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Die Heirath nach der Mode. Fünftes Blatt

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Die Heirath nach der Mode. Viertes Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp
Die Heirath nach der Mode. Fünftes Blatt
Die Heirath nach der Mode. Sechstes Blatt
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Die


Heirath nach der Mode.


Fünftes Blatt.
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DIE HEIRATH NACH DER MODE.
MARRIAGE A LA MODE.
V.

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Die Heirath nach der Mode.
(Marriage à la Mode.)




Fünftes Blatt.

Wie deutlich und wie fürchterlich Alles auf diesem Blatte! – Blut, Mord, Todeskampf und Verzweiflung – in der Tiefe der Mitternacht! Wie schauervoll, wenn man sich hinzudenkt das Getöse der hereinbrechenden Wache, das Angstgewimmer des erwachten Gewissens und der entlarvten Tücke, vermischt mit dem gedehnten, eintönigen Aechzen des Sterbenden. – Ist dieß Heirath nach der Mode? Gerechter Himmel! Da wankt er nun, der modische Ehemann, durchbohrt von der Hand des Lieblings seines treulosen Weibes. Schon brechen die Kniee unter ihm. – Die einzige Stütze, die ihm noch bleibt, sein Arm, wird mit jedem kümmerlichen Schlage seines durchgerennten Herzens kraftloser. Noch steht er einige Augenblicke, und dann – nie wieder. Sein brechendes Auge empfindet nicht mehr das Licht, das hier die Züge des sich nähernden Todes von der erschlafften Wange und dem gesunkenen Kinn für [90] uns zurückstrahlt. Vergeblich steigt das Winseln des verzweifelnden Lasters, und das Flehen des ertappten Verbrechens um Barmherzigkeit von den Lippen seines schändlichen Weibes zu ihm auf. Sein Ohr vernimmt sie nicht mehr, und sein Mund erwiedert sie nicht mehr. Zwischen Ihm und Ihr hat Klage und Vertheidigung hier ein Ende. Die Acten sind geschlossen, dießseits des Grabes. Ferneres Verhör und der Spruch des Richters wartet ihrer in einer andern Welt.

Da kniet sie nun, das modische Eheweib, barfuß, im bloßen Hemde, vor dem Gerichtsdiener und der Wache ihr Verbrechen abbittend und büßend für dasselbe. Hielte sie das Licht, das neben ihr steht, noch in der Hand, so würde ich sagen: sie bitte ab und büße, wie ehedem die Königsmörder in Frankreich, als ihrer nur noch ein Paar waren. Wie krampfhaft hart sie nicht die Hände zusammenpreßt! Hände, so gefalten, zittern gewiß zugleich mit dem Unterarm, das ist nicht Mode; es ist reine Natur. Ihr Auge starrt auf die sinkenden Gesichtszüge des Jammerbildes hin, wo Stufenjahre jetzt zu Secunden schwinden. Jeder dumpfe Laut des Aechzenden wird zum Donnerschlag für ihr schlafendes Gewissen, und selbst ihr erstorbenes Ehrgefühl scheint jetzt durch die Schande wieder erweckt, die in so vielfacher Form über sie kommt. – Doch genug von diesem fürchterlichen Duodram.

Die Leser werden hoffentlich dem Erklärer dieser Blätter den vielleicht zu feierlichen Eingang zu diesem Kapitel vergeben. Er folgte dabei ganz seiner Empfindung. Der Hauptinhalt des Stückes selbst ist, dünkt mich, feierlich genug, und würde es noch mehr seyn, wenn der Herr, der dort seinen Abtritt durch das Fenster nimmt, weniger sichtbar, oder wenigstens besser bedeckt wäre, als er sich selbst bedeckt hat. Hogarth’s Absicht war sicherlich, durch den ersten Anblick dieser Scene, Schrecken, Haß und Abscheu zu erregen, und diese hat er sicherlich erreicht. Freilich hat er sich unmöglich enthalten können, auch hier seiner muntern Laune Raum zu geben. Allein diese Züge sind (den großen Zug dort im Fenster etwa ausgenommen) alle so versteckt, daß sie wirklich gesucht werden müssen, und daher auch häufig übersehen worden sind. Sie stören daher den Haupteindruck so wenig, daß, gerade umgekehrt, sie [91] vielmehr eben dieses Haupteindrucks wegen so wenig bemerkt werden. Wären sie aber auch minder versteckt, wie müßte es um das Gefühl eines menschlichen Geschöpfs aussehen, das bei einem solchen Auftritt nicht gerührt werden sollte, bloß weil die Geschichte in einem lächerlich meublirten Zimmer vorfällt, oder ein Paar sonderbar figurirte Menschen zugleich darin auftreten? Ich befürchte so etwas so wenig von meinen Lesern, daß ich mich nicht scheuen werde, ihnen alle diese Züge nahe vor das Auge zu rücken, und haben sie dieselben betrachtet, so bin ich überzeugt, sie werden sie selbst wieder hinsetzen, wo sie hingehören.

Die Veranlassung zu dieser Begebenheit war folgende: Lady Squanderfield und ihr Herr Procurator Silbermund hatten, wie oben erinnert worden ist, einen Termin auf der Maskerade, und fanden sich richtig ein. Durch Tanz und vermuthlich Loth’s Becher erhitzt, erinnern sie sich der Wunderthaten des maskirten Jupiters, die ihnen Giulio Romano und Michel Angelo vorgezeichnet haben, und als treue Zöglinge Crebillon’s verlassen sie den mit unzählichen Lichtchen prangenden Olymp des Tanzsaals, und lassen sich in dem schmutzigen Winkel eines sogenannten Bagnio’s, einer Art Häuser nieder, die in jeder Stunde der Nacht jedem Wunderthäter offen stehen, und vorzüglich solchen, die so hoch herabsteigen[1]. Lord Squanderfield, der Witterung davon hat, schleicht ihnen mit dem Degen nach, sprengt die verriegelte und verschlossene Thür (Schlüssel- und Riegel-Kloben liegen auf der Erde), und findet, was er sucht, völlig demaskirt, ohne Domino und selbst ohne Bekleidung, eine gemeinschaftliche Matratze ausgenommen, die nicht der Rede werth ist. Er stürmt auf den Procurator los. Dieser, ein juristisch vorsichtiger Fuchs, von großer Praxi, hat bei einem so bedenklichen Termin in subsidium Juris auch einen Degen [92] bei sich, stürzt sich, ehe es noch zum Ueberfall kommen kann, aus der Matratze, und begegnet seinem wüthenden Gegner im Freien. Es entsteht ein Kampf, und leider! einer, in welchem Hörner gerade so viel helfen als gar nichts. Die Wuth, eine so entschlossene und behende Mörderin sie auch ist, ist bekanntlich die erbärmlichste Fechterin von der Welt. Kurz, Lord Squanderfield rennt in den Degen des Advocaten und sinkt. Nach diesem Siege wirft sich der leichtere Theil der Besatzung unter der Matratze hervor, um ihn zu feiern, wie Siege in Bürgerkriegen gewöhnlich gefeiert werden. – Dieses ist die Feier! – Sie verwickelt sich bei diesem Ausfall in das Betttuch, schleift es hinter sich her – und fällt – vermuthlich. Hier steht ihr Charakter wieder auf der Wage. Sank sie vorsätzlich auf die Kniee, oder hat sie bloß vergessen aufzustehen?

Ueber diesem Lärm erwacht der Nachtwächter[WS 1], weckt den Wirth, und dieser endlich sogar die Policei. Da stehen sie sämmtlich in der Thüre, theils in Person, theils repräsentirt, und nach einer Tactik gestellt, die die natürlichste von der Welt ist, nämlich nach dem Interesse der Parteien. Voran der Wirth, mit den fünf Exclamations-Zeichen in der Linken und einem Gesichte, das, wenn die Zeiten nicht bald besser werden, wohl verdiente, unter die Buchdrucker-Stöcke aufgenommen zu werden. Es gilt die Ehre seines Hauses. Hinter ihm steht der Constabel, der Repräsentant der Policei, mit seinem Stabe. Eine herrliche Figur, wie man sie aber zu Hunderten in England sieht; ächte, derbe Composition aus Beef und Pudding, braunroth glühend, untersetzt und stämmig bis zur Zweisitzigkeit; einen kleinen Schritt voran mit einem Verdauungs-Apparat von der behaglichsten Wölbung, dem wahren Sinnbild für National-Schuld und Taxendruck. – Seine rechte Hand ruht ermahnend auf des Wirths Schulter. Er scheint kaltes Blut und Vorsichtigkeit zu empfehlen. Es ist nicht gut, zu viel Herz zu haben, zumal bei Fällen, wie dieser, wo blanke Degen umherspiegeln; wären es Weingläser oder ihre Scherben, so ließe sich wohl ein Uebrigens thun. – Der Nachtwächter, noch vorsichtiger als die Policei, steht an der Spitze des Detaschements, hinten; er wagt sich nicht, und will sich nicht wagen, [93] auch commandirt er nicht einmal, er leuchtet bloß. Man sieht von ihm nichts, als die rechte Hand und die Laterne, deren Zuglöcher sich an der Decke des Zimmers nach den Regeln der Perspective abbilden, und dort eine Art von Baldachin über einem Throne werden, von dem wir zu seiner Zeit reden wollen. Herr Silbermund, seines Sieges zwar gewiß, ergreift dennoch die Flucht, des kleinen Detaschements wegen. Als Advocat konnte er besser als irgend jemand wissen, daß der Wohlfahrts-Bauch dort in der Thüre, zu den leichten Truppen eines unüberwindlichen Corps, nämlich der englischen Criminal-Justiz gehört, und daß dieses Corps selten fern ist, wenn sich dergleichen Vortruppen zeigen. Besonders aber scheint er einen gewissen Ab- und Zuläufer in jenem Dienste zu fürchten, einen übrigens ganz unbedeutenden Menschen, dessen Umgang aber nicht immer gut vermieden werden kann, und alsdann etwas sehr Lästiges hat, den Henkerknecht. Daher die große Eile und die Retirade durch eine Straßen-Thüre aus der zweiten Etage, mit einer sehr abbrevirten Treppe, deren oberste Staffel die Thürschwelle, die unterste aber die Straße selbst ist. Obendrein ist es eine Flucht im Winter, denn die Haupt-Erleuchtung auf diesem Blatte kommt von dem Caminfeuer, und eine windige Nacht, denn die Lichtflamme weist auf Schnupfen-Zug vom Fenster nach der Thüre. Es ist hart, zu einer solchen Zeit so zurückgedrückt zu werden, zumal in einem solchen Sommer-Pelz. Leichter bekleidet, als dieser, hat doch wohl kürzlich kein Sieger die Flucht genommen. Fast sieht man den Herrn Silbermund ganz, bis auf den silbernen Mund, den hier die Schulter bedeckt. Was für eine lächerliche Figur die Schuld nicht macht, wenn sie sich, im sogenannten Kleide der Unschuld von einer Seite zeigen muß, die selbst diese für eine zweite Nacktheit halten würde. Seine Stellung ist sonderbar; so zum Fenster hinaus aus der zweiten Etage (denn man bemerkt keine Fensterläden), und so gerade mit dem Silbermund voran springen zu wollen, ohne zu klettern. Es wird ein gefährlicher Sprung werden. Allein freilich was thut nicht der Mensch, um den Umgang mit den Unterbedienten der Criminal-Justiz zu vermeiden? Fast scheint er etwas voran werfen zu wollen, vielleicht ein Kopfkissen [94] oder Etwas von Ueberrock oder vorzüglich Etwas von Beinkleidern. Denn wäre Hogarth willens gewesen, ihn dem Publikum, oder, da dieses schlief, irgend einem Nachtwächter, ohne Hosen auf der Straße zu zeigen, so hätte er uns vermuthlich auch die Hosen ohne ihn irgendwo gezeigt. Aber davon ist keine Spur, obgleich das Schlachtfeld zum Theil mit einigen Armaturen bedeckt ist, die füglich die Pendants dazu seyn könnten, als Fischbein-Harnische aller Art für den nahen und fernen Krieg, Schnürleiber und Reifröcke[2], Kaputzen, Masken, gestickte Tanzschuhe, Degen und Degenscheiden u. s. w. Bei dem plötzlichen Ausfall aus der Schanze stieß die junge Mannschaft, wie es scheint aus Versehen, auf die Feld-Apotheke, warf sie um, und zerbrach einige Büchschen mit dem kleinen Traubenhagel, den die Pharmacie aus dem bekannten kaltflüssigen Metall zu gießen lehrt, oder was das sonst für Diabolini [95] seyn mögen, die da unter der Adresse des saubern Hauses und seines Herrn Wirths, wie unter dem Schutz eines Patents, herumfahren.

Neben dem Schnürleib liegt noch etwas zum Aufschnüren, nämlich ein Bündel Wellen, jenem ersten an Form nicht sehr unähnlich, und an Steifheit sehr nahe verwandt. Umsonst hat wahrlich unser Künstler diese beiden Faschinen nicht so nahe neben einander hingeworfen, auch wahrscheinlich die beiden Stücke nicht, die da in der Form eines Schwerts mörderisch gegen die untere gekehrt sind. So etwas läßt fast wie Selbstmord. O es spukt gewiß in diesem Zimmer prophetisch vom Künftigen, und der Degen da in der untern Faschine verkündigt nicht viel Tröstliches für die obere[3].

Dieses Wellenholz liegt vor dem Camin, wie man aus dem Schatten der Feuerzange erkennt, der sich da, über den Degen des Mörders weg, auf dem Fußboden hinauszieht. Er rührt von demselben Lichte her, das hier die Hauptgruppe erleuchtet. Allein der Umstand, daß hier halbmorsche Knüppel und keine Steinkohlen gebrannt werden, wirft nach den Regeln einer andern Perspective, auch noch ein anderes Licht auf dieses Zimmer. In der Hauptstadt wenigstens, und zumal in öffentlichen Häusern zeugt dieses, so viel ich weiß, allemal von schmutziger Niedrigkeit, und beweist in diesem Falle, was für ein feines Winkelchen es ist, das sich die Leutchen zum Absteige-Quartier gewählt haben. – Ob eine Feuerzange, die einem so beträchtlichen Feuer so nahe steht, einen so scharfen [96] Schatten werfen könne, kann hier nicht näher untersucht werden. Der Schatten ist ein bloß halb willkürliches Zeichen, Caminfeuer anzudeuten; ein ganz natürliches scheint es nicht zu seyn. Es ist aber nicht das einzige Mal, daß sich Hogarth in seinen Werken der Schatten, und eben so unnatürlich bedient hat, bloß um dadurch die Gegenwart von Dingen anzudeuten, die er nicht selbst vor das Auge bringen konnte. Auch sieht man nicht deutlich ein, wie eine solche Feuerzange vor einem solchen Feuer aufgestellt gewesen seyn müßte, um einen solchen Schatten werfen zu können, denn sie scheint weder angelehnt noch aufgehängt; sie müßte also wohl entweder in irgend einen Leck des Caminheerdes eingeklemmt, oder eine fallende Feuerzange seyn, so wie dort der fallende Degen ebenfalls seinen jedoch etwas natürlicheren Schatten wirft. – Bei dieser Gelegenheit noch ein Paar Bemerkungen über den fallenden Degen. Als sprechendes Zeichen im Vortrage dieser Geschichte selbst bedarf er kaum einer Erklärung. – Vor einem Augenblicke hielt ihn der Sterbende noch in der Hand, will der Künstler sagen, und in dem gleich darauf folgenden, dem nämlich, der hier von der Kunst ergriffen und fixirt erscheint, ist er ihm schon zu schwer; er fällt, oder eigentlich er steht da – wie sein Herr. Das ist Alles. Also nur noch Einiges über diese Darstellung, theils als Gegenstand der bildenden Künste überhaupt, theils über gegenwärtige Copie dieser Darstellung; nicht aus schriftstellerischer Zudringlichkeit, sondern auf Veranlassung von Erinnerungen, die, von einigen Freunden gegen mich geäußert, leicht auch von vielen unserer Leser gemacht werden könnten. Ich mache mit dem letzten Punkte den Anfang. Im Original-Kupferstiche, den man von dem Original-Gemälde wohl unterscheiden muß, stützt sich der Sterbende auf den linken Arm, und so scheint ihm der Degen so eben aus der rechten Hand gefallen zu seyn. Was ist natürlicher als das, sagt man, denn gewiß hielt er doch wohl den Degen in der Rechten? Allein dieser scheinbare Einwurf wird sogleich dadurch widerlegt, daß der Graf auf eben diesem Original-Kupferstiche den Theil des Degengehenkes, worin der Degen hing, auf der Rechten hat, welche in unserer Copie richtig auf der Linken sitzt. Der Graf warf nämlich, als er noch frei stand, den Degen weg, und [97] sank gegen den Tisch, der ihm zur Rechten war. Auch sehen wir, in unserer Copie, bei dem Schreiber, oder was er ist, dort über der Stubenthüre, die rechte Hand wieder in ihre ewigen und unveräußerlichen Rechte eingesetzt, die sie im Original-Kupferstiche, aller Wahrscheinlichkeit schlechterdings zuwider, der linken abgetreten hatte. Herrn Riepenhausens Copie hält also auch hier gleiche Seiten mit dem Original-Gemälde. Nun zum ersten Punkt. Es hat mich nicht wenig gefreut, zu finden, daß fast Alle, denen ich diese Kupferstiche gezeigt habe, die Stellung des Degens unnatürlich gefunden haben. Und warum gefreut? Antwort: bloß weil ich mir aus Jedem, der so Etwas fühlt, nach einer leichten Spannung desselben auf die Sokratische Tortur, selbst einige Sätze der höheren Rechenkunst mit leichter Mühe herauszufragen getraute. Ein solcher fühlt nämlich, ohne es deutlich zu wissen, daß der Maler des Lebendigen und Beweglichen, eben deßwegen, weil seine gemalte Darstellung selbst leblos ist, und ruht, nur einen unendlich kleinen Zeitpunkt davon auffassen darf, und fühlt zugleich, daß die unendlich kleinen Zeitpunkte dennoch ihre Verhältnisse gegen einander haben müssen, denn sonst könnte er das Fallen eines gegen den Horizont geneigten Degens, mit dem schweren Degengefäße oben, verglichen mit dem Fallen von dessen Herrn, nicht natürlich finden. Allein der sinkende Herr könnte sich noch halten oder gehalten haben, der Degen aber nicht. Dieses macht für ihn einen Unterschied. Auf dem Orden eines so sinkenden Ritters, könnte man noch die Devise lesen, aber den Namen des Schwertfegers oder der Fabrik auf einem so fallenden Degen schwerlich. Die Stellung des Grafen nähert sich mehr der Ruhe, die des fallenden Degens mehr der Bewegung der Kanonenkugel, die auf dem ersten Blatte aus der Hosentasche des Helden flog. –

An der Hinterwand ist auf der Tapete (ob haute-lisse oder basse-lisse ist nicht wohl auszumachen) das Urtheil Salomon’s vorgestellt. Salomo auf dem Throne, freilich, die Krone etwa ausgenommen, nicht in seiner eigenen Herrlichkeit, sondern ganz in der Feiertagsblüte eines niederländischen Schiffers. Wer nicht wüßte, daß der Mann einst das Steuerruder eines mächtigen Staats mit großer Weisheit führte, [98] würde glauben müssen, er führe wenigstens hier das von irgend einem Kohlenschiff oder einem Häringsjäger unter dem mächtigen Einfluß von Habsucht, Kümmel und Anis, die hier offenbar aus Auge und Nase glühen. Auch die leblosen Zierden des Thrones sind nicht viel herrlicher als die lebendigen. Ein nicht sowohl fürchterlicher, als bloß fürchterlich verzeichneter Löwenkopf, und ein Thronhimmel mit zehn Pracht-Sonnen, aus den Lichtstrahlen einer Stallleuchte gestickt, ist Alles! – Vor ihm steht die Mutter des Kindes, das so eben nach den Principien der Gleichheit getheilt werden soll. Griffe sie nicht so sehr ernstlich zu, um diese Theilung ihres Herzblättchens zu verhindern, so sollte man sie fast, der Miene nach, für den Herrn Vater halten. Denn Kopf und Kopfputz sind völlig männlich, und obendrein schifferartig, und solchen Zügen zu Liebe übersähe man ja wohl ein Paar Kleinigkeiten, nämlich, daß sie einen Weiberrock an hat, und wahrscheinlich schon wieder ungetheilter guter Hoffnung ist. Daß der Justiz-Bediente da das Kind mit der Linken tranchiren will, ist wieder kein Argument gegen Herrn Riepenhausens unterlassene Umzeichnung des Blattes. Salomo hält hier das Scepter in der Rechten, so wie er es bekanntlich immer hielt. So erforderte es seine Weisheit, und diese Darstellung wird daher Richtschnur für jeden Bildner, der sich an seine Herrlichkeit wagt. Was geht uns denn ein einziger linkischer Kerl von Unterbedienten an? O! wenn man sogleich das Ganze umzeichnen wollte, wenn irgend ein Unterbediente mit der Linken ausführt, wie hier, was eine weise Regierung mit der Rechten verordnet hat, – – so wäre des Umzeichnens kein Ende in der Welt.

Ueber diese Geschichte aus dem alten Testamente hat Hogarth noch zwei Gemälde aus dem allerneuesten aufgehängt, die einen sonderbaren Contrast, wo nicht mit dem auf der Tapete, doch unter einander selbst machen. Das eine ist, wie versichert wird, das Portrait von einer gewissen Moll Flanders, einem berüchtigten drurylänischen Straßen-Mensch (Herr Ireland nennt sie in seiner etwas eigenen Sprache notified, notificirt). Ihr Anblick hat von Anfang etwas Ekelhaftes, das sich aber schon so ziemlich über der glücklichen Verbindung von [99] Zier-Aeffchen und Viehmagd verliert, wenn man sie einmal aufgefunden hat, aber völlig verschwindet, sobald sich die Absicht des drolligen Künstlers, der sie wirklich hier an den Pranger gestellt hat, völlig offenbart. Auf der Hand hat sie ein Eichhörnchen, auch ein Putznärrchen, und hinter sich einen Papagei in seinem Ringe, auch ein Plappermaul, vermuthlich ein Hieb auf andere Zieräffchen, nicht aus dem Kuhstall, sondern aus der bel-étage des Hauses selbst. Aber, Scherz bei Seite, eine solche Gesellschaft thut wirklich etwas. Diese Thierchen leihen ihren Besitzerinnen, von einem gewissen Alter, immer noch etwas von ihrer Niedlichkeit, und rauben dafür, welches nicht viel weniger werth ist, dem Liebhaber etwas von seiner Aufmerksamkeit, da wo allzuviel zuweilen lästig werden könnte. Mit einem Worte, sobald ein Paar Herzen, die sich gern unterhalten möchten, ihre Muttersprache bereits zu vergessen angefangen haben, welches zuweilen schon im dritten Viertel des Lebens der Fall seyn kann, oder wenn sie um ein Thema verlegen sind, oder stocken, und nach dem Souffleur im Kopfe suchen, da können ein Papagei und ein Eichhörnchen Wunder thun. – Das Ding, das da von ihrer rechten Hand herabhängt, habe ich immer für den Anfang von einem Reitpeitschenstiele gehalten. Herr Ireland aber sagt ausdrücklich: es sey ein Metzger-Stahl (a butcher’s steel.) Es wäre möglich, aber was in aller Welt kann das Mensch da zu stählen oder zu wetzen haben? Nun der Pranger. Mit echtem, genialischem, und hier wahrlich gerechtem Muthwillen hat unser Künstler das Bild dieses Weibsstücks so aufgehängt, daß die Beine eines Kerls, von Salomon’s Schweizergarde, auf der Tapete zu den ihrigen werden, und es läßt, als habe man ihr die Röcke bis über die Kniee abgeschnitten, ohne daß sie es einmal gemerkt hätte. Dieser letzte Umstand macht die Sache eigentlich schön. Durch diesen glücklichen Schnitt wird nämlich das Mensch wirklich zu einem Berg-Schotten (Highlander) geschnitten, ohne daß diesen seine gerühmte second sight[4] nur im [100] Mindesten davon avertirte, ob sich gleich der Vorfall so sehr in der Nähe zugetragen, daß es nicht einmal eines neuen Patent-Gesichtes bedurft hätte, ihn zu entdecken.

Das zweite Bild über der Tapete ist – der Spiegel . Und warum der? O! ganz gewiß hat Hogarth nicht umsonst diesen Spiegel so gehängt, daß dessen Rahmen zugleich zur Einfassung um den Kopf des Sterbenden wird. „Wenn,“ scheint er die thörichte Eitelkeit anzureden, „wenn du dich durch einen Blick in jenen ersten Spiegel mit dem Berg-Schotten und dem Eichhörnchen, noch nicht von deinem Wahne geheilt fühlst, wohlan, so blicke einmal in den zweiten! Wie da! Kennst du die Schminke wohl, die diese Wangen überzieht? Was? O! sey wer du wollest in der Welt, so wird, früh oder spät, sicherlich eine Zeit kommen, da dein dir vorgehaltener Spiegel dir so entgegen blicken würde, wie dieser, so wenig du auch dann fähig seyn möchtest zu empfinden, daß seine Blicke bloß die deinigen sind, die er mit gewohnter Treue wiederholt!“

Ueber der Stubenthüre hängt noch ein drittes Bild, welches Aufmerksamkeit verdient. Es ist dießmal aus dem neuen Testament, und wie man aus dem heiligen Scheine des Mannes und dem Stiere sieht, offenbar der Evangelist Lucas, bekanntlich der Patron der Maler[5], wie auch schon Herr Ireland richtig bemerkt. Er zeichnet also da die merkwürdige Geschichte, und wie man sieht, mit großem Eifer und sichtbarlich gespannter Aufmerksamkeit. Selbst das gehörnte Thier wird darüber [101] neugierig, zu sehen, was es da unten geben müsse. Vielleicht hat es die Witterung von dem so eben geschlachteten, auf dessen Papilloten gestern Morgen der Bruder Aktäon so mystisch hinwies. Allein ich glaube, daß dieses bei weitem nicht Alles ist, und wage daher einen Zusatz zu dieser Erklärung um so eher, als er den völligen Beifall eines einsichtsvollen Engländers und Kenners von Hogarth’s Unerschöpflichkeit erhalten hat. London hat außer einer Menge von Privat-Tollhäusern, wie alle große Städte, zu diesem Zweck zwei große, öffentliche Anstalten, die auch außerhalb bekannt genug sind, Bedlam und St. Luke’s. Das letzte ist vorzüglich für Unheilbare (for incurables). Dieser Name und das Hospital, das ihn trägt, sind da so bekannt, und ihre Verbindung jedem Kopfe so geläufig, daß wohl unter hundert, die ihn aussprechen hören, gegen einen, eher an das Narrenhaus denken, als an den Evangelisten. Nun hält aber der heilige Lukas, der zwar der Patron der Maler, aber eben so gewiß auch der Patron jenes Hospitals ist, keinen Crayon, sondern offenbar eine Feder in der Hand, wie man das sehr deutlich auf dem Original-Kupferstiche sieht. Er schreibt also da. Könnte er also wohl nicht auch hier die Namen von den drei Candidaten, als sehr würdigen Subjecten für seine Stiftung, in sein Register tragen wollen? Toll genug haben wenigstens alle drei gelebt, und incurabel sind sie in einer andern Rücksicht auch. Freilich zeichnet man auch mit der Feder, das schadet aber der letzten Vermuthung nicht, vielmehr gewinnt die Satyre gerade durch diese Verstärkung ihre Zweischneidigkeit.

Zum Beschluß eine kleine Berichtigung. Es ist wahrscheinlich, daß Lord Squanderfield, als er erfahren hatte, daß Sein Liebchen mit dem Ihrigen in einem liederlichen Hause beisammen wären, vorsichtiger, und den englischen Gesetzen gemäßer verfahren ist, als ich ihn oben vorgestellt habe. Er holte eine Vollmacht (warrant) ein, und so kam er selbst mit dem Constabel zugleich nach dem Hause, welches er, ohne diese Vorsicht, nicht einmal hätte wagen dürfen, so zu bestürmen. Sie erbrachen also nun unter dem Schutz der Policei die Thüre gemeinschaftlich. [102] Der Graf zog den Degen, der Bürgerkrieg zwischen Squanderfield und Co. brach aus, und wurde geendigt; Alles in fünf Minuten. Wäre es auch nicht so weit gekommen, so waren, der Ehescheidung wegen, solche Zeugen immer gut. Ist dieses sein Zweck mit gewesen, so hat er auch den erreicht. – Die Ehe ist geschieden. – Dort, unter dem Schatten der Feuerzange, liegt der Löse-Schlüssel.




  1. Um die nöthige Symmetrie in die Vergleichung dieses Ebenteuers mit Jupiters Aventüren zu bringen, wird der gütige Leser gebeten, die handelnden Personen durch eine leichte Transposition so zu stellen, daß Lord Squanderfield die Rolle der Juno bekommt.
  2. Ein sehr weitspüriger Reifrock, wie dieser, gehört wohl nicht zur Nonnentracht (siehe oben Seite 68), das gäbe ja Schäfchen in Wolfskleidern. Bei dieser Gelegenheit hole ich eine kleine Bemerkung nach. Es wurde oben (S. 90) gesagt, die Dame kniee hier im bloßen Hemde. Ob nun dieses gleich der Fall im strengsten Verstande nicht ist, so wird doch durch den übrigen Anzug weder für Ehrbarkeit noch Schamhaftigkeit das Mindeste gewonnen; daher es dort der Nachdruck in der Darstellung gewissermaßen erforderte, bloß das Hemd zu nennen. Die englischen Damen schlafen, wie auch sonst wohl an andern Orten gebräuchlich ist, mit einem leichten Nachtkleide (bedgown) über dem Hemde. Sollten sie dieses bei irgend einer Gelegenheit etwa einmal entbehren müssen, so würden sie sich nicht allein bloß verlegen, sondern auch selbst, wegen der frühen Angewohnheit im eigentlichen Verstande genirt finden. Da nun unsere Dame außer dem Hause, und in einem Winkel-Bagnio schlief, wo dergleichen Bequemlichkeiten nicht zu haben sind, so zog sie über das Hemd bloß die lose Robe (sack) an, die sie vorher über dem Reifrock trug. Der seidene Faltenschlag und die große Länge des Gewandes geben dieses zu erkennen, und unterscheiden es sehr von dem Hemde, das indessen, wie man sieht, gar nicht dadurch verdeckt wird. Daß übrigens ein hoher Grad von Zartgefühl für Mode und Bequemlichkeit sich recht gut mit einem gänzlichen Mangel an allem für Ehrbarkeit verträgt, weiß man auch außerhalb Englands.
  3. Unsere Leser, die nun mit der sonderbaren Laune des Künstlers bekannt geworden sind, werden diese Vergleichung eines Bundes Wellen mit einer Schnürbrust, und des Bengel-Kreuzes mit einem Schwert und allen dessen Beziehungen, nicht ganz unpassend und abgeschmackt finden. Hat aber der Autor selbst, woran wohl nicht zu zweifeln ist, wirklich so etwas zuweilen in seiner Art gehabt: so vergibt ja wohl ein billiger Leser dem Commentator desselben, wenn er sich einmal auf eigene Rechnung etwas von eben dieser Art, bei einem dunkeln loco zu Schulden kommen läßt.
  4. Second sight der zweite Gesichtssinn, das Auge Nro. 3.) heißt die Gabe, Dinge zu sehen, die entweder der Zeit, oder dem Raume nach sehr entfernt sind, und deren sich die obern Schotten, vorzüglich die auf den Inseln, noch immer rühmen.
  5. Die Académie de St. Luc zu Rom hat daher den Namen von diesem Evangelisten, und man zeigte sogar Gemälde von santo Luca zu Rom, bis Domen. Manni (del vero pittore Luca Santo in Firenze 1764. 4.) den Ursprung des Irrthums aufdeckte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nachwächter. In der dem Bearbeiter vorliegender Ausgabe berichtigt