Die Kettenschleppschiffahrt auf dem Neckar

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Titel: Die Ketten­schlepp­schiffahrt auf dem Neckar
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aus: Zentralblatt der Bauverwaltung V. 1885, Nr. 35
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst & Korn
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Erscheinungsort: Berlin
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[363]
Kettenschleppschiffahrt auf dem Neckar.

Mit der Ausdehnung der Eisenbahnen und besonders nach der im Jahre 1869 stattgehabten Eröffnung der Großherzoglich Badischen Eisenbahn Heidelberg-Jagstfeld-Heilbronn, trat für die Neckarschiffahrt ein Wettbewerb auf, welcher von den nachtheiligsten Folgen für dieselbe sein mußte. Gegen die billigen Eisenbahnfrachten, die regelmäßige und rasche Güterbeförderung durch die Eisenbahn, konnte die Schiffahrt, welche auf das Schleppen mit Pferden angewiesen war, nicht mehr Stand halten. Da diese Verhältnisse auf den bedeutenden Zwischenhandel Heilbronns, namentlich in Colonialwaren, ferner auf die vielen ansehnlichen gewerblichen Anlagen wegen ihres Bedarfs an Kohlen, und nicht minder auf die Salzwerke Friedrichshall und Wimpfen, welche gleich dem Holzhandel auf eine billige Thalfracht angewiesen waren, schädigend einwirkten, so richtete der Handlungsvorstand von Heilbronn seinen Blick darauf, in welcher Weise der gänzliche Verfall der Schiffahrt aufzuhalten sei. Eine aus dem Jahre 1874 stammende Denkschrift enthält die Ergebnisse der Voruntersuchungen über die Einführung der Kettenschleppschiffahrt. Diese Denkschrift verbreitet sich zunächst über die Bedeutung der Wasserstraße und den Verkehr Heilbronns. Die bereits Jahrhunderte alte Neckarschiffahrt hatte in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen, wie sich aus folgender Zusammenstellung der in Heilbronn angekommenen und abgegangenen Warenmengen ergiebt: [364]

Jahr angekommen abgegangen Gesamtverkehr
1836 283 527 Ctr. 228 686 Ctr. 512 213 Ctr.
1846 318 061 198 317 516 378
1854 806 570 787 305 1 593 875
1867 1 166 703 539 820 1 706 523
1872   1 273 351   1 028 790   2 302 141

(Für 1872 sind Bretter und andere Schnittwaren nicht mehr inbegriffen.)

Da vorzugsweise der Verkehr zu Berg von Mannheim bis Heilbronn in Betracht kommt, so wurde dieser für das Jahr 1871 ermittelt. Es ergab sich, daß der Verkehr in Mannheim mit einer Größe von 1.750.000 Ctr. im Jahre beginnt und durch den Zuwachs in Eberbach und Jagstfeld sich auf 2.000.000 Ctr. steigert. Für den Verkehr zu Thal, welcher sich schwerlich jemals des Dampfschleppers bedienen würde, ist doch insofern eine Schiffahrtsverbesserung von Bedeutung, als mit der Lahmlegung des Güterverkehrs zu Berg naturgemäß die nöthige Schiffsgelegenheit zu Thal fehlen würde. Von Heilbronn sind zu Thal abgegangen im Jahre 1871 rund 1.142.000 Ctr. Ueber den Zuwachs unterwegs sei nur angeführt, daß von den Salzwerken Friedrichshall und Clemenshall im Jahre 1872 800.000 Ctr., von dem Salzwerk Ludwigshall-Wimpfen etwa 175.000 Ctr. Salz verladen wurden. Der Thalverkehr ist also auch zu 2.000.000 Ctr., der Gesamtverkehr zu 4.000.000 Ctr. anzunehmen. Trotz dieser Verkehrsmengen ist die Lage der Neckarschiffahrt, solange Pferde den Schleppdienst besorgten, eine äußerst schlechte gewesen. Es mußten an einen Schiffszug bis zu 6 Pferde hinter einander gespannt werden. Täglich wurden etwa 5 Stunden zurückgelegt. Von Mannheim bis Heilbronn waren 51/2 Tage nöthig, dabei wurden an mindestens drei Stellen Vorspannpferde nöthig. Fünfmal müssen auf dieser Strecke die Pferde von einem Ufer auf das andere übergesetzt werden, dreimal wegen Ueberspringens des Leinpfades auf das andere Ufer, zweimal wegen des Uebernachtens. Welche Nachtheile in einzelnen Fällen dabei möglich sind, bedarf hier keiner eingehenderen Erwähnung.

Zum besseren Verständniß des Gesagten mögen hier einige Angaben über die Stromverhältnisse des Neckars auf der betrachteten Strecke Platz finden. Vom Hafen in Heilbronn bis zur Landesgrenze bei Böttingen beträgt die Länge 24.300 m, von hier bis zur Mündung in den Rhein 89.250 m, somit zusammen 113.550 m. Die Flußsohle besteht meist aus Geschieben des Muschelkalks und Buntsandsteins mit Ausnahme derjenigen Stellen, wo Felsenschwellen vorhanden sind, so bei der chemischen Fabrik in Heilbronn, bei Offenau, Neckarhausen, Felsenberg bei Kleingemünd und in großer Ausdehnung bei Heidelberg.

Der Gesamtfall von Unterwasser der Heilbronner Schleuse bis zur Rheinmündung beträgt bei NW 61,85 m, woraus sich ein Gefällverhältniß von 1:1862 im Mittel ergiebt. Thatsächlich kommen größte Gefälle mit 1:350 und kleinste mit 1:10.000 vor. Bezeichnet man diejenigen Stellen, welche mehr als 1:700 Gefälle besitzen, mit Stromschnellen, so ergiebt sich 1/14 bis 1/15 der ganzen Strecke, nämlich 7840 m als Stromschnelle.

Zu diesen Schwierigkeiten des Längenprofils kommen starke Krümmungen in der Flußlage. Die Wasserstände des Neckars wechseln stark. Der höchste Wasserstand bei Heilbronn beträgt 6,6 m, bei Eberbach 14,6 m, bei der Rheinmündung 7,2 m. Als niedrigstes NW ist dabei angenommen 0,56 m, und man ist bestrebt, letztere Tiefe durch Ausräumungen der Fahrstraße stets offen zu halten.

Für die Schiffahrt sind die niedrigen Wasserstände hinderlicher als die höchsten. Es waren im Jahre 1865 nicht weniger als 210 Tage mit einem Wasserstand unter 0,56 m, während im Jahre 1869 der Wasserstand nur an einem Tage so tief sank. Der Frost hindert die Schiffahrt durchschnittlich jedes Jahr etwa 3 Wochen lang.

Die Geschwindigkeit des Wassers im Stromstrich ist sehr verschieden je nach Gefälle und Wasserstand. In den Stromschnellen tritt die größte Geschwindigkeit bei Niedrigwasser ein und erreicht z. B. bei Wimpffen 3 m. Bei 86 cm Heilbronner Pegel ist in Strecken mit 1:700 Gefälle die Wassergeschwindigkeit etwa 1 m, bei höchstem Fahrwasser aber schon 1,8 m. Die Flußverhältnisse sind also der Schiffahrt nicht besonders günstig, sie hindern dieselbe aber auch nicht übermäßig.

Die erwähnte Denkschrift behandelt nun die einzelnen Mittel zum vortheilhafteren Betrieb der Schiffahrt und kommt dabei zu dem Schlusse, daß weder die Straßenlocomotive auf dem Leinpfad, noch das Dampfschleppschiff oder das Dampffrachtschiff nutzversprechend sind. Die Straßenlocomotive hat, wie der Pferdezug, die Nachtheile des seitlichen Zuges, sodann aber setzt dieselbe andere Wege voraus, als der bestehende, etwa 1,15 m breite, nur mit Ueberwindung größter Schwierigkeiten zu verbreiternde Leinpfad ist, welcher im allgemeinen eines Steinkörpers entbehrt, an manchen Stellen Seitenbäche ohne Brücken überschreitet und vielerorts über fremde Grundstücke führt. Das Dampfschleppschiff erfordert größeren Tiefgang, als der Neckar zuläßt, und seine Nützlichkeit gegenüber der Ketten- oder Seilschiffahrt ist um so geringer, je größer das Gefälle des Flusses. Versuche mit einem Dampffrachtschiff sind schon in früheren Jahren an dem geringen Wasserstand des Neckars gescheitert, sodaß nur noch die Schleppschiffahrt an der Kette oder am Seil in Frage kommen konnte, und zwar nur die erstere, da die Kette einen Tiefgang von bloß 48 cm erfordert, wogegen bei der Seilschiffahrt der Schleppdampfer infolge der seitlichen Anbringung des Seiles zum mindesten 85 cm Tiefgang, also ungefähr 1 m Fahrtiefe, erfordert hätte, die auf dem Neckar nicht stets vorhanden sein würde.

Aus den gutachtlichen Aeußerungen der drei Sachverständigen: v. Martens - Stuttgart, Honsell - Karlsruhe und Bellingrath - Dresden, heben wir folgendes hervor: Die Einträglichkeit der Kettenschiffahrt auf dem Neckar wurde entschieden bejaht. Der Neckar ist nach einer 14jährigen Durchschnittsberechnung von Heilbronn abwärts 324 Tage benutzbar, sodaß mit großer Sicherheit 300 Arbeitstage im Jahre in die Rechnung eingeführt werden können. v. Martens nimmt nun 4,5 km stündliche Geschwindigkeit für die Bergfahrt an; dieselbe erfordert danach 2 Tage, wogegen die Thalfahrt in einem Tage bewerkstelligt werden kann. Dies führt zu einem Bedarf von 3 Kettenschiffen nebst einem Hülfsschlepper, und damit zu einer Anlagesumme von rund 1.300.000 Mark, ferner zu laufenden Jahresausgaben von nahezu 200.000 Mark einschließlich der Abschreibung für die Kette mit 5 pCt., für die Schiffe mit 6 pCt., jedoch ausschließlich der Verzinsung der Anlagekosten. Honsell geht im wesentlichen einig mit dieser Berechnung, während Bellingrath für die Bergfahrt 3 Tage annimmt und für die Bewältigung des gesamten Verkehrs, einschließlich der leeren Schiffe, auf die Nothwendigkeit von 8 Kettenschiffen kommt. Im Jahre 1871 wurden zwischen Mannheim und Heilbronn etwa 280.000 Mark Rittlohn für die beladenen Fahrzeuge und 116.000 Mark für die leeren Fahrzeuge bezahlt. Die Sachverständigen empfahlen nun, die bezahlten Rittlöhne mit einer sofortigen Ermäßigung von 10 pCt. als Schlepplohn anzusetzen, wobei sich schon genügende Verzinsung des Anlagecapitals ergiebt, abgesehen davon, daß der Rittlohn im Steigen begriffen ist. Er betrug 1872 2,5 Pf. für das Tonnenkilometer und ist bis 1874 um ein volles Sechstel gestiegen, also auf 2,8 bis 2,9 Pf.

Trotz alledem bot die Aufbringung der Geldmittel für ein Actien-Unternehmen im Jahre 1874 die größten Schwierigkeiten.

Mit Rücksicht auf den namhaften Wasserverkehr der Salzwerke, der forst- und landwirthschaftlichen Erzeugnisse, sowie mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der unmittelbaren Handelsverbindungen Heilbronns mit den holländischen Seeplätzen, entschloß sich die Staatsregierung, eine Beihülfe in Form einer Zinsgewähr zu übernehmen. Ein hierauf bezügliches Gesetz erhielt am 1. Juli 1876 die Genehmigung der Kammern, sodaß die Einladung zur Zeichnung von fünfprocentigen Actien im Betrage von 1.800.000 Mark erlassen werden konnte. Die Stadt Heilbronn beförderte das Gelingen des Ganzen durch Zeichnung von 200.000 Mark. Am 25. Juli 1877 konnte bereits die erste Hauptversammlung einberufen werden, welche die Anschaffung der 113 Kilometer langen Kette, sowie den Bau von vorläufig 6 Ketten-Dampfschiffen beschloß.

Am 22. Mai 1878 wurde die Eröffnungsfahrt mit dem ersten Kettendampfer unternommen. Der fünfte Dampfer ward erst 1880 gebaut, der sechste Dampfer im vergangenen Jahr. Die von der Nützlichkeit des Unternehmens gehegten Erwartungen trafen ein. Es wurden befördert

Jahr Fahrzeuge Ladung
leere beladene Centner
1878, 2. Hälfte 751 1620 1 194 700
1879 2522 2342 1 911 800
1880 3769 2663 2 178 900
1883 4835 2802 2 523 180
1884 4380 2409   1 880 060

An Schlepplohn wurde eingenommen

1878 . . . 118 660
1879 . . . 226 244
1880 . . . 288 166
1883 . . . 359 642
1884 . . . 303 684
also für das Kettenschiff im Nutztag . . . 233,54 bis 216,45
für das Zugkilometer . . . 7,83 7,38

[365] An Renten wurden vertheilt

1878 = 51/2%, 1883 = 62/3% und 1884 = 5%

für den jeweils eingezahlten Actienbestand.

Die Herabminderung des Verkehrs und der Einnahmen von 1884 erklärt sich aus der großen Trockenheit dieses Jahres. Schon im Januar begann der Wasserstand stetig abzunehmen und erreichte am 12. August seinen niedrigsten Stand mit 45 cm. Nach leichter Anschwellung sank er am 28. September abermals auf 45 cm, betrug Ende November 54 cm und am 21. December war der höchste Wasserstand mit 2,00 m erreicht. Die langanhaltende Trockenheit brachte mit sich, daß die Landwirthe dem Neckar und dessen Nebenflüssen zur Bewässerung der Wiesen große Wassermengen entzogen, was zum Fallen des Neckarwasserspiegels ungemein viel beitrug. Das Aufstauen der Wasserwerke zur Nachtzeit und an den Sonntagen machte sich ebenfalls geltend, sodaß die unterwegs befindlichen Züge und Thaldampfer häufig da liegen bleiben mußten, wo sie abends zuvor eingetroffen waren, bis das von den Werken zurückgehaltene Wasser wieder frei wurde und den Neckar erreichte. Die Dampfer wurden entsprechend dem Wassermangel nach Möglichkeit durch Herausnahme aller zum Betrieb nicht unbedingt nöthigen Theile und durch Beförderung von Kohlen, Trosse u. s. w. in besonderen Tenderschiffen erleichtert, wodurch es gelang, den Betrieb während der ganzen Zeit aufrecht zu erhalten, mit Ausnahme jener Tage, wo der Wasserstand unter 50 cm gesunken war und damit der Schiffahrtsbetrieb überhaupt unmöglich wurde.

Wir behalten uns vor, über den Betrieb der Schleppschiffahrt im einzelnen, sowie über die baulichen und Maschinen-Einrichtungen für dieselbe später zu berichten.