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Die Gartenlaube (1885)/Heft 38

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1885
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[613]

No. 38.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Unterm Birnbaum.

von Th. Fontane.
(Fortsetzung.)


12.

Eine Woche war vergangen, in der die Tschechiner viel erlebt hatten. Das Wichtigste war: Hradscheck, nachdem er noch ein Küstriner Schlußverhör durchgemacht hatte, war wieder da. Schlicht und unbefangen, ohne Lücken und Widersprüche, waren die Dunkelheiten aufgeklärt worden, sodaß an seiner Unschuld nicht länger zu zweifeln war. Es seien ihm, so hieß es in seiner vor Vowinkel gemachten Aussage, durch Unachtsamkeit, deren er sich selber zu zeihen habe, mehrere große Speckseiten verdorben, und diese möglichst unbemerkt im Garten zu vergraben, hab’ er an jenem Tage vorgehabt. Er sei denn auch, gleich nachdem seine Gäste die Weinstube verlassen hätten, ans Werk gegangen und habe, genauso wie’s die Jeschke gesehn und erzählt, an dem alten Birnbaum ein Loch zu graben versucht, als er aber erkannt habe, daß da was verscharrt liege, ja, dem Anscheine nach ein Todter, hab’ ihn eine furchtbare Angst gepackt, in Folge deren er nicht weiter gegraben, sondern das Loch rasch wieder zugeschüttet habe. Der Koffer aber, den die Jeschke gesehen haben wolle, das seien eben jene Speckseiten gewesen, die, dicht übereinander gepackt, an der Gartenthür gelegen hätten. „Aber wozu die Heimlichkeit und die Nacht?“ hatte Vowinkel nach dieser Erklärung etwas spitz gefragt, worauf Hradscheck, in seiner Erzählung fortfahrend, ohne Verlegenheit und Unruhe geantwortet hatte: „Zu dieser Heimlichkeit seien für ihn zwei Gründe gewesen. Erstens hab’ er sich die Vorwürfe seiner Frau, die nur zu geneigt sei, von seiner Unachtsamkeit in Geschäftsdingen zu sprechen, ersparen wollen. Und er dürfe wohl hinzusetzen, wer verheirathet sei, der kenne das und wisse nur zu gut, wie gerne man sich solchen Anklagen und Streitscenen entziehe. Der zweite Grund aber sei noch wichtiger gewesen: die Rücksicht auf die Kundschaft. Die Bauern, wie der Herr Justizrath ja wisse, seien die schwierigsten Leute von der Welt, ewig voll Mißtrauen, und wenn sie derlei Dinge, wie Schinken und Speck, auch freilich nicht in seinem Laden zu kaufen pflegten, weil sie ja genug davon im eignen Rauch hätten, so zögen sie doch gleich Schlüsse vom einen aufs andre. Dergleichen hab’ er mehr als einmal durchgemacht und dann wochenlang aller Ecken und Enden hören müssen, er passe nicht auf. Ja, noch letzten Herbst, als ihm ganz ohne seine Schuld eine Tonne Heringe thranig geworden sei, habe Schneidigel überall im Dorfe geputscht und unter anderm zu Quaas und Kunicke gesagt: „Uns wird er damit nicht kommen; aber die kleinen Leute; die, die …“

Der Justizrath hatte hierbei gelächelt und zustimmend genickt, weil er die Bauern fast so gut wie Hradscheck kannte, so daß, nach Erledigung auch dieses Punktes, eigentlich nichts übriggeblieben war als die Frage, „was denn nun, unter so bewandten Umständen, aus dem durchaus zu beseitigenden Speck

Karl Reinecke.

[614] geworden sei?“ Welche Frage jedoch nur dazu beigetragen hatte, Hradscheck’s Unschuld vollends ins Licht zu stellen. „Er habe die Speckseiten an demselben Morgen noch an einer andern Gartenstelle verscharrt; gleich nach Szulski’s Abreise.“ „Nun, wir werden ja sehn,“ hatte Vowinkel hierauf geantwortet und einen seiner Gerichtsdiener abgeschickt, um sich in Tschechin selbst über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Aussage zu vergewissern. Und als sich nun in kürzester Frist alles bestätigt oder mit anderen Worten der vergrabene Speck wirklich an der von Hradscheck angegebenen Stelle gefunden hatte, hatte man das Verfahren eingestellt, und an demselben Nachmittage noch war der unter so schwerem Verdacht Gestandene nach Tschechin zurückgekehrt und in einer stattlichen Küstriner Miethschaise vor seinem Hause vorgefahren. Ede, ganz verblüfft, hatte nur noch Zeit gefunden, in die Wohnstube, darin sich Frau Hradscheck befand, hineinzurufen: „Der Herr, der Herr …“, worauf Hradscheck selbst mit der ihm eignen Jovialität und unter dem Zurufe „Nun, Ede, wie geht’s?“ in den Flur seines Hauses eingetreten, aber freilich im selben Augenblick auch schon mit einem erschreckten „was is, Frau?“ zurückgefahren war. Ein Ausruf, den er wohl thun durfte. Denn gealtert, die Augen tief eingesunken und die Haut wie Pergament, so war ihm Ursel unter der Thür entgegengetreten.

*               *
*

Hradscheck war da, das war das eine Tschechiner Ereigniß. Aber das andre stand kaum dahinter zurück: Eccelius hatte, den Sonntag darauf, über Sacharja 7, Vers 9 und 10 gepredigt, welche Stelle lautete: „So spricht der Herr Zebaoth: Richtet recht, und ein Jeglicher beweise an seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit. Und thut nicht Unrecht den Fremdlingen und denke keiner wider seinen Bruder etwas Arges in seinem Herzen.“ Schon bei Lesung des Textes und der sich daran knüpfenden Einleitungsbetrachtung hatten die Bauern aufgehorcht, als aber der Pastor das Allgemeine fallen ließ und, ohne Namen zu nennen, den Hradscheckschen Fall zu schildern und die Trüglichkeit des Scheines nachzuweisen begann, da gab sich eine Bewegung kund, wie sie seit dem Sonntag (es ging nun ins fünfte Jahr), an welchem Eccelius auf die schweren sittlichen Vergehen eines als Bräutigam vor dem Altar stehenden reichen Bauernsohnes hingewiesen und ihn zu besserem Lebenswandel ermahnt hatte, nicht mehr dagewesen war. Beide Hradschecks waren in der Kirche zugegen und folgten jedem Worte des Geistlichen, der heute viel Bibelsprüche citirte, mehr noch als gewöhnlich. Dabei gab er dem Korintherspruche: „Richtet nicht vor der Zeit“ und dann dem andern „Und richtet nicht nach dem Ansehn“ eine besondere Betonung.

Es war unausbleiblich, daß diese Rechtfertigungsrede zugleich zur Anklage gegen alle diejenigen wurde, die sich in der Hradscheck-Sache so wenig freundnachbarlich benommen und durch allerhand Zuträgereien entweder ihr Uebelwollen oder doch zum Mindesten ihre Leichtfertigkeit und Unüberlegtheit gezeigt hatten. Wer in erster Reihe damit gemeint war, konnte nicht zweifelhaft sein, und vieler Augen, nur nicht die der Bauern, die, wie herkömmlich, keine Miene verzogen, richteten sich auf die mitsammt ihrem „Lineken“ auf der vorletzten Bank sitzende Mutter Jeschke, der Kanzel grad’ gegenüber, dicht unter der Orgel. Line, sonst ein Muster von Nichtverlegenwerden, wußte doch heute nicht wohin und verwünschte die alte Hexe, neben der sie das Kreuzfeuer so vieler Augen aushalten mußte. Mutter Jeschke selbst aber nickte nur leise mit dem Kopf, wie wenn sie jedes Wort billige, das Eccelius gesprochen, und sang, als die Predigt aus war, den Schlußvers ruhig mit. Ja sie blieb selbst unbefangen, als sie draußen, an den zu beiden Seiten des Kirchhofweges stehenden Frauen vorbeihumpelnd, erst die vorwurfsvollen Blicke der Aelteren und dann das Kichern der Jüngeren über sich ergehen lassen mußte.

Zu Hause sagte Line: „Das war eine schöne Geschichte, Mutter Jeschke. Hätte mir die Augen aus dem Kopf schämen können.“

„Bis doch sünnst nich so.“

„Ach was, sünnst. Hat er Recht oder nicht? Ich meine, der Alte drüben?“

„Ick weet nich, Line,“ beschwichtigte die Jeschke. „He möt et joa weeten.“


13.

„He möt et joa weeten,“ hatte die Jeschke gesagt und damit ausgesprochen, wie sie wirklich zu der Sache stand. Sie mißtraute Hradscheck nach wie vor, aber der Umstand, daß Eccelius von der Kanzel her eine Rechtfertigungsrede für ihn gehalten hatte, war doch nicht ohne Eindruck auf sie geblieben und veranlaßte sie, sich einigermaßen zweifelvoll gegen ihren eigenen Argwohn zu stellen. Sie hatte Respekt vor Eccelius, trotzdem sie kaum weniger als eine richtige alte Hexe war und die heiligen Handlungen der Kirche ganz nach Art ihrer sympathetischen Kuren ansah. Alles, was in der Welt wirkte, war Sympathie, Besprechung, Spuk, aber dieser Spuk hatte doch zwei Quellen, und der weiße Spuk war stärker als der schwarze. Demgemäß unterwarf sie sich denn auch (und zumal wenn er von Altar oder Kanzel her sprach) dem den weißen Spuk vertretenden Eccelius, ihm so zu sagen die sichrere Bezugsquelle zugestehend. Unter allen Umständen aber suchte sie mit Hradscheck wieder auf einen guten Fuß zu kommen, weil ihr der Werth einer guten Nachbarschaft einleuchtete. Hradscheck seinerseits, statt den Empfindlichen zu spielen, wie manch anderer gethan hätte, kam ihr dabei auf halbem Weg entgegen und war überhaupt von so viel Unbefangenheit, daß, ehe noch die Fastelabend-Pfannkuchen gebacken wurden, die ganze Szulski–Geschichte so gut wie vergessen war. Nur Sonntags im Kruge kam sie noch dann und wann zur Sprache.

„Wenn man wenigstens de Pelz wedder in die Hücht käm …“

„Na, Du wührst doch den Pohlschen sien’ Pelz nich antrecken wulln?“

„Nich antrecken? Worümm nich? Dat de Pohlsche drinn wihr, dat deiht em nix. Un mi ook nich. Un wat sünnst noch drin wihr, na, dat wahrd nu joa woll rut sinn.“

„Joa, joa. Dat wahrd nu joa woll rut sinn.“

Und dann lachte man und wechselte das Thema.

Solche Scherze bildeten die Regel und nur selten war es, daß irgend wer ernsthaft auf den Fall zu sprechen kam und bei der Gelegenheit seine Verwunderung ausdrückte, daß die Leiche noch immer nicht angetrieben sei. Dann aber hieß es, „der Todte lieg’ im Schlick, und der Schlick gäbe nichts heraus, oder doch erst nach 50 Jahren, wenn das angeschwemmte Vorland Acker geworden sei. Dann würd’ er wohl mal beim Pflügen gefunden werden, gerad so wie der Franzose gefunden wär’.“

Ja, gerade so wie der Franzose, der jetzt überhaupt die Hauptsache war, viel mehr als der mit seinem Fuhrwerk verunglückte Reisende, was eigentlich auch nicht Wunder nehmen konnte. Denn Unglücksfälle wie der Szulskische waren häufig, oder wenigstens nicht selten, während der verscharrte Franzos unterm Birnbaum alles Zeug dazu hatte, die Fantasie der Tschechiner in Bewegung zu setzen. Allerlei Geschichten wurden ausgesponnen, auch Liebesgeschichten, in deren einer es hieß, daß Anno 13 ein in eine hübsche Tschechinerin verliebter Franzose beinah täglich von Küstrin her nach Tschechin gekommen sei, bis ihn ein Nebenbuhler erschlagen und verscharrt habe. Diese Geschichte ließen sich auch die Mägde nicht nehmen, trotzdem sich ältere Leute sehr wohl entsannen, daß man einen Chasseur- oder nach andrer Meinung einen Voltigeur-Korporal einfach wegen zu scharfer Fouragirung bei Seite gebracht und still gemacht habe. Diese Besserwissenden drangen aber mit ihrer Prosa-Geschichte nicht durch, und unter allen Umständen blieb der Franzose Held und Mittelpunkt der Unterhaltung.

All das kam unsrem Hradscheck zu statten. Aber was ihm noch mehr zu statten kam, war das, daß er denselben „Franzosen unterm Birnbaum“ nicht bloß zu Wiederherstellung, sondern sogar zu glänzender Aufbesserung seiner Reputation zu benutzen verstand.

Und das kam so.

Nicht allzu lange nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft war in einer Kirchen-Gemeinderathssitzung, der Eccelius in Person präsidirte, davon die Rede gewesen, dem Franzosen auf dem Kirchhof ein christliches Begräbniß zu gönnen. „Der Franzose sei zwar,“ so hatte sich der den Antrag stellende Kunicke geäußert, „sehr wahrscheinlich ein Katholscher gewesen, aber man dürfe das so genau nicht nehmen; die Katholschen seien bei Licht besehen auch Christen, und wenn einer schon so lang in der Erde gelegen habe, dann sei’s eigentlich gleich, ob er den gereinigten Glauben gehabt habe oder nicht.“ Eccelius hatte dieser echt Kunickeschen Rede, wenn auch selbstverständlich unter Lächeln, zugestimmt, und die Sache war schon als [615] angenommen und erledigt betrachtet worden, als sich Hradscheck im letzten Augenblick noch zum Worte gemeldet hatte. „Wenn der Herr Prediger das Begräbniß auf dem Kirchhofe, der, als ein richtiger christlicher Gottesacker, jedem Christen, evangelisch oder katholisch, etwas durchaus Heiliges sein müsse, für angemessen oder gar für pflichtmäßig halte, so könne es ihm nicht einfallen, ein Wort dagegen sagen zu wollen, wenn es aber nicht ganz so liege, mit andern Worten, wenn ein Begräbniß daselbst nicht absolut pflichtmäßig sei, so spräch’ er hiermit den Wunsch aus, den Franzosen in seinem Garten behalten zu dürfen. Der Franzose sei so zu sagen sein Schutzpatron geworden, und kein Tag ginge hin, ohne daß er desselben in Dankbarkeit und Liebe gedenke. Das sei das, was er nicht umhin gekonnt habe hier auszusprechen, und er setze nur noch hinzu, daß er, gewünschten Falles, die Stelle mit einem Gitter versehen oder mit einem Buchsbaum umziehn wolle.“ Die ganze Rede hatte Hradscheck mit bewegter und die Dankbarkeitsstelle sogar mit zitternder Stimme gesprochen, was eine große Wirkung auf die Bauern gemacht hatte.

„Bist ein braver Kerl,“ hatte der, wie alle Frühstücker, leicht zum Weinen geneigte Kunicke gesagt und eine Viertelstunde später, als er Woytasch und Eccelius bis vor das Pfarrhaus begleitete, mit Nachdruck hinzugesetzt: „Un wenn’s noch ein Russe wär! Aber das is ihm all eins, Russ’ oder Franzos. Der Franzos hat ihm geholfen und nu hilft er ihm wieder und läßt ihn eingittern. Oder doch wenigstens eine Rabatte ziehn. Und wenn es ein Gitter wird, so hat er’s nich unter 20 Thaler. Und da rechne ich noch keinen Anstrich und keine Vergoldung.“

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*

Das alles war Mitte März gewesen, und vier Wochen später, als die Schwalben zum ersten Male wieder durch die Dorfgasse hinschossen, um sich anzumelden und zugleich Umschau nach den alten Menschen und Plätzen zu halten, hatte Hradscheck ein Zwiegespräch mit Zimmermeister Buggenhagen, dem er bei der Gelegenheit eine Planzeichnung vorlegte.

„Sehen Sie, Buggenhagen, das Haus ist überall zu klein, überall ist angebaut und angeklebt, die Küche dicht neben dem Laden, und für die Fremden ist nichts da, wie die zwei Giebelstuben oben. Das ist zu wenig, ich will also ein Stock aufsetzen. Was meinen Sie? Wird der Unterbau ein Stockwerk aushalten?“

„Was wird er nicht!“ sagte Buggenhagen. „Natürlich Fachwerk!“

„Natürlich Fachwerk!“ wiederholte Hradscheck. „Auch schon der Kosten wegen. Alle Welt thut jetzt immer, als ob meine Frau zum mindesten ein Rittergut geerbt hätte. Ja, hat sich was mit Rittergut. Erbärmliche tausend Thaler.“

„Na, na.“

„Nu sagen wir zwei,“ lachte Hradscheck. „Aber mehr nicht, auf Ehre. Und daß davon keine Seide zu spinnen ist, das wissen Sie. Keine Seide zu spinnen und auch keine Paläste zu bauen. Also so billig wie möglich, Buggenhagen. Ich denke, wir nehmen Lehm als Füllung. Stein ist zu schwer und zu theuer, und was wir dadurch sparen, das lassen wir der Einrichtung zu Gute kommen. Ein paar Oefen mit weißen Kacheln, nicht wahr? Ich habe schon an Feilner geschrieben und angefragt. Und natürlich alles Tapete! Sieht immer nach ’was aus und kann die Welt nicht kosten. Ich denke, weiße; das ist am saubersten und zugleich das Billigste.“

Buggenhagen hatte zugestimmt und gleich nach Ostern mit dem Umbau begonnen.

Und nicht allzu lange, das Wetter hatte den Bau begünstigt, so war das Haus, das nun einen aufgesetzten Stock hatte, wieder unter Dach. Aber es war das alte Dach, die nämlichen alten Steine, denn Hradscheck wurde nicht müde Sparsamkeit zu fordern und immer wieder zu betonen, „daß er nach wie vor ein armer Mann sei“.

Vier Wochen später standen auch die Feilnerschen Oefen, und nur hinsichtlich der Tapete waren andere Beschlüsse gefaßt und statt der weißen ein paar buntfarbige gewählt worden.

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*

Anfangs, so lange das Dach-Abdecken dauerte, hatte Hradscheck in augenscheinlicher Nervosität immer zur Eile angetrieben, und erst als die rechts nach der Kegelbahn hin gelegene Giebelwand eingerissen und statt der Stuben oben nur noch das Balken- und Sparrenwerk sichtbar war, hatte sich seine Hast und Unruhe gelegt und Aufgeräumtheit und gute Laune waren an Stelle derselben getreten. In dieser guten Laune war und blieb er auch und nur ein einziger Tag war gewesen, der ihm dieselbe gestört hatte.

„Was meinen Sie, Buggenhagen,“ hatte Hradscheck eines Tages gesagt, als er eine aus dem Keller heraufgeholte Flasche mit Portwein aufzog. „Was meinen Sie, ließe sich nicht der Keller etwas höher wölben? Natürlich nicht der ganze Keller. Um Gottes willen nicht, da blieb am Ende kein Stein auf dem andern, und Laden und Wein- und Wohnstube, kurzum alles müßte verändert und auf einen andern Leisten gebracht werden. Das geht nicht. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir das Mittelstück, das grad unter dem Flur hinläuft, etwas höher legen könnten. Ob die Diele dadurch um zwei Fuß niedriger wird, ist ziemlich gleichgültig; denn die Fässer, die da liegen, haben immer noch Spielraum genug, auch nach oben hin, und stoßen nicht gleich an die Decke.“

Buggenhagen widersprach nie, theils aus Klugheit, theils aus Gleichgültigkeit, und das Einzige was er sich dann und wann erlaubte, waren halbe Vorschläge, hinsichtlich deren es ihm gleich war, ob sie gutgeheißen oder verworfen wurden. Und so verfuhr er auch diesmal wieder und sagte: „Versteht sich, Hradscheck. Es geht. Warum soll es nicht gehn? Es geht alles. Und der Keller ist auch wirklich nicht hoch genug (ich glaube keine fünftehalb Fuß) und die Fenster viel zu klein und zu niedrig; alles wird stockig und multrig. Muß also gemacht werden. Aber warum gleich wölben? Warum nicht lieber ausschachten? Wenn wir zehn Fuhren Erde raus nehmen, haben wir überall fünf Fuß im ganzen Keller und kein Mensch stößt sich mehr die kahle Platte. Nach oben hin wölben macht blos Kosten und Umstände. Wir können eben so gut nach unten gehn.“

Hradscheck, als Buggenhagen so sprach, hatte, während er die Farbe wechselte, sich momentan gefragt, „ob das alles vielleicht was zu bedeuten habe?“ Bald aber von des Sprechenden Unbefangenheit überzeugt, war ihm seine Ruhe zurückgekehrt.

„Wenn ich mir’s recht überlege, Buggenhagen, so lassen wir’s. Wir müssen auch an das Grundwasser denken. Und ist es so lange so gegangen, so kann’s auch noch weiter so gehn. Und am Ende, wer kommt denn in den Keller? Ede. Und der hat noch lange keine fünf Fuß.“

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*

Das war einige Zeit vor Beginn der Manöver gewesen, und wenn etwas davon ein paar Tage lang verstimmend nachgewirkt hatte, so verschwand es rasch wieder, als Anfang September die Truppenmärsche begannen und die Schwedter Dragoner als Einquartierung ins Dorf kamen. Das Haus voller Gäste zu haben, war überhaupt Hradscheck’s Freude, der liebste Besuch aber war ihm Militär, Rittmeister und Lieutenants, die nicht nur ihre Flasche tranken, sondern auch allerlei wußten und den Mund auf dem rechten Fleck hatten. Einige verschworen sich, daß ein Krieg ganz nahe sei. Kaiser Nikolaus, Gott sei Dank, sei höchst unzufrieden mit der neuen französischen Wirthschaft, und der unsichere Passagier, der Louis Philipp, der doch eigentlich bloß ein Waschlappen und halber Cretin sei, solle mit seiner ganzen Konstitution wieder bei Seite geschoben und statt seiner eine bourbonische Regentschaft eingesetzt oder vielleicht auch der vertriebene Karl X. wieder zurückgeholt werden, was eigentlich das Beste sei. Kaiser Nikolaus habe Recht, überhaupt immer Recht. Konstitution sei Unsinn und das ganze Bürgerkönigthum die reine Phrasendrescherei.

Wenn so das Gespräch ging, ging unserm Hradscheck das Herz auf, trotzdem er eigentlich für Freiheit und Revolution war. Wenn es aber Revolution nicht sein konnte, so war er auch für Tyrannei. Bloß gepfeffert mußte sie sein. Aufregung, Blut, Todtschießen, – wer ihm das leistete, war sein Freund, und so kam es, daß er über Louis Philipp mit zu Gerichte saß, als ob er die hyperloyale Gesinnung seiner Gäste getheilt hätte. Nur von Ede sah er sich noch übertroffen, und wenn dieser durch die Weinstube ging und ein neues Gericht oder eine neue Flasche brachte, so lag allemal ein dümmliches Lachen auf seinem Gesicht, wie wenn er sagen wollte: „Recht so, ’runter mit ihm; alles muß um einen Kopf kürzer gemacht werden.“ Ein paar blutjunge [616] Lieutenants, die diese komische Raserei wahrnahmen, amüsirten sich herzlich über ihn und ließen ihn abwechselnd vor- oder mittrinken, was alsbald dahin führte, daß der für gewöhnlich so schüchterne Junge ganz aus seiner Reserve heraustrat und sich gelegentlich selbst mit dem sonst so gefürchteten Hradscheck auf einen halben Unterhaltungsfuß stellte.

„Da, Herr,“ rief er eines Tages, als er gerade mit einem Korbe voll Flaschen wieder aus dem Keller heraufkam. „Da, Herr; das hab’ ich eben unten gefunden.“ Und damit schob er Hradscheck einen schwarzübersponnenen Knebelknopf zu. „Sind solche, wie der Pohlsche an seinem Rock hatte.“

Hradscheck war kreideweiß geworden und stotterte: „Ja, hast Recht, Ede. Das sind solche. Hast Recht. Das heißt, die von dem Pohlschen, die waren größer. Solche kleine wie die hatte Hermannchen an seinem Pelzrock. Uns’ Lütt-Hermann. Weißt Du noch? Aber nein, da warst Du ja noch garnicht hier. Bring’ ihn meiner Frau; vergiß nicht. Oder gieb ihn mir lieber wieder; ich will ihn ihr selber bringen.“

Ede ging, und die zunächst sitzenden jungen Officiere, die Hradscheck’s Erregung wahrgenommen, aber nicht recht wußten, was sie daraus machen sollten, standen auf und wandten sich einem Gespräch mit andren Kameraden zu.

*               *
*

Auch Hradscheck erhob sich. Er hatte den Knebelknopf zu sich gesteckt und ging in den Garten, ärgerlich gegen den Jungen, am ärgerlichsten aber gegen sich selbst.

„Gut, daß es Fremde waren, und noch dazu solche, die bloß an Mädchen und Pferde denken. War’s einer von uns hier, und wenn auch bloß der Oelgötze, der Quaas, so hatt’ ich die ganze Geschichte wieder über den Hals. Aufpassen, Hradscheck, aufpassen. Und das verdammte Zusammenfahren und sich Verfärben! Kalt Blut, oder es giebt ein Unglück.“

So vor sich hinsprechend, war er, den Blick zu Boden gerichtet, schon ein paarmal in dem Mittelgang auf und abgeschritten. Als er jetzt wieder aufsah, sah er, daß die Jeschke hinter dem Himbeerzaune stand und ein paar verspätete Beeren pflückte.

„Die alte Hexe. Sie lauert wieder.“

Aber trotzalledem ging er auf sie zu, gab ihr die Hand und sagte: „Nu, Mutter Jeschke, wie geht’s? Lange nicht gesehn. Auch Einquartierung?“

„Nei, Hradscheck.“

„Oder is Line wieder da?“

„Nei, Lineken ook nich. De is joa jitzt in Küstrin.“

„Bei wem denn?“

„Bi School-Inspekters. Un doa will se nich weg … Hüren’s, Hradscheck, ick glöw, de School-Inspekters sinn ook man so … Awers wat hebben Se denn? Se sehn joa janz geel ut. Un hier so’ne Falt’. O, Se möten sich nich ärgern, Hradscheck.“

„Ja, Mutter Jeschke, das sagen Sie wohl. Aber man muß sich ärgern. Da sind nun die jungen Officiere. Na, die gehen bald wieder und sind auch am Ende so schlimm nicht und eigentlich nette Herrchen und immer fidel. Aber der Ede, dieser Ede! Da hat der Junge gestern wieder ein halbes Faß Oel auslaufen lassen. Das ist doch über den Spaß. Wo soll man denn das Geld schließlich hernehmen? Und dann die Plackerei treppauf, treppab und die schmalen Kellerstufen halb abgerutscht. Es ist zum Halsbrechen.“

„Na, Se hebben joa doch nu Buggenhagen bi sich. De künn joa doch ne nije Trepp moaken.“

„Ach, der, der. Mit dem ist auch nichts; ärgert mich auch. Sollte mir da den Keller höher legen. Aber er will nicht und hat allerhand Ausreden. Oder vielleicht versteht er’s auch nicht. Ich werde mal den Küstriner Maurermeister kommen lassen, der jetzt an den Kasematten herumflickt. Kasematten und Keller ist ja beinah dasselbe. Der muß Rath schaffen. Und bald. Denn der Keller ist eigentlich gar kein richtiger Keller; is bloß ein Loch, wo man sich den Kopf stößt.“

„Joa, joa. De Wienstuw’ sitt em to sihr upp’n Nacken.“

„Freilich. Und die ganze Geschichte hat nicht Luft und nicht Licht. Und warum nicht? Weil kein richtiges Fenster da ist. Alles zu klein und zu niedrig. Alles zu dicht zusammen.“

„Woll, woll,“ stimmt die Jeschke zu. „Jott, ick weet noch, as de Pohlsche hier wihr und dat Licht ümmer so blinzeln deih. Joa, wo wihr dat Licht? Wihr et in de Stuw’ o’r wihr et in’n Keller? Ick weet et nich.“

Alles klang so pfiffig und hämisch, und es lag offen zu Tage, daß sie sich an ihres Nachbarn Verlegenheit weiden wollte. Diesmal aber hatte sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht und die Verlegenheit blieb schließlich auf ihrer Seite. War doch Hradscheck seit lange schon Willens, ihr gegenüber, bei sich bietender Gelegenheit, mal einen andern Ton anzuschlagen. Und so sah er sie denn jetzt mit seinen durchdringenden Augen scharf an und sagte, sie plötzlich in der dritten Person anredend: „Jeschken, ich weiß, wo sie hin will. Aber weiß sie denn auch, was eine Verleumdungsklage ist? Ich erfahre alles, was sie so herumschwatzt; aber seh’ sie sich vor, sonst kriegt sie’s mit dem Küstriner Gericht zu thun; sie ist ’ne alte Hexe, das weiß jeder, und der Justizrath weiß es auch. Und er wartet bloß noch auf eine Gelegenheit.“

Die Alte fuhr erschreckt zusammen. „Ick meen’ joa man, Hradscheck, ick meen’ joa man … Se weeten doch, en beten Spoaß möt sinn.“

„Nun gut. Ein bischen Spaß mag sein. Aber wenn ich Euch rathen kann, Mutter Jeschke, nicht zu viel. Hört Ihr wohl, nicht zu viel.“

Und damit ging er wieder auf das Haus zu.

(Fortsetzung folgt.)

Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten.[1]

Von Udo Brachvogel. Mit Illustrationen von Rudolf Cronau.
VIII.
Der Puget Sund. – Das Territorium Washington. – Die Windel-Kapitalen des Puget Sund. – Mount Tacoma und Mount Baker. – Das amerikanische Olympus-Gebirge. – Ein Holz-Paradies. – Die Nord-Pacificbahn und ihre Vollendung. – „An der Front.“

Wie der pacifische Nordwesten der Vereinigten Staaten im Columbia den herrlichsten aller pacifischen Ströme besitzt, so wurde ihm gleichzeitig im Puget Sund das größte Meerbuchten- und Hafenwesen der Westküste Amerikas zu Theil. Das Territorium Washington von Britisch-Amerika scheidend, greift der Puget Sund mit zahlreichen, den Zacken eines Schierlingsblattes ähnlich ausgespreizten und verästelten Fjorden in das erstere hinein und giebt diesem nordwestlichsten Winkel der Vereinigten Staaten eine Küstenentwickelung, zu der selbst ihre an Buchten, Bais, Haffen und Sunden so reichen atlantischen Gestade kein Seitenstück aufzuweisen haben. Durch den Schiedsspruch des deutschen Kaisers, der in dem Streite um den Puget Sund zwischen England und den Vereinigten Staaten zu entscheiden hatte, ist ein großer Theil der an ihm gelegenen Länder der Union zugefallen.

Es sind noch keine fünfzehn Jahre her, daß dieser nordwestlichste Winkel der Vereinigten Staaten kaum mehr als ein geographischer Begriff war. Und heutigen Tages ist er dasjenige ihrer Gebiete, in dessen Bereich, wie nirgends in ihrem ganzen Umkreise, man im Laufe von abermals fünfzehn Jahren wird sehen und studiren können, was die Worte „amerikanisches Wachsthum“ und „amerikanische Entwickelung“ eigentlich besagen wollen.

Es erklärt sich das leicht genug. Klima, Wasserreichthum, Bodenverhältnisse und jede sonstige Vorbedingung zu einer Alles umfassenden Landwirthschaft haben hier, in fast höherem Grade noch als im benachbarten Oregon, nur der ersten Erlösung aus ihrer dornröschenhaften Weltentlegenheit durch moderne Verkehrswege geharrt, um nicht bloß die Pioniere, sondern sofort auch

[617] 

Die Armee der „Eisenbahner“ im nordamerikanischen Urwalde.
Nach der Natur gezeichnet von R. Cronau.

[618] die Masse jener Wanderfluthwelle der Menschheit anzuziehen, welche die rastlose Jagd nach neuen Besiedelungsgebieten während der lezten vier Jahrzehnte vom Mississippi aus nach dem Stillen Ocean gewälzt hat.

Aber die aufblühende Landwirthschaft bildet nur eine der Reichthumsquellen dieses jüngsten und letzten der großen Zukunftsländer der Union. Einen zweiten Schatz besitzt es in der Thatsache, daß es zur größten Holzindustrie berufen ist, die man selbst in der neuen Welt bisher nicht gekannt hat. Und diese Thatsache hat nicht erst der Einwanderung und Besiedelung zum Beweise ihres Vorhandenseins bedurft. Sie lag vor dem ersten Weißen, dessen Fuß dieses Gebiet einst betreten, fertig und überwältigend in den unendlichen Wäldern desselben da, wie sie noch heute, trotz der Hunderte von Dampfsägekolossen, welche den Puget Sund umschnauben, und trotz unablässiger Waldbrände, in der nämlichen überwältigenden Massenhaftigkeit daliegt. Vor allen Dingen ist es der Nordgürtel des Territoriums Washington, in welchem sich dieser Waldreichthum zu einem wahren Krösusbesitz steigert. Am Ocean und dem Puget Sund beginnend, erstreckt sich dies Waldparadies weit in das Innere des Landes hinein und hüllt Seeküste, Tiefland, Berg und Hochebene in eine Urwaldsfülle und ein Urwalddickicht, welche in den Gebirgen bis zur Schneelinie hinanreichen, am Meergestade aber sich so unmittelbar in die brandende Salzfluth selbst hinabschieben, wie das Ufergras eines Baches in das friedliche Wasser dieses letzteren.

Mount Baker im Washington-Territorium. Nach der Natur gezeichnet von R. Cronau.

Und wie schön sind diese Meeresgestade, wie schön vor Allem die hundertfach gezackten Ufer des Puget Sund in diesem Schmuck eines undurchdringlichen von keinem Wechsel der Jahreszeit berührten Nadelholzgrün! Die lichtende Axt hat nur eben an dieser grünen Welt zu naschen begonnen, um für das Dutzend jener jungen Sundstädte Raum zu schaffen, welche in diesen Walddistrikten förmlich aus dem Boden springen (vergl. Illustration S. 619). Eine jede von ihnen träumt den Zukunftstraum eines jüngeren San Francisco, oder doch mindestens eines zweiten Portland. Und die eine oder die andere hat gewiß ein ganz gutes Recht dazu. Wenn man nur wüßte: welche? Olympia, die Hauptstadt des Territoriums; ob Port Townsend und Port Madison, seine Sägemühlenemporien; ob Seattle, sein bedeutendster Handelsplatz und „Universitäts"-Sitz; oder ob Tacoma, der eigentliche pacifische Endpunkt der Nordpacificbahn: fürwahr, wer das nur heute schon wüßte! Zu welchen glänzenden, echt neuweltlichen Spekulationen in Land und Bauplätzen würde er durch ein solches Wissen befähigt werden!

Die letztgenannte dieser Windelkapitalen des Puget Sundes liegt an einem der südlichsten Ausläufer des Sundes selbst, welcher hier von der San Juan da Fuca-Straße aus mit einem ganzen Labyrinth von Buchten und Armen tief ins Land hinein schneidet. Sie führt denselben Namen wie der die ganzen Lande beherrschende 14 700 Fuß hohe Schnee- und Gletscherkegel, der neben den schon früher beschriebenen Mount Hood, Mount Adams und Mount St. Helens über die Waldgebirge der Kaskadenkette emporsteigt und wie der unnahbare, unerschütterliche Wächter dieses ganzen Wald-, Berg- und Seegebiets sein himmelanentrücktes Schneehaupt über das ganze Puget Sundland erhebt. Diesen Sund selbst von Tacoma bis Victoria auf flüchtigem Dampfer befahrend, meint man beständig, der schneegepanzerte Berggigant stehe unmittelbar am Ende desjenigen seiner östlichen Fjorde, in den man gerade hineinblickt. Und doch beträgt seine Entfernung von dem nächsten Uferpunkte irgend einer der Sundeinschnitte volle 60 Meilen! Hundert Meilen aber weiter nach Norden zu, schon hart an der Grenze von Britisch-Amerika, erhebt sich der Mount Baker 2000 Fuß niedriger, als der Tacoma, sonst jedoch ihm ähnlich wie ein Riesenzwilling dem andern und gleich ihm in seiner ewigen Gletscherglorie weithin leuchtend über Land und Meer.

[619]

Eine im Urwalde entstehende Stadt.0 Nach der Natur gezeichnet von R. Cronau.

So verfolgt die Kaskadenkette mit ihren beiden Berggranden, Tacoma und Baker, ihren stolzen Weg nach dem arktischen Amerika östlich vom Puget Sund. von ihm dagegen entfaltet sich das pacifische Küstengebirge zu kaum minderer Mächtigkeit, um dort zu seiner bedeutendsten Höhe anzuwachsen, wo es, von der San Juan da Fuca-Straße quer durchrissen, das nördliche Ende seines ganzen von Süd-Kalifornien bis hierher sich erstreckenden Zuges erreicht. Es ist die „Olympic Range". In seinem Hauptkamme bis zu 8000 Fuß Höhe ansteigend, säumt dieses amerikanische Olympusgebirge das Südufer der San Juan da Fuca-Straße wie ein mächtiger Alpenwall ein, der nicht nur in seinen fast immer von Schnee bedeckten Scheiteln mit Macht das Bild der Firnen Tirols und der Schweiz wachruft, sondern auch durch das auf ihnen heimische Phänomen des Alpenglühens im Verein mit den bergseeartigen Wasserspiegeln der Sundfjorde den Vergleich mit den Scenerien jener beiden europäischen Gebirgsländer geradezu herausfordert.

Etwa 1800 Meilen beträgt die gesammte Küstenlänge dieses vielgliedrigen Binnenmeerwesens, welches man unter dem Namen des Puget Sundes versteht. Und es muß als ein Glück für das Land selbst betrachtet werden, daß es mit so zahllosen Wassereinschnitten durchsetzt wird. Es müßte sonst in seinen Tannenwäldern ersticken. Nun aber schaffen diese langgestreckten Wasserflächen und Wasserarme nicht nur Luft, sondern auch die sich von selbst darbietenden Verbindungswege, auf denen von hier aus eine ganze Welt mit Bau- und Nutzholz versorgt werden kann.

Die letzte große Landvermessung, welche zwischen dem Columbia und dem Puget Sund vorgenommen worden, beziffert den ganzen hier angehäuften Schatz lebendigen Holzes auf 160000 Millionen Kubikfuß – eine Zahl, deren Bedeutung man sich erst durch einen Fachmann klar machen lassen muß, um einen Begriff von dem zu bekommen, was sie vorstellt. Das seit Anlegung der ersten Sägemühlen am Puget Sund vor dreißig Jahren aus diesem Wald-Königreich bis jezt mit der Axt entnommene Holz wird auf 2500 Millionen Kubikfuß geschätzt – gegen jenen die menschliche Vorstellung geradezu verwirrenden Reichthum von 160000 Millionen Kubikfuß allerdings nur ein verschwindender Betrag.

Aber wie die amerikanische Civilisation in ihrem Schaffen und Hervorbringen in wahrhaft dämonischer Hast voranjagt, so stürmt sie auch als Verschwenderin und Vernichterin mit losesten Zügeln einher. Und wie uneinnehmbar, ja, wie unberührbar auch noch in diesem Augenblick die Wald-Bollwerke erscheinen mögen, mit welchen die Natur hier den ganzen Grenzgürtel des pacifischen Nordwestens bis an die Felsengebirge hinan bewehrt hat, doch ist es, als sollte man angesichts der Sägemühlen-Cernirung des Puget Sundes und der unablässigen Waldbrände, die hier als herostratische Civilisationsfackeln zum Himmel emporlodern, bereits jetzt die Frage aufwerfen: Wie lange wird nach der schon heute genau vorauszuberechnenden Vernichtung der Forsten Maines, Wisconsins, Minnesotas und der anderen Holzkammern des Ostens wohl der große „Kulturkampf“ mit dieser reichsten, aber auch letzten Nutzholzdomäne der Vereinigten Staaten dauern?

Volle vierhundert Meilen erstreckt sich dieser Waldgürtel, der Grenze Britisch-Amerikas entlang vom Ocean und dem Puget Sund bis nach Nordwest-Montana hinein, wo die beiden herrlichen Hochlandseen Coeur d'Alene und Pend d'Oreille zwischen der Hochgebirgskette der „Bitter Root Mountains“ und dem dahinter aufsteigenden Hauptzuge der Felsengebirge liegen. In fast unzugänglicher Wildheit und Steilheit starrt hier die erstgenannte dieser beiden Alpenketten empor und zwang seiner Zeit durch ihre absolute Paßlosigkeit die Nord-Pacificbahn, im inneren Washington-Territorium jenen mächtigen nordöstlichen Bogen zu beschreiben, mit dem sie sich um dieses Gebirgshinderniß ganz und gar herum schwingt.

Inmitten der breiten und fruchtbaren Thaleinsenkung zwischen dem Felsengebirgskamm und der „Bitter Root Kette“ fand im August 1883 jene denkwürdige Feier der Zusammenschweißung der vom Mississippi und vom Columbia aus einander entgegengebauten Schienengeleise der Nord-Pacificbahn statt, zu welcher Henry Villard, der deutsche Vollender des ungeheuren Unternehmens, Repräsentanten aller Nationen, vor allen Dingen eine ganze Schar von Gästen aus dem alten Vaterlande zu Augenzeugen geladen hatte. Weder Schauplatz noch Gelegenheit zu einer interkontinentalen Feier hätten großartiger erdacht werden können. Vor allen Dingen aber hatten die Redner des Tages, unter ihnen Expräsident Grant, Professor Gneist, Karl Schurz und die Gesandten Englands und Deutschlands, immer wieder mit unverhohlenem Staunen auf das Wunderbare einer Vollbringung zurückzukommen, von der es Thatsache war, daß noch [620] vor Jahresfrist kaum Jemand an ihren Abschluß gedacht oder geglaubt hatte!

Am wenigsten aber hatten wohl die daran gedacht und geglaubt, die vor dieser Jahresfrist mit eigenen Augen gesehen hatten, mit welchen unerhörten Mitteln in diesen Wildnissen der Bahnbau gefördert werden mußte, und die nicht von Villard’schen Luxuszügen, sondern vom Sattel des Bergpferdes aus eine eigene Anschauung davon gewonnen hatten, was es mit der damals noch klaffenden Lücke von fast 600 Meilen eigentlich auf sich hatte. Damals, im August 1882, hatte „die Front“ der pacifischen Hälfte des gewaltigen Bahnbaus auf ihrem Inland-Vormarsch eben den See Pend d’Oreille hinter sich gelassen. Nun schob sie sich den Clark’s Fork entlang durch die nördlichen Ausläufer der „Bitter Root Mountains“, das zerklüftete Kabinetgebirge, nach dem Südosten vor. Schon auf den letzten 30 Meilen der dortigen Strecke schien Alles, was man sehen, hören und sonst wahrnehmen konnte, unter dem Bann der eine Art elementarer Kraft ausübenden Devise „An der Front“ zu stehen. Endlich ist diese selbst erreicht, und die ganze jungfräuliche, bisher kaum von Trappern, Indianern, Fallenstellern und verwandten weiß- und rothhäutigen Hinterwaldsexistenzen betretene Wildniß schwärmt plötzlich von ameisenhaft-thätiger Kulturmenschheit kaukasischer und mongolischer Rasse, von Pferden und Fuhrwerken, von Blockhütten und weißschimmernden Zelten – Alles in Allem ein Bild landerobernden Civilisations-Heerbanns, für welches gerade inmitten dieses unentweihten Waldheiligthums keine bessere Bezeichnung zu ersinnen wäre, als jenes kriegerische: „An der Front“.

Verschwiegenheit.
Aus dem Werke „Allegorien und Embleme“.
Verlag von Gerlach und Schenk in Wien.

In etwa zwölf Partieen – Ingenieurs- und Arbeiterabtheilungen – und in einer Gesammtausdehnung von 12 bis 20 Meilen rückt eine derartige amerikanische Eisenbahn-Eroberung voran. Jede dieser Abtheilungen hat ihr eigenes Zelt-Dorf, welches sich längs des eben entstehenden Bahnbaus hinstreckt. Um das weit vorangeschobene Hauptquartier des Chef-Ingenieurs und seines Stabes, mehr noch aber dort, wo für die eigentlichen Damm-, Sprengungs- und Gradirungsarbeiten die bei pacifischen Bahnbauten unerläßlichen Chinesen-Legioner ins Gefecht geführt werden, wachsen diese Zelt-Kolonien zu vollständigen Zelt-Städten an. Ein eigenes Kommissariat, eigener Lazarethdienst und riesiger Pferde- und Wagentrain verleihen diesen Lagerstädten friedlicher Eroberung einen echt kriegerischen Zug. Wie aber im Mittelalter der wirkliche Krieg vom Kriege lebte, so lebt in den vom Dampf ihrem Wildnißzustand zu entreißenden Wildnissen des Großen Westens der Eisenbahnbau von der Eisenbahn. Sie, die eben entstandene und entstehende, bringt Alles, dessen diese Armee von „Eisenbahnern“ bedarf, aus den dahinter liegenden, von ihr bereits eroberten Landstrichen herbei. Und so schiebt sich, längs des beständig entstehenden und vorandringenden Schienenweges dieser ganze ungeheure, Organismus von Tausenden von Menschen und Hunderten von Pferden, Wagen, Zelten und Baracken der vordersten den ersten Fußpfad durch den Wald hauenden Avantgarde von „Eclaireurs“ und „Axmen“ nach, bis weit hinter ihnen, als Schwanz dieser Riesenschlange menschlicher Arbeits- und Bauthätigkeit, die Pionierlokomotive langsam vorwärtsdampft!

Von den Sommer- und Herbsttagen des Jahres 1882, in denen man dieses Schauspiel in den Walddickichten des Pend d’Oreille Sees und des Clark’s Fork in seiner ganzen fiebernden Großartigkeit beobachten konnte, hatte nur ein Handvoll Monate ins Land zu gehen, und im Angesicht der Bergriesen der „Bitter Root“ und der „Rocky Mountains“ konnten die Geleise der östlichen und der westlichen Strecke der Nord-Pacificbahn vereinigt werden.

Das gewaltige 2100 Meilen lange Eisenband von den Kanadischen Seen nach dem Puget Sund, vom oberen Mississippi nach der Columbiamündung, war geschlossen. Die Lokomotive herrscht ununterbrochen über den ganzen Nordwesten der Vereinigten Staaten, und auch das weltverschollene Urwaldsidyll des Pend d’Oreille und des Clark’s Fork ist mit der modernen Eisenbahn-Epopöe längst derartig Eines geworden, daß der auf diesem Wege von Ocean zu Ocean jagende Weltreisende sich kaum noch einen Begriff davon machen kann, wie es daselbst aussah, als der Magier Dampf im Sommer des Heils 1882 sein erstes Panier in diesen erhabenen Waldeinsamkeiten entrollte.


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Die Enthüllung des Denkmals Friedrich Wilhelm’s I. im Lustgarten zu Potsdam.

Am 18. August dieses Jahres wurde in Potsdam, und zwar in dem vor dem Stadtschlosse sich ausbreitenden Lustgarten, das Denkmal eines Ahnherrn unseres Kaisers, des Königs Friedrich Wilhelm I., enthüllt. Es hat lange gedauert, bis man die Verdienste gerade dieses Königs in unparteiischer Weise zu würdigen vermochte. Er war einer jener harten Herrscher, welche, trotz eines stark ausgeprägten Rechtsgefühls, nur der Strenge huldigten und selten den Regungen eines milden Herzens folgten und man muß bei der Beurtheilung seines Wirkens darum wohl den Menschen von dem Staatsmanne trennen. Als letzterer steht er in der Geschichte Preußens groß da und ist als rüstiger Pionier jener Erfolge zu betrachten, die in der glorreichen Regierungszeit seines Sohnes Friedrich’s des Großen errungen wurden. Eine bemerkenswerthe That wird für immer die von ihm bewirkte Ansiedelung der 17 000 Salzburger Protestanten auf preußischem Gebiet bleiben. Sie kennzeichnet seine Bestrebungen, durch Heranziehung von Arbeitskräften die Kultur des Landes zu heben. Vor Allem aber müssen seine Verdienste um die Stärkung der Heeresmacht Preußens anerkannt werden. Ihm ist es gelungen, in kurzer Zeit eine Armee zu schaffen, die im damaligen Europa unübertroffen dastand und deren Stärke sich auf 70 000 Mann bezifferte. Dieses Vortreffliche Heer, geleitet von einem gut geschulten Officierkorps, ein Schatz von 9 Millionen Thalern, wohlgeordnete Verhältnisse im Lande, das war das große, vielverheißende Erbe, welches er seinem Nachfolger zurückließ. Noch heute läßt die preußische Armee in vielen Dingen seine schöpferische Hand erkennen, und dementsprechend war auch die Feier der Denkmals-Enthüllung zu Potsdam eine fast ausschließlich militärische.

Der achtundachtzigjährige Kaiser Wilhelm kommandirt die Honneurs bei der Enthüllung des Denkmals Friedrich Wilhelm’s I.
Originalzeichnung von H. Lüders.

Man muß Potsdam an einem solchen Tage gesehen haben, um sich von der Eigenart des Festes einen Begriff machen zu können. Andere Städte und namentlich auch Berlin haben ihre großartigen militärischen Festlichkeiten, aber die Art und Weise, wie in Potsdam dergleichen durchgeführt wird, ist doch fast ohne Gleichen. Die denkbar schönsten Truppen, der Platz mit seinen königlichen Bauten umher, die Intimität, mit welcher in Potsdam Soldat und Bürger mit und neben einander leben, alles trägt dazu bei, einen solchen Anblick aufs Höchste sehenswerth zu machen.

Der Tag der Enthüllung war diesmal in Bezug auf das Wetter durchaus kein Kaisertag; kühl, windig und regnerisch, war er eher einem Apriltage als einem Augusttage ähnlich. Schon fing man an zu zweifeln, ob der Kaiser überhaupt der Feier anwohnen würde. Da trat der greise Herr, gefolgt von dem Kronprinzen und mehreren Prinzen des Königshauses, mit dem Schlage elf Uhr auf die Rampe des Schlosses hinaus und schritt, kaum die Last der Jahre erkennen lassend, über den weiten Platz bis zu dem noch verhüllten Denkmal.

Ringsum hatten die Truppen der Potsdamer Garnison im Viereck Stellung genommen, dem Denkmal gegenüber die direkten Nachkommen der einstigen Potsdamer Riesengarde, das unvergleichlich schöne erste Garderegiment zu Fuß, Prinz Wilhelm vor der Front seines ersten Bataillons auf dem rechten Flügel. Noch stand das Denkmal verhüllt da, als der Kaiser eine kernige Ansprache an die Truppen hielt, hinweisend auf das, was gerade Friedrich Wilhelm I. der Armee und damit dem Vaterlande gewesen sei, dann zog er den Degen, machte militärisch Front gegen das Denkmal, gab das Zeichen zur Enthüllung und unter dem kräftigen Hurrah der Truppen bei präsentirtem Gewehr und rauschender Musik sank die Hülle. Der achtundachtzigjährige Kaiser salutirte an der Spitze seiner Truppen seinem Ahnherrn – ein seltener und ergreifender Anblick, der mir unvergeßlich sein wird.

Unmittelbar darauf erfolgte der Vorbeimarsch der Truppen vor dem Denkmal so mustergültig, wie man es eben nur in Potsdam sehen kann. Dann begrüßte der Kaiser und mit ihm die Kaiserin, die im Wagen erschienen war, die Generalität und die Vertreter der Garnisonen von Berlin, Spandau und Großlichterfelde, sowie auch den Bildhauer Hilgers, den Schöpfer des Denkmals. Nach etwa dreiviertelstündiger Dauer war die Feier beendet. Das Denkmal selbst ist eine genaue Kopie des Standbildes des Königs in der Ruhmeshalle und deßhalb bedauerlicher Weise für diesen Platz vielleicht nicht charakteristisch genug aufgefaßt. Der König steht unbedeckten Hauptes da, den Blick nach der Garnisonkirche gewandt, die linke Hand am Degenknauf und in der rechten den Feldherrnstab. Geschmackvoll ist das Postament, im Stil der Zeit von rothem Granit ausgeführt. H. Lüders.     

[622]

Unruhige Gäste.

Ein Roman aus der Gesellschaft.
Von Wilhelm Raabe.
(Schluß.)


22.

Phöbe ist nicht zu Hause gewesen, als der andere Brief nebst der kleinen Kiste aus Italien ankam. Beides war auch nur an den Pastor, Herrn Prudens Hahnemeyer adressirt, und es stand bei diesem, ob er der Schwester von dem Inhalt Mittheilung machen wollte oder nicht.

Im Dorf hat Niemand dem Fräulein aus dem Pfarrhause anmerken können, daß und – was Fräulein Dorette Kristeller geschrieben hatte. Es war, wie immer um diese Jahreszeit, wieder viel Noth und Hilflosigkeit unter den armen Leuten, und man kann nicht von Jedem verlangen, daß er Geduld in schweren Tagen habe. Es ist recht häufig viel besser, die Bedrängten sich ausreden und ausschreien zu lassen, als ihnen zur Geduld zu reden und zu rathen.

Zu keiner Zeit in diesem zu Ende gehenden Jahr war Phöbe Hahnemeyer so zum erstern befähigt gewesen als an diesem stürmischen Tage; sie, die heute zu den Bedrücktesten nicht nur in der ganzen Gemeinde, sondern auch unter allen übrigen unruhigen Gästen der Erde zu zählen gewesen wäre, wenn sie das volle Gefühl der Einsamkeit, der Verlassenheit, des Alleinseins in der Welt, wie es ihr zukam, hätte haben können.

Sie aber wußte nur, daß sie Alle es so gut mit ihr meinten, und daß sie sehr dankbar und nach schwachen Kräften hilfreich dafür zu sein habe, wenn auch Niemand recht Bescheid um sie wisse – auch die alte, treue – neue Freundin, Fräulein Dorette Kristeller nicht. –

So ist die Gnade, oder wie ihr gelehrt wurde zu sagen, die Gnade des Herrn auch über ihr gewesen in dieser bösen Zeit ihres jungen Daseins unter uns Anderen, und sie ist still auch von ihren heutigen Barmherzigkeitswegen in der Gemeinde ihres Bruders zu ihm nach Hause gekommen.

Das war gerade um die Stunde, als Spörenwagen genug von der Gesellschaft und Unterhaltung des Dorfkrugs hatte und durch den Wind, Regen und Schnee seinen auch einsamen und beschwerlichen Weg nach seiner Wohnung der Jahreszeit abkämpfte. In der Dorfgasse sind sie auch einander begegnet oder vielmehr an einander vorbeigekommen, Phöbe und der Meister Tischler. Sie haben aber einander bei der Dunkelheit und dem Sturm nicht erkannt und also auch nicht ein Wort miteinander reden können, obgleich gerade jetzt Jedes von den Beiden des Andern gedachte und in seinen Gedanken von ihm oder mit ihm redete.

„Spörenwagen geht morgen ins Thal hinab,“ dachte Fräulein Phöbe. „Ich will ihn bitten, daß er auch zu Fräulein Dorette geht und ihr sagt, daß ich ihr von Herzen dankbar für ihren Brief bin, daß ich ihr aber lieber nicht gleich darauf Antwort schicken möchte und es auch nicht kann, und lieber wieder einmal in der Stille bei ihr sitzen möchte. O wie Recht hat sie, daß sie mich auf den hohen Winterschnee hinweist! Und es ist auch vorher noch für so Vieles zu sorgen, daß es uns nicht wieder so geht wie damals im ersten Jahr, wo uns fast alle Vorräthe ausgingen, ehe wir zu den Nachbarn und ihrer Hilfe wieder einen Pfad hatten. Wie schön ruhig wollen wir sitzen hinter unsern weißen Mauern, und ich will auch recht fleißig sein mit Prudens an der englischen und der arabischen Grammatik, wenn es vielleicht, wie er meint, des Herrn Wille ist, daß er auch mich in die Fremde beruft und mir nicht hier mein letztes Ziel setzt und meine ewige Ruhe giebt in seiner Gnade.“

Spörenwagen, auf der andern Seite der Dorfstraße und in entgegengesetzter Richtung sich vor dem Wind dicht an Mauer und Zaun haltend, brummte:

„Jedes Wort, das man in das Geschwätz geben könnte, ist zu viel. Man schüttelt sich eben und trinkt aus und geht seiner Wege, und hinter Einem drein sagen sie: der Querkopf! … Ja, über das Hinterdreinreden bei Vornehm wie Gering – ’s ist immer wie ein schöner Buttervogel, ein schöner Schmetterling, den die Buben zerpflücken! Was wissen Bruder und Schwester, Mutter und Kind, Mann und Frau von einander? Und von mir reden sie und meinen sie, daß ich Alles in der Welt mit einem großen Hobel glatt und gleich machen wolle?! In einer Welt, wo von Anfang an so ein Unterschied gesetzt ist wie zwischen meinem Fräulein – Fräulein Phöbe und dem Räkel und dem Herrn Bielow und ihrem Bruder, dem Herrn Pastor Hahnemeyer und uns allen Anderen! … Und es ist doch die Welt, von der geschrieben steht: Es ist nicht gut, daß der Mensch in ihr allein lebe und bleibe. Wer kriegt da mit allem Nachsinnen und Studiren einen Verstand herein? einen Sinn, bei dem er sich beruhigen kann, wenn er für sich allein ist und sitzt, weil er sich in dem Wirrwarr nicht zurecht finden kann, wie ich?! Ja das giebt man sich nicht, das wird Einem gegeben. Und wer die Gabe hat, der weiß nichts davon; als wie ein Mensch nichts davon verspürt, wenn er gesund ist. Und als ein solcher Mensch geht unser Fräulein, unsere Phöbe über die Erde, und wer darüber nachdenkt, der findet kein Ende und steht von ferne und sieht sie und wundert sich wie über das allergrößeste Wunder. Und bei seiner Arbeit faßt er höchstens mit der Faust ins Brusttuch, wenn er daran gedenkt, so gab’s noch eine Andere, die so hätte sein können und von der sie eben vor den Ohren des Räkel’s mit ihrem Ekelnamen als wie seiner Fee diskurrirten! Da geht es sich freilich gut gegen den Wind und Sturm an in dem Gedanken: was kümmert’s Dich noch, Spörenwagen? sie ist ja jetzt auch im Frieden und es thut ihr Niemand mehr was, weder in Freundschaft noch in Bosheit, weder ihr ins Gesicht und die innerste Seele noch hinter ihr drein. Sie ist frei vom Wirrwarr, und kein Lärm thut ihr noch was zu Leide. Geh Du Deines Weges nach Hause, Kamerad, Spörenwagen, der Regen, Schnee und Wind ins Gesicht ist nicht das Schlimmste auf ihm. He, es ist aber fast als um nicht das Stehen zu behalten!“ …

In seiner Studirstube wurde der Pastor Prudens Hahnemeyer dieses heftigen Wehens wegen von Minute zu Minute nervöser. Er schritt hin und her nach seiner Gewohnheit. Er trat an das Fenster, an dem er im Sommer mit seinem Jugendfreunde Veit von Bielow gestanden und ihm von diesen herbstlichen und winterlichen Stürmen gesprochen hatte. Er ging zu seinem Tisch zurück und setzte sich, um von Neuem aufzuspringen und vom Fenster aus in die Nacht und auf die jagenden Sturmwolken zu blicken. Er ärgerte sich ob dieser körperlichen Unruhe, die er vergebens niederzukämpfen suchte, gegen die er sich völlig machtlos fühlte. Fast wäre er im Stande gewesen, auf die Schwester zu zürnen, daß sie ihn so lange allein im Hause lasse, er, der bei stillerem Wetter am liebsten allein blieb in seinem Grübeln und seinem mystischen Träumen und auch die kleinste Störung durch die Zeitlichkeit, selbst auch durch den leisen Schritt und die süße Stimme der armen Phöbe, nicht immer mit der größten Geduld aufnahm.

Am heutigen Abend thaten aber auch der Brief und die Sendung, die aus der Zeitlichkeit, aus dem Säkulum, zu ihm gelangt waren, das ihrige, ihn nach der Heimkehr der Schwester von ihren Liebeswegen in seiner Gemeinde verlangend zu machen. Der Brief lag auf seinen Schriften, und das geöffnete Kistchen stand daneben auf der aufgeschlagenen Konkordanz, und der asketische Pfarrer wußte, daß sie ihm diesmal, wenigstens für die nächsten Stunden und vielleicht auch die kommende Nacht eine größere Störung in sein Leben getragen hatten, als die wildeste Windsbraut seines nordischen Gebirges je vermocht hätte.

Der Brief kam aus Palermo auf der Insel Sicilien und lautete:

„Mein guter Freund, da bin ich noch einmal! Noch einmal wirft mein Schiff Anker an Patmos, und der Mensch aus dem Säkulum, der Mann vom römischen Forum, der Lustwandler aus den Platanengängen der athenischen Akademie steigt zu Lande, hüstelnd, kniematt, auf seinen Krückstock gestützt. Deutlich male ich mir das Gesicht, das Du auch diesmal zu dem Besuch machen wirst; aber beruhige Dich: ich gebe nur ein Packet zur Weiterbeförderung ab und gehe sofort wieder. Dein verdrossenstes [623] Abwehren würde Dir aber auch heute so wenig helfen wie damals in unseren jüngern, gesundern Tagen, wenn ich als flotter Korpsbursch aus dem germanischen akademischen Leben zu Dir in Deine Klausur stieg, um Dich eine halbe Nacht durch mit Fragen, Bedenken und Citaten zu quälen. Und damit Du siehst, daß ich der Alte geblieben bin, trotz allem was Schicksal und Leben im Bösen wie im Guten an mir verübten, komme ich Dir auch jetzt mit einem Citat und zwar aus dem frivolsten Deiner in Gott ruhenden Amtsbrüder. Der sehr ehrwürdige Herr Lorenz Sterne, Magister der Künste, Stiftsherr zu York, Dorfpastor etc. hat das Wort im siebenten Buche von Tristram Shandy’s Leben und Meinungen. Ziehe Deine Kapuze so tief Du willst über den Kopf hinunter, aber laß mich abschreiben. Alles was Deiner Schwester und Dir Euer heutiger Besuch zuzutragen hat, wächst auf aus jenem leichtfertigen, inhaltvollsten Predigtbuch über Menschenschwächen und Menschenkräfte. Beiläufig, das Exemplar, aus dem ich abschreibe, entstammt närrischerweise der Reisebibliothek meiner Frau, welcher letztern ihr Herr Onkel aus dem Kultusministerium es am Abend unserer Abreise von Berlin in gewohnter Zerstreutheit ins Koupé warf. Sie behauptet, das einzig Angenehme, Liebenswürdige und Verständliche daraus, den Onkel Toby, schon längst zu kennen und zu citiren, überläßt mir aber alles Uebrige darin; – auch zur Mittheilung an Bekannte und – Freunde.

Sei dem so.

0 ‚Ließ sich wohl jemals ein vernünftiger Mensch in einen so verworrenen Handel ein?‘ sagte der Tod.
0 ‚Mit genauer Noth bist Du diesmal noch durchgekommen, Tristram,‘ sagte Eugenius.
0 ‚Aber das ist kein Leben mehr, Eugenius, seit dieser Sündensohn dergestalt meine Adresse aufgespürt hat.‘
0 ‚Da nanntest Du ihn jedenfalls bei dem rechten Namen,‘ sagte Eugenius; ‚denn die Sünde brachte ihn in die Welt, wie geschrieben steht.‘
0 ‚Wie er hereinkam, kümmert mich nicht,‘ sagte ich, ‚wenn er nur nicht solche Eile hätte, mich heraus zu holen! denn ich habe noch vierzig Bände zu schreiben und vierzigtausend Dinge zu sagen und zu thun, die kein Anderer als ich in dieser Welt sagen und thun kann. Da er mich nun so bei der Kehle hat, thue ich da nicht besser, Reißaus zu nehmen und für mein Leben zu laufen? … Ja, beim Himmel, ich werde ihn in einen Tanz ziehen, daß er sich wundern soll! ohne mich umzusehen, jage ich bis an die Ufer der Garonne und höre ich ihn mir auf den Fersen klappern, so fliehe ich bis zum Vesuv, von da nach Joppe, und von Joppe bis an der Welt Ende, und wenn er mir dann noch folgt, na, so bitte ich Gott, daß er ihn den Hals brechen lasse.‘ –

Meine lieben Freunde, wie Ihr aus meiner Adresse dieses Briefes erseht, habe ich so ziemlich dem Wortlaut nach in Ausführung gebracht, was ein anderer lebensgieriger Siechling vor mehr als anderthalbhundert Jahren in seinem Abscheu vor dem Aufgebenmüssen des Mitathmens unter den Lebendigen zu thun sich vornahm. Ich habe meine Schätze zusammengerafft und bin gelaufen; nachdem ich die Angst des Träumenden, der nicht vorwärts kann, im Wachen vollauf durchgekostet habe. Ich hatte nimmer gewußt, daß mir das Leben so lieb sei, als bis ich kraftlos, knielahm, matt bis in das Mark der Knochen um es ringen mußte. Lebensgier! das ist das Wort. Ich habe bis jetzt keine Ahnung davon gehabt, wie lebensgierig der Mensch werden kann, wenn ihm einmal das alte dürre Gespenst so eisig aus dem warmen Sommer des Lebens in den Nacken blies. Nun aber habe ich das volle Empfinden; und ich schäme mich nicht, Jedem, der ein Interesse daran nehmen mag, davon zu reden. Ist es doch, als gehöre auch die Geschwätzigkeit ganz und gar zu diesem närrischen, ruhelos-müden Seelen- und Körperzustande.

Am Fuße des Vesuvs stellte mir das widerwärtige Gerippe noch einmal das Bein, und die Aerzte sagten: ‚Südwärts! vor dem nahenden Winter immer noch ein wenig weiter südwärts, Signore.‘ Und meine Frau sagte dasselbe, liebe, gute Freunde im nordischen Winter! und es gehört zu den fraglichen vierzig Büchern, die ich noch zu schreiben hätte, noch so manches Andere, was ich noch nicht aufgeben möchte unter Euch! Erst in Stimmungen, wie die meinige jetzt, lernt der Mensch zu rechnen und seine Verpflichtungen wie seine Behaglichkeiten zusammen zu zählen.

Von den einen darf ich, von den andern will ich noch nicht lassen; und – das Kofferpacken hat mir ja meine Valerie vom Anfang unserer jungen Ehe an abnehmen müssen. Wir wollen fürs Erste an nichts weiter als an Deine Gesundheit denken, Veit, sagte sie, und sie hat leider kaum nöthig, mir dieses noch besonders anzuempfehlen. Ich weiß und fühle es nur zu gut, wie zertrümmert meine Rüstung, wie unkräftig meine Hand, und wie machtlos, nutzlos jede Waffe geworden ist, auf die ich mich unter allen Umständen, in jedem Kampfe im Leben glaubte verlassen zu dürfen.

Ach Phöbe, Phöbe, welch ein Nebelheim-Schatten ist auf der Vierlingswiese über Deinen muntern Gast aus dem sonnigen Erdenleben gefallen! Wie schwer hängt die Erde, die der Clown, Euer Todtengräber unter der Felswand auf Eurem Dorfkirchhofe aufgeworfen hatte, an meinen Füßen!

Vor Jahren saß ich schon einmal an diesem Fenster im Hôtel Trinakria, mit dem Blick auf das tyrrhenische Meer, und zwischen jenen jungen, jubelvollen Tagen und der heutigen melancholischen Stunde liegt nur – ein Schritt vom Wege.

Unter diesem Fenster wogt heute wie damals, bei beginnender Abendkühle, das Leben des Kai Marina: Licht, Luft und Volk sind dieselben geblieben; aber wer – was ist heute Veit Bielow? Ist dies meine Hand, die hier die Feder führt? Was und wer ist dieses kränkliche, verdrießliche, ängstliche, weinerliche Etwas, das vor den aus Euerm Norden über die See herandringenden Abenddunst die Decken fröstelnd dichter um sich zusammenzieht?

Ja, Veit Bielow heißt der Mann, oder vielmehr das, was noch von jenem Mann, Veit Bielow genannt, übrig ist! Ja, Prudens und Phöbe Hahnemeyer, so hat ein Schritt vom Wege vor Euerm Dorfe Euern Freund und Gastfreund im inhaltvollsten Jahre seines Lebens an diesen unheimlichen Wendepunkt geführt. Gedenkt seiner mit mitleidigem, verzeihendem Herzen! Du vorzüglich, meine liebe, stille, im Frieden sichere Retterin, Phöbe!

Nun hat wohl schon der Winter an Eure Thür geklopft, der erste Schnee ist vielleicht schon bei Euch gefallen, die Berge sehen weiß herein, und der Sturm braust durch die Thäler und klappert mit meines armen gleichfalls fröstelnden Freundes Prudens Stubenfenstern. Ja, den armen Tom friert auch in dieser lauen südlichen Abendluft, – ich lächle nicht mehr über Dich, Freund Hahnemeyer; ich habe keinen Grund mehr, mich ob meiner Kraft zu überheben. Ach, Prudens, was für arme, schwache Erdengäste sind wir Beide zwischen dem Räkel in seiner Nacktheit auf der einen Seite und Deiner und – meiner Schwester in ihrem unnahbaren Burg- und Gottesfrieden auf der andern! Unter meinen sonstigen guten Bekannten weiß ich Niemand, dem ich über diese kläglichen kuriosen Stimmungen so schreiben könnte, wie jetzt Dir, mein alter mönchischer Leidensgenoß hinter Deinen Mauern, den wankenden, abbröckelnden Mauern auch Deiner Lebensveste. Ich bin zu einem Grübler geworden wie andere brave Leute, habe meine eigene Seele auf den Secirtisch genommen, und denke nur an mich, Freund Prudens, wenn ich frage: Wird das noch einmal für uns anders werden? O ja, was für ein Egoismus in dem Menschen steckt, erfährt er erst genau nach solch einem Schritt vom Wege und so mit dem Zerlegemesser in der Hand am Werke an seinem eigensten Selbst.

Werden kommende Jahre den armen Veit wieder auf die muntern Füße stellen, auf denen er einst, vor hundert Jahren – vor so wenig Wochen über die Vierlingswiese schritt? Wird er sich noch einmal von Palermo, von ‚Joppe‘ nach einem Schneesturm, wie er um diese Jahreszeit um solch ein nordisches Gebirgshaus gleich dem Eurigen bereits lärmen mag, nicht bloß matt sehnen dürfen?

Was kümmert Einen, der leben – leben – leben will, das, was die Andren wollen? Was geht mich Dein Gedanken- und Vorstellungskreis an, mein armer entsagender und in seiner Enthaltsamkeit auch verunglückter Freund, Prudens Hahnemeyer? Die Stadt Palermo rauscht um mich her, das gesunde, weite, freie Meer dehnt sich vor meinen Blicken; mein gesundes, schönes, junges Weib läßt im Nebensalon die Finger über das Piano gleiten: wie könnte ich mit Gleichmuth, mit Achselzucken mich an den furchtbaren Handel in der Todeshütte auf der Vierlingswiese, an meinen Grundbesitz unter der Felswand neben dem Hügel der Fee erinnern?!

[624] Meine Frau! mein gesundes, junges, lachendes Weib! habe ich mich nicht ihrethalb um mein weinerliches Dasein zu wehren? Sie alle haben verständigerweise ihr Bestes gethan, ihr die Sache im vernünftigen Lichte zu zeigen. Vater, Bruder, Verwandte und gute Freunde beiderlei Geschlechts haben ihr ihre Thorheit eindringlichst aus einander gesetzt; aber sie ist doch gekommen und hat meine Hand mit der ihrigen fest ergriffen und hat gesagt: Du wußtest es doch noch nicht ganz genau, wie sehr Du mein Eigenthum warst. Du hast mir viele Schmerzen bereitet und zu mancherlei bösen Gedanken verholfen; aber es hilft nichts, ich will mein Recht an Dich nicht aufgeben. Du gehörst mir und keinem Andern! Ich lasse Dich keinem Andern auf dieser Erde, und der Erde selbst fürs Erste auch nicht. Ich nehme Dich für gut und böse, für Gesundheit und Krankheit, für Leben und Tod. Ich nehme Dich auch gleich mit mir. Die Formalitäten machen wir so rasch als möglich ab; in vier Wochen können wir zusammen allein sein und auf dem Wege in ein neues Leben. Dir wie mir hilft nur eine andere Sonne über dem Kopfe und ein anderer Boden unter den Füßen, und der Onkel Geheimrath ist ganz meiner Meinung und stellt uns auch seine Villa bei Florenz als ersten Ruheplatz für unsere lahmen Fittiche gern zur Verfügung. Komm mit mir, Veit; der trübe deutsche Himmel taugt augenblicklich weniger denn je für uns Zwei – für Einen von uns Beiden.‘

So sind wir geflohen vor dem germanischen Daseinsgrau, nach Florenz, nach Rom, nach Neapel und so jetzt nach Sicilien. Persephoneia gedenke der eigenen Noth im Thal Enna und sei uns gnädig in unseren Nöthen!

Wie Vieles hätten wir Euch noch zu sagen; aber der Abend kommt rasch hier im hellen Süden. Schon schleicht die Dämmerung über das mittelländische Meer, und in einer halben Stunde wird es Nacht sein. So gelange ich denn jetzt zu dem verspäteten Gast- und Dankgeschenk, das mit diesem Briefe seinen Weg zu Euch – zu meiner lieben, unvergeßlichen Freundin und Retterin Phöbe sucht. Und es ist wieder Valerie, die gesucht, gefunden, und hoffentlich das Rechte gefunden hat, der Theuren, Lieben, Guten eine Freude in ihrem Sinne, nach ihrem Herzen zu bereiten. Nicht ich, sondern meine Frau war bei der Aufdeckung der Gräberstätte gegenwärtig und hat das ernste Geräth mit seinem rührenden altchristlichen Symbolum, Taube, Fisch und Kreuz von der Steinplatte gehoben, auf welche vor sechszehnhundert Jahren eine bebende Hand es niedergesetzt hatte.

Flaviolus Phoebes Domitillae implorat pacem aeternam, stand auf dem Stein eingegraben. Ich übersetze das heute: Der Freund – der Bruder, der Anverlobte der Phoebe erfleht den ewigen Frieden, und Valerie hat gesagt: ‚Das wäre nun etwas für Dich und unsere Schwester im Norden! Und auch Dein ernster Jugendgenosse in seinem deutschen Pastorenhause würde sicherlich einiges Interesse daran nehmen; zumal da Du diesmal in jeder Beziehung für die Echtheit der Sache bürgen kannst.‘

Ja, es ist Valerie und mir ein friedlich schöner Gedanke, diese kleine Bronzelampe mit Taube und Kreuz unter Euerm Dache, auf dem Arbeitstischchen unserer lieben Schwester Phöbe zu wissen. Die Besitzergreifung war nicht ohne einige Schwierigkeiten zu bewerkstelligen; aber Valerie’s Verbindungen in hiesigen und vaterländischen diplomatisch-gesellschaftlichen Kreisen haben uns recht geholfen. Ich muß meiner Frau die Ehre lassen, sie hat eine Energie bei den Verhandlungen entwickelt, die nicht lebendiger sein konnte und mir in meinem Krankensessel ungemein wohl gethan hat; zumal da sie sonst immer ernst, fast finster sich abwendet, wenn die leiseste Andeutung in unserer Unterhaltung meinen sommerlichen seltsamen Abstecher zu Eurem Hause und dem Kirchhofe Eueres Dorfes streift. So bin ich ihr von Herzen um so dankbarer für den lieben Eifer, den sie hierin bewiesen hat. Phöbe hätte sehen müssen, mit welchem Lächeln sie, nach einer letzten weiblich-diplomatischen Verhandlung mit ihren Freunden bei den zuständigen italienischen Behörden, kam, mir das kleine Kunstwerk in die Hände legte und rief:

‚Ich habe sie! Schicke sie der Freundin und schreibe ihr, auch Valerie Bielow wisse für sich kein besseres Angedenken an den unruhigen Sommer dieses Jahres und seine Gäste zu senden, Valerie küsse die gute Phöbe und bitte auch um Verzeihung für ihren wilden Einbruch in ihr ruhevolles Dasein!‘

Man stellt mir eben eine andere Lampe auf den Tisch mit dem landesüblichen Gruß: Felicissima notte! Ich habe in die Dämmerung hinein geschrieben, ohne es zu merken, daß es beinahe ganz Nacht geworden ist. Das große Meer ist kaum noch zu sehen, und zu hören ist es auch nicht mehr vor dem wachsenden Lärm der Gasse. Valerie schließt mir sorglich die Fenster, und sie und mein armer betäubter Kopf rathen beide dringend zum Beendigen dieses kränklich verworrenen Briefes. Wie viel von Eurem Sommergast ist zurückgeblieben in der Hütte des Räkels auf der Vierlingswiese! Was von dem frühern Veit Bielow ist mit begraben worden unter dem Hügel der Fee auf dem Kirchhofe Deines Dorfes, Prudens Hahnemeyer! Ich lache nicht mehr über Deine Nerven, alter Freund. Suche sanft mit unserer Schwester umzugehen, Prudens: die Starken lachen auch selten auf dieser Erde, aber sie zeigen es auch nicht durch Thränen, wenn wir Andern ihnen weh gethan haben.
Veit von Bielow.“     
*               *
*

Als Phöbe an diesem Abend von ihren milden Werken und beschwerlichen Wegen im Dorfe nach Hause zurückgekehrt war, ist ihr Bruder doch nicht viel anders als sonst mit ihr umgegangen. Mit dem gewohnten Ton und einer kurzen deutenden Handbewegung hat er gesagt:

„Da ist in Deiner Abwesenheit noch ein Brief angekommen, der Dir mit – und ein Geschenk, das Dir allein gilt. Siehe nun zu, was Du aus des Mannes Schreiben und aus seiner Gabe verstehen und für Dich entnehmen kannst. Ich sehe nur, daß ihn ein starker Arm hält und schüttelt, und daß er sich nach der Art von Seinesgleichen zwischen Frivolität und Hypochondrie, zwischen Eitelkeit und Weinerlichkeit wehrt. Wir können ihm nicht helfen, Phöbe! Er ist in den Tagen seiner Schwäche eben so fern von uns, wie neulich, da er in der Erde Sommerluft, im vollen Gefühl seiner Kraft und in der Sicherheit seiner Wissenschaft und Künste zu uns eintrat. Er ist ein Thor und schreibt thöricht und schwächlich; aber ich meine doch, daß Du seine Gabe nehmen darfst. In welchem Sinne, darüber sprechen wir wohl noch in Nächten, die ruhiger sind als die jetzige. Es redet jetzt ein Anderer zu laut durch seinen Sturm. Dieser Wind ist entsetzlich und betäubt mir vollständig die Sinne. Nimm den Brief und das Geschenk Deines Freundes mit Dir, Kind; ich kann Dir vielleicht morgen genauer sagen, wie ich über Beides denke und was für eine Antwort darauf nöthig sein wird.“

Phöbe hat den Brief Veit von Bielow’s und die Grablampe der Phoebe Domitilla in ihr Stübchen getragen. Sie hat aus dem Schreiben ihres unruhigen Sommergastes begriffen, daß eine Antwort darauf nicht möglich sein wird. Es ist weit nach Mitternacht. Das kleine ernste Geräth, das über ein Jahrtausend in der Stille und Dunkelheit ruhte, wird nun vom winterlichen Sturm des deutschen Gebirges umbraust; es steht unverwundert auf der Stelle, die ihm die Gastfreunde im fernen Süden auf dem Tische der Idiotenlehrerin aus Halah anwiesen.

Phöbe schreitet nicht unruhvoll, wie ihr Bruder, auf und ab in der wilden Nacht. Sie sitzt still in dem engen Lichtkreis, nicht der römischen Grablampe, sondern ihrer Arbeitslampe. Und trotzdem, daß man es ihren Augen ansieht, daß sie geweint hat, weil Valerie von Bielow immer noch nicht ihr verzeihen kann, ist sie im Frieden, und fürchtet sich nicht vor dem Lärmen des Windes und nicht vor ihrem ewigen Anrecht an die alte Erde, draußen unter der Felswand neben dem Hügel der Fee, wo augenblicklich, wie man im Dorfe sagen würde: auch der stärkste Mann sich nicht auf den Füßen halten kann. Sie ist die einzige Gewappnete unter alle den Rüstungslosen, die einzige Ruhige unter alle den Aufgeregten, die einzige Gesunde unter alle den Kranken. Ohne ihr Zuthun hat sie die Gabe – die Gnade, von der Spörenwagen, der Kommunist, auf dem Wege nach Hause redete.

Wo aber ist nun Phöbe in diesem Augenblick mit ihren Gedanken? Nicht bei den Freunden aus dem Säkulum im fernen Palermo; nicht bei dem Bruder, dem Pfarrer Prudens Hahnemeyer – bei all’ diesen unruhigen Gästen des Erdenlebens.

Bei ihren Kindern in Schmerzhausen ist sie in ihren Gedanken, und eben lächelt sie und spricht leise:

„Daß mir keines den Reigen stört; sonst muß ich böse werden!“


[625]

„Es war einmal“.
Nach dem Oelgemälde von Hermann Kaulbach.

[626]
Karl Reinecke.
(Mit Portrait S. 613.)

In der vordersten Reihe der Musiker unserer Zeit, die sich einer vielseitigen Bildung rühmen können und durch ein vielseitiges Talent auszeichnen, steht ohne Zweifel Dr. Karl Reinecke, der in seiner Eigenschaft als Dirigent der Leipziger Gewandhauskoncerte in den letzten Tagen des September sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiern wird. Mit Stolz darf er auf dies Vierteljahrhundert regster und erfolgreichster Thätigkeit zurückblicken; mit Stolz darf er sich sagen, daß er das, was er erreicht hat, nur sich selbst, seinem rastlosen Eifer und unermüdlichen Streben verdankt. Mit kurzen Worten sei hier darum geschildert, wie ihn dies Streben von Stufe zu Stufe bis zu der hervorragenden Stellung, die er in dem Musikleben der Gegenwart einnimmt, empor geführt hat.

Geboren am 23. Juni 1824 zu Altona, zeigte Karl Reinecke schon in seiner frühesten Jugend bedeutendes musikalisches Talent, das von seinem Vater, dem er überhaupt fast seine ganze Ausbildung nach dieser Seite hin zu danken hat, auf das Sorgsamste entwickelt und gepflegt wurde. Wie groß dasselbe war, geht aus einer kleinen Begebenheit aus dem Leben des damals sechsjährigen Knaben hervor. In dem väterlichen Hause wurden öfters Streichquartette gespielt, denen zuhören zu dürfen einer der größten Hochgenüsse des Kindes war. Eines Tages konnten die Mitwirkenden trotz wiederholten Probirens an einer Stelle nicht zusammenkommen; der Knabe, der aufmerksam zugehört hatte, trat vor und sagte, das Cello müsse um einige Takte später einsetzen; man versuchte – und siehe da, die Harmonie war hergestellt. Aber auch der Unterricht, der diesem Talente zu Theil wurde und der bereits im sechsten Jahre sowohl im Klavier- und Violinspiel als auch in der musikalischen Theorie begann, muß ganz vorzüglich gewesen sein; dafür spricht schon der Erfolg der Studien, die den jungen Musiker in den Stand setzten, bereits im zwölften Jahre Beethoven’s C-dur-Klavierkoncert öffentlich vorzutragen. Gleiche Fortschritte machte der Knabe im Violinspiel, das ebenfalls später zum öffentlichen Auftreten führte, das aber im zweiuudzwanzigsten Lebensjahre Reinecke’s dadurch ein jähes Ende erreichen sollte, daß er den linken Arm brach und damit für immer der Ausübung dieser Fertigkeit entsagen mußte. Die geistige Nahrung, die ihm beim Unterricht geboten wurde, bestand in den Werken aller hervorragenden Komponisten von Bach bis Mendelssohn und Chopin.

Ein wunderliches Geschick wollte es aber, daß gerade der Komponist, zu dem sich Reinecke später besonders hingezogen fühlte, Robert Schumann, im väterlichen Hause nicht beliebt war und somit vollständig vom Unterricht ausgeschlossen blieb, so daß der Schüler sich nur ohne das Wissen des Vaters mit ihm beschäftigen durfte. Mit der praktischen Erlernung der erwähnten Instrumente ging das fleißige Studium der musikalischen Theorie Hand in Hand. Schon damals legten die strengsten kontrapunktischen Uebungen den Grund zu der Meisterschaft, die Reinecke als Komponist auch in dieser Hinsicht besitzt.

So förderte der sorgsame Vater die Ausbildung seines Sohnes nach jeder Seite hin auf das Gründlichste, bis das Jahr 1840 herankam, in welchem das für den Komponisten so große Ereigniß der ersten öffentlichen Aufführung eines Werkes, in diesem Falle eines Koncertstückes für Pianoforte und Orchester, eintrat. Wie mächtig nun auch nach dieser Aufführung den jungen Mann der Wunsch erfaßte, hinaus in die Welt zu treten, so mußte er doch vorläufig in den kleinen musikalischen Verhältnissen seiner Vaterstadt ausharren. Der Künstler lernte den bitteren Ernst des Lebens kennen; zu weiterer Ausbildung fehlten ihm die Mittel, und selbst den Lebensunterhalt mußte er sich durch Unterrichten verdienen.

Erst nach drei Jahren sollte seine Sehnsucht, die ihn namentlich nach dem schon damals als Musikstadt berühmten Leipzig zog, durch König Christian VIII. von Dänemark befriedigt werden, an den er sich mit der Bitte um ein Stipendium wandte. Die deßhalb unternommene Reise nach Kopenhagen bot mancherlei Anregung, wie z. B. das Bekanntwerden mit dem Komponisten Niels W. Gade und mit dem berühmten Violinvirtuosen W. Ernst, mit dem Reinecke in Kiel koncertirte.

Endlich, im November des Jahres 1843, fand die ersehnte Uebersiedelung nach Leipzig statt; und nun begauu der Stern seines Ruhmes bald zu steigen. Die Bekanntschaft mit Gade trug gute Früchte; sie eröffnete Reinecke das Haus des Gewandhausdirigenten Ferdinand Hiller und ebenso das Mendelssohns. Von großem Einfluß ward auch die kurz darauf gemachte Bekanntschaft Schumann’s; welche Svmpathie dieser für den jüngeren Kollegen empfand, beweist nicht nur die spätere Widmung seines op. 72, sondern auch der Umstand, daß er ihm viele Klavierarrangements seiner Werke übertrug und ihn sogar zur Instrumentirung seiner Komposition „Der Rose Pilgerfahrt“ aufforderte. Neben diesen für den inneren Menschen wichtigen Begebenheiten fehlten aber auch die äußerlich bedeutenden Ereignisse nicht. Schon kurz nach seiner Ankunft stellte er sich dem Leipziger Publikum sowohl im Gewandhause wie in der „Euterpe“ als Pianist vor, und bald wurde er so bekannt, daß er sich im Anfang des Jahres 1848 in den Stand gesetzt sah, seine erste große, überall von glänzenden Erfolgen begleitete Koncertreise, deren Ziel das nördliche Deutschland und die russischen Ostseeprovinzen waren, zu unternehmen.

Als fertiger Künstler konnte er noch in demselben Jahre nach Kopenhagen, das einst dem bescheidenen Anfänger den Weg in die Welt gebahnt, zurückkehren. Dort wurde er vom Könige sogleich zum Hofpianisten ernannt und von einem gewählten Künstlerkreise, dem die dänischen Schriftsteller Andersen und Oehlenschläger, der Geiger Ernst, die berühmte Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient und andere interessante Persönlichkeiten angehörten, mit offenen Armen empfangen. Dieser Aufenthalt, in welchen auch der schon erwähnte Bruch des linken Armes fiel, wurde erst durch die 1848 beginnende Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark beendet, die Reinecke veranlaßte, nach seiner Heimath zurückzukehren.

Nachdem er daselbst bis zum Herbst geblieben, verbrachte er den folgenden Winter in Bremen, im Verein mit Jenny Lind, wie auch mit Franz Liszt mehrere Koncerte veranstaltend; und hierauf, von dem Wunsche beseelt, auch im Auslande noch bekannter zu werden, besuchte er Paris, wo er ebenfalls in mehreren Koncerten höchst erfolgreich auftrat. Der Zufall wollte es, daß Hiller sich gerade in Paris aufhielt; dieser bestimmte Reinecke, als Lehrer des Klavierspiels und der Theorie an das Kölner Konservatorium zu gehen. Nach mehrjähriger Lehrthätigkeit sollte Reinecke 1854 endlich mit der Beschäftigung beginnen, die seitdem einen Hauptbestandtheil seines Berufes bildete und ihn bald zu einer der ersten musikalischen Stellungen Deutschlands führte: mit der Direktionsthätigkeit. Die erste Veranlassung dazu war ein Ruf nach Barmen, wo er fünf Jahre lang als Musikdirektor lebte, um dann einem neuen Ruf als Universitäts-Musikdirektor und Dirigent der Singakademie nach Breslau zu folgen. Doch sollte Breslau ihn nicht lange fesseln; sein Ruhm war schon so gestiegen, daß ihm nach einem Jahre der ehrenvolle Antrag wurde, als Leiter der Gewandhauskoncerte und Lehrer des Konservatoriums nach Leipzig zu kommen, eine Aufforderung, der er natürlich mit Freuden Folge leistete; kehrte er doch als ruhmbedeckter Künstler an die Stätte zurück, die ihm schon in den frühen Tagen der Jugend als verlockendes Ziel vorgeschwebt hatte!

In dieser Stellung lebt er nun seit 25 Jahren in Leipzig, glücklich im Kreise seiner zahlreichen Familie, seit jener Zeit von vielfachen Erfolgen, ebenso als Komponist, wie als Pianist und Dirigent, begleitet. Wie seine Kompositionen ihm in Deutschland und im Auslande großen Ruf erwarben, so wurde er auch überall durch häufige Koncertreisen als bedeutender Pianist bekannt; wie sehr man seine Dirigententhätigkeit zu schätzen weiß, das beweisen die zahlreichen Aufforderungen, auswärtige Musikfeste zu dirigiren. Nach jeder Seite hin, in den erwähnten Eigenschaften und als Lehrer nimmt Karl Reinecke eine Stellung in Leipzig ein, welche von großem und segensreichem Einfluß auf das ganze dortige Musikleben ist. In gerechter Anerkennung seiner Verdienste verlieh ihm deßhalb die Leipziger Universität vorigen Winter bei Gelegenheit der Einweihung des neuen Gewandhauses den Doktortitel honoris causa, nachdem ihm schon früher mannigfache andere Auszeichnungen zu Theil geworden waren.

Die Kompositionen Reinecke’s zeichnen sich durch einen seltenen Adel der Empfindung aus. Dies gilt nicht nur von den größeren Werken wie z. B. von seiner tragischen Oper „König Manfred“ und der soeben vollendeten komischen „Auf hohen Befehl“, sondern auch von seinen Chorwerken, Symphonien, Ouvertüren, Koncerten etc.

Ein ganz neues ihm ureigens angehörendes Genre hat er mit seinen Märchendichtnngen für Frauenchor und Soli mit Klavierbegleitung und verbindender Deklamation, „Schneewittchen“, „Aschenbrödel“, „Dornröschen“ und „Die wilden Schwäne“ geschaffen. Dieselben bieten als musikalische Stimmungsbilder soviel des Schönen, daß sie zu den reizvollsten Tondichtungen der Neuzeit auf diesem Gebiete gehören und allein schon hingereicht hätten, den Namen Reinecke’s populär zu machen, wenn dies überhaupt noch nöthig gewesen wäre. Dasselbe läßt sich von seinen Liedern behaupten, von denen eine große Anzahl weite Verbreitung gefunden hat; es sei hier nur das entzückende „Guten Abend, lieber Mondenschein“ und der reizende „Schelm“, der in Wahrheit „durch alle Lande geht“, wie es dariu heißt, erwähnt. Eine besondere Ader hat er auch für musikalischen Humor; seine Ouvertüre zu Goethe’s „Jahrmarktsfest von Plundersweilen“ ist in dieser Hinsicht ein Meisterstück. Hierher gehört auch seine vierhändige Musik zu dem Märchen „Nußknacker und Mausekönig“, welcher der berühmte Aesthetiker W. Ambros einen besonderen Aufsatz widmete und in welcher der Ton des Humoristisch-Märchenhaften so ausgezeichnet getroffen ist, daß sich in der ganzen Klavierlitteratur kaum etwas Aehnliches findet, das diesem Werke an die Seite zu setzen wäre. Wie sehr der Komponist der Kinderseele nachzufühlen versteht, das beweisen seine zahlreichen Kinderlieder und die allerliebste Kinderoper „Glückskind und Pechvogel“.

Nicht minder groß ist der Ruf Reinecke’s, den er sich als Pianist erworben; auch auf diesem Gebiete hat er eine Specialität, in der ihn Niemand übertrifft, dies ist sein Vortrag der Mozart’schen Klavierwerke, die er mit einer geradezu bezaubernden Grazie wiederzugeben vermag. Vermöge seines musikalischen Feingefühls steht er auch in der Begleitung des Gesangs am Klavier unübertroffen da. Außerdem widmet sich Reinecke auf das Eifrigste der Lehrthätigkeit und hat hierin schon zahlreiche glänzende Erfolge erzielt. Gar mancher Komponist und Pianist von Ruf war sein Schüler, und aus den fernsten Ländern kommen junge Musiker, um seinen Unterricht zu genießen.

Auch im Privatleben zeichnet sich Reinecke durch besondere Vorzüge aus. Die Vornehmheit, die seiner Musik zu eigen ist, bildet auch einen Grundzug seines Charakters. In der uneigennützigsten Weise ist er stets bereit, junge Künstler zu unterstützen und zu fördern. Im persönlichen Verkehr höchst liebenswürdig, weiß er in der Unterhaltung durch feinen Humor zu fesseln; kein Wunder, daß er diejenigen, die mit ihm nur gesellschaftlich verkehren, ebenso für sich einzunehmen versteht, wie Alle, die ihn näher kennen, namentlich seine Schüler, die ihm stets treue Anhänglichkeit bewahren. Mag ihm der Tag des frohen Festes die schöne Ueberzeugung bringen, daß sie Alle von dem einen Wunsche beseelt sind: er möge als Leiter der Gewandhauskoncerte zum Heile des Instituts noch lange Jahre in seiner segensreichen Thätigkeit fortwirken! Paul Umlauft.     




[627]

Blätter und Blüthen.

Das Wappen der Plattner zu Nürnberg.
Aus dem Werke „Allegorien und Embleme“.
Verlag von Gerlach und Schenk in Wien.

Allegorien und Embleme. Der erfreuliche Aufschwung, den das deutsche Kunstgewerbe in jüngster Zeit genommen, erweckte in weiten Kreisen das Bedürfniß nach mustergültigen Vorlagen für die schaffende Hand der modernen Meister. Wir haben schon wiederholt auf wahre Prachtwerke hingewiesen, die in den letzten Jahren entstanden und diesem Bedürfniß Rechnung tragen, und auch bereits einmal der „Allegorien und Embleme“ gedacht, als der erste Band dieses Sammelwerkes originellster Art von Martin Gerlach herausgegeben wurde.[2] Der Plan des Herausgebers war ein überaus kühner: Allegorische Darstellungen sollten erdacht werden – erdacht im Geiste und an der Hand der technischen Hilfsmittel unserer modernen Zeit! – für alle ewigen und zeitlichen Begriffe, Empfindungen, Vorstellungen und Thätigkeiten; alte Zunftzeichen der Handwerker sollten nachgebildet und daneben Zunftwappen im Geschmacke der Renaissance ersonnen werden. So kunterbunt die Erfüllung eines derart weit geplanten Programmes zunächst erscheinen mag, ein Blick in das Werk selbst wird den Fachmann wie den Laien belehren, daß eine feste Hand die rechte Ordnung in dies Riesenmaterial gebracht hat, welches ein echt künstlerischer, weil freier, von hemmenden zopfigen Traditionen emancipirter Geist durchweht. Was der erste Band versprach, haben die folgenden reichlich, ja alle Erwartungen übertreffend, erfüllt. Von der Wiege bis zur Bahre begleiten die allegorischen Versinnbildlichungen den Fürsten wie den Kaufherrn, den Künstler wie den schlichten Landmann auf allen seinen Lebenswegen, durch all seine Freuden und Leiden, und dies in allen Auffassungen, allen Darstellungsmanieren, welche unsere heutige Kunst nur irgend kennt. Das ergiebt eine Fülle von oft überraschend gelungenen Lösungen der ebenso schwierigen als bedeutsamen Frage, wie dem Bedürfnisse unserer modernen, als gar zu nüchtern verschrienen Zeit nach künstlerischem Ausdrucke ihrer Bestrebungen und Lebensbedingungen entsprochen werden könne. Und hierin liegt wohl der hervorragende Werth dieser Publikation, auf welche wie nicht leicht auf eine andere Art das Dichterwort paßt: Wer Vieles bringt, wird jedem etwas bringen! Denn ein wahrer Schatz von Anregungen und direkt zu nützenden Beispielen bietet sich hier dem Beschauer, und wer lernen will, der mag nur ruhig zugreifen, wo Namen wie Ferdinand Keller, Friz Kaulbach, Julius Berger, Seder, Seitz, Ströhl, Gehrts, Theyer den künstlerischen Ernst des Werkes, wie auch seines Herausgebers verbürgen!

Den erläuternden Text zu diesem Künstlerturniere“ zu schreiben, war keine leichte Aufgabe. Der bekannte Kunsthistoriker und Direktor der kaiserlichen Kunstsammlungen in Wien, Dr. Albert J1g, hat diese Aufgabe indeß in mustergültiger Weise gelöst. Seine knappen, immer sachlichen und belehrenden Erklärungen geleiten uns mühelos von Blatt zu Blatt, sie vermitteln und verbinden ebenso übersichtlich als ungezwungen die einander oft fremd gegenüber stehenden Welt- und Kunstanschauungen, welche uns hier in systematisch geordneter Folge entgegentreten.

Doch besser als jede noch so ausführliche Kritik werden die beiden Illustrationen, die wir heute unsern Lesern vorführen, den Werth und Zweck des Werkes klarlegen. Die Allegorie der Verschwiegenheit (vergl. S. 620) ist ein wohlgelungenes Werk des Münchener Künstlers C. Marr. Geheimnißvoll und ernst steht die antik drapirte Frauengestalt vor uns da. Der Finger schließt die Lippe, der tiefe Schnee und die ernste Eule sind ihre Symbole, und Todtenschädel deuten die Stille des Grabes an, mit der sie ihre Geheimnisse bewahrt.

Einen Gegensatz zu dieser Auffassung der modernen Kunst bildet das nebenstehende Wappen der Plattner, einer Zunft, die einst Harnische verfertigte und mit den Gepanzerten in der Geschichte verschwand. Die stilvollen Ornamente des Wappens haben einen hohen künstlerischen Werth und dürften von manchem Meister der Neuzeit, der vor ähnliche Aufgaben gestellt wird, als Hilfsmittel mit Freude begrüßt werden.

In dieser Weise durch Schaffung neuer und Vorführung alter anerkannter Muster sucht das Werk nutzbringend und veredelnd auf den Geschmack der Zeitgenossen zu wirken. Karl Weiß.     


  1. Unter Meilen sind in diesen Artikeln stets englische Meilen verstanden, von denen 46/10 auf die deutsche Meile gehen.
  2. „Allegorien und Embleme“. Herausgegeben von Martin Gerlach. Wien, Gerlach und Schenk. Siehe „Gartenlaube“ 1883, Nr. 10.

Ueber kranke und gesunde Nerven. Ueber die Nervosität unserer Zeit ist schon viel geschrieben worden. Jedermann kennt das düstere Bild, welches ernste Forscher vor uns entrollt haben, indem sie die Folgen der ruhelosen Jagd nach Erwerb, des unaufhörlichen Kampfes ums Dasein schilderten. Bleich, verdrossen, aufgeregt, unstät erscheinen die Menschen der modernen Civilisation, sie sind von „nervöser Schwäche“ befallen und geben dem Geschichtschreiber Recht, der von einem „nervösen Zeitalter“ spricht. Es ist darum mehr als je geboten, daß die Grundlehren einer vernünftigen Lebensweise, die jenem Uebel abhelfen kann, die größte Verbreitung finden, daß die Ursachen der Nervosität auch für die große Masse aufgedeckt und Mittel zu ihrer Verhütung bekannt werden.

Dieses wichtige Ziel verfolgt ein nicht umfangreiches, aber überaus klar und überzeugend geschriebenes Werk von Professor Dr. Freiherr von Krafft-Ebing, welches unter dem Titel „Ueber kranke und gesunde Nerven“ soeben im Verlage der H. Laupp’schen Buchhandlung in Tübingen erschienen ist.

Es enthält eine Reihe wichtiger und beachtenswerther Rathschläge für alle Diejenigen, die durch geistige Arbeit sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Sie werden in dem Werkchen über die Diätetik der geistigen Arbeit und die Diätetik der Erholung überraschende Aufschlüsse finden und zum Theil nach den Regeln des Verfassers ihre Lebensweise einrichten können. Leider nur zum Theil, denn für die große Masse sind die Forderungen, welche die Wissenschaft stellt, vorläufig unerfüllbar. Aber bei einigem guten Willen ließe sich Vieles erreichen, ohne die [628] Einrichtungen unseres wirthschaftlichen Lebens umzugestalten, und Krafft-Ebing giebt selbst einige Winke, die in den maßgebenden Kreisen Beachtung finden sollten. Wir bringen im Nachstehenden nur einige Auszüge, die wir dem Kapitel „Die Diätetik der Erholung“ entnehmen.

Nach einer Reihe von Arbeitstagen, sagt der Verfasser, muß eine längere Arbeitspause folgen. Das haben die Menschen schon früh erkannt. Diesem Bedürfniß entspricht die uralte wohlthätige, auf göttliches Gebot zurückgeführte Sitte, einen Tag in der Woche als Ruhetag zu halten. An dieser ehrwürdigen Institution festzuhalten, hat die moderne Gesellschaft guten Grund. Leider fehlt sie vielfach darin, daß der Erholungstag mit Beschäftigungen zugebracht wird, die keine Erholung sind. In der Volkserziehung müßte darauf hingewirkt werden, daß der Sonntag auch wirklich ein Tag der Erholung und Ruhe für Geist und Körper sei, nicht ein Tag der Orgien und der Völlerei, des nervenzerrüttenden Hazardspiels und Trinkens.

Aber selbst der gut zugebrachte Sonntag genügt nicht für den geistigen Arbeiter im modernen Kulturleben. Er bedarf einer längeren Zeit der Erholnng und Rast alljährlich, um leistuugsfähig zu bleiben. Diese Zeit des Urlaubs, des Ausruhens sollte dem geistigen Arbeiter nicht zu knapp zugemessen sein. Vier Wochen sind eine bescheidene Forderung für Den, welcher überdies in den hygienisch schlechten Bedingungen der Großstadt, des Bureau, des Komptoirs 11 Monate des Jahres zubringen muß.

Diese Zeit des Urlaubs muß aber richtig angewendet werden, um Erfolg zu gewähren, sie muß dem beschaulichen ruhigen Genuß der Natur gewidmet sein, nicht dem Herumreisen im halben Welttheil mit Kurierzügen und Nachtfahrten.

Die Bedeutung der Ferien und des Landaufenthalts für die Erhaltung der geistigen Leistungsfähigkeit ist noch lange nicht in dem Maße gewürdigt, als es nöthig wäre. Der Lehrer sollte pekuniär so gestellt sein, daß er nicht seine Feier- und Ferialtage mit Stundengeben zubringen müßte. Die Behörden sollten einsichtsvoll genug sein, ihren geistigen Arbeitern alljährlich ein paar Wochen der Erholnng zu gönnen.

Wer nach solcher Sommerfrische gestärkt zu seinem Berufe zurückkehrt, leistet ganz Anderes als vorher und wird viel später pensionsbedürftig.

Der Staat hätte, ganz abgesehen von der humanitären Seite der Frage, ein Interesse, wenn er seinem verdienten Subalternbeamten Zuschüsse zur Bestreitung seines Sommeraufenthaltes böte und an geeigneten Orten, wie er ja vielfach Freibäder und Freiplätze besitzt und Beamten zukommen läßt, Erholungsorte für solche errichtete.

Wichtig sind auch die Bemerkungen des Verfassers über die fehlerhafte Erziehung der Jugend, die so oft den Grund zur Nervosität legt. Möchten sie in weitesten Kreisen Beachtung finden!


„Es war einmal“. (Illustration S. 625.) Man kann dieses Bild nicht ansehen, ohne daß einem das Herz lacht. Da ist zuerst der alte Erzähler; wir begrüßen in ihm Herrn Peter, den Hofnarren der gräflichen Familie, welche in dem großen Schloß auf dem hohen Berge in Schwaben gewohnt hat. Die Hauptpersonen unter den Kindern sind der Knabe mit der Armbrust und sein blondlockiges Brüderchen, die Grafensöhne. Das strickende Mädchen ist des Burgkämmerers Sabinchen, die Gespielin der Vorigen. Herrn Peter zur Linken hockt des Kellermeisters Sannchen auf dem Schemel und hinter den Grafenkindern des Mundkochs Kilian mit seinem Schwesterchen Rösle. Das ist die ganze Gesellschaft. Wenn Herr Peter mit den gräflichen Kindern hinab ins Dorf kommt, so umringt ihn die ganze Jugend, und er erzählt dem lauschenden Haufen gar gern. Hier aber haben wir nur sein Kernpublikum vor uns. Das erkennen wir deutlich an der Wirkung seiner Märchenlust. Alle hängen mit Auge, Ohr und Herzen an dem Erzähler, in dessen Antlitz der Künstler, Hermann Kaulbach, so viel herzgewinnende Freundlichkeit und Schalkhaftigkeit gelegt hat, daß schon um dieses köstlichen Alten willen das Bild unter die besten Schöpfungen der modernen deutschen Kunst gerechnet werden muß.


Die Geschichte des Wortes „Kannibalen“. Als Columbus 1492 von Cuba nach Haïti segeln wollte, suchten ihn die gefangenen Eingeborenen, die er an Bord hatte, voller Furcht davon abzubringen, indem sie zu verstehen gaben, daß die Bewohner Menschenfresser wären. Sie nannten dieselben Kariben (woraus später „Karaïben“ entstand); die Kariben selbst leiteten ihren Namen von dem ihres Stammvaters Kalina ab. Damals verhörte sich Columbus und verstand „Kaniben“, und so wurde durch sein Mißverständniß der Ausdruck Kannibalen für die Menschenfresser eingeführt. Dabei gab Columbus dem Namen eine Deutung, die uns heute höchst ergötzlich erscheint, wobei zu bedenken ist, daß er darauf ausging, die Inseln Japans und die Küste von China zu erreichen und nicht mehr fern davon zu sein glaubte. Er schreibt in seinem Tagebuche vom 11. December 1492: „Kaniba kaun nichts weiter bedeuten, als Völker des Chans (des Mongolenchans); also muß er in der Nähe residiren. Wahrscheinlich schickt er seine Flotte auf den Sklavenfang aus, und da die Eingeborenen nie die Ihrigen zurückkehren sehen, so stellen sie sich vor, sie würden verzehrt. So lerne ich täglich diese Indier, und sie wiederum uns besser verstehen.“


Anfrage. Um die zahlreichen an uns gestellten Fragen nach Versorgungsanstalten für ältere Personen, nach Verpflegungsanstalten für Gebrechliche und Geistesschwache, nach Erziehungsanstalten für geistig zurückgebliebene oder verwahrloste Kinder, nach Pensionaten zur Erlernung der Haushaltung etc. etc. beantworten zu können, bitten wir dringend um Einsendung einschlägiger Adressen.

Ferner bitten wir um Adressen von Geschäften, welche die zu wohlthätigen Zwecken gesammelten Briefmarken, Cigarrenabschnitte, Flaschenkapseln, Korke etc. kaufen.

Schließlich werden uns alle Vereine, welche wohlthätige und gemeinnützige Zwecke in weiteren Grenzen verfolgen, durch Abgabe ihrer Adressen und Statuten zu Dank verpflichten.
Die Redaktion der „Gartenlaube“. 


Allerlei Kurzweil.


Auflösung der Aufgabe „Zum Kopfzerbrechen“ in Nr. 36: Das folgende Zahlenbild giebt die Veränderungen an, welche gemacht werden müssen, bis das Ziel erreicht ist.

In Nr. I ist jeder Platz durch ein Geldstück besetzt. Man ergreift zuvörderst das Geldstück, das sich auf dem sechsten Platze, von links nach rechts gezählt, befindet, und legt es über das fünfte, vierte, dritte hinweg auf das zweite. So entsteht die Position II. Alsdann legt man das siebente auf das elfte, wodurch Position III entsteht etc.


Auflösung der Schachaufgabe 4 in Nr. 36.

 Weiß:   Schwarz:
1. D a 8 – h 8   K d 5 – c 6: (e 6:)
2. D h 8 – a 8 † (g 8 †)       beliebig
3. S oder L setzt matt.

Varianten: a) 1. ..., K d 5 – c 4; 2. S c 6 – a 5 †, K c 4 – d 5; 3. S e 6 – c 7 matt. – b) 1. ..., beliebig anders; 2. D h 8 – d 4 †, K d t – c 6: oder e 6:; 3. S setzt matt.



Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.)

Edelweiß in den Karpathen. Th. D. München. Die gewünschte Aufklärung finden Sie unter Blätter und Blüthen in Nr. 26 des laufenden Jahrgangs der „Gartenlaube“.

A. A. 100, F. E., „H.“, G. W. in Dresden, S. M. in Breslau. R. J. in K., Margarethe aus G., Leopoldine H. in Wien, R. M. Leopoldstadt Wien, Runek . . Nicht geeignet.

X. in Braunschweig. Wenden Sie sich an ein Annoncenbureau.



Inhalt: Unterm Birnbaum. Von Th. Fontane (Fortsetzung). S. 614. Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten. Von Udo Brachvogel. VIII. S. 616. Mit Illustrationen S. 617, 618 und 619. – Die Enthüllung des Denkmals Friedrich Wilhelm’s I. im Lustgarten zu Potsdam. Von H. Lüders. Mit Illustration S. 621. – Unruhige Gäste. Ein Roman aus der Gesellschaft. Von Wilhelm Raabe (Schluß). S. 622. – Karl Reinecke. Von Paul Umlauft. S. 626. Mit Portrait S. 613. – Blätter und Blüthen: Allegorien und Embleme. S. 627. Mit Illustration S. 620 und 627. – Ueber kranke und gesunde Nerven. S. 627. – „Es war einmal“. S. 628. Mit Illustration S. 625. – Die Geschichte des Wortes „Kannibalen“. – Anfrage. – Allerlei Kurzweil: Auflösung der Aufgabe „Zum Kopfzerbrechen“ in Nr. 36. – Auflösung der Schachaufgabe 4 in Nr. 36. – Kleiner Briefkasten S. 628.



Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das dritte Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift, wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

manicula Einzeln gewünschte Nummern liefern wir pro Nummer incl. Porto für 35 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf.). Den Betrag bitten wir bei der Bestellung in Briefmarken einzusenden.
Die Verlagshandlung.

Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.