Die Gartenlaube (1883)/Heft 51
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No. 51. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
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Leipzig, im December 1883. Die Verlagshandlung der „Gartenlaube“.
Glockenstimmen.
Die Muhme Schmidtin trat in die Stube zurück. „Jetzt sind wir unter uns, und es ist am besten, die Sache wird gleich ordentlich ausgefochten. Hanne! was wird die Stadt dazu sagen, daß Du den größten Brauherrn ausschlägst und Dich an den Hermann Zimmermann hängst? Soll Dein Vater im Grabe sich umdrehen? Deine Mutter sich todt grämen?“
Frau Henningin führte den Zipfel ihrer blauen Schürze an die Augen; aber Johanne trat festen Schrittes zu ihr, und mit stahlharter Stimme sprach sie: „Ich werde niemals einen Ehebund zu schließen begehren, zu dem Ihr, liebwerthe Mutter, mir nicht freudig Euren Segen geben mögt. Aber ehenso wenig könnt Ihr mir befehlen, welchem Manne ich Lieb und Treue halten soll. Für mein Recht in dieser Sache habe ich einen Beistand zur Seite, gegen den auch die Muhme nicht wird mucken dürfen: unseren Herrn Doctor Luther. Der hat festgestellt: man soll Niemand zur Ehe zwingen, sondern sie soll Jedermann frei gelassen und seinem Gewissen heimgestellt werden zu verantworten; denn zur Brautliebe kann Niemand gezwungen und gedrungen werden. Das hat mir unser Herr Superintendent selber ausgelegt, da ich ihn nach dem letzten Katechismusexamen befragt habe, was einer christlichen Jungfrau in solch heiklem Handel gezieme. Daran werde ich festhalten, und wenn die ganze Papiermühle sich auf den Kopf stellt.“
Mit den letzten Worten drückte sie der Muhme ein Bündel Kuchen und Wurst in die Hand, und ob auch diese gegen ihre Rede rief: „Ich erachte dieses Alles für kauderwälsche Grillen,“ so schob Johanne sie doch hinaus und schnappte die Thür hinter ihr ab.
Frau Henningin hing den Kopf. Der Superintendent war die allerhöchste Behörde in Gewissenssachen, zu welchen dazumal die Ehe noch gezählt wurde.
Indessen zogen die andern Gäste vergnügt heimwärts. Das getreue Bier saß Allen zu Häupten, daß sie schnell vergaßen, welch stürmisches Ende die Spinnstube genommen hatte. Fischer geleitete die Brotkorbin. Die Bierglocke schallte mahnend vom Rathhausthurm und trieb die Bürger aus den Schenken, auf daß Ordnung und Ehrbarkeit in Kraft bestehen blieben.
„Es geht doch nichts über ein vernünftiges Maßhalten,“ lallte Nicolaus Fischer, wuchtig durch den Schnee stampfend.
„Nein, es geht nichts darüber,“ versicherte Barbara.
„So laßt uns noch ein Maß Bier zusammen halten,“ lachte Nicolaus. „Heda! eine Kanne Weizenbier!“ rief er in den Rathskeller hinein.
Der Trunk wurde gebracht. Er lugte ihn mit schwimmenden Augen zärtlich an. Mit glucksender Stimme sprach er den alten Biersegen:
„Nun grüß dich Gott, du liebes Pir,
Nun gesegne dich Gott, du liebe Weizenprüh!“
Dann tranken sie zusammen den brunnentiefen Krug in wenigen Zügen leer. Noch schwerfälliger ging es fürbaß.
„Wißt Ihr, liebe Jungfer, was noch besser ist als ein Trunk Bier?“ pustete er weitergehend. „Das ist ein wackrer Junggesell, an dem eine Jungfer eine rechte Stütze und einen Stab hat. Solches muß Euch heut klärlich in die Augen leuchten.“ Er stolperte dabei über die Stufen der steinernen Gallerie am Markt.
[822] Sie hielt ihn aufrecht. „Ja, Herr Fischer. Das ist ein standhafter Mann, der eine schwache Jungfer wohl zu leiten versteht.“ Sie lenkte seine Schritte dabei abwärts vom Rieth dem Hopfenbrunnen zu, wo ihre Eltern wohnten.
Im mondbeschienenen Giebelfelde des Rathhauses stand in Stein gehauen die Urmutter des Menschengeschlechtes, Frau Eva, mit ihrem Adam und schaute wohlgefällig herunter. Sie konnte sich freuen; heut noch wie vor sechstausend Jahren machten die Weiblein die Männer link und recht. Unter dem Läuten der Bierglocke gab Nicolaus der Barbara den Verlobungskuß. Dann führte die junge Braut ihren Bräutigam in das elterliche Haus, trommelte Vater und Mutter aus den hohen Betten, um ihnen die eben gethane Werbung des größten Brauherrn anzuzeigen, und dann wurde mit einem letzten Trunk der Bund besiegelt. Nikel hatte sich einen Rausch und eine Braut zugleich angehäugt, wie das vordem und nachdem manchmal im heiligen römischen Reich deutscher Nation geschehen sein soll.
Nun waltete Stille in Arnstadt. Auch die Bierglocke schwieg. Der Mond schaute in die schneebedeckten Straßen. Die spitzgiebeligen Häuser lagen wie ausgestorben, einzig bewacht von den alten Hütern, die in bunten Farben gemalt über den rundbogigen Hausthüren prangten.
Da ging die Muhme Schmidtin nach Haus. Jetzt kam sie auf den Markt. Das Rathhaus mit seinen zwei reich verzierten Giebeln, über denen sich die Thürme erheben, lag vor ihr, taghell von dem Vollmond beleuchtet. Scheu streifte ihr Blick hinüber. Da neben dem Halseisen dräute der Lästerstein, mit dem man sie allezeit zum Schweigen bringen wollte. Es war ein gräulicher Steinkopf mit herausgestreckter Zunge und der Inschrift:
„Zum Lästerstein bin ich genannt,
Den bösen Zungen wohl bekannt.
Wer Lust zu Zank und Hader hat,
Der muß mich tragen durch die Stadt.“
In mitternächtiger Stunde nehmen die Dinge eine andere Gestalt an in den Augen der Menschen. Die Muhme machte einen weiten Bogen um das gräuliche Bildniß, dem sie eben noch mit ihrer Zunge Trotz geboten hatte. Aber sie mußte doch hinüber blicken. Da war es ihr, als wanke der Lästerstein leise. Vielleicht machten das Bier und der Mond zusammen eine Conspiration gegen die Muhme. Ihr grauste. Wankte nicht auch das Richtschwert an seinem Haken, wenn ein in Zukunft ihm Verfallender davor trat? Sollte es ein Vorzeichen sein? Sie beeilte ihre Schritte. Es war ihr, als werde für und für ein Eimer Wasser über ihren Rücken hinab gegossen. Sie ging immer schneller – endlich lief sie. Sie rannte in’s Kranichhaus am Sperlingsberg und schlug die Thür der harrenden Magd fast vor die Nase. Hinauf ging’s in die Stube. Kaum hatte sie die Kleider vom Leibe gebracht, so stürzte sie in’s Bett und zog die dick aufgeblähte Bettdecke über den Kopf. Denn seit unvordenklichen Zeiten wird aus unerforschlichen Gründen das Deckbett als beste Schutzwehr gegen Gespenster erachtet.
Dieweil die Stadt höchlich sich verwunderte, daß der Nicolaus
Fischer, als welcher für den fürnehmsten Hahn im Korbe galt,
das Lerchenei freite, die Gefreunde im Brotkorb’schen Hause wie
in einem Taubenschlage ein- und ausflogen und der Braut Glück
anwünschen thäten, ging das Leben in der Papiermühle seinen
stillen Gang. Zacharias vertröstete noch immer mit seiner Rückkehr
auf spätere Zeit. Nun sollten erst die Löcher und Fahrgeleise der
Landstraße von den Frühlingsregengüssen wieder austrocknen, auf
daß er nicht auf selbiger den Hals bräche.
Johanne behielt nach wie vor die ganze Sorge um den Betrieb der Papiermühle auf dem Halse. Mit dem ersten Ruf des Morgenglöckchens war sie schon munter und paßte den Mühlknechten auf den Dienst. Am späten Abend, wenn Niemand mehr wachte als das Käuzlein auf dem Glockenthurm, stand sie noch in der Wohnstube und schabte aus fertigen Papierbogen mit einem feinen Messer die kleinen Fasern und Flecken. Das war die Stunde, wo sie Zeit fand aufzuschluchzen. Mutter und Geschwister schliefen. Dann mußte sie denken, welch frohes Arbeiten es gewesen war, da Hermann ihr noch zur Seite stand, und sie verhehlte sich nicht, daß sie so übel ohne ihn fuhr, wie er dereinst ohne sie gefahren war. In die rastlose Arbeit, in die Sorge um das nächste Tagewerk traf ein Brief von Zacharias. Er lautete:
Vielwerthe Frau Mutter, liebe Brüder und Schwestern.
Mit Freuden ergreife ich die Feder, um Euch zu vermelden, wie viel Glück und Ehre Ihr an Eurem Sohn und Bruder erlebt. Der gütige Gott hat es also wohl gefügt, daß mir die großehrenreiche Jungfer Marzibilla Emmel aus der Buchdruckerei, dahin mein Herr das Papier liefert, ihre Gunstbewogenheit geschenkt hat, und ich verhoffen darf, sie als mein Ehegemahl seiner Zeit heimzuführen in unsere Papiermühle. Obbemeldete Jungfer ist aus der Sippe des großmächtigen Herrn Egenolf Emmel, der eine Zeitung druckt und verlegt, welche jegliche Woche einmal pünktlich an demselben Tage die Menschheit in den Welthändeln unterweist. Die ganze Sippschaft steht groß da, und wird das kleine Arnstadt wohl die Augen aufsperren, wenn meine erkieste Gesponsin in ihrem plümerantnen Kleid alldorten ihren Einzug hält. Es würde mich ein Wunder dünken, so ihre Aussteuer Raum fände in unsrer Mühle. Item meine hochgeliebte Jungfer Braut hat das Ihrige. Solches könnt Ihr der guten Stadt Arnstadt derweilen unter die Nase reiben.
Derohalben thu ich Euch zu wissen, daß Ihr sofort Werkleute zu bestellen habt, um gebührenden Platz für uns zu schaffen. Die Frau Mutter muß in die Wasserstube übersiedeln, und für die jüngeren Geschwister sollen die Bodenkammern ausgebaut werden, davon in verwichnen Jahren Hermann die eine bewohnte. Hanne wird bis dahin unter die Haube sein, und ich gedenke ihr Erbtheil sofort auszuzahlen, auf daß Niemand sich unterfangen darf, fürder in mein Werk hineinzureden. Sorget, daß nach meinem Wort verfahren wird.
Denn gen Arnstadt zu ziehen vermag ich anjetzo noch nicht. Möchten sonst leicht neidische Gefreunde mir Pflöcklein stecken bei der großgeachten Jungfer Marzibilla, also, daß statt eines christlichen Ehestandes ein großer Unrath angestiftet würde. Ich gedenke auch noch firmer in meiner Kunst zu werden, habe diesen kostbaren Bogen nur derohalb spendiret, damit Ihr aus demselben ersehet, wie weit dahinten Ihr mit Eurem armseligen Machwerk geblieben seid.
Die Gnade Gottes, die mich sichtbarlich auf ebnem Pfade geführt hat, walte auch ferner über mir. Dieses wünscht
Johanne sah die Mutter an, was sie zu dieser Epistel sagen würde.
Aber die gehörte zu denjenigen Frauen, welche an den Befehlen eines Mannes nie zu rütteln wagen, dieweil sie fest überzeugt sind, die Herren der Schöpfung seien mit besonderer Weisheit begabt worden. Sie vergaß in mütterlicher Opferwilligkeit ihre Verweisung in die ewig vom Mühlwerk schlitternde Wasserstube; sie sah ein: die Jugend braucht Platz, das Alter muß sich zurückziehen. Wie bald – und die anderen Kinder waren auch flügge und verließen das Nest, in dem sie dann reichlich Raum fand für ihren Lebensabend. Sie freute sich schon jetzt darauf, wie sie alsdann an dem wohlhabenden Haushalt sich erheben und erlaben wollte.
Johanne sah ein, daß die Zeit nahe beihanden war, da sie das fünfte Rad am Wagen wurde. Das war nun die fürnehme Familie, der sie ihre junge Kraft, ihr Glück geopfert hatte! Es dachte Niemand an sie, Niemand sagte ihr Dank. Und wieder mußte sie an ihn denken, von dem sie auch jedes Opfer angenommen und mit Undank gelohnt hatte. Mit dem Maße, mit dem sie gemessen, wurde ihr gemessen. Und dennoch! So bitter die Erkenntniß war, athmete sie doch auf. Sie sah die Zeit vor sich, da das schwere Joch der Pflicht, die sie ohne Freude that, von ihr genommen wurde, wo sie, wenn auch nicht zum Glück, doch zur Ruhe kommen durfte. Vor der Einsamkeit graute ihr nicht; seit Hermann für immer gegangen, blieb sie am liebsten allein.
Während die Mutter freudig der treuen Trine die frohe Botschaft mittheilte, die Geschwister auf die hopsende Wasserstube sich freuten, wie Kinder auf jegliche Veränderung, stahl sie sich davon. So gern, wie sie sonst nach den Linden des Maienfestes gegangen war, so gern wandelte sie heuer nach den Linden des Gottesackers, denn ihr Humor war gar melancholisch geworden. [823] Aechzend rollte das schwarze Thor auf. In langen Reihen lagen die Gräber vor ihr wie hingemähte Schwaden. Die Zweige der darauf gepflanzten Linden und Rosenstöcke schwankten in der milden Abendluft, daß blasse Schatten unter ihnen zu tanzen schienen. Hier und da ragte ein verwittertes Kreuz auf; seine goldene trostreiche Inschrift: „Wiedersehen“ hatte das Wetter halb verwischt. Prunkende Steinmonumente, welche die Würden und Thaten der darunter Ruhenden verkündigten, waren eingesunken, die Namen von bunten Flechten überzogen, und über namenlosen Gräbern wiegten sich zarte Maienglöcklein.
An dem Grabbaus ihrer Sippe ging sie langsam vorüber. Durch das schmiedeeiserne Thürgitter leuchtete das große Epitaphium mit seinen weißen Engeln, die goldene Posaunen trugen, des Rufes gewärtig, um zur Auferstehung zu blasen. Großvater und Vater konnten hier nicht ihre Urständ halten. Die lagen allein, abgeschieden durch eine starke Schutzwehr von Eichenbohlen in der Pestilenzecke. Niemand durfte die Hand an die Gräber legen, Niemand sie schmücken. Dennoch sproßten auf den einsamen Hügeln Gräser und Kräuter. Ihre Samenkörner waren im verloschenen Herbst auf kleinen Segeln und Fallschirmen über das für immer geschlossene Gitter geflogen und hatten die ihnen von der Natur zugetheilte Arbeit begonnen, aus der Verwesung Blüthen zu zaubern, den Moder in balsamische Düfte zu wandeln, den Tod in Leben zu verkehren.
Das hatte ein Jahr gethan. Was vermochten zehn, was hundert Jahre zu vollbringen? Was war alsdann von alledem noch da, das jetzt um sie lebte und webte? Von den Blumen, dem kleinen wimmelnden Gethier zu ihren Füßen, den singenden Vöglein in den Bäumen? Alles still, stumm, verstäubt. Wie lange noch – dann stand auch ihr Sarg unter den Wacht haltenden Engeln; ihr Herz hatte ausgeschlagen und sehnte sich nicht mehr hinweg über die Schranken des fürnehmen Standes, die so stark waren wie das Bollwerk an der Pestilenzecke.
Dann kam vielleicht einmal ein armer Wanderer nach Arnstadt und fragte: „In welchem großen Kaufhaus wohnt die, so man sonst die schöne Hanne benamsete?“ Und wenn die Leute antworteten: „Draußen in dem Erbbegräbniß der Hennings hat sie ein Plätzlein funden; denn sie ist als alte Jungfer gestorben,“ dann erhielt er das Beweisthum ihrer wahren Liebe, die ihm bis in den Tod treu geblieben war. Dann stand er wohl dort und schaute durch das vergoldete Gitter auf ihre Ruhestatt. Wie ein Hauch von Frieden zog es durch ihre Seele und sie sagte sich: „Ueber jeglichem Häuflein Unglück wölbt sich einmal die Erde, und dann blüht auch noch eine schöne Blume heraus; da aus dem Pestgrabe das goldgelbe Pfaffenröhrlein, das jetzo mit dem Sinken des Tagesgestirns die Sonnenaugen schließt, wie drunten die stillen Schläfer gethan, drüben aus dem Grabhaus dereinst – geliebt’s Gott – das Blümlein Vergißmeinnicht für den armen Hiob.“
Sie ging, ruhig geworden, heim. Als sie an den Hopfenmarkt kam, saß ein Kreis fröhlicher Menschen in Brotkorbs Hausthür. Wohlthuende Kühlung wehte von dem großen Brunnen her, über dessen stockwerktiefem Steinbecken das Standbild des streitbaren Grafen Günther von Schwarzburg mit goldig gleißendem Wappenschild sich erhob. Das Wasser sprudelte in starken Strahlen hervor, zur Zufriedenheit des Rathsbrunnenmeisters, der neue sichtene Wasserröhren für die Leitung gelegt hatte und sein Werk von der gastlichen Thürbank aus beaugenscheinigte.
Auch die sommersprossige Barbara sah anmuthiger aus denn sonst. Die frohe Geschäftigkeit und die feierlichen Vorbereitungen, die um eine Jungfrau walten, welche sich einem Manne verlobt hat, verbreiteten auch um das Lerchenei ihren Schimmer und verliehen ihm Gewicht. Sie ging Johanne entgegen und lud sie in den Kreis. Eben war der Kirchenanzug angelangt, den jede junge Bürgersfrau als Ausstattungsstück bekam: der schwarze Tuchrock, die Schuhe von sämischem Leder mit Silberschnallen, der dunkelblau Tuchmantel, dessen dreizackigen Kragen eine echte Goldborte einfaßte, und die ganz güldene Haube, welche Brabanter Kanten und ein Büschel weißseidener Bänder zierten. Auch das Gesangbuch fehlte nicht; mit silbernen Spangen war es verschlossen. Und Herr Fischer prodirte schäkernd, ob der Ehering paßte, in den er einen kostbaren Krötenstein hatte setzen lassen.
Zu Johannens Verwunderung hatte die Muhme Schmidtin auch hier den Ehrenplatz, einen sägebockförmigen Lehnstuhl, erobert und führte das große Wort.
„Setzet das christliche Ehren- und Freudenwerk auf Johanni fest. Da ist zunehmender Mond, es regiert weder Wassermann, der Thränen bedeutet, noch Widder, welcher um seiner Hörner willen gänzlich verpönt ist.“
„Frau Muhme,“ rügte der Rathsbrunnenmeister, „solche Ansichten sind nur ein sternguckerischer Aberglaube. Die Ehen fallen so aus, wie sie von den Menschen geführt werden.“
„Herr Vetter, Ihr seid ein Schwarmgeist und habt derohalb nicht mit zu reden,“ führte sie ihn ab. „Dann können Deine Gespielinnen, Bärbchen, auch die schönsten Rosenkränze flechten. Wie wird Euer volles Gesicht strahlen unter dem Kränzlein, Herr Fischer, gleich einem Vollmond! Ihr, Muhme Brotkorbin, nehmet beileibe keine Weizenbierhefe in den Hochzeitskuchen; die ist allezeit bitter, und dieweil der Hochzeitskuchen ein treues Fürbild wird vom zukünftigen Ehestand, so muß man sorglich Alles vorher bedenken.“
Barbara machte ein wichtiges Gesicht. „Wir werden uns gewißlich mit unserer Hochzeit einen guten Leumund machen, sintemalen wir etwas Erkleckliches darauf gehen lassen. Die Stadtpfeifer sollen uns zur Trauung blasen. Mein Vater richtet einen Schmaus aus, zu dem zwei Ochsen und sechs Schweine gemästet werden. Zwölf Frankenhammel kommen nächste Woche über den Wald. Ein Stückfaß Würzburger Wein liegt schon im Keller.“
„Das wird eine Hochzeit!“ rief die Muhme begeistert. „Da kann gewiß die Stadt auf keinem Beine mehr stehen.“
Alle blickten Johannen spöttisch von der Seite an, als wäre ihr ein Streich gespielt worden, nicht als habe sie einen Korb ausgetheilt. Sie ging heim. Sie gönnte Bärbchen ihr Glück und den Bräutigam mit dem rosenumkränzten Vollmondshaupt. Neid war ihr gänzlich fern geblieben. Dazu hatte ihr Hermann den Katechismus zu pünktlich eingeprägt. Aber sie bewegte den finsteren Gedanken hinter ihrer gesenkten Stirn: warum bescheert Gott dem Nikel und der Bärbe, dem Zacharias und der Marzibilla, was sie sich wünschen, die Gesponsen, die ihnen behagen, ja sogar den goldbortirten Mantel und das plümerantene Kleid, und sie stehen doch an getreulicher Pflichterfüllung und spröder Ehrbarkeit tief unter mir? Und mir thut er den Weg zum Glück nimmer auf. Und über dem Brüten ging ihr der Friede wieder verloren, den sie aus der Gewißheit geschöpft hatte, daß in hundert Jahren Alles überstanden sein würde. Denn diese waren noch lange nicht um. Sie mußten Minute für Minute durchlebt werden, und ihr Gefährte auf diesem öden Weg war der Liebeskummer, welcher sich durch kein Sinniren und Speculiren hinweg disputiren läßt.
Aber ob Johanne auch vermeinte, die traurigen Tage trügen
Blei an den Füßen, wie sonst die fröhlichen Flüglein an den
Schultern, sie gingen doch dahin, und der milde Herbstmond war
da, ehvor sie sich dessen versah. Die Blätter, die im Lenz frisch
grün herfür gesproßt waren, färbten sich falb, die Blüthen reiften
zu Früchten.
Die Arnstädter schafften rüstig, daß sie die Ernte unter Dach und Fach brachten. In den Hopfengärten ertönten Zinken und Fiedeln, dieweil das würzige Kraut von den Stangen gestreift wurde, von den Feldern schallten Schnitterlieder zu dem Klang von Sense und Sichel.
Auch die Henning’sche Sippe heimste ihr Obst im Baumgarten ein. Bastian saß auf dem thurmhohen Grafgüntherbirnbaum und schüttelte, während Trine die herunterprasselnden goldgelben Birnen in ihre Schürze sammelte; von dem Pfersingbaum brach Christel die mit röthlichen flaumigen Bäckchen angehauchten Früchte. Und Benjaminlein las die braunen Maulbeeren auf, indem er das Sprüchlein sagte, das Hannchen ihm als Lehre gegeben hatte: „Die guten in’s Töpfchen, die schlechten in’s Kröpfchen;“ manchmal gerieth es dem kleinen Schelm auch umgekehrt. Frau Henningin aber schichtete in luftiger Kammer ihren Erntesegen auf.
Johanne hatte Niemand zur Hand, der den Abendtrunk holen konnte. Da nahm sie selbst die hölzerne Schleifkanne und ging nach dem Bier. Bei Nicolaus Fischer war es ausgethan. Um den großen Brunnen, der mitten auf dem Riethplatz rauschte, lagerten Fässer, die gespült wurden; im weiten Hof des Christophel-Hauses ertönte das Klopfen des Böttchers, hantirten die Bierschröter mit den Pechpfannen um riesige Tonnen. Die lange [824] Reihe der Bierheischenden, an die Johanne antreten mußte, stand bis auf das Rieth heraus. Nur langsam ging es fürbaß, durch die rundbogige Pforte, über den weiten Hausflur. Die Kellerthür hatte zwei Flügel wie der Eingang zu einem Staatsgemach, die Treppe Stufen, so breit wie an einer Kirchentreppe, der Keller ein hochgeschwungenes Kreuzgewölbe. Eine kupferne Hängelampe schwebte von der Decke und erleuchtete die lange Reihe der mächtigen Biertonnen, bis ihr Schein in der Ferne verdämmerte. Der Duft des Bieres, welches so stark war, daß es gar manchmal die Fässer zersprengte und mit seinem Dampf die Bierschröter zu ersticken drohte, war an sich schon vermögend, ein Räuschlein zu erzeugen.
Vor dem angestochenen Faß saß die vereidigte Bierzapferin, eine dicke Frau mit einem großen Kropfe, welchen sie sich bei dem rühmlichen Streben, ihr wichtiges Amt würdig für Augen zu stellen, erworben hatte. Sie maß das Weizenbier zu, das, eingegossen, mit weißer Schaumkrone aufperlte, und von dem jeder Tropfen schwer wie Honig herabrann. Und die Wartenden entlang flogen die Klatschereien der Stadt; die Bierreihe vertrat die Stelle eines Wochenblättchens, dessen Arnstadt sich noch nicht erfreute.
„Seht, die junge Frau Fischerin!“ kicherten die Mädchen, als Barbara mit ihrer Bierkanne die Treppe nach dem Wohngelaß hinaufging. „Welch einen dickgeschwollenen Backen sie hat! Da ist auch der Küßmond schnell vorüber geschwunden. Ja, der Herr Fischer darf sich eines gar beweglichen Handgelenks rühmen. Hat auch gesagt, er könne sich auf den Doctor Luther berufen, welcher jeglichem Weibe, das dem Mann über den Mund fährt, ein Maulschellium zudictiret habe.“
Ein Geschrei schallte aus dem Bierkeller herauf. „Horcht!“ ging es durch die Reihe: „das ist die Schmidtin aus dem Kranich.“
„Ich habe es gesehen,“ zeterte drunten die Schmidtin. „Ihr habt das Maß schief gehalten. Denket an die spukhafte Bierzapferin, als welche im Hopfengrunde umgehen muß, dieweil sie Wasser unter die Stadtbiere gemischt und die Leute bezwackt hat ihr Lebtage.“
Die dicke Bierzapferin erhob sich, stemmte beide Hände in die Seiten und erwiderte: „Denket Ihr lieber an den Klapperstein und hütet Euch, daß Ihr nicht nach Eurem Hinscheiden mit selbigem umgehen müßt, der Euch von Rechtswegen schon hienieden gebührte, Ihr friedhässiges Weib, Ihr!“
Den Lästerstein vermochte die Schmidtin seit jener denkwürdigen Nacht nicht mehr zu bestehen; sie bekam einen Stickfluß und eilte in’s Freie. Triumphirend kehrte die Bierzapferin auf ihren Holzschemel zurück. Als sie Johannen ein Stübchen Bier in die ausgepichte Holzkanne gemessen hatte, hing sie noch das Bemerken an: „Ihr müßt Euch doch recht über das Glück freuen, das der Zimmermann macht.“
„Was für ein Glück?“ fragte Johanne mit weit geöffneten Augen.
„Herr Fischer brachte es mit von Erfurt,“ erzählte die Zapferin. „Er hat Weizenbier dahin geliefert in die fürnehmste Herberge, zur ,Hohen Lilie’ benamset. Ja, der Hermann Zimmermann freit um seine Meisterin, welche die Glockengießerei von ihrem Manne ererbt hat. Es gilt Niemand alldorten etwas als er. – Wollet dem nächsten Weibe Platz machen. Guten Abend, Jungfer Hanne.“
Johanne war herauf gestiegen, heimwärts gegangen, hatte den Begegnenden Guten Abend geboten, daheim die Bierkanne in die Küche gesetzt und war dann in ihr Giebelstüblein gekommen, ohne daß sie von alledem etwas wußte, außer, daß sie die Füße wunderbar schleppen mußte. Sie sank auf die Truhe, die, mit einem Polster belegt, ihre Bank bildete, und verlor die Besinnung.
Am andern Morgen ging durch die Stadt die Rede: „die schöne Hanne ist sterbenskrank.“ Die Einen sagten: „sie ist in dem kalten Bierkeller verschlagen;“ die Andern: „sie grämt sich, daß der Fischer sie nicht gefreit hat;“ die Dritten: „in die Papiermühle ist ein Grabstein vom Liebfrauenkirchhof eingemauert worden, das zieht den Tod hinein.“ Die ganze Stadt kam in Aufruhr, denn die schöne Hanne war noch niemals in ihrem Leben krank gewesen, nicht einmal die Pest hatte ihr etwas anhaben können.
Am verwirrtesten ging es in der Papiermühle zu. Niemand konnte ergründen, woher der Anfall kam. Johanne lag fieberglühend in ihrer Giebelstube; aber sie biß die Zähne zusammen, daß sie nicht zu sprechen vermochte. Selbst über die Phantasiebilder des Fiebers triumphirte ihr starker Wille. Die Muhme Schmidtin wurde zur Frau Henningin gerufen und um Rath angefleht.
„Laßt nur den Medicus nicht über die Schwelle,“ warnte sie. „Der ist mit seinem Rohrstock und hohem Störcherhut viel zu fürnehm für uns, und seine Experimente sind zu gelahrt für Bürgersleute: daran mögen die Potentaten sich erlaben. Da der Nachbar Schlotfeger im hochgräflichen Rauchfang sich verbrannte, sprach er: ,Das seind Höllenflammen,’ und schnitt ihm alle zehn Finger ab; und als der Stadtwachtmeister von einem schwedischen Reiterbuben gestochen worden war, hat er die Wunde mit einem Meißel aus Enzianwurzel erweitert, auf daß die Heilung sich nicht überstürzte – Wir wollen sie schon selber wieder auf die Beine bringen. Du, Christel, geh zum Spittelvater und bitte, daß er das Fieber versagt.“
Christel enteilte. Aber es war schwer zu dem wichtigen Manne zu gelangen. Er stand in der Küche, wo am gemeinsamen Feuer viele kleine Töpfchen brodelten. Die Spittelweiber umringten ihn; nur seine hohe weiße Zipfelmütze ragte über sie hinweg, und er schlichtete den alltäglichen Streit, indem er sprach:
„Frau Leineweberin, unterfanget Euch nicht wieder, heimlich in das Töpfchen der Frau Muldenhauerin zu gucken, um zu sehen, was sie koche, dieweil selbiger sonst ihre Klöße vergället werden; und Ihr, ehrbare Jungfern, schämet Euch, daß Ihr sogar gerochen habet, wie die Wildemannswirthin Erbsen mit Speck kochet. Wer sich noch einmal unterstehet, einen Topfdeckel zu lupfen, den werde ich öffentlich einen Topfgucker benamsen.“ – Dann wandte er sich Christeln zu. „Nun, mein Kind, was hast Du fürzubringen?“
„Die Hanne liegt im Fieber,“ klagte Christel, „und sieht glühroth aus.“
Da nickte er gewichtig und antwortete: „Das Fieber wollen wir schon bestehen.“ Er wehrte der Weiberschaar, ihm zu folgen, ging in den Hof zu dem alten Hollunderbaum, der bis an das Dach hinauf reichte, faßte einen Zweig und sprach:
„Holdersaft, ich heb’ dich auf,
Fieber, setz’ dich d’rauf.“
Hierauf winkte er Christeln zu: „Gehe getrost heim; es ist geholfen.“
Dem ganzen Spittel schauderte vor Ehrfurcht bei seinem Gebahren. Sie waren strenge Lutheraner, welche katholische Bräuche als Abgötterei verdammten, und übten doch sonder Scheu uralten Heidendienst. Sie wußten nicht, daß die geheimnißvollen Kräfte des Holderbaumes längst gestürzten Göttern entstammten; aber sie erwiesen ihnen Vertrauen wie ihre Vorfahren vor einem Jahrtausend. Die alten Götter sind freilich aus dem germanischen Volksgeiste herausgewachsen, und wurzelechte Rosen dauern länger aus als aufgepfropfte, und seien diese auch viel edler als jene.
Derweilen kochte die Muhme einen Sud aus Chamillenblumen, verstopfte die Fenster, packte Betten über Betten auf die Kranke und heizte ein. Aber da sie einmal nach einer eingenommenen Stärkung, welche die Frau Henningin auftragen ließ, an den Schauplatz ihrer Thätigkeit zurückkehrte, lag der Berg von Betten vor der Thür, stand der Chamillensud daneben, floß ein Wasserstrom zischend aus dem Ofen. Die Thür war verschlossen und that sich nicht wieder auf. Christel sah von unten, daß die Fenster weit aufgeschoben waren. Da ging endlich die ganze Sippe schlafen und baute auf den Spittelvater und seinen Holderbaum.
Derweilen warf Johanne sich unruhig auf ihrem Lager hin und her. War es nur möglich, daß Hermann sein Herz an eine Andere gehangen, sie vergessen hatte? Und sie war doch allezeit seiner eingedenk gewesen, hatte von keinem anderen Freier hören wollen und mit der Treue sich getröstet, da die Liebe ihnen nicht zugetheilet werden konnte. Auch dieser schwache Trost, diese wehmüthige Labung sollte ihr nun entzogen werden. Wie hätte sie noch an ihn gedenken mögen, da sie wußte, seine Gedanken begegneten den ihren nicht mehr auf selbem Wege – die weilten alle bei der reichen Wittib. Jetzo wußte sie, was Neid war. Mochte sie noch so fest im Katechismus sein, es half nichts.
Dazwischen sang der Nachtwächter die Stunden ab. Für jedes Leid hatte er einen Trost: für Armuth, Krankheit, Tod;
[825]nur für das Liebesleid, das an ihrem Herzen fraß, nicht. O, welch ein unvollkommenes Werk war das Gesangbuch, aus dem er schöpfte! Sie zersann sich den Kopf, wie die Gießerin beschaffen sein möchte. War dieselbige schöner als sie, die man doch die schöne Hanne nannte? Klüger? Sie galt für die klügste Jungfer der Stadt. Fürnehmer? Die Papiermühle war ein stolzes Haus, das nur für gelahrte Leute schaffte, und konnte es wohl mit der Glockengießerei aufnehmen. Aber was hatten dem Hermann alle ihre fürtrefflichen Gaben geholfen? Sie war geizig damit verfahren, hatte sie alle für sich allein behalten und ihn hoffärtig zurückgewiesen, dieweil er ein armer Hiob war. Die Gießerin hingegen theilte ihr Hab und Gut mit ihm. Wie [826] ein Stich traf sie die Erkenntniß: die Wittib hat ein tapferes Herz, und ihre Gedanken nehmen einen hohen Flug, daß arm und reich, fürnehm und gering vor ihr gleich sind, wie vor dem lieben Gott. Das war der Augenblick, den der alte Großvater vorausgesagt hatte, da sich erwies, daß ihre Kraft endlich, das Leid aber unendlich war.
Am andern Morgen stieg sie wie sonst aus ihrer Giebelstube herab. Sie wollte nichts hören von sorglichen Fragen und Warnungen und ging an ihre Arbeit. Aber es war ein ernstes, stilles Mädchen, das vom Krankenlager sich erhoben hatte.
So kam der Winter heran und deckte zum zweiten Mal sein
weißes Leichlaken über das gemeinsame Grab, in dem die großen
Bürger aus der Papiermühle ruhten. In ihrem hinterlassenen
Heim aber regte sich wieder neues Leben. Mit dem Frühjahr
sollte der Umbau begonnen werden. Derweilen räumte Frau
Henningin die Bodenkammern aus und kramte und sichtete in
Schränken und Truhen, die ihren alten Platz verlassen sollten.
„Ach Gott! Der Hausrock meines seligen Ehewirthes!“ schluchzte sie, das Gewand hervorziehend. Dann breitete sie das brokatene Taufzeug aus, das alle ihre Kinder bei der heiligen Handlung geschmückt hatte. „Ob es wohl auch meine Enkelchen noch tragen werden?“ und sie wischte die Thränen wieder ab. „Am Ende befindet es die Jungfer Marzibilla nicht alamode. – Was hängt da für ein grauer Haderlumpen? Wie kommt der daher? Hanne, wirf das alte Wämslein in die Lumpenkammer.“
Johanne nahm es über den Arm. Da erkannte sie es. Es war das ärmliche Kleid, in dem Hermann in die Mühle gekommen war. Seine Mutter mochte selbst das Garn dazu gesponnen haben, und auf der Brust hatte sie es mit einem blauen Läppchen geflickt. Unter diesem Lumpen hatte das Herz geschlagen, das ihr einst unverbrüchlich treu anhing, und das nun auf immer sich von ihr gewandt hatte. Mit zitternden Fingern zog sie den Faden heraus und barg das blaue Stückchen Zeug in dem verborgenen Fache ihres Nähkastens, darin schon eine blonde Haarlocke sich befand. Sie hatte, dieselbe einmal vom Boden aufgelesen, da die Mutter Hermann die Haare stutzte, weil ihr die goldig glänzenden Ringel gefielen. Es war ihr den ganzen Tag, als ginge ein Schmerz von den Fingerspitzen aus, die das Flickläppchen berührt hatten, und zöge zum Herzen und krampfe das zusammen.
Am Abend saß sie noch spät mit Trinen an der großen Küchentafel, und Beide lasen Linsen für den andern Tag. Es war ein traulicher Ort. Auf dem Herde, den der weite Schornstein überdachte, loderte ein helles Feuer und beleuchtete das gebräunte Fachwerk, welches die Wände überzog. In seinem Scheine glänzten rothe kupferne Kessel, goldig schimmerndes Messinggeräth und silbern gleißende zinnerne Schüsseln und Becher. Von dem rußigen Kreuzgewölbe der Decke schwebten Schinken und Speckseiten, und über dem mächtigen Hackklotze mit dem blank geschliffenen Beile hing der Salzbehälter, himmelblau bemalt und mit dem Spruche geziert: Habt Salz bei euch und habt Frieden unter einander. Aber an den beiden Frauen war kein Behagen zu verspüren. Johanne sah düster auf die unter ihren Fingern hinrollenden Körner, und kein Laut kam über ihre Lippen, als von Zeit zu Zeit ein tiefer Seufzer. Trine lugte sie von der Seite an und schüttelte dann das Haupt.
Endlich vermochte die treue Magd nicht länger zu schweigen. „Du bist krank, Jungfer Hannchen, Du hast Herzspann. Nein, laß mich reden. Das Weh hab’ ich gekannt, da Du noch im Wickelkissen lagst. Und da die Linsen gelesen sind, will ich Dir sagen, wie man dazu und davon kommt.“
Sie lehnte sich mit dem Rücken an den warmen Herd und erzählte geruhig, als sei es eine Historie aus alten Zeiten, die sie nichts anging:
„Wir waren Nachbarskinder drunten in Rudisleben und wollten uns heirathen. Er war gut, aber ein Sausewind, der lieber das Pferd des Schulzen in die Gera zur Schwemme ritt, als mit einer mageren Kuh sein Aeckerlein pflügte. Unsere Hochzeit stand nahe bevor. Da kam das Pappenheim’sche Volk vor Arnstadt, und dieweil die reichen Bürger sich loskauften, sengte und mordete es bei uns. Drei Tage hielten wir uns versteckt im Feldhölzchen. Wir hatten nichts zu essen, und des Morgens lag der Reif auf uns; denn es war zu Ende des Weinmondes. In der dritten Nacht sahen wir auf dem Thüringer Walde überall Feuer und im Dorfe war ein Blasen und Trappeln. Da der Tag graute, brach das Kriegsvolk auf; fort ging’s was hast du, was giebst du, nach Erfurt hin. Auch die scheckige Kuh sahen wir davon führen; eine Soldatendirne saß darauf.
Nun getrauten wir uns wieder gen Rudisleben. Das war nur noch eine Wüstenei. Die Bauern, die sich nicht geflüchtet hatten, lagen todt und verstümmelt auf ihren Misthaufen. Er stand wie erstarrt vor seinem Hause. Das hatte weder Thür noch Fenster; die Sonne schien hinein, denn das Strohdach war verbrannt. Das Geräth hatten sie zerbrochen und zerschlagen: was sie brauchen konnten, mitgenommen. Von den Hühnern fanden wir die Federn, von dem Schweine die Knochen. Der treue Haushund, der wohl gekläfft haben mochte, war aufgehangen. Da that er einen gräulichen Fluch, daß er es den Kaiserlichen heimzahlen wolle. Und in dem Augenblicke kam der Pfarrer gesprungen, barhaupt und barfuß – denn er hatte auch nur mit Mühe sein Leben geflüchtet – und rief: ,Der Gustavus Adolphus ist im Anzuge. Derohalb haben die Pappenheim’schen Reißaus gespielt.‘
Da lief er von meiner Seite fort. Ich dachte: er wird wieder kommen. Aber der Nachbar aus der Oelmühle, der mit ihm gegangen war, brachte mir von ihm die Botschaft, daß er unter das Volk des Königs sich habe anwerben lassen. Er finde keine Ruhe mehr, bis er der katholischen Soldateska ihre Schandthaten wett gemacht habe. Ich habe niemals wieder etwas von ihm gesehen und gehört.
Dazumal befiel mich das Herzspann, daß ich meinte sterben zu müssen. Aber da ich zu Euch in Dienst kam, that Deine Mutter dem vorigen Spittelvater, von dem der jetzige erst seine Kunst erlernt hat, mein Gebreste kund, und der sagte zu mir: ,Du mußt Deine Liebe verspünden in einen Baum; wie die Rinde verwächst, so verwächst die Liebe mit.‘ Da folgte ich seinem Rathe und kam mählich wieder zur Ruhe. Langsam geht es freilich; denn die Baumrinde wächst nur gemach. Aber endlich vernarbt Alles einmal. So sollst Du auch thun, Jungfer Hannchen, und ich will Dich die Kunst lehren. Es braucht auch kein Mensch zu erfahren, daß Du eine Liebe hast begraben müssen; denn in den großen Häusern haben die Mädchen auch noch das Kreuz, daß sie sich ob eines Herzeleids schämen müssen. Da hat es Unsereine noch besser.“
Und sie raunte Johannen leise in’s Ohr, und diese lauschte gespannt und prägte sich sorglich jedes Wort ein, auf daß sie keinen Fehler begehe.
Der nächste Tag war verschienen, die Mühle lag in tiefem Schlafe. Da rüstete sich Johanne zu dem ernsten Werke. Leise schlich sie dieselben Stufen hinab, die einst Hermann in bitterem Schmerze gegangen war. Durch das Hinterpförtchen schlüpfte sie hinaus. Der abnehmende Mond stand über dem Glockenthurme und leuchtete ihr. Scheu eilte sie in den Brunnengarten hinüber. Ihr Schatten glitt ihr voraus über die mit moderndem Laube bestreuten Wege; sie sah an ihm, wie sie unstät schwankte.
Zu der großen Weide, die neben dem grauen Wasserthurme stand, lenkte sie den Schritt. Der Unglücksbaum, wie das Volk die Weide nannte, war der rechte Gehülfe für ihr Vorhaben. Hatte nicht an einer Weide Judas, der Verräther, sich erhangen? Flicht man nicht aus ihrem falben Laube Kränze für treulos Verlassene? und aus ihren schwanken Zweigen dem unliebsamen Freier den Korb? Da stand er vor ihr, geborsten, krumm gebogen, gleich einem gichtbrüchigen Kobolde mit gesträubtem Haare. Die kalte Nachtluft zischte in seinen entlaubten Ruthen. Sie bohrte eine Höhlung in den morschen Stamm. Dann zog sie ein Papier hervor und wickelte daraus ein blaues Läppchen und einen goldblonden Haarringel. Sie hielt Beides in der Hand, und der Mond schien bleich darauf. In solch armem Gewande war er immer neben ihr hergegangen, demüthig, dankbar für die kläglichste Gabe, liebevoll nur darauf denkend, wie er dieselbe gut machen könne. Das verschabte Läppchen brannte ihr bis in die Seele; sie drückte es an die heißen Augen.
So wollte sie denn Abschied nehmen von dem letzten Angedenken an ihn. Selbst die Erinnerung wollte sie hingeben. Ihr Herz würde hinfüro nicht mehr ausschlagen, wenn sein Bild in ihr aufstieg, der zu ihren Jugenderinnerungen gehörte wie das Amen zum Vaterunser. Sie würde sich auch nicht mehr erfreuen können an dem Gedanken, wie lieb er sie einstmals gehabt hatte. Es [827] sollte Alles todt sein. Ein Grauen schüttelte sie. War ein schmerzvoll klopfendes Herz nicht noch besser, als ein gestorbenes? Ja – wenn auch das seine in gleichem Weh geschlagen hätte, dann hätte sie als Wonne erachtet, sich ihm nachzusehnen und zu grämen; aber er hatte sie vergessen, er freite eine Andere. Nein, auch sie wollte ihn vergessen, und wenn sie zu Stein darob erstarren mußte. Sie steckte Locke und Zeug sorgfältig in die Oeffnung am Weidenstamm, indem sie sprach:
„Liebe, ich hab’ dich,
Lieb’, ich vergrab’ dich,
Weich mir vom Herzen,
Mit Treue und Schmerzen.
Dann schlug sie den mitgebrachten eichenen Pflock darauf. Still ging sie heim.
Eins war gut und tröstlich für sie: sie brauchte nun nicht mehr mühselig gegen die Liebe zu Hermann anzukämpfen, nicht immer auf der Flucht zu sein vor der Erinnerung an ihn. Nun konnte sie getrost seiner denken, all der glücklichen Tage, da sie noch ein Herz und eine Seele waren – die Liebe verging ja von selbst. So that sie sich nimmer Zwang an im Denken und Sinnen. Aber besser wurde es nicht. Da ihr Schmerz sich stetig gleich blieb, die Sehnsucht nach dem Jugendgeliebten immer höher stieg, je mehr ihr Haus dem neuen Haupt der Sippe sich zuwandte und sie bei Seite stehen ließ, fragte sie angstvoll Trinen: „Wie lange währt es, bis begrabene Liebe stirbt?“
Die schüttelte den Kopf. „Nur Geduld, Jungfer Hannchen. Geduld ist die Hauptsache im Leben, im Herrschaftsdienst, in der Liebe und selbst bei unserem Herrgott. Auch da müssen wir geduldig harren, bis es ihm gefällt, unsere Wünsche zu erhören. Also mußt auch Du Dich gedulden, bis die alte Weide verwachsen ist.“
Weihnachts-Erinnerungen aus den Tropen.
Wo der Deutsche auch sein mag, im hohen eisigen Norden, unter den Tropen oder auf den Fluthen des Oceans, immer wird er sich das Weihnachtsfest so schön, so deutsch wie möglich gestalten, und wenn ihm die brennenden Kerzen des Christbaumes entgegenstrahlen, dann denkt der Reisende an die fröhliche Jugendzeit und an die durch Elternliebe verklärten Weihnachtsfeste in der fernen Heimath. Die althergebrachte Sitte webt also durch ihre geheimnißvolle Macht das feste Band der Treue zwischen dem Auswanderer und dem Vaterland.
So erinnere ich mich noch lebhaft eines Weihnachtsabends, welchen ich vor Jahren mit den Chaimas-Indianern im Innern des nordöstlichen Venezuela verlebte. Seit Monaten hatte ich kein deutsches Wort gehört, hatte aber im Vollgenusse der dortigen großartig schönen Natur, mit den friedlichen, aber wenig gesprächigen Chaimas die Gegend durchstreift und zwar mit solchem Eifer, daß ich, ohne die liebe Heimath zu vergessen, ganz meinen Arbeiten lebte. Hier, in einer von herrlichstem Gebirgsurwald umgebenen Lichtung, in deren Mitte die einfache Hütte der gastfreundlichen Chaimas-Familie lag, sollte ich den Weihnachtsabend zubringen. Ich hatte mich, als die untergehende Sonne zum Abschied noch die höchsten Baumkronen der Urwaldriesen beleuchtete, vor die Hütte gesetzt und blickte wehmuthsvoll hinüber nach der großartig schönen Pflanzenwelt, in welcher ich während des ganzen Tages herumgestreift. Eine fast unheimliche Ruhe begann sich über die Natur zu breiten. Die Stimmen der Vögel verhallten, selbst die des herrlichen Glockenvogels verstummte, welcher durch seinen reinen Ton mich noch wehmüthiger gestimmt hatte. Denn oft wähnte ich die Glocken eines im Urwalde verborgenen Kirchleins zu hören, welche den herannahenden Weihnachtsabend begrüßten. Jetzt, wo die tiefe Dunkelheit hereinbrach, war Alles ruhig, und nur mit Unterbrechung ertönte noch das schauerliche Geheul der Brüllaffen, vielleicht Unwetter verkündend, aus dem Walde herüber!
Ich saß noch in Gedanken versunken, als die schwarze Nacht hereingebrochen war. Nur einige brennende Holzstücke der höchst einfachen, aus wenigen zusammengeschobenen Steinen bestehenden Küche spendeten ein spärliches Licht. Auch in der Hütte herrschte vollständige Stille, denn die Bewohner hatten sich in ihre Hängematten gelegt und pflegten, nach dortigem Brauch, frühzeitig der Ruhe. Ich nahm nun aus meiner Jagdtasche einen für alle Fälle mitgenommenen Wachsstock und theilte denselben in einzelne Stücke, welche ich an einen kleinen am Tage herbeigebrachten Kaffeestrauch befestigte. Bald strahlten zehn glänzende Lichter in dem kleinen Hüttenraume. Ich breitete kleine Gegenstände, wie Spiegel, Perlen, Tücher etc., um den Baum und war dabei so ganz in Gedanken in der Heimath, als plötzlich der alte Vater der Familie sich regte und mich überrascht und neugierig fragte, was das Alles bedeuten solle.
Und nun ging ich an seine Hängematte, faßte die Hand des alten braunen Herrn und erzählte ihm von unserer deutschen Weihnachtsfeier, wie diese die fröhlichste und schönste bei uns sei, wie sich alle Menschen dabei gegenseitig Freude durch Geschenke zu bereiten suchen und wie auch die menschenfreundliche Wohlthätigkeit zu dieser Zeit am meisten gepflegt wird. Weil ich nun so weit von den Meinen sei und an den Freuden in der Heimath nicht Theil nehmen könnte, so hätte ich die kleinen Geschenke unter dem Christbaum für ihn und seine Familie gelegt, für die, welche mich, den Fremdling, so freundlich aufgenommen haben. Spannend lauschte mein Wirth, indem er einmal auf die Lichter, dann auf mich blickte, dann erhob er sich von seinem Lager, stieg schweigend aus der Hängematte und weckte alle seine Familienglieder.
Bald sah ich einen Kreis von braunen, wenn auch schon einigermaßen verschlafenen Gesichtern um meinen improvisirten Christbaum versammelt, und nun begann ich die Geschenke zu vertheilen. Ich bemerkte die Freude und die zunehmende Munterkeit meiner Freunde, welche sich sogleich mit den verschiedenen Gegenständen schmückten. Ich führte ihnen die Bedeutung dieses Festes noch weiter vor und machte ihnen begreiflich, daß dies bei uns ein echt christliches Fest sei, um so mehr, da die katholischen Chaimas uns Protestanten nicht als Christen betrachten. Noch lange mußte ich bei duftendem Kaffee, welchen wir aus der Fruchtschale des Flaschenbaumes tranken, von den deutschen Gebräuchen erzählen, bis die letzte Kerze erlosch.
Ein fröhlicheres Weihnachten habe ich allerdings später erlebt, als ich nach langem Herumstreisen im tiefen Innern des Landes in einem der ersten Hafenplätze Venezuelas, in Puerto Cabello, wieder glücklich angelangt war. Es herrschte in jenem Orte, obwohl nur ungefähr dreißig Landsleute dort wohnten, ein reges deutsches Leben. War schon der ohnedies herzliche Verkehr mit den deutschen Landsleuten nach langer Abwesenheit und nach mehrfachen Entbehrungen im Innern für mich ungemein wohlthuend, so wurde die Freude noch mehr erhöht durch Veranstaltung glänzender Christbescherungen in den deutschen Familien. In einem der Häuser war fast die ganze deutsche Colonie versammelt und wartete mit Spannung in einem Nebensalon, bis die liebenswürdige Hausfrau das Signal zum Eintritt in den Hauptsaal gab. Herrlich erleuchtet, strahlte der prächtig geschmückte Christbaum den Eintretenden entgegen, deren freudig erregte Augen mehr sagten als viele Worte. Zwar war es keine heimathliche Tanne oder Fichte, sondern ein schön gewachsener Kaffeebaum, welcher mit vielen Lichtem geschmückt im Salon prangte, und auch die Gesellschaft sah äußerlich anders als in der Heimath aus, denn sie waren Alle, Damen und Herren, in eleganten weißen, dem heißen Klima angepaßten Anzügen erschienen; auf letzteres deuteten auch die weit offenstehenden Balconfenster hin, durch welche eine etwas erfrischende Lust von der See her in den Festraum strömte. Das Fest nahm aber ganz den Verlauf wie in einem ähnlichen Cirkel in Deutschland, und nur die angedeuteten Verhältnisse, durch das Klima bedingt, erinnerten uns, daß wir weit von der Heimath entfernt waren.
Anders als in der Stadt war der Eindruck in dem herrlichen Küstenthale von San Esteban, wo mehrere deutsche Kaufherren reizende Villen besitzen. Diese sind ganz „tropisch“ eingerichtet, das heißt leicht und luftig gebaut, und befinden sich in unmittelbarer Umgebung einer unvergleichlich schönen Tropennatur. [828] Die Gegensätze berühren sich hier auffallend, denn während in irgend einer der Villen Piano gespielt wird, hört man nicht selten zugleich das Geheul der Brüllaffen und Stimmen anderer Thiere, welche die dichten Wälder der nahen Berge bewohnen. Gleich neben dem reizend eingerichteten, mit allem europäischen Comfort ausgestatteten Hause steht die Hütte der farbigen Eingebornen. Es war ein freundliches, aber höchst eigenthümliches Bild, welches uns entgegengrüßte, als wir auf dem breiten Wege im Thale hinaufwanderten.
Einheimische Musikbanden begegneten uns, welche ganz zur Scenerie paßten, ebensowohl durch ihre Kleidung wie durch ihre primitiven musikalischen Leistungen. Wir ließen sie so schnell wie möglich vorüber, und bald erreichten wir unser Ziel, denn zwischen dem üppigen Baumwuchs hindurch schimmerte die festlich geschmückte Villa des deutschen Freundes. Papierlaternen hingen vor der langen Veranda, und aus dem Salon leuchtete der Christbaum einladend herüber. Es war eine großblätterige Feigenart aus dem nahen Walde, welche den Tannenbaum ersetzen mußte. Aber um den Baum herum jubelten die Kinder, und ihre laute Freude übertönte die Stimmen der Eltern. Auf den Köpfen der Knaben saß der preußische Helm, kurz, Alles deutete auf das deutsche Fest. Auch die farbige Dienerschaft wurde bedacht und schien an der Art, wie die Geschenke ihnen gegeben wurden, große Freude zu haben.
Zuweilen erschienen einheimische Sänger, welche ihre Aquinaldos sangen und dazu die kleinen Guitarren ertönen ließen. Auch die Maraccas (Fruchtschalen, die mit trockenen Maiskörnern gefüllt sind), welche hier die Castagnetten vertreten, erklangen dazwischen. Dieses farbige, halbnackte Gesindel, welches selbstverständlich ein Geldgeschenk erlangen wollte, wurde nie lange aufgehalten, denn seine Musik war zumeist so kreischend und durch Mark und Bein dringend, daß die Weihnachtsstimmung dadurch nicht wenig beeinträchtigt wurde. So lange wie möglich wurde der Abend ausgedehnt, und heiter ging es zu in den luftigen Räumen, unter der Veranda, obwohl auch Mancher von den Festtheilnehmern sich abgesondert hatte, um still seinen Gedanken nachzuhängen, die hinüber über den Ocean eilten, zu den Seinen, welche zu gleicher Zeit, aber im geschlossenen Raume, bei eisiger Kälte, dasselbe Fest feierten. Hier umgab uns die üppigste Fülle der Natur und die laue Abendluft lud uns ein, in’s Freie zu gehen, während zugleich riesige Fledermäuse durch die Zimmer flogen. Große Nachtschwärmer und eine Menge anderer kleinerer Insecten umsummten und umgaukelten, vom Lichterglanz angezogen, den Christbaum. Bei dem vielen Licht überall war die günstigste Gelegenheit geboten, eine reiche Insectensammlung anzulegen, die auch nach Kräften benutzt wurde.
Im Jahre 1872 wurde uns in Puerto Cabello anwesenden Deutschen eine ganz besondere Weihnachtsfreude, ja ein für alle Deutschen höchst bedeutungsvolles Ereigniß sollte uns beglücken. Die deutsche Regierung hatte beschlossen, ein aus fünf Kriegsschiffen bestehendes Geschwader um die Erde segeln zu lassen, und zwar unter dem Befehle des muthigen, den Lesern der „Gartenlaube“ wohl bekannten Reinhold Werner. Dieses stolze Geschwader sollte den überseeischen Nationen die Flagge des neu erstandenen deutschen Reiches zeigen und den dort angesiedelten Landsleuten verkünden, daß sich das Vaterland zu neuer großer Macht emporgehoben habe, es sollte in den Herzen der Deutschen das Bewußtsein festigen, daß sie nun auch einer einigen Nation angehören, welche ihre in fernen Ländern weilenden Söhne nachdrücklich zu schützen vermag. Mit unbeschreiblicher Spannung spähten wir nach dem Horizonte, um die Masten des deutschen Geschwaders zu entdecken.
Endlich erschienen die ersehnten Schiffe und näherten sich schnell der Küste; schon leuchteten die deutschen Farben der Flaggen zu uns herüber, und bald bog das Geschwader in die herrliche Rhede von Puerto Cabello ein. Das Gerassel der Ankerketten tönte zu uns herüber als erster Gruß, und nun entfaltete sich ein hier noch nie geschautes Leben und Treiben. Während bisher nur immer dieselben wenigen Deutschen sich begegnet hatten, waren mit einem Male fast zweitausend Landsleute in unserer Nähe. Ein ungemein reger Verkehr zwischen den Schiffen und dem Lande entwickelte sich, und in kurzer Zeit hörte man überall Deutsch und fand in allen deutschen Häusern Angehörige des Geschwaders. Aber den Weihnachtsabend feierten beide Theile für sich, das Geschwader da draußen auf der Rhede nach seemännischer Art und die Familien am Lande. Dann aber folgten Feste auf Feste, welche zu Ehren des Geschwaders veranstaltet wurden, und ein großer Ball, welcher an Bord des „Friedrich Karl“ abgehalten wurde, setzte Allem die Krone auf. Es war für unsere Seehelden wie für uns eine herrliche, unvergeßliche Weihnachtswoche in den Tropen. A. G.
Es war in der heiligen Christnacht.
Zerrissen das Herz von unbändiger Gluth,
Verzweifelnd am Dasein, gebrochen an Muth,
So stand ich und schaute mit düsterem Sinn
Zum sterneblitzenden Himmel hin –
Nicht Friede, nicht Ruhe, nicht Freude, nicht Lust
Erfüllte die drängende hadernde Brust,
Es kämpfte im Herzen unseliger Wahn –
Die Sterne, sie zogen die ewige Bahn –
Da öffnet der Himmel sich leise und mild,
Ich schaue verzücket der Mutter Bild
In himmlischem Glanze, und Engelsgesang
Durchzittert die Lüfte so klagend und bang –
Die Mutter, sie schaute so traurig mich an,
Als hätt’ ich unendlich ihr wehe gethan;
Und Thränen – die ersten im bösen Jahr
Entströmen dem Auge mir wunderbar –
Und Friede und Ruhe durchzog mir die Brust
Und himmlische selige Weihnachtslust –
Die Mutter lächelte lieblich und mild –
Verschwunden war das beglückende Bild –
Und „Friede“ tönte der Glocken Schall,
Und Ruhe und Friede allüberall!
Ich schaute sehnend zum Himmel an –
Die Sterne, sie zogen die ewige Bahn:
Karl Wilhelmi.
Die Regeneration Aegyptens, speciell in Bezug auf den Sclavenhandel.
Die Cholera ist im Pharaonenlande jetzt gottlob so gut wie erloschen, wenigstens im Haupttheile desselben, in Unterägypten, denn auch die vereinzelten Todesfälle in Alexandria sind nach Aussage der Aerzte sämmtlich auf Dysenterie zurückzuführen, die dort alljährlich in der heißen Jahreszeit vorkommt.
Nach dem Aufhören der Epidemie wird man sich nun mit verdoppelter Energie der inneren Neugestaltung Aegyptens zuwenden müssen, und jedenfalls hat diese letzte Heimsuchung das Gute gehabt, neue Schäden und Unzuträglichkeiten aufzudecken, die gebieterischer als je zuvor Abhülfe fordern. Dann wird man sich auch leicht mit der englischen Oberhoheit als mit einer vollendeten Thatsache versöhnen und aus der Noth eine Tugend machen.
Drei Hauptübelstände sind es namentlich, die gewissermaßen als die Grundursachen der ganzen ägyptischen Misère anzusehen sind und deren Beseitigung vor Allem in’s Auge gefaßt werden muß. Letztere wurde schon seit Mohammed Ali’s Tode stets feierlich versprochen, ist aber niemals, wenigstens nicht durchgreifend und allgemein, erfüllt worden. Das sind die Frohndienste,
[829]das willkürliche Eintreiben der Steuern und die Bastonnade.
Noch bis in die jüngste Zeit hinein, unter dem Exkhediv Ismaïl, wurden die Fellachen zu den Regierungsbauten und zur Anlage von Dämmen und Canälen und zu sonstigen Arbeiten auf den viceköniglichen Domänen „gepreßt“, Männer, Weiber und Kinder, bei nothdürftiger Nahrung, kümmerlicher oder gar keiner Bezahlung und bei vielfach roher und unmenschlicher Behandlung. Ihre eigenen Felder und Ländereien mußten dadurch unbestellt bleiben, und doch sollten ihre Besitzer vierteljährlich von dem Ertrag derselben hohe Steuern bezahlen. Diese Steuern wurden an die Mudire der verschiedenen Provinzen und von diesen wieder an die Schechs der einzelnen Dörfer verpachtet, die unnachsichtlich und grausam die Gelder eintrieben und als Zwangsmittel dazu die Bastonnade anwandten.
Die bei einer solchen Mißwirthschaft auch anderweitig hervortretenden Uebelstände liegen auf der Hand. Hat ein Mudir oder sonst ein Pascha, der in der Provinz allmächtig ist, Arbeiter [830] nöthig, so „preßt“ er sie gleichfalls, und um ferner für seinen eigenen Beutel mehr Geld zu machen, als ihm von Rechtswegen zukommt, zieht er die Steuerschraube nach Gutdünken stärker an, und die „Nilpeitsche“[1] verhilft ihm bequem zu beiden.
Charakteristisch ist dabei der Umstand, daß diese schlimmen Dinge aus den beiden Hauptstädten, Alexandria und Kairo, und deren nächster Umgebung gänzlich verbannt sind und zwar wegen der dort residirenden Generalconsuln und diplomatischen Agenten, die beileibe nichts davon sehen und wissen dürfen, um sie in dem frommen Glauben zu lassen, daß dergleichen, und namentlich die abscheuliche Bastonnade, längst nicht mehr im Nillande existirt, wie es ja auch die europäischen Zeitungen von jeher versichert haben.
Hier wird nun die englische Verwaltung, oder was rücksichtsvoller klingt, die ägyptische Regierung unter englischer Aufsicht, energisch zu reformiren haben, und es sind schon jetzt verschiedene Anzeichen vorhanden, daß dies geschehen wird. Es ist zugleich das beste und sicherste Mittel, den Engländern die Sympathien der Landbevölkerung zu gewinnen.
Die weiteren Reformen werden sich dann auf das Heer- und Polizeiwesen erstrecken; die erstere ist zur Zeit noch zurückgestellt, weil die Neubildung einer eigentlichen ägyptischen Armee zunächst unnöthig erscheint, und die zweite ist bereits schon so gut wie organisirt. Auch hier ist der Chef natürlich ein englischer Stabsofficier und zwar der sehr fähige Baker Pascha.
Dann wird die Einrichtung neuer und zwar inländischer Gerichtshöfe, zu zwei Dritttheilen aus arabischen und zu einem Dritttheil aus europäischen (englischen) Mitgliedern bestehend, an die Reihe kommen, und ebenso die Gründung einer Menge Volksschulen in allen Theilen des Landes. In dieser letzteren Beziehung sieht es nämlich noch bös in Aegypten aus, denn mit Ausnahme der höheren Unterrichtsanstalten in den großen Städten, von denen viele unbestrittene Anerkennung verdienen, ist der gesammte Volksunterricht noch nicht über die sogenannten Koranschulen hinausgekommen.
Bei der unleugbar guten, ja man möchte fast sagen glänzenden Befähigung der männlichen arabischen Jugend, ihrer Lernbegierde und Folgsamkeit eröffnet sich hier ein schönes Feld wahrhaft segensreicher Thätigkeit. Hundert gute Elementarschulen in Aegypten, unter verständiger Leitung und mit tüchtigen Lehrkräften (gewissermaßen paritätisch, das heißt arabisch-europäisch) – und es würde um die Volksbildung in Aegypten ganz anders aussehen, und die so oft als Trumpf fälschlich ausgespielte „abendländische Civilisation“ wäre dann kein hohles Scheinding mehr.
Ein anderer nicht minder wichtiger Gegenstand der Reform wird alsdann die Besteuerung der in Aegypten lebenden und dort etablirten Ausländer sein. Die völlige Steuerfreiheit der Ausländer in Aegypten datirt schon aus früheren Jahrhunderten durch die „Capitulationen“ (Verträge zwischen der Türkei und den einzelnen europäischen Mächten), und Mohammed Ali erneuerte dieselben mit noch weiter gehenden Zugeständnissen, um dadurch immer mehr Europäer in’s Land zu ziehen. Damals unstreitig eine sehr gute politische Maßregel. Aber die Verhältnisse haben sich seitdem wesentlich geändert; die Europäer haben sich, und zumeist auf Kosten des Landes, maßlos bereichert und genossen außerdem, wenigstens in den großen Städten, alle Vortheile wohlgeordneter staatlicher Einrichtungen, blieben aber nach wie vor abgabenfrei. Indirect wurden sie allerdings durch die außerordentlich hohen Eingangs- und Ausgangszölle auf alle nur denkbaren Waaren, auch durch den städtischen Octroi u. dergl. stark besteuert, und hier müßten wesentliche Aenderungen und Erleichterungen eintreten und namentlich der überall herrschenden Willkür Schranken gesetzt werden. Da nun aber die Engländer selbst von diesen neuen Steuergesetzen betroffen werden und zugleich dabei die Hauptstimme haben, so darf man wohl auf eine für alle Theile günstige Lösung dieser Frage hoffen.
Die Zeit der Sinecuren, der hohen Gehälter bei möglichst geringer und nur allzu oft gar keiner Arbeit, dürfte für immer in Aegypten vorüber sein, und das ist ein Glück für das Land; man wird sich nach Männern umsehen müssen, die fleißig und gewissenhaft arbeiten wollen, und daß man diese gut bezahlen wird, versteht sich von selbst; der Arbeiter ist seines Lohnes werth, sagt nicht allein die Bibel, sondern auch der Koran.
Ein Mann ist bereits gefunden, der in allen diesen Dingen den Engländern mit seiner Erfahrung, seinen Kenntnissen und seiner Energie zur Seite stehen wird. Dieser Mann ist kein Anderer, als Nubar Pascha, der frühere Premierminister des abgesetzten Khediv Ismaïl.
Dies könnte auf den ersten Blick Bedenken erregen, aber Nubar stieg und fiel bekanntlich mit der schwankenden Politik seines Herrn und trat jedesmal zurück, wenn er mit seinen wohlmeinten Rathschlägen nicht durchdringen konnte; so bei der unseligen abessinischen Expedition, bei der verhängnißvollen Rentenconversion, bei den schlimmen Experimenten des damaligen Finanzministers, des berüchtigten Mufetisch, und in manchen ähnlichen Fällen. Ueberdies ist Nubar ein Christ, mit einer französisch, d. h. europäisch gebildeten Armenierin vermählt und ein Freund europäischer Bildung. Er ist auch der Schöpfer der internationalen Justizreform in Aegypten, die den Anfang bilden sollte zu einer neuen Gerichtsbarkeit im ganzen Lande und die er jetzt gewiß durchführen wird.
Was uns Europäern aber Nubar besonders werth macht und uns wünschen läßt, ihn bald seinen früheren Ministerposten wieder einnehmen zu sehen (was möglicher Weise, wenn der Leser dies liest, schon geschehen sein kann), ist der wichtige Umstand, daß er von jeher ein unerbittlicher Gegner des Sclavenhandels[WS 1] gewesen ist und denselben, soweit es in seiner Macht stand, unaufhörlich bekämpft hat.
Dies bringt uns auf den eigentlichen Brennpunkt der ägyptischen Frage, ohne welchen alle geplanten Reformen nur halbe sind, wenn anders dieselben, wie man auch jetzt wieder beständig versichern hört, das Land der abendländischen Cultur und Gesittung zuführen sollen. Auch hier, und vielleicht noch weniger als auf anderen Gebieten, ist von heute auf morgen keine Wandlung zu schaffen, aber es steht doch zu hoffen, daß jetzt endlich, endlich! einmal Ernst gemacht wird, um wenigstens für Aegypten dieses verruchte „Geschäft“ gründlich und dauernd zu beseitigen.
Nach einer allgemeinen Schätzung von competenter Seite gehen noch alljährlich aus den südlichen ägyptischen Provinzen Dar-fur und dem Sudan und aus den noch südlicher gelegenen nicht-ägyptischen Gallaländern wenigstens 50,000 Köpfe, nach anderen gar 80,000, in die Sclaverei, und mehr als die Hälfte von ihnen geht über Kartum direct durch Aegypten bis nach Assuan, ja bis nach Kairo selbst, von wo sie östlich über das Rothe Meer nach dem Hedschas und Syrien und nordwestlich durch die Libysche Wüste nach Tripolis, Tunis und weiter transportirt werden. Auch die kleinasiatischen Städte, und vor Allem Constantinopel, haben Theil daran; der abessinischen Sclaven, die über Massaua an der Küste des Rothen Meeres nördlich hinauf, also auch durch Aegypten gehen, gar nicht zu gedenken. Kartum ist der Hauptstapelplatz dieser Menschenwaare, und dort finden sich auch die Händler aus Unter- und Mittelägypten und aus den übrigen eben genannten Ländern ein, um die Geschäfte abzuschließen.
Wir wollen unsere Leser mit der Schilderung der Sclavenjagden, der unmenschlichen Behandlung der armen Gefangenen auf dem Transporte zu Land oder zu Wasser, und mit den sonstigen grauenhaften und empörenden Einzelheiten verschonen; viele von ihnen haben dergleichen gewiß schon in Reisebeschreibungen und ähnlichen darauf bezüglichen Schriften oder auch in den Tagesblättern gelesen;[2] nur das Eine sei hier bemerkt, und wir knüpfen daran die folgende kurze Notiz, daß selbst die schrecklichsten und entsetzlichsten jener Schilderungen in nichts übertrieben sind, ja zumeist noch hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Noch heute gilt nämlich so ziemlich Alles, was einer der zuverlässigsten Gewährsmänner, der Afrikareisende Dr. Alfred Brehm, aus den fünfziger Jahren darüber meldet, und zwar durchweg nach eigener Anschauung, mithin als unwiderlegbarer Augenzeuge.
„Ich habe,“ so schreibt er unter Anderem, „einen Transport Dinkha-Neger in Kartum ankommen sehen. Der Anblick war schauderhaft. Die schmerzgepeinigten Männer, welche noch Wunden [831] vom Schlachtfelde her tragen (als sie von den Sclavenjägern überfallen wurden und auf Tod und Leben um ihre Freiheit kämpften) und deren Hälse die Schaba wund reibt (eine schwere, nachschleppende Holzgabel, in welche der Hals des Gefangenen gesteckt wird), dann die armen, halbverdursteten und halbverhungerten Weiber mit ihren nackten Kindern, die sich kaum mehr fortschleppen können und durch Peitschenhiebe immer wieder aufgetrieben werden … keine Feder kann diesen Anblick beschreiben, Worte drücken ihn nicht aus. Mir hat er wochenlang wie ein grausiges Bild des Schreckens und Entsetzens vor der Seele gestanden.“[3]
So Brehm, und wir citiren aus Rücksicht für den weiblichen Leserkreis dieser Blätter noch nicht einmal die entsetzlichsten und abscheulichsten Stellen seiner Schilderung.
Im Ganzen bestehen diese haarsträubenden, grausigen Zustände noch heute, nur wird die Sache seit den letzten Decennien heimlicher betrieben, und die Sclavenjäger und ihre Helfershelfer sind mehr auf ihrer Hut und wagen sich nicht mehr über Dongola und Wadi-Halfa (also über den zweiten Katarakt) hinaus, wo alsdann der bis dahin öffentlich betriebene Handel zum Schmuggelhandel wird. Kartum ist nach wie vor der Centralpunkt dafür und der Weg des Klägers in Kartum bis zum Richter in Kairo ist weit.
Denn das darf man zur Steuer der Wahrheit und zugleich zur Ehre der ägyptischen Regierung, besonders seit dem Regierungsantritt des Exkhediv Ismaïl (im Jahre 1863) nicht verschweigen, daß von jener Zeit an wenigstens die öffentlichen Sclavenmärkte in Unter- und Mittelägypten, speciell in Kairo, aufgehoben sind, und daß man sogar gegen diejenigen Händler, die nicht vorsichtig genug waren und zu viel Lärm von ihrem Geschäft machten, polizeilich einschritt und ihnen ihre „Waare“ confiscirte, allerdings nicht, um die Unglücklichen in Freiheit zu setzen, sondern nur um die männlichen Sclaven in die Armee einzureihen und die weiblichen „anderweitig“ unterzubringen.
Auch auf den berüchtigten jährlichen Messen zu Tanta im Delta, wohin Hunderttausende strömen, wurde der sonst auf freien Plätzen vor der Stadt abgehaltene Sclavenmarkt verboten, aber in besonderen Zelten, für deren Besuch man ein kleines Eintrittsgeld erhob, fortgesetzt. Auch streute man der Regierung Sand in die Augen durch Errichtung von sogenannten Gesindebureaux, wo man pro forma die betreffenden Personen miethete, aber de facto kaufte, und es fanden sich stets gewissenlose Beamte, die diesem Unwesen gegen gute Bestechung durch die Finger sahen.
Thatsächlich ist also von Seiten der ägyptischen Regierung bis jetzt so gut wie nichts geschehen, um dem verruchten Gewerbe ein Ende zu machen, denn auch die verschiedenen, mit lauter Reclame und großen Kosten von ihr in’s Werk gesetzten militärischen Expeditionen nach dem Süden haben keine irgendwie greifbare Frucht getragen.
Alles, was man darüber in europäischen Zeitungen ab und zu veröffentlichte, beruht entweder geradezu auf Unwahrheit, oder doch auf starker Uebertreibung und Schwindel. Wie wäre es auch anders möglich, wo der Landesherr selbst (obwohl der Khediv Tewfik „bis jetzt“ nur eine legitime Gattin hat) für seinen Harem und Hofhalt Sclaven, Sclavinnen und Eunuchen in Menge besitzt, und wo alle Paschas und überhaupt alle diejenigen, die nur das Geld dazu aufwenden können, diesem Beispiel folgen?
Von oben her und aus eigenem Antrieb ist mithin für diese große Sache der Humanität nichts zu erwarten, aber in einem ganz anderen Lichte erscheint sie, wenn die Engländer sich derselben thatkräftig annehmen. Sind sie jetzt wirklich die Herren im Nillande, und das sind sie, denn sie gebieten nach allen Richtungen hin, haben an der Spitze sämmtlicher Verwaltungszweige die Ihrigen eingesetzt, sie überwachen, leiten und controlliren Alles und halten dabei die Hand an den Degen, um jedweder Maßregel den gebührenden Nachdruck zu verleihen – dann tritt auch die moralische Nöthigung ernst und gebieterisch an sie heran, nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben und es nicht, wie es die ägyptische Regierung bisher immer gethan, bei schönen Worten und Verheißungen und unbedeutenden Palliativmitteln bewenden zu lassen, sondern das Uebel bei der Wurzel zu fassen und mit Stumpf und Stiel auszurotten. Das hieße ihrer civilisatorischen Mission die leuchtende Krone aufsetzen, und die ungetheilten Sympathien des christlichen Europas würden sie darin nicht allein stützen und ermuthigen, sondern ihnen auch da zu Theil werden, wo sich jetzt noch politische Bedenken erheben wegen ihres Auftretens in Aegypten, das (wir verhehlen dies nicht) auf eine gänzliche Annexion hinweist. Um diesen Preis, für den uns im Interesse der Humanität nichts zu hoch dünkt, aber auch nur um diesen, mag dann früher oder später das Nilland gern vollständig englisch werden!
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Leider sind diese erfreulichen Aussichten, so weit sie wenigstens die sofortige friedliche Entwickelung der politischen und socialen Verhältnisse in Aegypten betreffen, in jüngster Zeit wieder sehr in die Ferne gerückt und vielleicht für die nächste Zukunft ganz in Frage gestellt. Der Mahdi (der falsche Prophet), der schon vor drei oder vier Jahren sein abenteuerliches Treiben im östlichen Sudan und in Dar-fur begann, das die ägyptische Regierung damals mit gewohnter orientalischer Lässigkeit unterschätzte, ist nämlich mit seinen Anhängern, die nach vielen Tausenden, ja, wie Manche behaupten, nach Hunderttausenden zählen, zu einer solchen Macht angewachsen, daß er jetzt das Nilland selbst bedroht und das eigentliche Aegypten durch seinen bloßen Namen in Schrecken setzt.
Nach der kürzlich erfolgten Niederlage der englisch-ägyptischen Truppen unter Hicks Pascha, die natürlich auch den Lesern dieses Blattes in ihren Einzelnheiten, so weit dieselben bis jetzt nach Europa gelangten, bekannt ist, scheinen die Actien des Mahdi augenblicklich sehr günstig zu stehen, aber man darf der Bewegung auch keine allzu große oder gar phantastische Tragweite zuschreiben und namentlich nicht schon jetzt für Kairo und Unterägypten fürchten, wie in manchen Zeitungen von Unkundigen versichert wird.[4] In gerader Linie beträgt die Entfernung von jenem Kriegsschauplatze bis Kairo wenigstens die doppelte Länge von ganz Italien, und wegen der Krümmungen des Nils (denn nur an diesem hinab wäre ein Vormarsch überhaupt denkbar) wenigstens das Vierfache; vor der Hand ist also höchstens Kartum in Gefahr, denn Obeïd, die Hauptstadt Kordofans, wird wohl schon gefallen sein.
Kartum ist die südliche Grenz- und zugleich Hauptstadt Nubiens, die mit Massaua, an der diesseitigen Küste des Rothen Meeres, ungefähr auf demselben Breitengrade liegt und durch gute Karawanenstraßen mit ihr verbunden ist. Dort (das heißt zunächst in Kartum und eventuell auch in Massaua) könnte es möglicher Weise bald zu einem neuen Zusammenstoß kommen, schon weil Massaua der ewige Zankapfel zwischen Abessinien und Aegypten ist und die Abessinier deshalb mit dem Mahdi gemeinsame Sache machen dürften, wie es theilweise ja schon geschehen ist.
Die Hauptstütze hat der Mahdi bis jetzt nur in Dar-fur gefunden, jener großen Länderstrecke zwischen Wadai und Kordofan, deren Bevölkerung von jeher das aufgezwungene ägyptische Joch mit Widerwillen getragen. Jetzt rächen sich die unklugen Annexionsgelüste des Ex-Khediv Ismaïl in schrecklicher Weise, ähnlich wie die unselige Expedition nach Abessinien im Jahre 1876.
Eine weitere Hauptstütze des falschen Propheten ist mittlerweile ganz in Rauch aufgegangen, nämlich Arabi Pascha, von dem jetzt längst erwiesen ist, daß er ein Zusammengehen mit dem Mahdi im Sinne hatte. Wäre Arabi’s Revolutionsplan gelungen, so hätte alsdann diese Doppelbewegung im Norden und Süden für Aegypten wohl verhängnißvoll werden können; nach seiner Vernichtung indeß ist die eigentliche Gefahr, speciell für Mittel- und Unterägypten, verschwunden oder doch dergestalt verringert, daß man ihr jedenfalls, freilich nach hart bezahltem Lehrgeld, mit Erfolg wird begegnen können.
Das englische Element ist gleichfalls ein günstiger Hebel für die Unternehmungen des Mahdi, und zwar deswegen, weil es überall verhaßt ist, und dieser Haß führt dem Agitator, der wohlweislich das beliebte geflügelte Wort „Aegypten für die Aegypter“ [832] auf seine Fahne geschrieben hat, weit mehr Anhänger zu, als die Begeisterung für die Reform des Islam, die er für sein Hauptziel, für seine eigentliche Mission ausgiebt. In dieser letzteren Beziehung dürfte er sich aber arg getäuscht sehen, denn schon haben die Ulemas der großen Azhar-Moschee, der ersten Universität der gesammten mohammedanischen Welt, ihn als Betrüger verurtheilt, und selbst im fernen Stambul regen sich bereits die Schriftgelehrten des Korans, um ihn als Verräther des wahren Propheten in Bann zu erklären.
Vom Fanatismus der großen Massen hat also der Mahdi nicht viel zu hoffen, und deshalb hatte der scharfblickende Baker Pascha ganz Recht, als er beim Beginn der Hicks’schen Expedition, die so verhängnißvoll werden sollte, und vor welcher er vergebens eindringlich warnte, vorschlug, derselben alsdann wenigstens einige der ersten Ulemas von Kairo mitzugeben, um die Bevölkerung dem falschen Propheten abtrünnig zu machen und zum wahren Glauben zurückzuführen.
Bei uns in Europa wäre das allerdiugs eine seltsame Manier, Krieg zu führen; aber Land und Leute in Central-Afrika sind eben ganz anders, so ganz anders, daß nur die damit Vertrauten sich ein richtiges Urtheil über die dortige Lage der Dinge bilden können. Wie dieselbe nun aber einmal ist, und zwar durch die Fehler der ägyptischen Regierung geworden ist, darf an eine Zurückziehung der englischen Truppen aus Aegypten, die bereits für den November in Aussicht genommen war, nicht mehr gedacht werden; im Gegentheile, es wäre gar so unwahrscheinlich nicht, wenn sie angesichts dieser neuen bedrohlichen Verwickelungen demnächst verstärkt würden. Somit scheint es, als solle das schöne Pharaonenland noch immer nicht zur Ruhe kommen, deren es doch so sehr, so sehr bedarf.
Jäger-Weihnachten im Hochgebirge.
„Gefuttert muß heute werden, es hilft Alles nix,“ – sagt am Tage vor dem Weihnachtsfest der Oberförster zu seinen beiden Gehülfen und kratzt sich dabei verlegen hinter den Ohren – „sonst gehen uns am Ende noch so und so viel Stücke ein!“
Die also Angesprochenen blicken mit etwas enttäuschten Mienen zu ihrem Vorgesetzten auf; der aber zuckt die Achsel und schweigt. Er weiß, daß heute jeder Christenmensch auf eine freie Abendstunde rechnet, aber die Umstände zwingen in diesem Fall zum Gegentheil. Seit Wochen schon deckt tiefer Schnee die Berge; eine eisige Decke liegt über dem Moos im Walde, und dicke Schneekrusten umhüllen das Geäste der Tannen, sodaß das Wild nichts mehr findet, den Hunger zu stillen.
In dumpfem Hinbrüten steht da ein Rudel Hirsche, dort eine Rehfamilie unter den überhängenden Zweigen einer mächtigen Tanne, und zeitweise nagen die Thiere an der harten, harzigen Rinde, nur um etwas in den leeren Magen zu bekommen. Schon an dieser unverdaulichen Kost gehen Viele zu Grunde. Die Räuber des Waldes wissen aber den Nothstand noch mehr zu vergrößern. Wenn das schwachgewordene Reh über die leicht gefrorne Schneedecke eilt, um einen Aesungsort zu suchen, schleicht der listige Reineke dem armen Thiere nach, das, die Gefahr erkennend, sich durch rasche Sprünge zu retten sucht. Allein die Kraft der Fesseln hat nachgelassen, unbeholfen sinkt das Reh bei jedem Schritte ein; es arbeitet sich ab, daß das Blut von den Läufen träufelt – dann stürzt der rothe Wegelagerer herbei und das unglückliche Opfer liefert ihm eine reichliche Mahlzeit. Auch Geier und Adler werden dreist, und der König der Lüfte holt sich, wo es sein kann, ein Kitzlein oder Reh, um der eigenen Noth vorzubeugen.
Um diese Zeit erachtet es der Jäger als Nothwendigkeit, den verlassenen Geschöpfen beizuspringen, und wo immer der Wildstand die rechte waidmännische Aufmerksamkeit erfährt, wird das Wild die härteste Zeit über gefüttert. Es sind hierzu eigene Futterplätze ausersehen, auf welche in bestimmten Zwischenräumen Heu mit Salz vermengt aufgestreut wird. Je nach dem Umfang des Jagdbezirkes, befinden sich solche Futterstationen viele Stunden weit in den Bergen drinnen und zumeist sogar auf ziemlicher Höhe.
Im Allgemeinen giebt es für den Jagdfreund kaum etwas Prächtigeres, als den Anblick einer solchen Futterscene. Wenn sich der Jäger der betreffenden Stelle nähert, stößt er auf eine ganze Versammlung der edlen Thiere. Da steht der Berghirsch mit hochgehobenem Geweih und bläht die Nüstern dem Ankömmlinge witternd entgegen; erst auf ganz kurze Distanz weicht dieser König der Wälder langsam hinter die schützenden Tannen zurück, nicht ohne wiederholt stehen zu bleiben und um sich zu sehen. Im dicht gedrängten Rudel recken Schmalthiere, Kälber und Rehe die Hälse vor und der eigenthümliche Glanz ihrer Lichter bekundet deutlich die Aufregung, die sich ihrer bemächtigt hat. Erst wenn der Jäger ganz nahe bei ihnen ist, wenden sie sich zur kurzen Flucht. Ist aber das Futter gestreut, hei! wie sie darauf losstürzen; die Kleinen und Schwachen kommen die ersten Augenblicke gar nicht daran, und öfters wird der Futterplatz zum wirklichen Kampfplatz. –
„Ich kann Euch nicht helfen,“ wiederholt der Oberförster, „das Wetter gefällt mir gar nicht recht, am Ende bekommen wir einen tüchtigen Schneesturm, dann ist’s noch viel schlimmer.“
Der eine der Burschen nickt mit dem Kopfe, der andere steht schweigend auf und greift seufzend zur Joppe, die an der Wand hängt. Vielleicht hat ihm sein Schatz ein Christkindl zugesagt, wenn er Abends an’s Kammerfenster käme, aber möglicher Weise sind sie bis zur Metten doch wieder zurück. Also vorwärts! Der Futterplatz, den sie besuchen sollen, ist einer der höchst gelegenen; dicht bei der herzoglichen Jagdhütte, in der auch die Heuvorräthe untergebracht sind. Sie hängen ihre Bergsäcke über den Rücken, nachdem sie sich mit Salz für die Thiere und etwas Mundvorrath versehen haben. Der gutmüthige Chef fügt diesen noch extra eine geräucherte Zunge und ein Fläschchen Enzian bei, um den unerwünschten Dienstgang wenigstens einigermaßen erträglicher zu machen.
Im tiefen Schnee arbeiten sich die wackeren Jäger auf bekannten Steigen, die allerdings nur sie errathen können, empor. Bleischwer liegen die Wolken auf den Bergspitzen und drücken in
[833][834] schweren Ballen auf den Waldrücken herab. Die Kälte hat etwas nachgelassen, und desto schwieriger gestaltet sich der Marsch auf den weich gewordenen Schneemassen. So gehen sie stundenlang schweigend dahin, Jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Wer könnte sich von den tiefgehenden Erinnerungen an die schöne Weihnachtszeit ganz losringen. Bald sind es Bilder aus vergangenen Tagen, die alte, längst schlummernde Gefühle wieder erwecken, bald sind es Beziehungen zur Gegenwart, welche mit dem Weihnachtsabend in Verbindung gebracht werden.
Endlich haben sie ihr Ziel erreicht und das Jägerherz gewinnt wieder die Oberhand.
„Schau, der Achtzehner steht wieder ganz vorne, der Kerl kriegt nie g’nug!“
„Dort haben die Teufel schon wieder ein Kalb erwischt,“ schimpft der Andere; „wenn ich den lumpigen Räuber nur ertappen könnte!“
Geschäftig eilen sie in die Hütte und kommen mit vollen Armen zurück; reichlich streuen sie das duftige Heu auf den Boden und mischen leckeres Salz dazwischen. Ha, wie die Lichter jetzt aus dem Dickichte so gierig herausfunkeln!
„So, jetzt guten Appetit,“ ruft der Lois seinem Gefährten Franz zu, „jetzt kommen aber wir auch d’ran, uns soll’s nicht weniger schmecken.“
Nun machen sie sich’s in der Hütte behaglich. Bald prasselt das Feuer in dem Herde, der Eine holt Wasser, der Andere packt die Vorräthe aus und vor Allem wird ein fetter Schmarren gekocht, daß man etwas Warmes in den Magen bekomme. Während sie behaglich essen und draußen die vierbeinige Schaar im Futter schwelgt, braust ein mächtiger Windstoß über die Hütte und mit rasender Eile sinkt das Tageslicht zur Abenddämmerung herab.
„Da haben wir’s,“ rufen die Beiden ärgerlich und betroffen aus, „der schönste Schneesturm! Jetzt gute Nacht, Christkindl!“
Auf diesen Ausruf folgen noch einige kernige, ellenlange Waidmannsflüche, aber „Alles hilft nichts“ – schon schweben die blendend weißen Flocken in handgroßen Fetzen herab, von Zeit zu Zeit durch den jagenden Wind in ein wildes Chaos zusammengewirbelt.
„Pfüat di Gott, Christkindl!“ wiederholt der Jüngere und setzt sich mißmuthig zum Ofen, voll Zorn an den Nägeln kauend, während der Andere still resignirt durch das kleine Fenster dem Toben des Wetters zusieht. Das dauert so lange, bis die Nacht hinter dem Wetter herzieht und alle Aussicht auf’s Heimkommen vorüber ist. Es wäre zu einer andern Zeit kein Unglück, hier oben bleiben zu müssen, denn die Hütte ist gut eingerichtet, es finden sich sogar Bücher, um die Langeweile zu vertreiben – aber heute, am Weihnachtsabend! Da kommt dem Franz eine Idee; der elektrische Christbaumfunke hat bei ihm gezündet!
Er nimmt dte Axt und eilt hinaus; verwundert sieht ihm der Jüngere nach, aber sofort greift er den Gedanken auf, nachdem er gesehen, daß sein Gefährte mit einem Tannenbäumchen wieder in die Stube getreten ist. „Hurrah, Christkindl! Jetzt kommst uns doch net aus!“ jubelt er; „wir halten da heroben unser Weihnachtsfest.“ Der Franz richtet den Baum zu; der Lois schneidet einen Wachsstock, den er im Rucksack bei sich führt, in Stücke, das giebt prächtige Kerzen. Nun wird der Baum geschmückt; Lois hängt seine neue Pfeife als Geschenk für den Franz daran, und dieser opfert seinen Knicker, um die Freundschaft zu erwidern. Unter den Baum wird die geräucherte Zunge nebst Enzian gestellt als Gabe des Vorstandes, und nun entzünden sich auch hier die Weihnachtskerzen. Der Aeltere setzt sich zum Ofen und hängt, sein Pfeifchen schmauchend, den hervordrängenden Gedanken nach, während der Jüngere sich auf die Lagerstätte geworfen und sich dort in ein Weihnachtsbild vertieft, das er in einem der vorhandenen Bücher zu finden gewußt. Das kleine Gemach war wohl nie so glänzend beleuchtet gewesen; das Christkind hat die eingeschneiten Menschenkinder auch auf dem Berge oben zu finden gewußt. Eine frohe Behaglichkeit umspannt die Gemüther der einsamen Gäste hoch oben über den anderen menschlichen Wohnungen; die Zaubermacht des Christbaumes reicht eben überall hin, wo fühlende deutsche Herzen schlagen, und bis zu den Wolken dringt der segensreiche Sang: „Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!“
Die Kunst, Geld zu machen.
Der Schaubudenkönig Barnum giebt Allen, die reich werden wollen, unter Anderem noch folgende Rathschläge: Es giebt junge Leute, die nach Zurücklegung ihrer Lehrzeit, statt sich durch eine längere Dienstzeit in ihrem Berufe zu vervollkommnen, auf der faulen Haut liegen und ihre Selbstständigmachung abwarten. „Ich will kein Sclave sein,“ rufen sie aus, „wozu habe ich mein Geschäft erlernt, wenn ich mich nicht etabliren soll?“ Fragt man nun einen solchen Jüngling, woher er denn eigentlich Capital zu nehmen gedenke, so antwortet er vielleicht: „Ich habe eine alte reiche Tante, die bald sterben wird; stirbt sie aber nicht, so hoffe ich einen menschenfreundlichen, reichen Herrn zu finden, der mir einige tausend Thaler leihen wird, um mir auf die Beine zu helfen.“
Wie thöricht ist es aber, sich von erborgtem Gelde Erfolge zu versprechen! Wenn man ein Anfänger ist, der den Werth des Geldes noch nicht aus Erfahrung kennt, so nutzt Einem das Erborgte wenig. Der Anfänger soll den Werth des Geldes dadurch kennen lernen, daß er es verdienen lernt; hat er es einmal so weit gebracht, so ist es schon eher angezeigt, ihm unter die Arme zu greifen. Man übe also Selbstverleugnung und Sparsamkeit, Geduld und Ausdauer und verdiene die ersten tausend Mark oder Gulden unter Kämpfen und Opfern – dann kann man mit fremdem Gelde umgehen. Barnum behauptet, daß neun Zehntel der Reichen der jetzigen und der vorigen Generation in Amerika ihre Laufbahn als arme Knaben begannen, aber mit Energie, Fleiß, Sparsinn und Beharrlichkeit ausgerüstet waren, langsam ihren Weg machten und mit selbsterworbenem Gelde arbeiteten. Dadurch brachten sie es zu etwas, ja, zu sehr viel: A. T. Stewart, ein armer irischer Junge, hatte in seiner letzten Lebensperiode ein Jahreseinkommen von anderthalb Millionen Dollars. J. J. Astor, ein armer Farmerknabe, hinterließ zwanzig Millionen Dollars. Stephan Girard, ein armer Schiffsjunge, erwarb ein Vermögen von neun Millionen Dollars. Cornelius Vanderbilt, der Vater des jetzigen „Eisenbahnkönigs“, begann seine Laufbahn als Ruderer und hinterließ neunzig Millionen Dollars.
Ja, ja, es hält schwer, Erfolge zu erzielen, wenn man Geld mit allzu großer Leichtigkeit erlangen kann. Schon aus diesem Grunde sollte Niemand eines Andern Wechsel unterschreiben, ohne sich genügende Sicherheit bieten zu lassen, abgesehen davon, daß man sich selbst dadurch leicht dem Ruin aussetzt. Diese außerordentlich beherzigenswerthe Lehre – deren Nichtbeachtung schon unsägliches Unheil angerichtet hat – illustrirt der Verfasser der „Kunst, Geld zu machen“ in vortrefflicher Weise durch das folgende Beispiel. Ein Mann, dessen Geschäft gedeiht und 20,000 Dollars werth ist, kommt zu dir und sagt: „Sie wissen, daß ich 20,000 Dollars im Vermögen habe und keinen Cent schuldig bin. Wenn ich augenblicklich 5000 Dollars in Baarem hätte, so könnte ich eine Partie Waare kaufen, die mir binnen zwei Monaten das Doppelte einbrächte. Wollen Sie meinen Wechsel giriren?“ Du weißt, daß der Mann wirklich ein Vermögen von 20,000 Dollars hat und daß du daher bei deiner Unterschrift für 5000 nichts riskirst; du thust ihm daher den erbetenen Gefallen, ohne Sicherstellung zu begehren. Nach kurzer Zeit zeigt er dir den eingelösten Wechsel und theilt dir mit, er habe aus dem Geschäfte wirklich den erwarteten Nutzen gezogen. Du freust dich, Gutes gethan zu haben, und leistest ihm das nächste Mal denselben Dienst, wobei du immer den Eindruck hast, es sei nicht nöthig, von einem so braven und pünktlichen Menschen Sicherstellung zu fordern. Aber gerade der Umstand, daß er so mühelos Geld zur Verfügung hat, ist für ihn ein Unglück. Er braucht nur einen Wechsel mit seiner und deiner Unterschrift in die Bank zu tragen, um ohne Umstände Casse zu erhalten. Das zieht üble Folgen nach sich. Eines Tages bekommt er Lust [835] auf eine außerhalb seines Geschäftskreises liegende Speculation, zu der eine zeitweilige Anlage von 10,000 Dollars erforderlich wäre, welche zweifellos wieder hereinkommen, ehe ein Wechsel fällig werden kann. Er legt dir den Wechsel auf 10,000 Dollars vor und du unterfertigst denselben fast mechanisch. Aber die Speculation wickelt sich nicht so rasch ab, wie dein Freund dachte; um die 10,000 Dollars einlösen zu können, müssen andere 10,000 escomptirt werden. Ehe der neue Wechsel fällig ist, hat die Speculation fehlgeschlagen und das ganze Geld ist verloren. Dein Freund aber schämt sich (oder hütet sich) dir zu sagen, er habe speculirt und sein halbes Vermögen eingebüßt. Er will sich durch eine andere Speculation schadlos halten und verliert wieder, da er von diesen Dingen nichts versteht. Der Speculationsteufel hat ihn gepackt, er macht neue Versuche und du giebst ihm in deiner Unschuld immer wieder neue Unterschrift, bis es sich schließlich herausstellt, daß er sein und dein Vermögen verspeculirt hat. Du sagst dann: „Es war sehr grausam von ihm, mich zu Grunde zu richten,“ allein du könntest ebenso gut sagen: „Ich habe ihn zu Grunde gerichtet.“ Hättest du ihm nämlich von vornherein gesagt: „Ich will Ihnen diesen Gefallen erweisen, allein ich girire niemals ohne genügende Sicherstellung,“ so hätte er nicht über sein eigenes Vermögen hinausgehen können und wäre nicht in Versuchung gerathen, vom Pfade seines Berufs abzuweichen. Man vermeide es daher, durch zu sorglose Hülfeleistung sich und Andere in Gefahr zu bringen. Die tägliche Erfahrung lehrt, daß diese Warnungen des Schaubudenkönigs nur allzu begründet sind.
Wer für seine Waare, seine Leistungen, seine Erzeugnisse einen guten Absatz finden will, muß vor Allem darauf sehen, daß er etwas Werthvolles, Brauchbares, Echtes oder Tüchtiges zu bieten habe; gelangt er zur Ueberzeugung, daß das Publicum nach erfolgten Versuchen mit dem Gegenwerthe des bei ihm ausgegebenen Geldes zufrieden sein werde, so thut er wohl, sein Geschäft etc. öffentlich bekannt zu machen; denn was nützt ihm die Güte seiner Gegenstände, wenn Niemand von seiner oder ihrer Existenz weiß? Man inserire daher in Zeitungen oder veröffentliche Placate: aber man annoncire nicht zu wenig, sondern so lange, bis der Zweck des Inserirens – die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken – erreicht ist; sonst ist’s schade um jeden Pfennig. Ein französischer Autor schrieb einmal:
„Der Zeitungsleser übersieht die erste Insertion; die zweite sieht er, ohne sie zu lesen; die dritte liest er; bei der vierten sieht er den Preis nach; bei der fünften macht er seine Frau aufmerksam; bei der sechsten beschließt er, zu kaufen; nach der siebenten kauft er.“
Schlechte, unechte Artikel zu annonciren, meint Barum, könne nicht von dauerndem Erfolge sein, da sich jeder Käufer nur einmal foppen lasse und dann ausbleibe; ich fürchte aber, daß „die Dummen nicht alle werden“ und daß mancher Schwindelartikel seinem Eigenthümer recht viel Geld einbringt, wenn er nur fleißig angezeigt wird. Je packender das Inserat, desto größer seine Wirksamkeit. Man bedarf übrigens nicht immer der Zeitungen oder der Anschlagzettel, um seine Firma bekannt zu machen; ein originelles Schaufenster, Wägelchen, Schild u. dergl. leistet oft dieselben Dienste. Ein verhältnißmäßig unbekannter Hutmacher erstand bei der ersten Versteigerung von Sitzen zu den Vorstellungen der Jenny Lind in Amerika das erste Billet um 225 Dollars, weil er wußte, daß dieser Streich für ihn Reclame machen werde; in der That verkaufte er schon in demselben Jahre um 10,000 Hüte mehr, als sonst. Natürlich hatten alle Zeitungen die Nachricht enthalten, daß der Hutmacher Genin den ersten Lind-Sitz so theuer bezahlt habe; daraufhin kauften Tausende aus Neugierde, den Mann zu sehen, bei ihm ein, und da sie fanden, daß er sie wirklich solid bediente, blieben sie seine ständigen Kunden.
Hätte aber Genin seine Kunden nicht solid bedient, so wären sie ihm weggeblieben. Die beste Politik ist, für möglichst wenig Geld möglichst gute Waare zu geben; der dann unfehlbar eintretende größere Absatz macht die Geringfügigkeit des Gewinns reichlich wett. Eine vortreffliche und kostenlose Capitalanlage ist die Höflichkeit und die Promptheit in der Bedienung. Ohne diese Eigenschaften werden die ausgedehntesten Waarenlager, die prächtigsten Firmentafeln und die packendsten Annoncen nichts nützen. Von ungeheurem Werthe ist ferner die Ehrlichkeit, die Rechtschaffenheit, sei es in Bezug auf Maß und Gewicht oder auf die Einhaltung von Zahlungsversprechungen oder in irgend einer andern Hinsicht. In diesem Punkte ereifert sich Barnum ganz besonders.
„Nichts,“ schreibt er, „ist schwieriger, als auf unehrlichem Wege Geld zu erwerben. Die Unredlichkeit kommt bald an den Tag, und dann bleibt dem Betreffenden fast jede Aussicht auf Erfolg im Leben benommen. Strenge Rechtschaffenheit ist die Grundlage jedes wie immer gearteten Erfolges“ etc.
Das uns als Leitfaden dienende Buch enthält noch manche andere, für Jung und Alt beherzigenswerthe Rathschläge, wie z. B.: man sei wohlthätig, man schwatze nicht aus der Schule etc., allein da dieselben nicht zum eigentlichen Gegenstande unserer Darlegungen gehören, übergehen wir sie und schließen mit dem aufrichtigen Wunsche, daß die Winke, die wir im Vorstehenden an der Hand des klugen Yankee-Autors gegeben, sich recht vielen unserer Leser von wirklichem Nutzen erweisen mögen.
London. Leopold Katscher.
Blätter und Blüthen.
„O Weihnacht und kein Kind im Haus!“' Die unter dieser Ueberschrift in Nr. 47 der „Gartenlaube“ ausgesprochene Bitte unseres Vertrauensmannes in der Waisenversorgung ist nicht überhört worden. Zahlreiche Briefe sprechen ihre Freude darüber aus und verlangen das angekündigte Programm des zu gründenden Waisen-Schutz-Vereins. Dennoch müssen wir jener allgemeinen noch eine besondere Bitte nachfolgen lassen.
Wir müssen nämlich die niederdrückende Bemerkung machen, daß gerade die Herzen, nach denen der Ausruf unserer Ueberschrift ganz besonders hinzielte –, die Herzen kinderloser Ehegatten doch nicht wirksam genug davon berührt worden sind. Denn wenn auch auf diesen Artikel hin viele Anmeldungen erfolgten, so kam doch leider dabei auf zehn arme Waisen erst ein Elternpaar! Ist denn die Bescherung, mit welcher kinderlose Ehegatten sich gegenseitig überraschen, so befriedigend, daß sie gern die Wonne entbehren, ein unter dem Christbaume jubelndes Kind an die Brust zu drücken? – Sollte wirklich die Pflege von „Liebhabereien“ einem gebildeten Menschen das Liebhaben eines Kindes ersetzen? Freilich, wer nie dem Aufblühen der Blume des kindlichen Geistes gelauscht, hat das Schönste im Leben nicht gesehen, und so kann ihm wohl die Sehnsucht darnach fremd sein.
Und wie rasch vermehrt das Unglück die Zahl der armen Waisen! Da steht ein Geschwisterpaar, ein Knabe von sechs, ein Mädchen von vier Jahren: binnen fünf Tagen sind ihnen Vater und Mutter gestorben. Was wartet ihrer, wenn Niemand sich ihrer erbarmt? Sie kommen von den liebewarmen Elternherzen fort in’s kalte Waisenhaus, und zwar im glücklichen Fall, wenn ein solches sich für sie öffnet und sie nicht an „Mindestfordernde“ in „Ziehe“, das heißt dem Elend preisgegeben werden.
Wir haben dieses Pärchen nur als ein Beispiel hingestellt; aber unsere Liste solch armer Waisen von 13/4 bis 12 Jahren, Mädchen und Knaben, ist noch gar lang!
Möchte doch in diesen Tagen, wo die Weihnachtsstimmung alle fühlenden Menschen erhebt, unsere Bitte als ein recht innig flehender Klageruf in die Herzen, die wir meinen, dringen: „O Weihnacht und kein Kind im Haus!“ Fr. Hfm.
Erklärung. In Bezug auf den in Nr. 43 und 44 unseres Blattes veröffentlichten Artikel „Unter Spitzbuben“ erklären wir in Folge vielfacher an uns gerichteter Anfragen, daß der dort geschilderte Vorfall sich in Vercelli ereignete und der verhaftete Deutsche Sprachlehrer A. Petermann heißt. Wie zu erwarten war, wurde dieser Vorgang auch von der italienischen Presse besprochen, und die „Gazetta Piemontese“ brachte vor Kurzem eine Erklärung der Sous-Präfectur in Vercelli, deren Inhalt auch wir aus freien Stücken, um allen Schein der Parteilichkeit zu vermeiden, unsern Lesern mittheilen:
Herr Petermann wurde darnach, da er im Verdacht stand, seinem Wirthe die Zeche nicht bezahlen zu wollen, verhaftet, und da sich kein Geld bei ihm vorfand, vor das Gericht geführt, welches ihn freisprach. „Inzwischen,“ schreibt die Unterpräfectur, „wurde er noch weiter in Haft gehalten auf Veranlassung der Polizeibehörde. – Nach seiner Freisprechung fragte die Behörde beim Ministerium wegen Verhaltungsmaßregeln an, da es sich um einen Ausländer handelte, welcher ohne Mittel war und verdächtig erschien. In Folge der erhaltenen Weisungen wurde Petermann mit Zwangspaß an die Grenze geschickt.“
Die Aussagen des Verhafteten über seine Behandlung im Gefängnisse werden von der Unterpräfectur für unwahr und übertrieben erklärt, im Gegentheil sollen ihm „Vorzüge“ eingeräumt worden sein, so z. B. wurde ihm der beste Raum im Gefängniß angewiesen, gesund und gut gelüftet, woselbst er sich zusammen mit vier anderen Gefangenen befand, welche dort leichte Strafen verbüßten, er hatte seinen Kamm und seine Bürsten, sowie sein Taschenmesser mit mehreren Klingen, welches ihm nach den bestehenden Vorschriften hätte entzogen werden müssen etc. Auch hätte er sich nur ein [836] einziges Mal während der Haft über Kreuzschmerzen beklagt, und da sei ihm vom Arzte ein Zugpflaster verschrieben worden, welches er aber nicht angewendet habe.
Die Unterpräfectur in Vercelli stellt, kurz gesagt, den Vorfall so dar, daß Herr Petermann kein Recht hat, sich über schlechte Behandlung zu beklagen, sondern eigentlich verpflichtet sein müßte, für die ausnahmsweise ihm gewährten Vorzüge sich zu bedanken.
Indem wir von dieser Widerlegung, die uns nur durch die „Gazetta Piemontese“ bekannt wurde, schon jetzt freiwillig Notiz nehmen, theilen wir noch mit, daß auch wir unsererseits die zuständigen Behörden um genaue Auskunft in dieser Angelegenheit ersucht haben.
Für die Nothleidenden in der Eifel gingen nachträglich ein: C. V. Engelhardt in Hannover M. 3; Ungenannt in Lübeck M. 1; Clara Winter M. 5; Conrad Wenzel und Freunde in Caernarvon in Süd-Afrika M. 221.50; Jul. Cäcilie Schmidt in Bückeburg M. 6; Verein junger Kaufleute in Greifswald M. 34; O. St. in Aachen M. 1; Hüffer u. Comp. in Leipzig M. 30; Elsa von U. in Stuttgart M. 50; J. G. in Wolfenbüttel M. 10; Julius und Max in Graaff-Reinet, Cape-Colony M. 20; Dr. Th. Forßmann in Straßburg im Elsaß ein Sack Kleidungsstücke.
Im Ganzen kamen uns an Geldspenden für die Eifel-Bewohner zu:
Laut | Quittung | in | „Gartenlaube“ | 1883, | Nr. 20 | M. | 2627.95. |
" | " | " | " | " | " | 23" | 3618.45. |
" | " | " | " | " | " | 33" | 1557.77. |
" | obiger | Quittung | . | . | . | " | 381.50. |
Zusammen | M. | 8185.67. |
Hiervon erhielten durch gefällige Vermittelung des Herrn Professor Dr. Adolf Ebeling in Köln die Orte Adenau M. 800; Bernkastel M. 150; Bracht M. 100; Büllingen M. 300; Burg-Reuland M. 300; Elsenborn M. 300; Esch M. 100; Hallschlag M. 150; Hermeskeil M. 150; Herresbach M. 100; Kell M. 150; Lützkampen M. 300; Manderfeld M. 200; Mayen M. 500; Neuenahr M. 100; Neuerburg M. 300; Neundorf M. 150; Nieder-Emels M. 150; Revat M. 100; Rodt M. 300; Schalkenmehren M. 500; Schmidtheim M. 200; Stadtkyll M. 400; Udenbreth M. 300; Züsch M. 300; Zweifall M. 100, in Summa M. 6500.
Ferner wurden zur Vertheilung gesandt:
An | den | Vaterländischen Frauen-Verein in Neuß | M. | 500.–.
" | Herrn | Franz Hesemann in Neuß | " | 400.–.
" | " | Baumeister Pickel in Düsseldorf | " | 585.67.
" | " | Professor E. Deger in Düsseldorf | " | 150.–.
M. 8135.67. |
Hierzu die Spesen, welche den die Vertheilung der Gelder, Kleidungsstücke etc. bewirkenden Herren für Porto und Fracht erwachsen sind M. 50.–.
Zusammen wie oben M. 8185.65.
Bei der Vertheilung der Eifelgelder – so schreibt uns Herr Professor Dr. Ebeling in seinem ausführlichen Bericht – haben wir von der Ueberweisung derselben an das Hauptunterstützungscomité, oder an die Nebencomités Abstand genommen und die betreffenden Summen immer direct übermittelt, zunächst an die Herren Landräthe, Pfarrer, Bürgermeister und Ortsvorsteher der verschiedenen und zwar stets der bedürftigsten Gemeinden, und einzelne größere Summen an solche Vertrauenspersonen, die mit den dortigen Verhältnissen genau bekannt sind und die dann ihrerseits eine speciellere Vertheilung übernahmen. Daß wir auf diese Weise, bei verhältnißmäßig nur geringen Mitteln, den richtigsten Weg eingeschlagen und das praktisch günstigste Resultat erzielt haben, geht aus sämmtlichen, den Quittungen beigelegten Zuschriften hervor. Fast immer wurden Kartoffeln und Brodkorn (vorwiegend Hafer und Gerste) gekauft und vertheilt, baares Geld dagegen weit weniger und gewöhnlich nur an Handwerker und kleine Bauern zur Anschaffung nothwendiger Arbeitsgeräthe u. dergl. An anderen Orten konnte der sehr karge Tagelohn durch diese Beihülfe auf längere Zeit um einige Groschen täglich erhöht werden, und die ganz arbeitsunfähigen Armen wurden an die nun reichlicher versehenen Volksküchen und Suppenanstalten verwiesen. In vielen Dorfschulen hatten auch die Pfarrer Kaffeeküchen für die Kinder eingerichtet, von denen gar viele den oft stundenlangen Schulgang nüchtern und nur nothdürftig bekleidet zurücklegen müssen. Rührend sind die einzelnen Dankesbriefe, in welchen gar häufig betont wird, daß man sich im übrigen Deutschland nur schwer einen Begriff von der Bedeutung einer Summe von 50 oder gar von 100 Mark machen könne und von dem dadurch erzielten Nutzen bei richtiger Verwendung. Vielfach ist es auch vorgekommen, daß einzelne Gemeinden die erhaltenen Gelder mit ihren unberücksichtigt gebliebenen Nachbargenmeinden (denn unmöglich konnten alle bedacht werden!) brüderlich getheilt haben. Mit den übrigen Liebesgaben an Kleidungsstücken und sonstigen Effecten, die überall höchst willkommen waren, und mit den Victualien etc. ist es ähnlich geschehen.
Wir dürfen daher allen an diesem Liebeswerke Betheiligten aus voller Ueberzeugung versichern, daß die Gelder, so weit an uns war, ganz in dem Sinne verwendet worden sind, wie sie uns anvertraut wurden.
„Gottes reicher Segen allen hochherzigen Gebern!“ so lautet fast immer der Schluß der herzlichen und oft sehr rührenden Zuschriften – und auch wir wüßten diese Notiz mit keinen besseren Worten zu schließen.
Nochmals auf Leipzigs Schreber-Plätzen. Gewiß werden sich viele unserer Leser des Artikels „Auf Leipzigs Schreber-Plätzen“ in Nr. 23 d. Jahrg. erinnern. Es wurde darin erwähnt, daß diese wichtige Angelegenheit demnächst in einem besonderen Schriftchen eingehend behandelt werden würde. Diese Schrift ist jetzt im Verlage von Friedrich Fleischer in Leipzig erschienen unter dem Titel; „Spielplätze und Erziehungsvereine. Praktische Winke zur Förderung harmonischer Jugenderziehung nach dem Vorbilde der Leipziger Schreber-Vereine. Von Eduard Mangner. Mit Schreber’s Portrait.“ Der Verfasser ist seit Jahren Vorsitzender des Schreber-Vereins der Leipziger Südvorstadt. In lebhafter, eingehender Darstellung zeigt er zunächst, welche Verdienste Dr. Schreber und Dr. Hauschild um eine gesunde Jugenderziehung haben, und schildert sodann in klarer Weise, wie in den Leipziger Schreber-Vereinen diese Ideen praktisch durchgeführt werden. Dieser zweite Theil des Schriftchens bringt genaue Anleitung zur Anlegung von Spielplätzen, Kosten derselben etc. Allen Eltern und Lehrern, allen Kinderfreunden, namentlich auch den Aerzten und Behörden sei dieses praktische Schriftchen angelegentlich empfohlen. Möge es dazu helfen, daß an recht vielen Orten Spielplätze für die Jugend und Erziehungsvereine im Sinne Schreber’s in’s Leben treten.
Für das deutsche Forstwaisenhaus kamen der Verlagshandlung der „Gartenlaube“ ferner zu:
W. Ruß in Farve M. 3; gesammelt im Kreise der Forstschutzbeamten der Majoratsforsten in Ostrometzko M. 6; Heinrich Scheel in Stralsund M. 10; P. T. in Berlin M. 2; gesammelt beim „schweren Wagner“ in Kirchen M. 10; Lehrer Gleine in Zeitz M. 3; H. Gr. in Magdeburg M. 3; Aug. Melsheimer in Laasphe M. 20; Ferdinand Kahn in Frankfurt am Main M. 20; von Zweien, die auch einmal verwaist waren M. 20; Heinrich Scheel in Stralsund (zweiter Beitrag) M. 10; von Jägern und Jagdfreunden gesammelt bei einem Scheibenschießen im Schutzbezirke Aulgasse bei Siegburg M. 17; für Fehlschüsse bei einer Treibjagd gesammelt von Kaufmann Stendel in Loewen M. 10; Ungenannt in Wassili Rubel 10 = M. 19.80; „wenig, aber von Herzen“ M. 1; von einer Freundin des Waldes M. 3; Poststempel Leutkirch M. 5; Gustav Henkel in Köln M. 5; Y. M. 5; A. R. in Stettin M. 3; E. in M. M. 3; ein getroffener Fasanenhahn M. 1; H. von A. in Stuttgart M. 1.50; J. P. und C. S. in Kaiserslautern M. 13; Insulaner-Riege in Leipzig M. 30; Strafe für Fehlschüsse auf einer Hühnerjagd M. 2.50; von einem Menschenfreunde in Darmstadt M. 100.
Summa vorstehender Quittung | M. 326.80, |
laut Quittung in Nr. 33 der „Gartenlaube“ | " | 212.–,
M. 538.80. |
Außerdem gingen ein bei Herrn Amtsvorsteher Niemeyer in Groß-Schönebeck:
Unter Forstbeamten gesammelt von Oberförster Höxter M. 30; Wollenhaupt in Tharandt, gesammelt unter Forstakademikern im Gasthofe zur „Tanne“ M. 10; für Fehlschüsse auf einer Jagd zu Dölitz durch Forstmeister von Schrötter in Stettin M. 13.35; Pianofortefabrikant Emmer in Magdeburg ein neues Harmonium; Pianofortefabrikant Weidenstaufer in Berlin ein neues Pianino.
Kleiner Briefkasten.
Ein Auswanderungslustiger in Tuttlingen. In den Aufsätzen „Im Congoland“ ist gar nicht die Rede von am Congo existirenden Colonien. Es giebt dort keine Colonie und für Leute, die sich dort etwa durch eigener Hände Arbeit eine Zukunft gründen, Ackerbau treiben wollen, ist nichts zu hoffen. Das Klima ist ungesund und gestattet dem Europäer nicht, dauernd körperliche Arbeiten zu verrichten; das Land ist eine Wildniß; die Eingeborenen haben noch nicht gelernt, regelmäßig zu arbeiten. Ansiedler im landläufigen Sinne wären dort verloren. Die im Küstengebiet des Congo lebenden Europäer beschränken sich auf ihre Factoreien, wo sie Tauschhandel mit den Eingeborenen treiben. Anlegung von Plantagen wäre möglich; doch gehören dazu bedeutende Mittel und die Lösung der Arbeiterfrage würde überaus schwierig sein. Derartiges könnte überdies nur von Männern unternommen werden, die bereits große Erfahrung in afrikanischen Dingen besitzen.
Friedrich R. in Detmold. Die Beschreibung und Abbildung der verschiedenen Canarienvogelrassen haben Sie jedenfalls in der „Gartenlaube“ Jahrgang 1879 in dem Artikel „Gefärbte Vögel“ gefunden. Farbige Abbildungen derselben hat bis jetzt noch kein deutsches Buch, sondern nur „The Illustrated Book of Canaries and Cage-Birds“ (London 1879) gebracht; die genaue Beschreibung nebst Anleitung zur Verpflegung und Züchtung der englischen Farbenvögel, der belgischen Rasse und vor Allem des Harzer Kanarienvogels bietet das Buch „Der Kanarienvogel“ von Dr. Karl Ruß, welches soeben in vierter Auslage erschienen ist. Sein Preis beträgt 2 Mark. Bezugsquellen zum Einkauf guter Kanarienvögel finden Sie zahlreich gleichfalls in dem Buche angegeben.
F. M. in R., Rußland. Derartige Anfragen kann nur der Arzt beantworten, der den Kranken persönlich untersucht.
Langjähriger Abonnent in Mainz. Die von Ihnen bezeichneten Medicamente sind nicht empfehlenswerth.
Inhalt: Glockenstimmen. Von Stefanie Keyser (Fortsetzung). S. 821. – Weihnachts-Erinnerungen aus den Tropen. S. 827. Mit Illustration. S. 825. – Es war in der heiligen Christnacht. Gedicht von Karl Wilhelmi. S. 828. – Die Regeneration Aegyptens, speciell in Bezug auf den Sclavenhandel. Von Adolf Ebeling. S. 828. – Vorbereitungen zum Christabend. Illustration von J. R. Wehle, S. 829. – Jäger-Weihnachten im Hochgebirge. Von B. Rauchenegger. S. 832. Mit Illustrationen. S. 832 und 833. – Die Kunst, Geld zu machen (Schluß). Von Leopold Katscher. S. 834. – Blätter und Blüthen: O Weihnacht und kein Kind im Haus! – Erklärung. S. 835. – Für die Nothleidenden in der Eifel. Von Prof. Dr. A. Ebeling. – Nochmals auf Leipzigs Schreber-Plätzen. – Für das deutsche Forstwaisenhaus. – Kleiner Briefkasten. S. 836.
- ↑ Im Volke so genannt, weil sie aus der zolldicken Haut des Nilpferdes geschnitten wird. Sie ist unverwüstlich und geschmeidig wie der feinste Stahl.
- ↑ Die „Gartenlaube“ selbst, auch auf diesem Gebiete, wie auf so manchem anderen, echt philanthropisch, hat schon mehrfach darauf bezügliche Schilderungen gebracht (unter Anderen von dem verstorbenen Baron von Maltzahn) und mehr als eine Lanze für die armen Sclaven, als gleichberechtigte Mitglieder der großen Menschenfamilie, eingelegt.
- ↑ „Reiseskizzen aus Nordost-Afrika“ (Aegypten, Nubien, Kordofan etc.) von Dr. Alfred Brehm, ein umfang- und lehrreiches und zugleich sehr unterhaltendes dreibändiges Werk, das kaum noch antiquarisch zu haben ist und das wohl eine neue Auflage verdiente. Es ist eine wahre Fundgrube für die nähere Kenntniß jener Länder, und fast alle neueren Schriftsteller (ich selbst, woraus ich gar kein Hehl mache) haben mehr oder weniger daraus geschöpft.
- ↑ Ein namhaftes rheinisches Blatt sprach sogar schon, und das ganz ernsthaft, von einem nahe bevorstehendem Angriffe des Mahdi auf das Nildelta!
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Sllavenhandels