Die Inquisition in den Niederlanden während des Mittelalters

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Autor: M. Philippson
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Titel: Die Inquisition in den Niederlanden während des Mittelalters
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 5 (1891), S. 371–374.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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[371] Die Inquisition in den Niederlanden während des Mittelalters. Das historische Interesse hat sich neuerdings der Geschichte der Inquisition im Mittelalter zugewendet, und zwar um so mehr, als dieselbe auch ein helles Licht auf die Entwicklung der antikirchlichen Strömungen im Volksleben jener Jahrhunderte wirft. Vor drei Jahren [372] erschien das umfassende Werk des Amerikaners Lea über die „Geschichte der Inquisition im Mittelalter“, und die Leser dieser Zeitschrift erinnern sich zweifellos mit Vergnügen der Aufsätze von Herman Haupt über „Waldenserthum und Inquisition im südöstlichen Deutschland“, die hier in den Jahren 1889 u. 1890 veröffentlicht wurden[WS 1]. Gerade an das entgegengesetzte Ende des alten Reiches führt uns der erste Theil des Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis neerlandicae, den Paul Fredericq[1], der als Geschichtschreiber und Lehrer gleich hochverdiente Professor an der Universität Gent, herausgegeben hat (Gent u. Haag 1889). Dieser Band umfasst die Jahre 1025–1520, bis zur Reformation und der Neubegründung der Niederländischen Inquisition durch Kaiser Karl V. In 446 Nummern werden uns hier zum ersten Male die vollständigen Materialien zur Geschichte der Ketzerei und ihrer Unterdrückung in den Niederlanden vorgeführt, gesammelt aus den Archiven von Brüssel, dem Haag, Lille, Mons, Gent, Brügge, Tournai und Alkmaar, den Handschriften mehrerer Bibliotheken und 214 gedruckten Werken. Die Anordnung des Stoffes ist die chronologische, sicher die beste, ja einzig zulässige für ein zusammenhängendes Studium, während ein sehr vollständiges und sorgfältiges Sach- und Namenregister das Aufsuchen einzelner Persönlichkeiten und Vorgänge ermöglicht. Eingehende Vorbemerkungen und Zusätze bei jedem der Actenstücke erläutern dieselben, bringen sie in den richtigen Zusammenhang und klären jeden Zweifel des Lesers von vornherein auf. Rühmlich ist auch der Muth, mit dem Prof. Fredericq, einer der namhaftesten literarischen Vorkämpfer Germanischen Wesens in Belgien, den zusätzlichen Text seines Werkes, ohne Rücksicht auf Beschränkung seines Leserkreises und materielle Opfer, in Niederländischer Sprache verfasst hat. Nur einen, übrigens nebensächlichen Tadel möchten wir aussprechen: nämlich dass der Herausgeber eine Reihe von längst bekannten päpstlichen Bullen, Concilienbeschlüssen, kaiserlichen Constitutionen u. s. w., die sich auf die Ketzerei und deren Unterdrückung im allgemeinen richten und keine besondere Beziehung zu den Niederlanden haben, noch einmal vollständig zum Abdruck bringt; und zwar scheint dies um so weniger angemessen, als die Auswahl solcher Gesetze ziemlich willkürlich ist und mit demselben Rechte noch weit mehr hätte ausgedehnt werden können. Hier wäre, wenn überhaupt die Erwähnung nöthig schien, eine kurze, regestenartige, aber vollständigere Anführung wohl besser am Platze gewesen.

Die frühesten Spuren der Ketzerei in den Niederlanden finden [373] sich schon im ersten Viertel des 11. Jahrhunderts, und scheinen ihre Lehren aus Italien dorthin verpflanzt worden zu sein. Die Schuldigen wurden übrigens noch mit grosser Milde behandelt und durch Belehrung in den Schoss der Kirche zurückgeführt (Nr. 12). Fünfzig Jahre später üben die geistlichen Behörden bereits grössere Strenge, wie denn der Bischof von Cambrai 1075 einen gewissen Ramihrd verbrennen liess, nur weil er sich weigerte, von Priestern, die in Unzucht und Simonie lebten, das Abendmahl zu empfangen (Nr. 7). Im Beginne des 12. Jahrhunderts tritt dann in Flandern und Antwerpen der räthselhafte Tranchelm auf, der durch seine hinreissende Beredsamkeit alles Volk des Küstenlandes bis nach Utrecht hin um sich schaart und mystische Lehren verbreitet, die unmittelbar gegen die herrschende Kirche und deren Organisation gerichtet sind; er wurde schliesslich 1115 von einem Priester ermordet (Nr. 11, 14–22). In der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts und in der ersten des folgenden erscheinen in den Niederlanden zahlreiche Katharer; sie bieten schon 1162 dem Erzbischof von Reims sechshundert Mark Silber, wenn er sie in dem zu seiner Kirchenprovinz gehörigen Flandern dulden wollte. Sechs Männer und zwei Frauen dieser Secte, die sich nach Köln geflüchtet hatten, wurden dort 1163 durch Erzbischof Reinald verbrannt. Im Jahre 1182 fand dann eine grosse Verfolgung der Katharer in Flandern und Artois statt, der auch viele Edelleute und Geistliche zum Opfer fielen. In Folge der Albigenserkriege flüchteten sich zahlreiche Katharer nach Welschflandern, wo sie auf Anregung der Päpste mit grösstem Eifer aufgespürt und verbrannt wurden. Der strengste Inquisitor war ein bekehrter Albigenser, der Dominicaner Robert, der, obwohl von König Ludwig IX. beschützt, schliesslich seinen Verfolgungseifer mit dem Leben büsste (Nr. 34. 37. 38. 40. 42. 48. 52. 90. 94–98. 100. 104. 106. 108. 109. 116. 117. 121). In geringerer Zahl zeigten sich die Waldenser, seit dem Jahre 1241, zumal in Antwerpen, wo ein ehemaliger Domherr, Wilhelm Cornelisz, ihre Anschauungen zu verbreiten suchte (Nr. 119. 125. 126).

Das 14. Jahrhundert ist in den Niederlanden durch das Wiedererwachen des Mysticismus gekennzeichnet, der sich damals mit schlimmster Unsittlichkeit paarte: worüber Prof. Fredericq zahlreiche höchst belehrende Actenstücke beibringt. Was man zu jener Zeit in den Französisch redenden Landen Vaudoisie nannte, war nichts anderes als Zauberei und Teufelsdienst und hat mit dem eigentlichen Waldenserthum nichts zu thun. Diese ganze Richtung verschwindet dann im 15. Jahrhundert; die Secte der „Turlupinen“, die noch den Mysticismus pflegte und deren Führer ein gewisser Alfons von Portugal war, umfasste im Grunde ganz friedliche und ungefährliche Leute (Nr. 219. [374] 332. 333. 336. 348–363). Sehr bemerkenswerth ist im Beginne des 16. Jahrhunderts das Erwachen des kritischen Geistes, der ein Ergebniss des Humanismus ist und sich gegen die Gesammtheit der kirchlichen Lehren kehrt. Hermann von Ryswyck leugnete überhaupt alles Wunderbare und Uebernatürliche, das in der Bibel enthalten ist, und wurde dafür, nachdem er mehrfach mit Kerkerstrafen belegt worden, im Jahre 1512 im Haag von dem berüchtigten Jakob von Hoogstraten und dem Dekan Jakob Ruysch dem Feuertode überliefert (Nr. 400. 417). Geradezu als Vorläufer Luther’s ist der Dominicaner Walther zu betrachten, der schon 1510 in Utrecht ganz im Sinne des Reformators predigte (Nr. 408).

Diese kurzen Ausführungen werden wenigstens eine Andeutung des reichen Inhaltes des vorliegenden Bandes geben, dem hoffentlich bald der zweite folgen wird. Möge uns Prof. Fredericq dann auch eine geschichtliche Darstellung der Inquisition in den Niederlanden geben, zu deren Abfassung sicherlich Niemand so berufen ist, wie er.

M. Philippson.     

Anmerkungen

  1. Vgl. Bibliogr. ’89, 3624 und ’90, 3738.

Anmerkungen (Wikisource)