Die Internationale Kunstausstellung in Wien
Die vielverlästerte „Zeit des wirthschaftlichen Aufschwunges“, welche im Jahre 1873 gleich nach Eröffnung der Wiener Weltausstellung ein so jähes und schreckhaftes Ende fand, war auch für die Kunst Oesterreichs eine Zeit der Blüthe gewesen. Die Kunst gehört einmal zu den holden Ueberflüssigkeiten des Lebens; der Luxus ist eine Vorbedingung ihrer Existenz, und Reichthum und Glanz bilden ihr eigentliches Lebenselement, während sie in der Atmosphäre der Armuth, in dumpfer Dürftigkeit nur kümmerlich vegetirt und endlich ganz abstirbt. Das Talent selbst ist freilich unabhängig von der reinen Zufallsfrage, ob sein Träger mit äußern Glücksgütern reich gesegnet ist oder nicht – allein diesem Talent fehlt die Gelegenheit sich zu entwickeln, sich schaffensfreudig voll und ganz auszugestalten, wenn ihm nicht von außen her Mittel und Anregung, und zwar, um deutlich zu sprechen, klingende Mittel und baare Anregung zufließen.
Aus der hier gebotenen Andeutung erhellt, wie es um das Kunstleben in Oesterreich nach dem ominösen „Krach“ bestellt sein mochte. Die ganze Gesellschaft sah sich in ihrem Besitzstand bedroht, große und bis dahin bezüglich ihrer Sicherheit und Solidität über jeglichen Zweifel erhabene Vermögen waren plötzlich verhängnißvollen Erschütterungen ausgesetzt worden – Allen lag Alles näher, als sich das Leben durch die Erzeugnisse der Kunst zu verschönen. Wer konnte an Luxus denken, und war er auch noch so edel und erhebend, wo es sich um die Existenz selbst, um Ehre und Vermögen, um Sein oder Nichtsein in finanzieller und gesellschaftlicher Beziehung handelte? Auf wenige fette waren die sieben mageren Jahre für Kunst und Künstler in Oesterreich gefolgt. Die Bestellungen blieben plötzlich aus, und die Production erlahmte. Der Kunstmarkt, auf welchem sich erst kurz vorher ein so erfreulich lebhafter Verkehr etablirt hatte, war plötzlich völlig verödet, und nicht einmal die Kunstwerke, welche als Reste eines rasch verschwundenen Reichthums auf den Markt geworfen wurden, um ihren verunglückten Besitzern nur einen kleinen Theil dessen, was sie gekostet, wieder hereinzubringen, fanden Abnehmer, sodaß auch der durch dieses Ausgebot um jeden Preis verursachte Scheinverkehr auf dem Kunstmarkte den Künstlern eher noch schädlich als ersprießlich war.
Nicht willkürlich und nicht ohne Grund haben wir die hier geschilderten Verhältnisse berührt; wir haben damit in wenigen Worten den Grund und Boden charakterisiren wollen, aus welchem heraus mit einer gewissen Nothwendigkeit die Idee zu der großen internationalen Kunstausstellung in Wien erwuchs. Mit zwingender Kraft hatte sich die Erkenntniß geltend gemacht, daß etwas geschehen müsse zu Gunsten der schwer betroffenen österreichischen Kunst.
Die wirthschaftlichen Verhältnisse hatten sich in den letzten Jahren allerdings wieder einigermaßen gebessert, aber noch lange nicht in dem Grade, daß sie schon genügende Mittel zur Förderung der Kunst hätten schaffen und darbieten können. Es sollte also der Versuch gemacht werden, die internationale Aufmerksamkeit auf den österreichischen Kunstmarkt zu lenken, die ja früher, wenigstens theilweise, einmal schon gewonnen war und die sich dann wieder verloren hatte. Das Beispiel der wichtigeren deutschen Kunstcentren, die ja alle weit mehr für den internationalen als blos für den heimischen Bedarf arbeiten, wirkte belehrend und anfeuernd, und so entstand das Werk der ersten internationalen Kunstausstellung in Wien.
Schon heute, wenige Tage nach ihrer Eröffnung, läßt es sich aussprechen, daß der durch sie verfolgte Zweck thatsächlich erreicht werden dürfte; denn in der That bildet Wien während der Dauer der Ausstellung den Brennpunkt für das europäische Kunstinteresse, und es kommt nun Alles nur darauf an, daß dieses Interesse sich nach Wien gewöhne, und daß die österreichische Kunst dafür sorge, daß es sich nicht wieder von dort fortgewöhne.
Es mußten schwere Opfer gebracht werden, um die Ausstellung zu ermöglichen. Das Künstlerhaus (vergl. die obenstehende Abbildung) erwies sich für das Unternehmen als zu klein; die Genossenschaft der Künstler mußte sich also entschließen, das Haus, ein kleines bauliches Juwel, durch Zubauten, die ihm wahrlich nicht besonders zu Gesicht stehen, zu vergrößern. Dazu war Geld, viel Geld nöthig – opferwillige und hochsinnige Kunstfreunde brachten es auf. Es mußten Servitute, die für die Ewigkeit berechnet schienen, gelöst, einer der schönsten Plätze Wiens in seiner reizvollen architektonischen Gesammtwirkung wesentlich beeinträchtigt werden – Alles wurde der Genossenschaft bewilligt, weil man allenthalben von der Wichtigkeit des Unternehmens durchdrungen war.
Die materielle Unterstützung freilich, die der Staat der Ausstellung widmete, war nicht eben sehr ausgiebig, zumal wenn man berücksichtigt, daß er dadurch, daß die kaiserlich königliche Akademie der bildenden Künste neben der Genossenschaft als Mitunternehmerin der Ausstellung auftrat, selbst ein lebhaftes Interesse an derselben haben mußte. Es wurden im Ganzen 30,000 Gulden votirt, die zum Ankaufe von Kunstwerken und zur Herstellung der erforderlichen Medaillen verwendet werden sollen. Die Summe nimmt sich neben den Beträgen, welche das deutsche Reich und Frankreich zur würdigen Beschickung der Ausstellung ihren Commissionen zur Verfügung gestellt haben, nicht eben sehr ansehnlich aus. –
Soviel über die Vorgeschichte der Ausstellung! Sie ist, wenn man absieht von der imposanten Sammlung, welche in der „Kunsthalle“ der Wiener Weltausstellung zur Anschauung gebracht wurde, die erste ihrer Art in Wien. Nun ist das Werk fertig, und wir können daran gehen, eine kurze Schilderung seines Gesammtcharakters zu liefern. Eine eingehende kritische Würdigung der einzelnen Ausstellungsobjecte muß den Fachjournalen und dem Feuilleton der Tagesblätter überlassen bleiben; die „Gartenlaube“ hat sich, ihrem universellen Programme gemäß, nur mit dem wichtigen Culturereignisse, das die Ausstellung repräsentirt, als solchem zu befassen. Da die „Gartenlaube“ zudem sich bei Zeiten für ihren illustrativen Theil das Reproductionsrecht einer Reihe werthvoller Gemälde aus der Ausstellung gesichert hat, wird ihr noch Gelegenheit geboten sein, soweit es Raum und Programm des Blattes zulässig erscheinen [282] lassen, sich mit hervorstechenden Einzelheiten der Ausstellung zu beschäftigen.[1]
Die internationale Ausstellung in Wien darf kühnlich als die Quintessenz der europäischen Kunstthätigkeit des letzten Jahrzehntes betrachtet werden. In Berlin wie in Paris, in Stockholm wie in Madrid, in Budapest wie in Brüssel war man mit gleichem Eifer bestrebt, das Beste nach Wien zu senden, was während der letzten Jahre in den Werkstätten der Künstler überhaupt geschaffen worden ist, und wo die Ausbeute aus den Ateliers nicht hinreichte – und sie schien nirgends hinzureichen, oder man wollte sie wenigstens nirgends für hinreichend gelten lassen – da nahm man seine Zuflucht zu den öffentlichen Sammlungen, die zur Contribution herangezogen wurden.
So sind es nicht ausnahmslos neue Bilder, welche die Ausstellung darbietet, vielmehr blickt uns von ihren Wänden manches uns bereits bekannte Kunstwerk an. Nur in der österreichischen Abtheilung sehen wir durchweg neue Bilder; fehlt es Oesterreich doch an öffentlichen Sammlungen moderner Kunstwerke, deren Schätze hier hätten aushelfen können. Gewinnt nun auch diese Abtheilung durch ihre durchgängige Neuheit einen besonders frischen Charakter, so ist doch nicht zu verkennen, daß sie neben den bereits zu allgemeiner Anerkennung gelangten und vielfach mit den höchsten Preisen ausgezeichneten Kunstwerken der übrigen Abtheilungen einen recht schweren Stand hat. Sie ringt erst um die Anerkennung, während die anderen diese schon längst davongetragen und sie nun gleichsam in der Tasche haben.
Das künstlerische Ergebniß des letzten Jahrzehnts, wie es sich im Künstlerhause dem prüfenden Beschauer darstellt, ist im Ganzen und Großen ein erfreuliches: Allenthalben macht sich ein rüstiges Streben kund, und eine frische Farbenfreudigkeit verkündet von allen Wänden herab das Evangelium der modernen Kunst, dieser eigenthümlichen Culturblüthe unseres neunzehnten Säculums, die keine eigentliche Heimath und eben darum vielleicht auch keinen rechten Stil hat. „Die Kunst hat kein Vaterland,“ sagt ein altes Wort, und wenn dessen Geltung im Allgemeinen auch anfechtbar sein mag, so hat es doch, auf die moderne Kunst angewendet, sicherlich Recht. Es besteht in künstlerischen Dingen eine so innige Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Nationen; es werden gegenseitig so vielfache Anregungen gegeben und empfangen, daß schließlich die Ergebnisse der modernen Kunstthätigkeit eine unverkennbare Familienähnlichkeit aufzuweisen haben. In der That trägt keine der verschiedenen Abtheilungen ein bestimmtes nationales Gepräge; es müßte denn sein, daß man schon in rein zufälligen Aeußerlichkeiten, wie in der Wahl des Motivs oder der Costüme, besonders bemerkenswerte künstlerische Merkmale finden wollte. In einer Hinsicht sind indessen die Abtheilungen, auch von nationalem Standpunkte aus betrachtet, instructiv. Sie zeigen, welche Stellung die Kunst bei den einzelnen Nationen einnimmt, und wir sind es der Wahrheit schuldig, zu bekennen, daß hier Frankreich einen besonders hervorragenden Rang einnimmt. Man sieht auf den ersten Blick, daß da nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der Staat selbst sich der Kunst angenommen hat.
Dem Beschauer wird es sofort zum Bewußtsein gebracht, daß eine Reihe großangelegter Werke der französischen Abtheilung wohl kaum hätte entstehen können, wenn der Staat nicht seine mächtige Hand zur Hülfe geboten hätte, und so kommt es, daß das, was gemeiniglich die „große Kunst“ genannt wird, eigentlich nur in der französischen Abtheilung vertreten ist. Es ist eine andere Frage, ob und wie weit durch die hier ausgestellten Kunstwerke dem wahren Stile der großen Kunst entsprochen worden ist; Thatsache ist es jedoch, daß die fruchtbaren Anregungen von staatlicher Seite nicht zu verkennen sind.
Einen weniger vornehmen, wir möchten sagen, einen demokratischen und anheimelnden Charakter trägt die deutsche Abtheilung, die nach einstimmigem Urtheil am prächtigsten und geschmackvollsten arrangirt ist. Darin sind die Deutschen dieses Mal selbst den Franzosen, die doch sonst Meister des Arrangements sind, entschieden überlegen. Ein gigantischer Baldachin schwebt in dem Saale und breitet seinen Schatten über die Beschauer, während er auf die Kunstwerke selbst das volle Licht sich ergießen läßt. Gewaltige Blattpflanzen bilden pompöse und wohlthuende Folien für erlesene Werke der Bildhauerkunst; wo es sich schicksam thun ließ, wallen reiche Draperien herab, und kostbare Teppiche theilen ihren bescheidenen Farbenzauber der allgemeinen Farbenharmonie des Raumes mit. Von staatlicher Intervention erzählen hier nur einige wenige Bilder, dagegen zeigen sich die mächtigen Impulse mit voller Deutlichkeit, die ein großartiger Kunstmarkt zu bieten vermag. Die deutsche Kunst hat sich einen guten Theil der civilisirten Welt erobert, und sie hat vollauf zu thun, den Ansprüchen und Bedürfnissen dieser zu genügen. – In Oesterreich ist die große Historie fast gar nicht vertreten, eine staatliche Nachhülfe kaum zu bemerken, und was den Markt betrifft, so soll eben, wie bereits gesagt, die jetzige Ausstellung mit dazu helfen, ihn wieder zu erobern.
In einer Zeit, da der Militarismus so ungeheure Opfer verschlingt, muß man sich wohl oder übel damit abfinden, wenn der Staat zur Pflege der großen Kunst nur geringe Mittel übrig hat. In Deutschland und in Oesterreich hat sich die Kunst auch demgemäß eingerichtet und sich an breite Schichten, an die Nation selbst, oder wenigstens an denjenigen Theil derselben gewendet, der empfänglich ist für die Unterstützung idealer Aufgaben und der auch die Mittel dazu hat, sich seinen Kunstsinn etwas kosten zu lassen. Es ist keine höfische Kunst, die sich breit ausladen könnte auf gewaltigen Flächen; es ist eine gute, frische, gesunde und bürgerliche Kunst, für ein gutes Bürgerheim berechnet, dem sie zum Schmucke dienen soll. Wo sie nicht den starken Rückhalt des Bürgerstandes fühlt, da muß sie in’s Stocken gerathen; darum stagnirt hier wie dort die große Historienmalerei und darum kann auch die religiöse Malerei zu keiner rechten Blüthe mehr gelangen. Um so frischer regt es sich auf dem Gebiete des Genrebildes, der Landschaften, des Portraits und des Stilllebens. Die Ausstellung zeigt, daß Deutschland auf allen diesen Gebieten Männer aufzuweisen hat, welche außerordentlich erfolgreich den Besten der alten Meister nachstreben: Lenbach, Menzel, die Brüder Achenbach, Knaus, Vautier, Defregger, Leibl, F. A. Kaulbach – sie alle sind durch glanzvolle Leistungen vertreten; welch eine Summe von Talent und hoher Kunstfertigkeit drückt sich durch diese Namen aus, und wie glorreich mußte eine Ausstellung werden, auf welcher sie und eine lange Reihe anderer begabter und berühmter Kunstgenossen den Ruhm der deutschen Kunst verkünden!
Und Oesterreich! Seine Kunst hat nicht wie die deutsche das große Hinterland, nicht das Publicum und nicht den Markt, und wie wacker und wie rühmlich hat es sich doch behauptet! Canon, Makart, Angeli geben schon durch ihre Namen der Ausstellung einen gewissen Glanz, aber nicht nur mit Namen wird geprunkt, auch wo der Glanz des Namens fehlt, sind in vielen, sehr vielen Fällen durch und durch tüchtige Leistungen geboten worden. Franz Rümpler hat sich den besten deutschen Genremalern, J. E. Schindler den besten Landschaftern zugesellt. Die Brüder Charlemont und die Brüder Ruß, A. Schönn, E. Felix, Fux, L’Allemand, Probst, Tilgner und viele Andere haben ihre beste Kraft eingesetzt, um die österreichische Kunst vor der Welt zu Ehre und Ansehen zu bringen. Und wie hier, so herrscht in allen Abtheilungen das Bestreben vor, die schönste Blüthe der nationalen Kunstthätigkeit vor den Augen der Welt zu entfalten – es ist eine Freude, durch die Hallen der internationalen Kunstausstellung zu schreiten.
- ↑ Eingehendere Mittheilungen über Aufgabe und Inhalt der „Internationalen Kunstausstellung“ finden unsere Leser in der in Wien herauskommenden „Allgemeinen Kunst-Chronik“, welche für die Ausstellung officiell ist und in den Räumen derselben verkauft wird. Wir ergreifen die sich uns hier bietende Gelegenheit, um auf diese von Dr. Wilhelm Lauser mit vieler Umsicht geleitete Zeitschrift angelegentlichst hinzuweisen; es ist das Verdienst des genannten Herausgebers, diese „Chronik“ aus dem beschränkten Gebiete eines Fachblattes auf den höheren Standpunkt eines über allgemeine Angelegenheiten des Kunstlebens orientirenden Organs erhoben zu haben, eines Organs, das weniger das Detail der Kunstproduction, als die allgemeinen und großen Angelegenheiten derselben, also vorwiegend principielle Kunstfragen in den Bereich seiner Betrachtung zieht. Nicht nur ausübende Künstler, sondern auch Kunstfreunde werden in dieser „Chronik“ eine frischsprudelnde Quelle der Belehrung und Anregung finden. D. Red.