Zum Inhalt springen

Die Gartenlaube (1886)/Heft 7

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1886
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[113]

No. 7.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Was will das werden?

(Fortsetzung.)


3.

Emil war bei Konsul Riekelmann Sohn als Lehrling in das Geschäft getreten und trug von Stund an Stehkragen und einen hohen Hut, was ihn in meinen Augen nicht schöner machte, da er in Folge der steifen Kragen den Kopf stets krampfhaft reckte, als ob er in der Höhe des Nikolaithurmes nach den Tauben von Konsul Riekelmann Vater mit blinzelnden Augen spähe, und ihm in Folge davon der Hut immer tief im Nacken saß, wodurch er wiederum an Konsul Riekelmann Sohn erinnerte, der seinen Hut so zu tragen in England gelernt. Das kluge Jettchen hatte Recht gehabt: ich empfand seinen Abgang von der Schule als eine wirkliche Erleichterung. Es war nun einmal schlechterdings keine Ehre mit dem guten Jungen einzulegen, und ich hatte lange genug seinetwillen mit den Altersgenossen vornehm und gering auf dem Kriegsfuße gestanden, um mich einigermaßen nach einem ehrenvollen Frieden sehnen zu dürfen. Ein solcher aber schien mir jetzt in der Klasse um so mehr gesichert, als einige Wochen später auch Der, welcher der moralische Urheber der leidigen Zwischenstundenscene gewesen war, Astolf von Vogtriz, aus derselben trat. Er hatte mich freilich seit jenem Tage nicht eines Blickes, geschweige denn eines Wortes gewürdigt, trotzdem wir, ich als der Erste der Neuen, er als der Letzte der Alten, neben einander saßen, und lieber keine Antwort gegeben, als sich von mir „vorsagen“ lassen; aber da wir einmal „nicht für einander existirten“, wie mir unnöthiger Weise einer seiner Freunde vermelden mußte, so war es ja besser, wenn unsere Lebenswege sich trennten. Wie bald sie wieder, und wie oft und hart sie noch später sich kreuzen sollten, ahnte ich zum Glück in meiner Freude über sein Fortgehen nicht. Uebrigens war merkwürdiger Weise auch sein Abgang bereits vorher beschlossene Sache und sein Platz auf einem Institute einer nahe gelegenen Stadt der Provinz, in welchem junge Leute von Adel zum Fähnrich „gepreßt“ wurden, schon seit Ostern offen gewesen. Man hatte nur so lange gezögert, um den Schein zu vermeiden, als stehe sein Fortgehen mit der bewußten Affaire in irgend einer Beziehung.

Dies Alles erfuhr ich durch seinen Bruder Ulrich, der inzwischen mein guter Freund geworden war, ohne sich an das Nasenrümpfen seiner zahlreichen adligen Genossen mehr zu kehren als an die Warnungen und Ermahnungen des Direktors, seines „Nährvaters“, wie Schlagododro ihn nannte. So aber hatte ich ihn umgetauft, sobald ich mir diese Vertraulichkeit erlauben durfte, jenes Wortes eingedenk, mit dem er für mich in die Schranken getreten. Ich wollte ihn erst „Löwenherz“ nennen, aber „Schlagododro“ war entschieden besser, wenn er auch beim Himmel das Herz eines Löwen und die Stärke eines Löwen – Beides ins Menschliche übersetzt – hatte. Nur daß seine blonde Mähne stets nach allen Seiten völlig ungesalbt

Pablo de Sarasate.0 Nach einer Photographie von Fr. Hanfstängl in München.

[114] starrte und seine mächtigen Glieder ebenso höchst unköniglich durch einander schlenkerten. Auch war ihm die Drohung, „Den oder Jenen todtzuschlagen“, sehr geläufig, wobei es dann aber sein Bewenden hatte, trotzdem er leicht zu einem Berserkerzorn gereizt werden konnte. Sich an einem Schwächeren zu vergreifen, wäre seiner Großmuth unmöglich gewesen – ich könnte ebenso gut silberne Löffel stehlen, sagte er – und einen ihm an Kraft Ebenbürtigen oder gar Ueberlegenen gab es in der Prima nicht. Mußte doch selbst mein Freund Fritz Brinkmann, Vollmatrose, wie er jetzt war, nachdem ihn Schlagododro, mit dem er sich im Scherze zu messen versuchte, auf dem Walle hinter dem Garten in das Gras platt auf den Rücken geworfen „wie einen Flunder“, sich die strammen zerschlagenen Glieder reibend, eingestehen, „daß ihm so was noch nicht vorgekommen“.

Es verging jetzt aber kaum ein Tag, daß Schlagododro nicht in das kleine Haus in der Hafengasse gestürmt wäre, welches ihm, wie er mir selbst später sagte, eine neue Welt erschlossen hatte. Ich höre ihn noch das erste Mal die enge wurmstichige Treppe zu meinem Dachstübchen heraufpoltern und an die Thür donnern, wie der schwarze Ritter mit der Streitaxt an das Thor von Front de Boeuf’s Burg. Und sehe ihn eintreten mit den rollenden verwunderten Augen, die zuerst prüfend nach der Decke fuhren, an die denn freilich die blonde Mähne beinahe streifte. Und wie er sich auf den Stuhl setzte, den ich ihm angeboten, in offenbarer Sorge, ob das wackelige Ding nicht unter ihm zusammenbrechen würde, und wie die rollenden Augen sich dann in aller Stille weiter wunderten. Denn er war viel zu zartfühlend, sich über die Aermlichkeit von Verhältnissen, in die er so zum ersten Male gerathen war, eine Bemerkung zu erlauben. Im Gegentheil: er fand Alles „famos“: mein Zimmerchen, die Ausstattung, das viereckige Fenster mit den vergilbten Scheiben, den halbvertrockneten Kornelkirschbaum vor dem Fenster, den stillen feuchten Hof, über den ich ihn dann durch das Gärtchen oben auf den Wall führte, ihm von dort die Welt meiner Knabenjahre und ihre Herrlichkeit zu zeigen. Sie erschien mir nun, da ich sie gleichsam durch die Augen meines neuen Freundes sah, gar nicht so herrlich. Der Wall kam mir ungewöhnlich niedrig vor und ich ärgerte mich sehr über die Hopp’sche Wäsche, die nachbarlich von den Leinen flatterte und uns die Aussicht auf den Hafen benahm. Dazu war schon seit Tagen Ostwind und in Folge dessen der Vorstrand unter dem Walle ein schwarzer, mit Topfscherben, zerbrochenen Flaschen, Korkstöpseln und dergleichen übersäeter Morast, der Kirchhof nebenbei von unterschiedlichen großen und kleinen Fischen und ein oder zwei ertränkten Katzen. Schlagododro aber fand Alles „famos“, besonders Hopp’s Christine, welche in Begleitung ihrer Mutter und einiger Mägde – alle in sehr zweifelhaften Kostümen – zwischen den Wäscheleinen wirthschaftete und, so weit es die Entfernung irgend zuließ, mit dem blonden Hünen frei und fröhlich zu kokettiren versuchte.

Dann mußte ich ihn zu dem Vater in die Werkstatt führen, wo dann wiederum seine blauen Augen etwas zu rollen bekamen, während er, auf einem Haufen frisch geschnittener Bretter sitzend, sich so bescheiden und verständig mit dem Vater über dessen Handwerk unterhielt, als ob er demnächst in dasselbe eintreten wolle.

„Dein Vater ist famos,“ sagte er nachdenklich, als wir wieder über den Hof nach meinem Zimmer zurückgingen; „aber wo ist denn Deine Mutter?“

Der Zufall wollte, daß wir ihr am Fuße der Treppe begegneten in Begleitung des Geistlichen, der sie zu irgend einem barmherzigen Besuche, wie sie deren häufig machte, abgeholt zu haben schien. Wenigstens trug sie ein mit einer Serviette zugedecktes Körbchen am Arm. Sie war wie immer ganz schwarz gekleidet bis auf das schmale weiße Krägelchen um den Hals; der obere Theil des Gesichts war mit einem schwarzen Spitzenschleier bedeckt. Dennoch war, als sie so, ohne sich aufzuhalten, mit flüchtig kühlem Gruße an uns vorüberschritt, von ihrem süßen Gesicht genug zu sehen gewesen, um die rollenden Augen meines Gefährten vor Verwunderung starr zu machen. Diese wunderschöne, trotz ihrer klösterlichen Einfachheit elegante Dame, die bei der Begegnung kein Wort, kaum einen Blick für mich hatte, war meine Mutter! Der herzige Kahlkopf mit dem zerzausten grauen Barte in Hemdsärmeln, ausgetretenen Schuhen und der defekten, einst grün gewesenen Schürze da hinten in der dunklen Werkstatt war mein Vater! – wie reimte sich das? Ich sah die Frage wohl auf seinem Gesichte und hörte sie aus der Schweigsamkeit, in welcher er während der übrigen Zeit dieses ersten Besuches verharrte – ich konnte sie ihm jetzt noch nicht beantworten.

Ich konnte es später, als wir vertrauter geworden waren und er mit dem sicheren Takte seines Herzens das Eis der Zurückhaltung gebrochen hatte, indem er mir unaufgefordert über die Vogtriz’schen Familienverhältnisse in seiner ungenirten Weise reichliche Auskunft gab.

„Siehst Du, Kind,“ sagte er – er hatte mich so vom Vater nennen hören und der Ausdruck gefiel ihm, daß er ihn sofort adoptirte – „was wir Vogtriz sind, so haben wir uns auf allen Schlachtfeldern herumgehauen, so lange die Welt steht. Denn so alt sind wir wenigstens, wenn nicht noch ein bischen älter. Viel Geld und Gut scheinen wir nie gehabt zu haben; jedenfalls niemals auf lange Zeit: ,Vogtriz, Mutterwitz, aber keinen Vätersitz’ – ist ein Wort über uns schon aus dem vierzehnten Jahrhundert. Na, das mit dem Mutterwitz will ich auf sich beruhen lassen: man mag damals wohl nicht viel Ansprüche nach dieser Seite gemacht haben. Mit dem ,keinen Vätersitz’ hat es aber seine Richtigkeit bis auf den heutigen Tag, denn Nonnendorf, wo wir wohnen, kommt von meiner Mutter, der ich schon viel von Dir geschrieben habe und die sich darauf freut, Dich in den großen Ferien kennen zu lernen. Na, darüber sprechen wir noch. Also: Geld und Gut hatte der Vogtriz von jeher verzweifelt wenig, brauchte aber desto mehr und mußte deßhalb wohl oder übel anderen Herren, die besser zu wirthschaften verstanden, als er, Heerfolge leisten. Zumal den Hohenzollern, die uns darin und in vielen anderen Dingen entschieden über waren. Du weißt ja: Gefolgschaft – uralte germanische Sache, darauf beruhend, daß der Fürst oder König die Mannen an seinem Hochsitz schmausen und zechen läßt und ihnen rothes Gold in Form von Bechern, Armspangen etc. schenkt, wofür denn der Manne sich für den König todt schlagen läßt, respektive andere Leute todt schlägt und es für die größte Schande erachtet, den gütigen Herrn im Kampfe zu überleben. Nun, wie viel Leute die Vogtriz schon für die Hohenzollern todt geschlagen haben, oder wie viel von ihnen bei diesen Gelegenheiten selber todtgeschlagen sind, weiß ich freilich nicht, es müßte aber auf beiden Seiten eine bös lange Liste geben. Kann ein Vogtriz seinen bedrängten Verhältnissen durch eine reiche Heirath aufhelfen, so hat er principiell und praktisch nichts dagegen, wie zum Beispiel mein Vater und ein Großonkel von mir, der hier nicht gut that und in Amerika eine Millionärstochter heirathete, aber die Unvorsichtigkeit beging, bald darauf zu sterben, so daß es mit dem ,Onkel aus Amerika’ für uns leider nichts ist. Manchmal geht auch Einer, der sich von dem traditionellen Mutterwitz eine größere Portion zutraut, in den Civildienst; wie zum Beispiel mein Onkel, der Geheimrath in Berlin, und dessen Söhne, die Jura studiren; oder ich, der ich merkwürdiger Weise auch studiren will. Im Allgemeinen aber sind wir Soldaten, wie der Onkel und wie auch mein Vater, bevor er heirathete, und so ein Paar Schock Onkel und Vettern durch die ganze Armee. Uebrigens muß mit dem Vogtriz’schen Blut irgend einmal eine gründliche Mischung stattgefundcn haben, die durch die Jahrhunderte vorgehalten hat: die Einen sind schwarz und schön, wie mein Onkel, den Du ja kennst, und mein Bruder, oder, blond und dann häßlich, wie mein Vater und meine Wenigkeit. Das heißt: meine Kousine, Onkel Egbert’s Tochter hier, muß ich ausnehmen, bei Gott! Es wäre Verrath, die häßlich zu nennen; aber sie ist allerdings auch nicht in der gewöhnlichen Vogtriz’schen impertinenten Weise blond, sondern in einer ganz besonderen, die eigentlich braunroth oder goldig braun ist – tizianisch, glaube ich – nennen sie’s – und dazu hat sie sammetbraune Augen, mit denen sie Einen ansehen kann, daß man ganz wirr im Kopfe davon wird. Ich wundere mich nur, daß Du sie noch nicht gesehen hast, aber freilich – na, Du wirst sie ja kennen lernen, wenn Du in den Hundstagsferien mit mir nach Nonnendorf kommst.“

Dieser mein Besuch auf seinem väterlichen Gute war für Schlagododro eine abgemachte Sache, ebenso wie ich entschlossen, war, nicht hinzugehen, trotzdem ich höflicher Weise zugesagt hatte. Die Möglichkeit, dort seinem Bruder Astolf zu begegnen, hatte für mich gerade nichts Verlockendes, und wie lieb ich auch bereits Schlagododro gewonnen und mit jedem Tage mehr schätzen und lieben lernte, so viel war mir doch bereits klar, daß in unseren [115] Ansichten, in unseren Empfindungen Differenzen herrschten, zwischen denen kein Ausgleich möglich schien. Ich wußte nicht, daß diese Differenzen zwischen Menschen unausbleiblich sind, von denen die einen aus alten Famlilien stammen, welche eine wirkliche Geschichte haben, deren von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbte Tradition ein jeder von ihnen als theures Vermächtniß und für ihn verbindliches Testament seiner Ahnen mit ins Leben nimmt; und die andern dies Leben, so zu sagen, auf eigene Faust, und ohne Verbindlichkeit nach rückwärts, beginnen können und müssen, weil sie schon nicht einmal mehr wissen, wer ihr Großvater gewesen ist. Und ich wußte nicht einmal so recht, wer mein Vater gewesen war. Hielt ich mich aber, wie ich es doch that, zu dem Manne, der mir den besten der Väter ersetzt hatte durch tausendfältige Liebe, und den ich deßhalb von allen Menschen weitaus zumeist liebte, und wollte mir die Geschichte seiner Familie aneignen, nun, so gerieth ich auf jenen Aeltervater, den sein Fürst auf einen Hirsch geschmiedet. Seit jener Nacht war ich ein Fürstenhasser und Republikaner, wie der Vater seiner Zeit gewesen war: ich hatte mit ihm auf der Barrikade gestanden, und sie hatten mir den Finger abgeschossen, und irgend ein Vogtriz hatte Feuer kommandirt. Und hatte mit ihm im Zuchthaus gesessen, zu dem mich ein Ausnahmegericht verurtheilt, dem irgend ein Vogtriz präsidirt; und war mit ihm „oben auf dem Walde“ von Häschern gehetzt worden, wie sein Ahn von den fürstlichen Hunden und sicher hatte irgend ein Vogtriz die Häscher geführt. Wie konnte ich da für die „Gefolgschaft“ mich erwärmen, in welche, wie Schlagododro sagte, die Vogtriz ihren Stolz setzten! wie für den Mann, der Schlagododro’s specielle Schwärmerei war: den Ersten und Stärksten aller Mannen, den glänzenden Paladin, den getreuen Eckhart, den Schirmvogt des Königthums von Gottes Gnaden! Schlimm genug für ihn in meinen Augen, wenn er eine Institution auf einem rocher de bronze befestigen half, welche die freien Griechen und Römer nie ertragen und selbst Barbarenvölker abgeschüttelt hatten, sobald sie sich mündig fühlten!

Auf Schlagododro’s Stirn schwoll die Ader, und seine mächtige Fanst ballte sich, wenn ich in meiner republikanischen Ueberspannung solche Blasphemien vorbrachte. „Du willst Dich nicht vor Bismarck beugen? dem Riesen? Du Wicht, Du Pygmäe, Du Nichts!“ schnob er wüthend. Aber sah ich dann ihm, der mich mit einem Schlage zu Boden strecken konnte, furchtlos in die rollenden Augen, entwölkte sich sofort sein Gesicht, und er legte mir die Hand auf die Schulter. „Kind, Du verstehst von diesen Dingen nichts; ich eigentlich auch nicht, und der Unterschied zwischen uns ist nur der, daß ich sie einmal verstehen werde, und für Dich, wenn Du so fortfährst, die Zeit niemals kommen wird. Denke an das, was ich Dir jetzt sage, und bessere Dich, ehe es zu spät ist!“

Nein, zwischen Schlagododro und mir war eine tiefe Kluft befestigt, die keine Freundschaft überbrücken konnte. Dennoch liebte ich ihn von Herzen, und er liebte mich trotz meiner Ketzereien. „Denn siehst Du, Kind,“ sagte er, „darauf gebe ich nichts. So hast Du Dich auch in die Sache mit dem Pastor nur hinein geredet und wirst Dich ebenso wieder hinausreden; Du bist zu klug, um Dein lebelang ein wunderlicher Heiliger werden zu wollen, wie Dein Stiefvater, der übrigens ein prächtiger alter Herr ist. Du mußt nur erst unter Menschen kommen: zu uns nach Nonnendorf und überhaupt aus diesem kuriosen Winkel heraus. Hier wäre ich vermuthlich auch nicht anders geworden. Nur das Eine weiß ich sicher: mit Emil Israel hätte ich keine Freundschaft geschlossen.“

„Natürlich,“ sagte ich höhnisch, „wie käme denn auch der Ritter zu dem Juden!“

„Außer, wenn er Geld braucht,“ erwiderte Schlagododro ruhig. „Das dürfte bei den Vogtriz öfter der Fall gewesen sein, und ich fürchte, es steht sogar bereits jetzt wieder auf Nonnendorf mehr Israel’sches Geld, als meinem Vater und uns lieb ist. Aber das ist es nicht. Ich könnte keines Juden Freund sein.“

„Hast Du denn schon den Versuch gemacht?“

Schlagododro sah mich statt der Antwort mit wüthenden Blicken an.

„Siehst Du!“ fuhr ich fort. „Und das ist denn Eure gerühmte Ritterlichkeit: man kennt die Menschen gar nicht, giebt sich auch nicht die geringste Mühe, sie kennen zu lernen, sondern haßt und verachtet munter darauf los. Bequem ist das allerdings sehr.“

Er stierte vor sich hin.

„Hast Recht,“ sagte er. „Das ist kein ehrliches Spiel – Wegelagerei. Ueberfall aus dem Hinterhalt. Man muß seinen Feinden die Stirn bieten, denn meine, will sagen unsere Feinde werden die Juden bleiben; aber ich will ihnen wenigstens eine Chance geben. Du sollst mich bei den Israel’s einführen.“

Ich lachte hell auf. Schlagododro in dem dunkeln muffigen Israel’schen Familienzimmer! Das war, wie wenn man einen grimmen Kater in die Gesellschaft von knuspernden Kornmäusen bringt!

„Da ist gar nichts zu lachen,“ sagte Schlagododro. „Ich meine es ganz ehrlich und werde mich durchaus anständig benehmen. Frau Israel gnädige Frau nennen und Herrn I. I. nicht den Kassaschrank ausrauben, trotzdem es gerade augenblicklich um meine Kasse verteufelt schlecht bestellt ist.“

Ich war plötzlich ernsthaft geworden. Die dunkeln Drohungen, welche Herr Israel an jenem Abend vor seinem eisernen Geldschrank gegen Schlagododro’s Vater ausgestoßen, fielen mir wieder ein, und wie gelegen dem Manne Emil’s Kränkung durch Astolf Vogtriz zur Ausführung seiner unfreundlichen Absichten, welche dieselben auch waren, gekommen schien. Nun mochte der zweite Bruder wieder gut machen, was der erste gesündigt.

Indessen, wie wir auch die Sache hin und her überlegten, ein schicklicher Vorwand zur Einführung Ulrich’s in das Giebelhaus wollte sich nicht finden lassen, und bald sollten Ereignisse eintreten, welche nicht nur meinem eigenen alten Verhältniß zu der Nachbarfamilie einen schwersten Stoß versetzten, sondern auch die neue Freundschaft mit Schlagododro stark ins Wanken brachten.


4.

Professor Willy gab unsern vor acht Tagen eingelieferten deutschen Aufsatz: „Lessing’s Humanismus und Nathan der Weise“ kritisirend zurück. Der Ausfall der Arbeiten hatte ihn wenig befriedigt. Ich glaubte es gern, wenn er mit den anderen so unzufrieden war, wie ich in diesem kritischen Augenblick mit der meinigen. Noch gestern hatte ich Schlagododro, dessen Antipathie gegen das Judenthum zu bekämpfen mir als theure Pflicht erschien, ganze Stellen meines Aufsatzes aus dem Gedächtniß recitirt; hatte ihn mit dem Tempelherrn verglichen, dem Manne mit der bitteren Schale und dem süßen Herzenskern; Jettchen mit Recha und konsequenter Weise Isaak Israel mit Nathan, mich bescheidentlich mit dem großdenkenden, vorurtheilsfreien Saladin. Ich hatte freilich in meinem Aufsatz, den ich mit flammender Stirn und pochendem Herzen geschrieben, mein Allerbestes zu geben geglaubt; aber unser Allerbestes erscheint uns in schwachen Stunden als ein Allerschlechtestes. Dies aber war für mich eine jener schwachen Stunden – ich machte mich auf eine fürchterliche Blamage gefaßt.

Und der fatale Ausgang schien gewiß, als jetzt der Professor, nachdem alle übrigen Arbeiten zurückgegeben waren, als das letzte ein blaues Heft in die Hand nahm, das ich nur zu wohl kannte.

Eine kleine fürchterliche Pause, in welcher er seiner Gewohnheit gemäß mit gesenkten Augen dastand, die er jetzt langsam auf mich richtete, während ich die meinen schloß und nur den einen Wunsch hatte, daß ich ebenso auch die Ohren möchte schließen können.

Und nun hob seine Stimme wieder an, seltsam weich und zitternd von einer Erregung, welche die ersten Worte fast unverständlich machte:

„Ich habe hier noch einen Aussatz, den ich mir bis zuletzt aufgespart. Aber es steht geschrieben, die Letzten sollen die Ersten werden. Und dieser letzte ist der erste, ist der beste, ist der einzige, der mich befriedigt, der mich so befriedigt hat, daß ich darüber das traurige Resultat im Uebrigen freilich nicht verschmerzen kann, aber doch weniger schmerzlich empfinde. Denn wenn auch mir in eines Jünglings Seele von so vielen ein Funken des heiligen Feuers glimmt, welches Lessing’s große Seele ganz durchglühte und das er ganz ausgeathmet hat in das Hohe Lied reinster Humanität, als welcher sein ,Nathan‘ durch alle Zeiten klingen wird – nun, so ist dieses Feuer trotz alledem – trotz der banausisch-materialistischen Gesinnung, welche in unseren Tagen die Gemüther der Jugend selbst mit ihrem herzerkältenden Hauche streift – noch nicht erloschen; so braucht man nicht zu verzweifeln, ob auch, wie der Dichter sagt, ,in trübster Nacht der Hoffnung

[116]

Vor dem Rath der Drei in Venedig.
Nach dem Oelgemälde von C. v. Piloty.

[117] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.


 [118] letzte Sterne schwinden‘; so darf man, so muß man hoffen, daß, was in dem Einen lebt, zum Leben wieder erwachen wird auch in den Andern; ja, daß der Eine berufen und auserwählt sein mag zum Erwecker dieses Lebens in den Andern. Wie denn geschrieben steht, man soll das Licht nicht unter, sondern auf den Scheffel stellen, damit es leuchte vor den Leuten, auf daß sie sich die Augen reiben und erkennen lernen, wieviel schöner das Licht doch ist, denn die Finsterniß. Ihm aber, der das Licht hat - ihm, der es, mit einem anderen neueren Dichter zu sprechen, ,als ein Leuchter durch die Welt tragen‘ soll – ihm rufe ich zu: o, halte es! halte es fest und halte es heilig! Und nie komme in Deine Seele der Gedanke, daß, indem Du es thuest, Du etwas Anderes thuest, als Deine heilige Pflicht und Deine einfache Schuldigkeit! Denn mit dem ersten Gedanken der Art, mit der ersten Regung der Selbstgefälligkeit würde das Licht dunkler brennen und würde erlöschen, so Du dieser Regung Dich hingäbest. Und weil dem so ist, und das Ehrenkreuz eine Ehrenlast, eben deßhalb, lieber Lothar, darf ich es Ihnen hier öffentlich geben, und nicht, wie ich zuerst thun zu sollen glaubte, unter vier Augen. Ihnen, den Anderen, aber sage ich: ich habe diesem hier nichts gegeben, was ich nicht jedem von Ihnen, wäre er an seiner Stelle gewesen, mit ebenso willigem, freudig erregtem Herzen gegeben hätte oder geben würde, böte er mir dazu die Veranlassung. Und daß Sie, meine Lieben insgesammt, aus Ihren Reihen mir eine solche Veranlassung recht bald und recht häufig bieten mögen - das ist der innige Wunsch, mit welchem ich für heute von Ihnen scheide.“

Die Stimme, die sich in der Mitte der Ansprache zu einem vollen, schönen Klang erhoben, war bei den letzten Worten wieder weich geworden und wie von zurückgehaltenen Thränen verschleiert. Ich aber hatte während der ganzen Zeit dagesessen, zitternd in einer Erregung, die mir einen Schauer nach dem andern durch die Glieder jagte. Ich wollte mehr als einmal dem Professor ins Wort fallen, ihn bitten, mich zu schonen, mich nicht dem Gespött meiner Mitschüler preiszugeben; ich fand die Kraft dazu nicht.

Er hatte das Zimmer verlassen; ich meinte, nun müsse die Fluth des Spottes, die er entfesselt, über mich hereinbrechen; ich hatte mich geirrt. Man nahm schweigend seine Bücher zusammen oder sprach von gleichgültigen Dingen - keine leiseste Anspielung auf das, was eben geschehen war; es sollte eben nicht geschehen sein; man wollte es ignoriren. Selbst auf Schlagododro’s ehrlichem Gesicht lag eine leise Verlegenheit, als er jetzt an mich herantrat und, mir die Hand auf die Schulter legend, sagte:

„Na, Kind, laß es Dir nicht zu Herzen gehen. Es war ein bischen stark; aber Du kannst am Ende nichts dafür. Wir sprechen heute Abend noch darüber; ich werde Dich abholen.“

Auch er war davon gegangen; außer mir war Niemand mehr in der Klasse, als Adalbert von Werin. Wir hatten seit jenem ersten Tage den Heimweg nicht wieder gemeinsam angetreten. Er hatte die Gewohnheit, seine Sachen bereits während der letzten Minuten des Unterrichts zu ordnen und dann sofort die Klasse zu verlassen, in welcher er mit Niemand verkehrte, kaum jemals mit Diesem oder Jenem ein gleichgültiges Wort wechselte. Mich hatte er sogar sichtlich gemieden, und ich war es zufrieden gewesen: meine Freundschaft für Schlagododro füllte mich ganz aus, während ich mich gegen den schweigsamen, sarkastischen Gesellen eines Gefühls nicht erwehren konnte, das aus Achtung vor seinem Fleiße, seinen Kenntnissen und aus einer Art von Scheu, die ich mir nicht weiter zu definiren suchte, seltsam gemischt war. Und dann hatte ich ein schlechtes Gewissen gegen ihn: ich war der Einzige, dem er in seiner Weise entgegen gekommen war, und ich hatte das Entgegenkommen nicht erwidert, war nicht einmal seiner Aufforderung, ihn zu besuchen, gefolgt. So machte mich denn das tête-à-tête mit ihm, in das ich so unerwartet gerathen war, verlegen und befangen, um so mehr, als ich zu bemerken glaubte, daß er dasselbe durch sein ungewöhnliches Zögern absichtlich herbeigeführt habe.

Dennoch hatten wir bereits draußen auf der Straße eine Strecke schweigend neben einander zurückgelegt, bevor er, ohne mich anzublicken, in seiner gelassenen Weise begann:

„Ich weiß nicht, ob Du etwas auf mein Urtheil giebst?“

„Doch!“ sagte ich schnell, innerlich froh, daß das Eis endlich gebrochen war.

„Ich sollte eigentlich das Gegentheil vermuthen,“ fuhr er ruhig fort. „Indessen da Du es sagst - und, offen gestanden, ich glaube nicht, daß es bloße Höflichkeitsphrase Deinerseits ist. Welche Veranlassung hättest Du dazu, mir den Hof zu machen? Du hast Freunde oder kannst so viel haben, wie Du willst; ich habe keine und will auch keine haben - außer Einem, den ich leider nicht haben kann, wenigstens nicht zur Zeit. Später vielleicht - wenn es dann nicht zu spät ist.“

„Ich verstehe Dich nicht,“ sagte ich.

Glaub’ ich Dir,“ erwiderte er; „ich habe mich auch etwas dunkel ausgedrückt. Ich will versuchen, ob ich etwas klarer reden kann, ohne indiskret zu werden, was mir sehr verhaßt ist. Wenn ich gesagt habe: Du könntest so viel Freunde haben, wie Du willst, so ist das eigentlich nicht ganz richtig. Oder war doch nur richtig bis heute. Von heute an bist Du – Dank der Unvorsichtigkeit des Herrn Professors – ein Gezeichneter, vor dem man sich bekanntlich hüten soll, und sich die Spatzenköpfe sicher hüten werden. Es ist damit im Grunde nichts geschehen, als daß die Kluft zwischen Dir und den Spatzenköpfen, die immer bestanden hat, offenbar geworden ist. Aber das ist von entscheidender Bedeutung. Du wirst von heute ab Deine Freunde diesseit der Kluft suchen müssen, da, wo Du stehst. Du wirst sehen, wie verzweifelt schwer das hält: Diogenes mit der Laterne am hellen Tage.“

„Ich habe nicht die geringste Anlage zu Diogenes,“ entgegnete ich.

„Du verwechselst, glaube ich, Anlage mit Neigung,“ erwiderte er; „Anlage zum Diogenes hat jeder, der eben kein Spatzenkopf ist. Ursprüngliche Neigung dazu haben die Wenigsten, weil das Leben in der Herde das bei weitem Bequemere scheint, bis man hinreichend getreten und gestoßen ist und zur Einsicht kommt, es dürfte sich doch wohl außerhalb der Herde besser leben lassen. Und das möchte eben der Unterschied sein, der zwischen uns besteht: ich bin bereits zur Einsicht gekommen; Du wirst Dich noch einige Zeit mit dem Aberglauben, daß man in der Herde und für die Herde leben müsse, herumschlagen und darüber könnte es dann, wie ich schon vorhin sagte, zu spät werden - ich denke, Du wirst jetzt wissen wozu. Im Uebrigen: nichts für ungut, was ich hier so herausgeplaudert habe. Man fällt manchmal gegen seinen Willen in die alte Gewohnheit zurück. Da sind wir an meiner Ecke. Und was ich noch sagen wollte? - ja: Du hast mich eigentlich meiner Mama und meiner Schwester gegenüber in einige Verlegenheit gesetzt. Ich hatte ihnen Deinen Besuch angekündigt und muß mich jetzt mit allerlei Ausflüchten herumdrücken. Du könntest wohl die Höflichkeit aufwenden, mich wenigstens aus dieser Situation zu erlösen; es soll weitere Konsequenzen für Dich nicht haben.“

„Ich werde mit Vergnügen kommen,“ sagte ich.

„Lassen wir vorläufig das Vergnügen auf sich beruhen,“ erwiderte er; „ich bin schon zufrieden. wenn Du kommst.“

Er lächelte flüchtig, nickte mit dem kleinen feinen Kopfe und schlenderte in seine Straße hinein, welche wieder von spielenden, sich balgenden, schreienden Kindern erfüllt war. Er schritt durch sie hindurch, auch über ein paar kleine, die auf der Erde lagen, hinweg, ohne ihrer mehr zu achten, als wären es Steine gewesen.


5.

Von der Stunde dieses zweiten gemeinsamen Nachhausegehens verfolgte mich das Gedenken des räthselhaften Genossen Tag und Nacht; denn selbst in meinen Träumen erschien mir sein düsteres Bild, hörte ich seine geheimnißvolle Rede. Es wäre das wohl nicht gewesen, hätte ich mich nicht schon vorher, ohne darauf zu achten und ohne mir dessen bewußt zu werden, innerlich vielfach mit ihm beschäftigt, so daß die Fluth, welche jetzt plötzlich über mich zu kommen schien, längst vorher aufgestaut war. Ich würde sonst auch nicht, wie ich es doch gethan, mich über seine Verhältnisse zu unterrichten gesucht haben, aber Schlagododro, der einzige, an den ich mich um Auskunft wenden konnte – sein Onkel und der Vater Adalbert’s waren früher Officiere in demselben Regiment gewesen – wußte wenig. Der Onkel spräche nicht gern von den Werins, in deren Geschichte diverse dunkle Punkte zu sein schienen. Auch habe Frau von Werin, nachdem sie sich vor einem halben Jahre aus dem kleinen benachbarten Hafenorte in unsere Stadt gewandt, alle freundlichsten Avancen des Onkels hartnäckig zurückgewiesen.

[119] „Nun, und wie mich Werin behandelt hat,“ fuhr Schlagododro fort, „das hast Du ja selbst gesehen. Ich bin wirklich unmenschlich höflich zu ihm gewesen, um des Onkels willen, der mich darum gebeten hatte, und weil mir der arme Teufel leid that, der immer allein umherirrte, eine Seele, die Charon am andern Ufer vergessen hat. Nun, ich will ihn in seinem Vergnügen nicht stören. Wenn’s ihm Spaß macht, zwischen uns umherzusteigen wie der Storch im Salat, mich geniert es nicht. Und Dir, Kind, wenn ich Dir rathen darf, bleibe ihm aus dem Wege. Der Storch hat einen langen Schnabel und schluckt den Frosch über, ehe der arme Kerl es merkt.“

Es waren nämlich bereits wieder mehrere Tage vergangen, ohne daß ich den versprochenen Besuch gemacht hätte, aber Schlagododro, obgleich ich mich hütete, ein Wort davon verlauten zu lassen, mochte mit dem eifersüchtigen Gemüth eines liebenden Freundes meine Absicht ahnen. Kam ich mir doch selbst wie ein Verräther vor, als ich endlich am nächsten Sonnabend, dem letzten Tage, welchen ich mir gestellt hatte, gegen Abend, nachdem ich mich von Schlagododro unter irgend einem Vorwande frei gemacht, den Weg nach der nahen Fährstraße einschlug. Es umwitterte mich etwas wie die Ahnung, daß ich im Begriff stand, das Fahrzeug meines Schicksals in eine andere Bahn zu lenken. Als ob wir lenken könnten, wo wir doch nur einfach getrieben werden von einer unwiderstehlichen Gewalt, die wir vergeblich außer uns suchen, da sie doch nirgends wohnt, als in den unerforschbaren Tiefen des eigenen Gemüths!

Jene Kinder, welche Tag und Nacht auf der Fährstraße zu spielen schienen, glotzten mich, als ich an ihnen vorüberging, mit frechen Augen verwundert an und brachen in ein Geheul aus, indem ich nun nach dem Häuschen abbog, das mir von Adalbert bezeichnet worden war. Offenbar hatten sie mich auf eben dies Haus taxirt und gaben nun ihrer Befriedigung über die Richtigkeit ihrer Konjektur diesen lärmenden Ausdruck. Mit denselben Zeichen der Theilnahme (denn sie waren mir auf dem Fuße gefolgt und standen jetzt, zu einem Rudel geballt, hinter mir in allerdings respektvoller Entfernung) begleiteten sie mein Schellen an der Thür, das leider mehrmals vergeblich war, bis endlich geöffnet wurde, und ich meinen Plagegeistern entrinnen konnte.

Die mir geöffnet hatte, war ein junges Mädchen, etwa in meinem Alter und unverkennbar Adalbert’s Schwester: dieselbe überschlanke Gestalt, derselbe feine schmale Kopf, dasselbe nur ins Weibliche übersetzte Gesicht mit den reinen, strengen Zügen, den wie mit einem scharfen Pinsel gezogenen Brauen über den grauen klaren Augen und den feingeränderten Lippen des kleinen, fest geschlossenen Munden. Sie war offenbar auf mein Erscheinen vorbereitet, hatte mich auch wohl über die Straße kommen sehen, denn sie begrüßte mich sofort mit meinem Namen, sagte mir, daß Adalbert ausgegangen sei, aber sehr bald heimkehren werde, und bat mich, inzwischen in das Wohnzimmer zu treten, wo ich auch die Mutter finden würde, die sich freue, mich kennen zu lernen.

Sie hatte das alles sehr ruhig mit einer Stimme gesagt, die eigentlich sanft war und mir doch unfreundlich vorkam, vielleicht nur deßhalb, weil, während sie sprach, auch nicht der leiseste Schimmer eines Lächelns das ernste Gesichtchen erhellt hatte. Inzwischen hatte sie mich bereits in das Zimmer geführt, und ich stand einer hochgewachsenen Dame gegenüber, welche sich eben von einem mit Büchern und Papieren bedeckten und von voluminösen Aktenbündeln umgebenen Schreibtisch in der Tiefe des Zimmers erhoben zu haben schien; wenigstens hielt sie noch die Feder in der Hand. Ich bat um Entschuldigung, wenn ich gestört habe.

„Mich stört man immer oder niemals, wie Sie wollen,“ antwortete die Matrone; „denn ich arbeite beständig, so kann man mich eben nur in der Arbeit unterbrechen. Und diesmal war mir die Unterbrechung willkommen. Ich war in meinem Exposé an einen Punkt gelangt, welcher eine besonders scharfe Distinktion der einschlägigen politischen Verhältnisse erfordert. Der betreffende Herr, an welchen mein Schreiben adressirt ist - es ist nicht nöthig, seinen Namen zu nennen – gilt allerdings für einen scharfsinnigen Kopf, und ich habe meine letzte Hoffnung auf ihn gesetzt, indessen in Dingen der hohen Politik –“

„Aber, Mama –“ sagte die junge Dame.

„Du hast Recht," unterbrach sich Frau von Werin; „es ist unfreundlich und unschicklich. Ich werde mich dafür in Strafe nehmen, indem ich Euch jetzt verlasse und draußen für ein kleines Abendbrot sorge, an welchem unser junger Gast hoffentlich theilnehmen wird, und das fertig sein muß, bis Adalbert zurück ist. Du weißt, Maria, er liebt es nicht, wenn in seiner Gegenwart häusliche Vorrichtungen getroffen werden.“

Sie hatte bei den letzten Worten gelächelt, zwar nur flüchtig, aber ich war ihr doch sehr dankbar dafür gewesen: der ernste Ton, in welchem hier alles abgehandelt zu werden schien, hatte bereits angefangen, auf mein helleres Gemüth zu drücken.

Maria schien es bemerkt zu haben, denn sie sagte, als die Mutter das Zimmer verlassen und wir uns an eines der niedrigen, mit allerlei Blumen dicht bestellten Fenster gesetzt hatten:

„Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, daß Sie nun endlich doch gekommen sind. Um Adalbert’s willen freilich ist es mir sehr lieb: er ist so viel allein, das thut ihm nicht gut, und gerade auf Sie hält er große Stücke; er hat mir über Sie ein Wort gesagt, das in seinem Munde die höchste Ehre ist. Aber man darf nicht bloß an sich denken, und ich fürchte, Ihnen wird es bei uns nicht gefallen.“

„O, ganz gewiß!“ sagte ich sehr eifrig.

Sie sah mich mit den klaren grauen Augen prüfend an und ihre Oberlippe zuckte kaum merklich, als ob sie lächeln wollte; aber sie that es nicht, sondern fuhr fort:

„Es wäre ja so begreiflich, wenn es Ihnen bei uns nicht gefiele. Wir sind eine freudlose Familie. Sie haben von dem schweren Unglück gehört, das uns betroffen hat?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich dachte es mir,“ sagte sie, „und deßhalb möchte ich Sie davon unterrichten – aus einem sehr egoistischen Grunde. Ich meine nämlich, wenn ich Ihnen ehrlich und offen auf einmal die Wahrheit sage, so wird das einen besseren Eindruck auf Sie machen, als wenn Sie selbst nach und nach dahinterkommem. Nicht wahr, das heißt, mit der Thür ins Haus fallen?“

Wieder zuckte es kaum merklich in ihrer Oberlippe. In diesem Gesicht war etwas, das anders war, als bei den übrigen Menschen. Was aber konnte das sein?

Die klaren grauen Augen mußten in meiner Seele Tiefe lesen. Sie sagte:

„Damit Sie sich nicht zum dritten Male wundern und um mit dem Geringsten anzufangen: ich kann nicht lachen.“

„Sie können –“

„Nicht lachen und nicht einmal lächeln,“ wiederholte sie, – und jetzt hörte ich deutlich einen schmerzlichen Ton in ihrer sonst so gleichmäßig ruhigen Stimme anklingen, – „seit dem Tode Papas. Es hat mich da in dem großen Schrecken eine Art Schlaganfall getroffen. Die Aerzte sagen, das sei etwas sehr Merkwürdiges bei meinen jungen Jahren, und auch, daß nichts weiter davon zurückgeblieben ist, als eine beiderseitige Lähmung des nervus facialis. Mir ist es besser ergangen, als der Mama. Was brauche ich lachen zu können? Ich habe so wenig Veranlassung dazu! Mama kann noch lachen, wenigstens äußerlich. Aber in ihrem Herzen ist kein Lachen; in ihrem Herzen –“

Sie strich sich mit der Hand über die Stirn und mir war, als ob sie einen Blick nach der Thür des anderen Zimmers werfe, in welchem ich die Mutter kramen hörte. Dann ruhten die klaren Augen wieder fest auf mir.

„Ja so,“ sagte sie, „das können Sie ja gar nicht verstehen. und verzeihen Sie, wenn ich es mit den wenigsten Worten sage: der Vater war Officier, mußte den Abschied nehmen, wurde im Steuerfach beschäftigt, von dem er nichts verstand, gerieth in große Ungelegenheiten, wurde disciplinarisch seines Amtes enthoben und hat sich vor zwei iahren aus Gram erschossen.“

„O mein Gott!“ rief ich.

„Nicht wahr,“ sagte sie, „das ist furchtbar; aber auch Mama hat, wie ich, nach Papas Tode eine schwere Krankheit durchzumachen gehabt – ein Gehirnfieber, und seitdem ist sie - wissen Sie, was eine fixe Idee, eine Monomanie ist?“

Ich starrte sie erschrocken an.

„Ich wußte es nicht,“ fuhr sie ruhig fort. „Ich hörte es zufällig von einem der Aerzte; ich sollte es nicht hören. Dann habe ich mir Bücher verschafft und darüber nachgelesen. [120] Es stimmt alles ganz genau. Mama ist immer bewundert worden wegen ihres scharfen Verstandes, und den hat sie auch noch, wie Sie sich selbst überzeugen werden. Und vielleicht hat sie auch in dem Anderen Recht, und es liegt nicht an ihr, sondern an den Anderen, die das nicht einsehen können – oder wollen. Aber Mama glaubt, sie kann sie dazu zwingen, daß Papas Proceß revidirt werden müsse und dabei an den Tag kommen werde, daß er zu Unrecht verurtheilt ist und also gar nicht hätte zu sterben brauchen.“

Ich hatte wohl, als sie so sprach, unwillkürlich nach dem Arbeitstisch geblickt mit den hohen Stößen von Büchern, Papieren und Akten.

„Das ist nur ein kleiner Theil,“ sagte sie; „oben auf dem Boden sind noch ganze Körbe voll. Die arme Mama! Es wird ihr ja doch nichts helfen; sie macht sich damit nur immer unglücklicher, und wir sind schon glücklos genug.“

Sie strich sich wieder mit der Hand über die Stirn und fuhr, als ich schweigend voll inniger Theilnahme in ihr feines blasses Gesicht sah, das nicht lachen konnte, nun wieder in ihrem ruhigen Tone fort:

„Sehen Sie, das wollte ich Ihnen vorher sagen, obgleich Adalbert es nicht wollte. Adalbert ist sehr klug, aber immer hat er doch nicht Recht.“

„So vermuthlich auch nicht in dem, was er Ihnen von mir gesagt hat,“ warf ich ein.

„Lachen Sie immer, wenn es Ihnen so zu Muth ist,“ erwiderte sie, während es wieder in ihrer Oberlippe zuckte. „Ich höre so gern lachen und lachte manchmal gern selbst, zum Beispiel in diesem Falle, weil Sie trotz Ihrer Neugier so ehrbar thun. Und nun sollen Sie es hören, damit Sie auch nach der Seite Ruhe haben und nicht etwa wunder denken, was Adalbert von Ihnen gesagt hat. Er hat nichts gesagt, als: er ist ein Israelit, in dem kein Falsch ist.“

„Ich bin aber kein Israelit,“ rief ich eifrig.

„Ach, wenn ich doch jetzt lachen könnte!“ sagte sie.

Ich fühlte, daß ich über die Dummheit, die ich eben vorgebracht hatte und die mir alsbald klar geworden war, bis in die Stirn roth wurde; aber mir blieb keine Zeit, mich zu rechtfertigen. Auf dem Flur erschallte ein schneller Schritt; im nächsten Augenblicke kam Adalbert in das Zimmer.

(Fortsetzung folgt.) 


Die drei Schrecklichen von Venedig.

Von Schmidt-Weißenfels.

Seit dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts war die Herrschaft der Nobili in der Republik Venedig mehr und mehr befestigt worden und schuf zu ihrem eigenen Schutze ein geheimes Gericht, welches Jahrhunderte lang die Bürger der großen Handelsrepublik mit Furcht und Schrecken erfüllte. Es war der berühmte „Rath der Drei“, welcher von dem „Rathe der Zehn“ gewählt wurde und dem die Aufgabe zufiel, über die Sicherheit des Staates zu wachen und jede Auflehnung gegen die bestehenden Gesetze im Keime zu ersticken. Mit weitgehenden Machtmitteln ausgestattet, bildete er bald, geheimnißvoll wie die Fehme wirkend, die oberste Staatsbehörde, über welcher der gewählte Doge nur in Scheinherrlichkeit thronte. Man wußte, daß diese furchtbare Behörde verfassungsmäßig bestand, aber nicht, wer dazu in geheimer Wahl der Zehn als Mitglied hervorgegangen war. Man erfuhr ihre Urtheile, aber dieselben trugen nur die Unterschrift des Sekretärs. Man sah die Leichen der öffentlich Enthaupteten oder Gehenkten vor dem Dogenpalast, aber über deren Proceß hatte man nichts gehört. Wie eine überirdische Gewalt schwebte sie über Allen in der venetianischen Republik. Selbst die einzelnen drei Staatsinquisitoren waren vor ihrer eigenen gemeinsamen Furchtbarkeit nicht gesichert; denn es gab noch einen ernannten Stellvertreter, den zwei Inquisitoren sich zugesellen konnten, um über den dritten zu richten, wenn es ihnen nöthig schien.

Zwei von ihnen fungirten während eines Jahres und trugen eine schwarze Talarkleidung; der dritte Inquisitor war in rother Tracht und gehörte als specieller Rath des Dogen dieser Behörde nur acht Monate lang an. Keine Regel band sie bei ihrem Verfahren, als nur die Uebereinstimmung ihres Urtheils; die Mittel der Erforschung eines Verbrechens, die Beschaffung von Zeugen, die Anwendung der Folter, um Geständnisse zu erpressen, die Wahl der Strafen, die geheime oder öffentliche Ausführung derselben, Alles war ihnen in völlig unverantwortlichem Absolutismus überlassen. Spione in allen Schichten der Bevölkerung, bis in den Rath der Vierzig und des Dogen hinauf, standen in ihrem Dienst; geheime Agenten waren überall, in Stadt und Provinzen, für sie thätig; jeden Augenblick auch geheime, unbekannte Henker oder gedungene Mordgesellen, die Bravi, bereit, ihre Befehle oder Winke zu vollstrecken. Offenbar aber hat Venedig dadurch den festen Bestand seines aristokratischen Regiments so lange zu erhalten vermocht und es auch mehr dem Ehrgeiz und der Leichtfertigkeit des heimischen Adels gefährlich, als dem buon populino, dem harmlosen Volke, drückend gemacht.

Einer von den Ersten mit, welcher diesem Gericht der drei Schrecklichen, ehe sie noch Staatsinquisitoren hießen, zum Opfer fiel, war der sechsundsiebzigjährige Doge Marino Falieri. Zunächst angestachelt durch die Frechheit Michael Steno’s, eines jener drei Richter, gegen sein junges und schönes Weib, verschwor er sich mit einigen Leuten aus den niedrigsten Volksklassen zur Rache an einer Aristokratie, deren Hochmuth und tyrannische Macht ihm längst tief in der Seele verhaßt waren. Die Nacht des 15. April 1355 war zur Niedermetzelung der Vornehmsten Venedigs, wie sie im Rath der Vierzig und Zehn allein zu sitzen berechtigt waren, bestimmt, und diese That sollte durch die Umwandlung der Verfassung im Interesse des Volkes gekrönt werden. Aber am Tage vorher erhielten die Räthe durch ihre Spione Kenntniß von diesem Komplott. Die Theilnehmer aus dem Volke wurden sofort gehängt; um über den Dogen zu richten, gesellten sich die Richter noch eine Anzahl der angesehensten Adeligen zu. Am 17. April wurde Falieri im Hofe des Dogenpalastes enthauptet. So zeigte das Gericht an einem schrecklichen Beispiel schneller Justiz, daß ihr auch die höchste Person des Staates verfallen sein kann. Uebrigens hütete man sich seitdem im Rath, Dogen zu wählen, die noch eine junge Frau hatten.

Einem anderen Dogen, Franzisco Foscari, geschah es, daß ihm der Sekretär der Drei in gebührender Ehrfurcht auf den Knieen das Dekret überreichte, das seinen Sohn zum Tode wegen Staatsgefährlichkeit verurtheiltc, und er konnte die Vollstreckung nicht hindern.

Ein junger Nobile, Giovanni Moncenigo, ließ sich in seinem Leichtsinn hinreißen, bei einer Opernvorstellung in Venedig zwei Pistolenschüsse auf die Brüder Foscarini abzufeuern, die sie verwundeten. Er entfloh augenblicks. Vergebens versuchte man wegen der Jugend des erst zweiundzwanzigjährigen Mannes, wegen der Verdienste seines Geschlechts, welches auch vier Dogen gegeben hatte, den Rath der Drei gnädig zu stimmen. Sein junges Weib flehte für ihn, die Foscarini’s selber verwendeten sich hochherzig. Der Rath blieb unerbittlich, und sein Spruch machte die venetianische Aristokratie zittern. Denn Moncenigo wurde seines Adels für verlustig und in contumaciam zum Tode verurtheilt, seine Güter, auch die noch zu erhaltenden, wurden für konfiscirt erklärt, ebenso für nichtig alle Verträge, die er während der letzten sechs Monate eingegangen und zu denen auch wohl der seiner Heirath gehörte. Eine bedeutende Belohnung und Straflosigkeit für jedwede Art von Verbrechen, sei es für sich, sei es für eine andere Person, verhieß man demjenigen, der ihn todt oder lebendig einliefere. Alle Gemeinden in den Provinzen erhielten Befehl, auf ihn zu fahnden und ihre Macht zu seiner Verhaftung, wenn er auf ihrem Gebiet betroffen werde, bei Galeerenstrafe für die Vorsteher, aufzubieten. Kein Unterthan der Republik, kein Verwandter des Verurtheilten durfte ihn sehen, ihn sprechen, ihm schreiben, irgend eine Verbindung mit ihm unterhalten, irgend einen Beistand ihm leisten, wenn er sich nicht der Einziehung seines Vermögens und zehnjähriger Galeerenstrafe mit Ketten an den Füßen ausgesetzt wissen wollte. Einer Geldbuße von zweitausend Dukaten verfiel, wer zu seinen Gunsten [121] spräche, und damit gar nicht irgend eine Möglichkeit gegeben sei, die diesen furchtbaren Spruch jemals mildern könnte, wurde er für unwiderruflich erklärt und durch den Zusatz verstärkt, daß er alle anderen Strafen von Acht und Bann mit verhänge.

Furchtbar wollte der Rath der Drei als oberste Kriminaljustiz dem Adel erscheinen, weil dieser in Venedig die herrschende Kaste war, und dem Volke, damit es vor jedem Versuch einer Auflehnung scheue. Darum wurde es sein Princip, niemals ein gefälltes Urtheil abzuändern oder gar durch einen Gnadenspruch wieder aufzuheben. Es sollte die Unfehlbarkeit des Gerichts damit bezeugt sein. Selbst in den Fällen sich erweisenden Irrthums der Inquisitoren, entschiedener Ungerechtigkeit oder übermäßiger Härte ihres Urtheils gingen sie nicht wieder davon ab, und schon der Versuch, eine Milderung des Urtheils herbeizuführen, war selbst für Mitglieder angesehenster Familien mit Gefahr verbunden. Denn diese Drei duldeten es nicht, daß Jemand eine Art Kritik ihrer geheimnißvollen Thätigkeit sich erlaube, sei er nun Doge, Rath oder irgendwer von Ansehen und Verdienst im Staate; ja, gegenüber den Civilgerichten, deren es drei gab und deren Mitglieder aus den Räthen erwählt wurden, zeigten sie sich am allereifersüchtigsten auf ihr Vorrecht unanfechtbarer Unverantwortlichkeit. Sie scheuten sich nicht, wenn ihnen ein solches Civilgerichtsurtheil mißfiel oder bedenklich für die Staatssicherheit erschien, es kraftlos zu machen, am einfachsten, indem sie die Person verschwinden ließen, welche dies ermöglichte, sei es nun die des Klägers oder des Verklagten. Ein Wink, und er kam in die unterirdischen Verließe oder in ein Gemach unter dem Bleidach des Dogenpalastes; ein Befehl an den Kerkermeister, und der Unglückliche wurde erdrosselt in den Kanal geworfen, der dicht vor den unterirdischen Gefängnissen sein trübes Wasser in die Lagunen ergoß. Der Tod stand zu ihren, und nur zu ihren Diensten, sobald sie ihn in ihrer Dreieinigkeit riefen; und wo es galt, Venedigs Ordnung zu wahren, einen politisch Verdächtigen unschädlich zu machen, der vielleicht in der Provinz mit einem der italienischen Nachbarstaaten im Bunde sein Wesen trieb, oder einmal wieder durch einen blutigen Justizakt zu schrecken, da zauderten sie nicht, offen oder heimlich ihren Blutspruch vollstrecken zu lassen.

Dem Prinzen von Craon, der sich in Venedig zum Besuch aufhielt, wurde seine Börse gestohlen. In seinem Aerger darüber ließ er sich verleiten, über die venetianische Polizei böse Reden zu führen und auch zu sagen, daß sie sich mehr mit der Spionage der Fremden, als mit deren Sicherheit beschäftige. Einige Tage darnach reiste er ab. Als seine Gondel, deren er sich zunächst bediente, vom venetianischen Ufer etwas entfernt war, hielten die Ruderer plötzlich an und erklärten furchtsam auf Befragen des Prinzen, daß sie nicht weiter fahren dürften, da ihnen das Polizeischiff mit dem rothen Signal entgegen käme. Der Prinz, indem er sich seiner unvorsichtigen Reden erinnerte, gerieth in Angst, schutzlos hier zwischen Meer und Himmel der Heimtücke venetianischer Bravi vielleicht verfallen zu sein. In der That, das Schiff näherte sich und der Befehlshaber desselben lud den Prinzen ein, es mit seiner Gondel zu vertauschen. Wohl oder übel mußte er sich dazu verstehen.

„Mein Herr,“ redete ihn sogleich am Bord ein Mann an, „sind Sie nicht der Prinz von Craon?“

„Ja.“

„Wurden Sie nicht am letzten Freitag bestohlen?“

„Ja, Signor.“

„Um welche Summe?“

„Fünfhundert Dukaten.“

„Wo befanden sich dieselben?“

„In einer grünseidenen Börse.“

„Haben Sie Verdacht auf Jemand, der den Diebstahl begangen haben könnte?“

„Auf einen Lohndiener, den ich mir genommen.“

„Erkennen Sie ihn wieder?“

„Ohne Zweifel.“

Sofort stieß der unheimliche Mann einen schlechten Mantel von sich, der ihm zu Füßen lag und unter dem nun ein Todter sichtbar wurde. In der Hand desselben war eine grüne Börse.

„Hier haben Sie ihn,“ sagte der Agent des Raths der Drei; „hier ist Ihr Geld, nehmen Sie es zurück und reisen Sie weiter. Doch merken Sie sich, daß man nicht wieder in ein Land kommt, dessen gute Regierung man verkannt hat.“

Eine ähnliche Geschichte erzählt Schiller in seinem „Geisterseher“. Der darin auftretende Prinz, der in einem Kaffeehause auf dem Markusplatze von einem Venetianer schwer beleidigt worden war und vor dessen Drohungen laute Befürchtungen um sein Leben äußerte, wurde bald darnach von einigen Bediensteten der Staatsinquisition abgeholt und zunächst bis zum Kanal geleitet. Hier erwartete ihn eine Gondel, in die er sich setzen mußte. Ehe er mit seinem Begleiter ausstieg, wurden ihnen Beiden die Augen verbunden, und dann führte man sie eine große steinerne Treppe hinauf, durch einen langen Gang über Gewölbe, wie sie aus dem vielfachen Echo schlossen, das unter ihren Füßen hallte. Endlich gelangten sie vor eine andere Treppe, auf welcher sie 26 Stufen in die Tiefe stiegen. Hier öffnete sich ein Saal, wo man ihnen die Binde wieder von den Augen nahm. Sie befanden sich in einem Kreise ehrwürdiger alter Männer, alle schwarz gekleidet, der ganze Saal mit schwarzen Tüchern behangen und sparsam erleuchtet, eine Todtenstille in der ganzen Versammlung, was Alles einen schrecklichen Eindruck machte. Einer von den Greisen, vermuthlich der oberste Staatsinquisitor, näherte sich dem Prinzen und fragte ihn mit einer feierlichen Miene, während man ihm den Venetianer vorführte:

„Erkennen Sie diesen Mann für den nämlichen, der Sie in dem Kaffeehause beleidigt hat?“

„Ja,“ antwortete der Prinz.

Darauf wandte sich Jener zu dem Gefangenen: „Ist dies dieselbe Person, die Sie heute Abend wollten ermorden lassen?“

Der Gefangene konnte nicht leugnen.

Sofort öffnete sich der Kreis, und mit Entsetzen sah der Prinz den Kopf des Venetianers vom Rumpfe fliegen.

„Gehen Sie nun,“ sagte der Inquisitor mit unheimlicher Betonung, indem er sich gegen ihn richtete, „und urtheilen Sie künftig weniger vorschnell von der Gerechtigkeit in Venedig!“

Zahllose ähnliche Geschichten sind erhalten, welche dies jahrhundertelange unerschütterliche Nobiliregiment in Venedig und seine drakonische Justiz in ihrer principiellen Größe wie in ihren vielen Unmenschlichkeiten charakterisiren. Nur zu sehr und nur zu oft war diese Justiz die von Mördern, die nach ihrer Meinung, nicht nach dem Gesetze, den Tod ihres Opfers für das Beste fanden. In diesen Fällen waren den drei Inquisitoren die Bravi zur Hand. Die Illustration nach dem Piloty’schen Gemälde in unserer heutigen Nummer führt die Scene packend vor Augen, wie drei Bravi vor dem Blutgericht Rechenschaft über die ihnen aufgetragene Erledigung des letzten Falles ablegen. Der Eine giebt die Beweise der gelungenen That, indem er die Kleider des Ermordeten vorzeigt; die Anderen harren des dafür ausbedungenen Lohnes. Der Sekretär ist beauftragt, ihnen denselben in Dukaten aus der Kassette zu zahlen. Der Rothe hinter dem Krucifix sieht mit kalter Gemüthsruhe der amtlichen Abfertigung der drei Mordgesellen zu; der Eine der Schwarzen hält noch einmal mit seinem Gewissen Rath darüber, ob die Blutthat wirklich nothwendig zum allgemeinen Wohl gewesen, und der andere Inquisitor, indem er gefühllos mit seinem Stocke das Kleidungsstück des Getödteten lüpft, bricht seinen Verkehr mit den Bravi wohl mit dem Gedanken ab, den Bolingbroke in Shakespeare’s Richard II. gegen den von ihm gedungenen Mörder des Königs ausdrückt:

„Nimm für die Mühe des Gewissens Schuld,
 Doch weder meinen Dank, noch meine Huld.“

Venedigs Regiment, Justiz und staatliche Selbständigkeit fielen auf einmal ruhm- und wehrlos, unter dem Jubel des Volks, am 12. Mai 1797, als das angerückte französische Republikanerheer die Unterwerfung verlangte. Das Erste, was die französischen Eroberer thaten, war die Zerstörung der Inquisitionsgefängnisse. An deren Stelle errichteten sie eine Tafel mit der Inschrift:

„Kerker der aristokratischen Drei-Raths-Barbarei, zerstört durch die provisorische Gemeindeverwaltung von Venedig im Jahre I der italienischen Freiheit, 25. Mai 1797.“

Am 4. Juni wurde auch das „goldene Buch“, welches das Verzeichniß der amtsfähigen venetianischen Nobili enthielt, feierlich zu Füßen eines Freiheitsbaumes verbrannt!

Sic transit gloria mundi!


[122]

Die Andere.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Lotte lief hastig längs des Hauses hin und die Stufen empor. Ich begriff sie nicht im Augenblicke, verstand nicht, daß es ein instinktartiges Flüchten war vor einer Macht, deren naher Schatten soeben über ihren Lebensweg gefallen, ahnungsvoll, beängstigend. Ich hörte ihr helles: „Ist der Herr daheim?“ aus der Tiefe des kühlen Flurs zurückschallen, und sah sie auf die verneinende Antwort hin blitzschnell in Fritz Roden’s Zimmer verschwinden. In kaum einer Minute war sie zurück mit leeren Händen. „Ich habe es auf seinen Schreibtisch gestellt,“ sagte sie, schob ihren Arm unter den meinen und nahm die Schleppe empor, die den feinen Sand auf den Steinfließen zusammenkehrte.

„Wollen wir nicht Deiner Schwiegermutter noch guten Tag sagen?“ fragte ich.

„Meinetwegen,“ erwiderte sie, „aber ich glaube, wir stören nur; sie steckt bis über die Ohren in Vorbereitungen zu heute Abend.“

In der großen Wohnstube war schon die festliche Tafel gedeckt; das grünlich dämmerige Licht, das sich durch die Kastanienblätter stahl, blitzte zurück aus prächtigem altmodischen Silberzeug und spiegelndem Kristall. In der Mitte des Tisches prangte ein Tafelaufsatz, wunderhübsch geschmückt mit Fliederblüthen, Goldregen und Jasmin; oben quer vor der Tafel war über zwei Stühle eine Art Laube gebaut von schwanken grünen Birkenbäumchen, und vor den Tellern, auf denen man die Servietten besonders kunstvoll gefaltet hatte, stand ein prächtiger Baumkuchen, auf dessen Spitze ein kleiner Amor aus Zuckerguß schwebte, als wolle er seinen Pfeil direkt auf die Menschen abschießen, die in der Laube Platz nehmen würden.

„Das ist für Euch,“ flüsterte ich und sah ängstlich Lotte an, die mit starren Blicken die Laube betrachtete. um ihren Mund glitt wieder das alte Lächeln, aber in den Augen funkelten Thränen.

„Schrecklich!“ hörte ich sie sagen.

Im Nebenzimmer trafen wir die alte Dame; sie steckte eben Kerzen auf schwere silberne Leuchter, und als sie uns erblickte, rief sie betrübt: „Da seid ihr durch das Zimmer gekommen, und Lotte sollte doch überrascht werden! Die Leute haben das Plätzchen für das Brautpaar so geschmückt. Aber nun kommt her, helft mir ein wenig, wenn ihr mögt. – Der Fritz läßt mich heute im Stiche, er ist noch nicht vom Felde zurück.“ Und sie drückte Lotte einen Bogen Papier und eine Schere in die Hand und hieß mich auf die Trittleiter zum Kronleuchter steigen, während sie selbst die Kerzen flink mit Papier umwickelte und sie mir zureichte. „Denkt nur,“ sprach sie, indem sie eilig weiter arbeitete, „da war es mir vorhin, als hatte ich einen Wagen in das Schloßthor rollen sehen und den Prinzen Otto darin erkannt. Es war wie ein Spuk – und’s wohl auch gewesen sein, denn wo sollte er jetzt herkommen? Es wird ja vorher immer gemeldet, damit das ganze Städtchen möglichst auf dem Kopfe steht. Und, nebenbei, er hat ja Rotenberg verschworen; es sei denn doch mehr als langweilig hier, und Der, der hier ein Schloß gebaut, müsse es am jüngsten Tage noch verantworten, behauptete er.“

Lotte schwieg und schnitt langsam ihre Papierstreifen. Ich sagte daher: „Sie haben ganz recht gesehen, Prinz Otto ist hier.“

Die alte Frau legte die Kerze auf den Tisch, die sie eben genommen, und schlug die Hände in einander.

„Na, da Gnade Gott!“ rief sie, „der Uebermuth, was mag er nur wieder einmal angestellt haben? Nun, da giebt’s ja Leben im Lande! Kinder, und ihr habt den Racker gerade vis-à-vis; geht nur nicht ans Fenster.“

Lotte lachte plötzlich so herzlich, daß alle ihre Zähne durch die rothen Lippen blitzten. „Kennst Du ihn persönlich, Mutter?“ fragte sie.

„Ei versteht sich,“ plauderte die alte liebe Frau. „Ein Bild von einem Jungen ist’s! So habe ich mir den Goethe vorgestellt, wie er zu Friederike nach Sesenheim kam; es ist ja kein Wunder, wenn er bei den Frauen Glück hat. Aber er macht’s zu arg! Nun, ich habe ihm einmal die Wahrheit gesagt, wie er sie vielleicht noch nie gehört hatte; ich konnte es,“ fuhr sie fort, „er war als Kind aller Augenblicke hier bei uns und mit meinem Jüngsten, dem Max, bald in der Scheune auf dem obersten Balken, bald in der Apfelkammer oder irgendwo sonst, wo sie nicht hingehörten. Und als erwachsener Mensch ist er noch jedesmal herüber gekommen und hat mir die Hand gegeben und gesagt: ‚Frau Roden, so schön wie die Kartoffelpuffer, die Sie mir gebacken haben, und die wir da in der Küche gleich aus der Pfanne aßen, hat mir nichts wieder geschmeckt.‘ Na, das ist nun auch weiter nichts; ich wollte ja erzählen wie ich ihm eine Standrede hielt. Es war vor zwei Jahren; wegen irgend eines tollen Streiches, den er zu Hause begangen, hatte der Herzog ihm hier Klausur gegeben, damit er ‚fern von Madrid‘ über sich nachdenke. Na, er that das sicher auch zuweilen, aber eigentlich stellte er nur unser gutes Rotenberg auf den Kopf. Seiltänzer ließ er kommen und einen Elefanten hat er sich gekauft, auf dem er im Schloßgarten spazieren ritt, als Türke gekleidet. In dem halbverfallenen Theaterchen mußte eine Wandertruppe lauter leichtfertigen Singsang von Offenbach spielen, und alle Gassenjungen pfiffen und alle Mädchen sangen das dumme Zeug, daß man sich hätt’ die Ohren zuhalten mögen. Freibillets vertheilte er, aber immer nur an die Häuser, wo hübsche Töchter waren, so daß die Galerie des Theaters voll lauter blonder und brauner

Mädchenköpfchen saß, das eine immer niedlicher als das andere – und die dummen Dinger bildeten sich noch was Rechtes darauf ein. – Nun ist da drüben an der Ecke Schuster Paul; der hatte so ein liebes Ding von achtzehn Jahren, so weiß und rosenroth, und so ein Paar dunkelblaue Augen, wie ich sie noch kaum gesehen. Sie war mein Pathenkind, und ich hatte immer viel auf sie gehalten. Na – aber es ist nicht recht, daß ich Euch das erzähle, ich will’s kurz machen. Es kam ein Tag. wo die Anna ihr Leben drum gegeben hätte, wenn es nicht so war, wie es eben war; heimlich lief das arme Mädel bei Nacht und Nebel aus dem Vaterhause, dort oben ins Gebirge zu einer Tante und ist bis heute nicht wieder gekommen, und die Mutter grämte sich schier zu Tode um das Kind; vor dem Vater aber darf man bis zur Stunde ihren Namen noch nicht nennen. Aber geschehen ist geschehen. Und in der Zeit, wo das ganze Städtchen voll von der Sache war und die Spatzen es auf dem Dache erzählten, kam just mein Prinz mal herüber zu mir, in der Dämmerung eines regnerischen Herbsttages, und da nahm ich die Gelegenheit beim Schopf und sagte zu ihm: ‚Durchlaucht,‘ sagte ich, ‚die Menschen, die der liebe Gott auf Erden über die andern stellt, die hat er darum erhöht, daß sie ein Vorbild sein sollen für ihre Unterthanen!‘ Da sah er mich lächelnd an und sagte: ‚Aber, Frau Roden, das besorgen ja mein Vater, der Herzog, und mein Bruder, der Erbprinz, schon nach Kräften!‘ Ich schaute ihn so recht ernst an, und dabei zeigte ich hinüber nach Schuster Paul’s kleinem Hause; wir standen zusammen am Fenster, und er lächelte immer noch. Ich ließ mich aber nicht irre machen. ‚Durchlaucht,‘ sprach ich weiter, ‚es ist nur eines armen Schusters Kind, aber die Eltern haben’s just so lieb gehabt, wie Ihre Frau Mutter Sie, mit Thränen und Sorgen.‘ Seht ihr, da verschwand das Lachen von seinem Gesicht, und er gab mir die Hand. ‚Schelten Sie nur, Frau Roden, ich weiß, Sie meinen es gut –‘“

Sie schwieg; Lotte hatte sich abgewandt und schnitt eifrig Papier; man hörte weiter nichts, als das Klappern der Schere.

„Ach Gott,“ seufzte die alte Frau noch einmal und nahm ein Wischtuch vom nächsten Stuhl. „Was wird der hier wieder Alles aufstellen!“

Als wir bald darauf nach Hause gingen, sagte Lotte aus tiefen Gedanken heraus: „Weißt Du, Tone, er erinnert mich sehr an unsern Hans.“

„Wieso, Lotte?“

„Der war ebenso lustig, so unsinnig und so liebenswürdig wie Prinz Otto.“

„Und so leichtfertig,“ setzte ich hinzu.

Es war acht Uhr Abends, als wir hinübergingen zu dem Feste; Großmutter feierlich im schwarzen Moirékleid, die [123] Spitzenmantille um die Schultern und das Blondenhäubchen auf dem weißen Scheitel. Ich in schwarzem Seidenkleid mit lang nachrauschender Schleppe und der kleinen Brillantbroche der verstorbenen Mutter. Uns voran ging Lotte; reizend sah die schlanke weiße Mädchengestalt aus, rosig angehaucht von der Gluth der untergehenden Sonne. Es hatte ein wenig geregnet, wunderbar frisch war die Luft, auf jedem Blättchen schimmerte ein Thautropfen. Lotte hatte den Kopf zurückgebogen und athmete mit geöffneten Lippen den Duft ein.

„Mir ist angst,“ sagte sie dann, „als läge ein Gewitter in der Luft. Ich wollte, wir wären erst wieder auf dem Heimwege.“

Da trat unter den Linden ein großer Mann hervor und kam uns eilig entgegengeschritten.

„Lotte, Mädchen, wie schön bist Du!“ rief er, hielt sie an beiden Händen von sich ab und betrachtete sie entzückt. „Das ist lieb von Dir, daß Du ein lichtes Kleid angezogen hast; aber nun komm, es schadet nichts, wenn die Gäste ein wenig auf uns warten müssen; nicht wahr, Tone, Sie sagen der Mutter, wir kämen gleich nach? Ich muß mich erst noch bedanken bei Lotte.“ Und er zog sie mit sich fort zu der Bank unter den niederhängenden Lindenzweigen, auf deren Sitz ein prachtvoller Blumenstrauß schimmerte.

Wir schritten weiter, und die alte Frau sagte: „Es ist so wunderlich mit Lotte; ob sie sich geniert vor uns? Es sieht immer aus, als ob sie sich nur nach innerem Kampf von ihm berühren ließe. Hast Du bemerkt, es schien, als wäre sie am liebsten gleich hinter uns hergelaufen?“

In der That holte uns das Brautpaar schon an der Gartenpforte wieder ein; der Dank mußte sehr kurz gewesen sein. Im förmlichen Sturmschritt kamen sie hinter uns; Lotte in der einen Hand ihre Schleppe, in der andern einen duftenden Rosenstrauß. Sie war blaß, er roth. Merkwürdig – er sah unvortheilhaft aus in dem schwarzen Frack und der weißen Halsbinde; die Jagdjoppe, die Stulpenstiefeln kleideten ihn besser.

Aus dem Gesellschaftszimmer schallte uns lautes Sprechen entgegen; Rieke in blendend weißer Schürze riß die Thür auf, und Großmutter überschritt an meinem Arm die Schwelle. Lautlos still ward es in dem großen Gemach, in welchem das Abendroth den Kerzenschein noch verdunkelte. Ein Rücken von Stühlen, das Knistern seidener Kleider, ein Chaos von neugierigen Menschengesichtern und dann die Stimme der Hausfrau: „Die Freifrau von Werthern und ihre älteste Enkelin – und – dort die liebe Braut meines Sohnes!“

Das Brautpaar war hinter uns eingetreten. Einen Augenblick noch die tiefe Stille, dann rauschte ein Strom von Worten über uns daher: „Ehre – Freude – Bekanntschaft.“ Großmutter saß wie hingeweht auf dem Sofaplatz, ich neben der jungen Frau Diakonus; Lotte aber stand noch immer an der Seite des Bräutigams; auf ein Flustern von ihr schob er einen Stuhl neben mich, und sie ließ sich nieder. Wunderlich! Das Gespräch kam nicht recht wieder in Fluß. Zuweilen flogen mehrere Engel hinter einander durch das Zimmer. Die Blicke der Anwesenden streiften immer und immer wieder das schöne stolze Gesicht der Braut. Ein paar junge Mädchen in rosa Batistkleidern flüsterten leise mit einander, Fritz sprach abseits mit einem Herrn über Ernte-Aussichten, und Großmama hatte sich mit der Frau Oberförster vertieft.

Ich versuchte, Lotte mit in das harmlose Gespräch über die Akustik der Marienkirche, das ich mit der kleinen blonden Nachbarin führte, zu ziehen – vergebens; sie schwieg konsequent. Es that mir leid; ich allein wußte ja, wie hinreißend Lotte plaudern konnte. Da auf einmal tönte der Name des Prinzen Otto ins Gespräch, und als ob alle Schranken gefallen wären, so lachte und sprach es jetzt durch einander.

„Er will für immer hier wohnen,“ sagte Jemand.

„O bewahre! Er ist auf höheren ‚Wunsch‘ hier, wie schon öfter –“

„Ob er Gondelfahrten arrangiren wird, wie vor zwei Jahren?“ rief ein junges Mädchen mit leuchtenden Augen.

„Nun, da werden wir wieder etwas erleben,“ seufzte der Bürgermeister.

„Es giebt aber sicher Theater,“ rief Frau Oberförster vergnügt.

„O ja, an Spektakel wird’s nicht fehlen!“ bemerkte der Gatte trocken.

Zuletzt war ein lebhaftes Für und Wider den Prinzen. Die Herren zuckten die Achseln und schienen nach dem erlauchten Gast nicht viel zu fragen; die Frauen zogen mit tausend Gründen für ihn ins Feld.

„Es kommt ein bischen Geld unter die Leute,“ sagte die behäbige Frau Bürgermeisterin. – „Man hört doch mal wieder Musik,“ meinte eine Andere. – „Rotenberg versauert, wäre er nicht zuweilen hier.“ – „Ja, ja!“ stimmten die jungen Mädchen ein.

„Nun, das ist wieder die alte Lehre,“ übertönte die Stimme des Oberförsters die eifrig Sprechenden. „Wenn Jemand bei den Frauen Glück haben will, muß er nur ein Dutzend recht dumme Streiche begehen und sorgen, daß so und soviel Liebesabenteuer ihm nachgerechnet werden können und –“

Der Chorus der Damen brachte ihn sofort zum Schweigen.

„Das war nicht hübsch!“ meinte die Frau Superintendentin, „aber der Herr Oberförster ist immer so boshast.“

Es war eine förmliche Empörung, die gegen den lachenden Mann mit dem stark ergrauten Bart heranzog. Er stand am Fenster und hielt sich die Ohren zu.

„Aber meine Damen,“ versuchte er zu beschwichtigen, „es ist eine unbestreitbare Thatsache! Als irgend ein berühmter Räuber hingerichtet wurde vor noch gar nicht langer Zeit, fand man in seinem Nachlaß Tausende von zarten Briefen.“

Die Meldung, daß servirt sei, machte der Debatte ein Ende. Das Brautpaar schritt voran in das Eßzimmer, und Lotte stand mit undurchdringlicher Miene vor ihrem Ehrenplatz. Dann saß sie unter den hängenden Birkenzweigen; aber es machte einen seltsamen Eindruck, dieses schöne unbewegliche Mädchengesicht. Ich bemerkte, wie sie jede Schüssel zurückwies, wie Fritz sich besorgt zu ihr beugte, und wie er endlich aufstand und mit raschem Griff die Zweige knickte, so daß der Schmuck zur Erde sank.

Ich hatte meinen Platz neben dem jovialen Oberförster gefunden; er wollte eben seine Behauptung von vorhin noch mehr beleuchten, da klang es hell in das Sprechen hinein. Der Superintendent hatte, aufstehend, an das Glas geschlagen und schickte sich zum Reden an.

Er wandte sich zu dem Brautpaar. Er sprach von dem Glück, das einem Hause widerfahre, in welches eine liebliche Braut eintrete; mit Rosen solle man ihr die Schwelle bestreuen zum Dank für die Rosen der Freude, die sie bringe. Er sprach von der Familie Roden, die schon lange in diesem Hause wohne und mit Stolz auf wackere ehrenwerthe Männer, auf tugendhafte Frauen zurückblicken könne, und er betonte, daß diejenige, die dem letzten Roden die Hand reiche, sich als hochbeglückt erachten dürfe, denn von Jugend auf sei er ein Mensch gewesen, der das Herz auf dem rechten Fleck habe. Und so trinke er denn auf das Wohl des jungen Paares, das er bald vor dem Altare der Marienkirche zu sehen hoffe; auf einen seligen Braut- und einen fröhlichen Ehestand.

„Hoch!“ riefen die Gäste im brausenden Chor und drängten sich mit den Champagnergläsern in der Hand zu Braut und Bräutigam.

Mitten in diesem Tumult sah ich die mir gegenüber befindliche Thür sich öffnen, und im Rahmen derselben erschien – Prinz Otto. Er war in elegantem Promenadenanzug und blickte mit lachenden Augen auf die Scene. Frau Roden bemerkte ihn zuerst; ich hörte ihr bestürztes: „Daß Gott – der Prinz!“ Dann war sie gegangen, ihn zu bewillkommnen.

Er war kein Fremder in diesem Kreise, und er schien ein gern gesehener Gast; lauter freudig überraschte Mienen begrüßten Se. Durchlaucht. Er aber nahm nach einem ritterlichen Kompliment vor meiner Großmutter, nach einem herzlichen Handdruck mit Fritz Roden, einen Stuhl, rückte ihn an Lotte’s Seite und bat, man möge sich nicht stören lassen, er wolle nur seinen persönlichen Glückwunsch zu der Verlobung seines alten Jugendgespielen darbringen, um bald wieder zu verschwinden. Und in der That, er störte nicht. Er begann so unbefangen mit Lotte zu plaudern, stieß mit Fritz an, lachte herzlich wie – wie jeder andere junge Mann, der da weiß, daß er ein willkommener Gast ist im heiteren Kreise. Er lehnte jede Speise ab, aber er schlürfte den perlenden Champagner mit großem Behagen.

Ich sah, wie auch Lotte öfter nippte, wie ihre Augen zu leuchten begannen und sie gesprächiger wurde; wie allmählich die alte bezaubernde Lotte dasaß.

[124] Schweigend verhielt sich der Bräutigam und drehte den leeren Kelch zwischen den Fingern; ich glaube, er und ich, wir waren die Einzigen in der Gesellschaft, die still blieben; ich vor athemloser erstickender Angst. Mich dünkte es unerträglich in dem warmen Zimmer, unter den flackernden Kerzen, in dem Geruch von Wein, Speisen und stark duftenden Blumen. Aber Niemand dachte an das Aufstehen, denn der Prinz saß neben Lotte und plauderte und trank und vergaß, daß er vom Gehen gesprochen.

Endlich sprang er auf und bot Lotte den Arm. „In den Garten, meine Herrschaften!“ rief er, „es ist eine wunderbare Frühjahrsnacht draußen.“

„Kommen Sie, Tone,“ flüsterte Fritz und gab mir den Arm. Er riß mich förmlich hinter dem Paare her, das durch den Hausflur an den gaffenden Dienstleuten vorüber ging.

Bläulicher Mondenglanz hielt die Erde umfangen, fast betäubend dufteten Flieder und Goldregen, und im Gebüsch sang die Nachtigall. Wie im Traum schritt ich der weißen vor uns schwebenden Gestalt nach; keiner von uns sprach ein Wort, nur sein Arm zitterte. Er that mir unsagbar leid. Ich weiß nicht, warum mir plötzlich die Thränen heiß in die Augen kamen.

„Weinen Sie, Tone?“ fragte er.

„Nein!“ log ich.

„Wie gefällt Ihnen denn Se. Durchlaucht?“ forschte er, und es lag ein bitterer Ton in der Stimme. Aber ehe ich noch antworten konnte, hatte er hinzugefügt: „Kehren wir um! Ich bin es müde auf diesen Schlängelwegen hinterher zu laufen.“

Ich blieb zögernd stehen.

„Was wollen Sie denn, Tone?“ sagte er weich. „Was echtes Gold ist, schmilzt nicht an diesem Flackerfeuer.“ Und wir wandten uns und gingen stumm zurück, und als wir uns dem Lindenplatze näherten, blinkten Windlichter auf, und der Herr Oberförster füllte die Glaser aus einer großen Bowle.

„Nun singt doch, Kinder!“ hörten wir ihn sagen. „Aber wo ist denn die Jugend? Natürlich ausgeschwärmt, im Garten vertheilt; nun, wir haben’s auch nicht besser gemacht.“

Ich litt nicht, daß Fritz sich in dem Kreise zeigte ohne Lotte, und ich leitete ihn unvermerkt vorüber an dem Wege, der zu dem Platze führte. Ich wollte ihn irgend etwas fragen, und mir fiel weiter nichts ein, als Hans. „Sie schrieben doch damals an einen Freund in New-York?“

„Ja, allerdings.“

„Haben Sie nie Antwort bekommen?“

„O doch, Tone; aber sprechen wir heute Abend nicht davon. Gehen wir.“

„Nicht ohne Lotte!“ beharrte ich.

„Man soll Niemand zwingen; sie amüsirt sich vielleicht. Hören Sie, Tone!“ In der That schallte jetzt ihr Lachen zu uns herüber.

„Das ist sie doch?" fragte er, „so kann doch Lotte nur lachen?“ – Und als jetzt das weiße Kleid unfern auftauchte, rief ich laut:

„Lotte! Lotte! Dein Bräutigam sucht Dich!“

Da kamen sie; und im Mondschein sah ich ihre rosigen Wangen und blitzenden Augen und das Lachen um ihren Mund. Schweigend ging sie neben Fritz her und schweigend schritt der Prinz neben mir. Nach einer Weile sagte er nachlässig: „Es ist doch besser, ich empfehle mich auf Französisch, ich störe sonst vielleicht die Gesellschaft. Ich kenne noch aus meiner Jugendzeit Weg und Steg hier, und wenn ich dort durch jenes Gebüsch dringe, so stehe ich ungesehen an der Gartenpforte. Gute Nacht, Fräulein von Werthern!“

Im nächsten Augenblick schlugen hinter seiner schlanken Gestalt die vom weißen Mondlicht beleuchteten Büsche zusammen; er war verschwunden. Unter der Linde aber begannen sie zu singen, selbst die Alten stimmten ein. Lotte saß neben ihrem Bräutigam, hatte den schönen Kopf an den Stamm des Baumes gelehnt und schaute in die leise zitternden Aeste, die im Lichtschein smaragdgrün aufleuchteten. Großmutter kam mir entgegen und flüsterte: „Führe mich nach Hause, Tone, ich will mich zur Ruhe legen. Du kannst ja wieder hergehen.“

Aber ich blieb daheim und setzte mich auf den Balkon, der über den Garten hinaus hing. Dort unten schimmerten die Lichter durch die Blätter, und die Lieder, die sie sangen, klangen an mein Ohr; und als sie endlich verstummten, da sang die Nachtigall fort.

Dann Schritte und das Rauschen von Frauenkleidern. Lotte kam; unter dem Balkon blieb sie stehen. „Gute Nacht!“ sagte er weich und küßte sie. „Und noch einmal Dank für das Bild, Du hast mich innig damit erfreut!“ Aber sie schüttelte hastig den Kopf. „Gute Nacht!“ Sehr laut und sehr kalt klang es, und wie ein Spuk war sie verschwunden.

Ohne ein Wort mit einander zu sprechen, gingen wir schlafen. Als ich aber aus tiefem Schlummer auffuhr nachts, da saß sie hoch im Bette und starrte in den Mondenglanz, ohne sich zu regen.




Rotenberg steht auf dem Kopfe – es war nicht zu viel gesagt! Das kleine langweilige Städtchen schien urplötzlich wie verwandelt; vom Schloßthurm wehte die rothweiße Fahne lustig in der duftigen Maienluft, und in dem uns gegenüberliegenden Flügel des Schlosses waren alle Läden zurückgeschlagen. Es sah nicht aus, als ob des Prinzen Erscheinen eine flüchtige auf der Durchreise gefaßte Laune sei. Es hatte vielmehr Alles den Anschein, als wolle er länger bleiben. Im Souterrain hantirte ein Koch mit blendend weißer Mütze, und am Abend des zweiten Tages trafen einige Wagen, Pferde und zwei Lakaien ein, – der fürstliche Hofhalt begann.

Und nun die guten Rotenberger! Im Hirschengarten war Koncert angesagt; in der Einsiedelei droben am Walde italienische Nacht; auf der Schützenwiese, wo man schon Buden und Zelte für das diesjährige Vogelschießen erbaute, prangte ein Zeichen in rothen und weißen Farben, das die Gilde dem Prinzen zu Ehren errichten ließ, der schon vor zwei Jahren Ehrenmitglied geworden war. An allen Straßenecken aber klebten riesige Zettel mit der Ueberschrift:

Herzogliches Hoftheater zu Rotenberg.
„Die schöne Galathea“.

Wir wurden herrlich aus dem Morgenschlummer geweckt, der dem Tage nach dem Verlobungsfeste Lotte’s folgte, denn feierlich zogen die Klänge der Musik in unser stilles Zimmer: „Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren“. Die Stadtkapelle brachte dem Prinzen ein Ständchen.

Ja, das lachende Leben ging wirklich los; nur wir saßen still daheim, stiller noch als je. Lotte hatte den kleinen Balkon zu ihrem Platz erkoren; dort, unter der dunkelrothen Marquise, die ich aus alten Gardinen hergestellt, saß sie und las, oder ihre Finger hielten eine Arbeit, oder sie träumte in den Garten hinaus. Sie war nicht einmal zu einem Spaziergange zu bewegen, seitdem wir auf dem einsamen Waldpfade über die Höhe des Berges urplötzlich Sr. Durchlaucht gegenübergestanden und er sich uns verbindlichst grüßend angeschlossen und uns somit genöthigt hatte, mit ihm und seinem Begleiter, einer prächtigen Dogge, welche Schnips sehr von oben herab behandelte, durch die Promenaden und an der Domaine vorüber heimzukehren. Die Leute hatten die Fenster aufgerissen, um uns nachzuschauen. Fritz, der uns kommen sah, empfing uns auf dem Domainenhofe und begleitete uns durch den Garten nach Hause. Er sagte nichts darüber, und wir auch nicht, aber Lotte ging nicht mehr aus seitdem.

Heute nun brachte uns ein Lakai ein zierliches Schreiben ins Haus, die Aufforderung zu einem bal champêtre im Schloßgarten! Lotte überflog kaum das Billet und legte es gleich hin, die Großmutter aber fragte seufzend: „Kann man refüsiren?“

„Ich – gewiß!“ sagte Lotte.

„O ja,“ antwortete ich der alten Dame, „wir haben ja Trauer.“

„Für mich ist er nur der unverheirathete Kavalier,“ erklärte Lotte, „der nicht die Berechtigung hat, Damen zu empfangen; und wenn alle die Hiesigen es sich zur Ehre schätzen Sr. Durchlaucht Befehlen zu gehorchen, ich danke dafür.“

„Mir soll es lieb sein,“ nickte die Großmama, nahm ihre Zeitung wieder vor und vertiefte sich in die Hofnachrichten, denen zu Folge die Enthüllung des Standbildes Friedrich Wilhelm’s des Dritten im Lustgarten zu Berlin mit großer Feierlichkeit stattfinden würde. Die Zeitung war das Einzige, was der alten Dame noch ein Interesse abzugewinnen vermochte; sie ließ dann und wann ein hm! hm! vernehmen oder schüttelte den Kopf und alterirte sich über die Schreiereien der Franzosen. Und dann konnte sie lebhaft aus ihrer frühsten Jugend erzählen, wie sie das Schießen von Leipzig auf dem väterlichen Gute, das an der

[125]


 Bauernregel.

Im Sommer such’ ein Liebchen dir
0 in Garten und Gefild!
Da sind die Tage lang genug,
0 da sind die Nächte mild.

Im Winter muß der süße Bund
0 schon fest geschlossen sein
So darfst nicht lange steh’n im Schnee
0 bei kaltem Mondenschein.

 Uhland.

[126] sächsischen Grenze drei Meilen vom Schlachtfelde lag, mit großer Deutlichkeit gehört habe. Sie war dabei sehr erregt und sah um Jahre jünger aus. „Wir erleben gewiß noch einmal ein Leipzig!“ schloß sie dann gewöhnlich.

„Gott sei Dank, wir sind im tiefsten Frieden,“ flüsterte ich und dachte an die Angst, die ich Sechsundsechzig um den Hans ausgestanden. Was kümmerte mich auch Napoleon und Luxemburg und die spanische Thronfolge? Hier in nächster Nähe ward ja ein Kampf gekämpft, schwer und heiß, Glück und Frieden vernichtend.

„Rufe Fritz,“ bat Lotte zuweilen und ging mit fiebernden Wangen von einer Stube in die andere; und die alte Ausgeherin trabte nach der Domaine, und bald eilte er durch die grünen Wege des Gartens mit sorgenvollem Gesicht herbei. Und wenn sie ihn kommen sah, packte es sie wie Angst; sie lief hastig in das Schlafzimmer und war nur mit Mühe zu bewegen, den Gerufenen zu empfangen. Es ward immer eine peinlich stumme Scene, und er ging, wie er gekommen, bedrückt, geängstigt.

Auf die Absage zum Balle erschien Anita bei uns. Der Prinz ließ fragen, ob er Frau von Werthern seine Aufwartung machen dürfe? Die alte Dame gerieth förmlich in Ekstase über diese Liebenswürdigkeit und bestellte der lächelnden Anita, daß es ihr eine Ehre sein würde, Durchlaucht bei sich zu sehen.

Nachmittags zwischen fünf und sechs Uhr kam er wirklich das schmale Treppchen herauf und saß in unserem Zimmer respektvoll der Großmama gegenüber. Lotte war nicht sichtbar. Die blitzenden Augen forschten einen Moment enttäuscht in allen Winkeln umher, dann plauderte er heiter von allerlei harmlosen Sachen, von seiner Mutter, von einem Aufenthalt in Baden-Baden, einer Reise nach dem Orient, die er vor einigen Jahren unternommen, und schließlich kam er auf Rotenberg, auf seinen Ball, und just in diesem Augenblick trat Lotte ein. Ich sah sie befremdet an. Sie hatte in aller Eile ein weißes Sommerkleid angelegt; ihre langen schwarzen Zöpfe hingen auf dem Rücken herunter, und ihr Gesicht war farblos wie das Gewand.

Prinz Otto sprang empor, wie elektrisirt. „Wir sprachen eben von dem kleinen Fest; Sie müssen kommen, Fräulein von Werthern!“

„Ich bedaure lebhaft, Durchlaucht. Sie wissen. wir trauern noch um den Vater,“ erwiderte sie lächelnd.

„Dann will ich den Tanz absagen lassen!“ rief er.

„O niemals, Durchlaucht!“ stotterte sie erröthend. „Ich bitte, mich zu entschuldigen.“

Er schwieg und empfahl sich. Am Abend aber flogen Briefe durch das Städtchen, worin das Fest, einer Reise wegen, die der Prinz unternehmen müsse, abgesagt war. Auch wir erhielten das Billet. Schweigend starrte Lotte darauf. – „Gott sei Dank, er reist!“ fuhr es mir durch den Sinn. Aber er dachte nicht daran! Er saß am Tage des aufgegebenen Balles am geöffneten Fenster des gelben Zimmers und las.

Anita aber kam über die Straße herüber und wollte Fräulein Lotte sprechen. „Ich bringe Farben, die das gnädige Fräulein vergaß,“ sagte sie mir und schlüpfte zu Lotte auf den Balkon.

Mir zuckte es in den Füßen, ihr nachzugehen, indeß – ich fürchtete Lottes Augen, die so deutlich zu sagen verstanden: „Was willst Du hier?“ Als ich endlich zu ihnen trat, plauderten sie von Italien und allerhand gleichgültigen Dingen, und die Farbentuben lagen auf dem Tische.

„Weißt Du, Tone,“ sagte Lotte, „ich will italienisch lernen; Anita giebt mir Unterricht, wir verabredeten es neulich schon mit einander. Es ist eine so himmlische Sprache!“

Ich sah das Mädchen überrascht an, aber ich fand keinen triftigen Grund für meinen Widerwillen. „Ja, wenn Du meinst, Lotte! freilich, nöthig –“

„Nein, nöthig ist es nicht!“ fuhr sie gereizt empor. „Nöthig ist es auch nicht, daß man malt und liest! Alles dergleichen ist überflüssig, so meinst Du doch? Die Kunst, die Schönheit, die Poesie – nöthig nicht! O, das schreckliche Wort!“

„Aber Lotte, thue es doch, wenn es Dir Spaß macht!“ – Sie hätte ja Recht gehabt, wenn es nur Anita nicht gewesen wäre.

„O, sicher thue ich es, und morgen beginnen wir –.“

Nachmittags setzte sie ihr Strohhütchen auf und nahm ihr kleines Portemonnaie, und als sie wieder kam, trug sie Schreibhefte und eine alte vergilbte italienische Grammatik in der Hand; sie war ganz Feuer und Flamme.

Abends ging ich einen Augenblick hinüber zu Frau Roden. Fritz war eben vom Felde heimgekommen; ich traf ihn im Hausflur.

„Allein?“ fragte er traurig.

„Ja, Fritz, denn Lotte lernt Italienisch; sie will Unterricht nehmen bei Anita.“ Und in meiner Angst setzte ich hinzu: „Leiden Sie es doch nicht, Fritz, sprechen Sie ein Machtwort.“

Er sah mich groß an. „Ich?“ fragte er bitter und ging in sein Zimmer.

Frau Roden wurde bleich bei dieser neuen Caprice. Sie schluckte herzhaft an ihrem Aerger, aber auch sie schwieg. Nur das Eine sagte sie beim Abschied: „Von Energie ist keine Spur mehr in ihm, Tone; er war sonst ein ganzer Mann, und er kann sich nicht entschließen, mit einem Ruck der Erbärmlichkeit ein Ende zu machen! Ach, Tone, und solche Naturen packt es am gewaltigsten; er hat sie zu lieb, zu lieb!“

Ich sprach ihr Trost ein; sagte, daß Lotte kein kleinlich angelegter Charakter sei; daß sie genug edlen Stolzes besitze, um ihr Wort voll und ganz einzulösen. Aber die alte Frau schüttelte den Kopf. „Sie will vielleicht! Ja, daran zweifle ich nicht, allein – Gott wird helfen,“ setzte sie hinzu und trocknete ihre Thränen.

So ging es denn weiter, unaufhaltsam, und dennoch schien Alles stille zu stehen. Um uns herum des Sommers Lust; Musik an allen Orten, auf dem Schützenplatz und in den Koncertgärten; Abends strömten die Menschen in das Theater, und in der Nacht hörten wir die Schritte, das Sprechen und Lachen der Heimkehrenden bis in unser kleines Zimmer hinauf, und drüben im Schlosse blinkten helle Fenster. Aber irgend etwas war nicht in Ordnung, Prinz Otto nicht mehr der Alte. Die Loge im Theater blieb leer, das Zelt auf der Schützenwiese war umsonst gebaut, und die hübschen Rotenberger Mädchen hatten vergeblich die reizendsten Toiletten bei der Schneiderin bestellt; Prinz Otto blieb allem fern.

„Was thut er denn?“ fragte man sich unter einander. „Er liest, er malt, er ist schlechter Laune,“ sagte Anita zu uns.

„Weßhalb?“ erkundigte sich Großmama, Anita zuckte die Achseln und schwieg.

„Reist er nicht bald ab?“ forschte ich.

„O, kein Gedanke!“ antwortete die kleine schwarze Person. „Vorgestern ist seine Bibliothek gekommen.“

Da ist etwas nicht in Ordnung! So dachte auch ich und blickte auf Lotte, die kein Auge von ihrer italienischen Grammatik erhob.

„Da ist etwas nicht in Ordnung,“ sagte Großmutter und las den Leitartikel in der Zeitung noch einmal. Und dann erzählte sie mir ein Langes und Breites vom Prinzen von Hohenzollern, von Spanien und Napoleon. Ich hörte nur mit halbem Ohre; ich war so ganz bei Lotte und Fritz.

Und dann kam jener Tag!

Lotte war früh aufgestanden und saß nun auf dem Balkon. Es hatte geregnet und noch immer bedeckten graue tiefe Wolken den Himmel; die hielten jeden Sonnenstrahl ab. Das Mädchen hatte sich fest in ein weiches warmes Tuch gehüllt, als ob sie fröstelte, und hielt Schnips auf dem Schoß. Als ich ihr das Frühstück brachte, sah sie zu mir empor mit ein Paar so müden glanzlosen Augen, daß ich erschrak.

„Lotte, Du bist krank?“ fragte ich.

„Ich glaube,“ sprach sie.

„Was fehlt Dir, Liebling? Rede doch!“ bat ich ängstlich. „Komm herein,“ erwiderte sie. Und als wir im Zimmer standen, sagte sie kurz und hart: „Es muß ein Ende werden – ich ertrage es nicht länger – ich kann Fritz Roden mein Wort nicht halten!“

Da war es heraus!

„Lotte!“

„Ich kann nicht!“ wiederholte sie fest und fuhr ruhig fort, als ich schwieg: „Ich habe ihn nie lieb gehabt. Ich hatte es mir so leicht gedacht – ich wußte nicht, was ich that, als ich ‚Ja!‘ sagte. Ich meinte, so ein armseliges Leben, wie wir jetzt führen, könne ich nicht ertragen, und ich hätte es in der That auch nicht ausgehalten. – Und dann – der Hans; ich glaubte ihn zu retten. – Nicht wahr, Du weißt, was ich meine, Tone?“

Sie wollte mich schmeichelnd umfassen; ich stieß sie zurück und schlug die Hände vor das Gesicht, und bittere Thränen rannen mir aus dem Augen.

„So sprich doch!“ rief sie ungeduldig.

[127] „O, Du bist schrecklich!“ stöhnte ich.

„Mein Gott,“ sagte sie, „weil ich noch in der letzten Stunde den Muth habe, eine Lüge einzugestehen? Von Tag zu Tag habe ich gehofft, er würde mir im ehrlichen Zorn den Ring vor die Füße werfen; er that’s nicht. Nun muß ich den Knoten zerschneiden. Ach, ich kann es nicht länger ertragen, es ekelt mir vor der Komödie. Geh zu ihm, Tone, erzähle ihm die Wahrheit, mache mich so schlecht Du willst und kannst, aber bringe mir die Freiheit – bringe sie mir, und bald!“ Sie hatte laut gesprochen.

„Ich kann es nicht!“ erwiderte ich erschüttert. Ich dachte an seine guten treuen Augen, an sein trauriges Gesicht, und dabei wollte ich zur Thür, um sie zu schließen, damit Großmutter nichts höre.

„Aber ich kann es!“ sagte da eine bebende Stimme, und das blasse Gesicht seiner Mutter schaute mich an. Und nun trat die alte Frau in das Zimmer, in welchem ein trübes Dämmerlicht herrschte, und stand vor Lotte, die zum erstem Male in ihrem Leben das Haupt vor ihr senkte.

„Ich kann es, Charlotte,“ wiederholte sie, „und gleich soll es geschehen, aber –“

Sie hielt inne, eine Todtenstille herrschte in dem kleinen Raum. Man hörte nur das rasche Athmen der Frau, die sprechen wollte und doch nicht konnte – vor Weh. Und plötzlich wandte sie sich und ging lautlos zur Thür hinaus, durch das Nebenzimmer und die Treppe hinunter.

(Fortsetzung folgt.) 


Allotriophagie.

Plauderei über allerlei Esser und Fresser.0 Von Rudolf Kleinpaul.
II.

Man muß zwischen Pantophagie und Allotriophagie scharf unterscheiden. Die erstere beruht auf einer maßlosen Gefräßigkeit, welche nichts Festes verschmäht; die letztere auf einer krankhaften Disposition, welche einen Appetit auf Ungewöhnliches erzeugt. Dort ist charakteristisch, daß zunächst normale Kost in ungeheuren Quantitäten genossen wird; hier, daß ein gewisser Widerwille gegen gute Nahrungsmittel, dagegen ein Gelüst nach schlechten besteht. Auch in der Thierwelt fehlen die Allesfresser nicht: die Raben, die Strauße und die Haifische stellen ebenso viele Tarare, Kolniker und Kahle vor. Der Straußenmagen ist sprichwörtlich, er gleicht dem Korb eines Lumpensammlers, der alles aufnimmt: in der That hat man darin schon mehrere Kilo Werch und Lumpen, dazu kupferne Thürangeln, eiserne Schlüssel, kupferne und eiserne Nägel, Bleikugeln, Münzen, Knöpfe, Schellen, Kieselsteine und Sand gefunden. Wahrhafte Kolniker aber sind die unersättlichen Haifische, die Tiger des Oceans, die in Freiheit den Schiffen nachfolgen. Sie fressen alles Genießbare und alles Ungenießbare. Der Magen eines Weißhaies enthielt einen halben Schinken, einige Schafbeine, das Hintertheil eines Schweins, das Haupt und die Vorderbeine eines Bulldoggen, eine Menge von Pferdefleisch, ein Stück Sackleinen und einen Schiffskratzer. Andere Haie sah man die verschiedenartigsten Dinge verschlingen, welche man ihnen vom Schiffe aus zuwarf, Kleidungsstücke sogut wie Stockfisch, Zinnkannen sogut wie Speck, sie scheinen alles bewältigen zu können. Respektable Fresser! Und doch nennt man die Gelüste, welche der Allotriophagie vorausgehen, nicht „Strauße^ und nicht „Haie“, sondern „Elstern“, Picae (nach dem lateinischen pica = die Elster), und zwar wohl nicht deßhalb, weil die Elster wie der Strauß und der Haifisch alles zusammenfräße – sie ist wohl gefräßig, aber doch nicht bis zu dem erwähnten Grade sondern deßhalb, weil sie gern glänzende metallene Dinge stiehlt und versteckt, wie die Geisteskranken dergleichen auf die Seite bringen, indem sie davon naschen. Noch im vorigen Jahre starb in dem städtischen Irrenhause zu Wards Island ein gewisser August Geyer, in dessen Magen zwei silberne Theelöffel gefunden wurden. Da nun der Magen mit den silbernen Löffeln ebenso wenig machen kann wie die Elster, so ist der Vergleich recht treffend.

In diesem Sinne hat man auch solche krankhafte Gelüste, die sich nicht auf glänzendes Metall beziehen, mit dem Namen Picae belegt. Wenn bleichsüchtige Mädchen Essig trinken und Kohlen, Kreide, Schieferstifte, Kaffeebohnen essen, wenn skrophulöse Kinder Kalk und Sand, ja gewöhnliche Erde verschlucken, so nennt man das eine Pica. Und solchen Gelüsten, die immer etwas Krankhaftes haben, sind auch die Thiere, namentlich die Hausthiere unterworfen; im Jahre 1851 brachen sie, wie eine wahre Epidemie, in der Ackerbaukolonie von Lommel in Belgien aus, und seit dieser Zeit hat man diese Zustände, die in der Thierarzneikunde Malaciae genannt werden, genauer zu studiren angefangen. Eine Kuh, welche an den Zäunen leckt, Lumpen kaut, Leder, Erde, Holz, Kohlen u. dergl. aufsucht, ist nicht etwa gefräßig wie ein Haifisch, sondern leidend, was man sofort an ihrer Magerkeit, der Mattigkeit der Bewegungen und der Trockenheit der Haut bemerken kann. Mit einem Worte, die Allotriophagie ist bei Menschen und Thieren ein Krankheitssymptom, während die Pantophagie eher ein Uebermaß von Gesundheit und einen Hunger anzeigt, der in seiner Heftigkeit blind gegen zweckentsprechende Nahrungsmittel wird. Der Haifisch, der eine zinnerne Kanne hinunterwürgt, übereilt sich gleichsam – man müßte denn annehmen, daß ihm bei den großen Quantitäten wirklicher guter Nahrung auch die Aufnahme geringwerthiger Stoffe ein Bedürfniß sei.


In gewisser Weise sind wir alle sonderbare Schwärmer. Wir essen Roastbeef und Weizenbrot. Metalle essen wir, Holzfasern essen wir, Erden und Kalke essen wir, wenigstens mit darunter, ja, diese seltsamen Nahrungsmittel sind auch ein unabweisbares Bedürfniß. Was ist das Salz? Die Verbindung eines Metalls und einer Luftart. Was enthält der Salat und eine Schüssel Spinat? Die unverdauliche Holzfaser oder Cellulose. Asche, nach welcher die Allotriophagen bisweilen heftig verlangen, ist allen animalischen und vegetabilischen Speisen und Getränken beigemischt. Alle diese fremdartigen Substanzen dienen theils wirklich zur Ernährung, indem sie verdaut und zum Aufbau des Körpers verwendet werden; theils dienen sie nur zur Füllung des Magens und gleichsam zur Folie der eigentlichen Nahrungsstoffe. Die Schalen der Körner und Hülsenfrüchte sind ganz unverdaulich, und ebenso durchwandern Salatblätter und grüne Gemüse den Darmkanal völlig unverändert und haben weiter keinen Nutzen, als die wirklich verdaulichen Substanzen in lockerer Form zu erhalten. Dieser Nutzen ist aber sehr groß, denn wir könnten ohne dergleichen Allotria kaum leben: wie der atmosphärischen Luft Stickstoff beigemischt sein muß, um die Wirkung des Sauerstoffs zu dämpfen, so braucht der Körper außer der eigentlichen Ladung eine Art von Ballast, der an sich keinerlei Werth besitzt. Andere Male halten wir es wenigstens für kein Unglück, wenn wir mit den Nahrungsmitteln Dinge genießen, die wir nicht brauchen können, wenn wir z. B. mit einer Kirsche den Kern, in einem Bissen Wildbrett ein Schrotkorn hinunterschlucken. Und so könnte man denken, daß auch die Kolniker und die Kahle bei ihren athletischen Mahlzeiten ein paar Scherben und ein paar Steine nicht beachten, oft geradezu bedürfen.

Wer hätte nie beobachtet, daß die Hühner und die Tauben von Zeit zu Zeit sandige und steinige Konkremente aufpicken? Sie dienen ihnen, die keine Zähne haben, vermuthlich dazu, die Wirkungen des in ihrem Magen befindlichen Quetschapparates zu verstärken. Und ebenso nimmt der Karpfen, wenn er den Schlamm nach Kerbthieren und Gewürm durchwühlt, erdige Bestandtheile mit auf, ja, diese scheinen für seine Verdauung nothwendige Bedingung zu sein. In den Zuchtteichen pflegt man ihn mit Schafmist zu füttern, doch lockt man dadurch wohl bloß das kleine Gethier herbei, freilich verschluckt der Karpfen den Mist mit. Endlich steht fest, daß gelegentlich auch die Wölfe, die Renthiere und die Rehe Thon oder zerreiblichen Speckstein fressen und daß man solche Erden als Lockspeise und Witterung gebraucht.

Ja, bekanntlich haben auch Millionen Menschen ein Bedürfniß, in kürzeren oder längeren Perioden Erde zu essen, ohne daß man dieses Bedürfniß als ein krankhaftes Gelüst anzusehen berechtigt wäre. Die Arbeiter in den Sandsteingruben des Kyffhäuserberges streichen einen feinen Thon, die sogenannte Steinbutter, auf ihr Brot; bei Franzensbad in Böhmen, in Ebsdorf bei Lüneburg, im nördlichen Schweden hat man das sogenannte Bergmehl, eine feine [128] und weiße Erde, welche aus den Kieselpanzern von abgestorbenen Infusorien besteht, mit Kornmehl vermischt genossen. Namentlich aber findet sich der Gebrauch der Erde als Speise in Ländern der heißen Zone – Erde, und zwar fette, schmierige, wird am Orinoko, in Peru, an den Küsten von Guinea, auf Java, in Persien, Syrien, auf der Insel Sardinien gegessen; hier verzehrt man ein Brot aus Eicheln, die in Erde verbacken werden, eine Probe davon befindet sich in Montegazza’s anthropologischem Museum. Der beste Beweis für die Verbreitung der Sitte ist, daß die Erde wie andere Lebensmittel auf den Markt gebracht wird, zu kleinen Kuchen, Plätzchen, Röllchen oder Kügelchen geformt, dann und wann geröstet und mit Cocablättern vermischt, kurz, als ein normales Naschwerk behandelt wird. Nicht bloß als Naschwerk: die Otomaken, deren Lebensweise Alexander von Humboldt in seinen „Ansichten der Natur“ beschrieben hat, genießen ihre Thonkugeln wie Brot zu Fischen und Schildkröten, zwei bis drei Monate lang jedes Jahr ausschließlich. Dabei befinden sich diese Leute völlig wohl. Also es ist nicht der Hunger, der die Bewohner der heißen Zone treibt, in Ermangelung eines Besseren Erde zu verschlingen, sondern sie haben sich gewöhnt, das tägliche Nahrungsbedürfniß mit Erde zu befriedigen, auch wenn sie vollauf zu leben haben; sie fressen den Staub mit Lust, wie die Muhme des Mephistopheles.

„Jeder nach seinem Geschmacke,“ sagte der Bauer, da aß er Roßkastanien für Bratäpfel. In der That, wenn wir die vorstehenden Thatsachen überblicken, so bleibt kaum ein irdischer Stoff übrig, der nicht schon einmal gegessen worden wäre, ja, was mehr sagen will, es bleibt kaum einer übrig, den man von vornherein unter die „Allotria“ zählen könnte. Allerdings beruht die Allotriophagie zunächst auf einem krankhaften Gelüste, aber wenn man genauer hinsieht, so ist der gesündeste Mensch bei seiner frugalen Kost ein Allotriophage, der Dinge zu sich nimmt, die er niemals gebrauchen kann; die Kolniker und die Kahle verschlingen Steine, ja, die Neger und die Indianer weiden sich an der sanften Erde, und die Arbeiter vom Kyffhäuser streichen die Steinbutter auf ihr Brot, des wackeren Burschen nicht achtend, der singt:

„Mich will es schier bedünken,
Als thät uns Eines Noth,
Das ist ein roher Schinken,
Ha, mit sanftem Butterbrot.“

Rechnen wir hinzu, was gelegentlich aus Versehen oder aus einer sonderbaren Vorsicht verschluckt wird, so möchten wir an unserem Magen ganz irre werden. Und was uns das Leben an bittern Pillen sonst zu verschlucken giebt! –

Aber ich will mit einem guten Wunsche schließen. Wenn sich ein Schüler mit andern Dingen abgiebt, als die sind, mit denen er sich beschäftigen sollte, so sagt man, er treibe Allotria. Wenn er das einmal thut, so ist das kein großes Unglück, er soll nur für gewöhnlich fein hinter den Büchern sitzen und die gesunde Nahrung, die seinem Geiste und Herzen geboten wird, nicht verschmähen. Wenn ihm die fehlte, so wäre es freilich schlimm. Und so wünsche ich denn auch jedem Leser dieser Zeilen, daß er sein Lebenlang etwas Solides zu beißen und zu brechen habe und daß ihm der Geschmack dafür nie abhanden kommen möge. Wenn er dabei hin und wieder Allotria verschluckt, so braucht er sich nicht zu fürchten. Erst wenn er ausschließlich auf Allotria erpicht ist, tritt Gefahr für seine Gesundheit ein. Dann leidet er an einer Krankheit, er hat Allotriophagie.


Die Photographie des Himmels.

Zu den großartigsten Errungenschaften der Neuzeit gehört zweifellos die Verwendung der überaus leichtempfindlichen Trockenplatten in der Photographie, wodurch es möglich wird, den niederfahrenden Blitz, das trabende Pferd, die brandende Woge, das vom Sturm bewegte Laub abzubilden. Es ist ja noch gar nicht abzusehen, welche vielseitigen Anwendungen diese neue Methode in den praktischen Naturwissenschaften finden wird. Hier soll nur eine ihrer mehrfachen Anwendungen, nämlich die Benutzung zur Aufnahme des Sternenhimmels besprochen werden.

Fig. 1 Theil des Sternbildes der Zwillinge, gesehen mit bloßem Auge.

Wer ein Urtheil über die Zahl der Sterne, die dem bloßen Auge in klarer Winternacht sichtbar sind, abgeben soll, pflegt fast immer diese Zahl zu überschätzen. Der Laie spricht von Hunderttausenden, ja von Millionen Sternen, die er mit bloßem Auge wahrzunehmen behauptet. Solche Schätzungen gehen jedoch weit über die Wahrheit hinaus, und wenn irgend etwas als sicher gelten kann, so ist es die Thatsache, daß die Zahl der mit bloßem Auge am Himmel sichtbaren Sterne sehr gering ist. Alle Sterne, welche das schärfste menschliche Auge ohne Fernrohr wahrnehmen kann, sind längst in Karten niedergelegt und ganz genau – im wahren Sinne des Wortes: haarscharf – nach ihrem Orte am Himmelsgewölbe bestimmt; ihre Gesammtzahl erreicht aber, wenn man alle nach und nach im Laufe des Jahres sichtbar werdenden Theile des Sternenhimmels für unsere Gegenden zusammennimmt, bei Weitem nicht die Summe von 7000. Nimmt man jedoch ein Fernrohr zur Hand, so gestaltet sich die Sache ganz anders, denn es werden alsdann immer mehr Sterne sichtbar, je stärker das Teleskop ist, welches man benutzt. In der nebenstehenden Abbildung (Fig. 1) ist eine gewisse Stelle des Himmels dargestellt, wie sie sich dem bloßen Auge zeigt. Man erblickt zwei hellere Sterne und mehrere kleinere. Dieselbe Stelle, aber gesehen durch ein mächtiges Teleskop, zeigt die Fig. 2, und diese Abbildung ist nicht etwa auf gut Glück entworfen, sondern jedes Pünktchen bis zu den kleinsten wurde genau nach Beobachtungen am Himmel eingetragen und zwar in einer großen Sternkarte, aus der vorstehende Abbildung eine verkleinerte Kopie ist. Hier wird das Sprichwort vom „Sternengewimmel“ zur Wahrheit! Und jeder dieser Sterne bis zu den kleinsten ist ein gewaltiger Weltkörper, eine leuchtende Sonne, vergleichbar in seiner Heimath der unserigen an Glanz, Gluth und Größe! Jede dieser Sonnen wandelt seit Anbeginn ihre vorgeschriebene Bahn und spielt ihre eigenthümliche Rolle im großen Organismus des Weltalls. Solche Sternkarten sind Blätter aus dem großen Buche der Weltallsgeschichte, einem Buche, in dem zu lesen die Astronomie lehrt und in welchem auch das Ende unseres Planeten beschrieben ist auf einem Blatt, von dem schon ein gutes Theil entziffert wurde.

Fig. 2. Theil des Sternbildes der Zwillinge, gesehen mit dem Teleskop.

Leicht begreiflich ist es sonach, daß die Himmelsforscher Alles daran setzen, in den Besitz einer möglichst großen Anzahl zuverlässiger Kopien dieser Blätter einer Geschichte der Welt zu gelangen, mit anderen Worten, möglichst ausgedehnte, auch die kleinsten Lichtpünktchen des Himmels umfassende Sternkarten zu besitzen. Welche ungeheure Mühe indessen die Herstellung solcher Karten nothwendig verursacht, läßt sich denken, ja eigentlich handelt es sich hierbei um eine Aufgabe, die alle menschliche Kraft übersteigt. Die Karte, von welcher die obige Abbildung eine Kopie ist, wird auf der Sternwarte zu Paris hergestellt, und zwar arbeitet man dort schon seit vielen Jahrzehnten an der Fortführung derselben. Seit Jahren sind es die Gebrüder Paul und Prosper Henry, welche mit diesem mühevollen Unternehmen sich beschäftigen, allein trotz der großen Erfahrungen, die sie nach und nach erwarben, drohte ihrer Arbeit 1884 ein jähes Ende. Sie kamen nämlich im Verfolge ihrer Aufzeichnungen damals in die Gegend des Himmels, welche von der Milchstraße durchzogen ist. Der mild leuchtende Schein der Milchstraße wird aber bekanntlich hervorgerufen durch eine Ansammlung unzählbarer Millionen von Sternen, die in unergründlicher Tiefe hinter einander stehen. Diese Millionen Sternchen in Karten wiederzugeben erwies sich als geradezu unausführbar. Da erinnerten sich die beiden Beobachter der jüngst so vervollkommneten Photographie und beschlossen, dieselbe zu Hilfe zu nehmen. Freilich konnten sie dafür die gewöhnlichen Apparate des Photographen nicht gebrauchen, sie [129] mußten vielmehr ein besonderes photographisches Fernrohr konstruiren und diesem durch ein Uhrwerk eine so genau bemessene Bewegung ertheilen, daß die Sterne bei ihrem ununterbrochenen Laufe am Himmel doch unverrückt auf der photographischen Platte festgehalten werden. Nach vielen mühevollen Versuchen gelang das Unternehmen über alles Erwarten. Selbst die schwächsten Sterne zeichneten sich auf der Platte mit Schärfe ab, und in einer Stunde wurde auf diese Weise mehr geleistet, als bei der gewöhnlichen Art und Weise des Einzeichnens der Sterne in vielen Monaten.

Diese Resultate spornten zu weiteren Fortschritten an. Ein neues sehr großes Fernrohr wurde konstruirt und auf den Sternenhimmel gerichtet. Die Platte zeigte nunmehr Sterne bis zur 15. Größe, das heißt solche, die so lichtschwach sind, daß überhaupt nur wenige Fernrohre in Europa sie zeigen können. Um dieses Resultat zu erhalten, mußte allerdings die Platte trotz ihrer großen Lichtempfindlichkeit eine volle Stunde dem Licht jener Sterne exponirt werden. Wenn man eine solche Platte oder vielmehr ein nach einer solchen hergestelltes Kliché betrachtet, so könnte man zweifelhaft werden, ob nicht mehrere der kleinen Pünktchen zufälligen Verunreinigungen der Originalplatte zuzuschreiben seien. Solche Bedenken sind sehr gerechtfertigt, aber die Gebrüder Henry haben dieselben auf eine sehr sinnreiche Art gehoben. Sie haben nämlich die Platte, nachdem sie eine Stunde exponirt war, um einen kleinen Bruchtheil der Dicke eines Menschenhaares nach rechts verschoben und dann wiederum eine Stunde exponirt, hierauf haben sie die Platte mit dem Fernrohre um eben so viel gesenkt und zum dritten Male eine Stunde exponirt. Betrachtet man daher das Original mit einem Mikroskop, so sieht man, daß jedes wirkliche Sternchen eigentlich aus drei Pünktchen besteht, die ein kleines Dreieck bilden, wodurch jeder Zweifel, ob man es mit einer zufälligen Verunreinigung zu thun hat, gehoben ist.

Der Vorzug der photographischen Himmelsaufnahmen besteht nun nicht allein darin, daß sie viel rascher als auf dem gewöhnlichen Wege des Einzeichnens zu überaus reichhaltigen Sternkarten führt, sondern auch darin, daß sie Bilder liefert, die absolut richtig erscheinen, in denen keine zufälligen Verzeichnungen und Irrthümer enthalten sind. Auch der aufmerksamste Beobachter macht Fehler, er kann einen, kann mehrere Sterne übersehen, eine verkehrte Einzeichnung machen u. dergl.; von alledem ist die photographische Platte frei, sie ist eine Netzhaut, welche nichts versieht! Dieser Vorzug ist nicht hoch genug anzuschlagen, denn er ermöglicht, unseren Nachkommen ein absolut treues, vollkommen fehlerfreies Bild des heutigen Sternenhimmels zu hinterlassen. Der Direktor der Sternwarte zu Paris hat deßhalb den Plan angeregt, durch systematisches Zusammenwirken einer Anzahl von Observatorien der nördlichen und südlichen Erdhälfte, eine vollständige photographische Aufnahme des ganzen Himmels zu veranstalten. Es ist dies ein großartiges Projekt und es würde zu seiner Realisirung immerhin einen Zeitraum von acht oder zehn Jahren benöthigen, aber welche wichtigen Resultate müssen sich auch daran knüpfen!

Mit solchen Karten aus verschiedenen Zeiten vor sich, und bewaffnet mit dem Mikroskop und einem mikrometrischen Meßapparat, wird der Forscher der Zukunft an seinem Arbeitstische astronomische Entdeckungen machen können, die bis dahin der direkten Beobachtung in den Fernrohren der Sternwarte entgingen. Er wird in seiner Studirstube nachweisen, ob und welche Sterne gegen früher ihren Ort veränderten, ob unter dem zahllosen Heere der lichtschwächsten Sternchen der Milchstraße neue aufgetaucht oder alte verschwunden sind, kurz, eine ganz unabsehbare Perspektive von Untersuchungen und Entdeckungen bietet sich mit Hilfe solcher Karten dar. Wie vieles mag der heutigen astronomischen Wissenschaft entgehen, weil der Blick keines der lebenden Forscher zufällig auf denjenigen Punkt in den Tiefen des Himmels fällt, wo sich gerade ein wichtiges Weltereigniß abspielt!

In Zukunft wird dies anders sein. Die photographirte Karte des Himmels giebt ein genaues Bild vom Aussehen der Himmelsräume zur Zeit ihrer Aufnahme, und sie kann jederzeit, bei Tag und bei Nacht und an jedem Orte, geprüft und studirt werden. Der äußerste heut bekannte Planet, welcher die Sonne umwandelt, ist Neptun, allein manches spricht dafür, daß auch jenseit desselben noch ein oder selbst mehrere Wandelsterne vorhanden sind. Da sie sich indessen nur äußerst langsam bewegen und dabei ungemein lichtschwach sein müssen, so konnten sie bisher unter den Millionen kleinster Fixsternchen nicht herausgefunden werden. Ist aber der ganze Himmel bis herab zu den kleinsten noch sichtbaren Sternen photographisch aufgenommen und wird diese Arbeit nach einem Zeitraum von etwa zehn Jahren wiederholt, so enthalten die auf solche Art gewonnenen Karten die Lösung der Frage nach dem oder den äußersten Planeten, und man wird letztere finden müssen. Ja noch mehr. Die photographische Platte ist in der Aufnahme und Wiedergabe der kleinsten Sterne sogar dem beobachtenden Auge direkt überlegen, indem sie noch Objekte zeigt an Stellen des Himmels, wo man auch mit den kraftvollsten Ferngläsern überhaupt nichts mehr sieht.

In dieser Beziehung haben jüngst die Gebrüder Henry eine überaus merkwürdige Entdeckung gemacht. Sie richteten am 16. November ihr großes photographisches Fernrohr auf die Stelle des Himmels, welche der Stern Maja in den Plejaden einnimmt, und fanden nachher auf der Platte außer zahlreichen Sternen einen spiralförmigen Nebelfleck, der gewissermaßen von dem Stern Maja auszugehen schien. Da man an der betreffenden Stelle des Himmels auch mit den größten Teleskopen der Sternwarte zu Paris keine Spur eines solchen Nebels wahrzunehmen vermochte, so wurde am 8. December eine neue photographische Aufnahme gemacht; auch sie zeigte den Nebel, und eine dritte, die am nächsten Tage erhalten wurde, ließ ihn ebenfalls erkennen. Es kann also kein Zweifel darüber sein, daß sich in der Nähe jenes Sternes wirklich ein spiralförmiger Nebelfleck befindet, von dem das Auge direkt selbst mit Hilfe der größten Teleskope nichts wahrzunehmen vermag. Welch’ wunderbare Aussichten für die Zukunft eröffnen sich hier! Eine wahrhafte Astronomie des Unsichtbaren beginnt. Himmelskörper, die unserem unmittelbaren Anblick auf ewig ein Schleier verhüllt, treten in den Kreis der Wahrnehmbarkeit, ja, zeichnen selbst ihr Bild. Das aber ist der höchste Triumph des menschlichen Geistes, daß er im wahren Sinne des Wortes die Natur zwingt, ihm ihre Geheimnisse zu offenbaren; daß ein Lichtstrahl, der in der Tiefe des Weltraums seinen Ursprung nahm zu einer Zeit, als vielleicht noch keines Menschen Fuß die Erde betreten hatte, heute auf einer Tafel selbst Umriß und Gestalt des Weltkörpers entwirft, von dem er einst vor Myriaden von Jahren ausging! Dr. Klein.     


Vom Radfahren.

Das anfänglich viel bespöttelte Reitrad ist auf dem besten Wege, sich eine Art Weltherrschaft zu erobern. In allen Ländern wendet sich die Jugend dem Radfahrsport mit ganz besonderer Vorliebe zu, und wenn die Ausbreitung, welche diese Liebhaberei in den letzten zehn Jahren gewonnen, noch eine Weile in demselben Maße Fortschritte macht, so wird es bald kaum eine Stadt mehr geben, in der sich nicht mindestens ein Radfahrer-Klub aufgethan hätte. Die Erfahrungen, welche die bisherige Pflege der Radfahrkunst geboten hat, kommen dieser selbst auch wesentlich zu statten.

Das erste Velociped nach Freiherrn von Drais 1817.

Das Velociped von 1868.

Es hat sich gezeigt, daß dieser Sport ganz vortrefflich geeignet ist, die körperliche Gewandtheit bei Jenen, die sich ihm widmen, zu entwickeln, und daß er dabei verhältnißmäßig wenig gefährlich ist. So eine Fahrt auf dem windigen, schmalen, schlanken und graziösen Vehikel sieht sich viel halsbrecherischer an, als sie in Wirklichkeit ist. Jeder rechte Junge, der kein Hasenfuß ist und der auch bei anderen körperlichen Uebungen nur halbwegs seinen Mann stellt, kann schon nach wenigen Stunden, sehr oft sogar nach einer einzigen Uebungsstunde schon ein leidlich sattelfester Radfahrer werden. Und dann steht ihm die Welt offen! Er kann auf seinem Rad auch bis nach Asien hineinreiten, ein kleines Vergnügen, das sich schon mehrere Radfahrer beim besten Wohlsein geleistet. Man kann zwar heutzutage seine Reisen, wie männiglich bekannt, auch mit der Eisenbahn und, wo es Noth thun sollte, auch in einer ehrwürdigen Postkutsche und mit Hilfe noch so mancher anderer Gelegenheiten, absolviren, aber man frage einmal so ein junges Blut, ob es etwas Schöneres giebt, als so sich durch eigene Kraft rasch vorwärts zu bringen und auf dem beschwingten Rade lustig in die Welt hineinzureiten!

Das Reitrad ist das allermodernste Verkehrsmittel, und wo es zum ersten Male in Bewegung gesehen wird, wird es kaum weniger angestaunt, als vor Zeiten die ersten Eisenbahnzüge. Es nimmt sich ganz kurios aus, wie ein Mensch sich in voller Sicherheit des Gleichgewichtes mit der Geschwindigkeit eines guten Pferdes auf einem so unglaublich spindeldürren Rade fortbewegt. Und doch ist keine Hexerei dabei. Die ganze Maschine ist so einfach, daß man sich billig darob verwundern kann, daß sie nicht seit Jahrhunderten schon im Gebrauch ist. Thatsächlich reicht die Geschichte des Velocipedes gar nicht weit zurück.

Die Erfindung ist eine deutsche, wenn auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, der deutsche Gedanke erst im Auslande der eigentlichen praktischen Verwerthung zugeführt worden ist. Der großherzoglich badische Forstmeister Karl Freiherr von Drais (nach ihm auch die Bezeichnung Draisine) hat im Jahre 1817 eine Maschine erfunden, welche als die Ahnfrau des heutigen Reitrades zu betrachten ist. Seine Fahrmaschine bestand im Wesentlichen aus zwei hinter einander stehenden Rädern mit einem einfachen Sattelsitz auf der die beiden Räder zusammenhaltenden Stange. Die Fahrt mit dieser Maschine muß sich einigermaßen komisch ausgenommen haben, denn die Fortbewegung erfolgte dadurch, daß der Reiter abwechselnd einmal mit dem rechten, einmal mit dem linken Fuße von der Erde abstieß, um sein Fahrzeug in Bewegung zu bringen und zu erhalten. Freiherr von Drais war im Stande, mit dieser seiner Maschine sieben bis acht Kilometer in der Stunde zurückzulegen. Das Ergebniß ist, wie man sieht, ein geringes, dieselbe Strecke kann heute in einer Viertelstunde zurückgelegt werden. Und dann konnte selbst jenes Resultat nur mit einer so großen Anstrengung erreicht werden, daß diese gar nicht zu jenem im rechten Verhältniß stand, da man dafür gleich ganz [130] unverblümt zu Fuße hätte gehen können, und noch dazu mit besserem Erfolge; denn es giebt Fußgänger, die 13 Kilometer in der Stunde gehen; gehen, nicht laufen.

Trotz alledem machte die Erfindung damals großes Aufsehen und nahm ihren Weg nach Frankreich und England. In England namentlich wurde sie durch einen Wagenfabrikanten Mr. Johnson, der ein Patent auf die Erfindung genommen hatte, in Schwung gebracht, und das Publikum taufte das neue Gefährt „dandy-horse“, das heißt Stutzer-Pferd. Die Herrlichkeit war nicht von Dauer; die Liebhaberei verschwand wieder von der Bildfläche, und wenn auch in der Zwischenzeit mancherlei Experimente gemacht worden sein mögen, so gelang es der Velociped-Idee doch erst in den sechziger Jahren das allgemeine Interesse wieder für sich zu gewinnen, und dieses Mal mit entscheidendem, durchschlagendem Erfolge.

Ein französischer Fabrikant, Namens Michaux, erregte 1868 auf der Pariser Weltausstellung mit einem Velociped, das im Wesentlichen schon den Charakter des heutigen Bicycles hatte, solches Aufsehen, daß nun sofort an die Produktion im Großen gedacht werden konnte. Jedes Jahr brachte neue Erfindungen für die Verbesserung der Einzelheiten. Das Velociped auf der Ausstellung war noch ganz aus Holz hergestellt, heute besteht es ausschließlich aus Eisen und Stahl und ist dabei doch leichter geworden. Die kraftaufsaugende Reibung ist auf ein Minimum zurückgeführt und durch zweckentsprechende Konstruktion des Gefährtes die Leistungsfähigkeit auf die möglichste Höhe gebracht. An der Vervollkommnung der Maschine haben die Engländer und Amerikaner einen großen Antheil; sie haben es auch verstanden, die Fabrikation an sich zu reißen und bis heute in derselben die führende Rolle zu behalten. Welcher Popularität sich das Reitrad in England zu erfreuen hat, mag aus der Thatsache geschlossen werden, daß der „Cyclists’ Touring Club“ gegen Ende des Jahres 1885 in seiner Liste 20015 aktive Mitglieder auswies. Dabei verfolgt dieser Klub keineswegs sportliche Zwecke, diese finden ihre genügende Berücksichtigung in zahllosen andern Klubs; sein Hauptziel ist vielmehr, seinen Mitgliedern die Reisen auf dem Reitrad möglichst leicht und angenehm zu machen.

Das Bicycle von 1883.

Zu diesem Behufe sorgt der Klub für die Vereinigung von Kameraden zu größeren Touren; durch möglichst ausgiebigen Schutz der Mitglieder gegen Angriffe und Insulten auf den Straßen; durch ein Uebereinkommen mit vielen Hôtels, bisher mehr als 2000! in England und auf dem ganzen europäischen Kontinente, durch welches den Mitgliedern ermäßigte Preise und aufmerksame Bedienung zu Gute kommen; durch Herausgabe guter Karten; durch Veröffentlichung von Vorschlägen zu angenehmen und zweckmäßigen Touren etc. Der Klub hat in verschiedenen Staaten besondere Konsuln, deren Pflicht es ist, den reisenden Mitgliedern mit Rath und That an die Hand zu gehen. Chef-Konsul für das deutsche Reich ist Herr T. H. S. Walker (Berlin W. Krausenstraße 18), zugleich Herausgeber des in 6000 Exemplaren erscheinenden amtlichen Organs des deutschen Radfahrer-Bundes „Der Radfahrer“, Chef-Konsul für Oesterreich Herr Th. Hildebrand jun. (Wien I, Operngasse 2).

Die deutschen Klubs pflegen gleichzeitig die Touren und den Sport mit gleichem Eifer. Der bereits erwähnte deutsche Radfahrer-Bund hat seine Hauptverwaltungsstelle in Magdeburg und setzt sich zusammen aus folgenden Gauverbänden: Hamburg, Bremen, Dortmund, Rheinland, Mannheim, Straßburg, Freiburg im Breisgau, Stuttgart, Frankfurt am Main, Würzburg, Augsburg, München, Straubing, Regensburg, Nürnberg, Bamberg, Erfurt, Hannover, Magdeburg, Stettin, Berlin, Leipzig, Dresden, Görlitz, Breslau, Posen, Frankfurt an der Oder, Stargard in Preußen, Danzig, Elbing, Königsberg, Nieder-Oesterreich, Tirol.

Damendraisine von 1885.

Die Träger der Meisterschaft sind: Herr Joh. Pundt (Berliner Bicycle-Klub „Germania“), der sich auf dem Bundestag der deutschen Radfahrer in Nürnberg am 17. August 1885 die „Meisterschaft von Deutschland im Schnellfahren auf dem Zweirade“ erkämpfte, indem er 10 Kilometer in 20 Minuten 49 Sekunden hinter sich brachte; Herr Eduard Engelmann (Wiener Cyclisten-Klub), der sich den stolzen Titel „Meisterfahrer von Deutschland im Kunstfahren“ erwarb. Man gestatte hier zur Vermeidung von Mißverständnissen eine Bemerkung einzuschalten. Die Leistung eines Champions, Trägers der Meisterschaft, bezeichnet nicht auch zugleich den besten Record, die beste Leistung überhaupt. So hat beispielsweise Herr Hillier am 6. September 1885 in Leipzig 10 Kilometer in nur 19 Minuten 142/5 Sekunden, also in kürzerer Zeit als der Champion zurückgelegt, allein deßhalb trägt Herr Pundt seinen Ehrentitel dennoch mit vollster Berechtigung. Die Meisterschaft kann nämlich nur auf einem direkt für den Kampf um sie ausgeschriebenen Rennen erworben werden; der Sieger bei diesem Rennen ist Meister, ohne Rücksicht auf irgend welche von Andern bei anderen Gelegenheiten erzielte Records. Die Meisterschaft für Oesterreich haben dermalen zwei Herren zu vertheidigen: Blovsky aus Prag und Egger aus München.

Wenn wir nun daran gehen, die besten bisher auf dem Zweirad erzielten Records ins Auge zu fassen, so werden wir nicht umhin können, auch hier die außerordentlichen Leistungen zu bewundern, deren die menschliche Kraft bei ausdauernder und rationeller Schulung fähig ist. Der beste „Flieger“, Läufer über kurze Distanzen, ist in Deutschland gegenwärtig der erwähnte Herr Pundt mit seinem Record von 2 Minuten 452/5 Sekunden über eine Meile (englisch). Das bleibt noch immer eine sehr respektable Leistung, auch wenn sie durch die kolossale Arbeit des englischen Professionals Richard Howell überboten worden ist, der, voraussichtlich für längere Zeit, seinen Record von 2 Minuten 312/5 Sekunden als den besten hingestellt hat. Um diese Zeiten zu würdigen, braucht man sich nur die Leistungen der besten Traber vor Augen zu halten: Die berühmte Maud S., das phänomenalste Pferd, das je über eine Traberbahn gelaufen, hat allerdings die Meile in 2 Minuten 83/4 Sekunde gelaufen, aber an diese amerikanische Celebrität reicht kein zweites Pferd hinan. Jedenfalls werden sich nicht leicht viele deutsche Traber finden, welche die von den Cyclisten erreichte Schnelligkeit überbieten könnten, und mit voller Gemüthsruhe kann man daraufhin beliebige Wetten eingehen.

Daß Herr Pundt übrigens nicht nur ein guter „Flieger“ sondern auch ein brillanter „Steher“ ist (Stehvermögen bedeutet in der Sprache des Sportes ausdauerndes Laufvermögen), das beweist der Umstand, daß er auch für 35000 Meter den besten Record aufzuweisen hat, und zwar 1. Stunde 16 Minuten 47 Sekunden. Der beste deutsche Steher ist aber unstreitig Herr Jahl in München. Seine am 29. Juni 1885 erreichten Records über die Strecken von 50 bis 100 Kilometer stehen noch unangefochten da. Er lief 50 Kilometer in 1 Stunde 51 Minuten und 51 Sekunden, und 100 Kilometer in 3 Stunden 50 Minuten 55 Sekunden.

Den besten Record innerhalb 24 Stunden hat bisher Herr Jos. Kohout, Ex-Champion von Oesterreich, zu Tage gefördert. Er hat am 29. August 1885 unter scharfer Kontrolle zwischen Dresden und Leipzig hin- und herfahrend die Riesenarbeit zu Wege gebracht, innerhalb 24 Stunden 400 Kilometer zurückzulegen. Damit ist Alles geschlagen, was je in diesem Zeitraum geleistet worden. Der beste Record in Amerika, erreicht von Mc. Curdy am 25. September 1885, ist: 2331/4 englische Meilen in 24 Stunden, das sind erst 3753/10 Kilometer!

Hiermit schließen wir die Aufzählung der Meisterleistungen im Radfahren, soweit sie geeignet sind, das Interesse eines größeren Leserkreises in Anspruch zu nehmen.

Jetzt sollten wir auch noch etwas über das Dreirad sprechen, allein es ist nicht viel davon zu sagen. Man setzt sich darauf und fährt fröhlich davon. Es ist noch ungefährlicher als das Zweirad und empfiehlt sich namentlich für sportlustige Damen, wie dies bereits der Name seiner neuen Abart „Damen-Draisine“ andeutet. Die Schnelligkeit, die mit demselben erreicht werden kann, ist naturgemäß eine geringere. In jüngster Zeit ist als Neuheit auch der „Dreiräder für Zwei“ aufgetaucht, welcher namentlich in London von jungen Damen in Begleitung des schützenden Herrn nicht selten benutzt wird.

Ein Dreiräder für Zwei.

So blüht nun die Radfahrkunst überall, diesseit und jenseit des Oceans, und hat auch in allen deutschen Gauen begeisterte Jünger gefunden. Selbst im fernen Indien kennt man sie, und der englische Postbote verwerthet sie dort mit Erfolg auf seinen weiten Touren, soweit es ihm die Straßen und Wege gestatten. Wer weiß, was ihr noch für praktische Erfolge in der Zukunft bevorstehen? Allen Jenen, die sich über alle einschlägigen Fragen genauere Information holen wollen, als sie in diesem kurzen Artikel geboten werden konnte, empfehlen wir die bereits erwähnte Zeitschrift „Der Radfahrer“ und das mit großer Sachkenntniß und Tüchtigkeit gearbeitete „Handbuch des Bicycle-Sport“ von Silberer und Ernst, bei welchem 156 Illustrationen dem instruktiven Texte zu Hilfe kommen. – Zum Schlusse allen deutschen Radfahrern ein kräftiges: „All Heil!“ B. Groller.     


[131]

Blätter und Blüthen.

Pablo de Sarasate. (Mit Portrait S. 113) Unter den berühmten Geigenvirtuosen der Gegenwart besitzt Sarasate entschieden die stärkste Anziehungskraft für das große Koncertpublikum. Und auch der strengere Kunstkenner, der solche Anziehungskraft nicht als entscheidenden Maßstab für sein Urtheil betrachtet, muß dennoch deren volle Berechtigung anerkennen. Denn sie ist bei Sarasate eine Art von elektrischer Wirkung, sie entfließt seiner Individualität, seiner eigenthümlichen und musikalischen Persönlichkeit. Man kann der musikalischen Richtung eines andern Geigers mehr Sympathie entgegen bringen; man kann mehr für Joachim schwärmen, dem die Geige eigentlich nur als Kunstmittel dient. Aber Niemand kann behaupten, daß heute irgend Einer vollendet schöner Geige spielt, als Sarasate, und Niemand kann sich der augenblicklichen Wirkung entziehen. Die sinnliche Klangwirkung seines Tones, die Glockenreinheit in den höchsten Lagen ist bezaubernd; die Sicherheit und Eleganz seiner Technik ist unvergleichlich, dem Hörer wird recht behaglich zu Muthe, wenn Sarasate leicht spielend die größten Schwierigkeiten sozusagen hinwirft, die Andere nur mit Anwendung großer Aufmerksamkeit überwinden. Sein Vortrag ist immer feurig und geschmackvoll, man wird nie eine unnoble Färbung, einen zu scharfen Accent von ihm vernehmen. und was als Zeichen echt künstlerischen Strebens hervorzuheben ist: er ist noch im steten Fortschreiten begriffen, bei jeder Wiederkehr giebt er neue Beweise ernsten Studiums.

Pablo de Sarasate ist im März 1844 in Pamplona geboren. Sein Vater war Militärkapellmeister und ein tüchtig gebildeter Musiker.

Der Knabe zeigte schon im vierten Jahre entschiedenes Talent zur Musik. im siebenten spielte er bereits im Theater in Corunna, wohin der Vater versetzt worden war. Im achten kam er nach Madrid und wurde der Liebling der Königin Isabella. In der spanischen Hauptstadt genoß er auch zum ersten Male gründlichen Unterricht. Sein Lehrer, Manuel Rodriguez, der noch heute als alter Herr in Cartagena lebt war kein glänzender Virtuose, aber ein gediegener Musiker. Als Pablo zwölf Jahre alt war, brachte ihn seine Mutter nach Paris und verschaffte ihm da Eintritt ins Konservatorium. Bald überflügelte er alle seine Mitschüler, errang immer die ersten Preise und gewann auch die Liebe der Direktoren dermaßen, daß ihn einer derselben, Monsieur de la Sabathie, als Pflegesohn annahm. Dreiundzwanzig Jahre alt, begann Sarasate seine Reisen. Zuerst mit Strakosch für drei Jahre nach Amerika, dann mit Ullman in Frankreich, Belgien, Holland etc. Im Jahre 1876 kam er nach Deutschland und trat zuerst im Leipziger Gewandhause auf, mit ganz ungemeinem Erfolge. Seither ist er in England, Rußland, Frankreich und in seinem Vaterlande aufs Glänzendste gefeiert worden, kommt aber jeden Winter nach Deutschland.H. Ehrlich.     


Wieviel trank ein alter Römer auf einmal? Wir finden in der Naturgeschichte des älteren Plinius im 14. Buch eine sehr interessante Abhandlung über den Weinstock, den Weinbau und den Weinverbrauch in der Zeit der römischen Kaiser. Wir erfahren unter anderem daraus, daß die Sitte, den weißen Wein mit Pinienharz zu versetzen, das ist zu pichen oder zu refiniren, wie wir solche bei den heutigen Griechen finden, damals schon in weiter Ausdehnung herrschte. Zum Schlusse erzählt uns denn auch noch Plinius von den größten Weinschwelgern seiner Zeit. Das damals übliche Weingefäß war der Congius. Er enthielt etwas mehr als ein Liter. Die größten Pokale aber hielten drei Congius oder 972/100 Liter, oder rund 10 Liter jetzigen Maßes. Einen solchen Pokal von 10 Liter schweren Weines konnte damals Novellius Torquatus auf einen Zug und ohne abzusetzen austrinken. Der Kaiser Tiberius, der selber in seinen jüngeren Jahren ein großer Weinschwelger gewesen, wohnte einer solchen Trinkprobe in höchsteigener Person bei, und Plinius unterläßt nicht zu notiren, daß gedachter Trinkkünstler, welcher den Ehrennamen Tricongius (oder Zwölfflaschen-Mann) führte, sich einer hohen Achtung erfreute (!) und alle Ehrenstellen, vom Prätor bis zum Prokonsul hinauf, bekleidet hatte; sowie ferner, daß „er beim Trinken weder Athem holte noch ausspuckte, und niemals in dem Becher so viel zurückließ, daß diese Tropfen, wenn man sie auf die Tafel ausspritzte, ein Geräusch machten.“ (Auf diese Art machte man damals die „Nagelprobe“.) Neben dem Novellius Torquatus war als Trinker berühmt der Sohn des Redners und Staatsmannes Marcus Tullius Cicero. Dieser junge Marcus studirte in Athen und vertilgte dort Unmassen von Falerner- und Chierwein, während er seinem Vater nach Rom schrieb, wie er ohne Unterlaß die gelehrtesten Rhetoren frequentire und sich sehne, demnächst mit dem Herrn Papa sich über Philosophie und sonstige Wissenschaften zu unterhalten. So weit wie Torquatus aber vermochte es der junge Cicero doch nicht zu bringen. Er war kein Tricongius, sondern nur ein Bicongius das heißt er konnte nicht zwölf, sondern nur acht Flaschen auf einmal austrinken. Nicht minderen Ruhmes erfreute sich Marcus Antonius, der Feind und Mörder des großen Cicero. Indessen schämte sich Antonius durchaus nicht seines Trinkens, sondern schrieb eine dasselbe verherrlichende Schrift, welche er kurz vor der Schlacht bei Aktium herausgab. Man sieht daraus, wie sehr diese Römer die heutigen Engländer übertreffen, welche ihren Fox, um auszudrücken, wie außergewöhnlich viel er trank, als den „Sechs-Flaschen-Mann“ bezeichnen. Was will Fox sagen gegen den Tricongius Torquatus, von welchem Plinius versichert, daß er die zwölf Flaschen in einem Zuge schlürfte, dabei aber „noch ebenso viel in kleineren Zügen nachtrank und doch seine Morgenwache gewissenhaft versah“! Die Schrift des Marcus Antonius ist uns leider verloren gegangen. K. B.     


Die Einführung der Taschentücher stieß auf manche Hindernisse; es gab Zeiten, wo selbst die feinsten Französinnen diesen Gegenstand nicht zu kennen sich den Anschein gaben, der in anständiger Gesellschaft durchaus nicht benutzt werden durfte, den selbst in den thränenvollsten Scenen kein Schauspieler, keine Schauspielerin anzuwenden wagte. Mademoiselle Duchenois war die Erste, welche den Muth hatte, auf der französischen Bühne ein Taschentuch in der Hand zu tragen, aber wenn das Stück die Erwähnung dieses verpönten Stückchens Battist verlangte, sprach sie von ihm als dem „zarten Gewebe“. Entrüstungsrufe wurden laut, als einige Jahre später De Vigne den „Othello“ auf die Bühne brachte und das Wort „Schnupftuch“ ohne Scheu ausgesprochen wurde. Die Kaiserin Josephine machte dieser Prüderie ein Ende. Sie hatte schlechte Zähne und versteckte diese hinter einem mit kostbaren Spitzen besetzten Taschentuche, das sie fast beständig vor den Mund hielt. Die Hofdamen folgten diesem hohen Beispiele, und das Taschentuch nahm seine hervorragende Stelle unter den Gegenständen weiblicher Toilette ein. R.     


Lord und Witzbold. Lord Chesterfield, berühmt durch die Briefe an seinen Sohn, welche ein sehr geistreiches Compendium des „High life“ enthalten, hatte sich seinen berühmten Zeitgenossen, den Doktor Johnson, durch eine unüberlegte Aeußerung zum Feinde gemacht; und da Johnson ein sehr angesehener und gestrenger Kritikus war, so wurde Seiner Lordschaft dies Mißverhältniß unbequem. Auf seine Veranlassung machte einer seiner Freunde den Versuch, den Doktor Johnson zu versöhnen und ihn zu veranlassen, die Gesellschaften des Lords wieder zu besuchen.

„Ach was,“ sagte Johnson, „ich will nichts mehr mit ihm zu schaffen haben.“

„Aber,“ meinte der Andere, „das können Sie doch nicht bestreiten, er ist Einer der Ersten unter den Lords und dabei ein Mann von Geist und ein ausgezeichneter Witzbold.“

„Meinetwegen,“ replicirte Johnson, „unter den Lords mag er ein verhältnißmäßig großer Geist sein, aber unter den großen Geistern ist er doch weiter nichts, als eine Lordschaft." B.-W.


Ausbrüche von Deutschenhaß in der französischen Presse, wie solche unter „Blätter und Blüthen“ in Nr. 9 und Nr. 31, Jahrg. 1884 der „Gartenlaube“ erwähnt sind, sind keineswegs neu. Sie kamen schon lange vor dem deutsch-französischem Kriege vor. So trat Edgar Quinet im Jahre 1843 in der Pariser „Revue des deux Mondes“ gegen die früher von ihm so gefeierten Deutschen mit einem Schmähartikel voller Unrichtigkeiten und Ungerechtigkeiten auf, in dem er versicherte, er habe in Deutschland an den Ufern des Neckars mit eigenen Augen gesehen, wie man bei abscheulichen Festmahlen Franzosenfleisch verzehre. Er versicherte ferner, daß in Deutschland schon Knaben, die eher ihren Vater verleugnen, als ein französisches Wort sprechen dürften, unterwiesen würden, „aus einer Art Glas in Form eines römischen Schädels zu trinken, das deshalb ‚Römer‘ genannt werde.“ Und solchen Blödsinn nahmen die Franzosen ohne erkennbaren Widerspruch entgegen. E. K.     


Das Britische Museum, jenes großartige Nationalinstitut in London, welches seine Gründung wie seine Reichthümer hauptsächlich dem Gemeinsinn edler Bürger verdankt, ist durch Schenkung auch neuerdings wieder um eine Sammlung bereichert worden, die einzig in ihrer Art sein dürfte: um die Vogelsammlung Allan Hume’s, wohl die größte, welche je angelegt worden ist. Dieselbe umfaßt nicht weniger als 62 000 Vogelbälge und außerdem eine Eiersammlung von kaum geringerer Bedeutung. * *     


Ein Trost für Baumeister. Architekten, welchen die Kritik ihrer Werke Aerger verursacht, sollen nach Wernigerode am Harz wandern, wo sie am Rathhaus folgende Inschrift finden:

Der Eine erdacht’s.
Der Andere macht’s.
Der Dritte acht’t’s.
Der Vierte verlacht’s.
0 – Was macht’s?


Elektrische Küstenbeleuchtung. Die Wichtigkeit einer möglichst vollkommenen Küstenbeleuchtung hat in England Veranlassung zu interessanten Versuchen mit verschiedenen Beleuchtungsarten gegeben. Vor etwa einem Jahre wurden bei Süd-Foreland (unweit Dover) neben einander drei je 100 Meter hohe hölzerne Leuchtthürme probeweise eingerichtet und mit Oel-, Gas- und elektrischer Beleuchtung versehen. Die letztere erwies sich bei allen Witterungsarten und namentlich auch bei herrschendem Nebel als die kräftigste und zweckmäßigste, so daß die englischen Behörden sich nunmehr entschlossen haben, an besonders wichtigen Landmarken dem elektrischen Lichte vor Oel- und Gasbeleuchtung trotz erheblich höherer Kosten den Vorzug zu geben. * *     


Ein Mißbrauch des Hopfens. Vor einiger Zeit brachte man in Nord-Amerika und England ein neues narkotisches, schlafbringendes Mittel auf den Markt, welches angeblich aus dem Safte des wilden amerikanischen Hopfens dargestellt werden sollte und darum den Namen Hopeïn erhielt. Der französische Gelehrte Dujardin-Beaumetz beschloß, eingehende Versuche mit diesem weiß-krystallinischen Pulver anzustellen, wurde jedoch von einem seiner Freunde darauf aufmerksam gemacht, daß diese Substanz Morphium enthalten solle. Die chemische Untersuchung des Pulvers ergab in der That, daß dasselbe mit dem Morphium durchaus identisch ist und nur im Preise ein Unterschied zwischen den beiden Droguen besteht; denn während ein Gramm Morphium 50 Centimes kostet, muß man für dieselbe Menge Hopeïn 3 bis 4 Franken bezahlen! Ob denn der wilde amerikanische Hopfen wirklich Morphium enthält? Man zweifelt daran und ist geneigt an eine Mystifikation zu glauben. *     

[132] 0


Sprechsaal.


Auf vielfachen Wunsch unserer Leser haben wir beschlossen, an dieser Stelle einen Sprechsaal einzurichten, in dem wir, soweit es in unseren Kräften steht, Fragen unserer Abonnenten selbst beantworten oder auch dem Publikum zur Beantwortung stellen werden. Selbstverständlich können hier nur diejenigen Anfragen berücksichtigt werden, die von allgemeinem Interesse und praktischem Nutzen sind.

In erster Linie soll dieser Sprechsaal den Interessen der Hauswirthschaft und der Hebung des Volkswohlstandes dienen und nach dieser Richtung hin praktische Rathschläge und Warnungen enthalten.


Frage 1: Welcher Ofen ist für die Heizung der Kinderstube am besten geeignet? –

Antwort: Der von Ihnen erwähnte eiserne Spar- oder Regulirofen ist für die Kinderstube entschieden den gewöhnlichen eisernen Oefen vorzuziehen; er erfüllt aber nur unvollkommen die Hauptbedingung einer gleichmäßigen Erwärmung des Zimmers. Die Thonöfen auf eisernem Feuerungskasten, wie sie in Mitteldeutschland vorkommen, genügen den Auforderungen der Kinderhygiene gleichfalls nur in beschränktem Maße. Diesem Zwecke entsprechen am besten die mit Fliesen belegten Kachelöfen, die allgemein auch Berliner Oefen genannt werden. Ein solcher Ofen erwärmt sich zwar langsam, behält aber dafür die Wärme lange Zeit hindurch und erzeugt selbst im strengen Winter eine Temperatur im Zimmer, die auch während der Nacht und in frühen Morgenstunden den Kindern durchaus zusagt. Erfreulicher Weise finden in letzter Zeit die Berliner Oefen immer mehr Anklang beim Publikum; leider aber bemerkt man dabei nur allzu oft, daß der Berliner Ofen die sogenannte „gute Stube“ schmückt, während das Schlafzimmer der Kinder mit einem erbärmlichen Kanonenofen geheizt wird. Diese Unsitte, bei welcher der äußere Prunk und Tand höher gestellt wird, als das Wohl unserer Kinder, sollte mit gebührendem Nachdruck bekämpft werden. Jedoch selbst der beste Ofen nützt nichts, wenn die Temperatur des Zimmers nicht genau kontrollirt wird. In keinem Kinderzimmer darf das Thermometer fehlen, und zwar soll man nicht ein billiges für ein paar Groschen, sondern ein gutes, welches richtig die Temperatur anzeigt, kaufen. Es ist die Pflicht der Mutter, von Zeit zu Zeit nach demselben zu sehen und mit seinem Steigen und Sinken durch Lüftung oder wiederholte Feuerung die Wärme zu regeln. Als Norm ist zu betrachten, daß die Temperatur im Kinderzimmer 15° bis 16° Reaumur (18° bis 20° Celsius) beträgt. Der Aufenthalt in überhitzten Stuben führt zu Erkältungen, die bei Kindern namentlich als schwere Halsleiden zu Tage treten.

Frage 2: Als vielbeschäftigte Hausmutter muß ich das Abkochen der Milch vielfach Dienstmädchen überlassen. Die Folge davon ist, daß die Milch oft überläuft und der unausstehliche Geruch verbrannter Milch die Wohnung erfüllt. Giebt es Mittel dagegen? –

Antwort: Ja! Zu diesem Zwecke hat man besondere Milchkochtöpfe konstruirt, die bereits wiederholt in der „Gartenlaube“ empfohlen wurden. (Vergl. Nr. 7, Jahrg. 1885 und Nr. 4, Jahrg. 1886.) Ein noch einfacheres Mittel ist der sogenannte „Milchschützer“, ein kleiner Apparat, den man in jeder größeren Handlung für Hausgeräthe kaufen kann und der einfach in den Milchtopf gestellt wird. Derselbe besteht aus Röhren, durch welche die aufsteigende Milch wieder nach unten geleitet wird. –

Frage 3: In unserer Gegend sind Preißelbeeren sehr selten. Kann man dieselben pflanzen, und lohnt sich die Kultur?

Antwort: In Amerika wird schon seit längerer Zeit mit solchen Anpflanzungen ein schwunghaftes Geschäft betrieben. Nach Berichten von Heinrich Semler in seinem klassischen Werke „Die Hebung der Obstverwerthung“ versendet das gegen 3000 Einwohner zählende Städtchen Harwich in der Nähe von Kap Cod jährlich für 320000 Mark Preißelbeeren. Es entfallen also auf den Kopf der Bevölkerung rund 107 Mark. Alle diese Preißelbeeren werden auf reinem Dünensand gezüchtet. In Michigan hat sich vor einigen Jahren eine Aktiengesellschaft gebildet, welche ein 1500 Morgen umfassendes Moor erwarb und dasselbe mit gutem Erfolge mit Preißelbeersträuchen bepflanzen ließ.

Frage 4: Welchem Blechschirm ist bei Lampen- und Gasbeleuchtung der Vorzug zu geben, dem polirten oder lackirten?

Antwort: Nach Untersuchungen des berühmten Augenarztes Professor Dr. H. L. Cohn in Breslau ergaben die polirten Schirme in verschiedenen Entfernungen einen Beleuchtungswerth von 79, 39 und 26 Kerzen, während die lackirten Schirme unter ganz gleichen Bedingungen nur das Licht von 19, 12 und 7 Kerzen zurückstrahlten. Da die polirten Schirme in der Regel auch billiger sind, als die lackirten, so verdienen die ersteren unbedingt den Vorzug.

Frage 5: Die Aerzte erklären die Nachtlampen, die doch in unseren Kinderstuben unentbehrlich sind, für gesundheitsschädlich, weil sie die Luft verderben. Giebt es Lampen, die von diesem Fehler frei sind? Ließen sich nicht kleine elektrische Glühlichter hierzu verwenden? – Wir bitten unsere Leser, denen solche Lampen bekannt sein sollten, um gewissenhafte Beantwortung dieser Frage.


Allerlei Kurzweil.


Magisches Tableau: „Cotillonorden“.


Geometrische Komponir-Aufgabe. Von Erin.

Aus den sechs Bestandtheilen obiger drei Quadrate, von welchen A und B congruent sind und C = 1/4 A oder B ist, soll durch richtiges Aneinanderpassen ein neues Quadrat gebildet werden.



Für die kranke Lehrerin („Gartenlaube“ 1885, Nr. 33) gingen ein: Ein Leidensgenosse in Freiberg i. S. Mark 1; E. Bauer in Oelsnitz i. V. 3; E. Tz. in Leipzig 3; E. G. H. in Leipzig 6; „Ein vergnügter Abend“. Dresden-Neustadt 6; J. L. D. z. Z. in Dürrenberg 1; G. K. in N. 1; O. H. in Leipzig 1; H. S. in Frankfurt a. M. 5: O. Klitzsch in Minden i. W. 5: J. P. C. S. in Kaiserslautern 15; Hermann in Münster i. W. „Hätt’ ich nur mehr, ich gäb’s geschwind hin für das treue, brave Kind“ 4; Rittergutsbesitzer Schulz-Cösternitz 3; E. H….nn in Mühlhausen i. Th. 6; Frau Elisabeth Kniesche in Kottbus 3; Aus Krossen a. d. O. 5; HB. U. 1; A. Dörschlag in Eldena i. Pom. 1,50; M. aus L. in Ems 2; H. V. in Köthen (Anhalt) 3; G. Dittrich in Dresden-Altstadt 10; M. S. in Pösneck 10; Elisabeth und Klara aus Herford 2; Ida G. in Erlingen-Kirchen 1; Frau Henning und Frau Reinecke in Brakel 3; Kaufmann K. in Glogau 10; Kaefer in Czersk 5; A. Steinbacher, Lehrerin in Schwiebus 5; Moritz Kirchheim in Berlin 10; E.in Berlin 20; J. N. in Bielitz i. Oestr.-Schl. (1 fl. ö. W.) 1,60; N. N. in Atens 3; Am. S. in Frankfurt a. M. 5; L. Mz. in Nördlingen 3; J. Htm. in Frankfurt a. M. 10; F. B. in Landau 5; S. L. in Hamburg 50; Aus Auerbach i. V. 10; Hinke in Arnstadt 10; H. M. in Halberstadt 5; M. E. L. G. R. in Wien (5 fl. ö. W.) 8,10; Das Kollegium der Schule Nr. 31 in Breslau durch König 6,50; Aus Oschersleben. „Wenig aber herzlich“ 0,50; Fr. von Holleben in Koburg 4: E. L. in Alt-Kemnitz 5; M. G. in Nürnberg 10; G. in S. 5; E. Brodtwag in Kortmedien 5; F. M. in M. 10; E. T. in Brünn (2 fl. ö. W.) 3,20; W. G. in Pforzheim 3; Rud. Grahmann in Gohlis-Leipzig 1; M. J. v. S. 5; E. L. in Freiberg i. S. 3; Wilhelmine u. Max R.... in Trier 3; F. H. Lehmann in Plagwitz-Leipzig 3; Oberförster Grimmel in St. Avold 3; Ein Beamter 1; Ein Kranker in Chemnitz 0,50; Aus Frankfurt a. M. 3; Zwei Freundinnen, O. U. u. J. B. in Sebnitz 4; F. A. in Schneidlingen 1; Aus den Ardennen v. d. kleinen Erna (10 Frcs.) 8,05; Aus Gera (Reuß) 3; O. Kade in Prag, z. Z. im Hôtel Erzh. Stefan 1,63; L. u. N. G. in Augsburg 10: Z. in Döbeln 5: S. Salomon in Harburg a. d. E. 5; H. P. in Halle a. S. 5; M. in Luckau i. d. L. 10; v. J. in Breslau 10; M. T. in Braunschweig 25; T. u. S. in Eisleben 2; Salomon Heez in Esens i. Ostfriesld. 10; Frau Postsekretär Bernhardt in Dresden 6; O.-R.-Rath Jul. Gaß in Karlsruhe 20; O. B. in Crimmitzschau 3; „S. in N.“ 3; Karl Behrmann in Uelzen 10; Heinrich Scheel in Stralsund 6; B. M. E. A. F., eine Mutter u. drei Töchter in Unter-Barmen 10; Käthy Werner in Dresden 2; Geschw. B. u. S. Meurer in Eisenach 3; Fam. St. in Heiligenkreuz (2 fl. ö. W.) 3.20; Aus Würzburg, mit dem Wunsche baldiger BEsserung und dem Beaduern, nicht mehr geben zu können 20; Karl Müller in Frankfurt a. M. 20; J. D. Günterstr. 69 in Hamburg 20; Amalie Lewy in Hechingen 10; P. c. Leps in Blasewitz 5; J. S. in Friedberg (Gr. H.) 3,50; J. K. in Aachen 3; L. A. in Braunschweig 1,40; Von einer Kollegin in Deschowitz, mit herzl. Gruß 5; Frau J. W. in Mainz 20; F. P. in O. 20; A. E. B. L. in Amsterdam 4; O. in Nordhausen 5; N. W. in Leipzig 3; Frid. Günther, med. Drs. Wwe. in Zettl 4,80; Frau Karl Poesch in Gottow b. Luckenwalde 10; P. Rießer in Frankfurt a. M. 5; Mjr. L. in Regensburg 10; Aus Schwerin i. M. 2; S. in Reichenbach i. V. 20; Durch Wilh. Streubel in Wolkenburg und zwar 6 Mk. von einigen Bekannten (darunter 2,40 von Bildhauer Schulze aus Dresden), 8 Mk. von einem kl. Lesezirkel in Wolkenburg, 6,50 in Folge einer Bitte im Peniger Wochenblatte, 4,50 von einigen jüngeren Lehrern in K. und 1 Mk. von zwei Lehrern in W. u. G., zusammen 26; Aus einer Familien-Skatkasse d. M. K. in Danzig 5; Von drei Lehrerinnen d. S. Hahner in Dresden 4,30; Fr. Oberförster Heise in Glücksburg b. Holzdorf 3; N. N. in Pleschen 10.

(Schluß folgt.)



Inhalt: Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 113. – Die drei Schrecklichen von Venedig. Von Schmidt-Weißenfels. S. 120. Mit Illustration S. 116 und 117. – Die Andere. Von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 122. – Bauernregel. Gedicht von Ludwig Uhland. Mit Illustration S. 125. – Allotriophagie. Plauderei über allerlei Esser und Fresser. Von Rudolf Kleinpaul. II. S. 127. – Die Photographie des Himmels. Von Dr. Klein. Mit Abbildungen. S. 128. – Vom Radfahren. Von B. Groller. S. 129. Mit Äbbildungen S. 129 und 130. – Blätter und Blüthen: Pablo de Sarasate. S. 131. Mit Portrait S. 113. – Wieviel trank ein alter Römer auf einmal? – Die Einführung der Taschentücher. – Lord und Witzbold. – Ausbrüche von Deutschenhaß in der französischen Presse. – Das Britische Museum. – Ein Trost für Baumeister. – Elektrische Küstenbeleuchtung. – Ein Mißbrauch des Hopfens. S. 131. – Sprechsaal. – Allerlei Kurzweil: Magisches Tableau: „Cotillonorden“. – Geometrische Komponir-Aufgabe. – Für die kranke Lehrerin (Quittung). S. 132.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redakteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keils’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.