Die Gartenlaube (1897)/Heft 23
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Nr. 23. | 1897. | |
Die Gartenlaube.
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Die Hexe von Glaustädt.
(3. Fortsetzung.)
Der dreißigjährige Ratsbaumeister Woldemar Eimbeck hatte am Gusecker Steinweg, unweit der Stadtmauer, ein altes, schwarzgraues, verwittertes Bauwerk als Wohnung inne. Das hohe, viereckige Haus mit den schwer überhängenden Erkern und den plumpen Voluten hatte vor langen Jahrzehnten einem wohlhabenden Großkaufmanne gehört, der es zum Teil als Kornspeicher benutzt hatte. Als dieser Eigentümer ohne Rechtsnachfolger mit Tod abging, war es in den Besitz der Stadt übergegangen. Seit mehreren Jahren leerstehend, sollte es schließlich wegen Baufälligkeit auf Abbruch versteigert werden. Der Ratsarchitekt Woldemar Eimbeck jedoch, der an solcherlei Werken aus Urväterzeit sonderliches Gefallen fand, hatte die Kornburg, wie sie im Volke hieß, um ein Billiges angekauft und sich beim Rat die Erlaubnis erwirkt, den zerfallenen Bau stützen und wiederherstellen zu dürfen. Das kostete freilich Mühe und Geld genug, aber nun war auch etwas ganz Tüchtiges draus geworden, ein Mittelding zwischen kernhaftem Bürgerhaus und trotzigem Adelsschloß, wie es dem etwas phantastischen Sinn des jungen Baumeisters zusagte. Nur die Front schien wenig verändert; das war noch immer die halbvermorschte abenteuerlich düstere Kornburg von ehedem.
Woldemar Eimbeck hauste hier ganz allein mit seiner braven, schwerhörigen Haushälterin, die sich des Vormittags für das Gröbste eine halbwüchsige Zuspringerin hielt. Eimbeck hatte sich die drei Frontstuben des Erdgeschosses als Wohn- und Schlafzimmer, die darübergelegenen zwei als Kunstwerkstatt sehr behäbig, aber gleichfalls im Stile der Vorzeit hergerichtet. Nach dem Hof zu wohnte die Haushälterin. Die oberen Stockwerke, wo früher die Kornsäcke lagerten, um durch die Kettenwinde unter der Giebelspitze je nach Bedarf herunterbefördert zu werden, standen jetzt vollständig leer.
Nachdem Doktor Ambrosius tief bekümmerten Herzens das Unglückshaus am Marktplatz verlassen hatte, wandte er sich durch die Haingasse nach dem nordöstlichen Stadtviertel und erreichte in zehn Minuten den Gusecker Steinweg. Das mächtige Dach der Kornburg schimmerte noch ein wenig im sterbenden Abendschein. Die Gasse selbst lag schon im Halbdunkel.
Doktor Ambrosius trat vor das verschlossene Eichenthor, hob den schweren glattgescheuerten kupfernen Reif, der zwischen den Eckzähnen des Löwenmauls hing, und schlug dreimal fest wider die kleine Metallplatte. Es währte nicht lange, bis drinnen der eiserne Riegel klang und der wuchtige Thorflügel sich in den Angeln drehte. Woldemar Eimbeck öffnete seinem Freund in eigener Person.
„Gott zum Gruß!“ sagte der Ratsbaumeister. „Du kommst spät.“
In der gepflasterten Vorhalle brannte bereits die Wandlampe. Bei dem Luftzug der durch das Oeffnen des Thores entstand, warf sie unruhige Lichter auf die eingemauerten Steinplatten mit den altfränkisch rohen Reliefschilderungen. Die Ritter- und Frauengestalten mit den verwaschenen Zügen und den verstümmelten Händen gewannen ein unheimlich gespenstisches Leben.
„Bin ich der letzte?“ fragte Doktor Ambrosius, als Woldemar Eimbeck die Thür wieder geschlossen hatte. Im eigentlich
[374] bewegten Ton seiner Stimme klang die kaum erst verwundene Aufregung wieder.
„Jetzt eben traf der rothaarige Hauptmann ein,“ versetzte Woldemar Eimbeck. „Ihr zwei seid die letzten. Aber was hast du? Gott’s Donner, du siehst ja aus wie der Tod! Rede doch! Du erschreckst mich! Ist uns irgend ein schleichender Schuft hinterrücks auf die Spur gekommen?“ Woldemar Eimbeck hatte die Schlußfrage kaum hörbar geflüstert.
„Gott sei Dank, nein!“ murmelte Doktor Ambrosius ebenso leise. „Aber Entsetzliches hab’ ich erlebt – die Neueste Großthat des Bluthundes … Ich bin rein wie zerschlagen …“
„Wir sollten das doch nachgerade gewöhnt sein! Wer ist denn das Opfer?“
„Die Ehewirtin des Zunftobermeisters Wedekind, bei dem ich wohne. Die frommste und tüchtigste Handwerkersfrau der Gemeinde.“
„Unglaublich! Auch die! Wo soll das enden? Aber nun laß uns hinauf! Was zögerst du noch?“
„Ich dachte nur so …“ raunte Doktor Ambrosius, „ob nicht doch vielleicht deine Haushälterin mit der Zeit stutzig wird? Ich weiß nicht, Woldemar, aber ich habe so das Gefühl …“
Der Ratsbaumeister schüttelte zuversichtlich den blonden Kopf.
„Das macht die Frau Wedekind! Solch ein Erlebnis fährt einem gleich in die Glieder. Aber der Mensch muß sich nicht werfen lassen. Meine gute Jakoba ist vollständig ohne Argwohn. Sie glaubt heute wie vor drei Wochen an das harmloseste Zechgelage. Sie hat mir auch diesmal ein Fäßlein Bacharacher besorgt und geht jetzt eben frohmütig zur Ruhe. Du weißt, sie ist abends müde zum Umfallen, da sie schon mit den Hühnern aufsteht und sich des Tags über keine Minute zum Sitzen gönnt. Uebrigens – wenn sie auch wach bliebe! – die Mauern und Wölbungen der Kornburg sind mächtig genug. Und obendrein ist sie schwerhörig …“
„Gerade wenn man so recht bestimmt auf die Schwerhörigkeit rechnet, schärft sie sich mitunter zur Leichthörigkeit. Denk’ nur an die Geschichte vom Winkelkrug! Besser man übertreibt die Vorsicht als umgekehrt!“
„Das thun wir ja. Und nun sei nicht verzagt, Gustav! Je toller sich dieser Bube gebärdet, um so besser für die gerechte Sache. Sein Maß wird in den Augen der Glaustädter um so eher voll.“
So stiegen die beiden Freunde Hand in Hand die schwarzen Basaltstufen hinan zum Obergeschoß.
In dem größeren der zwei Frontzimmer, die sich Woldemar Eimbeck als Kunstwerkstatt eingerichtet, saßen acht Männer sehr verschiedenen Alters und Aussehens um den breiten, viereckigen Tisch herum. Die Pläne und Zeichnungen, die sonst des Tages über hier lagen, hatte der Ratsbaumeister hinübergeschafft in die Stube der beiden Hilfsarbeiter. Der Bacharacher, in vier große Steinkrüge abgezapft, stand bereits auf der Tafel; jedermann bediente sich selbst. Der Anblick des Raumes wie der Versammlung bot nichts Auffallendes. Nur die Gesichter waren nicht ganz so fröhlich und strahlend, wie dies bei deutschen Zechgelagen sonst wohl die Regel ist. Uebrigens wirkte auch hier die seltsame Lichtmischung. Durch die zwei gotischen Fenster strömte noch eine gelbgraue Dämmerung herein, während auf dem eisernen Leuchterkranz mit dem phantastischen Leuchterweibchen schon die zwölf mächtigen Talgkerzen brannten.
„Glück und Heil!“ sagte Ambrosius und nahm sein Barett ab. „Entschuldigt, vieledle Herren, daß ich euch warten ließ! Aber es ging nicht anders. Das schmachvolle Begebnis, das mich zurückhielt, geht aus der nämlichen Tonart wie die gesamte himmelschreiende Unbill, die uns hierhergeführt.“
„Redet! Erzählt!“ klang es von allen Seiten.
Mit kurzen Worten teilte Ambrosius mit, was sich im Hause des Schreiners Wedekind zugetragen.
„Unerhört!“ rief Jansen, der Buchdrucker, ein Vierziger mit rotviolettem Gesicht, der aussah, als müßte ihn jede Minute der Schlag rühren. „Nun hat’s geschellt, Kameraden! Der Kerl haut jeder Vernunft – selbst von seinem Standpunkte aus geredet – ins Angesicht. Sein Korn reift schneller als ich’ gedacht hätte.“
„Das sage ich auch!“ bestätigte Eimbeck. „Je blödsinniger seine Unthaten, um so leichter für uns Anhänger zu gewinnen …“
„Aber der unglücklichen Frau hilft das nichts,“ meinte Ambrosius. „Balthasar Noß reitet verflucht schnell. Eh’ wir zum Streich ausholen, wird auch dieses schuldlose Opfer längst hingemordet sein …“
„Ja, Ihr habt recht!“ knurrte der Buchdrucker. „Und ich begreife auch, daß es Euch nahe geht. Wenn man so mit den Leuten das gleiche Haus bewohnt … Und eine tüchtige, wackere Person ist ja die Wedekindin allzeit gewesen …“
„Das Urbild einer ehrbaren deutschen Handwerkersfrau!“ rief Doktor Ambrosius warmherzig. „Wer ihr nur in die Augen sah, den überkam’s wie der Friede des Herrn, so gottselig schaute sie drein und so gütig und schlicht. Es bleibt mir unfaßlich! Bis jetzt hielt sich der Blutrichter doch vornehmlich an Minderwertige oder doch Gleichgültige. Nun aber greift seine Bosheit um sich wie die Pest, die gleich schonungslos dem Starken und den Schwachen dahinmäht. Ehvorgestern der reiche Schankwirt; heut die Brigitta Wedekind; morgen vielleicht …“
„Auch der Zunftobermeister Wedekind soll ja begütert sein,“ lächelte Woldemar Eimbeck.
„Natürlich!“ donnerte Jansen, der Buchdrucker. „Immer klarer tritt’s nun zu Tage, wo der ganze verruchte Unfug hinaus will.“
„Alte Geschichte!“ klang’s von den Lippen des Rechtsgelehrten Theodor Welcker, der zu der heutigen Sitzung des Freiheitsausschusses eigens von Dernburg, der Haupt- und Residenzstadt des benachbarten Fürstentums, herübergekommen war und sich jetzt wohlgefällig den langen, halb schon ergrauten Bart strich. „Uralte Geschichte! Unser erlauchter Fürst hat die Hexenverfolgung schon vor zwei Decennien als die Kunst bezeichnet, aus menschlichem Blut Gold zu machen. Bei weitem die Mehrheit dieser berufsmäßigen Malefikantenrichter besteht aus ehrlosen Spekulanten, die sich die Gutgläubigkeit ihrer Helfer und Helfershelfer pfiffig zu nutz’ machen. Die Vermögenseinziehung ist nicht umsonst mit in den Strafcodex aufgenommen. Und je mehr Balthasar Noß geschluckt hat, um so riesiger wächst sein Hunger. Man kennt das ja aus seiner früheren Thätigkeit!“
„Sehr wahr!“ versetzte Doktor Ambrosius. „Anderwärts hat er’s getrieben bis zur Erschöpfung. Ich glaube, vielteure Genossen, wenn ihr die Stadt retten wollt, eh’ sie verödet und ausgeraubt ist, wird es allmählich Zeit.“
Der rothaarige Hauptmann Fridolin Geißmar, der bei den letzten Worten eifrig genickt hatte, sprang jetzt in seiner ganzen Länge empor und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß Krüge und Becher klirrten. Er sah etwas abenteuerlich aus in seiner verschabten Kriegstracht, die an gewisse Typen aus dem Lager des Herzogs von Friedland erinnerte, bis auf die Aermel und den fehlenden Schulterkragen. Fridolin Geißmar hatte vor sechs Jahren im Niederländischen gegen Frankreich Dienste gethan und sich in etlichen Schlachten so ausgezeichnet, daß Glaustädt dem invalid gewordenen Helden ein Amt bei der Forstverwaltung und Fischerei übertrug, außerdem aber genehmigte, daß er nun auch im städtischen Dienst den Waffenrock weiter trage, der so überaus reich war an ehrenvollen Erinnerungen.
„Mir aus der Seele gesprochen!“ rief er mit seiner schnarrenden Stimme. „Das sind unerträgliche Zustände. Laßt uns ein Ende machen – um jeden Preis!“
„Gemach, Hauptmann,“ sagte Herr Theodor Welcker, der langbärtige Rechtsgelehrte aus Dernburg. „Nichts übereilen! Festina lente! Euch steckt noch der wilde Pfiff Eures niederländischen Feldzuges im Kehlkopf. Ihr vergeßt nur, daß wir kein Heer haben wie Ihr dazumal gegen die Welschen. Daher wir den Mangel an Söldlingen durch sorgsame Vorbereitung ersetzen müssen. Was hülfe es uns, wenn wir schon jetzt hinaus auf die Gasse stürzten unter dem Kampfgeschrei: ‚Nieder mit Balthasar Noß!‘ … ? Ihr sagtet schon neulich, daß Ihr Euch fest überzeugt hieltet, Hunderte von entrüsteten Männern aus allen Berufsklassen würden uns augenblicks zuströmen. Aber das glaubt nur ja nicht! Eh’ sich die schwerfällige Masse zu einer That entschließt, muß bereits eine erste That vorliegen. Nur dem Vollendeten gegenüber finden sie die Kraft des Entschlusses. Fahren wir also fort wie bisher, jeder in seinem Kreis Anhänger zu werben, die im gegebenen Falle entschlossen zur Hand sind und vor keiner Fährnis zurückschrecken. Sind wir [375] nicht zahlreich genug, so werden die Stadtsoldaten und die Knechte des Blutgerichtes allein mit uns fertig.“
Fridolin Geißmar hatte sich wieder gesetzt. Sein hageres Antlitz unter dem brandroten Stirnhaar drückte Verstimmung und Trotz aus. „Oho!“ rief er, da Theodor Welcker jetzt innehielt. „Das käm’ auf die Probe an!“
„Wir wollen doch diese Probe nicht wagen,“ meinte der Rechtsgelehrte aus Dernburg mit freundlich überlegener Ruhe. „Bedenkt doch, mein werter Freund, daß wir nicht alle wie Ihr geschulte Kriegsleute sind! Uebrigens – wozu streiten wir lang’? Ich sehe, die Mehrheit, ja sämtliche Anwesende mit der einzigen Ausnahme von Euch, Herr Hauptmann, stimmen der Meinung Eures gehorsamen Dieners zu. Ihr aber seid ehrlich und pflichttreu genug, Euch zu fügen. Erörtern wir also nicht Dinge, die noch verfrüht sind!“
„Herr Theodor Welcker hat recht! Die Zeit ist kostbar! Es geht auf Zehn. Prüfen wir lieber ohne Verzug die Listen!“
Es waren die Namensverzeichnisse derjenigen Glaustädter Bürger gemeint, die jeder aus der Zahl seiner Bekannten aufgestellt hatte, mit der Vermutung, daß die Vermerkten bereit sein würden, sich der Agitation wider das Malefikantengericht anzuschließen. Es war schon vorher vereinbart worden, daß die zehn Mitglieder des Freiheitsausschusses bei ihrem Eide gehalten sein sollten, keinem der etwa zu werbenden Teilnehmer kund zu thun, wer diesem Ausschuß angehöre. Wenn das Unglück bei dieser Werbethätigkeit eine Entdeckung herbeiführte, war dann doch immer nur grade der eine Verschworene bloßgestellt, ohne Gefährdung des Centralbundes. Die heutige Sitzung hatte der Ratsbaumeister vornehmlich zu dem Zweck anberaumt, jeden der aufgestellten Bürger einer Besprechung zu unterziehen. Nur, wenn die Versammlung seine Anwerbung einstimmig guthieß, sollte der Vorschlagende in möglichst unauffälliger Art den Versuch machen, auf den Genehmigten einzuwirken.
Schneller als man vorausgesetzt hatte, war diese Prüfung erledigt. Die meisten Vorgeschlagenen, deren Aufstellung ja ohnedies von den einzelnen Mitgliedern erst nach reiflichster Ueberlegung erfolgt war, fanden die einstimmige Billigung der Versammlung. Wer die betreffenden Bürger nicht kannte, wie dies mehrfach bei Herrn Theodor Welcker, hier und da auch einmal bei den andern der Fall war, der enthielt sich einfach der Abstimmung. Nur dem Hauptmann Fridolin Geißmar strich die Majorität vier Namen als wenig aussichtsvoll oder verdächtig, was Herr Geißmar übrigens merkwürdigerweise durchaus nicht übelnahm. Er sah jetzt, die Sache ging vorwärts, und das wirkte äußerst wohlthätig auf seine Gemütsverfassung.
Nachdem diese Angelegenheit zur vollen Befriedigung aller geordnet war, füllte man von neuem die Becher, erhob sich und stieß auf gutes Gelingen an.
„Die Freiheit Glaustädts!“ klang es im Chore. „Ein schallendes Pereat dem Balthasar Noß!“
„Und dem Hofmarschall Benno von Treysa!“ rief Woldemar Eimbeck nachdrücklich. „Der ist der Urgrund alles Verderbens. Der hat den Landgrafen erst in diesen Wahnwitz hineingehetzt. Pereat!“
„Aber vergeßt mir nicht den Geheimsekretär Schenck von der Wehlen!“ setzte Herr Theodor Welcker hinzu. „Auch diesem Spitzbuben töne ein Pereat ersten Ranges! Der ist schlimmer als Treysa! Der Schurke hat von Balthasar Noß Prozente. Eine einzige Hexenverbrennung trägt ihm vielleicht mehr Weißpfennige als ein ehrsamer Handwerker Zeit seines Lebens verdient. Pereat!“
Man setzte sich wieder. Herr Theodor Welcker zog ein Schriftstück aus der Brusttasche und warf dem Ratsbaumeister einen fragenden Blick zu, den dieser mit höflichem Kopfnicken beantwortete.
„Liebwerte Genossen,“ begann der Rechtsgelehrte, „vergönnt mir jetzt noch die Mitteilung eines nicht unwichtigen Dokumentes. Das Aktenstücks dessen wörtliches Duplikat ich hier bei mir führe, liefert uns den Beweis, daß man doch endlich höheren Ortes beginnt, die barbarischen Ausschreitungen des Malefikantenprozesses nicht mehr so ganz gleichmütig hinzunehmen wie bis vor kurzem. Es handelt sich um ein Mandat des Reichskammergerichtes gegen den Zentgrafen und die Schöffen des Malefikantengerichts zu Fulda. Bis jetzt waren Beschwerden, die von Angeklagten im Hexenprozeß bei dem obersten Tribunal zu Wetzlar versucht wurden, immer erfolglos. Ihr wißt ja, die Zauberei gilt als crimen exceptum, als Ausnahmeverbrechen, auf das alle sonst wirksamen Rechtsgrundsätze kaum eine Anwendung finden. Dieser Tage jedoch hat das Reichskammergericht – wie es heißt, unter dem Einfluß eines neu kreierten menschenfreundlichen Mitgliedes, das unterdes leider plötzlich verstorben ist – eine Rechtsmeinung von sich gegeben, die offenbar eine Wendung zum Besseren bedeutet. Große Hoffnungen darf man ja freilich an diesen vereinzelten Fall nicht knüpfen. Immerhin zeigt er, daß die Wetzlarer Richter den Vorstellungen der Billigkeit und der gesunden Vernunft nicht so vollständig unzugänglich sind, wie bis dahin geglaubt wurde. Ich will noch bemerken, daß die Beschwerdeführerin allerdings einen sehr gewichtigen Fürsprecher in der Person ihres Beichtvaters hatte.“
Theodor Welcker entfaltete nun das graugelbe Folioblatt und las den Text des Mandates vor.
Das Aktenstück wiederholte dem Fuldaer Tribunal, zuerst die beeidigte Aussage dieses Beichtigers, eines im Rufe besonderer Heiligkeit stehenden fünfundsechzigjährigen Priesters, der seinem Beichtkind rückhaltlos das eifrigste Lob zollte und ausdrücklich erklärte, daß er den Abfall der Beschuldigten von Gott und der Kirche für einfach unmöglich halte.
Dann hieß es wörtlich wie folgt:
„Dies alles hintangesetzt, habt Ihr, Zentgraf, Schöffen und Richter, die Inkulpatin ohne jeglichen Grund für eine Hexe erklärt – bloß weil drei der nämlichen Unthat beschuldigte Weiber sie dafür angesehen haben sollen. Ohne weitere Erkundigungen habt Ihr sie aufgegriffen und in den Hundestall neben dem Backhaus des Fuldaer Schlosses einsperren lassen. Ihr habt sie an Händen und Füßen in der grausamsten Weise gefesselt und sie gezwungen, in dem engsten Gelaß zu verweilen, wo sie gekrümmt und gebückt sich weder bewegen noch regen kann. Obwohl nun außer dem Zeugnisse der drei heillosen Weiber nicht die geringsten Indicia der Zauberei gegen sie vorliegen und ihr Ehewirt sich erbeut, ihre Unschuld in Rechten darzuthun, auch um Erleichterung ihrer Haft und um Zeit zur Verteidigung nachsucht, habt Ihr, Zentgraf, Schöffen, und Richter, diese gerechtfertigte Bitte rundweg abgeschlagen. Die Beschwerdeführerin hat sonach zu erwarten, daß Ihr zu unerträglicher Tortur fortschreiten und ihr demnächst einen schmach- und qualvollen Tod anthun werdet. Derohalb erlassen wir andurch den strengsten Befehl, bei Pön von zehn Mark lötigen Goldes der Beschwerdeführerin augenblicks ein mildes, leidliches Gefängnis zu geben, sie ohne wesentliche Indicia nicht zu foltern und dem Verteidiger, der zu ihrer Verantwortung nötig ist, unweigerlich Eintritt in ihre Haft zu gestatten.
So geschehen Wetzlar am einundzwanzigsten Maji, Anno Domini Eintausendsechshundertundachtzig.“
Als der Vorleser schwieg, entstand ein vieldeutiges Murmeln, bei dem die Entrüstung über das Fuldaer Stadtgericht offenbar einen größeren Anteil hatte als die Genugthuung über die unerwartete Aufgeklärtheit und Intelligenz des Reichskammergerichts. Der rothaarige Hauptmann Fridolin Geißmar hatte während der Vorlesung mehrfach heftig genickt. Jetzt rief er mit schneidendem Hohn, als freue er sich, dem Rechtsgelehrten von Dernburg hier etwas heim zu zahlen:
„Fürtrefflich! Wenn das Reichskammergericht nur nicht leider Gottes das Reichskammergericht wäre! Ich kenne den Fall! Der Beichtvater dieser Unglücklichen war ein Jugendfreund meines Vaters und ihm getreulich zugethan, trotz der Verschiedenheit im Bekenntnis. Als ich ein Kind war und Philipp Von-Zehl noch Kurat in Guseck – dort giebts ja noch eine Handvoll Katholische – da hab’ ich wie hundertmal auf seinem Knie geritten und ihn von Herzen gern gehabt. Wir stehen heut’ noch im Briefwechsel. Und just vorgestern, zu meinem Geburtstag, schrieb er mir – wir schreiben uns alle Jahr zweimal – und erzählte mir auch von dem Wetzlarer Mandat, das Ihr, mein gelehrter Herr, jetzt eben da vorgetragen. Aber er fügte hinzu, was Ihr offenbar nicht wißt, daß die Herren vom Reichskammergericht nach ihrer alten Gewohnheit wieder, post festum kamen. Als das Wetzlarer Mandat eintraf, war die Beschuldigte nicht nur bereits torquiert, sondern auch rechtskräftig verurteilt, nach dem Richtplatz geschleppt und bei lebendigem Leibe verbrannt.“
[376] „Himmel und Hölle!“ riefen zwei, drei Stimmen zugleich.
„So ist’s, liebwerte Genossen! Die Zentgrafen und Malefikantenrichter stehen ja überall unter dem starken Schutz ihrer Landesherren und erachten sich für souverän. Die pfeifen aufs Reich! Und um Kniffe zur Rechtfertigung ihres Verfahrens, falls überhaupt sowas verlangt wird, sind die Schufte nicht sehr verlegen. Wär’ ja auch schade, wenn’s ihnen quer ginge.“
„Das ist freilich ein trübseliger Nachsatz zu meinem Vordersatz,“ meinte Herr Theodor Welcker.
Der Hauptmann lachte. „Fürwahr, ein mordstrübseliger! Und nun hat gar, wie Ihr vermeldet, der geistige Urheber dieses Mandats nach kurzem Walten das Zeitliche gesegnet. Da wird’s mit ähnlichen, verheißungsvollen Symptomen wohl gute Wege haben. Gotts Donner, ich sag’ Euch, mir zuckt immer wieder das Schwert in der Scheide!“
Jetzt erhob sich ein stiller, unscheinbarer Geselle, der bis dahin kaum noch geredet hatte, Kunz Noll, Mitglied der ehrsamen Reißer- und Malerzunft.
„Darf ich …?“ wandte er sich blitzenden Auges an Woldemar Eimbeck, der die Verhandlungen bis dahin geleitet hatte.
„Kunz Noll hat das Wort! Das ist ja ein seltenes Ereignis! Liebwerte Genossen, ich bitt’ euch: Silentium für unseren weltklugen Schweiger!“
Alles verstummte. Der Maler und Zeichner mit dem fahlen Gesicht und den spitz hervorstehenden Backenknochen war von jeher bekannt dafür, daß er nur wenig sprach, aber fast immer Gescheites und Selbständiges.
„Ihr Herren,“ begann Kunz Noll, „ich habe erst abgewartet, bis ihr mit euren Beratungen glücklich zu Ende, kamt. Das lag uns am nächsten. Was ich jetzt mitteilen will, bezieht sich auf eine fernere Zukunft. Es ist ein bloßer Gedanke, ein vielleicht seltsamer Einfall. Mir allerdings erscheint er nicht unzweckmäßig.“
Er hielt einen Augenblick inne.
„Sprecht!“ klang es von allen Seiten.
„Sofort. Erst aber möcht’ ich eine Frage vorlegen. Seid ihr mit mir überzeugt, daß es schwieriger ist, gegen den Landgrafen die Befreiung zu unternehmen als mit dem Landgrafen?“
„Gewiß! Ohne Zweifel! Das versteht sich von selbst. Aber was soll, das?“
„Ihr werdet das gleich hören. Ich bitte euch nur, weist meine Idee nicht ungestüm von der Hand, falls sie im ersten Augenblick euch zu tollkühn erscheint. Die Rebellion in den Straßen von Glaustädt ist auch kein Kinderspiel und führt möglicherweise zu Schlimmerem. Besser dünkt mich ein mutiger Griff in den Kern als das Benagen der Peripherie.“
„Was meint Ihr damit? Ihr sprecht ja in Rätseln!“
„Wir müssen den Landgrafen von seinen elenden Ratgebern befreien und ihm persönlich den vollsten Einblick in das Getreibe des Tribunals verschaffen. Nötigenfalls mit Gewalt. Der Landgraf ist von Natur edel und gutherzig. Nur die Ruchlosigkeit der andern bethört ihn. Einmal zerrissen, wird der Schleier der Bosheit ihn nicht wieder einhüllen. Aber das Wie? ruft ihr voll Ungeduld. Ich bin eben daran, euch dies Wie auseinanderzusetzen. Laßt mich nur ausreden!“
„Silentium für den Reißer und Maler!“ rief Doktor Ambrosius, dem die sichere, thatkräftige Art des Mannes gar wohl gefiel.
„Ihr wißt, Freunde,“ hub der Künstler wiederum an, während sein fahles Gesicht über den spitz hervorstehenden Backenknochen sich rötete, „ihr wißt, daß der Landgraf Otto alljährlich zu Anfang Oktober in den Stauffheimer Waldungen Jagd hält, und zwar mit ganz kleinem Gefolge. Außer dem Dienstvolk begleiten ihn kaum drei oder vier Edelleute; darunter jedoch unweigerlich die zwei Hauptfrevler, die ihn umgarnt halten, der Geheimsekretär Schenck von der Wehlen und der fluchwürdige Hofmarschall Benno von Treysa. Wenn es uns nun gelänge, im Dunkel des Stauffheimer Forstes die ganze glorreiche Jagdgesellschaft mit Einschluß des allergnädigsten Landgrafen dingfest zu machen …“
„Großartig!“ rief der rothaarige Hauptmann und schlug mit der Faust auf den Schwertgriff.
Auch Herr Theodor Welcker strich sich bewegt den ergrauenden Bart und nickte, als ob ihm der tollkühne Plan einleuchte. Der geistvolle Dernburger Rechtsgelehrte, der scheinbar so selbstlos die Glaustädter bei ihrem höchst gefahrvollen Werk unterstützte, war nicht ganz ohne Hintergedanken. Er wirkte insgeheim für seinen aufgeklärten, aber politisch ehrgeizigen Souverän, den Fürsten von Dernburg, der ihm ein unbegrenztes Vertrauen schenkte und von den Anzettelungen in Glaustädt Kenntnis hatte. Nur Woldemar Eimbeck wußte um diesen Sachverhalt. Er selbst hatte Herrn Theodor Welcker, mit dem er verwandt war, eingeweiht und herangezogen, und zwar in der Hoffnung, Fürst Maximilian von Dernburg werde im Notfall sich der bedrängten Glaustädter annehmen. Der staatskluge Theodor Welcker sah sofort ein, daß sich hier für die Dernburger Dynastie eine Aussicht bot, die nicht abgelehnt werden durfte. Wo der Ratsbaumeister die uneigennützigste Hingabe an die großen Ideen des Rechts und der Humanität voraussetzte, war zum erheblichen Teil der politische Egoismus im Spiele, der nun einmal, so lange die Welt steht, allenthalben das große Wort führt. Und die Berechnungen Theodor Welckers und seines erlauchten Herrn schwebten durchaus nicht schemenhaft in der Luft. Es war schon etlichemal vorgekommen, daß eine Landschaft sich wider den Territorialherrscher empört hatte und daß nachträglich der Kaiser den Aufrührern recht gab. Das Land wurde alsdann unter kaiserliche Verwaltung genommen und dem vertriebenen Territorialherrscher wieder zuerteilt, nachdem er bei seinem Eide gelobt hatte, sämtliche Mißstände, um die es sich handelte, von Grund aus abzustellen. Ein besonders störrischer Fürst hatte dreißig Jahre lang nur ein einziges Amt seines Gebietes zum Unterhalt angewiesen bekommen, bis er dann endlich nach Verlauf eines Menschenalters wieder vom Kaiser in die Regierung eingesetzt wurde. In anderen Fällen war von der Kaiserlichen Majestät ein noch strengeres Verfahren beliebt worden. Man hatte den Territorialherrscher einfach entsetzt und sein Land mit dem eines benachbarten Fürsten vereinigt. Etwas Derartiges konnte mit Glaustädt-Lich um so leichter geschehen, als Glaustädt noch zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges eine reichsunmittelbare Stadt gewesen, ebenso frei wie Augsburg und Frankfurt und die nordischen Hansastädte. Es kam jetzt nur darauf an, außer den Uebergriffen der Malefikantenverfolgung noch etliche andere Rechtswidrigkeiten und Ausschreitungen der Glaustädt-Licher Verwaltung nachzuweisen, und das konnte nicht schwer halten, da der Hofmarschall Benno von Treysa und der Geheimsekretär Schenck von der Wehlen so ziemlich auf allen Gebieten des Staatslebens ihren verderblichen Einfluß übten.
Auch die übrigen Mitverschworenen zollten dem Plan des Reißers und Malers Beifall. Kunz Noll entwickelte nun die Einzelheiten. Er kannte die Oertlichkeit des Stauffheimer Waldes hinlänglich. Im letzten und vorletzten Oktober bereits war ihm die landgräfliche Jagdgesellschaft begegnet, wie er am Rotfelsen dicht bei der Stauffheimer Burgruine den herbstlichen Baumschlag abkonterfeite. Zufällig hätte er mit dem Führer der kleinen Meute ein paar Worte gewechselt. Das nahm jedes Jahr ganz den gleichen Verlauf. Die Stauffheimer Burgruine mit ihrer unterirdischen Wölbung bot einen ausgezeichneten Schlupfwinkel für sechs Dutzend Bewaffnete. Man konnte dort gleich im dunklen Versteck den Landgrafen auf die Bibel schwören lassen, daß er die beiden Gaudiebe fortjagen, die schier verzweifelte Bürgerschaft freundlich anhören und niemand wegen der Mitwirkung bei diesem Handstreich jemals verfolgen wolle. Im äußersten Fall, wenn der Landgraf sich weigerte, blieb ja dann immer noch, was man bisher geplant: die gewaltsame Aktion im Innern der Stadtmauern. Und dann war es unleugbar ein Vorteil, wenn man den Landgrafen und seine Hauptratgeber in sicherem Gewahrsam hatte. Die Regierung zu Lich war so von vornherein lahmgelegt. Ein Wagnis blieb das alles ja zweifellos, aber besser der ehrliche Mannestod mit dem Stahl in der Faust als die fortwährende Unsicherheit, bei der kein Bürger der Landgrafschaft wußte, ob er nicht schon die folgende Nacht hinter den Gittern des Stockhauses verbringen würde.
Kurz vor Mitternacht trennte man sich. Nur der Rechtsgelehrte aus Dernburg blieb noch bis gegen Eins mit Woldemar aufsitzen. Er hatte beim Ratsbaumeister für die paar Tage seines Glaustädter Aufenthaltes Wohnung genommen und brannte vor Eifer, die Erörterungen des Reißers Und Malers noch einmal unter vier Augen durchzusprechen.
„’s ist nichts so fein gesponnen –“
Herr Prokurist Karl Kunze vom Hause N. N. und Söhne in D., früher ein flotter Lebemann, ist seit zwei Jahren verheiratet und natürlich solid geworden, d. h. seine kluge und energische Elise hat es verstanden, die gelegentlichen Versuche ihres Mannes, in dem alten Fahrwasser weiter zu segeln, stets im Keime zu ersticken. Herr Kunze muß es sich zwar selbst gestehen, daß er sich jetzt bei seinem soliden Leben entschieden wohler fühlt als früher, aber –
„der Frosch hupft wieder in den Pfuhl,
Wenn er auch saß’ auf goldenem Stuhl.“
Eines Abends verabredeten mehrere seiner alten Kneipbrüder, lauter fidele Junggesellen, für den folgenden Tag eine Spritztour zum Kölner Karneval. Es kostete nicht allzuviel Mühe, Freund Kunze zu überreden, mitzumachen. Erst nachdem er seine Zusage gegeben hat und nach der Verabredung, wann und wo die lustige Gesellschaft morgen früh zur gemeinsamen Fahrt sich treffen soll, fällt unserem soliden Ehemann der Gedanke schwer aufs Herz, was wohl seine Frau zu dem Unternehmen sagen wird. Da ist guter Rat teuer. Die Wahrheit zu gestehen wagt er nicht – aus naheliegenden Gründen. Was also thun? Die Sache ist ja aber doch höchst einfach, sagt er sich dann nach einem Augenblick des Nachdenkens. Ich werde Elisen sagen, daß ich morgen auf zwei Tage eine Geschäftstour nach N. machen müsse. Und so geschah’s. Elise merkte nichts und kein Schatten von Verdacht stieg in ihr auf. Aber wie das so kommt! Im Augenblick, wo ihr Karl sich von ihr verabschiedet, muß er noch versprechen, ihr seine glückliche Ankunft in N. zu melden. Eine Postkarte sei ja bald geschrieben, ist ihre Erwiderung auf seine Einwendungen. Will er also keinen Argwohn erregen, so muß er sich fügen. Du ahnungsvoller Engel du, denkt Freund Kunze mit einem Seufzer, während er sich nach dem Bahnhofe begiebt. Dort erzählt er seinen Freunden von seiner Verlegenheit und daß er keinen Ausweg wisse.
„Kellner, eine Postkarte!“ ruft sofort einer aus der Reisegesellschaft, „aber ein bißchen schnell, der Zug geht bald ab!“ Dann mit triumphierendem Lächeln die rasch herbeigebrachte Postkarte dem etwas verblüfft dreinschauenden Freunde überreichend, sagt der erfindungsreiche Odysseus: „Ja ja, Karl, in der Fixigkeit bin ich dir über, hier ’mal schleunigst die verlangte Karte an die Gattin, die teure, geschrieben, datiert von N. vom heutigen Tage. Ich schreibe inzwischen zwei Zeilen an das Postamt in N. und bitte darin um Abstempelung und Absendung der Karte.“
Jeder begriff jetzt die Absicht, und unter allgemeiner Heiterkeit wurde, bevor die Gesellschaft den Zug bestieg, der Brief mit der eingelegten Postkarte in den Bahnhofsbriefkasten gesteckt. Während wir die lustige Gesellschaft, Freund Kunze, wie begreiflich, mit bedeutend erleichtertem Herzen, den Karnevalsfreuden entgegenrollen lassen, wollen wir uns inzwischen ein wenig für das Schicksal der Postkarte interessieren.
Eben hatte, nach friedlich beendetem Nachmittagsschläfchen der bejahrte und weißbärtige, aber noch immer dienstlich stramme Postmeister der guten Stadt N. sein Dienstzimmer betreten, in dem der ihm zur Ausbildung überwiesene Posteleve mit Rechnungsarbeiten beschäftigt war, als ein Unterbeamter eintrat und ihm einen mit der eben angekommenen Post eingegangenen Brief überreichte. Den Brief besehen, ihn öffnen, lesen, die Stirn runzeln und ihn dann, nach einem Augenblick des Nachdenkens, nebst der darin eingeschlossen gewesenen Postkarte dem jungen Eleven übergeben, diese Vorgänge folgten unmittelbar aufeinander. „Die Sache könnten Sie wohl gleich ’mal erledigen, lieber Müller,“ sagte der alte Herr mit einem listigen Augenzwinkern.
Der junge Mann überflog die wenigen Zeilen des Briefes, durch den das Postamt gebeten wurde, die beigeschlossene Karte abstempeln und absenden zu lassen, und erhob sich sodann diensteifrig, um die Karte in das anstoßende Abfertigungszimmer zu bringen. Doch die Worte seines Chefs „Also richtig hereingefallen!“ hielten ihn, bevor er noch die Thür erreicht hatte, auf.
„Hatten Sie mir nicht gesagt,“ sprach der alte Herr jetzt, „daß Sie meine Anweisung, sich mit dem Posttaxgesetz genau bekannt zu machen, befolgt hätten?“
„Gewiß habe ich das gethan,“ war die Antwort, „es ist vom 28. Oktober 1871 datiert, die Postkarte hier ist aber richtig mit fünf Pfennig frankiert und finde ich auch sonst nichts daran auszusetzen.“
„Na, dann holen Sie ’mal den ersten Band der Allgemeinen Dienstanweisung her, schlagen Sie das Posttaxgesetz auf und sehen Sie dort nach, wie in diesem Falle zu verfahren ist!“
Der junge Beamte beeilte sich, den Auftrag auszuführen, und blätterte dann eifrig in dem Buche. „Ich kann wirklich nicht finden, was Sie meinen, Herr Postmeister,“ sagte er schließlich.
„Hab’s mir wohl gedacht,“ war die Entgegnung des Angeredeten, „über die Hauptsachen sehen die jungen Herren meistens hinweg. Lesen Sie mal den § 5 nebst Anmerkung vor!“
Während eine verräterische Röte der Verlegenheit auf seinen Zügen sich verbreitete, las der junge Mann nun folgendes:
„§ 5. Werden Briefe oder andere Gegenstände vom Absender an eine Postanstalt zum Verteilen couvertiert, so kommt für jede im Couvert enthaltene Sendung das tarifmäßige Porto in Ansatz.
Anmerk. Die Bestimmungen des § 5 erstrecken sich nur auf solche Briefe, welche vom Absender an eine Postanstalt zum Verteilen couvertiert werden, mithin lediglich auf Briefe etc., die an bestimmte, in der Aufschrift benannte Empfänger im Bestellbezirke der Postanstalt gerichtet sind. Wenn den Postanstalten dagegen von anderen Postorten her unter Umschlag Briefe etc. mit dem Ersuchen übersandt werden, solche mit dem Aufgabestempel der Postanstalt zu versehen und nach den in den Briefaufschriften angegebenen dritten Orten weiter zu senden, so darf diesem Verlangen nicht entsprochen werden. Ebensowenig haben sich die Postanstalten mit der Verteilung der ihnen ohne Aufschrift etwa zugehenden Sendungen (Geschäftspreislisten etc.) zu befassen. Derartige Briefe etc. sind vielmehr an die Postanstalt des Ursprungsortes zur Rückgabe an den von letzterer entsprechend zu verständigenden Absender zurückzusenden.“
„So,“ sagte der Postamtsvorsteher, als die Verlesung beendet war, zu dem gerüffelten Posteleven, „nun werden Sie ja wohl wissen, wie die Sache zu erledigen ist. Ist Ihnen aber auch der Zweck klar, der dieser eben vorgelesenen Bestimmung zu Grunde liegt? Wenn Sie erst ’mal länger im Dienste sind, dann werden Fälle, wie der jetzt hier vorliegende, Ihnen nicht allzuselten bekannt werden. Fast ausnahmslos ist es dabei selbstredend auf Schwindeleien der verschiedensten Art abgesehen. Dabei spielen anonyme Denunziationen, Liebes- und andere Intriguen ihre Rolle. Wer Phantasie genug hat, kann sie hier frei walten lassen und dabei sicher sein, daß die Wirklichkeit noch mehr Abwechslung bringt. Da nun aber die Reichspostverwaltung sich nicht dazu mißbrauchen läßt, solchen Schwindeleien ihre Unterstützung zu leihen, so hat sie so, wie Sie eben vorgelesen, verfügt. Und damit Sie bei der Gelegenheit gleich erfahren, wie die Sache anderswo im deutschen Vaterland geregelt ist, so bemerke ich, daß, wenn dergleichen in Bayern vorkommt, nach der dortigen Postordnung der Empfänger der Sendung, auf dessen Mystifizierung es abgesehen ist, den Brief nebst der Zuschrift etc. postamtlich direkt zugefertigt erhält und dadurch in der Lage ist, sofort den Schwindel zu durchschauen – ein Verfahren, das mir eigentlich noch praktischer erscheint als das unsrige.“
Der fein ausgesonnene Plan der Karnevalsbrüder war somit kläglich gescheitert. Frau Elise erhielt zwar am andern Morgen die von ihr erwartete Postkarte, jedoch in einem an ihren Gatten adressierten amtlichen Schreiben des Postamtes nebst Briefumschlag und den betreffenden Begleitzeilen unter entsprechender Verständigung über die Unzulässigkeit der erbetenen Abstempelung etc. zugesandt. Sie hatte, was sie sonst nicht zu thun pflegte, in der Annahme, daß es sich um eine eilige Angelegenheit handeln würde, das postamtliche Schreiben geöffnet und war nun, wie namentlich unsere Leserinnen sich leicht vorstellen können, über die Findigkeit ihres lieben Karl aufs angenehmste überrascht.
Von der Unterhaltung, die dann abends nach seiner Rückkehr von der „Geschäftstour“ Karl mit seiner Elise führte, schweigt natürlich unser Bericht. Herr Kunze soll aber längere Zeit hindurch in seiner Stammkneipe nicht mehr sichtbar geworden sein.
Die Gartenbau-Ausstellungen in Berlin und Hamburg.
Der erfreuliche Aufschwung, den der deutsche Gartenbau in den letzten Jahrzehnten genommen hat, ist zum großen Teile der anregenden unermüdlichen Thätigkeit unserer Gartenbauvereine zu danken. Zwei derselben begingen in diesem Jahre die Jubiläen ihrer Gründung; denn vor 75 Jahren trat der Berliner Gartenbauverein ins Leben und vor 60 Jahren schlossen sich die Gärtner Hamburgs zu einem solchen Verbande zusammen. An beiden Orten wurde der Beschluß gefaßt, diese Festtage durch Veranstaltung großer Gartenbau-Ausstellungen zu feiern. So hatten denn Blumen- und Gartenfreunde in den beiden größten Städten des Deutschen Reiches mit Lenzesanfang die Gelegenheit, die Leistungen unserer Gärtnereien in trefflichen Zusammenstellungen überblicken und bewundern zu können.
Die Berliner Ausstellung, die zwölf Tage dauerte, wurde am 28. April durch die deutsche Kaiserin eröffnet. Sie wurde in Treptow auf dem Gelände abgehalten, das im vorigen Jahre das bunte Treiben der großen Berliner Industrieausstellung geschaut hatte. Von den stehen gebliebenen Bauten wurden ihr vier eingeräumt: das Chemiegebäude, das Fischereigebäude, das Haus der Stadt Berlin und der Heftersche Pavillon; natürlich wurde auch das zwischen diesen liegende freie Land für Ausstellungszwecke benutzt und mit Kindern der Flora reichlich besetzt. [379] Wenn auch auf diesem Plane des friedlichen Wettkampfes zahlreiche auswärtige Gärtner mit ihren Erzeugnissen erschienen waren, so zeigte die Ausstellung doch vorwiegend die Leistungen der Berliner Kunstgärtnereien, war eine Berliner Ausstellung und stellte dem Gewerbefleiß der deutschen Reichshauptstadt das glänzendste Zeugnis aus. Der norddeutsche Gärtner muß vielfach gegen die Unbill des rauhen Klimas ankämpfen, und doch hat er in vielen seiner Leistungen seine Rivalen in dem sonnigeren Frankreich erreicht, auf manchen Gebieten sie sogar überflügelt!
Den besten Beweis für den Fortschritt unseres Gartenbaues lieferte ein Blick auf den Mittelraum der Ausstellungshalle, die den Besuchern der vorjährigen Industrieausstellung als das Chemiegebäude bekannt ist. Der ganze Platz war in ein herrliches Rosenparterre verwandelt. Die Zeiten, wo wir unseren gesamten Bedarf an Frührosen aus Frankreich und Italien bezogen, liegen noch nicht weit zurück; aber in unermüdlicher Ausdauer erreichten unsere Gärtner das schwierige Ziel, auch im Norden die Rosenblüte im Winter zu erzwingen, und auf der Ausstellung sah man nicht nur die leichter treibenden Theerosen, sondern auch prächtige Remontantrosen in großer Zahl. Einem Rosenzüchter, dem Gartenbaudirektor Bunzel in Nieder-Schönweide, wurde auch der Ehrenpreis des Kaisers zuerkannt. Er bestand in einer prächtigen Bowle, einem Meisterstück der Königlichen Porzellanmanufaktur, das unsere obenstehende Abbildung wiedergiebt.
In derselben Halle fesselten die von Spindler-Spindlersfeld ausgestellten Pflanzengruppen das Auge. Neben herrlichen vielfarbigen Croton- und Caladiumarten sah man hier prächtige Nepenthesarten und duftende großblütige Orchideen. Die mustergültigen Leistungen dieser Privatgärtnerei wurden durch den Ehrenpreis der Kaiserin ausgezeichnet, der in einer schönen Porzellanvase bestand. Eine dritte Sehenswürdigkeit desselben Raumes bildeten die Pfleglinge eines Dresdener Gärtners T. J. Seidel. Auf einer steilen Bergwand, die durch einen Wasserfall belebt wurde, befand sich eine Sammlung, von Rhododendronbüschen, die in glühendem Rot, Gelb und Purpur blühten; nur selten kann man in Europa die Pracht dieser asiatischen Alpenrosen in solcher Vollkommenheit bewundern, wie sie hier zu schauen war. Es fehlte aber in der Ausstellung auch nicht an der leuchtenden Blütenpracht der deutschen Alpenpflanzen. Th. Echtermayer von der Gärtnerlehranstalt in Wildpark stellte viele von ihnen in prachtvollen Exemplaren aus: da sah man den citronengelben Polarmohn neben dem hellroten Alpenveilchen, schneeige Ranunkeln neben tiefblauem Enzian.
In unseren Gewächshäusern gedeihen unter sorgsamer Pflege auch die stolzen Kinder der Tropen, die vielgestaltigen Palmen. Eine der herrlichsten Gruppen dieser Pflanzen war in der zweiten Haupthalle arrangiert. Eine breite Wandfläche war hier mit prächtigsten Palmen und ihren Verwandten dekoriert. Neben der Kokospalme der Südsee sah man die Schirmpalmen Ostindiens; Java, Brasilien, das Kapland waren durch die schönsten Arten vertreten, und zwischen den Palmen waren Cycadeen und wunderbar geformte Baumfarren zu sehen. Der Aussteller dieser Mustergruppe, die eine unserer Abbildungen veranschaulicht, war Th. Jawer in Niederschönhausen; für diese treffliche Leistung wurde ihm der Ehrenpreis der Stadt Berlin zuerkannt.
Eine besondere Beachtung verdiente endlich die Gruppe der Blumenbinderei, in welcher Blumensträuße zu sehen waren, die man als kleine Kunstwerke bezeichnen konnte, Sehr anziehend wirkte auch eine Anzahl geschmackvoller Tischdekorationen, so z. B. eine Konfirmandentafel, die über und über mit Maiglöckchen, Lilien und weißen Orchideen geschmückt war.
Die Ausstellung lehrte auf Schritt und Tritt, welche Fülle von Blütenpracht durch menschliche Ausdauer in der einst so verrufenen, sandigen Mark erzeugt werden kann. Berlin hat sich längst zu einem weltberühmten Mittelpunkt des Gartenbaues emporgeschwungen; möge der rastlosen Arbeit seiner Gärtner auch fernerhin der Segen des Himmels in reichstem Maße beschießen sein!
Nicht weniger anziehend als die Berliner ist die Hamburger Ausstellung. Ja, an Eigenart übertrifft sie die meisten ihrer Vorgängerinnen. Man behauptet sogar, daß die diesjährige Hamburger Ausstellung, wenigstens in solchem Umfange, ihresgleichen nicht gehabt hat, seit es Gartenbau-Ausstellungen giebt.
Denn Eintagsfliegen pflegen sie zu sein, glänzend, farbenschillernd, aber ach, so kurzlebig … [380] binnen wenig Tagen entblättert die Blüten, verwelkt die Sträuße und Kränze, verblichen die erst so üppige Pracht! – Der kühne Gedanke, eine Ausstellung zu veranstalten, die vom 1. Mai bis Ende September dauern soll, ist aufgetaucht in den Kreisen des Gartenbauvereins von Hamburg und Umgegend bei der Vorbereitung der Feier seines 60jährigen Bestehens. Den ganzen Gartenbau eines Jahres, vom ersten Erscheinen des Lenzes bis zum Blätterfall im Spätherbst, zur Darstellung zu bringen in der Reihenfolge seiner natürlichen Entwicklung von Blumen, Stauden, Gemüsen, Früchten, daneben die vielen Treibhausgewächse sowie wissenschaftliche Darbietungen, auch Mustersammlungen gewerblicher Erzeugnisse, kurzum: Zusammenfassung alles dessen, was Bezug auf Gartenbau und Pflanzenkunde hat – das ward geplant. Aber die Hamburger allein konnten’s nicht vollbringen, so viele Besitzer von Gärten, groß und klein, auch die reiche Hansestadt zählt. Darum luden sie die ganze Welt zur Beteiligung ein, und aus allen Zonen erfolgten die Anmeldungen in ganz unerwartetem Maße. Die Handelsgärtner, die begüterten Liebhaber, die Regierungen, die Fachgelehrten – alle begeisterten sich für das großartig angelegte Unternehmem. Der ursprünglich in Aussicht genommene Platz mußte bis auf 19 Hektare vergrößert werden (etwa der Umfang der Binnenalster Hamburgs); auch in dem Aussetzen ansehnlicher Preise, wetteiferten Fürsten, Behörden, Vereine wie einzelne Burger. So ist das „noch, nicht Dagewesene“ zustande gekommen, und schon die Eröffnung am 1. Mai bewies, daß das Werk seinen Schöpfern Ehre macht.
An dieser Stelle soll keineswegs versucht werden, auch nur einen Ueberblick dessen zu geben, was die Ausstellung gegenwärtig bietet und was sich ich Laufe der schönen Jahreszeit, namentlich bei den sechs großen Sonderausstellungen, noch bieten wird, ganz abgesehen vom Pomologenkongreß, vom Gärtnertage etc. Nur einige hervorragende Einzelheiten wollen mit in knappen Umrissen skizzieren.
Die Haupthalle bedeckt eine Grundfläche von 7600 Geviertmetern. Der stolze Kuppelbau ihres größten Saales überspannt 5600 Geviertmeter. Er nimmt solche Pflanzengruppen auf, die wegen ihrer Größe oder Fülle eine weite Raumwirkung beanspruchen, beispielsweise die stolzesten Palmen, daneben, zunächst bei der Frühjahrsausstellung, getriebene Azaleen-, Rhododendren- und Cinerarienkulturen. Auch „das Auge der Landschaft“, das Wasser, fehlt hier nicht; ein geräumiges Becken wird von dem über Felsblöcke herabplätschernden Wasserfall gespeist. Zur Abendzeit oder bei dunklem Wetter, wenn die elektrische Beleuchtung aufflammt (allein der Kronleuchter im Mittelpunkt zählt 260 Glühlampen), gewährt dieser Prunksaal einen geradezu überwältigenden Eindruck. Und doch umfaßt er nur einen geringen Bruchteil der in der Ausstellung vereinten Schätze; stundenlang dauert die Pilgerfahrt durch die vielen Nebenhallen und Wandelgänge. Unsere untenstehende Abbildung zeigt links vom Beschauer die Haupthalle nebst dem vorliegendem Weinrestaurant „Bella Vista“, rechts das Unionrestaurant.
Unter den weiteren Anlagen im Freien erzielt eine mächtige Wirkung ein Riesenbeet, das zunächst mit rund 40 000 holländischen Tulpen von einem einzigen Züchter in Harlem besetzt ist – und welche Fülle von Duft und Farbenschimmer wird nicht zu Anfang Juli der internationale Rosenwettbewerb bringen, angesichts der gewaltigen Beteiligung aus fast aller Herren Ländern! Rosenbeete wie diese, meist aus den seltensten und kostbarsten Sorten zusammengestellt, wird in der That die Welt noch nie gesehen haben. Doch schon heute finden sich überall Massenwirkungen, teils blendend und bezaubernd durch den Blütenschimmer, teils trotz der Schlichtheit den Kenner entzückend, wie das bei den in unzähligen Spielarten vorhandenen Koniferen der Fall ist. Das alles wurde und wird auch ferner wohlbedacht zusammengefügt nach dem von Landschaftsgärtnern ersten Ranges entworfenen Gesamtplan, sorgfältig abgetönt zu einem einheitlichen, anmutigen
[381][382] Bilde. Den Nahmen geeignetster Art hierzu gewährt der aus der Festungszeit Hamburgs stammende Stadtgraben zwischen Holsten- und Millernthor. Seine höhen Abhänge sind von mächtigen alten Bäumen, namentlich Ulmen und Akazien, umkränzt, von deren Grün die vielen Baulichkeiten mit ihrem Rot und Weiß sich hell abheben. Der prächtige Park bildet den würdigen Schrein für so viele auserlesene Juwelen der Gartenbaukunst.
Eine Perle eigener Art darf hier nicht unerwähnt bleiben, und das ist – darin stimmen alle Besucher überein ––die „Vegetationsgalerie“. Innerhalb fast dunkler Räume genießt man den Ausblick auf zehn hellerleuchtete Landschaftsbilder. In ihrem Vordergrunde stehen kunstvolle Nachbildungen der dem einzelnen Lande eigenen Gewächse in geeigneter Umgebung, die sich unmerklich an den gemalten Hintergrund anschließt: Japan, Mexiko, Urwald von Brasilien, Schweizer Alpenhalde, herbstlicher Park, Landschaft auf Ceylon, norwegischer Fjord – alles das und noch mehreres andere wird gebührend bestaunt und bewundert, und doch drängen sich die Besucher stets Kopf an Kopf gerade vor dem einfachsten Bilde, das „Norddeutsche Heide bei aufziehendem Gewitter“ darstellt und in seiner stimmungsvollen Naturtreue wirklich bezaubernd schön ist! Eins dieser Bilder, die Landschaft auf Ceylon, führt unsern Lesern die Abbildung auf S. 373 vor.
Doch genug der Versuche, zu beschreiben, was sich eben nicht beschreiben läßt! – Wenige Worte noch mögen unserem Bilde gewidmet sein, das den Thorbau am Eingang beim Holstenthor darstellt; er ist im altdeutschen Stil ausgeführt, der auch bei mancher anderen der vielen Bauten der Ausstellung mit Vorteil zur Anwendung gelangt ist. Mögen durch die weit geöffneten Thorbogen recht viele Besucher zur Ausstellung wandern, denn wahrlich, sie verdient es!
Aus Mitleid.
(Schluß.)
Mit rührender Sorgfalt bemühte sich Hedwig, für ihren Kranken Speisen auszusinnen und zuzubereiten, die ihm schmecken sollten. Der Arzt betonte ja immer wieder: kräftig nähren! Aber es half alles nichts. Wenn sich Forstner, Hedwig zu Liebe, auch zu einigen Bissen zwang, dann packte ihn plötzlich das Todesgrauen und schnürte ihm förmlich den Hals zu. Er hatte nicht mehr die gleichgültige Ergebenheit in sein Geschick wie in den Wintermonaten. Eigensinnig wehrte er sich dagegen, auszufahren in die schöne Frühjahrsluft, in die Sonne. Er fürchtete sich vor dem Wiedersehen mit der Welt draußen. Hier in diesen vier Wänden schien ihm der Abschied leichter. Er hustete jetzt allerdings weniger und atmete freier, aber er fühlte sich sehr schwach und elend und verstimmt und mußte bei seiner andauernden Appetitlosigkeit ja immer noch mehr abmagern.
„Verfall der Kräfte,“ nannte sein medizinisches Lehrbuch dieses zweite Stadium seiner Krankheit.
„Geben Sie sich doch nicht solche Mühe, ein verlorenes Leben zu fristen,“ sagte er eines Tages zu seinem Arzte.
„Aber, lieber Regierungsrat, Sie haben doch keine Schmerzen mehr, der böse Husten ist vorüber.“
„Allerdings. Aber Sie täuschen mich nicht, Doktor! Ich kenne meinen Zustand ganz genau.“
„So! Dann wissen Sie mehr als ich. Aufrichtig gestanden, ich bin mir gerade jetzt sehr unklar, denn meiner Ansicht nach müßte die Besserung rascher fortschreiten.“
„Verstellen Sie sich doch nicht so! Ich habe das Kapitel ‚Schwindsucht‘ ja eingehend studiert!“
„Aha! Konversationslexikon! Ja, da liest der Patient allerdings immer mehr heraus, als sein armer Arzt ihm sagen kann. Sogar den Namen wissen Sie! Nein, lieber Regierungsrat, so darf das nicht fortgehen! Sie sind zu wenig folgsam. Morgen bringe ich meinen Kollegen mit, wir wollen eine genaue Untersuchung vornehmen. Vielleicht glauben Sie uns beiden mehr als mir allein!“
Es war ein herrlicher erster Mai, an dem die Aerzte vorfuhren. Sie klopften den Kranken ab, behorchten die Atemzüge und sprachen dann leise und eingehend miteinander.
Dann setzten sie sich an das Bett, in dem der Regierungsrat noch lag – harrend auf sein Todesurteil. „Nun will ich Ihnen reinen Wein einschenken,“ sagte sein Hausarzt. „Es stand im Winter sehr bedenklich mit Ihnen; ich hätte nicht viel Hoffnung zu geben gewagt. Lungeninfarkt – wenn Sie den Namen wissen wollen. Aber es ist eine überraschende Heilung eingetreten. Mein Herr Kollege ist ganz meiner Ansicht: die Lunge ist wieder gesund.“
„Vollkommen gesund. Die Atemzüge sind frei und kräftig!“ bestätigte der fremde Arzt.
„Wissen Sie, was Ihnen noch fehlt: der Lebensmut. Ihre Nerven sind herunter. Sie haben sich Schrullen in den Kopf gesetzt, die Sie niederdrücken. Die seelische Stimmung thut in solchen Fällen viel. Sie müssen nur wollen, und Sie können ganz gesund werden! Mein Wort darauf! So und nun stehen Sie auf, setzen Sie sich an das offene Fenster und entschließen Sie sich endlich, auszufahren. In ein paar Tagen können Sie einen kleinen Spaziergang versuchen. Ich freue mich wirklich von Herzen, daß ich so beruhigt über Sie sein kann!“
Zu dem offenen Fenster flutete ein breiter Strahl Maiensonne herein. Ein Veilchensträußchen, das Hedwig in eine Vase gestellt hatte, duftete süß in dem leise fächelnden Lufthauch. Schwalben flogen durch die blaue Luft und trotz Wagenrollen und Straßenlärms hörte man ein helles Vogelgezwitscher.
Schüchtern noch, halb ungläubig, ob alles dies ihm wirklich wiedergeschenkt sei, beugte sich Franz hinaus. Er konnte jetzt einen von Blüten überdeckten Kastanienbaum sehen, um den ein paar Kinder hüpften. Und wie er sich so von der Sonne bescheinen ließ, da überflutete ihn ein namenloses, unbändiges Glücksgefühl! Leben! Nur leben dürfen! Nur jeden Tag ins Bureau gehen, durch den Hofgarten, durch die Maximilianstraße bummeln; nur wieder zu all den andern gehören, die arbeiten und atmen! Das Einfachste, das Alltäglichste schien solche Wonne! All’ die Ergebenheit, die er sich einzureden gesucht, die Gleichgültigkeit, mit der er sich gewappnet hatte, waren wie weggeblasen. Wie ein Zauberwort klang’s ihm entgegen aus der schönen Maienwelt: Gesund! Wieder gesund! Es war ihm, als flögen auf den weißen Wölkchen holde Engel, die ihm die Jubelbotschaft verkündeten. Hedwig trat ein mit einem frohen, lächelnden Gesicht. Die Aerzte hatten auch ihr mitgeteilt, wie zufrieden sie mit ihrer Untersuchung gewesen.
Er wendete sich bei ihrem leisen Schritte um und starrte sie mit einer gewissen Verblüffung an. In seinem Glücksrausche hatte er ganz vergessen, daß sie nun in sein Leben hereingehörte, Er hatte sie sich bisher immer nur als Pflegerin vorgestellt und als seine Witwe. Als Frau, mit der er nun leben sollte, vielleicht noch manches Jahr lang – niemals! Der Gedanke war nicht gerade peinlich, aber doch wunderlich, befremdend, überraschend.
Er, ein verheirateter Mann! Sein stilles Junggesellendasein, in das er sich eben in Gedanken wieder einzureihen gesucht, auf immer dahin! Er mußte sich an diese neue Wendung seines Geschickes erst langsam gewöhnen.
Er sollte leben und er hatte nun eine Frau!
Hedwig war zu sehr beschäftigt mit der ersten Ausfahrt, auf der sie ihn begleiten sollte, und mit den besonderen Leckerbissen, die sie für ihn herrichten wollte, um ihn vorher und nachher zu stärken, so daß sie nicht bemerkte, mit welcher Verwunderung er sie betrachtete. Auch er hörte zu grübeln auf, als er im Wagen ganze Ströme frischer Luft einatmete und nach so langer Zeit wieder Bäume, Wiesen, Blumen, geputzte Menschen an sich vorübergleiten sah. Von einem wonnigen Daseinsgefühl ließ er sich einlullen – gedankenlos, verträumt. Als er heimkam, war er sehr müde, aber er aß zum erstenmal mit Appetit und Hedwig jubelte wie ein Kind, als er ein zweites Stück von dem Huhn verlangte.
Bei der zweiten Ausfahrt bemerkte er schon mit etwas wacheren Augen, daß die Leute ihn anschauten, und er stellte sich vor, daß er in den nächsten Tagen, wenn er zum erstenmal an dem Arme seiner Frau ausgehen sollte, gewiß Bekannten begegnen würde. „Liebes Kind,“ sagte er, „du mußt mir einen Gefallen thun: Geh’ in ein Modewarengeschäft und kaufe dir ein Kleid, [383] einen neuen Hut und alles, was eine Dame braucht. Du darfst es mir nicht übelnehmen, aber es kommt mir so vor, als wärest du ganz altmodisch angezogen.“
„Papa wollte es so. Er sah mich gerne gerade so wie meine Mutter gekleidet.“
„Auch dein Haar, Hedwig! Ginge es nicht, daß du es dir von einem Friseur anders ordnen ließest? Es ist ja recht rücksichtslos von mir, daß ich erst jetzt auf diese Dinge Wert lege. Aber siehst du – der Leute wegen. So lange ich nur an den Tod dachte, schien mir alles so nebensächlich, so nichtig. Nun möchte ich doch, daß du dich wie andere Frauen trügest. Kaufe dir nur etwas Hübsches, nicht wahr, Kind?“
Sie war durchaus nicht beleidigt, im Gegenteil, es schien ihr Freude zu machen, daß er sich um ihren Anzug kümmerte. Zum erstenmal in ihrem Leben sollte sie sich nach dem eigenen Geschmack kleiden, nicht alte Kleider ihrer Mutter herrichten, sondern etwas Neues auswählen dürfen. Sie hätte kein Weib sein müssen, wenn dieser Weg ins Modemagazin ihr nicht vergnüglich erschienen wäre. Mit eifriger Miene brachte sie dem Genesenden die Stoffmuster, frug ihn um Rat, und er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er ein Modejournal in Händen hielt und unter Kleider- und Hütformen wählen half.
Wer ihm das vor einem Jahr gesagt hätte!
Und der Doktor hatte recht gehabt! Sein Befinden hob sich von Tag zu Tag. Seit er in die Luft kam, pulste förmlich ein neuer Lebensstrom durch seine Adern. Der Ekel vor den Speisen war verschwunden mit seiner Todeserwartung. Für Hedwig war es ein heiteres Schauspiel, ihm zuzusehen, wie er nun Gabel und Messer zur Hand nahm; sie freute sich kindisch, daß er einen feinen Bratengeruch wieder schätzte mit frischem Genesungshunger.
Sie mochte es auch gar nicht der Köchin überlassen, ihm sein liebevoll ausgesuchtes Frühstück zu bringen. Mit der Platte in der Hand trat sie auch an diesem Vormittage in sein Zimmer.
Er hörte sie eintreten, doch als sie vor ihm stand, sprang er lebhaft auf wie vor einer Fremden. „Ja, Kind! Ich kenne dich ja kaum mehr,“ rief er dann freudig überrascht.
Die Klosterschwester war aus ihrem entstellenden schwarzen Gewande geschlüpft und eine schlanke junge Dame geworden.
„Merkwürdig! Wie solch ein Anzug euch verändern kann!“
Er vermochte sich von seinem Staunen kaum zu erholen. Armselig, engbrüstig hatte sie ausgesehen in ihren schlecht geschnittenen knappen Taillen, der Hals zu lang, die Bewegungen eckig. Mit den bauschigen Aermeln, der faltigen Bluse und dem hohen Kragen hatte sie eine reizende jugendliche Gestalt und ihre zarten Farben wirkten frisch und rosig über dem glänzenden Grau des Stoffes. Aber es war nicht das Kleid allein – die Frisur hatte sie vor allem entstellt. Mit dem emporgekämmten Haar erschien ihr Gesicht runder, voller, und es kamen die kleinen Ohren, die weichen Linien an den Schläfen zum Vorschein.
Er ward ganz verlegen, je mehr er dies hübsche Geschöpf, das sich so plötzlich vor ihm entpuppt hatte, anblickte, und er begriff es kaum, daß er sich seit Monaten von dieser selben jungen Dame hatte bedienen lassen. Sie genoß die Bewunderung, die jeder seiner Blicke ausdrückte, mit freudiger Erregung.
„Ich bin wohl recht garstig gewesen?“ sagte sie treuherzig.
„Nein, nein! Aber ich möchte dich immer so angezogen sehen, auch zu Hause! Nicht mehr die alten Kleider! Bitte!“
So ging er denn wirklich wieder durch den Hofgarten, seinen alten Weg, und nun am Arm einer Frau, der die Vorübergehenden wohlgefällige Blicke zuwarfen. Wie wunderlich ihm das alles erschien! Seine Kollegen, seine Bekannten, die sich seit Monaten damit begnügt hatten, ab und zu durch das Dienstmädchen nachfragen zu lassen, wie es dem Herrn Regierungsrat gehe, machten nun Besuch bei ihm, zum erstenmal mit ihren Frauen, da er jetzt ein verheirateter Mann war. Forstner bemerkte, daß Hedwig trotz ihrer Schüchternheit neben den meist etwas allzurundlichen Ehehälften seiner Bekannten sehr anmutig wirkte, und er lächelte ganz beschämt, wenn man ihm zu seiner reizenden Frau gratulierte; er wußte ja, daß er das nur einem blinden Glückszufall verdankte, denn er hatte sich ja ein Vierteljahr nach der Trauung überhaupt erst besonnen, wie seine Frau eigentlich aussehe.
Er dankte ihr nun, seitdem sie seinen Augen so wohlgefiel, mit größerer Wärme für jede kleinste Dienstleistung und hatte ordentlich den Wunsch, galant gegen sie zu werden. Wenn ihm diese späte Wandlung nur nicht immer ein wenig komisch erschienen wäre, so daß er fürchtete, sich lächerlich zu machen! Wie gerne hätte er ihr manchmal die Hand geküßt!
Ende Mai war Hedwigs Geburtstag. An diesem Tage wollte er seiner ganzen Dankbarkeit, dem vollen Jubel seines Genesungsgefühls Ausdruck geben, sie einmal beschenken nach Herzenslust, ihr durch eine Zeichensprache es sagen, wie erkenntlich er ihr war für ihre Güte, ihre Aufopferung. Er fuhr allein aus, ging in die verschiedensten Läden und genoß ein neues, recht reizvolles Vergnügen, als er den Tisch mit all seinen hübschen Einkäufen belud und mit einer Fülle von Maiblumen schmückte.
„Komm einmal, Kind!“ rief er an der Thür in freudiger Erregung.
Und als sie dann, neugierig, was seine Heimlichkeit bedeutet habe, eintrat, zog er sie fast schüchtern zu dem Tisch heran und sagte: „Meinen Glückwunsch, liebe Hedwig! Meine paar Gaben mußt du als schwachen Ausdruck meines Dankes betrachten.“
Sie schaute erst ganz sprachlos auf all die schönen Dinge, die er liebevoll neben den Blumen geordnet hatte, begriff nur allmählich, daß der reizende Schmuck, das Opernglas, das Spitzentuch, der Fächer, das feine Briefpapier und all die netten Kleinigkeiten, die er in seiner Gebelaune zusammengesucht, ihr gehören sollten, wirklich ihr, und rief dann wie berauscht:
„Nein! nein! Ist das alles schön! Ist das alles lieb! Das ist ja wie ein Märchen! Und mir kommt’s auch wirklich vor, als wär’ ich verzaubert, als träumte mir es nur, daß jemand so gut mit mir ist, so gut!“
So staunend, so glücksverwirrt schaute sie zu ihm auf, als sie die Hand ausstreckte, um ihm zu danken, daß all seine Scheu und sein zagendes Besinnen von einer mächtigen heißen Empfindung verdrängt wurden. Er nahm ihren Kopf in seine beiden Hände und küßte zum erstenmal die Lippen seiner Frau.
Sie wendete sich verwirrt von ihm ab und beugte sich auf die Blumen nieder; doch als er nun den Arm um sie schlang und ihr glutüberstrahltes Gesicht emporhob, sah er, daß sie nasse Augen hatte.
„Du weinst, Hedwig? Ja, was hast du denn, Kind?“
„Ach Gott,“ schluchzte sie und um ihren Mund glitt trotz der Thränen ein Lächeln. „In meinem Leben ist doch bis jetzt alles so traurig gewesen. Und nun kommt so viel Schönes, Liebes auf einmal, in einem solchen Uebermaß! Ich meine, ich könnte das gar nicht ertragen! Mir ist’s, als müßte es mir die Brust zersprengen, wenn du so lieb zu mir bist!“
Ihn hatte der Kuß auf den frischen jungen Mund sehr übermütig gemacht. „Wir haben so viel nachzuholen, Hedwig! So viel versäumte Küsse!“ sagte er, ihr zärtlich über das Haar streichend und seine Wange an die ihre schmiegend. Erst war sie so scheu, als müßte sein Bart ihr das Gesicht versengen. Aber sie lernte rasch, wie süß es ist, den Druck zärtlicher Lippen zu fühlen und zu erwiedern.
So standen sie vor dem Geburtstagstisch, vor den Maiglöckchen, die das Zimmer mit Frühlingsduft erfüllten, und küßten sich wie große Kinder, die eben erst das Geheimnis der Liebe entdeckt haben.
Bei Tische wurde Hedwig ganz ausgelassen, weil sie sich ein Gläschen von dem starken Wein, den er trank, hatte aufnötigen lassen, um mit ihm anzustoßen auf ihr eigenes Wohl. Mitten in ihrer Lustigkeit staunte sie über ihr eigenes Lachen.
„Ich meine, das bin gar nicht mehr ich!“ sagte sie. „Die ganze Welt könnt’ ich umarmen!“
„Bitte mich!“ rief er und zog sie an sich.
Von einem Klopfen emporgeschreckt, sprang sie hastig auf.
„Nun, Herr Regierungsrat, Sie sehen ja prächtig aus!“ rief der eintretende Doktor. „Um Jahre verjüngt seit den paar Tagen! Nun kann ich Ihnen bald meine Abschiedsvisite machen!“
Der Anblick des Arztes und die paar noch zu besprechenden leichten Verordnungen wandelten bald die übermütig Glückliche wieder in die gewissenhafte Pflegerin, die den Rest des Tages einzig darauf bedacht war, ihren Genesenen in ruhiger froher Stimmung zu erhalten. Sorgsam wie früher bereitete sie sein Zimmer, rüstete alles, wie er es gewohnt war, und schien gar nicht zu bemerken, mit welch’ unverwandtem Blick der glückliche Mann ihr stilles, zierliches Walten verfolgte.
Am andern Morgen, als sie beim Frühstück saßen, sagte er: [384] „Höre, Kind, mir ist heute nacht ein vortrefflicher Gedanke gekommen. Ich habe noch lange schlaflos gelegen, als du fort warst –“
Sie sah ihn gleich wieder besorgt an.
„Nein, nein, du brauchst nichts zu fürchten, es war ein ganz behagliches Wachen mit lauter schönen erfreulichen Gedanken. Was meinst du, wenn wir unsere Koffer packten, die Krankenstube hinter uns ließen und ausflögen wie andere Hochzeitsreisende – sagen wir einmal: an den Gardasee? Wäre dir das recht?“
Sie nickte mit begeisterten, glückseligen Augen.
„Da ist Sonne, strahlende Sonne!“ fuhr er in freudiger Erregung fort. „Und es soll auch hell und sonnig werden um uns! Denn schau, Hedwig, wir beide haben ja noch viel zu wenig Wärme und Sonne im Leben gehabt! Du mit deiner verkümmerten Jugend! Und ich, mein Gott, ich habe ja auch nichts gewußt als Arbeit und Bureau, immer nur das Bureau! Darum passen wir so gut zusammen, zwei arme Einsame, die alles versäumte Lachen und Küssen erst nachholen wollen!“
Er hatte sie nun fest an sich gedrückt und hielt sie so in zärtlicher Umschlingung, daß er das Klopfen ihres Herzens an seinem Herzen fühlte.
„Das schönste Fleckchen der Welt suchen wir aus für unser Glück,“ flüsterte er in ihr kleines, erglühendes Ohr. „Hier in diesen Räumen können wir unser neues Leben nicht anfangen, es hängt zu viel traurige Erinnerung daran. In voller Sommerpracht, in Reiseübermut, in Glanz und Jubel wollen wir ihn feiern, unsern richtigen Hochzeitstag!“
Aus der Vogelwelt.
Am 4. Mai wurde in Stuttgart der schwäbische Dichter Johann Georg Fischer nach einem kurzen Krankenlager durch den Tod von diesem Leben abberufen. Ein hohes und glückliches Alter war ihm beschieden worden. Hat er doch, wie wie vor einigen Monaten (vgl. Jahrg. 1896, S. 731 der „Gartenlaube“) unseren Lesern berichtet haben, am 25. Oktober vergangenen Jahres seinen achtzigsten Geburtstag feiern dürfen, und bis auf die letzten Tage hat ihn das Alter nicht niedergebeugt. Rüstig stand er da und erfreute sich einer Geistesfrische, wie sie so Hochbetagten nur selten zu teil wird. Er arbeitete und schuf bis zu seinem letzten Atemzug und noch im April dieses Jahres übergab er uns ein Manuscript, das den Titel „Aufzeichnungen aus der Vogelwelt“ führt und uns den Dichter, dessen Lieder so innige Liebe zur Natur atmen, nicht nur als warmfühlenden sondern dabei auch scharf beobachtenden Naturfreund zeigt.
Schon vor mehr als einem Menschenalter, im Jahre 1863, hat J. G. Fischer ein interessantes Buch „Naturpsychologische Skizzen“ bei Fr. Brandstetter in Leipzig erscheinen lassen. Im Laufe der Jahre hat er auf diesem Gebiete weiter geforscht und hatte nun die Absicht, durch die Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen die Liebe zur Beobachtung der Natur, namentlich aber der Vogelwelt, in weitere Kreise zu verpflanzen.
Mir hat es schon als kleinem Knaben mein Vater angethan, wenn er mich in der Sonntagsfrühe oder Werktags „nach Feierabend“ mit in Feld und Wald nahm. „Hörst du, da schlägt eine Wachtel – vier- – fünf- – sechs- – siebenmal; die hat ihr Nest in der Saat auf dem Boden.“
„Siehst du dort das Finkennest auf dem Zwetschgenbaum?“ – „Und dort singt eine Lerche ihr Vaterunser bis in die Wolken.“ – „Aber wart’ nur, wenn der Wald kommt!“ – Doch schon ehe er kam: „Hörst du dort vom Laubholz her die Amsel? Die singt ja, man meint, es sei ein Choral, daß man’s eine Viertelstunde weit hört! Ja, Bub, und ich weiß ihr Nest.“ – Mir schlug das Herz, als er mich zu dem Nest mit den Eiern führte, wie es mir später schlug, wenn ich die wuselnden Jungen drin sah. So ward mir ein Amselnest der Inhalt meines damaligen Knabenideals. Solche Hingabe aber, sollte sie nicht Jüngerschaft haben, wenn sie auch nicht bis zu enthusiastischem Interesse sich steigert?
Solche Jüngerschaft sollte namentlich aus unsern Lehranstalten zu erhoffen sein. Der Dorfschüler lernt seine Tiere und Pflanzen kennen aus täglicher Anschauung und Erfahrung, und wenn die Dorfschule nur so viel wirkt, daß sie der rohen Behandlung des Naturwesens Einhalt thut, so mag sie auf ihrem Standpunkte das Genügende geleistet haben.
Von höheren Schulanstalten sollte gehofft werden dürfen, daß die Klagen aufhören: es komme auf Universitäten gar zu oft vor, daß Studierenden, zu deren Beruf z. B. Botanik gehört, die Elementarbegriffe dieser Wissenschaft bedauerlich abgehen. Die Universität kann doch nicht mit dem ABC beginnen, und wenn sie Linnés oder Jussiens oder eines anderen System behandelt, so sollte sie doch nicht auf das Alleranfänglichste, auf die reine Aeußerlichkeit von Begriffen wie Keim, Stengel, Blatt, Knospe, Blütenteile etc. zurückgreifen müssen, sondern ihre organische Bedeutung, ihre physiologische Aufgabe alsbald zum Gegenstand des Vortrags machen können. Die Zeit für botanische Exkursionen muß an den höheren Lehranstalten schon vor der Universität gefunden werden. Die alte Klage muß aufhören, daß eine Menge unserer „Studierten“ unsere Getreidearten, unsere Waldbäume, unsere wichtigsten und bekanntesten Vögel, unsere bedeutendsten Giftpflanzen nicht zu unterscheiden gelernt haben, nicht den Unterschied zwischen Knolle und Zwiebel kennen, nicht wissen, daß Hase und Reh sehr verschiedenen Tiergattungen angehören, daß Larven und Puppen verschiedene Dinge sind; dann wird es auch nicht mehr vorkommen, daß ein „Studierter“ einer gefangenen Schwalbe Milch und Semmel als Nahrung vorseht.
Sehen, durch Sehen sich interessieren und auf dem Weg des Interesses das Beobachten sich angewöhnen! – Wie viel können gebildete Berufe, von denen naturwissenschaftliche Kenntnisse nicht eben gefordert werden, von Pflanzen- und Tierformen lernen! Wie viel die Meister der Künste aller Art: Maler, Bildhauer, Architekten, Dichter, Dekorateure etc. davon gelernt haben, das erfährt man aus den charakteristischen Formen des Gesichts- und Muskelausdrucks in den Werken der Historien- und Tiermaler oder den duftigen Gebilden der Blumenmalerei. Unsere Dome und andere bewunderte Bauten, woher hätten sie ihr Säulenwerk, ihre Kapitäle, ihre Laub- und Kranzgewinde im Ornament, wenn diese nicht den Stämmen der Wälder, nicht den Blättern und Blüten, der Form wie der Stellung nach, abgesehen worden wären? Unsere Zeus-, Apollo-, Herkules-, Diana-, Pallas-, Venusgestalten, wie unsere Frauenherrlichkeiten in der Poesie, verdanken ihren Ruhm nur der Uebung tiefster und innigster Naturanschauung ihrer Meister.
Es kann nicht jeder, auch von denen, welche bessere Schulen besuchen, ein großer Baumeister, Maler oder Dichter werden; aber an der Natur und durch liebendes Versenken in sie fühlen, hören und sehen und vergleichen lernen, bildet den Geschmack, erhöht das Gemüt und erzieht zu dem, was uns alle vereinigen sollte – zur Humanität!
Und wie wert sind es doch namentlich unsere singenden Vögel, in ihren Gemütsäußerungen näher beobachtet und erkannt zu sein! Ein hochfahrender Linguist hat vor ein paar Jahrzehnten stolz ausgesprochen: „Nein! Die Tiere haben keine Sprache; der Mensch hat eine Sprache!“ Freilich, griechisch und lateinisch reden die Tiere nicht; aber daß griechische und ungarische, daß rheinische und schwedische Nachtigallen, daß ein schwarzwälder Sechzehnender und eine Hirschkuh in den Vogesen einander verstehen, ist für diese Tiere untereinander Sprache genug; selbst für uns Menschen, weil wir deutlich vernehmen, wie ihre Laute einander Liebe oder Haß, Frieden oder Krieg ankündigen. Und jener Philologe war erst noch selbst ein Singvogel, denn er war Poet!
„Hoffnungsreich“ und „wonneheimlich“ darf man sie nennen, die Laute, welche Vögel während des Nestbaues so verständnisinnig wechseln. Denn wie hochversüßt muß die Bauthätigkeit sein, die innen in der Höhlung des Nestes die Füße beschäftigt, um ihr die passende Form zu geben! Und wie glücklich muß die kleine Vogelseele sich fühlen, wenn das Weibchen mit selbstzufriedenem Ruf wieder abfliegt, um neues Baumaterial zu holen,
[385][386] das es mit gleich jubelndem Ruf zuträgt, fast immer von gleich freudigen Beifallstönen des sie begleitenden Männchens ermuntert!
Der Buchfink mit seinem reizenden Nestchen lockt besonders die Aufmerksamkeit an, und ich fühle mich gedrungen, deshalb folgendes über ihn anzufügen. Vor wohl dreißig Jahren war ich auf ein Finkennest aufmerksam gemacht worden, das in Bezug auf die Wahl des Platzes höchst auffallend erschien. Das Nest des Buchfinken pflegt auf Bäume oder Bäumchen gebaut zu werden. Jenes aber saß am Eingang eines Gartenthürchens, an dem ein vielbegangener Fußweg vorüberführte, innerhalb, hart an der Klinke des Thürchens auf einer äußerst dürftig bewachsenen altersschwachen Staude der Jerichorose, kaum drei Fuß hoch vom Boden, so nahe gegen die Klinke, daß, wer diese öffnete, das Nestchen nahezu streifen mußte. Katzen und Hunde liefen und schlüpften tagtäglich durch den Zaun aus und ein, und das Nestchen muß unbemerkt geblieben sein, denn eine Katze wenigstens hätte ihm gar bald den Garaus gemacht. Es enthielt halb befiederte Junge, als mir’s gezeigt wurde, und ich besuchte es fast täglich, vom Gartenbesitzer dazu eingeladen. Ich that es jedesmal in der Angst, jetzt sei ihm ein Leid geschehen. Aber nein! So laut die Finken sonst Lärm schlagen, wenn sie Bedrohliches, namentlich eine Katze, in der Nähe ihres Nestes gewahren, hier hatte ein seltenes Glück das der Gefahr so seht ausgesetzte Nestchen auffallend behütet. Die Jungen kamen ungeschädigt zum Ausfliegen, das ich leider nicht selbst gesehen habe. Aber der Gartenbesitzer, der für Wahrnehmungen solcher Art auch ein aufmerksames Auge besaß, hat mir erzählt, daß der Ausflug von großem Geschrei der Alten begleitet gewesen sei (wie vielfach bei Vögeln, wenn die Jungen das Nest verlassen) und daß dieses Geschrei sich verdoppelt habe beim Ansichtigwerden einer aufmerksam gewordenen Katze, die nun das Nachsehen hatte.
Noch auffallender erschien mir folgendes. Eine Finkin hatte ihr Nest neben dem obern Ende der aus dem Freien zur Empore der Kirche in E. bei Ulm führenden Stiege in eine kleine Mauervertiefung gebaut. Man konnte ganz bequem in das Nest sehen und greifen. Es scheint außer mir von niemand bemerkt worden zu sein. Die Jungen waren schon mehrere Tage alt, als ein gegen die Mauer schlagender Gewitterregen sie ertränkte; ich fand das Nest ganz durchnäßt und die Jungen erstarrt.
Einer Amsel muß ich noch gedenken, welche im Jahre 1895 ihr Nest ein Dutzend Schritte vom Eingang des Stuttgarter Museumsgartens („Silberburg“) in ein etwa 5 Fuß hohes Buchsbüschchen hart am Wege gebaut hatte, und zwar so leicht sichtbar, daß jeder von den vielen täglich vorübergehenden Besuchern hineinsehen konnte. Die Amsel legte vier Eier, bebrütete sie etwa eine Woche lang und blieb trotz aller Vorübergehenden ruhig darauf sitzen. Auf einmal fehlte sie und die Eier lagen tagelang bloß, bis auch sie verschwunden waren. – Der Gartenaufseher, der mein Interesse an solchen Vorgängen kannte, sagte zu mir: „Wer wird denn aber auch sein Nest so hundsdumm hinbauen?“ Und ich antwortete ihm: „Ja, die Vögel machen auch dummes Zeug.“
Ueber den Ort der Nestanbringung habe ich folgende Wahrnehmungen mit eigenen Augen gemacht. Diese Wahl des Ortes scheint oft schwierig zu sein. Daher kommt es, daß die Nestform sich ganz bedeutsam ändert, daß z. B. das Nest der Wasseramsel bald einem Beutel, bald einer Kugel, bald einer Retorte ähnlich ist, weil durch die veränderte Form die Mängel des Nistplatzes ausgeglichen werden müssen. Ich habe mir ein leeres Nest dieses Vogels erworben, das äußerlich einem sogenannten Fußsack ähnlich sieht.
Von der Fürsorge der Eltern zeugt noch folgendes Beispiel. In einer regenkalten Woche des Frühjahres 1841 fand ich auf einem niedrigen horizontalen Birnbaumast ein Buchfinkennest, dessen Rand mit kleinen Flaumfedern umsteckt war. Diese aufrechte Umstellung des Nestes war gewiß nicht schon vor der Bebrütung der Eier geschehen, sondern die naßkalte Zeit hatte die intelligente Mutter bewogen, ihren Kindern zur Zeit der Not eine Schutzvorrichtung zu ersinnen.
Solche Beispiele der Ueberlegung und Elternliebe sollten jedem die gefiederten Sänger lieb und wert machen und uns Anregung geben zu aufmerksamster Beobachtung und zur Schonung dieser herrlichen Geschöpfe. Aber immer wieder ergehen Notrufe gegen die Verfolgung selbst nützlicher Vögel, namentlich aber gegen die entsetzliche Vögelmörderei in Italien.
Deutschland, Oesterreich, Frankreich u. s. w. werden seit lange und in wachsendem Maße bedroht und beraubt durch diese schändliche Barbarei. Giebt es kein internationales Gesetz dagegen, oder will man es in Italien nicht anwenden? Neulich brachten die Zeitungen die Nachricht, zwei italienische Jäger hätten so und so viel Gewichtsmengen Schwalben erbeutet, die dann in Frankreich unter der Bezeichnung „kleine Vögel“ als Delikatesse in Gasthöfen verspeist worden seien. So werden jetzt Massen dieser zarten Gefchöpfe „erjagt“ (welche weidmännische Tapferkeit!) und wandern dann im die vornehmen Küchen; aber Strafen giebt es keine dafür, nur Geld in die Tasche und Leckerei in den Gaumen.
Noch vor 50 und 60 Jahren konnte man in Schwaben durch kein ausgedehnteres Getreidefeld gehen, ohne den prächtigen Wachtelschlag zu vernehmen; wo sind unsere Wachteln heute? Höchst selten noch eine einzelne in einem Käfig. Aber in Italien und von Italien aus, längs dessen Küsten sie leider auf ihrer Wanderung ziehen müssen, sind sie den Weg des Gaumens von geistlichen und weltlichen Herrschaften zu vielen Tausenden gewandert.
Aehnlich mit den Lerchen! Auch diese haben ganz bedenklich abgenommen. Früher hat leider ihr Fang auch in einzelnen Gegenden Deutschlands geblüht; das deutsche Gesetz hat seine Gegenwirkung gethan; aber Italien! Was von Vögeln für wissenschaftliche Zwecke zu dienen hat, ist ja verschwindend gegen jene Massenmorde.
Damit wir jedoch gerecht seien und die Schuld nicht einzig dem Auslande zuschieben, sei noch folgendes mitgeteilt: Vor kurzer Zeit (Winter 1896 auf 1897) las man in den Zeitungen den Siegesbericht, daß im deutschen Norden viele, viele Tausende von „Krähen“ (es war eine ungeheuere Zahl angegeben) geschossen worden seien. Als Grund war ihre große Schädlichkeit angeführt. Gewiß können die Krähen, wie viele andere Tiere, durch massenhaftes Auftreten schädlich werden. Die Krähe liebt ja junge Hasen, nimmt auch wohl junge Vögel aus dem Nest, haut sogar je und je in Maisfeldern die noch weichen, in der „Milch“ befindlichen Fruchtkolben an. Aber wie viel mehr und wie regelmäßig ist sie die Verfolgerin der Mäuse! Man braucht nur Felder pflügen zu sehen, um zu beobachten, wie sie hier den ausgeackerten Mäusen zusetzt, oder wie sie in Mäusejahren überhaupt Jagd macht. Man sehe weiter, wie sie auf Rasenplätzen, die von der Unterwühlung durch Engerlinge gelb und grau geworden sind, diesen Wurzelzerstörern so gründlich zu Leibe geht! Nun kommt aber der Jägersmann und sucht den Tod der Krähen, die seine Hasen stehlen – dieser Eingriff in sein Recht muß Rache haben. Hasen sind freilich ein vortrefflicher Braten; aber Mäusefraß, zerstört er nicht Massen mühsam gebauter Gewächse, die auch vortreffliche Nahrung gewesen wären? – Und warum sieht der Landmann die Feinde der Hasen so gern? Also gegen schädliche Ueberzahl, welches Tier, welcher Vogel es sei, einschreiten, ist vernünftig; man thut’s ja selbst gegen Pirole, Schwarzdrosseln, wo sie z. B. in Kirschpflanzungen zu stark einfallen; doch setze man nicht eine Tierart, die schädlich werden kann, aber sonst höchst nützlich, und willkommen ist, mit egoistischem Eifer auf die Liste der Verfolgungswerten, um nicht jenem Protzen zu gleichen, der gesagt hat: „Was geht mich der Amselgesang an? Ich zahle jedem, der mir eine Amsel schießt, drei Batzen; die Luder fressen mir meine Trauben!“ – Und was für Trauben besaß der Edle!
Der Reiz der Sittenbeobachtung der Vögel hat mich veranlaßt, an einigen gefangenen ihr Verhalten zu studieren. Ich wußte aus Naturgeschichten – (höchst lehrreich fand ich insbesondere „Die Vögel Deutschlands“ von den Brüdern Naumann) – daß unsere „Rotschwänze“, der Haus- wie der Gartenrötling, in Gefangenschaft ziemlich ihre natürliche Wildheit beibehalten. Ich erwarb mir einen männlichen Gartenrötling, also einen Vertreter der Art, die weniger scheu sein soll. Das Tierchen, mit dem schönen weißen Querstreif über der Stirne und der schwarzen Brust, nahm zwar bald die gewöhnliche Kost der Gefangenen: Ameisenpuppen und sogenannte Mehlwürmer (Larven des Schattenkäfers); aber, und ich hatte es bis ins fünfte Jahr, niemals, auch wenn ich es hungern ließ, nahm es mir aus der Hand einen Bissen, so hastig es auf denselben losfuhr, sobald er in den Käfig gestellt oder geworfen wurde. Bei jeder Annäherung, solange ich’s hatte, sträubte es die Federn und fuhr [387] im Käfig hin und wider. Aber gesungen hat der Rötling jedes Jahr vom Januar bis in den Juni sein reizendes Liedchen, vollkommen wie es im Freien geschieht, von aller Morgenfrühe an; nur immer erst (bis zum April) mit vorausgehenden Präludien, um sodann den ganz regelrechten Gesang des Gartenrotschwanzes nachfolgen zu lassen. Weil nun aber dieser im Freien bei uns erst im April anzukommen pflegt, so bekam ich von meinem Pflegling den Februar und März hindurch Töne zu hören, die mich hoch überraschten. Denn zuerst sang er ein paar Wochen lang nach einleitendem unbestimmten Gezwitscher vollständig klar das höchst einfache „Dill dell“ des von den Laubvögeln zuerst bei uns ankommenden Weidenzeisigs (Sylvia rufa); nach diesen paar Wochen jedoch (immer wieder nach dem vorausgehenden unbestimmten Gezwitscher) begann er, wieder vollständig getreu, das „Duduiduididududie“ des Waldlaubvogels (Sylvia fitis), der von seinen Verwandten der zweite Frühlingsankömmling ist. Dieses Liedchen fällt während des Vortrages des Waldlaubvogels um eine Quart in den Tönen; und dieses Fallen trat auch bei meinem Pflegling ganz genau ein. Und dann, als der nächste Laubvogel (Sylvia sibilatrix) ankam, ereignete sich der ganz entsprechende Vorgang, nur mit der Mehrung, daß bei Nachahmung dieses neuen Ankömmlings erst sein einförmiger Lock- oder Angstton: „Diu, diu“ kam, um dann in den eigentlichen Flüstergesang (daher sibilatrix) überzugehen, der in einigen lauteren Schlußtönen ausklingt. – Nun aber sind die Gartenrotschwänze angekommen und im Freien da, und der meine singt nun auch bloß noch das gleiche Lied, das man von jenen gewohnt ist, mit gänzlicher Hinweglassung der früheren Einleitungen.
Woher diese Erscheinung? Mein Exemplar war aus einer auswärtigen Vogelhandlung erworben. Hatte es dort die ihm sonst nicht eigenen Weisen von anderen angenommen? Höchst unwahrscheinlich; denn jene anderen pflegen höchst selten in Handlungen vorzukommen. Und wenn auch, warum sang mein Rötling gerade in der bezeichneten chronologischen Aufeinanderfolge jene fremden Weisen? Oder singen die im Freien lebenden Rotschwänze, ehe sie zu uns kommen, jene anderen Weisen auch?
Mein Vögelchen starb an der Mauserung, und es wurde mir ein frisch gefangenes junges Männchen angeboten, welches noch das Nestgefieder hatte, das es ganz spät im Jahre erst gegen das älterer Männchen vertauschte. Seitdem zwitschert es nun, und ich war höchst begierig, ob es zu Eintritt der betreffenden Zeiten die musikalischen Aufführungen seines Vorgängers nachmachen werde. Gleich unzutraulich war es einstweilen. Nun aber ist es indessen Mitte März und Ende geworden, und der Vogel singt (auch nach unbestimmt zwitschernder Einleitung) untermischt mit Tönen des Grünlings und der Kohlmeise, sogleich das Duduidui der Sylvia fitis, hernach aber den entschieden deutlichen Schlag des Buchfinken, jedoch nicht den väterlichen Gesang, gewiß darum, weil er diesen nicht mehr zu hören bekam, da um die Zeit, wo die nur einmal nistenden Gartenrötlinge flugfertige und nachahmende Junge haben, mit ihrem Gesang aufhören, während der des Finken noch einen Monat andauert.
Vor einigen Jahren war es noch ein anderer, dem Rotschwänzchen nahe verwandter Vogel, dessen Wesen, wie ich’s im Freien sah, mich begierig gemacht hatte, es in der Gefangenschaft zu beobachten: das Braunkehlchen (Saxicola rubetra), in Schwaben „Wiesenschmätzer“ genannt. Dieses Vögelchen, wie es unsere Wiesen und hügeligen Wiesenabhänge mit niedrigen Bäumen bewohnt, ist ja beständig auf der Flucht vor dem Menschen; sowie man sich nähert, flieht es von dem Bäumchen, dem Pfahl, dem aufgesteckten Strohwisch, dem Kopf der Wiesendolde, worauf es sitzt, zum nächsten etc., bis man sich weit genug entfernt. Es interessierte mich, zu erfahren, wie diese Scheu in der Gefangenschaft sich modifizieren würde, und erlebte folgende: Im Anfang fuhr es ganz außer sich im Käfig hin und her, wenn man den Vorhang kaum lüftete, um Nahrung einzubringen, so daß innerhalb eine weiche Schutzdecke nötig war, damit es den Kopf sich nicht einstoße. – Aber auf einmal, nach acht bis zehn Tagen schon, war sein Benehmen fast gerade umgekehrt. Es saß ruhig, fing an, friedlich Laut zu geben, und nicht lange, so nahm es die sogenannten Mehlwürmer aus der Hand des Darreichenden, ob ich oder eines meiner Kinder das sein mochte. Es ging so weit, daß, wenn meine Tochter auf der flachen Hand durch das weitgeöffnete Käfigthürchen bot, das muntere Tierchen ihr auf der Hand den Bissen verzehrte. Selbst in einer ganz ungewohnten Situation blieb es ebenso zahm: Ich hatte einmal vergessen das Thürchen des Käfigs zu schließen, und der Insasse desselben war auf den Zimmerboden gehüpft. Aber auf einen dargebotenen Mehlwurm sprang er sogleich zu und ließ sich friedlich wieder in seine Behausung zurücksetzen. Diese anziehende Zutraulickkeit hat dem lieben Gaste gar manchen Kosenamen von meiner Tochter eingetragen. Sein Gesang war und blieb fast immer ein ziemlich buntes „Gewälsch“, manchmal zwar, aber vorübergehend, etwas bestimmter, so, wie man’s im Freien, aber auch nur kurz, vernimmt, sonst oft mit dem lauten Lockruf und selbst Schlag des Buchfinken untermischt. – Welch ein Unterschied zwischen diesem Wiesenschmätzer und seinem Vetter, dem Gartenrotschwanz!
Derzeit aber besitze ich noch ein Männchen der gemeinen Grasmücke (Sylvia cinerea). Es hatte mich die Wahrnehmung seit Jahrzehnten angezogen, daß dieses Tierchen, namentlich an recht warmen Tagen, nachdem es in seinem Busch lange ziemlich leise zwitschernd gesungen, auf einmal in lauten Jubeltönen sich in die Luft wirft, um mit denselben lauteren Tönen rasch wieder in sein Gebüsch zurückzukehren. Ich hatte den Vogel zuerst mit seinem Weibchen und ihrem Jungen zusammen, das die Alten im Käfig groß zogen. Während dieser Zeit sang das Männchen vielfach sein zwitscherndes Piano. Im Herbst entließ ich das Weibchen und das Junge. Aber im darauffolgenden Sommer (1896) sang nun das Männchen keinen Laut, und es ist abzuwarten, was in der Gesangzeit von 1897 geschehen wird.[1] Wenn ich noch anführe, daß das Weibchen noch lange, nachdem das Junge schon von selbst sein Futter nahm, sich äußerst zärtlich anstellte, um vom Männchen geätzt zu werden, so kann ich zu der interessanten Beobachtung übergehen, daß dieser Vogel sehr oft den Eindruck auffallender Sonderbarkeit und Ungeschicklichkeit macht. Schon bei Naumann war mir die Bemerkung überraschend, er sei ungeschickt in Ergreifung von Fliegen etc., und wie wahr habe ich das gefunden! Selbst dann, wenn man ihm eine Fliege vorhält, die er also nicht selbst zu erhaschen braucht, wie täppisch faßt er sie, und wie ungewandt drückt er sie, ehe er sie schluckt, im Schnabel herum! – Auch ist ja bei Tieren überhaupt, so auch bei den Vögeln beobachtet, daß sie zeitweilig den sogenannten „Gucker“ haben, d. h. auf einmal den Kopf heben, unverwandt schief emporsehen, als besännen sie sich auf wer weiß was. Dies thun sie selbst dann, wenn sie einen Bissen im Schnabel halten, nach dem sie zuvor hastig begehrt, der aber erst nach dem oft langen „Gucker“ rasch verschlungen wird. Diese Eigenheit besitzt meine Grasmücke in ganz besonderem Grade, so daß ich ihr schon oft den unschmeichlerischen Namen „Dackel“ zugerufen habe. Jetzt, da es warm wird, lasse ich sie fliegen.
Eine Ansicht aber hat sich nach allen Wahrnehmungen bei mir befestigt, die, daß junge Vögel nur durch die Eindrücke des Gesanges der Alten die herkömmliche alte Weise erlernen. Es giebt Junge, die den väterlichen Gesang nicht gehört haben, weil dieser zu früh verstummte, sie selbst aber der Freiheit entzogen waren, ehe die Alten im nächsten Frühjahr wieder ankamen. Diese Vögel verblieben stümpernd bei der Nachahmung derjenigen anderen Vögel, die sie noch hören konnten. Nur die einzige Nachtigall lernt nicht von anderen Vögeln; um aber den richtigen Nachtigallschlag zu lernen, muß auch sie ihn von älteren ihres Geschlechtes gehört haben.
Früher habe ich oft sagen hören, bei den mehr als einmal im Jahr nistenden Vögeln seien die Jungen von der ersten Brut „besser“ als von spätern, und habe mir das „besser“ als dauerhafter erklärt. Nun aber ist mir deutlich, daß das „besser“ auf den Gesang sich bezieht, naturgemäß! Die von der ersten Brut ausgeflogenen Jungen hören den väterlichen Gesang während der nächsten Brut und bewahren ihn in gutem Gedächtnis bis zum nächsten Jahr; die Jungen der späteren Brut aber entbehren dieses Vorteils, da mit der letzten Brut auch bei den mehrmals nistenden der Gesang der Alten aufhört, so daß Junge der letzten Bruten, die im Herbst gefangen und gefangen gehalten werden, jenen Gesang der Alten nie zu hören bekommen und – Stümper bleiben.
- ↑ Diese Beobachtungen J. G. Fischers wurden nun durch den Tod unterbrochen. D. Red.
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Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“. Seit zwanzig Jahren besteht in Deutschland ein Verein, der sich „Gesellschaft der Waisenfreunde“ nennt und in Leipzig seinen Sitz hat. Ueber sein Wirken hat die „Gartenlaube“ wiederholt, zuletzt auf S. 164 des Jahrgangs 1895 berichtet; dasselbe geht dahin, verwaisten Kindern ein Familienheim zu schaffen. Die Kleinen werden kinderlosen Ehepaaren anvertraut, falls dieselben sich verpflichten, die Waisen wie eigene Kinder zu erziehen. Bis jetzt ist es der Gesellschaft gelungen, gegen 90 Waisen zu versorgen, und ein großer Teil derselben ist von den Pflegeeltern adoptiert worden. Durch diese Thätigkeit ist viel Elend verhütet und in manches kinderlose Haus friedliches Glück gebracht worden. Seine Erfolge verdankt der Verein vor allem der aufopferungsvollen Thätigkeit seines Geschäftsführers, des Schuldirektors a. D. C. O. Mehner, der gegenwärtig in Hartenstein-Stein, Sachsen, seinen Wohnsitz hat. In dem vor kurzem erschienenen Bericht für das Jahr 1896 bittet die Gesellschaft alle Menschenfreunde, kinderlose Ehepaare auf ihr Bestehen aufmerksam zu machen. Nicht minder wertvoll ist ihr aber auch der Nachweis, wo sich unversorgte Waisenkinder befinden, da auch im vorigen Jahre der Wunsch mehrerer kinderloser Ehepaare, Waisen an Kindesstatt anzunehmen, nicht befriedigt werden konnte. Anfragen und Mitteilungen sind an den obengenannten Geschäftsführer der Gesellschaft zu richten. *
Straßenhandel in Kairo. (Zu dem Bilde S. 377.) Sie haben sich kühnlich und ganz allein in den Bazar gewagt, die beiden hübschen deutschen Mädchen, ohne ein Wort Arabisch oder eine Silbe Türkisch. Aber sie fühlen, daß Abu-ben Simr und Mehmed, die braunen Führerjungen der weißen Esel, ihr Vertrauen nicht täuschen werden, und so geht’s mutig vorwärts. Da sind sie nun im wimmelnden Ameisenhaufen. Gäßchen schiebt sich in Gäßchen hinein, Bretterdächer von Haus zu Haus, vergitterte Fenster, reizend geschnitzte Balkone, deren Arabesken die heißen Sonnenstrahlen fein herausheben; hier ein verschwiegener Hof, dort ein dämmerndes Gewölbe. Wie geheimnisvoll dies matte Dämmerlicht die Menschen macht und die Waren! Hier, beim Waffenschmied, wildblickende Kurden, die phantastische Märchengewänder und flatternde Mähnen zur Schau tragen, dort Cirkassier, Neger, Beduinen auf Kamelen, Juden und Armenier. – „Bak madama,“ sagt Mehmed und leitet sein Eselchen an dem Budengewirr vorüber, „kaufe nicht beim Jahudi, denn der übervorteilt dich, und auch nicht beim Armenier, denn zwei Jahudi machen erst einen von jenen, und auch nicht beim Griechen, denn zwei Jahudi und drei Armenier geben erst einen Griechen, komm mit mir zu Ahmet-Ayha, meinem Glaubensfreunde.“ – Also vorbei an den alten Kleidern und den neuen Musselinen, vorbei an blinkenden Waffen und blitzendem Golde, an Pantöffelchen und Perlmutter, mit edlem Holze gepaart! Hier ist Ahmet-Ayha, welcher Pembesari, ein feines gekrepptes, meist mit Goldfäden durchwirktes Gewebe, verkauft. Der Händler ist braun von Gesicht und weiß von Bart. Ibrahim, der schwarze Diener, steht hinter ihm in der Thür und entrollt den spinnwebzarten, wolkigen Stoff für die fremde Dame und Hamdi-ben-Ahmet, der Sohn, schaut dem Alten über die Schulter. „Vier Piaster der Pik? Das ist zu viel,“ sagt die hübsche Eselreiterin, denn sie erkennt an dem Ellenmaß des Schwarzen, daß der Pik nur etwa einen halben Meter lang ist. Sie blickt in Mehmeds Gesicht und nach ihrer Schwester zurück, die in der Nähe mit einem Griechen um eine Goldperlenkette handelt. Doch Mehmed mahnt: „Folge du mir, schöne Herrin, sieh Ahmet-Ayha, meinem Freunde, ins Angesicht und gieb ihm zu den vier Piastern noch einen Dank, du hast ein besseres Teil erwählt als deine Schwester, die ihr Geld den Ungläubigen in den Rachen wirft.“ „Aber ich bin selbst ungläubig,“ meint die kleine Schöne, und Mehmet) antwortet galant: „Allah verzeiht der Holdseligen!“ B. S.-S.
Bombe kommt! (Zu dem Bilde S. 385.) An Erinnerungen aus dem großen Kriege vom Jahre Siebzig hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt; unser Bild auf S. 385 – nach einem Gemälde des bekannten Schlachtenmalers E. Hünten – versetzt uns noch weiter zurück, indem es eine kleine von dem Künstler an Ort und Stelle beobachtete Episode aus dem Feldzuge gegen Dänemark im Jahre 1864 auf äußerst lebendige Weise darstellt. – Es war in den letzten Tagen vor dem Sturme auf die Düppeler Schanzen, die nicht nur wahre Meisterwerke der Befestigungskunst, sondern auch mit einer zahlreichen Artillerie ausgerüstet waren. Von dem Corps des Prinzen Friedrich Karl, das nach dem Eintreffen der Garden und der Brigade Raven im ganzen 41 Bataillone zählte, war eine kleine Patrouille Brandenburger vom 64. Infanterieregiment behutsam in dem Gelände zwischen den am 30. März eröffneten Parallelen und den im Hintergrunde sich erhebenden Düppeler Bergen, an denen die Schanzen lagen, vorgegangen. Plötzlich fiel ganz in ihrer Nähe eine mächtige dänische Bombe, so ein richtiger „Bengel“ von einer Bombe, nieder und im Nu lagen die Brandenburger auf den Zuruf des Patrouillenführers hinter einer Einfassung von Feldsteinen platt auf dem Boden und warteten nun in atemloser Spannung auf das Zerplatzen des Geschosses. Die aus den glatten Mörsern in hohem Bogen geworfenen Bomben sind mit einem Brennzünder versehen, den man vorher in solcher Länge abschneidet, daß seine Brennzeit möglichst der Flugzeit der Bombe entspricht. Letztere ist nämlich hohl und enthält eine Sprengladung, welche von der nach innen durchschlagenden Flamme des Zünders zur Explosion gebracht werden soll. Dieser Augenblick des „Krepierens“ – wie der Artillerist sagt – tritt am günstigsten dann ein, wenn die Bombe sich noch in 11/2 bis 2 Meter über dem Erdboden befindet. Das war nun bei dem „Bengel“ von Bombe, der so dicht bei der Patrouille niedergefallen war, nicht geschehen, vielmehr brannte der Zünder noch immer fort, während die dicke Hohlkugel dort im Grase lag. In solchem Falle ist das Niederwerfen das beste Schutzmittel, da die Sprengstücke einer auf dem Boden liegenden Bombe erfahrungsmäßig mehr nach oben, als seitwärts fliegen. Es sollte aber diesmal überhaupt nicht zu einem „Knalleffekt“ kommen: der Zünder war offenbar schlecht gewesen, nach einer kleinen Weile stieg das blaue Rauchwölkchen nicht mehr empor und der „Bengel“ blieb ganz ruhig liegen. Sobald das die Brandenburger sahen, sprangen sie wieder in die Höhe, lachten über den unnötigen Schreck, den ihnen die dänischen „Bombenschmeißer“ da drüben verursacht hatten, und ergötzten sich eine Weile damit, sich die Bombe wie eine Kegelkugel abwechselnd zuzurollen. Dann setzten sie frohen Mutes ihren Patrouillengang fort. E. M.
Inhalt: Die Hexe von Glaustädte. Roman von Ernst Eckstein (3. Fortsetzung). S. 373. – Straßenhandel in Kairo. Bild. S. 377. – „’s ist nichts so fein gesponnen –“ Eine postalische Plauderei. S. 378. – Die Gartenbau-Ausstellungen in Berlin und Hamburg. S. 378. Mit Abbildungen S. 373, 379 und 380. – Auf der Schaukel. Bild. S. 381. – Aus Mitleid. Novelle von Emma Merk (Schluß). S. 382. – Aus der Vogelwelt. Aufzeichnungen von J. G. Fischer. S. 384. – Bombe kommt! Bild. S. 385. – Blätter und Blüten: Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“. S. 388. – Straßenhandel in Kairo. S. 388. (Zu dem Bilde S. 377.) – Bombe kommt! S. 388. (Zu dem Bilde S. 385.) – Rosenzeit. Bild. S. 388.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.