Die Gartenlaube (1877)/Heft 12

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1877
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[189]

No. 12.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Aus gährender Zeit.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


„Das ist erstaunlich,“ meinte Urban kopfschüttelnd. „Aber,“ fuhr er plötzlich lebhaft fort – „hören Sie, Donner – ich habe noch eine zweite Idee. Ich werde ein wenig für Sie spioniren. Sie können sich nicht so ungefährdet unter diese Leute mischen wie ich, und thäten Sie es wirklich, so erführen Sie wahrscheinlich doch nicht viel. Ich empfinde die größte Lust, einmal den Demokraten zu spielen. Meinethalben könnte ich die Möglichkeit eines Unfalles in dem Gedränge zum Vorwand gebrauchen, um mich den Herren als Arzt aufzudrängen. Was meinen Sie?“

Der Commissar blickte den dienstfertigen Begleiter argwöhnisch von der Seite an; dann spielte einen Moment ein listiges Lächeln um seinen Mund.

„Ich würde es an Ihrer Stelle unterlassen. Es konnte Ihrem Rufe schaden.“

„Ich will Ihnen nur gestehen,“ sagte der Arzt nach einigem Zaudern, „daß ich auch ein wenig meine Praxis im Auge habe, wenn ich es thue. Ich habe mit Leuten, welche den Wiedenhof besuchen, ziemlich viel zu thun, mit solchen, die zur Union gehören, sehr wenig. Und daß unter den Gästen des Wiedenhofes die schlimmsten Demagogen stecken, wissen Sie ja auch, obschon es schwer hält, sie heraus zu finden.“

Donner hielt an. „Ich muß in das Haus hier treten,“ sprach er.

„Ich werde mir die Sache ansehen, Commissar; wenn es etwas einbringt, so will ich gern bis an das Ende des Trubels in meinem und Ihrem Interesse den Demokraten heucheln. Sie sollen einen Bericht bekommen, den Sie sofort zu den Acten nehmen können.“

„Nun, gut,“ murmelte der Commissar hinter dem Weiterschlendernden drein; „aber wir wollen Dich ein wenig genauer in's Auge fassen, Freundchen, nur endlich zu erfahren, wie wir mit Dir daran sind.“

Urban hatte nicht minder seine Nachgedanken, als er dem Beamten den Rücken wandte. Er fühlte sehr wohl, daß das Vertrauen Donner’s in ihn stark erschüttert war. Vermuthlich wäre ihm das sonst gleichgültig gewesen. Aber er erblickte in demselben das Werkzeug, welches ihn an dem einzigen Menschen rächen sollte, gegen den er unauslöschlichen Haß empfand – an Zehren.

Der Einfall mit der Beschlagnahme der Briefsendungen an und von Zehren auf der Post, den er gelegentlich hingeworfen hatte, wollte ihm nicht aus dem Sinne, und immer versucherischer und deutlicher krystallisirte sich ein Plan um denselben. „Pah!“ sprach er endlich für sich. „Es ist im Grunde ein Lumpenstreich, führt vielleicht nicht einmal zum Ziele. Aber ich muß ihm Beschäftigung geben, damit er den Glauben an mich nicht verliert.“ –

Zur Zeit der ersten Dämmerung saß der Doctor in seiner Wohnung und harrte auf den Besuch Bandmüller’s, der länger ausblieb, als er erwartet hatte. Auf dem Schreibtische lagen ein paar Schriftstücke, mit deren Abfassung er sich während der späten Nachmittagsstunden beschäftigt hatte, und er nahm deren eines zu sich an das offene Fenster und versuchte es zu überlesen. Die Abendluft wehte wohlig herein; draußen lärmten noch ein paar Kinder; die Bewohner der Straße wanderten plaudernd und lachend auf und ab, und drüben im Fenster lag, wie alle Abende, der glatzköpfige, behäbige Rentier und blies die Dampfwolken seiner Pfeife in den stahlgrauen Himmel. Urban legte endlich das Papier weg. „Alles recht schön, teuflisch schön, aber schreiben – schreiben! Ich brauche einen Falschmünzer, der diesem Zeuge da den Schein echter Münze giebt.“ Er wollte sich eben wieder setzen, fuhr aber auf wie ein ertappter Dieb, als er gewahrte, daß sich gleichzeitig ein menschlicher Kopf zum Fenster hereinbog, der ihn angrinste.

Er erkannte Bandmüller.

„Entschuldigen Sie, Herr Doctor! Ich komme doch nicht zu spät? Es ging nicht eher. Wichtige geschäftliche Besorgungen!“

„Bleiben Sie draußen, Herr Bandmüller!“ erwiderte Urban, indem er nach seinem Ueberrocke griff. „Es ist spät geworden, und wir können unsre Angelegenheit auch auf einem Spaziergange abmachen. Ich muß nothwendig noch etwas Luft schöpfen.“

Sie schlugen die Richtung zum Canale hinunter ein, und Bandmüller wagte nach kurzem Schweigen zu fragen, was es denn gäbe.

„Was es giebt? Je nun, es soll mobil gemacht werden, Bandmüller, und es muß schleunigst damit begonnen werden. Wir haben endlich beschlossen, daß demnächst, am Sonntage vor der Kiliansprocession, reine Wirthschaft gemacht werden soll und zwar in Anknüpfung an eine große Empfangsfeierlichkeit, welche dem von Berlin heimkehrenden vom Rath zu Ehren veranstaltet wird. Man wird zunächst sofort eine revolutionäre Stadtregierung constituiren, und außerdem muß alsbald an den Barrikadenbau gegangen werden, damit wir uns nöthigenfalls [190] gegen das Militär behaupten können. Der Plan ist noch nicht genau durchgearbeitet; was ich Ihnen zur Instruction mittheile, sind Punkte, welche die allgemeine Billigung haben. Benutzen Sie jeden Abend während der kurzen Zeit bis auf St. Kilian, um die Leute in Ihrem Quartiere vorzubereiten, aber zunächst nur die Zuverlässigen, die wir als zu uns in jedem Falle gehörig kennen! Erst kurz vor dem Losschlagen dürfen dieselben bestimmt Andern gegenüber mit dem Plane herausgehen, nachdem sie dieselben ausgehorcht und zur Beihülfe geneigt gefunden haben, und sie dürfen ihnen goldene Berge versprechen; ob sie hinterher etwas davon besehen, kann uns sehr gleichgültig sein. Vorsicht, größte Vorsicht, Bandmüllerchen! Ich werde Ihnen nachher über diesen Punkt noch Einiges sagen. Unsere Leute müssen sämmtlich auf jeden Fall irgendwie bewaffnet sein; es könnte Widerstand in der Stadt geben, wiewohl ich glaube, daß wir das Arbeitervolk rasch auf unsere Seite bringen. Ferner müssen möglichst Hacken mitgebracht werden, um das Pflaster aufzureißen. Während wir an den Barrikaden zu arbeiten anfangen, werden Piquets abgeschickt, um im Namen der Revolution die Waffenläden auszuborgen und Blei zum Kugelgießen zu beschaffen. Im Pulverhause auf dem Grützenberge draußen lagern gerade jetzt ausreichende Vorräthe, um uns auf lange zu versorgen, wenn wir sparsam sind. Es ist ein Glück, daß wir keine Kanonen haben, die uns das Pulver wegfressen würden. Wir brauchen nur ein paar Ladungen für die alten Stadtböller und außerdem Sprengpulver. Vor der Chausseebrücke wird der Triumphbogen gebaut, und Sie können dieser Tage schon – ich lasse Ihnen Mittheilungen über die Zeit zugehen – freiwillige Arbeiter dazu stellen. Auf dem Rauhenfelde bis links an den Steinbruch ist Versammlungsort; dahin müssen die Leute beordert werden; der Platz faßt bequem ein paar tausend Menschen. Punkt neun Uhr, wenn geläutet wird, bringen wir den Abgeordneten im Wagen von Bramkerken her; vor der Brücke werden die Pferde ausgespannt, und es stellen sich Leute an die Deichsel und ziehen den Wagen herüber; die Böller krachen dreimal und Alles schreit: 'Es lebe das souveräne Volk; es lebe die Revolution!'“

Bandmüller war anfangs mit sprachlosem Staunen, später unter vergnügtem Händereiben und mit funkelnden Augen neben Urban hergegangen. „Teufel auch!“ sagte er, als dieser eine Pause machte, „das ist aber merkwürdig schnell gekommen, ganz unerwartet schnell“ – und man sah, wie er rasch ein paar eilige Gedanken im Kopfe wälzte, ehe sein Begleiter den Faden wieder aufnahm.

„Die Gelegenheit ist zu günstig und die politische Spannung gerade auf einen Höhepunkt gekommen. Eine Hauptarbeit wird für Sie am Samstag vorher zu thun sein; ich kann auch diese nur in allgemeinen Umrissen andeuten. Zuvörderst müssen Sie am Nachmittag einen Zuverlässigen auf die Dörfer im Thal schicken; ebenso über die Horseberge, – wir haben ja Erkundigungen eingezogen, daß wir etwa der Hälfte der Bauern sicher sind, und es muß gesorgt werden, daß diese am Sonntag früh zwischen acht und neun Uhr spätestens in der Stadt sind und mitbringen, was irgend zum Schießen, Hauen und Stechen gut ist. Vor Samstag braucht dort nichts bekannt zu werden, weil wir die Leute nicht unter Controle haben. Weiter schicken Sie Samstag Abend soviel Mann mit guten Pferden auf das Rauhenfeld, wie Sie irgend auftreiben können; suchen Sie auch ein paar Mann aus, die wir auf die Bahn werfen und den Rhein hinauf und hinunter spediren können. Sie müssen durch die rheinischen Städte die Runde machen, um anzusagen, daß man sich zum Schlagen bereit halten möge und daß wir hier den Anfang gemacht haben. Nehmen Sie schwächliches Volk dazu, welches schlau und flink ist! Was ordentliche Muskeln besitzt, können wir hier besser gebrauchen. Endlich müssen wir darauf Rücksicht nehmen, daß wir das Militär dicht auf dem Halse haben, und uns so lange wie möglich vor ihm sichern. Die Eisenbahnzüge halten wir vom Sonntag früh an hier fest; der letzte Samstagszug muß die nöthigen Leute befördern, um halbwegs zwischen hier und dem Rheine die Schienen aufzureißen. Die Chaussee wird auf Ihrer Seite an den drei engen Stellen, wo der Berg an das Wasser vortritt, verbarrikadirt; wir hauen ein paar Dutzend Pappeln während der Nacht nieder und sprengen das lockere Gestein mit Pulver auseinander, um Material zu gewinnen. Wie gesagt, wir sind noch nicht völlig klar bis in’s Einzelne, und Sie werden das Nähere noch erfahren. Ich wollte Ihnen die ganze Idee nur im Allgemeinen vorlegen und Sie auf das Gewissen fragen, ob Sie bereit sind, bei der Ausführung in Ihrer Eigenschaft als Bezirksoberer mitzuwirken.“

„Das braucht auch noch einer Betheuerung!“ lachte der Gefragte.

„Dann hören Sie aber noch die Hauptsache!“ fuhr der Doctor nach kurzem Besinnen fort. „Merken Sie wohl auf: wer in den Plan eingeweiht wird, muß sich verpflichten, vor keinem Menschen einzugestehen, daß er darum weiß; besonders daß die Weiber nichts erfahren! Jedermann muß seine Vorbereitungen heimlich halten. Für die kurz vor der Ausführung Neuangeworbenen aber gilt das nämliche Gesetz der Verleugnung. Nicht einmal den Oberen gegenüber ist es erlaubt zu zeigen, daß man von dem Plane unterrichtet ist. Es muß den Leuten ausdrücklich gesagt werden, daß sie nicht stutzen sollen, wenn wir uns selber so stellen, als wären wir der Sache fremd. Bemerken Sie das wohl!“

„Eine höchst pfiffige Idee!“ schaltete Bandmüller ein.

„Wir sind zu den möglichsten Vorsichtsmaßregeln gezwungen, um uns den Rücken zu decken. Lassen Sie sich von den Leuten schwören, daß sie von da ab, wo ihnen die Mittheilung geworden ist, nüchtern bleiben wollen, denn der Spiritus schwatzt. Versprechen Sie darauf los, wie ich Ihnen schon sagte! Das Wichtigste bleibt, daß Alles zunächst ordentlich in Fluß kommt. Daß die richtigen Ziele hochgehalten werden, dafür wollen wir schon sorgen.“

Das rothe, buschige Gesicht des Fabrikleiters verzog sich zu einem heimlichen Grinsen, das die Dunkelheit barg. „Natürlich,“ meinte er, „es muß Ordnung bleiben. Es handelt sich ja blos um das Vaterland.“

Die Beiden waren zuletzt die Kaiserstraße entlang gegangen, an dem Seyboldt’schen Etablissement vorüber, und befanden sich zwischen den letzten Häusern. Am Himmel funkelten die Sterne; unter ihnen zog sich das Thal hin mit den hohen Berglehnen zur Seite, welche schwarzen Riesenmauern glichen, an denen hier und da ein Licht glomm. In ihrem Verlaufe rückten dieselben nahe zusammen, so nahe, daß ein Bergthor entstand, durch welches man den Fluß sich zwängen sah, mit der Chaussee als Begleiterin. Es war still hier draußen. Vom Wasser her wehte feuchter Duft, und ein kühles Nachtlüftchen bewegte sanft die Blätter der steilen Riesenpappeln.

„Wollen wir nicht umkehren?“ fragte Bandmüller.

„Es würde Ihnen wohl zu weit werden, wenn Sie mich bis an’s Ende meines Spaziergangs begleiten wollten,“ versetzte Urban. „Vielleicht kehren Sie allein um. Es ist eine Liebhaberei von mir, nächtliche Promenaden zu machen.“

Er sprach das in einem Tone, dem man ziemlich deutlich anhörte, wie angenehm ihm der Weggang seines Begleiters sein würde. Vielleicht war gerade dies der Grund, welcher Bandmüller veranlaßte, zu bleiben.

„Ich bin mit nächtlichen Märschen viel mehr vertraut, als Sie glauben mögen,“ sagte er gleichmüthig, indem er weiter schritt; „und ich habe dergleichen in Gegenden gemacht, wo es keine Chausseen gab und keine anderen Wege als Büffelfährten.“

„Nicht möglich!“ sprach Urban. „Sie waren in Amerika?“

„Vor einiger Zeit. Aber das Leben drüben gefiel mir nicht.“

„Ich hörte diese Nacht von einem gewissen Hendricks erzählen, der von hier hinübergegangen ist und ein abenteuerliches Leben geführt haben muß.“

Bandmüller schwieg.

„Da fällt mir etwas ein,“ unterbrach der Doctor plötzlich den eintönigen Schall der Schritte. „Kennen Sie zufällig einen Menschen, der im Stande wäre, meine Handschrift genau zu copiren? Es liegt mir für einen bestimmten Fall außerordentlich viel daran. Ich könnte allerdings nur einen zuverlässigen Menschen gebrauchen, dem man ein Geheimniß anvertrauen oder nöthigenfalls den Mund versiegeln kann.“

„Ich wüßte Niemand,“ sagte der Andere nach kurzer Ueberlegung.

Vor ihnen ragte ein Gebäude auf, aus dessen Schornstein helle Garben von Funken emporloderten. Ein Feuerschein fiel aus dem Hause über die Chaussee und strahlte ein paar Wagen und Pflüge an, und der klingende Schlag eines Hammers ließ keinen Zweifel aufkommen, daß sie sich der Schmiede näherten, welche dem Doctor vom Mittag her in lebhafter Erinnerung stand. [191] Er schielte seitwärts nach dem Berge hinüber, konnte aber keine Spur von Zigeunern entdecken. Sollten diese schon weiter gezogen sein?

„Ich hörte heute, daß hier draußen eine Zigeunerfamilie sich gelagert hätte,“ warf er hin. „Die Familienmutter sollte krank sein, und da ich einmal hier bin, so hätte ich nach dem Weibe sehen können. Aber ich sehe die Gesellschaft nirgendwo.“

„Das wäre für hiesige Verhältnisse ganz romantisch,“ versetzte Bandmüller, der plötzlich wieder lebendig wurde. „Wir müssen die Gegend einmal untersuchen.“

Der Berg ging an der Stelle, bis zu welcher die beiden Nachtwandler gelangt waren, hart an die Chaussee vor, sodaß die Pappeln sich fast an die glatte Wand lehnten. Kurz vor der Schmiede trat derselbe indeß mit rascher Einbiegung zurück, sodaß nur eine niedrige Wandung, einer Lehmmauer ähnlich, hinter den Bäumen entlang lief. Es wuchs massenhaft Teufelszwirn auf dem Kamme, wie man an dem niederhängenden Gewirr der Zweige selbst in der Dunkelheit erkennen konnte.

Kaum waren die Zwei ein Stück an dieser Wand hingegangen, so hörten sie hinter derselben vernehmlich Knurren, dann ein scharfes Gekläff und zugleich eine menschliche Stimme, welche besänftigende Worte zu reden schien.

„Oho, wir sind auf der Fährte,“ sprach Bandmüller. „Der Platz ist gut gewählt – das muß man sagen.“ Damit schritt er um die Ecke der Mauer, welche plötzlich abschnitt.

Es zeigte sich, daß man den Berg von der Schmiede aus abgeräumt hatte, sodaß eine nicht unbeträchtliche Ausschachtung entstanden war; die niedrige Mauerflucht an der Chaussee hatte man stehen lassen. An dieser geschützten Stelle stand in der That der Wagen der Zigeuner.

Das Pferd lag neben der Stange abgesträngt auf dem Boden. Hinter dem quergestellten Gefährt konnte man ein helles Feuer erblicken; unter dem Wagenboden hing eine Art Hängematte, in welcher nach Urban's ausgesprochener Vermuthung den jüngeren Sprößlingen der Familie ihr Nachtquartier angewiesen sein mochte. Zwei Hunde, welche man an die Räder gebunden hatte, knurrten die Ankommenden mißtrauisch an und ließen sich auch durch das leise Zischen einer Gestalt nicht beruhigen, welche sich von drüben spähend unter den Wagen bog.

Als die Beiden den Wagen umgingen, kroch diese Gestalt zurück, und sie sahen, daß es ein junger Bursche war mit unverfälschtem Zigeunertypus. Er lag halben Leibes aufgerichtet zwischen dem Feuer und dem Wagen im Grase und starrte neugierig auf die unerwarteten Gäste. Jenseits des Feuers, über welchem an drei zusammengestellten Stangen ein Kessel hing, war eine zweite Männergestalt sichtbar, welche, platt ausgestreckt, sich um nichts zu kümmern schien. Unmittelbar vor dem Doctor und seinem Begleiter aber kauerte die braune Juschka, das Gesicht mit einer halben Wendung auf Urban gerichtet, dessen Anblick sie völlig gelähmt zu haben schien. Das schwarze, schlichte, glänzende Haar war von dem Kopftuch befreit; ihren Oberkörper umhüllte lose nur das Linnenhemd und die vollen Schultern schimmerten im Wiederschein der Gluth wie Goldbronze.

Nur ein paar Secunden saß sie, tiefe Angst im Antlitz, unter dem Banne der Ueberraschung gefangen. Plötzlich, noch ehe einer der Beiden Zeit fand ein Wort zu sprechen, schnellte sie mit der Elasticität einer Schlange vom Boden auf und sprang, einen schwachen Schrei ausstoßend, zwischen ihnen hindurch, indem sie Bandmüller's ausgesteckten Arm bei Seite schlug; sie flog dann in der Richtung zwischen der Schmiede und dem Berge hin, wo sich im Dunkel übermannshohes Gebüsch hinzog, und lautschallend folgte ihr das heulende Gebell der beiden Köter.

„Eine Zigeunerschönheit, eine echte Zigeunerschönheit!“ rief Bandmüller; „ich will Ihnen das braune Schätzchen einfangen, Herr Doctor.“ Und blitzschnell rannte er hinter der Flüchtigen drein. Seine schweren Schritte hallten von der Bergwand wieder; aus der Entfernung konnte man das Knacken und Knistern des Gehölzes vernehmen, welches die Zigeunerin erreicht hatte; endlich waren die zwei Gewalten im Dunkel der Nacht verschwunden.

Die beiden Zigeuner waren aufgesprungen und standen mit feindlichen Blicken neben Urban. Das krause, zottige Haar des älteren zeigte schon Spuren von Grau.

„Beruhigt Euch!“ sagte Urban, indem er furchtlosen, stolzen Auges die fremdartige Nachbarschaft musterte; „es wird dem Mädchen nichts geschehen. In wenigen Minuten, denke ich, soll mein Begleiter sie Euch wieder zuführen. Ich bin Arzt und hörte, daß Ihr eine Kranke im Wagen habt; vielleicht kann ich ihr mit meiner Kunst helfen.“

Die zwei Männer tauschten beredte Blicke aus und wechselten ein paar Mal Rede und Gegenrede in einer dem Doctor unverständlichen Sprache. Dann ging der Jüngere rasch, an diesem vorüber, in der nämlichen Richtung davon, welche die braune Juschka und ihr Verfolger eingeschlagen hatten.

Das Wasser im Kessel schäumte zischend über, und der Alte nahm das Gefäß vom Gestell herunter und setzte es auf den Boden. Urban sah dem Manne schweigend zu; sein Auge fiel seitwärts auf die Hängematte, in welcher es sich regte. Drei schwarze, blitzende Augenpaare schielten verstohlen zu ihm herauf; das Ganze sah aus wie ein Nest voller junger Vögel, welche ein Knabe erschreckt hat.

In diesem Moment ließ sich im Wagen eine klagende Stimme vernehmen. Der Zigeuner ging rasch zum hinteren Theile desselben, löste eine Schleife vom Pflock und schlug die Plane ein wenig zurück. Das krampfhafte, blasse Gesicht eines Weibes wurde sichtbar, vom flackernden Schein der Flamme überflogen. Der Alte begann mit seiner tiefen, heiseren Stimme in abgebrochenen Sätzen zu erzählen, von schwachen, jammernden Interjectionen der Kranken begleitet. Urban verstand wieder von alledem nichts; er sah nur, daß zuletzt von ihm die Rede war, denn die Augen der Frau, welche tief eingesunken waren, hefteten sich auf ihn.

„Laßt mich die Kranke untersuchen!“ sprach er, in die Mitte des Wagens hinübertretend, sodaß ein breiter Streifen Beleuchtung zwischen seinem Schatten und demjenigen des Zigeuners blieb. „Wie lange ist Euer Weib leidend?“

„Schon seit ein paar Monaten, Herr.“

„Gebt mir die Hand, Frau!“

Der heftige Fieberpuls und ein kurz darauf folgender Hustenanfall sprachen für den erfahrenen Arzt deutlich genug. Er legte die abgezehrte Hand, die er in der seinen hielt, auf die Lumpen zurück, zwischen denen die Kranke lag.

„Es ist gut,“ sagte er; „kommt ein paar Schritte mit mir, Mann!“

Der Zigeuner folgte ihm hinter den Wagen. „Die Frau muß sterben,“ sagte er halblaut. „Fahrt nicht so viel mit ihr herum, sondern sucht Euch einen ruhigen Platz aus, wo Ihr bleibt, bis Alles vorüber ist! Es kann nur ein paar Wochen noch dauern. Werft Alles von Euch, was Ihr an Hoffnung noch übrig habt!“

Der Alte stöhnte aus tiefster Brust.

Urban griff in die Tasche und zog seine Börse, aus welcher er unbesehen einen Theil des Inhaltes auf seine Hand schüttete und dem Alten hinreichte, der sich blitzschnell bückte und den Rockzipfel des Arztes an die Lippen drückte, ehe dieser es verhindern konnte.

„Kauft ihr, was ihr Freude macht! Es ist traurig sterben zu müssen, ohne das Leben genossen zu haben.“

Eine Gestalt bewegte sich langsam auf sie zu; es war der junge Zigeuner. Urban wurde unruhig, denn der Alte sprang mit lebhafterer Bewegung, als er bisher gezeigt, auf die Seite und vertrat ihm den Weg, und der Arzt meinte die Augen desselben im Dunkel zornig funkeln zu sehen. Ein heftig hervorgesprudelter Zuruf, welcher dem Ankommenden galt, wurde von diesem mit kurzer Rede beantwortet, und es schien, daß diese Beruhigendes enthielt, denn der Zigeuner wandte sich seitwärts und ließ den Doctor passiren.

Dieser erreichte mit wenigen Schritten die Chaussee und sah sich um, aber von Bandmüller war nichts zu entdecken. Er schwankte einen Augenblick kopfschüttelnd, ob er ohne denselben zur Stadt zurückkehren oder im Weitergehen dessen Ankunft erwarten sollte, und die Begierde zu erfahren, welchen Ausgang die Verfolgung des jungen Geschöpfes genommen, entschied für das Letztere.

Er ging zwischen den Pappeln hin, an der Schmiede vorüber, in welcher der Hammerschlag verklungen war und vor welcher der dunkel-verworrene Haufe von Geräthschaften ihn gespenstisch anblickte. Ein Stück hinter der Schmiede rückte das Gebüsch an den Weg, und die Blätter regten sich leise im Lufthauche, während zur Linken das stille Rieseln und Rauschen des Flusses klang. – – [192] Inzwischen war Bandmüller der flüchtigen Zigeunerin in eiligem Fluge gefolgt. Als er an das Holz gelangt war, hatte er nur das Knacken der Zweige vor sich als Führer, um auf ihrer Spur zu bleiben. Er horchte auf die Richtung und brach dann mit gewaltigen Sprüngen in das nicht allzu dichte Buschwerk, den Hut in der Hand und unbekümmert, ob Zweige und Blätter ihm das Gesicht peitschten.

Das Mädchen mußte mit der Gewandtheit einer Katze durch die Reiser schlüpfen; sie behielt, ohne viel Geräusch zu machen, immer einen Vorsprung. Da kam dem Verfolger etwas zu Hülfe, woran er nicht gedacht hatte. Er gerieth auf einen schmalen Weg.

Ein kurzer Lauf, und er hörte, daß er in ihrer unmittelbaren Nähe war. „Halloh, mein Engelchen!“ rief er, „da hätten wir Dich.“ Und mit aller Anstrengung warf er sich seitwärts, woher das Geräusch erklungen war.

Er fand nichts.

Die Zigeunerin saß still zusammengeduckt unter einem Strauche; sie hoffte auf diese Weise zu entkommen. Aber ihr keuchender Athem verrieth sie.

„Komm’ nur hervor, mein Hühnchen!“ sagte der Unerbittliche. „Ich fange Dich doch.“ Er strich aufmerksam suchend in ihrer Nähe umher, dann und wann horchend. Plötzlich holte sie dicht vor ihm tief Athem.

Sie machte noch einen kurzen Fluchtversuch, aber es gelang ihm, ihr Kleid zu fassen. Seine Arme legten sich um ihre Taille, und der Rohe wandte ihren Kopf herum, um sie zu küssen.

Ihre schwarzen Augen blitzten dicht neben den seinen; sie rang mit einer Kraft, die ihn in Erstaunen setzte, und es gelang ihr wirklich, einen Moment frei zu kommen. Aber von Neuem streckte der Verfolger die Arme aus. Er sah nicht, wie sie in die Tasche ihres Kleides griff, wie es in ihrer Hand funkelte, aber er schrie plötzlich mit einem häßlichen Fluche auf, denn er empfand an der linken Hand etwas wie die Berührung eines glühenden Eisens und gleich darauf ein rieselndes Warmes –

Das Mädchen war verschwunden. Zwanzig Schritte weit rauschte etwas und entfernte sich rechts hinüber, dann klang es nur schwach, ein flüchtiger Schritt. Sie mochte den Weg gefunden haben.

Der Verwundete zog ein Taschentuch hervor und wand es fest um die getroffene Stelle; dann drängte er sich, Verwünschungen murmelnd, quer durch das Holz nach der Chaussee zu.

Dicht vor Urban trennte er die äußeren Büsche und sprang über einen schmalen Graben auf den Weg.

„Sind Sie es, Herr Doctor?“

„Wo bleiben Sie denn in aller Welt?“

„Sie bekommen einen Patienten; ich bin verwundet. Eine niederträchtige Geschichte!“

Urban ließ ihn näher kommen. „Die Wunde scheint wenigstens nicht tödtlich zu sein,“ sagte er trocken.

„Sie haben gut reden,“ lautete die gedrückte Antwort des Fabrikleiters; „es konnte ebensogut anders kommen. Haben Sie ein Zündholz bei sich, um sich die Bescheerung anzusehen? Seien Sie froh, daß es nicht die rechte Hand, sondern die linke ist, sonst hätte ich Ihnen in den nächsten drei Wochen die Schrift nicht besorgen können.“

„Welche Schrift?“ fragte Urban aufmerksam.

„Ihre Handschrift – – ja so,“ unterbrach er sich mit krampfhaftem Lachen. „Da habe ich mich verrathen. Ich will Ihnen ehrlich gestehen: ja, ich kann Ihnen die Schreiberei besorgen. Aber ich lasse mich nicht gern auf dergleichen ein; es ist ein Metier für Zuchthauscandidaten.“

„Nun, das trifft sich ja herrlich; wir sprechen morgen weiter darüber. Zeigen Sie die Hand! Was ist denn eigentlich geschehen?“

Während Bandmüller zu erzählen begann, entzündete der Andere Licht und nahm das blutgetränkte Tuch ab. „Eine Dolchwunde,“ sagte er kopfschüttelnd, „mitten durch die Hand hindurch. Da haben Sie eine fatale Lehre für Ihre Kußbedürftigkeit bekommen.“

„Eh,“ meinte der Verwundete, den Mund schmerzhaft verziehend, „hätte ich gewußt, daß diese braune Natter stechen könnte, so würde ich mich ihrethalben nicht außer Athem gelaufen haben. Aber sie ist merkwürdig hübsch für eine Zigeunerin. Ich habe vor Jahren einmal eine gekannt, die noch hübscher war; damals wollte ich ihr zu gefallen Zigeuner werden und zog drei Wochen, lang mit der Bande herum, bis ich das Vergnügen satt bekam und bei Nacht und Nebel davonlief.“

„Sie sollten Ihre Memoiren schreiben, lieber Bandmüller!“ sagte Urban, indem er den glühenden Rest des dritten Zündholzes von sich warf. „Sie scheinen eine ganz merkwürdige Vergangenheit hinter sich zu haben. Jetzt legen Sie einmal die Binde wieder um! Ich habe leider keine Charpie bei mir und muß Sie in Ihre Wohnung begleiten, um einen ordentlichen Verband herzustellen.“

Beim Zurückschreiten war es Urban einmal, als raschle es in den Blättern zur Linken und als stehe dort eine dunkle Gestalt, gebückt zwischen dem Gezweige hindurchlugend. Aber er nahm weiter keine Notiz davon, als er wahrnahm, daß sein Begleiter nichts davon bemerkte. Bei der Schmiede konnten sie sehen, daß das Feuer hinter dem Zigeunerwagen erloschen war. – –

Der Doctor Urban wagte es wirklich, das Ungeheuerliche, Unglaubliche: auf eigene Faust die Leidenschaften einer Revolution zu entfesseln. Es gehörte der ganze selbstbewußte Trotz und das bequeme Gewissen dieser stolzen souveränen Natur dazu, um ohne sonderliche Unruhe auf die eigene Verantwortung hin den Blitz in die stille Minirarbeit von Monaten zu legen, welche zum guten Theil Andere als er geschaffen und aufgespart hatten für einen Moment, dessen Bezeichnung erst das Ergebniß sorgfältiger, vorsichtiger Berechnung sein sollte. Wenn es fehlschlug? Wenn die speienden Erdschlünde nichts zerstörten als den kunstvollen, unterirdischen Bau, die Flammen nichts verzehrten als die kühnen Minirer? Wenn die Kerker ihn, die Freunde, junge, kraftvolle Arbeiter, Ernährer von Familien verschlangen, so viele ihrer der blutige Tod übrig gelassen? Das Alles war möglich, aber Urban weigerte sich, es zu denken, ohne doch zugleich die volle innere Ueberzeugung vom Erfolge gewinnen zu können. Es war eine einzige Empfindung, die ihn beherrschte: er hatte seinen Kopf darauf gesetzt, es müsse an dem bezeichneten Zeitpunkte zum Handeln kommen. Das war Alles.

Seit jener Nacht, in welcher er die Dolchwunde in der Hand des Fabrikleiters von Seyboldt und Compagnie verbunden hatte und in welcher, wie ein Gang am nächsten Tage ihn überzeugte, die Zigeuner weiter gezogen waren, machte die politische Erregung in der Stadt rasche Fortschritte. Zunächst ging wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus die Kunde von der bevorstehenden festlichen Einholung des Deputirten.

(Fortsetzung folgt.)




Vom Heldenkaiser.
(Zum 22. März.)


Achtzig Jahre fürstlichen Lebens auf immer hohem und weit vorgeschobenem Wachtposten, achtzig Jahre deutscher Geschichte in diesem so kampfes- und wendungsreichen Jahrhundert! Wer alles Ringen und alle welterschütternden Stürme, alle Verwirrungen und Verirrungen, alle unbeschreiblichen Leiden und staunenswerthen Triumphe dieser langen und merkwürdigen Epoche als ein Nächstbetheiligter durchlebt hat und steht heute noch unverdrossen und aufrechten Hauptes da als ein Mann mit hellem Auge und als ein Charakter, vor dem in ehrfurchtsvoller Bewunderung und Liebe eine Welt sich neigt, der zeigt wahrlich schon allein durch diesen Umstand, daß alle Eigenschaften seines Wesens auf dem Grunde jenes echten Menschenwerthes ruhen, den fürstliche Geburt, Stellung und Macht noch niemals einem Sterblichen zu geben vermochten. Und das ist es denn auch, was beim Hinblicke auf die Person des Kaisers Wilhelm die große Mehrheit der deutschen Nation bewegt. Wenn sie ergriffenen Gemüthes auf das weiße und mit doppeltem Lorbeer geschmückte Haupt ihres kaiserlichen Führers blickt, sieht sie in der schlichten Majestät seiner Erscheinung die Erfahrungen und Lehren, die furchtbaren Prüfungen und gewaltigen Erfüllungen ihres eigenen Lebensweges verkörpert.

[193] 

Unser Kaiser.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

[194] Wie schwer auch gegenwärtig noch aller heiße Drang und Hader einer Uebergangsperiode auf uns lastet, wir behaupten, daß Niemand unter uns dem bezeichneten Eindrucke sich entziehen kann. Mag derselbe nun bewußt und klar in den Gebildeten, mag er als halbdunkler und ahnungsvoller Instinct in den Massen sich regen, im Grunde der Seelen ruft das Bild dieses Kaisers Sympathien wach, die aus den unabweisbaren geschichtlichen Erinnerungen des nationalen Bewußtseins sich ergeben. Niemals ist eine Monarchenhuldigung freier gewesen von den Beweggründen kleiner Selbstsucht und machtschmeichlerischer Liebedienerei.

Der achtzigste Geburtstag des hohen Mannes muß uns zunächst erinnern, daß ihn der Beginn unseres Jahrhunderts schon als dreijähriges Kind gesehen. Als er 1797 das Licht erblickte, war für seine Nation bereits seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein neuer Morgen angebrochen, nach traurigen Zeiten des Druckes und der Erstorbenheit eine geistige Umwälzung und Wiedergeburt durch zwei reformatorische Erwecker herbeigeführt worden, von denen der eine auf dem Throne der Hohenzollern saß und das Schwert und Scepter eines Königs führte, der andere in einem armen Pfarrhause des Sachsenlandes geboren war und keine andere Gewalt besaß, als das Licht seiner Gedanken und die Macht seines geschriebenen Wortes. Was dem Wirken des großen Friedrich in Bezug auf die Befruchtung der nationalen Gesinnung und Bildung gefehlt hatte, das ist durch die Lebensarbeit des großen Lessing in folgenreichster Weise ergänzt worden. Eine gewaltige Saat aufrüttelnder Gedanken war in die Seelen gestreut, und bald sproßten die Keime einer verjüngten Schöpfungskraft und eines neubeschwingten Geistes auf und entfalteten sich endlich zu jenem Blüthenfrühling, der von dem kleinen Weimar aus seinen erwärmenden, erhebenden und befreienden Hauch durch alle deutschen Lande sandte. Auf dem Wege eines stillen, nicht in äußeren Erschütterungen sich ausprägenden Bildungsprocesses wurde damals der Nation jene innerliche Grundlage erarbeitet, ohne die sie niemals zu einer Ebenbürtigkeit unter den Culturvölkern, zu einem bewußten Wollen und Streben sich hätte aufschwingen können: der fortwirkende Einfluß großer Denker und Dichter, ein eigenes Gedankenleben, eine selbstständige nationale Dichtung und Literatur..

Wenn sich auch nicht annehmen und nachweisen läßt, daß diese wichtige Culturumwälzung im innersten Leben des deutschen Volkes den jungen Prinzen am Berliner Hofe direct berührte, so leuchtete der frisch erblühte Geist ihm unzweifelhaft doch entgegen aus den Augen der hochgebildeten königlichen Mutter, die den Ruf des Zeitalters gehört und verstanden hatte, wie er aus den Werken Lessing’s und Herder’s, Goethe’s und Schiller’s, aus dem neuen Regen der wissenschaftlichen Forschung, aus den angestrengten Bestrebungen für Verbesserung der Menschenerziehung und des Menschenlooses zu ihrem klaren Denken, ihrem reinen Sinne, ihrem hochherzigen und begeisterungsvollen Patriotismus sprach. Gewiß, es waren nur die besten Geister edler Bildung und Humanität, welche die ersten Schritte dieser Kindheit bewacht und geleitet und ihr die ersten Eindrücke gegeben hatten. Aber dem aus der ungebrochenen Kraft der Nation erwachsenen Geistesfortschritt war es noch nicht beschieden, auch der politischen Lage und den öffentlichen Zuständen Deutschlands eine der erlangten Bildungshöhe und bewiesenen Leistungsfähigkeit entsprechende Gestalt zu geben. Zwischen dem inneren Leben der Nation und dem davon nicht beeinflußten, regungslos in despotischen Formen verknöcherten und verkümmerten Staatswesen weitete vielmehr eine tiefe Kluft sich aus und erzeugte ungesunde Verhältnisse, welche auf die Dauer sich nicht halten konnten. „Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrich’s des Großen, der eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten; deshalb überflügelt sie uns.“ So schrieb die Königin Luise in den Schreckensjahren des hereingebrochenen Verhängnisses an ihren Vater. Es kamen über die entgeistigten Staaten Deutschlands die Tage des Zusammensturzes; es kam nach Jahren der Schmach, der fürchterlichen Prüfungen und Schmerzen die Rettung des Vaterlandes durch die aufopferungsvolle Heldenkraft eines Volkes, in dem machtvolle Vorkämpfer der Wahrheit und Schönheit die Flamme der Idealität entzündet hatten. Alle diese Leiden und alle diese großartigen Wechsel der Geschicke haben ihre düsteren Schatten und ihren erhebenden Glanz in die Knaben- und Jünglingszeit des jetzigen Kaisers geworfen, und dies Alles hat er mit schon wachem Bewußtsein erfahren, zum Theil noch unter dem Einfluß der hochgesinnten Mutter, die mit dem Adel ihres Anschauens, mit ihrem starken Pflichtgefühl und mit der Gluth ihrer Vaterlandsliebe auch die Gemüther ihrer Söhne zu erfüllen suchte. „Werdet Männer,“ so rief sie ihnen im Unglück zu, „befreit dann Euer Volk von der Erniedrigung, suchet den verdunkelten Ruhm Eurer Vorfahren von Frankreich zurückzuerobern etc.!“

Wenn also später der sechszehnjährige Prinz auf den Schlachtfeldern von 1813 bis 1815 seine ersten militärischen Ehren verdiente, wenn er damals zweimal an der Seite des Vaters und Bruders in das besiegte Paris einzog, so haben ihn sicher dabei jene idealen Gesinnungen beseelt, welche die verklärte Mutter schon frühe zur Richtschnur seines Denkens und Handelns gemacht hatte. Will man aber Genaueres wissen von dem Einflusse seiner Erziehung und seiner Jugenderlebnisse auf die Richtung seines Charakters und seiner Grundsätze, so besitzen wir in dieser Hinsicht ein interessantes Zeugniß in einer von ihm selbst herrührenden Aeußerung, deren Aufrichtigkeit nicht bemängelt werden kann. Erst unmittelbar vor dem Feldzuge von 1815 fand in der Schloßcapelle zu Charlottenburg die Confirmation des Prinzen statt. Er stand damals bereits im neunzehnten Jahre, aber nach dem Urtheile eines seiner Erzieher soll er schon als dreizehnjähriger Knabe durch einen für sein Alter ernsten und gesetzten Charakter sich hervorgethan haben. Auch die Mutter schrieb bereits 1810 von ihm: „Unser Sohn Wilhelm wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig.“ Nimmt man hinzu, daß der Prinz seitdem des Lebens Ernst genugsam erfahren hatte, daß er mit Leib und Seele Soldat und also schwerlich ein Freund von unnützen Worten war, so wird man es nicht für jugendlichen Declamationserguß halten dürfen, wenn er bei seiner Confirmation in einem von ihm selbst verfaßten Gelöbnisse an geheiligter Stätte und vor einer auserwählten Versammlung unter Anderm Folgendes sagte: „Ich will nie vergessen, daß der Fürst vor Gott nur Mensch ist und mit dem Geringsten im Volke die Abkunft, die Schwachheit der menschlichen Natur und alle Bedürfnisse derselben gemein hat, daß die Gesetze, welche für Andere gelten, auch ihm vorgeschrieben sind, und daß er, wie die Andern, einst über sein Verhalten wird gerichtet werden. Mein Fürstenstand soll mich nicht verhindern, demüthig zu sein vor meinem Gott. Ich will an meiner Geistes- und Herzensbildung unablässig arbeiten, damit ich als Mensch und Fürst einen immer höhern Werth erlange. Meine Kräfte gehören der Welt, dem Vaterlande. Nie will ich in Dingen meine Ehre suchen, in denen nur der Wahnsinn sie finden kann. Ich will ein aufrichtiges und herzliches Wohlwollen gegen alle Menschen – denn sie sind alle meine Brüder – in mir erhalten und beleben. Ich achte es viel höher, geliebt zu sein, als gefürchtet zu werden, oder blos ein fürstliches Ansehen zu haben. Verderbte Menschen und Schmeichler will ich entschlossen von mir weisen. Die Besten, Geradesten und Aufrichtigsten sollen mir die Liebsten sein. Die will ich für meine besten Freunde halten, die mir die Wahrheit sagen, wo sie mir mißfallen könnte.“

Sieht man sich die hier angeführten Stellen mit einiger Aufmerksamkeit an, so überraschen sie zunächst wohlthuend durch den unverkennbaren Ausdruck einer lichten, milden und humanen Religiosität, wie sie in der Zeit vor den Befreiungskriegen und während derselben noch das kirchliche Leben und den Religionsunterricht beherrschte, bald aber immer mehr und mehr durch jenen finstern Geist einseitig-zelotischen Bekenntniß- und Buchstabendienstes verdrängt wurde, der Jahrzehnte hindurch in der preußisch-deutschen Politik eine so verhängnißvolle Rolle spielte. Für solche Ueberschwänglichkeiten war in den Neigungen des Confirmanden von 1815 keine Anlage vorhanden. Sein Gelöbniß zeigt uns vielmehr in deutlich sich ausprägender Weise schon alle die Grundzüge eines einfach bescheidenen und doch hochgerichteten, eines herzlich wohlwollenden und doch unbeugsam selbstständigen Charakters, welche spät erst eine so hohe Bedeutung für die Weltgeschicke erlangen und für unsre Nation so reichen Segen herbeiführen sollten. Denselben Eindruck erregte auch die Persönlichkeit des jugendlichen Prinzen. Als er auf seiner Brautreise in Weimar sich befand, schrieb Gagern von dort an den berühmten Stein: „Prinz Wilhelm ist die edelste Gestalt, die [195] man sehen kann, der Imposanteste von Allen; dabei schlicht und ritterlich, munter und galant, doch immer mit Würde.“

Nach Beendigung des Krieges aber konnten die bezeichneten Eigenschaften sich lange Zeit hindurch nicht anders bewähren, als in den Berufs- und Tätigkeitskreisen, welche dem zweiten Sohne eines Königshauses offen blieben. Prinz Wilhelm wirkte in hohen militärischen Stellungen ohne einen merkbaren Einfluß auf die politischer Dinge. So bei Lebzeiten des Vaters, so im Ganzen auch unter der Regierung seines Bruders. Die Kinderlosigkeit desselben gab dem nächstältesten Bruder allerdings die Stellung eines Thronfolgers, aber der geringe Unterschied der Lebensjahre konnte weder das Volk, noch den Prinzen selber an die Möglichkeit denken lassen, daß ihn der Lauf der Natur jemals zur Führung des Staates berufen würde.

Im Rathe des Schicksals jedoch war es anders beschlossen. In einem Alter, wo unzählige Andere bereits ruhebedürftig das Haupt zu neigen beginnen, trat Prinz Wilhelm erst als Stellvertreter des erkrankten Bruders, dann als selbstständiger Regent, und endlich 1861 (also vierundsechszig Jahre alt) als König auf den Schauplatz der Geschichte. Was für ein Wechsel der Scene seit diesem Wechsel der Persönlichkeiten sich vollzogen hat, das wissen wir Alle, weil wir es ja selber mit erlebt haben, weil es ohne die begeisterungsvollste Zustimmung und Mitwirkung der gesammten Volkskraft sich nicht hätte vollziehen können. Dennoch wird erst eine ferne Zukunft den vollen Glanz dieser gewaltigen Wandlungen und wahrhaft großen Verläufe mit ungetrübtem Blicke zu überschauen vermögen. Wenn aber diese späten Nachkommen dann zurückblicken auf den von uns erlebten wunderbaren Aufschwung, so wird ihnen als das Hauptwunder desselben ohne Zweifel noch immer die hohe Gestalt des königlichen Greises erscheinen, der Held mit dem Silberhaar und dem jugendfrischen Herzen, von dem alle Ueberlieferungen und Geschichtsbücher den spätesten Enkeln noch erzählen werden: „Sein Gewissen war rein, und unbefleckt sein Ruhmesglanz. Nicht eitler Kriegslust und Herrscherlaune, sondern nur einem ernsten Gebote der Pflicht ist er gefolgt, als er in einer Stunde der Gefahr die Fahne des Reiches entfaltete, sein Volk zur Befreiungsthat gerufen und es durch Kämpfe und Siege ohne Gleichen zur Unabhängigkeit und Einheit geführt hat.“ Eine müßige Frage wäre es, ob nicht ein Anderer gleichfalls hätte vollbringen können, was König Wilhelm für Deutschland geleistet hat. Gewiß ist nur so viel: es würde die Epoche der letzten zwanzig Jahre viel von ihrer Weihe und Würde, von der sittlichen Beseelung und Erhabenheit ihres Eindruckes verlieren, ohne die ergreifende und ehrfurchtgebietende Gestalt des hochbetagten Monarchen, der sie heraufgeführt und heute noch in seinem achtzigsten Jahre mit unermüdeter Hingebung der energische Hüter seines Werkes ist.

Muß aber eine unparteiische Wahrheitsliebe sich schon tief bewegt fühlen bei der Betrachtung aller dieser Umstände, so ist doch damit der Wunderkreis der betreffenden Fügungen noch keineswegs geschlossen. Es kommt noch Anderes hinzu, das in den unmittelbar vorausgegangenen Zeiten liegt. Schon wiederholt hatten bei uns in diesem Jahrhundert hoffnungsreiche Erhebungen und Bewegungen zu einer würdigeren Gestaltung des Vaterlandes stattgehabt. Sie waren allein vom Volke ausgegangen und immer kläglich gescheitert an dem Widerstande fürstlicher Macht, an der gewaltsamen Hinterlist weltlicher und geistlicher Vorrechtskasten. Nachher traten dann schlimme Perioden vermehrten Druckes ein, und in solchen Tagen ging dem Scharfblick unbefangener Patrioten die Ueberzeugung auf: es könne bei der zerfahrenen und verwickelten Lage der Dinge aus Deutschland nichts werden, wenn das Glück ihm nicht einstmals einen mächtigen Fürsten erstehen ließe, der die Zeit begreift und ihrer Bewegung zum Ziele verhilft. Der Ausblick auf die Fürstenhäuser Deutschlands war aber in dieser Hinsicht immer ein trostloser gewesen, und am allerwenigsten hätte man gerade in dem zweiten Sohne Friedrich Wilhelm's des Dritten die Neigung und Fähigkeit zu einem solchen Berufe gesucht. Wir leben jetzt im achten Jahrzehnt des Jahrhunderts, aber noch im fünften Jahrzehnt desselben betrachtete man es als ein Glück, daß für eine Thronbesteigung dieses Prinzen nur eine sehr geringe Aussicht vorhanden sei. Der Prinz gehörte damals im Urtheil des Volkes nicht zu den beliebten und populären Persönlichkeiten. Mit Recht sahen jene Tage in der Armee ein Werkzeug des absolutistischen Polizeistaats, in Prinz Wilhelm aber sah man eine Verkörperung des Hindernisses, welches der militärisch-aristokratische Geist jeder freieren Entwicklung der öffentlichen Verhältnisse entgegenstellte. Es mag sein, daß im Auftreten des prinzlichen Generals früher etwas Schroffes und Herrisches sich zeigte, das der Richtung der modernen bürgerlichen Welt widerstebte, kurz, der Prinz wurde allgemein für den entschiedensten, ja zorneifrigsten Vertreter unvolksthümlicher Grundsätze am Hofe gehalten.

Sehr natürlich war es ja auch, daß ein in den Anschauungen strenger Legitimität und in der Reactionsluft der Metternich'schen Blüthezeit zum Manne gereifter Sohn des preußischen Königshauses kein Freund von plötzlichen Veränderungen und gewaltsamen Neuerungen sein konnte, wie sie damals vom liberalen Standpunkte aus zum Sturze verrotteter Zustände für unumgänglich gehalten wurden. Mit der gesammten Welt der deutschen Höfe, mit allen bevorrechteten Ständen Deutschlands wird auch er die absolutistische Staatsform für die beste und ersprießlichste, die in Reden und Schriften sich äußernden oppositionellen Bestrebungen für das Strohfeuer eines unruhigen und oberflächlichen „Schwindelgeistes“ gehalten haben. Auf der andern Seite aber steht es auch fest, daß sein absolutistischer Standpunkt ein nüchterner und verständiger, daß er kein Schwärmer für Ideale mittelalterlicher Verfinsterung war und niemals zu jener Gesellschaft betbruderlich-romantischer Politiker des sogenannten Wilhelmstraßenclubs gehörte, denen selbst der Metternich'sche Polizeistaat als die leibhaftige Revolution erschien. Der Prinz war also trotz des reichlich von seiner Umgebung ausströmenden Ansteckungsstoffes nicht mit leidenschaftlichem Eigensinn in fixe Ideen verrannt, und das war schon wichtig für ihn. Denn solch ein Geist ist entwickelungsfähig und giebt immer der Hoffnung Raum, daß er nicht blind den Lehren der Erfahrung und einer bessern Erkenntniß sich verschließen, daß er immer die Elasticität des Prüfens und Lernens sich bewahren und dem sodann als richtig Erkannten auch fest und offen folgen wird. Und so geschah es auch.

Als im Februar 1848 der Volkssturm von Frankreich hereinbrauste und unwiderstehlich alle deutschen Stämme und Länder ergriff, da kam der Prinz zu der Ueberzeugung, daß es auch in Preußen mit dem bisherigen System nicht mehr gehen könne; er rieth seinem königlichen Bruder, durch Bewilligung der Volkswünsche der Revolution zuvorzukommen. Als erstes Mitglied des Staatsministeriums unterschrieb er auch jenes Verfassungspatent vom 18. März, das den Forderungen des Volkes eine ziemlich weitgehende Erfüllung verhieß. Man weiß, daß trotz dieser Verheißungen und unmittelbar nach Verkündigung derselben in Berlin jene Revolution ausbrach, die in einer Nacht den Bruch zwischen dem Alten und Neuen für immer entschied. Wir untersuchen hier nicht, ob dieser blutige Kampf durch ein bloßes „Mißverständniß“, oder ob er in planmäßiger Absicht von der einen oder der andern Seite hervorgerufen wurde. Durchaus glaublich aber ist es, wenn berichtet wird, der Prinz von Preußen habe im kritischen Augenblicke vom König verlangt, es solle zwar der „Aufruhr“ mit Waffengewalt niedergeschlagen, nachher aber auch das gegebene Wort gehalten und mit dem verheißenen constitutionellen System Ernst gemacht werden. So dachte sich jedoch das Volk die Ansichten des Prinzen nach der bisherigen Vorstellung von demselben nicht; der erregten und von verschiedenen Seiten her auch noch künstlich aufgereizten Gemüther bemächtigte sich vielmehr eine so außerordentliche Erbitterung gegen ihn, daß er zur Beschwichtigung derselben Berlin verließ. In einem Auftrage des Königs ging er nach London, wo sich nun ein seltsamer Widerspruch gegen das Urtheil in der Heimath ergab. Während hier selbst die gemäßigten Liberalen den Prinzen für einen grollend in der Ferne weilenden gefährlichen Feind der neuen Staatsreformen hielten, stellte sich auf englischem Boden das gänzlich Unzutreffende dieser Meinung für alle Diejenigen heraus, denen er dort näher getreten war. Der Zug ruhiger Einsicht, wohlwollender Milde und fürsorglicher Humanität, den einzelne Kreise in Deutschland und namentlich seine Umgebungen und Untergebenen längst an ihm gerühmt hatten, trat in den ungezwungenen Londoner Berührungen so überraschend zu Tage, daß es selbst einen dem Berliner Hofe so nahestehenden Mann wie Bunsen überraschte, den damaligen preußischen Gesandten in London.

Im Laufe der Zeit kam es natürlich auch zu politischen Erörterungen zwischen Bunsen und dem Prinzen, der eine unverstimmte Theilnahme für die neuen Entwicklungen in Deutschland zeigte und [196] namentlich für die in Frankfurt eben auf die Tagesordnung gesetzten Verfassungsfragen. Ueber den bekannten Dahlmann’schen Entwurf einer Reichsverfassung sprach er sich so klar und beifällig aus, daß der Gesandte ihn bat, sein Urtheil niederzuschreiben. Schon nach einigen Tagen war das Gutachten fertig, eine genaue und sorgfältig bis auf die einzelnsten Punkte durchgeführte Arbeit, in der es unter Anderem hieß: „Zuvörderst wiederhole ich, wie ich das Ganze des Verfassungswerkes als eine großartige Erscheinung unserer Zeit begrüße und dasselbe wegen seiner Klarheit, Gediegenheit und Kürze als meisterhaft anerkenne. Die Grundsätze, auf welchen das Ganze beruht, sind diejenigen, welche zur wahren Einheit Deutschlands führen werden; es sind dieselben, welche jeder Staat zu den seinigen machen muß, wenn diese Einheit erstrebt werden soll. Daß auch ich diese Grundsätze für Preußen unerläßlich fand, beweist meine Unterschrift unter dem Patente des Königs vom 18. März, und daß ich hier in England nicht anderen Sinnes geworden bin, ist mehr wie begreiflich.

Bunsen sandte das Gutachten an Dahlmann und setzte die Worte hinzu: „Ist der Prinz ein Absolutist oder ein Reactionär? Daß er durchaus offen, redlich und consequent sei, haben selbst die Ungünstigen nie geleugnet, wenn sie mit Kenntniß des Mannes sprachen oder schrieben. Der Prinz hat sich gleich in den ersten Tagen zu einer vollkommenen Klarheit über seine und des Königthums Stellung emporgerungen, mit der stillen und redlichen steten Verständlichkeit, die ihm eigen ist. Der Aufenthalt und Ideenaustausch in England hat ihm Vergangenheit und Zukunft noch klarer auseinandergesetzt.“

Von dem Aufenthalte in England, der unstreitig einen bedeutsamen Wendepunkt in seiner Gesinnungsentwickelung und seinen politischen Anschauungen bezeichnete, kehrte der Prinz am 8. Juli nach Berlin zurück und bekundete nun bei mehrfachen öffentlichen Gelegenheiten, daß er der constitutionellen Regierungsform stets gewissenhaft und treu seine Kräfte widmen werde. Mit diesem Bekenntnisse und mit der in London an den Tag gelegten Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer volksthümlich gestalteten Einheit Deutschlands stand es auch nicht in Widerspruch, wenn er als Heerführer an der Spitze einer Armee zur Niederwerfung des Aufstandes kämpfte, der sich 1849 in Baden und der Pfalz für die Vertheidigung der Reichsverfassung erhoben hatte. Mögen wir immerhin anders über den damals die Gemüther erregenden Streitpunkt denken, so müssen wir uns doch hier auf den Standpunkt des fürstlichen Soldaten stellen, in dem sich die Zuneigung für eine freiheitliche und nationale Gestaltung der Verhältnisse sehr wohl mit einer Verdammung von Bewegungen vertragen konnte, in denen er nichts als unerlaubte und gesetzlose Störung der nothwendigen Ordnung sah. In Preußen aber war inzwischen eine Unordnung anderer Art hereingebrochen, die offene Reaction. Es kamen die frömmlerischen Dunkelmänner mit ihren excentrischen Absichten an’s Ruder; es kam der Vertrag von Olmütz mit allen für Preußen und Deutschland so schmachvollen und niederbeugenden Folgen. Wie der Prinz von Preußen sich zu diesen unglückseligen Wendungen verhielt, darüber liegen Documente und Beweise nicht vor, und die vorhandenen Geschichtsdarstellungen und Biographien gehen schweigend über diese jedenfalls hochinteressante Periode im Leben des Prinzen hinweg. In hohen militärischen Stellungen lebte er seit 1849 regelmäßig am Rhein und kam selten und nur vorübergehend nach Berlin und Potsdam. In den Urtheilen des Volkes über ihn aber war gerade in dieser Zeit ein durchgreifender Umschlag eingetreten, und weite Kreise des Publicums hielten ihr Auge auf ihn gerichtet. Der gerade und offene Sinn des Prinzen, so erzählte man sich, sei allem Aussäen von Erbitterung, aller unredlichen Beschneidung verheißener Rechte, allen krummen und hinterlistigen Wegen, aller unpatriotischen Demüthigung des Staates entgegen. Er wolle Versöhnung der Gegensätze, und das habe ihn mißliebig bei der herrschenden Partei gemacht, die ihn fürchte. Es werde ihm der Aufenthalt am Hofe verleidet; zur Herbeiführung eines Zerwürfnisses mit dem Bruder und König sei er überhaupt belauscht und von bestellten Spionen verfolgt, selbst seine Papiere und Briefschaften seien vor den Einblicken der Spürer nicht sicher. Ueber alle diese Dinge, von denen notorisch Jahre hindurch mit großer Bestimmtheit gesprochen wurde, ist, wie gesagt, ein Schleier gebreitet, und sicher ist nur, daß sich das neugewonnene Vertrauen zu dem Charakter und den politischen Ansichten des Prinzen nicht als eine Täuschung erwies, als er unerwartet die Zügel des Staates ergreifen mußte.

Denn kaum hatte er am 26. October 1858 als selbstständiger Regent vor beiden Häusern des Landtages feierlich den Eid auf die Verfassung geleistet, so bestand sein erster Regierungsact in der Entlassung des bisher allmächtig gewesenen Reactionsministeriums, mit dem sofort auch der ganze Schwarm der portefeuillelosen Ohrenbläser, der Olmütz-Männer und frömmlerischen Kreuzzügler wider die Volksfreiheit aus den Umgebungen des Thrones verschwand. Gegner dieses zehnjährigen Unheils, Männer des öffentlichen Vertrauens wurden zu obersten Rathgebern berufen, und an dieses neugebildete Ministerium hielt der Prinz-Regent gleich in der ersten Sitzung jene geschichtlich denkwürdige Ansprache, in der sich unter Anderem über den schlimmsten Ausgangspunkt aller damaligen Mißverhältnisse die folgende Stelle fand:

„In beiden Kirchen muß mit vollem Ernste den Bestrebungen entgegen getreten werden, die dahin abzielen, die Religion zum Deckmantel politischer Bestrebungen zu machen. In der evangelischen Kirche, wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihrer Grundanschauung nicht verträglich ist und die sofort in ihrem Gefolge Heuchler hat. Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurz alles Kirchenwesen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur möglich ist. Die wahre Religiosität zeigt sich im ganzen Verhalten des Menschen. Dies ist immer in’s Auge zu fassen und von äußerem Gebahren und Schaustellungen zu unterscheiden.“

Im Munde eines durch Erziehung und Sinnesrichtung durchaus conservativen, einem immerhin sehr gläubig-kirchlichen Standpunkte ergebenen Monarchen, dem Niemand also eine frivole Stellung zu den religiösen Dingen zutrauen durfte, waren diese Worte ein verheißungsreiches Programm der Zukunft. Ohne Rückhalt und schneller als man es erwartete, war damit endlich ein lange ersehntes Gericht ergangen über den ausschweifenden Hochmuth des schwarzen Nachtgevögels, das Jahre hindurch Preußen in einen Zustand der innern und äußern Schwäche, des Verfalles und der Abhängigkeit versetzt hatte, der bei der nächsten europäischen Erschütterung unfehlbar einen neuen Zusammensturz hätte herbeiführen müssen. Nach einer langen Zeit qualvoller Mißhandlung und Niedertretung des öffentlichen Geistes kam nicht blos über die preußische Bevölkerung, sondern über die gesammte deutsche Nation ein Gefühl freudigen Aufathmens, als sie plötzlich von dem mächtigsten Throne Deutschlands jene Verkündung hörte, die Millionen aus der tiefsten Seele gesprochen war und in der man sofort das Heraufsteigen einer neuen Aera begrüßte. Es war ein Erlösungswunder geschehen, wo jeder Rettungsweg verschlossen schien, ein Bann war gebrochen, ein schwer lastender Alp von der Brust der Nation genommen und dadurch wiederum die Bahn frei gemacht für eine aufrichtige und patriotische Politik des Volkswohls und der Ehre. Die entsprechenden Folgen zeigten sich auch bald, und sie zeigten sich u. A. sehr charakteristisch in dem plötzlichen Herabsinken der gefürchteten „Kreuzzeitung“ von der Stellung eines Regierungsblattes zu einem bloßen Parteiorgan.

Mag auch nicht Alles nach der betreffenden Stelle hin so schnell sich erfüllt haben, wie es die Begeisterung des ersten Augenblicks sich dachte, hatte die neue Aera noch durch mannigfache Mißverständnisse, Conflicte und Kämpfe sich durchzuringen, so war doch der Anstoß zum Aufstreben gegeben und es mußte nun das Gesetz der Dinge von Stufe zu Stufe bis zu den Momenten sich vollziehen, wo 1870/71 König Wilhelm der Verwirklicher jener großen Hauptpunkte wurde, welche das Volksprogramm von 1848 vergebens erstrebt und verlangt hatte. Wenn er hier nur ausgeführt hat, was seit lange der Volksgeist wollte und was ohne den Beistand des Volksgeistes nicht auszuführen war, so muß man zur Würdigung seiner Entschlüsse und Thaten vor Allem doch fragen, wie der Charakter und wie der Verlauf der Ereignisse unter einem der vorhergehenden Regenten Preußens sich wohl gestaltet haben würde. Mit Recht sehen wir daher in der Lebensgeschichte des hochbetagten Kaisers den so gewaltig ernsten Gang unserer nationalen Geschicke sich wiederspiegeln. Von den [197]

Zerfalle und der tiefen Erniedrigung nach dem Tage von Jena bis zur Annahme der Kaiserwürde im Spiegelsaale des Versailler Schlosses, von da bis zur Gründung des Reiches und zur Aufnahme des Kampfes mit den Anmaßungen Roms, wahrlich, das ist ein Weg, dessen inhaltsvolle Größe ein flüchtiger Blick nicht zu umfassen vermag und den dieser im Grunde des Herzens friedliebende Mann gegangen ist mit der wachsenden Mäßigung und Weisheit, welche eine reiche Erfahrung giebt, mit einem zugleich milden und unerschrockenen Herzen und mit der Einsicht und tiefen Bescheidenheit, welche die rechten Berather zu finden und neidlos festzuhalten weiß. Sein persönliches, wie sein öffentliches Leben war bis jetzt nur eine Bethätigung der Grundsätze, die er einst als junger Prinz in seinem Confirmationsgelöbnisse ausgesprochen hat. Vollkommen ist freilich kein Menschenwerk und nicht Alles kann auf einmal errungen werden. Fühlen aber alle Deutschen richtig und fehlt ihnen nicht der geschichtliche Sinn, ohne den ein Volk in der Noth und im Gewirre der Tagesströmungen sich verlieren muß, so werden sie den achtzigsten Geburtstag des Kaisers mit Gefühlen der Andacht und des freudigen Dankes feiern, daß das Geschick in wirrnißvoll nach Entscheidungen drängenden Tagen uns diesen Monarchen erstehen ließ, der nicht blos durch den Glanz seiner Thaten und seiner Machtstellung aus der Geschichte seiner Zeit hervorragt, sondern durch Züge wahren Menschenwerths, durch herzgewinnende Eigenschaften und durch Hoheit des Sinnes und der Erscheinung für alle Zukunft eine stolze Zierde des deutschen Namens bleiben wird.
A. Fr.




Aus den letzten Lebenstagen Beethoven's.
Von La Mara.[1][WS 1]

Noch nicht sieben volle Jahre sind verflossen, seit man in unserm Vaterlande aller Orten den hundertjährigen Geburtstag Ludwig van Beethoven’s, des größten Tonmeisters, den nicht allein unser Volk, sondern die Welt überhaupt je besessen, feierte, während die Donner des Kriegs herüberhallten von jenseits des Stromes, daran seine Wiege stand. Zu stillerer, von außen her ungestörterer Sammlung ladet uns jetzt die fünfzigjährige Wiederkehr seines Sterbetages ein. Ein halbes Jahrhundert hat sich am 26. März 1877 vollendet, seit er, der große Kämpfer und Freiheitsverkündiger, seine müden Augen geschlossen. Das große Trauerspiel seines Lebens war zu Ende, und tragisch genug war dasselbe verlaufen: Ob auch ein Herrscher und König im Reiche der Kunst, Millionen zur Freude geboren, war er als Mensch einsam und freudenarm über die Erde gegangen, hatte er unter Kampf und Schmerzen, wie selten Einer, seine irdische Laufbahn vollbracht. Oder schauen wir uns im Kreise unsrer großen Meister nicht vergebens nach Einem um, dem die Vorsehung das Maß der Leiden reichlicher zugemessen, nach Einem, der es gründlicher denn er erschöpft hätte? Den auch dem Aermsten vergönnten Segen unverkümmerten Jugendglückes hat er nie gekannt. Schon in den Tagen der Kindheit war Schwermuth seine traurige Mitgabe, die Sorge seine finstere Gefährtin. Und sie blieb ihm treu bis zum Grabe, nur an wenigen sonnenhelleren Tagen von seiner Seite aufgescheucht. Keine ihm innerst verwandte Seele aber hat sich der seinen angeschmiegt, und versagt blieb ihm das Glück der Liebe und Ehe und ebenbürtigen Freundschaft, versagt selbst der arme Trost äußerer Güter, wie sie das Leben schmücken. Auch das, was Andern zur Befreiung und Erlösung, zum lautern Segensquell wird: das Glück des Schaffens, ward ihm vergällt durch die bitterste der ihm auferlegten Entbehrungen – seine sich immer hoffnungsloser gestaltende Gehörlosigkeit. Daß er das Göttlichste, was er uns geoffenbart, niemals mit seinem eigenen Ohr vernommen, daß er, der überschwänglich Tönereiche, sich innerhalb einer für ihn verstummenden Welt begnügen mußte mit dem lautlosen Tonspiel seiner Phantasie: das ist’s, was seine Gestalt, die heroischste, zugleich zur tragischsten macht, welche die Geschichte der Tonkunst kennt.

Doch nur den Schlußact der Lebenstragödie Beethoven’s gilt es uns gegenwärtig zu betrachten. Er fällt, halten wir an der hergebrachten Dreitheilung seines Lebens und Schaffens fest, mit der dritten Periode, den letzten zwölf Lebensjahren des Meisters, von 1815 bis 1827 zusammen. Noch das vorausgehende Jahr 1814, „das glanzvollste“ in der Lebensgeschichte Beethoven’s, wie Schindler, sein Zeitgenosse und Biograph, es bezeichnet, hatte die Sonne seines Glückes, ob sie ihm im Ganzen auch spärlich genug lächelte, im Zenith gesehen.[2] Als gelegentlich eines Concertes während des Wiener Congresses das glänzendste Publicum Europas, sämmtliche in Wien anwesende Monarchen an der Spitze, den Darbietungen des Tondichters lauschte und seinem Genius begeistert huldigte, da schien es, als sei die Zeit gekommen, wo die Mitwelt die Größe dieses allgewaltigsten Musikgeistes allgemach zu begreifen begann; lichtere Tage denn bisher schien ihm die Zukunft freundlich zu verheißen. Aber nur dunkler gestaltete sich sein Leben fortan, nachdem es seinen heitersten Sonnenblick erfahren. Im November 1815 starb Beethoven’s Bruder Karl, der ältere jener beiden ihm durchaus unebenbürtigen Brüder, an denen er schon in früher Jugend Vaterstelle vertreten, da sein in Trunksucht verkommener Vater seine Pflichten gänzlich verabsäumte, und deren Erziehung und Unterhalt ihm lange ausschließlich oblag, wie er auch später alle Zeit ihr bereitwilliger Unterstützer blieb, ob sie – und zumal der jüngere derselben, Johann – ihm auch seine Wohlthaten mit schnödem Undank lohnten.

Das Testament des Verstorbenen übertrug die Fürsorge und Vormundschaft über seinen hinterlassenen achtjährigen Sohn seinem großen Bruder Ludwig, und dieser trat in der That eine Erbschaft an, die eine Quelle der bittersten Erfahrungen für ihn werden sollte. Nicht allein, daß dieses neue Amt ihm, dem von den praktischen Dingen des Lebens Abgekehrten, ganz nur seiner Kunst Dahingegebenen, vielfältige Opfer auferlegte, es verwickelte ihn auch – da er den ihm anvertrauten Knaben dem schädlichen Einfluß seiner verderbten Mutter zu entziehen genöthigt war – in unerquickliche Streitigkeiten und einen langwierigen Proceß, der erst nach vier Jahren zu seinen Gunsten entschieden ward. Aber auch der seiner Liebe und Großmuth sich wenig werth erweisende Neffe selber that das Seine, um Kummer und Aergerniß aller Art auf das Haupt seines Wohlthäters zu häufen und die letzten kostbaren Jahre seines Lebens zu umdüstern und abzukürzen. Dazu bedrängten körperliche Leiden, häusliche Widerwärtigkeiten, ja materielle Sorgen den Künstler von allen Seiten und entpreßten seinem gequälten Gemüth manche verzweifelte Klage. „Gott, helfe! Du siehst mich von der ganzen Menschheit verlassen,“ heißt es im Tagebuche von 1816, und in einem Briefe an Ries vom Mai 1819 schreibt er: „Ich war derweilen mit solchen Sorgen behaftet, wie noch mein Leben nicht, und zwar durch übertriebene Wohlthaten gegen andere Menschen.“

Im August 1820 geschieht es sogar, daß er „vier böse Tage“ hindurch „mit einem Glas Bier und einigen Semmeln“ als Mittagsmahl fürlieb nehmen muß, da ihm die Mittel fehlen, etwas anderes zu genießen. Zwar ist er im Besitz eines kleinen Capitals, das er sich dank der Concerterträgnisse des Jahres 1814 zurückgelegt, allein er betrachtete dasselbe als Erbtheil seines Neffen und als solches unangreifbar. Und auch das Componiren ging ihm gerade zu dieser Zeit langsamer denn sonst von der Hand; obgleich er bereits seine zwei gewaltigsten Schöpfungen: die Missa solemnis und die neunte Symphonie, im Geiste mit sich herumtrug und gestaltete. Von vollendeten Arbeiten aber umschließt der Zeitraum von 1815–1822 als Werthvollstes nur die letzten Sonaten op. 101–111, die Ouvertüren op. 115 und 124, den elegischen Gesang, Meeresstille und glückliche Fahrt, den Liederkreis: „An die entfernte Geliebte“ und die Quartettfuge op. 133.

[198] Immer tiefer in sich gekehrt giebt er sich in seinen letzten Sonaten, immer losgelöster von der Außenwelt. Ihre Stimmen erreichen nicht mehr seinen Sinn, berühren sein Ohr nicht mehr. Er lauscht nur noch nach innen und hält mit seiner Seele Zwiesprache und singt jene tiefsinnigen Dichtungen, die uns das Geheimniß eines höheren Daseins enthüllen. Wem auch käme im Adagio der großen B-dur-Sonate op. 106 nicht eine Vorempfindung der Verklärungswelt, wie sie die neunte Symphonie uns offenbart? Was der Componist selber von der Sonate geäußert, daß sie „in drangvollen Umständen geschrieben“ sei, das findet, wie mehr oder weniger auf jedes seiner späteren Werke, so vornehmlich auf die Missa solemnis Anwendung. In Bezug auf sie sagt Schindler: „Niemals wohl dürfte ein so großes Kunstwerk unter widerwärtigeren Lebensverhältnissen entstanden sein“, und weiter erzählt er, daß er den Meister nie, weder vor noch nach jener Zeit, in einem ähnlichen Zustande geistiger Aufgeregtheit und völliger Erden-Entrücktheit gesehen habe, als während der Beschäftigung mit dieser Messe. Noch vor Abschluß des großen Werkes traf ihn ein schwerer Schlag, von dem er sich nie wieder völlig erholte: die zweifellose Erkenntniß seiner vollständigen Gehörlosigkeit. Während der Probe seines im November 1822 als Benefiz für Wilhelmine Schröder wieder aufgenommenen „Fidelio“, zu dessen Leitung er sich trotz der Warnungen seiner Freunde bereit erklärte, zeigte es sich, daß er von dem, was auf der Bühne vorging, nichts hörte, und Schindler sah sich zu der schriftlichen Bitte genöthigt, daß er nicht weiter fortfahre. Sofort eilte er in seine Wohnung zurück; dort warf er sich auf das Sopha und bedeckte sein Angesicht mit beiden Händen. Kein Laut kam über seine Lippen; aber „die ganze Gestalt war das Bild der tiefsten Schwermuth und Niedergeschlagenheit“. Vergebens hoffte er auf ärztliche Hülfe; es war zu spät. Vielleicht wäre sie früher möglich gewesen, hätte er den Rathschlägen der Aerzte willigeres Gehör geschenkt. So aber dünkte ihn jede Vorschrift, jede Art von Beschränkung eine lästige Fessel, die er rücksichtslos abstreifte. Solchergestalt entwickelte sich das Uebel bis zur Unheilbarkeit. Schweigend trug er nun sein hartes Geschick.

Als die unvergängliche Frucht still getragener Schmerzen, ernstester Selbsteinkehr und Weltentsagung aber brachte das Jahr 1823 seine Missa solemnis endlich an’s Licht. Ursprünglich für die Installation seines Schülers, des Erzherzogs Rudolph, als Erzbischof von Olmütz bestimmt, war diese seine zweite Messe in D bereits im Spätherbst 1818 von Beethoven begonnen worden. Schon beim ersten Satze indeß wuchs das Werk zu so mächtigen Verhältnissen an, daß die Vollendung desselben bis zu dem festgestellten Zeitpunkte (März 1820) sich als unmöglich herausstellte. Weit über jede äußerliche Rücksichtnahme, über das Bereich des für die Kirche praktisch Brauchbaren ward er vom Geiste hinausgeführt, um ein Gebäude aufzurichten, wie es seinen innersten Bedürfnissen und Anschauungen entsprach. Wer nennt ein Menschenwerk, das mit größerer Freiheit auferbaut ward, das gleicherweise aller irdischen Fesseln spottet? Mit gigantischer Hand rüttelt er, der es schuf, an den alten gewohnten Formen. Er dictirt sich selbst sein Gesetz; mag dasselbe immerhin die Grenzen des Möglichen hinsichtlich der Ausführbarkeit berühren. Mit gewaltigerer Stimme hat noch kein Sterblicher zu seinem Gotte geredet und, von der Last unaussprechlichen Leides darniedergebeugt, ihm ein herrlicheres Preislied gesungen. Jedes einzelne Wort füllt sich mit Geist und Leben, mit einer Art dramatischer Wahrheit. „Vom Herzen kam’s, zum Herzen soll es dringen“, setzt er als Motto über sein Werk. Alles, was von Frömmigkeit und Andacht, von Glaube, Liebe und Hoffnung in ihm war, das legte er in diesem seinem Glaubensbekenntnis nieder. Nicht vom Standpunkte des Katholiken, des streng confessionellen Christen aus: das war er nicht. Der Idee der zu einer Gemeinde verbrüderten Menschheit vielmehr giebt diese Messe Ausdruck. In diesem Sinne ist sie dem Werk verwandt, das der Meister nächst ihr geschrieben und das mit ihr gemeinsam die Spitze seines gesammten Schaffens bildet: der Symphonie mit Schlußchor über Schiller’s Lied „An die Freude“; nur faßt diese weltlich, was jene kirchlich ausspricht.

Schon die äußere Gestalt des colossalen Werkes überragt alle übrigen symphonischen Schöpfungen des Künstlers: er hatte mit Recht etwas völlig Anderes, Neues zu schaffen verheißen. Die gesammte Anlage ist großartiger, die Polyphonie entwickelter; der rhythmischen und harmonischen Kühnheiten, der Wunder der Instrumentation finden sich mehr denn sonst. Und wer will die Fülle himmlischen Gesanges im Adagio schildern, dieser Glorie der Instrumentalmusik? Der Schwerpunkt des Ganzen jedoch liegt in der Combination des Instrumentalen mit dem Vocalen, in der Hinzuziehung der Menschenstimme und der damit erzielten überwältigenden Steigerung im Schlußsatze. Was er uns hier gegeben, ist unerreicht geblieben und bleibt es wohl auch. Ob er selber in jener zehnten Symphonie, die er bereits zu skizziren begann, darüber noch hinausgeschritten wäre, ob dies überhaupt möglich – wer sagt es?

Nur einiges Wenige noch vollendete Beethoven, nachdem er jene höchsten Thaten vollbracht. Wohl erfüllten ihn wechselnd Oratorien-, Messen-, Opern- und Symphonie-Pläne, auch die Idee einer Musik zu Goethe’s „Faust“, der ihm als „Höchstes“ galt, aber nichts von alledem gelangte mehr zur Ausführung. „Es graute ihm,“ sagte er selbst, „vor dem Anfange so großer Werke.“ Nur eine Aufgabe noch vermochte ihm Antheil und Thatkraft abzuzwingen: eine Reihe von Quartett-Compositionen, die er für den russischen Fürsten Galitzin liefern sollte. Ihr widmete er seine Kräfte in den Jahren 1824 bis 1826, und so entstanden jene wunderbaren fünf letzten Quartettdichtungen, mit denen er sein Tagewerk hienieden beschloß. Ungleich schwerer noch als die zweite Messe und die neunte Symphonie haben sie den Weg zum allgemeinen Verständniß gefunden, und hartnäckiger als um diese ist der Kampf für und wider sie durchgefochten worden. Des imponirenden Glanzes freilich, der überwältigenden Macht jener erhabensten Werke entbehren sie; sie führen uns in eine stille, einsame Welt düsterer Gedanken und Phantasien ein. Nichts von der Plastik der Darstellung, die den früheren Ergüssen ihres Schöpfers eignet, lassen sie gewahren; mehr angedeutete als klar erkennbar ausgeführte Bilder, mehr Träume als ausgeprägte Gestalten: Träume eines Riesengeistes freilich. Es fallen auch Sonnenstrahlen mitunter und hellere Lichter, aber den Grundton bildet doch eine tieftragische Stimmung. Der Dichter, der solches schuf, schaut in sich selbst hinein. Wundern wir uns, daß der Reflex dieses Spiegels so dunkel? Dabei spielt auch die Außenwelt mit ihren wechselnden Bildern in die Quartette hinein und läßt unbestimmte Empfindungen sich zu bestimmten Vorstellungen verdichten, worauf hier und dort ausdrücklich Worte hinweisen. So im A-moll-Quartett, op. 132, das er nach schwerer Krankheit schrieb, der „Dankgesang“ in lydischer Tonart, oder in dem in F-dur, op. 135, das „Muß es sein? – Es muß sein!“ Enger als vielleicht irgend ein anderes seiner Werke knüpft sich zumal das ergreifende Cis-moll-Quartett an die Persönlichkeit des Tondichters, das unter seinen Streichquartetten etwa den gleichen Rang behauptet, wie die große B-dur-Sonate unter den Pianoforte-Werken, die Neunte unter den Symphonien, die Missa solemnis unter seinen Chorcompositionen, ja unter allen Werken ihrer Gattung überhaupt. Es ist wahr, die Hand des Componisten hat in diesen Quartetten über der üblichen Architektonik der Instrumentalform mit vollkommener Souveränetät geschaltet und in dem von Alters her geltenden Maß keine Schranke erblickt für den Reichthum seines Empfindens. Auch der Vorwurf harmonischer Härten, wie sie sich durch eine gewisse Rücksichtslosigkeit in selbstständiger Führung der Stimmen ergeben, ist kein müßiger. Aber es ist eben das charakteristische Wahrzeichen der letzten Entwicklungsstufe Beethovens, daß er die Idee ausbreitet über die Form, sie ihr überordnet, statt, wie bisher geschehen, beide einander nebenzuordnen. Jene wird die Bestimmende, diese die Bestimmte. Das ist der geistige Standpunkt, den er seiner Kunst gewonnen. Mit ihm ging das Andere Hand in Hand, daß er Musik und Leben, Kunstwerk und künstlerische Persönlichkeit in ein bezügliches Verhältniß gebracht, daß er die Wirklichkeit in ihren Kreis aufgenommen und glücklicherweise die Unendlichkeit erschlossen; daß er das Ewige der Menschheit aussprach in einer allen Völkern und Zeiten verständlichen Sprache. Die Vergeistigung der Musik war sein Beruf; die Nachfolge auf dieser Bahn aber ist die große Erbschaft, die das ihm nachgeborene Kunstgeschlecht von ihm überkommen.

Ein trübes, freudloses Bild, im Gegensatze zu der verklärten Welt seines Schaffens, gewähren des Meisters letzte Lebensjahre. Von drückender Schuldenlast durch die Sorge für den Neffen beschwert, wußte er kaum aus noch ein. Der Versuch, durch [199] wiederholte Veranstaltung von Concerten (Mai 1824), in denen er auf Ansuchen seiner Verehrer seine letzte Ouvertüre, mehrere Theile der Messe und die neunte Symphonie zur Aufführung brachte, seiner bedrängten Lage aufzuhelfen, mißglückte leider. Trotz eines großen künstlerischen Erfolgs blieb das materielle Ergebniß hinter allen Erwartungen zurück. Auch die Hoffnung, durch seine Missa solemnis eine ansehnlichere Einnahme zu erzielen, erfüllte sich nicht, und von allen Höfen Europas, die er zur Subscription auf „sein gelungenstes Werk“ eingeladen, hatten sich nur fünf dazu bereit gefunden. Zwar versprach das alte, schon seit Jahren gepflegte und durch eine Einladung der Londoner philharmonischen Gesellschaft neu angeregte Lieblingsproject einer Reise nach England, all seinen Nöthen ein Ende zu machen. Aber auch diese verlockende Aussicht blieb unverwirklicht – aus Rücksicht für den Neffen, den Beethoven gerade zu dieser Zeit nicht verlassen zu dürfen meinte.

Dennoch vermochte selbst die treueste Fürsorge den auf Abwege Gerathenen vor den Folgen gewissenlosesten Leichtsinns nicht zu schützen. Kaum ein Jahr, nachdem der im Uebrigen talentvolle Jüngling, um Philologie zu studiren, die Universität bezogen, mußte er dieselbe wiederum verlassen. Nicht besser erging es ihm, als er im polytechnischen Institute Aufnahme gefunden. Genug, er kam im August 1826 dahin, durch Selbstmord sein Leben enden zu wollen. Hierauf, den Landesgesetzen gemäß, behufs „religiöser Erziehung“, von Obrigkeitswegen in Gewahrsam gebracht, ward er zu Ende September der Obhut seines Pflegevaters mit der Weisung zurückgegeben, ihn nicht länger als einen Tag in Wien zu belassen. Indeß ein Freund es übernahm, für ein geeignetes Unterkommen im Militär Sorge zu tragen, sah Beethoven sich nun genöthigt, gemeinsam mit dem ungerathenen Neffen auf dem Landgute seines Bruders, Gneixendorf bei Krems, eine Zuflucht zu suchen.

Die Ungunst der Jahreszeit und die „unglaubliche Rücksichtslosigkeit“, die er daselbst namentlich in Bezug auf seine Gesundheit erdulden mußte, zwang ihn jedoch vor der beabsichtigten Zeit zur Rückkehr nach Wien. Er mußte, da sein Bruder ihm seinen geschlossenen Wagen verweigerte, die Reise im offenen Gefährt zurücklegen und langte in Folge dessen an einer Lungenentzündung, wie es heißt, erkrankt am 2. December daheim an. Zwei Aerzte, die man herbeirief, versagten, da sie den Eigenwillen des Kranken kannten, ihren Beistand. So sollte der Neffe bei einem dritten Hülfe suchen. Er zog vor, sich mit Billardspiel zu unterhalten und die Sorge für den Arzt einem Kellner zu überlassen. Dieser vergaß es jedoch. Als der Kellner mehrere Tage später selber erkrankte und in die Klinik geschafft wurde, erinnerte er sich des empfangenen Auftrags und theilte ihn dem Arzte mit, der sofort zu dem verlassenen Meister eilte. Er kam zu spät. Die vernachlässigte Krankheit ging in Wassersucht über. Wiederholte Operationen wurden nöthig; doch verlor Beethoven nicht die Hoffnung und beschäftigte sich sogar auf’s Neue mit Compositionsgedanken. (Das Letzte, das er vollendete, blieb aber der in Gneixendorf geschriebene Schlußsatz des B-dur-Quartetts op. 130.)

Nur die Sorge für den Neffen, der mittlerweile als Cadett in ein Regiment in Mähren eingetreten war, ließ ihn auch jetzt nicht ruhen. Er fürchtete, daß dieser, nun er selbst nichts mehr verdiene, gleichzeitig mit ihm Mangel leiden müsse, und so entschloß er sich endlich, wenn auch nach langem Bedenken, den ihm befreundeten Moscheles um Veranstaltung eines ihm von der philharmonischen Gesellschaft in London früher offerirten Benefiz-Concertes anzugehen.

Wirklich erhielt er alsbald hundert Pfund Sterling und die Versicherung, daß man zu weiteren Diensten gern bereit sei. Am Tage nach Empfang dieser Sendung, dem 18. März 1827, dictirte er noch einen Brief voll warmer Dankesäußerungen. Es war sein letzter. Er fühlte nun selbst sein nahes Ende und sah mit Seelenruhe dem Tode in’s Angesicht. In seinem letzten Willen setzte er den Neffen zum Universalerben ein. Am Mittag des 24. März wurden ihm auf sein Begehren die heiligen Sterbesacramente gereicht, die er mit tiefer Andacht entgegennahm. Den Freunden, die sein Lager umstanden, rief er sodann noch zu: „Plaudite, amici! Comoedia finita est.“ (Klatscht, Freunde! Die Komödie ist zu Ende.) Darauf begann der Todeskampf. Er währte lange; erst in der sechsten Abendstunde des 26. März war er vollbracht. Unter Sturm und Gewitter schied Beethoven’s große Seele.

Auf dem Währinger Friedhofe ward ihm seine letzte Ruhestätte bereitet, und unermeßliche Theilnahme gab ihm, in dem man Unermeßliches verloren, am Nachmittag des 29. März dahin das Geleite.

Schlichte Denksteine bezeichnen sein Grab und eine Stelle im nahen Heiligenstadt, wo er vor anderen Orten gern geweilt. Ein stattlich Monument – zum vollen Dritttheil eine Stiftung Franz Liszt’s – aber zeugt von ihm in Bonn am Rhein, der Stätte seiner Geburt, und auch in Wien, wo er gewirkt und vollendet, gedenkt man das Standbild des Meisters aller Meister aufzurichten. Denn wie uns Musik der Inbegriff allen Wohlklangs, so bleibt uns der Name Beethoven der Inbegriff von Musik. Was die Tonkunst vor ihm hervorgebracht, ist ein Hinstreben zu ihm, was sie nach ihm erzeugt, ein Hervorgehen aus ihm. Der Vollender der Classicität und aller Thaten, welche die Größten vor ihm gewirkt, ward er zugleich das Fundament, der Mittel- und Ausgangspunkt der modernen romantischen Musikrichtung. So, einem Janus gleich, sein Doppelantlitz Vergangenheit und Gegenwart zukehrend, erfüllt und beherrscht er beide als ein Prophet des Ewigen der Menschheit, ja alle Zukunft geschmückt mit der Strahlenkrone der Unsterblichkeit.




Belladonna?
Aus den Papieren eines Arztes.


Ich besitze eine Eigenschaft, die unmodern geworden ist: ich bin dankbar. Als vor zwei Jahren ein Telegramm vom Oberst von Waldow[3] mich an das Krankenbett seines Schwiegersohnes berief, zögerte ich keinen Augenblick, dem Gebote desselben zu folgen, so Wichtiges mich auch sonst zurückhielt. Ein paar Thaler mehr oder minder konnten bei mir keine Rolle spielen, wohl aber war die Reise in die ferne Festungsstadt ein Zeitopfer, das ich nur dankbarer Erinnerung zu bringen vermochte.

Verwandtschaft, noch dazu im fünften oder sechsten Gliede, pflegt heutzutage keinen Anspruch auf Beachtung zu geben. Der Oberst, oder damals vielmehr Major von Waldow, der liebenswürdige, hochgebildete Mann, öffnete dem jungen unbedeutenden Mediciner als Verwandtem sein Haus, nachdem dieser sich in der Provinzialstadt als angehender Arzt niedergelassen.

Meine Cousine in dritter Linie war einst eine gefeierte Schönheit, die Tochter eines der scheinbar reichsten Banquiers der Residenz, gewesen. Für den jungen Hauptmann von Waldow betrachtete man es damals als eine besondere Auszeichnung, daß die umhuldigte, glänzende Weltdame die Werbungen des unbedeutenden jungen Officiers begünstigte und, gegen den Wunsch der Ihren, sein Weib ward. Kaum waren sie vereinigt, als all der Schein und Glanz in Trümmer brach. Frau von Waldow’s Vater stellte plötzlich seine Zahlungen ein, und das junge Paar war allein auf die eigenen bescheidenen Einkünfte zur Bestreitung ihres glänzend begonnenen Haushaltes angewiesen. Meine Großcousine soll sich schwer in dieser veränderten Lebenslage zurecht gefunden haben. Ihr Gemahl war ein edler, hochherziger Charakter, der sie, die unschuldige Ursache bitterer Enttäuschung, nie dieselbe entgelten ließ, und seine übergroße Delicatesse mag wohl die Ursache gewesen sein, daß von der stolzen, selbstwilligen Frau die Zügel mehr und mehr seinen Händen entwunden wurden und ihre Lebensweise bedrohlich den knappen Etat überschritt. Er selbst war sparsam, anspruchslos und arbeitsam. Daß es jedoch über kurz oder lang zu einem Wendepunkte in seinem Leben kommen mußte, sahen seine besten Freunde mit mitleidigem Achselzucken.

Zu jener Zeit, als von Waldow am Rande des Abgrundes stand, wurde ich als Assistent zu unserm berühmten Professor N. gerufen, dessen Lehrstuhl ich jetzt einnehme.

Der beklagenswerthe Mann sollte nicht vergebens an meine Freundschaft appellirt haben. Ich reiste also ab.

[200] Waldow empfing mich auf der Eisenbahn in G. Sein Händedruck war herzlich und freundschaftlich warm wie ehedem. Der Mann hielt sich aufrecht, als habe er die Last der Sorgen abgeschüttelt; er sah stattlich und vornehm aus, aber die verheerende Spur der durchkämpften Jahre zeigte sich in dem frühergrauten Kopf- und Barthaar, welches das edle, geistig belebte Antlitz älter erscheinen ließ, als es den Jahren nach sein durfte.

Tiefer Ernst und eine gewisse Beklommenheit fielen mir an ihm auf, als er mich an die elegante Equipage geleitete, dem Diener meinen Gepäckschein übergab und zu mir in das bequeme Coupé stieg. Jene ruhige Beherrschung und vornehme Sicherheit, die uns gewöhnlich nur mit dem Reichthum kommt, war ihm jetzt in Fleisch und Blut übergegangen, den ich in der Erinnerung noch immer als den verschüchterten, ängstlichen Menschen vor Augen hatte, den jedes Schellen an der Hausglocke schreckhaft emporfahren ließ. Seine Vermögensverhältnisse mußten sich sehr verändert haben. Ich durfte mir schon die kleine Vertraulichkeit erlauben, lächelnd ihm darüber eine halb scherzhafte Bemerkung zu machen.

„Ich sehe, mein lieber Professor,“ meinte er freundlich, während der Diener meinen Koffer auf den Bock schob und sich zu dem alten, würdig aussehenden Kutscher behende hinaufschwang, „Ihr Ruf ist zwar in unsere Verbannung gedrungen, aber zu der vielbeschäftigten, vielberühmten Koryphäe ist nicht Kunde von dem großen Ereigniß gelangt, das ein paar Jahre hindurch schon unsere Provincialklatschbasen alarmirte. Der exotische Goldonkel, von dem die Mehrzahl der Menschen träumt und der die Bedrängten so selten erlöst, ist wie ein deus ex machina in mein sorgenschweres Leben getreten. Ein überseeischer war’s freilich nicht,“ bemerkte er lächelnd, „sondern ein fürchterlich gewöhnlicher kleiner Emporkömmling aus dem Quartier Latin in Paris, wohin sein Glücksstern ihn vor einigen fünfzig Jahren als Kleiderhändler, Geldleiher, was weiß ich noch, verschlagen.

Vor ein paar Jahren kommt der kleine Mann von traditioneller Familienliebe nach Deutschland, um seine Verwandten einmal wieder aufzusuchen. Kein Mensch hatte sich um das Dasein des verschollenen Onkels meiner Frau bekümmert. Der Tod hatte ihm seine beiden Kinder geraubt, und er mußte für sein mühsam zusammengescharrtes kolossales Vermögen Erben suchen. Natürlich dachte er zuerst an seine nächsten Angehörigen. Da aber begegnete er fast nur noch Gräbern. Nun kam die zweite Generation an die Reihe. Dem schäbig gekleideten, alten, kleinen Manne mögen die eleganten Cousinen und Cousins meiner Frau wohl kein allzu freundliches Gesicht zum Willkommen gezeigt haben. In dem schüchternen, zusammengeschrumpften Greise, der ihnen mit einem Herzen voll sehnender, überströmender Liebe entgegenflog, haben sie am Ende gar einen Bittsteller erwartet und ihn durch vornehme Schroffheit sich fern halten wollen. Empört, erbittert, bis in die Seele erkältet, wollte er nun den letzten Versuch bei dem Kinde seiner jüngsten Schwester, meiner Frau, wagen, um sich, im Fall des Mißerfolges, beleidigt zurückzuziehen und sein Vermögen der Kirche zu vermachen.

Zum Glück war meine Frau gerade verreist. Sie hatte meine beiden ältesten Töchter mitgenommen. Sie wissen, mir gilt der Mensch, nicht sein Kleid. Der arme, vereinsamte, verletzte Greis mit seinem liebelechzenden Herzen, der von den Verwandten so verächtlich bei Seite geworfen worden war, dauerte mich, und ich nahm mich seiner herzlich an.

Er war schon ein paar Tage bei mir und meiner kleinen Blanche eingebürgert, als meine Frau und meine Töchter von ihrem Ausfluge zurückkehrten; ihre hochmüthige Kälte konnte daher sein Heimgefühl in meinem Hause nicht mehr beeinflussen.

Er schied von Blanche und mir in herzlicher Zuneigung, Thränen in den alten treuen Augen.

Und nun geben Sie Acht, Freund! Nun folgt der Lohn der unbewußten guten That, wie die märchenhafte Vergeltung in den moralischen Geschichten für artige Kinder.“

„Der alte Herr setzte Sie und Blanche zu Erben ein, nicht wahr?“ unterbrach ich den eifrigen Erzähler.

„Sie erinnern sich meiner kleinen Blanche noch, Professor?“

„Wie sollte ich nicht! Ich müßte sonst ein sehr ungetreuer Knappe sein. Wissen Sie nicht, Oberst, daß wir damals im Schulzimmer, als ich Ihren Söhnen E … Ed …“

„Egon und Alwin; sie stehen jetzt bei der Garde in P.,“ vervollständigte er mein tastendes Herumrathen.

„– den Cornelius Nepos einpauken half, ein Trutz- und Schutzbündniß für alle Zeiten abgeschlossen? Das kleine Dämchen stürzte mit ihrem Canarienvogel, dem der Bursche die Pfoten im Bauer halb abgequetscht hatte, außer sich zu uns herein, den kleinen Patienten in der Schürze. Die hartherzigen Jungen lachten über ihre strömenden Thränen, und ich nahm mich ihrer und des kleinen Invaliden an und heilte das kranke Bein mit Essigumschlägen und Heftpflastern. Ihre Dankbarkeit kannte keine Grenzen. Ich hatte mehreren leidenschaftlichen Liebeserklärungen zu widerstehen. Das kleine Fräulein wird ihre erste Liebe aber wohl längst vergessen haben.“

Der Oberst seufzte schwer auf, in einer Weise, die mein leichter Scherz in keiner Weise rechtfertigen konnte, und ich richtete daher die directe Frage nach dem Ergehen seiner Familie an ihn, und ob Blanche nicht der kleine leicht- und gutherzige Singvogel sei, dem ich den Beinamen Weihnachtslamm gegeben, weil es mit seinem weißblonden Krauskopf, dem vollen weißrosigen Körperchen, den großen unschuldsvollen Kinderaugen der coquetten Zierlichkeit der Bewegungen, mir immer den Eindruck eines flockigen schneeweißen Lammes gemacht, dem die Mama, um denselben zu vervollständigen, das lichtblaue Bändchen um den milchweißen Hals nie fehlen ließ.

„Ja, das ist Blanche und Ihr Vergleich ist in jeder Weise zutreffend. – Sie ist immer ein Lamm, sogar ein Opferlamm gewesen,“ sagte er mit schmerzlicher Ironie. „Meine anderen Töchter sind nach Wahl verheirathet, – reiche Mädchen haben ja immer passende Bewerber. Für meine arme Kleine kamen die anderthalb Millionen zu spät. Aber bei Gott, Doctor, trauen Sie mir nicht zu, dessen mich die Welt anschuldigt! Ich habe mein Kind nicht in diese Heirath hineingeredet, eine Verbindung, wie sie unpassender nicht gedacht werden kann. Erst später erfuhr ich, daß sie sich mir geopfert und daß ihre Mutter es gewesen, die sie zu dieser Handlung kindlicher Liebe veranlaßt.“

Er brütete ein paar Augenblicke düster vor sich hin. „Ich weiß nichts,“ bemerkte ich etwas verlegen, da er von Verhältnissen sprach, die sich meiner Beurtheilung entzogen.

„Ja so, lieber Freund, Sie können nicht wissen – meine jüngste Tochter ist an den damaligen General Fink von Falkenstein, jetzigen Festungscommandanten verheirathet.“

Unwillkürlich fuhr ich überrascht auf. „Blanche kann höchstens zwanzig Jahre alt sein,“ sagte ich, um meine Verwunderung durch etwas zu entschuldigen.

„Und der General war beinahe sechszig. O sans gêne, Herr Professor – ich habe mir tausend Mal selbst gesagt, was irgend Jemand tadelnd dagegen anführen kann. Damals begrüßte ich die Bewerbung des übrigens höchst achtungswerthen Herrn als eine Erlösung aus zwiefachen Conflicten. Ich möchte in Ihren Augen dasselbe Maß von Achtung wie ehedem genießen, und ich weiß, Sie glauben mir, wenn ich Ihnen versichere: nie hätte ich um den Preis der Selbsterhaltung mein liebes Kind dem ungeliebten Greise hingegeben. Mein leichtsinniges Töchterchen aber hatte sich in ein zärtliches Verhältniß mit einem ganz fernen Verwandten, einem Secondelieutenant von Zukits, eingelassen. Daß die Leutchen warten mußten, bis er es zum Hauptmann gebracht, daß er mittellos war, hätte ihn in meinen Augen – wie Sie mich ja kennen, Professor, (obschon ich meinen Kindern eine sorgenlosere Existenz gönnte, als ich sie selber gehabt) – nicht herabgesetzt, aber daß er gewissenlos, verschwenderisch, ohne Grundsätze war, hatte ich mehrfach erfahren, und das stempelte ihn bei mir zu einem unmöglichen Bewerber für meine holde kleine Blanche. Einen Spieler, einen Schuldenmacher, einen Wüstling mochte ich nicht im Zusammenhang mit meinem reinen Kinde wissen, und ich verbot aus diesen Gründen allein jeden Verkehr.

Der Mensch war bildschön und von geistiger Veranlagung, einer jener notorischen Don Juans, denen kein Frauenherz, am allerwenigsten das eines unerfahrenen jungen Mädchens, lange widersteht.

Brauche ich Ihnen meine Freude zu schildern, als eines schönen Tages meine kleine Blanche, bleich, aufgelöst in Thränen, sich mir an die Brust wirft und zitternd hervorstammelt: daß sie dem General von Falkenstein eben ihr Jawort gegeben?!

[201]

Das Höhlenschloß Puxer Luegg in Steiermark.
Nach einer Farbenskizze von Robert Zander in Wien.

[202] Ich hatte die Vorliebe des alten, bereits zweimal verheiratheten Herrn für Blanche für väterliches Wohlwollen gehalten, und seine Werbung überraschte mich daher sehr. Sie kam mir wie der Rettungshafen vor, in den ich mein armes umgarntes Vögelchen flüchten und bergen könnte, aber keinen Augenblick habe ich dabei an mich gedacht.

Zum Oberst war ich damals bereits designirt, aber die endgültige Ernennung hing von der Ordnung meiner Verhältnisse, sage ich offen: meiner aufgelaufenen Schulden ab, und General F.’s, meines Vorgesetzten, Meinung sollte dabei den Ausschlag geben. Mein künftiger Schwiegersohn war reich und freigebig, die Ordnung meiner Angelegenheit ihm eine Lappalie. Ich mußte es natürlich geduldig hinnehmen, daß man sich insgeheim zuraunte: ich habe mein Kind verkauft, und nie hätt’ ich’s bereut, wenn nicht –“ Er brach kurz ab, die Wolken auf seiner Stirn verdichteten sich.

„Meine arme Frau,“ sagte er nach einer Weile mit dem warmen Klange der ihm innewohnenden hochherzigen Gesinnung, „meine Frau hat wenig genug von den endlich eingekehrten guten Zeiten genießen können. Sie kränkelte schon seit Jahren. Des Onkels Reichthum hat ihr aber wenigstens den Tod erleichtern helfen. Ich schickte sie nach Monaco. Da ist sie sanft eingeschlafen, und ich stehe nun so gut wie allein.“

„Und Blanche?“ fragte ich.

„Blanche ist die tonangebende Persönlichkeit unserer Stadt. Noblesse oblige, mein Werthester, den Ruf einer Frau des Salons aufrecht zu erhalten im Kampfe mit den Frauen unseres reichen Adels muß ein zeitraubendes Geschäft sein. Die Kleine erfaßt ihre Mission mit einem Eifer, der einer bessern Sache werth wäre; da bleibt ihr wenig Muße für andere Interessen.“ Er hatte das ganz leichthin gesprochen, aber eine gewisse geringschätzige Ironie durchbrach doch seine scherzenden Worte.

Also das ist aus dem reizenden Kinde geworden, dachte ich bedauernd, als eben das Coupé, vor einem altersgrauen schloßartigen Gebäude angekommen, durch das niedrige Portal in den Burghof rollte. Man hätte es von dem leichtherzigen, oberflächlichen Dinge erwarten können. Geistige Bedeutung hatte sie nie ausgezeichnet, sie war aber eine so sonnig-heitere, frische, warmherzige Natur voll anschmiegender Sanftmuth gewesen, daß man ihr den Mangel glänzender Geistesgaben um ihrer strahlenden Heiterkeit und schönen Wärme halber gern nachsah. Ihr Leben mochte leer sein. Sie hatte da wahrscheinlich nach dem Mittel gegriffen, das leider so vielen Frauen der Lebenszweck zu sein scheint. Der eitle äußere Flitter mußte die innere Armuth bedecken helfen. Arme kleine Blanche, ich hätte dir ein besseres Loos gewünscht.

Die innere häusliche Einrichtung in ihrer vornehmen Gediegenheit war dem stilvollen Bau des burgartigen Schlosses angepaßt. Sage ich gleich, daß das Haus des Commandanten hoch auf einem bergigen Plateau lag und sich an der Rückseite des Castells, terrassenförmig abfallend, Lust- und Gemüsegärten anschlossen. Von der Küche aus gelangte man in den Nutzgarten, und von dem Speisesaale aus in die Blumenparterres, die gerade jetzt, Ende Juni, in wundervoller Flora standen.

„Hat sich in Excellenz Befinden etwas verändert?“ fragte mein Begleiter den alten, würdigen Diener in Kniehosen und weißer Halsbinde, den typischen Haushofmeister oder persönlichen Kammerdiener eines großen Hauses mit dem traditionellen, ehrwürdigen bartlosen Faltengesichte und den unhörbaren Tritten.

„Schlechter, Euer Gnaden!“ meinte er besorgt und traurig, während er das Kunststück fertig brachte, die breiten, ausgewölbten Stufen der Steintreppe vor uns hinaufzugleiten, ohne uns ein einziges Mal den Rücken zuzukehren.

„Wollen Sie sich erst restauriren, ehe Sie zu unserem Kranken gehen, lieber Professor?“

Ich sah dem gespannten Blicke des Obersten an, er wünsche, ich solle Nein sagen. Nur die gewohnte Höflichkeit hatte diese Phrase dictirt. Ich sagte natürlich, ich wünsche erst meinen Patienten zu sehen, obschon ich halb todt vor Müdigkeit war, und der Diener zog am linken Flügel der Bel-Etage die schweren Fallthüren auf und ließ uns durch die mit einer Hand zurückgehobene dunkelgrüne Portière in ein hohes, düsteres Gemach treten.

Es war ohne Zweifel das Arbeitszimmer des Commandanten. Zu einer Beurtheilung desselben kam ich in diesem Augenblicke nicht, denn meine ganze Aufmerksamkeit wurde durch eine Frauengestalt abgelenkt, die in nervöser Rastlosigkeit auf dem weichen Moosteppich auf- und abschritt, die rauschende Schleppe nach sich ziehend, und die in ihrer ruhelosen Bewegung erst dann einen Moment inne hielt, als wir dicht hinter ihr standen.

Sie heftete ein paar brennende, unruhige, übernächtige Augen auf uns, bei denen mir damals schon die ungewöhnlich erweiterte Pupille auffiel. Das etwas matte Auge des Kindes hatte dadurch jenen Glanz und jene Tiefe bei der Frau erlangt, welche die Damen der Halbwelt durch Pinsel und was weiß ich sonst künstlich zu erzeugen verstehen.

Die kleine muntere Blanche war eine schöne, elegante, üppige Frau geworden, eine Eva, wie der Maler sie sich als Type nur wünschen konnte, aber die Salondame comme il faut war sie heute nicht. Die Haut, die ihr den Beinamen des Lammes eingetragen, war noch ebenso milchweiß wie damals; ich sah es an dem schwanenzarten Hals, an dem der nachlässig geschlossene Schlafrock von persischer Seide aufgegangen war, an dem mit flüchtiger Hand aufgewundenen Haar, das, kaum um eine goldigere Nuance gedunkelt, in einzelnen welligen Strähnen ihr bis in die Taille hinabrollte, an dem ganzen abgespannten, blassen Gesicht, auf dem Schreck und Angst versteinert zu sein schienen.

Sie war auf mich zugestürzt und hatte heftig nach meinen beiden Händen gefaßt. „Sie retten ihn, nicht wahr, Sie retten ihn? Er darf nicht sterben. Mein Gott, ich ertrag’s nicht,“ brach es gleichsam in wilder Angst aus ihr hervor. Beherrschung hatte Blanche niemals in hohem Grade gekannt; diese Fassungslosigkeit bei des greisen Gatten Krankheit, diese gleichsam verzweifelte Furcht vor einem Ausgang, der in seinen Jahren nichts Erschreckendes haben konnte, rief aber doch das höchste Befremden bei mir hervor.

„Liebt sie ihn so sehr?“ raunte ich dem Vater zu, der ein verlegener Zeuge dieses heftigen Ausbruchs gewesen war, da sie uns nun stillschweigend voraufschritt und leise die Thür des Krankenzimmers öffnete.

Der Oberst zuckte die Achseln.

„Weshalb ist die Frau dann nicht am Krankenbett ihres Mannes?“ war meine nächste bedenkliche Selbstfrage. Ich sollte die Antwort finden, sobald ich selber in dem verdunkelten Raum die Gegenstände zu unterscheiden vermochte.

Aus einem tiefen Lehnstuhl stand eine Frau auf, als ich an das Lager trat. Ein dunkles, herrisches Auge flog mit gebieterischer Mahnung zu der jungen Frau hinüber, und der befehlende Blick bannte sie gleichsam an die Schwelle, ohne daß sie einen Schritt vorwärts zu thun wagte.

Es war ein trauriger Anblick, der meiner wartete, als ich den Vorhang des hohen Himmelbettes zurückschlug.

Eine athmende Leiche ohne Bewußtsein, betäubt, empfindungslos, mit schiefgezogenem Gesicht und gelähmter Zunge lag mit weitoffenen Augen da, aber diese Augen hatten keine Sehkraft, und die Pupillen, erweitert bis zu unnatürlicher Größe und gegen jede Lichtveränderung empfindungslos, starrten mich aus einem fürchterlichen Antlitz an.

Mich überlief es eiskalt, während ich den kleinen zuerst beschleunigten, dann aussetzenden Puls prüfte. Hatten denn all meine hiesigen Collegen keine Augen? Ein Blick, und ich wußte, daß etwas Fürchterliches sich hier über die Schwelle gedrängt – daß ein Verbrechen verübt worden war.

„Sind Sie die Krankenwärterin?“ examinirte ich kurz die große, klösterlich gekleidete Frau, die regungslos wie ein Steinbild mit steinernem Gesichtsausdrucke zu Häupten stehen geblieben war.

„Eine Freiwillige,“ sagte sie lakonisch. „In meiner Jugend Diakonissin – seit zehn Jahren Hausverweserin Seiner Excellenz.“

Stimme und Sprache trugen den Stempel der Verfeinerung und Bildung. Sie mußte nie schön gewesen sein, diese verschlossene Frau mit der frostigen Reservirtheit in Ton und Wesen. Ich legte ihr schnell andere Fragen über den Patienten vor. Ihre Antworten waren knapp, klar, sachgemäß und logisch, wie von Männerlippen. Ihre Stimme hatte männliche Tonfärbung.

„Waren Sie von Anfang an bei dem Kranken gewesen?“

„Leider nicht.“ Es klang haßerfüllte Bitterkeit aus ihren Worten, und ein Blick unversöhnlichen Hasses flog zu der jungen [203] Frau herüber, die sich darunter förmlich in sich selbst zusammenbog und am ganzen Leibe wie Espenlaub zitterte.

„Seit wann denn hatten Sie die Pflege übernommen?“

„Seit ich am Abend nach Seiner Excellenz Erkrankung die Frau Baronin“ – sie sprach mit leisem, verächtlichem Achselzucken – „ohnmächtig auf ihren Knieen am Bette gefunden. Seine Excellenz haben damals wahrscheinlich schon delirirt,“ fuhr sie fort, „haben fürchterliche Anklagen und Verwünschungen ausgestoßen,“ und wieder flog der dunkle, unbeschreibliche Blick aus den gleichsam phosphorescirenden Augen – diesmal in unverkennbarer Drohung – zu Blanche hinüber, die unwillkürlich einen hastigen Schritt vorgethan und ihre gefalteten Hände beschwörend der Frau zustreckte.

Welches häusliche Drama spielte sich vor uns ab? Es blieb mir keine Zeit, es ergründen zu wollen. Der Patient war meine Hauptsorge, und trog mich nicht Alles, war jede Hülfe bereits zu spät.

„War damals ärztliche Hülfe sofort herbeigerufen worden?“

„Die Frau Baronin untersagte es anfangs, dann kam Seine Excellenz noch einmal zur klaren Besinnung und untersagte es strenge, obschon die gnädige Frau damals wieder flehentlich darum bat. Nachdem das Delirium wiedergekehrt, hat sie aus eigener Machtvollkommenheit nach den Medicinalräthen Werner und Vogel geschickt.“

„Und die Diagnose der Aerzte?“

„Magenkatarrh oder -Erweichung, glaube ich,“ sagte sie, und wieder zeigte sich jenes unbeschreiblich geringschätzende Achselzucken, und ein verächtliches Lächeln spielte um die vollen, blassen Lippen.

„Und die Symptome, die Sie beobachtet haben?“ fragte ich gespannt. Ich hatte Achtung vor der scharfen Beobachtungsgabe, dem scharfen Auge, der präcisen Ausdrucksweise dieser gescheiten Frau bekommen.

Ein fieberhafter Glanz trat in die harten, bösen Augen, ein jähes Roth in das fade Weiß des etwas fetten Gesichtes, ein sommersprossiges, todtes Weiß, wie es rothes Haar häufig zu begleiten pflegt. Sie bestätigte in prägnanter Knappheit meine grauenhafte Diagnose.

„Kolik und Diarrhöe, dann Erbrechen und Ohnmachten, Verlust des Gedächtnisses, schweres Gehör, glänzende, unstät umherrollende Augen, voller, zuerst schwerer, dann aussetzender Puls und seit heute Morgen jene Lähmungs-Anfälle, von denen ich wußte, daß sie die Vorläufer der allgemeinen Lähmung wären,“ zählte sie mir in chronologischer Reihenfolge auf, und ich wußte jetzt, wovor ich förmlich zurückschauderte.

Konnten die angewandten Hülfsmittel hier noch von Nutzen sein? Ich wollte wenigstens nichts unversucht lassen, soweit die menschlichen Kräfte reichten.

Zu Vomitiven war es zu spät, und auch die Magenspritze erwies sich als nutzlos. Ich gab ihm durch die knirschenden Zähne Citronensaft mit Kaffee, dann Liquor ammonii carbonici caustici ein, und die resolute Frau, mit ihrem gleichsam hellsehenden Instincte und ihren ruhig energischen Handleistungen, war mir dabei ein sehr willkommener Assistent. Ihre kräftigen Arme unterstützten mich tapfer, die erstarrenden Extremitäten durch heftiges Bürsten zu beleben.

Sage ich gleich (ich schreibe keine moderne Sensationsnovelle, die den Leser auf die Folter der Erwartung spannen soll), ich hielt den fürchterlichen Zustand für eine Hyoscyamin-Vergiftung, herbeigeführt durch jenes Alkaloid, oder das besser bekannte Belladonna. Als ein paar Stunden darauf das schlagflußartige Ansehen meines Kranken zunahm, was auf eine Ueberfüllung der Hirngefäße mit Blut schließen ließ, ordnete ich noch einen Aderlaß an.

„Was hatte der Patient am Abend vor seiner Erkrankung genossen?“ fragte ich die schweigsame Krankenpflegerin, die inzwischen wieder in ihren tiefen Sessel gesunken war.

Wieder jene kaum merkliche überhebende Bewegung des Oberkörpers, die klar zeigte, wie sie über die Kurzsichtigkeit meines Berufes urtheilte, und dann ein trockenes:

„Hühnerfricassée.“

„Mit Trüffeln, Morcheln, Champignons?“

„Nichts von alledem! Excellenz verabscheuen jede Art der Pilze. Das Huhn war auf die primitivste Art zubereitet, einfach in eigener Kraft mit Eigelb servirt.“

„Und weiter?“

Der ironische Mund verzog sich noch spöttischer; ihr Ton war noch wegwerfender: „Eine Messerspitze Ramadurkäse, ein Theelöffel voll Champagnergelee, den ich eigenhändig fabricirte, und ein Madeiraglas Chablis ungefähr. – Darüber, Herr Professor, wird die gnädige Frau besser referiren können. Ich nahm das leere Glas nur vom Büffet, das Frau Baronin Excellenz selbst präsentirt haben muß, denn die Dienerschaft war hinausgeschickt.“

Ich sah Blanche’s weiße Hände sich krampfhaft um die Thürklinke schließen, als fürchte sie umzusinken.

„Hat die gnädige Frau das Souper vollständig getheilt?“ setzte ich mein Examen fort.

„Fragen Sie sie selbst! Ich gehöre zu den Domestiken,“ sagte sie schroff und deutete gebieterisch auf Blanche hin, die wie ein Schatten in das anstoßende Gemach zurückwich.

Ich ging ihr nach, und auch ihr Vater folgte mir.

Sie lag zusammengekauert vor dem Sopha und hatte das Gesicht in die Polster gleichsam eingegraben. Der zuckende Oberkörper verrieth ihr innerliches Schluchzen. Das jetzt ganz aufgerollte Haar floß wie ein lichter Königsmantel auf das Parquet herab. Ich mochte die in Schmerz Versunkene nicht gewaltsam aufreißen. „Wer ist die seltsame, um nicht zu sagen unangenehme Person da drinnen?“ fragte ich neugierig den Obersten und deutete mit dem Finger auf das Krankenzimmer.

„Ein Störenfried, der in keinem Hause gut thut und den meine Tochter, wenn sie meinen praktischen Erfahrungen, mehr gehorcht hätte als ihrer gutmüthigen Schwäche, längst würde entfernt haben. Eine anmaßende Person, entfernte arme Verwandte der zweiten Frau meines Schwiegersohns. Sie hat diese zu Tode gepflegt, ist Hausdame bei dem Wittwer gewesen und hat wohl auf eine Stellung Anspruch erhoben, zu der ihr durch meine Tochter jede Hoffnung genommen wurde. Ich glaube kaum, daß sie Blanche diese Enttäuschung verzeihen kann. Mir ist das kalbfleischweiße Gesicht unheimlich und abstoßend, wenn dessen Züge auch beinahe schön genannt werden können. Sibylle Unruh heißt sie. Der Name ‚Sibylle‘ charakterisirt sie vortrefflich, aber ‚Unruh‘ ist eine wahre Persiflage auf ihre steinerne Unbeweglichkeit. Da haben Sie die ganze Charakteristik dieser Frau, die meine gutmüthige kleine Blanche aus reinem Mitleid mit ihrer Verlassenheit nicht fortschicken mochte und die ihr das – ich habe die instinktive Ueberzeugung mit einem stillen beharrlichen Verfolgungshaß vergelten würde, hätte sie nur die Macht dazu. Die Person ist hochmüthig und ränkevoll, glauben Sie mir, und ihre bescheidene Zurückhaltung und Demuth sind nur die Masken eines verbitterten, galligen Charakters.“

Langsam hatte die Baronin sich auf den Knieen erhoben; das wirre Haar hatte sie aus dem verweinten Antlitz geschüttelt, und jetzt näherte sie sich uns mit jener, ich möchte sagen, zutraulichen Kindlichkeit, die sie mir einst so reizend erscheinen ließ. Diese kätzchenartig anschmiegende Schutzbedürftigkeit stand der jungen Frau entzückend. Jede Bewegung, jeder Aufblick aus den großen grauen Augen war ein Anruf unserer Hülfe. Wie ein müdes, zum Tode erschrockenes Kind lehnte sie den blonden Kopf an ihres Vaters Schultern und sah angstvoll von Einem zum Andern.

„Papa, er wird nicht sterben; sage mir, daß er nicht sterben wird!“ jammerte sie mit gerungenen Händen, und als wir stumm blieben, kam wieder jener verhaltene Ton – ich kann ihn nur als verzweifeltes Aechzen bezeichnen – aus ihrem offenen, nach Luft ringenden Munde. Das junge Weib war mir ein Räthsel.

„Gnädige Frau –“

„Blanche!“ unterbrach sie mich, ohne aufzublicken.

„Blanche,“ wiederholte ich mechanisch – der Augenblick war viel zu ernst zu Aeußerlichkeiten und das gute, liebe Kind mir, dem alten Hagestolz, viel zu sehr an’s Herz gewachsen, als daß ich diese Form der Anrede nicht natürlich gefunden hätte. „Blanche, Sie müssen mir von Anfang an berichten, wie Alles war und kam – hören Sie?“ Und ich nahm ihren blonden Kopf von ihres Vaters Schulter und zwang sie, mich anzusehen, ihre Augen aber wichen den meinigen scheu aus; die Todesangst stand deutlich in dem geisterhaften Gesicht, und Schweißtropfen perlten auf der Stirn. Selbst das Haar schien durchtränkt davon.

[204] „Ich kann nicht; ich – ich – ich weiß nichts – ich –“ und sie drängte an mir vorüber der jenseitigen Thür zu. Ich aber nahm ihre beiden Hände, preßte sie wie in eiserne Fesseln in die meinigen und sagte streng:

„Benehmen Sie sich nicht wie ein ungeberdiges Kind! – Haben Sie mit soupirt an jenem unheilvollen Abende?“

Sie schüttelte verneinend den Kopf.

„Sagen Sie mir –“

„O, wie Ihr mich quält!“ jammerte sie.

Und ich sagte noch strenger: „Sie müssen haarklein beichten, Blanche.“

„Lieber todt!“ schrie sie auf.

Ein Ruck – ihre Hände waren frei; außer sich stürzte sie an uns vorüber – ich weiß nicht, wohin. Ich sah sie gleich darauf durch den Garten abwärts eilen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Das Höhlenschloß Puxer Luegg bei Teufenbach in Steiermark. (Mit Abbildung S. 201.) In Oesterreichs Alpen sind es besonders zwei Burgen, welche durch ihre eigenartige Lage die Aufmerksamkeit des Touristen fesseln. Die eine derselben, Puxer Luegg bei Teufenbach im Judenburger Kreise, ist im wahren Sinne des Wortes „ein Höhlenschloß“. Die andere befindet sich tief in Krain, vier Stunden von Adelsberg im Birnbaumer Walde; sie liegt in der Thalschlucht vor einer Felsengrotte und führt einfach den Namen Luegg. Beide Bauwerke, jetzt mehr Ruinen, mögen zu gleichem Zwecke erbaut worden sein; denn ihre versteckte Lage läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß wir es mit Raubschlössern des Mittelalters zu thun haben. In Bezug auf geheimnißvolle Lage bietet Puxer Luegg entschieden ein größeres Interesse.

Um die Burg zu erreichen, benutzt man die Kronprinz-Rudolfs-Bahn, indem man von Judenburg ab in der Richtung nach Villach, einige Stationen südöstlich, bis zum Haltepunkt Teufenbach fährt. Der Ort liegt an der Landstraße auf der Hälfte des Weges, welcher vom uralten Stift St. Lambrecht nach Judenburg führt. Hier erhebt der hohe Puxberg sein trotziges Haupt, auf der Südseite in steilen Wänden senkrecht abfallend. Da ist auch die Stelle, wo sich in der Höhe von hundert und einigen Klaftern über der Thalsohle die Eingänge zweier Höhlen befinden. Beide bargen einst bedeutende Bauten, von denen jetzt nur noch in der größeren, etwas höher gelegenen einige Ruinen und verworrenes Trümmerwerk erhalten sind. Recht deutlich spricht sich in diesen Ruinen dem Beschauer der Zweck des ehemaligen Schlosses aus. Raubritter, verschlagen und tollkühn zugleich, bezogen die einsame Höhle, um bequem die in geringer Ferne einander kreuzenden Heerstraßen beobachten zu können und die daselbst ziehenden zahlreichen Handelsleute auszuplündern. Im sichern Versteck, jedem Versuch zu einem Ueberfall hohnlachend, verzehrten sie ihren Raub in dem unheimlichen Felsenneste, dessen Zutritt dem geübtesten Bergsteiger bei Anstrengung und Gefahr auch heute nur mit Steigeisen und Leitern möglich ist. Deshalb wird der vereinsamte Winkel von den Fremden auch nur selten besucht. Die Tiefen der Höhle, deren Eingang die Burg unangreifbar machte, sind den Jetztlebenden unbekannt; benachbarte Thalbewohner versichern, daß sie sich stundenlang in das Innere des Berges hinzögen. Ebenso ist die Sage geschäftig, die seit langen Zeiten in Trümmern liegende Feste „Puxer Luegg“, auch „Puxer Loch“ und „Chalon“ genannt, mit allerlei Schauerhistorien in Verbindung zu bringen, zahlreich genug um eine Romanbibliothek zu füllen.

Wohl mag diesen blutigen Erzählungen bis zu einem gewissen Grade Wahrheit zu Grunde liegen, denn es ist nicht anzunehmen, daß die einstigen Inhaber des lichtscheuen Verstecks lediglich aus Liebhaberei hier wohnten, aber die locale Geschichte berichtet hierüber nichts Gewisses, und wo ihre Halbschwester, die Volkssage, Platz greift, wird die Grenze von Wahrheit und Phantasie bekanntlich stets getrübt.
Z.




Fragen.


Ein tief Geheimniß ist das Leben;
Nicht wissen wir wohin, woher?
Ist’s Morgenroth, in dem wir schweben,
Ist’s Abendröthe über’m Meer?

Ist, was wir leben, schon das Ende?
Beginnt der Anfang mit dem Tod?
Kein Laut, der tröstend Antwort sende
Dem Wüstenrufer in der Noth!

Sind Thränen, die im Schatten fallen,
(Hier bittrer Thau der Blume: Schmerz!)
Jenseits des Grabs in Gottes Hallen
Glücksperlen für das sel’ge Herz?

Ist dort das Glück vielleicht ein Leiden,
Wird dort ein Leid, was hier ein Glück?
Ist Finden dort, was hier ein Scheiden –
Wohin nur führt uns das Geschick?

Alfred Friedmann.


Anfrage. In Anknüpfung an einen Artikel in Nr. 10 dieses Jahrganges[WS 2] der „Gartenlaube“, „Blumenzucht im Zimmer“, dürfte Folgendes der Beachtung von Fachmännern ernstlich empfohlen werden. Es ist eine allgemein gemachte Erfahrung, daß in Räumen, wo Gas gebrannt, ja wo sich auch nur Gasleitungen befinden, ohne daß der in ihnen enthaltene Brennstoff täglich gebrannt wird, eine Pflanze, auch bei sonst aufmerksamster Pflege, nicht zum Blühen gebracht werden kann. Sogar auch Blattpflanzen mit hartem Laube können sich oft nicht genügend weiter entwickeln, sobald sie einer schwach mit Gas geschwängerten Atmosphäre häufig ausgesetzt werden. Sollte die Wissenschaft nicht auch hier wie bei so vielen andern Uebeln eine Abhülfe schaffen können? Der aufrichtigste Dank und die Anerkennung unendlich Vieler, Laien sowohl wie Kunstgärtner, würden diesen Forschungen sicher sein. Hat doch die Wissenschaft so manche oft unmöglich scheinende Probleme gelöst – warum nicht auch dieses? Wichtig genug wäre es sicher, um es eingehend zu prüfen. Das Wie? (ob durch Luftreinigung oder andere Einflüsse) bleibt natürlich dem Fachkundigen zu ergründen. Möchten eingehend gemachte Forschungen über diese Frage einen günstigen Erfolg haben und zu Nutz und Frommen Aller veröffentlicht werden!

Ein Blumenfreund.




Schrader-Gaben. Auf Anregung unserer Notiz in Nr. 50 vorigen Jahres sind uns für den unschuldig zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurtheilten Friedrich Schrader in Kroppenstedt folgende Gaben zugegangen, über die wir hiermit dankend quittiren:

Erlös einer Spielgesellschaft in Restauration Baum in Düsseldorf 5 Mk.; Lenz in Karlsruhe 20 Mk.; C. U. in Dresden 5 Mk.; W. Müller in Mariensiel 5 Mk.; W. in Darmstadt 15 Mk. 5 Pf.; X. Y. in Steele 1 Mk. 50 Pf.; aus Bremen 20 Mk.; H. Fuld 3 Mk. 5 Pf.; H. Schuster in Zehdenick 3 Mk.; Kegelclub „Die Räuber“ aus Halle 12 Mk. 80 Pf.; zweite Classe höherer Töchterschule in Sagan 10 Mk. 45 Pf.; am Biertische gesammelt von J. D. in Geyer 10 Mk.; B. M. in Geringswalde 6 Mk.; A. S. in Frankfurt a. d. O. 5 Mk.; Prause’sche Malerpersonal in Altwasser 10 Mk.; Emilie Schindler in Berlin 10 Mk.; E. B. in Köln 3 M.; H. K. in Offenbach 5 Mk.; Kißling in Ludwigsburg 3 Mk.; Hch. Bösolt in Dresden 3 Mk.; G. Jung Hauff in Frankfurt a. M. 60 Mk.; Gesellschaft in Restauration Möhle, Windmühlenstraße in Leipzig 12 Mk. 95 Pf.; Geschworene des Göttinger Schwurgerichts 60 Mk.; aus Mosbach 3 Mk.; R. Reinsch in Sagan 6 Mk.; Stammgäste des Eiskellers in Neustadt a. d. O. 17 Mk. 15 Pf.; M. G. in Frankfurt a. M. 5 Mk.; Martha O. in Dresden 1 Mk. 50 Pf.; K. H. in Hamburg 3 Mk.; B. in S. 5 Mk.; Familienkränzchen L. W. und A. in Amsterdam 10 Mk.; Bernh. Goldschmidt 6 Mk.; Verein „Voluptas“ in Berlin 15 M.; J. H. Peltzer Söhne in Rheydt 10 Mk.; L. W. in Bonn 3 Mk.; aus Neustadt a. d. O. mit Motto: „Es ist“ (Fortsetzung fehlt) 3 M.; Schiller-Hain Nr. 5 11 Mk. 15 Pf.; C. G. B. in Meerane 20 Mk.; Bananski in Fürstenhof 3 Mk.; A. K. in Neugenheim 3 Mk.; A. K. in Graudenz 3 Mk.; S. Z. in Stralsund 3 Mk.; C. G. in Stralsund 20 Mk.; A. Stange in Münden 10 Mk.; F. W. D. in Crefeld 10 Mk.; R. in Würzburg 5 Mk.; Tapp-Gesellschaft bei Waixler in Stuttgart 7 Mk.; E. Piepenburg in Cöslin 3 Mk.; Zschetzschingck 30 Mk.; D. M. in Osnabrück 6 Mk.; Bürgerverein in Ronsdorf 30 Mk.; Reg. R. S. in M. 10 Mk.; P. Merk in Darmstadt 1 Mk. 50 Pf.; Gust. Lange in Göttingen 5 Mk. 30 Pf.; D. H. P. in Düsseldorf 3 Mk.; A. M.’ in R. 5 Mk.; M. S. in H. 3 Mk.; W. Heine in Lüntzmühlen 3 Mk.; M. Naphtali Schweidnitz 3 Mk.; Dr. G. M. in E. bei W. 10 Mk.; C. D. f. P. in Demmin 10 M.; J. G. in Maulbronn 5 Mk.; Hugo Knesenberg in Antwerpen 20 Mk.; W. F. in S. 1 Mk.; G. Sch. in Bremen 20 Mk.; W. D. Olsberg 3 Mk.; ein Abonnent in Tettwang 4 Mk.; S. in Görlitz 20 Mk.; R. und E. Stein in Wichelsdorf 6 Mk.; M. M. v. Weber 5 Mk.; C. M. in Creuzburg 3 Mk.; Th. Grieben in Berlin 10 Mk.; Lange in Tharandt 3 Mk.; Gebr. Bingel in Heidelberg 3 Mk.; J. M. B. in Brieg 3 Mk.; A. Auer in Feuchtwangen 3 Mk.; S. in R. 5 Mk.; Geschworene vom December 1876 in Rudolstadt 94 Mk.; Redaction der „Gartenlaube“ 30 Mk.

Mit dieser Quittung müssen wir unsere Sammlung leider einstellen, da die sächsischen Behörden eine Weiterführung derselben nicht gestatten konnten.
Die Redaction der Gartenlaube.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Wir wollen nicht unterlassen unsern Lesern mitzutheilen, daß den früher (1874) von uns besprochenen ersten zwei Bänden der „Musikalischen Studienköpfe“ von La Mara, die jetzt in dritter Auflage vorliegen, ein dritter Band „Aus der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart“ gefolgt ist.
    D. Red.
  2. Eingehenderes siehe: La Mara, Ludwig van Beethoven. Biographische Skizze. Leipzig, Schmidt und Günther.
  3. Die Namen dieser Schilderung sind ohne Ausnahme fingirte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Musikalischen Charakterköpfe“; vergl. Berichtigung, Heft 15, S. 256
  2. tatsächlich: 1876