt hatte, machte ich mich über Courbevoie, Colombes und Argenteuil wieder auf den Heimweg hierher nach Margency, wo ich nach fast dreistündigem Marsche gegen acht Uhr ankam, voll der Erinnerungen, welche mir dieser Tag gebracht und welche auch mein ganzes Leben begleiten werden. Ich hätte keinen schöneren, großartigeren und bedeutenderen Eindruck, als diesen Einzug und Aufenthalt in Paris, zum Schlusse mit hinwegnehmen können. Zum Schlusse! Schon in den nächsten Tagen bricht das Hauptquartier seine Zelte hier ab und unser Aller Blicke sind sehnsüchtig nach Osten gerichtet, nach der Heimath.




Die Zuwider-Wurzen.
Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Für Stasi war die Stunde gekommen, wo ihr Herz, von den lange verschluckten Thränen erweicht, völlig zerging; sie wandte sich im Bette der Base zu, legte ihr den Kopf an die Brust und schlang die Arme um ihren Hals, als wolle sie nicht gesehen werden bei dem, was zu sagen sie bitter mit sich rang. Das war aber unnöthig; die Fensterläden der Kammer waren geschlossen und verursachten so vollständige Dunkelheit, daß selbst der steigende Morgen nicht einzudringen vermochte, und eben dieses Dunkel war es wieder, was die Bekennende ermuthigte. Der alten Base aber ging, als das Mädchen so ganz in Liebe hingegeben und in Schmerz aufgelöst an ihre Brust sank, ein Freudenfeuer in der Seele auf, bei dessen Schein sie sich selbst und ihr armes, einsames Leben kaum wiedererkannte – Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart flossen ineinander wie die Linien einer schönen, nach langem Sturm vom Abendroth beschienenen Landschaft. Die Augen, die das Naßwerden lange vergessen hatten, gingen über, als Stasi erzählte, wie es ihr gerade so ergangen wie der Base, und daß sie, als diese kaum von der Brettenalm fortgewesen, gleich ihr auf der Schwelle der Almhütte einen Buschen von Edelweiß gefunden. Zögernder löste sich die Erzählung von den Lippen des Mädchens, als sie zu der Begegnung mit ihrem Feinde kam, zu der Trennung von ihm und der nur gesteigerten Feindseligkeit zwischen Beiden; sie stockte immer mehr, als es galt, zu berichten, was dann geschehen: die Entrüstung der ersten Stunden, das ruhigere Ueberlegen der darauffolgenden, das Aufwallen und Niedersinken der Gefühle, bis aus ihm ein Entschluß aufgetaucht, den sie selbst nicht zu begreifen vermochte – der Entschluß, den weggeworfenen Blumenbusch um jeden Preis zu besitzen. Sie hatte eine neue Kränkung darin gefunden, daß Martl den Strauß, nachdem er ihn einmal gebracht, wieder zu sich genommen und weggeworfen hatte; wenn sie ihn auch bei Seite gelegt, so war es ja doch noch immer bei ihr gestanden, ob sie das Geschenk annehmen oder zurückweisen wolle, und er mußte immerhin abwarten, ob sie sich nicht noch anders besinnen würde. Es war ihr zuletzt vollkommen klar geworden, daß der Busch mit vollem Rechte ihr gehörte; darum mußte und wollte sie ihn auch besitzen. Behutsam über das Geländer gebeugt, sah sie zuerst in den tosenden Sturzbach hinab; aber von den Blumen war nirgend eine Spur zu entdecken. Bald umging sie das Geländer, um den steilen Hang neben der Schlucht hinunterzuklettern, und siehe da, sie war noch nicht sehr weit gekommen, als sie wenigstens einen Theil dessen, was sie suchte, gewahr wurde. Der Busch hatte sich im Fallen aufgelöst, die meisten Blumen waren in’s Wasser gefallen und mit ihm in die Tiefe gestürzt; aber einige der schönsten Sterne hatte ein glückliches Ungefähr seitwärts auf ein Felsstück geschleudert, wo sie nun zierlich und frisch im Moose lagen, von dem stäubenden Wasserfalle besprüht, als hingen Thränen daran über die Verachtung und Mißhandlung, die ihnen zu Theil geworden. Es war eine bedenkliche Stelle, an der die Blumen lagen, und es gehörte ein wohlgeübter Kletterer dazu, um dahin zu gelangen; ein einziger unsicherer Tritt konnte zum Sturze in das Wasser oder über den nicht minder steilen Felsabhang werden. Langsam und vorsichtig schritt sie auf der gefährlichen Bahn dahin; die überhängende Wurzel eines umgehauenen Tannenstammes, die noch in der Wand steckte, bot ihr die einzige Stütze; während sie mit einer Hand sich daran anklammerte, vermochte sie die andere nach dem Felsstück mit den Blumen auszustrecken, schon war sie nahe daran, schon hatte sie, weit vorgebeugt, die Blumenstengel erreicht und ergriffen – als knackend die morsche Tannenwurzel brach, der sie vertraut hatte, und sie haltlos ein ansehnliches Stück des steilen Abhanges hinunter glitt oder stürzte; ohne einen Busch schützender Latschen, die sie im Fallen aufhielten und ihr Gelegenheit boten, sich anzuhalten und aufzuraffen, wäre der Ausgang wohl ein schlimmer geworden und die Tiefen der Felsschlucht hätten all’ ihrem Grimm und Gram auf einmal ein Ende gemacht.

Die Base erwiderte nicht viel auf Stasi’s Erzählung; sie unterbrach sie nur hier und da mit einem Ausruf der Verwunderung, einem Laute der Theilnahme; als sie geendet, blieben Beide eine Weile still. Dann legte die Alte Stasi’s Hand, die sie in der ihren gehalten, auf’s Bett zurück und erhob sich; es war Zeit, nach den Dienstboten und der Arbeit in Haus und Stall zu sehen; denn im Leben des Bauern hat das eigene Erlebniß nur den zweiten Rang: ob die Arbeit mit fröhlichem oder blutendem Herzen geschieht, ist gleich, aber geschehen muß sie unerbittlich in derselben Art und zu der nämlichen Stunde. „Es ist Tag, Stasi, ich muß fort,“ sagte sie dazu. „B’hüt’ Dich Gott! Ich will’s überlegen und in mir verkochen, was ich jetzt erfahr’n hab’; dann will ich Dir meine Meinung sagen – jetzt weiß ich freilich, wie viel’s bei Dir g’schlag’n hat, besser als Du selber. Wenn ich Dir helfen kann, thu’ ich’s gern; wie man aber helfen soll, das weiß ich noch nit – sei aber darum noch nit verzagt! Es geht oft ein End’ her, wo man’s am wenigsten enttraut. … Aber – aber,“ schloß sie im Fortgehen, „eine böse G’schicht’ ist’s und bleibt’s allemal; wirst einen harten Stand haben; ich sorg’ – ich sorg’ alleweil’, es geht auf’m Kurzenhof, wie’s schon einmal ’gangen hat.“ Sie entfernte sich. Den Tag über trafen sich Beide nicht mehr; Stasi schien eine Begegnung zu vermeiden, die Base suchte sie nicht. Beider Herz war zum Ueberquellen voll; aber nachdem die eine Mittheilung stattgefunden, hatte Jede mit [239] den eigenen Gedanken und Empfindungen so viel zu thun, daß sie ein Gespräch darüber wie eine Störung fürchtete.

Zehnmal hatte Stasi sich am Fenster zu schaffen gemacht oder war unter die Thüre getreten, wie wenn sie nach dem Wetter aufsehen wollte, obwohl der Himmel so klar und heiter blaute, daß auf lange Zeit hinaus ein Umschlag nicht zu befürchten war. Endlich rollte das ersehnte Fuhrwerk aus dem Gebüsche beim Kramerhause hervor. Stasi sah es vom Fenster aus und konnte nicht begreifen, warum es gar so langsam damit vorwärts ging; wie eine Schnecke kroch das Wägelchen den Hang herauf; es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis es vor der Thür hielt, und der Vater, dem Knechte Zügel und Peitsche zuwerfend, von demselben herunterstieg. Die Schwester empfing den Ankommenden, dessen geröthetes Angesicht verrieth, daß er beim Scheibenschießen auch nicht müßig gewesen und sich statt mit der Büchse tüchtig mit Krug oder Flasche zu schaffen gemacht hatte. Er hatte jenen Grad künstlicher Heiterkeit erklommen, bei welchem die Herrschaft über Gedanken und Glieder zwar noch nicht verloren, der Zügel Beider aber locker geworden, und das Gespann im Begriffe ist, durchgehend dem Zurufe des Lenkers nicht mehr zu gehorchen. Stasi vermochte nicht, ihm entgegenzugehen; so sehr sie den Tag über sich nach dem Augenblicke gesehnt hatte, der die Entscheidung bringen mußte, von der ihr weiteres Thun und Lassen abhing, fühlte sie sich doch im Momente selbst von einem unerklärlichen Bangen erfaßt und suchte die Entscheidung noch um eines Pulsschlags Dauer zu verzögern. Sie sollte indeß so bald nicht erfahren, was sie wissen wollte; denn der Vater war so sehr mit den Erinnerungen an die genossenen Freuden beschäftigt, daß er vor Lachen und Plaudern nicht dazu kam, das Erlebte zusammenhängend zu erzählen. „Schön ist’s gewesen,“ rief er und schlug auf den Tisch, daß die Stube dröhnte. „Die Musikanten haben aufgerebellt, daß es nur so gehallt hat! Kaum haben s’ einen Punktschützen angeblasen gehabt, hat schon wieder ein Anderer die Maschin’ aufgeweckt; das Burschet (die Burschenschaft) hat geschossen, daß ’s eine wahre Freud’ ist! Kreuzbirnbaum und Hollerstaud’n – heut’ wann’s den Tirolern wieder einfallen thät’, zu uns hereinzukommen, die thäten sich wundern, wie wir ihnen auf’n Pelz brennen wollten! Die Zieler und die Böller und die Musikanten sind den ganzen Tag nicht zur Ruh’ ’kommen – kannst Dich’s reuen lassen, Stasi, daß Du nit mitgegangen bist – Du hätt’st Dich gewiß auch gut unterhalten.“

„Das glaub’ ich nit,“ sagte Stasi. „Ich kann das Gepulver und Geknall nit leiden. Hat’s denn sonst nix Merkwürdig’s ’geben?“ setzte sie mit Betonung hinzu, um den Vater auf den Punkt zu lenken, den er wie absichtlich zu übergehen schien.

„O, noch genug hat’s ’geben,“ rief der Vater wieder. „Laßt mich nur erst in’s Erzählen recht ’neinkommen! An dem Einen End’, da haben die Kramer ihre Stand’ln aufgeschlagen gehabt, am andern End’ war der Bräu von Hohenburg mit seiner Schenk’, und zu’gangen ist’s wie auf’m Kirta! Da haben’s Cithern geschlag’n und gesungen – die allerschönsten Gesangeln und Schnaderhüpfln, – ’s Herz im Leib hat mir mitgehupft, daß ich hätt’ juchez’n mög’n wie ein achtzehnjähriger Bursch. Besonders ein Schnaderhüpfl hat mir gar so gut gefallen – wart’ nur, wie heißt es denn gleich … ich werd’s wohl nit vergessen haben …“ Er fing zu singen an, brachte aber immer nur die ersten Zeilen des Liedes heraus:

„Ueber’n Baum, unter’n Baum
’S Eichkatzl springt,
Und jetz’ und jetz’ …

Kreuzbirnbaum, jetzt weiß ich richtig nimmer weiter! Gerade das Schönste, die Hauptsach’ fallt mir nimmer ein … Unter’n Baum, über’n Baum …“

„Ah mein, Vater,“ rief Stasi ärgerlich dazwischen, „das sind Dummheiten! Wenn das die ganze Schönheit gewesen ist –“

„Das verstehst Du nit,“ sagte der Bauer, noch immer nachsinnend und halblaut summend: „Ueber’n Baum, untern’ Baum –“

Stasi aber griff unwillig nach dem Licht, um zu Bette zu gehen. „Ich seh’ schon,“ sagte sie, „heut’ ist nix mehr zu reden mit’m Vater … ich will morgen fragen, wenn er ausgeschlafen hat. Gute Nacht!“

„Halt – da bleiben!“ rief der Bauer, indem er sie am Arme hielt. „Jetzt hab’ ich’s, jetzt ist es mir auf einmal eingefallen,“ und nun sang er mit voller Stimme, daß die Scheiben klirrten:

„Ueber’n Baum, unter’n Baum
’S Eichkatzl springt,
Sucht sich ein’ and’re Nuß,
Wenn’s die ein’ nit aufbringt.

Bleib’ nur da!“ fuhr er fort, das widerstrebende Mädchen noch immer festhaltend. „Ist das G’sangl nit eins von den ganz ausgestochenen? Und dann hat’s noch das Gute – das Schnaderhüpfl gemahnt mich jetzt erst d’ran, wegen was für einer Nuß ich eigentlich nach Länggries gegangen bin.“

„So?“ entgegnete das Mädchen anscheinend gleichgültig. „Ich hab’ schon geglaubt, der Vater hätt’ ganz d’rauf vergessen, oder hätt’ nit Zeit gefunden vor lauter Lustbarkeit …“

„Kreuz-Birnbaum, wär’ mir nit lieb, wenn mein eignes Fleisch und Blut so was von mir denken thät! Der Kurz am Berg hat noch allemal seine Sach’ ausgericht’t, wenn er sich um was angenommen hat. Das Schnaderhüpfl, mußt wissen, ist von demselbigen. No, Du wirst schon wissen, wen ich mein’ – von dem Gewissen halt, der sich so gut auf die allerhand Wurzen versteht, die in den Bergen herin wachsen. Er ist mitten unter den Burschen drinnen gesessen und hat Schnaderhüpfeln nur so daher gesungen, wie man die Birnen schüttelt, eins schneidiger und frischer, als das andere, und wie ich ihn recht anschau’ – richtig hat er um den Hals das Ding anhängen gehabt – Du weißt es schon.“

Stasi klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne. „Und wie ist’s damit?“ fragte sie halblaut. „Hat’s der Vater? Bringt er mir’s mit?“

„Na, dasselbige just nit,“ erwiderte der Bauer, indem er etwas verlegen über den kahlen Kopf fuhr. „Der Bursch ist ein gar bockbeiniger Ding – er könnt’ in Deine Freundschaft gehören. Ich wollt’ nit vor allen Leuten davon anfangen, drum bin ich ihm zu Gefallen ’gangen, und wie ich ihn so auf der Abseiten erwischt hab’, da hab’ ich g’rad herausgered’t, frisch von der Leber weg, er soll mir das Büchsel, das er anhängen hat, zum Kaufen geben, hab’ ich gesagt; es gefallt mir so gut. Zuerst hat’ er mich angeschaut nach der Seite, als wenn er mich nit kennen thät, und gar nit wüßte, von was die Red’ ist; nachher hat er gelacht und hat gesagt, das Büchsel gebet er nit her, es gefallt ihm selber grad’ so gut wie mir! Nachher hab’ ich wieder gesagt, ich wär’ halt ganz versessen auf das goldene Ding – er sollt’ mir’s doch ablassen, ich wollt’s gut zahlen, und wollt’ ihm hundert Gulden dafür geben. Er aber hat alleweil nur den Kopf geschüttelt und hat gelacht und mir seine Zähn’ gezeigt, wie ein Holzfuchs, der aus seinem Loch herausguckt! So gib ich Dir zweihundert, – dreihundert, ich gib Dir fünfhundert, hab’ ich gesagt, er aber hat sein Hüt’l geruckt und ist dabei blieben. ‚Und wann Du mir tausend Gulden gäbest, Kurzenbauer,‘ hat er gesagt, ‚so wär mir das Büchsel nit feil! Ich hab’ eine Verlöbniß gemacht, daß ich’s meiner Lebtag anhängen und tragen will, und daß ich’s keinem andern Menschen gib, als meinem Schatz – wenn ich einmal einen krieg.‘ Dabei hat er mich auf die Achsel aufgehaut und fort ist er gewesen und hat mich stehen lassen wie einen Maulaffen. Na, was ist denn aber mit Dir, Stasi?“ unterbrach er sich, „Du zitterst ja, als wannst umfallen wollt’st, Du bist käsweiß bis in den Mund hinein.“

„Ja, ich weiß nit, was es ist, aber es wird mir völli nit recht gut,“ sagte Stasi und wankte ihrer Kammer zu. „Laß mich der Vater nur! Es wird schon wieder vergehn – es vergeht ja Alles mit der Zeit.“

„Kreuzbirnbaum, jetzt wird mir die Geschicht’ dumm,“ sagte der Bauer, der wieder, wie so oft, das Nachsehen hatte und sich der danebenstehenden Schwester zuwandte. „Begreifst Du, was das Dirndl hat?“

„Ich schon,“ war die Antwort. „Ich will Dir auch sagen, wann Du’s hören willst.“

„Ah, da bin ich doch neugierig … Sie ist also nit krank?“

„Ein Fisch im Wasser ist nit gesünder – sie hat die Krankheit, die alle Mädeln in denen Jahren haben – es ist, wie ich Dir gestern schon gesagt hab’ … Sie ist verliebt.“

„Verliebt?“ rief unter lautem Lachen der Bauer. „Also hörst nit auf mit Deine Flausen? In wen sollt’ sie denn verliebt sein – da hätt’ ich doch auch was merken müssen!“

„Ja,“ sagte die Schwester, indem sie sein Lachen spöttisch erwidernd an ihn herantrat und ihn auf die Schulter klopfte, „Du [240] bist derselbige, mit dem man die Andern fangt – wenn man Dir mit dem Stadelthor winkt, merkst Du Alles!“

Sie ging, noch ein kleines Geschäft im Hause zu besorgen, und ließ den Alten mit sich und seinen Gedanken allein, die, wenn er es auch nicht eingestand, doch nicht mehr so recht in den alten Geleisen bleiben wollten und, von der Schwester angeregt, allerlei Kreuzsprünge machten. Er war nicht wenig verwundert, als einige Minuten später noch einmal die Thüre der Schlafkammer sich öffnete, und Stasi, wohl noch blaß, sonst aber wieder anscheinend völlig ruhig auf der Schwelle erschien. „Ich mein’ doch,“ sagte sie, „der Vater hat Recht gehabt neulich – es wird mir gut thun, wenn ich mich ein Bissel um eine Zerstreuung und Unterhaltung umschau’ … Richt’ sich der Vater darauf ein, auf’s Octoberfest will ich auch nach München hinauf.“ …

„Was, auf’s Octoberfest?“ rief der Bauer verwundert. „Und jetzt so auf einmal? Du bist doch über ein Wettermännl – bald aus dem Häusel, bald drinn. … Mir ist’s recht, ich mag mir die Gaudi selber gern anschaun … aber was Du so Besonderes dort suchen kannst, daß Du schier noch einmal vom Bett aufstehst, das begreif’ ich nit!“

„Ist auch nit nöthig, Vater,“ sagte Stasi, schon wieder an der Schwelle der Kammerthür. „Fragt nit lang’ und thut mir meinen Willen – es soll nachher das letztemal sein!“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Unsern „Vermißten Landsleuten jenseits des Oceans“ können wir, wie bereits mehrmals bemerkt, erst nach unserm Kriege wieder die wünschenswerthe Aufmerksamkeit schenken; nicht nur der Raum fehlt jetzt dazu, auch die Aufmerksamkeit der Leser allerwärts wird vom großen Ereigniß des Jahrhunderts völlig eingenommen. Ausnahmen hat aber auch diese Regel, und dazu gehört der folgende Fall, welcher die Theilnahme aller Leser finden wird. Es wird uns nämlich aus Würzburg am 2. Januar d. J. geschrieben: „Geehrte Redaction der Gartenlaube! Am Weihnachtsabende wurde ich zu einem uralten Ehepärchen gerufen, zu dem, wie mir schien, kein Mensch auf der Welt mehr in näherer Beziehung steht; es hat eben Alle überlebt, mit denen es verwandt oder befreundet ist, und lebt in einem entlegenen Winkel Würzburgs in einem kleinen einsamen Stübchen mit der Aussicht auf einen kleinen Garten und eine hohe Gartenmauer. Der Alte, der schon längere Zeit das Zimmer hüten muß, hat auch einmal in seiner Jugend zwei Feldzüge nach Frankreich mitgemacht und erzählt gar schön von Anno dazumal, ist aber mit der jetzigen Generation auch sehr zufrieden, ja meint sogar, die Jungen pfiffen diesmal noch besser, als die Alten. Doch das gehört nicht hierher. Ich schreibe Ihnen wegen einer Herzensangelegenheit des alten Männchens. Derselbe hatte nämlich auch einmal einen Sohn, der sich dem Schneiderhandwerk gewidmet und nach Amerika gegangen war, dort heirathete, seit acht Jahren aber verschollen ist. Sein letzter ausführlicher Brief ist datirt aus Baltimore vom 30. Juli 1863; in diesem schreibt er unter Anderem, daß er Wittwer geworden sei und zwei schulpflichtige Kinder habe. Als seine Adresse gab er an: G. H. Oppmann care of Henry Sonnemann No. 498 West Baltimore St. Seit dieser Zeit hat der Alte trotz vieler Briefe weder von dem Sohn, noch von Enkeln mehr etwas gehört. Und so saß er denn am Weihnachtsabend mit seinem alten Mütterchen recht traurig hinter dem Ofen und dachte an seine Enkel, die er noch nie gesehen und von denen er nicht weiß, wo sie sind, denen er aber sein bischen Hab und Gut vermachen möchte. Das Mütterchen natürlich glaubt sie schon lange todt und hofft nur noch auf den Himmel. Ich aber war mäuschenstill und dachte an die Gartenlaube, die schon so Manchen wiedergefunden hat, um so leichter, da unsere Erde doch ein klein wenig kleiner ist, als der Himmel, weshalb man Einen hier jedenfalls eher findet, als dort. Und so ging ich nach Haus und schrieb das, was Sie soeben gelesen haben. Vielleicht kann ich am nächsten Weihnachtsabend ihnen einen Gruß von den Enkeln bringen, vorausgesetzt, daß die Alten noch leben und die Gartenlaube es den Baltimorern über’s Meer bringt.

Hochachtungsvollst Dr. med. M. Jos. Roßbach.“

Fr. Helbig, ein Thüringer Schriftsteller, welcher unseren Lesern durch eine Reihe von Artikeln, namentlich über die geistigen Größen und das Volksleben seines Heimathlandes, bekannt ist, – wir erinnern nur an seine Aufsätze. „Ein Denkmal auf dem Schlachtfeld von Jena“, „Die schwedische Gräfin auf der Kunitzburg“, „Die letzte Todte aus Weimars großer Zeit (C. v. Wolzogen)“, „Das Arbeitsmekka der Thüringer Frauenwelt (Apolda)“ etc. – hat jetzt auch auf dem Felde des Dramas glückliche Schritte gethan. Nachdem seine Versuche schon durch Bodenstedt in Meiningen aufmunternde Beurtheilungen erfahren, ist neuerdings eine Tragödie großen Stils, „Gregor VII.“, von der Hofbühne in Weimar angenommen worden und wird nächstens zur Aufführung kommen. Nach des Dichters Auffassung fällt die große, hohe, edle Persönlichkeit Gregor’s unter dem unheimlichen Einfluß jener finsteren Gewalten, die auch noch heute im katholischen wie im protestantischen Heerlager alles Hohe und Edle, allen Fortschritt der Menschheit bekämpfen, – und so erscheint Helbig’s Drama als ein wesentlicher Beitrag zu dem zweiten Kriege, den Deutschland nach dem nun zu Ende gehenden gegen den äußeren Feind zu kämpfen haben wird gegen den inneren, den Jedermann kennt und den wir den Lesern der Gartenlaube nicht erst an die Wand zu malen brauchen.


Ein Mißverständniß. Man erzählt sich in Berlin bekanntlich gern Anekdoten vom „alten Wrangel“ dessen berühmte und originelle Persönlichkeit bereits in einen förmlichen Sagenkreis gezogen worden ist. Alle ausgezeichneten Leute trachten danach, ihm vorgestellt zu werden, und sein Adjutant hat dabei die Obliegenheit, ihn über dieselben ein wenig zu orientiren, wie dies auch fürstlichen Personen gegenüber bei Vorstellungen zu geschehen pflegt.

Eines Tages nun läßt sich der Dichter Putlitz dem Feldmarschall vorstellen, und der Adjutant flüstert demselben als Hindeutung auf Putlitzens Werk rasch zu: „Excellenz, ‚Was sich der Wald erzählt.‘“ Der alte Herr, zu dessen Lieblingsbeschäftigung die schöne Literatur nicht gehören soll, mißversteht den Wald und fragt, höchst leutselig sich an Putlitz wendend: „Sind Sie schon lange im Forstfach thätig, Herr von Putlitz?“


Die heimliche Feldpost. (Mit Illustration S. 228.) Der größte Krieg ist nicht stark genug, den Starrkopf eines alten Bauern zu beugen. Er giebt zu der Heirath seines Sohnes, der im Felde steht, mit der armen Anverwandten seinen Consens nicht, und wenn noch zehn Napoleone ihr Sedan fänden. Die Sache ist nicht neu, aber etwas Anderes ist es nur, ob der Geliebte nur „in der Fremde“ weilt, auf ungefährlicher Wanderschaft, oder ob er unter den Fahnen steht im furchtbarsten Krieg aller Zeiten. Das macht diese Liebe sehr ernst, der Schmerz weihet sie, und wir sehen in der Heimlichkeit, mit welcher der Landbote den Feldpostbrief an seine Adresse bringt, nicht mehr einen Betrug gegen den harten Alten, sondern die brave Bethätigung eines patriotischen Mitgefühls mit dem tapfern deutschen Kämpfer und seinem Lieb. Dem alten Bauer hat der Bote von den neuesten Kriegsbegebenheiten gerade so viel mitgetheilt, als nöthig war, seine Neugierde auf’s Höchste zu spannen: die Hast, die Brille auf die Nase zu bringen, macht ihn gegen die hinterrücküge Thätigkeit des Boten blind. Die Kinder sind die liebe Unschuld selbst; die Schwiegertochter, deren Mann nicht im, sondern auf dem Felde draußen ist, scheint im Einverständniß mit den jungen Leuten zu stehen, und die gute Alte, die dem Boten ein Gläschen Bier einschenkt, verräth gewiß nichts von der ganzen Geschichte. Wenn aber der Sohn und Geliebte heimkommt, er, der für das Vaterland allen Schrecken des Todes muthig entgegengeschaut, so ist er gewiß ein Mann geworden, der nicht nur seines Vaters anererbtes Vorurtheil, sondern manches andere Hinderniß, das alte Verstocktheit der Selbstsucht im Gemeinde- und Staatsleben dem wahren Wohle des Volks und des Einzelnen entgegenstellt, als Bürger ebenso tapfer wie als Soldat, mit den Waffen des Gesetzes wird zu bekämpfen und zu besiegen wissen. Die Bräute aber, die sich ihre Männer so schwer erringen müssen, denen die Heimlichkeit von Leid und Lust die Liebe und die Treue festigte und das Herz rein erhielt, welche Mütter müssen sie werden und welche Söhne und Töchter werden sie nicht dem Vaterland erziehen! Das ist der schönste Segen von des Volkslieds „heimlicher Liebe, von der Niemand nichts weiß.“


Kleiner Briefkasten.

Sch. St. in D–dorf. Lassen Sie sich doch, Verehrtester, durch solche Kindereien nicht irre führen. Ist man ja uns selbst wiederholt an die Hand gegangen, auch unsererseits den Lesern der Gartenlaube einen „echten Kutschke“ vorzustellen – wir haben es aber vorgezogen, uns an einer Concurrenz dieser Art nicht zu betheiligen. Was übrigens das „Militär-Wochenblatt“ in einer seiner letzten Nummern über das Kutschkelied sagt, ist von allgemeinstem Interesse und ganz geeignet, alle falschen Kutschke’s definitiv um ihr kümmerliches Dasein zu bringen. In dem genannten Blatte tritt nämlich Jemand den Beweis an, daß das „Kutschkelied“ einem seit 1813 im Volksmunde fortgeerbten Singsang entstamme und seine heutige Form in folgender Weise empfangen habe. In den Jahren 1858 fgg. sang das vierte Jägerbataillon (Sangerhausen) auf dem Marsch gern ein Lied, das mit den zwei allbekannten Zeilen begann: Was kraucht etc. und dann mit den mannigfachsten Androhungen des Dreinschlagens fortfuhr. Im Juli v. J., als das vierzigste Infanterie-Regiment bei Saarbrücken eines Tages im Waldversteck lag, fiel dem Reserve-Officier, Kammergerichts-Assessor Mitscher, der früher als Einjähriger bei den Sangerhauser Jägern gestanden hatte, jenes „Buschlied aus der Franzosenzeit“ ein. Er trug es seinem Hauptmann vor und einige Füsiliere, die mit zugehört, trugen es weiter. So entstand das neue Kutschkelied, das, durch Druck zuerst von der Kreuzzeitung mittgetheilt, wie im Flug seinen Weg durch die ganze Armee und durch ganz Deutschland nahm, immer mit neuen Zusätzen ausgeschmückt und mit neuen Strophen bereichert und wirklich echt nur in den zwei unsterblichen Zeilen: Was kraucht etc.

K. in Sp. Freundlichsten Dank für Ihre Mittheilungen und die gleichzeitige Bitte um baldige Fortsetzung derselben. Bezüglich Ihrer Anfrage können wir uns nur auf eine frühere Erklärung berufen, worin wir um Einsendung interessanter Kriegserlebnisse, hervorragender Züge von Tapferkeit oder Kriegslist, von Beweisen kriegerischen Edelmuths und Menschlichkeit ausdrücklich ersucht haben. Wir können heute diese Bitte nur wiederholen und Sie ersuchen, dieselbe Ihren Freunden mitzutheilen.

A. B. in C. Ihre Gabe für den Christbaum armer Kinder der Verwundeten und Gefallenen unserer Landwehrmänner und Reservisten ist angekommen und entsprechend verwendet worden. Das späte Eingehen der Bescheerungsberichte, namentlich aus Elsaß und Lothringen, hat bis jetzt die öffentliche Quittirung und Berichterstattung in der Gartenlaube über dieses große Kinderfest verzögert, die nun aber in einer der nächsten Nummern unseres Blattes erfolgen wird.

N. N. in Ratibor. Der gröbste Schwindel – eine Nachahmung des „Persönlichen Schutzes“.


  1. Es mag hier ebenfalls am Platze sein, die beiden technischen Worte „retten“ und „rollen“ zu bezeichnen, die eben nichts weiter bedeuten als „annectiren“, aber mehr en détail. Der Soldat hat dabei noch einen andern Ausdruck, denn wenn man ihn fragt, was er für den oder jenen ihm eben nicht eigenthümlichen Gegenstand gegeben habe, so antwortet er gewöhnlich: „Fünf Sous!“ und wenn der Preis mit der Sache nicht im Verhältniß steht und man ungläubig mit dem Kopfe schüttelt, so erklärt er es pantomimisch, indem er mit seinen fünf Fingern in die Luft hineingreift und das Wort mit etwas stärkerem oder schärferem Accent wiederholt: „Fünf zu.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage Heft 14: C. Werner