Die Kindheit eines Riesen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Johannes Scherr
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Kindheit eines Riesen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25–26, S. 410–412, 434–439
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[410]

Die Kindheit eines Riesen.

Von Johannes Scherr.
I.

Das falbe Frühlicht vom 9. November des Jahres 1620 beschien die flache Küste von Neu-England da, wo das Kap Cod in die See vorspringt. Es war ein rauher Spätherbsttag, Vorbote eines zeitig eintretenden Winters. Der kräftige Hauch des Morgenwindes regte die Gewässer der Bai zu rauschendem Wellengang auf und jagte die Nebelschwaden durch das dichte Gezweige der Tannen, Fichten und Wachholderbäume, aus welchen der jungfräuliche Urwald bestand, der das Gestade weithin bedeckte. Ueber der Oede von Land und Meer lastete ein bleigrauer Himmel, und Himmel und Erde, Luft und Wasser vereinigten sich zu einem trostlosen Bilde von Verlassenheit und Unwirthlichkeit.

Da regte sich draußen auf der Wassersteppe etwas wie der Flügelschlag einer großen Möve. Dann näherte sich das weiße Geflatter mehr und mehr, und so jemand am Ufer gestanden, hätte er bald den aus dem Gewoge auftauchenden schwarzen Rumpf eines Barkschiffes gewahren können, welches unter vollem Segelwerk vom Osten daherkam, um hierauf, in die Bai eingelaufen, vorsichtig die Segel zu reffen und zu laviren, wie ungewiß, wo es einen guten Ankerplatz finden könnte.

Das Schiff hieß die „Mayflower“ (Maiblume), welche am 6. September aus dem Hafen von Plymouth in England ausgelaufen und jetzt nach einer langen und mühsäligen Fahrt über den Ocean an der Küste von Neu-England angelangt war. Sie hatte an ihrem Bord 120 Auswanderer, Männer, Frauen und Kinder zusammengezählt, und die Männer waren jene „Puritaner“, welche im Verein mit ihren Spuren folgenden Glaubens- und Schicksalsgenossen die Neu-Englandstaaten, also den eigentlichen Kern der Vereinigten Staaten von Nordamerika, gegründet und denen ihre Nachfahren den patriarchalisch-pietätvollen Ehrennamen der „Pilger-Väter“ (pilgrim fathers) gegeben haben.

Und mit Fug und Recht durften sie so heißen. Denn sie „pilgerten“ ja, in ihrer Sprache zu reden, aus dem „Gosen der Unterdrückung“, wozu ihnen ihre Heimath England geworden war, nach dem „Lande der Verheißung“, in die pfadlose Fremde, voll von Mühsalen, Entbehrungen und Gefahren, aber für sie eine Stätte, allwo sie hoffen durften, frei zu sein von prälatischer Unterdrückung und königlicher Verfolgung. Im Kopfe die Bibel, deren Inhalt ihnen göttliche Offenbarung war, in der einen Hand Axt und Spaten, in der andern Büchse und Schwert, so gingen diese Männer, geschnitzt aus demselben angelsächsischen Eichenholz, aus welchem ein Cromwell und seine „Eisenseiten“ gehauen waren, an ihre Gründerarbeit, vielleicht die glorreichste, welche jemals gethan worden ist auf Erden. Denn – so hat die deutsche Geschichtschreiberin der Kolonisation von Neu-England[1] wahr und treffend bemerkt – „kein Staat in der Welt kann sich einer so rein moralischen Basis rühmen wie diejenigen der nordamerikanischen Freistaaten, die jetzt unter dem gemeinsamen Namen von Neu-England begriffen werden[2]. Ruhmsucht, Herrschbegierde und der edle Drang nach Unabhängigkeit haben Reiche gestiftet, Ehrgeiz und Golddurst haben neue Regionen entdeckt und erobert; aber keines dieser Motive, wie Großes sie auch sonst immer hervorgebracht, hatte Antheil an dem Entschluß des Häufleins heldenmuthiger Männer, die das Vaterland mit einer Wildniß vertauschten, um Gott einen Tempel zu bauen, in welchem allein sie ihn nach ihrem Gewissen anbeten zu können glaubten, und in Formen, die sie allein dem Höchsten wohlgefällig glaubten.“

Wer waren diese überzeugungstreuen Idealisten, diese kühnen Sektirer, diese „Puritaner“, in deren Gedanken und Gefühlen das Diesseits und Jenseits des christlichen Glaubens eng sich verwob und welche darum ihren Tempel auch zu ihrem Staat, ihr religiöses Vorstellen zugleich zur höchsten Norm ihrer politischen und socialen Existenz zu machen suchten und wußten? Es waren Männer und Frauen, die, zumeist aus dem Mittelstande Englands hervorgegangen, an der Gestaltung, welche die Reformation in ihrem Lande gewonnen, also an der anglikanischen Hof- und Staatskirche („high church“) keinen Gefallen und kein Genüge gefunden und deßhalb von dieser Kirche sich getrennt hatten. Die Entstehung des Puritanismus ist fraglos den wichtigsten weltgeschichtlichen Thatsachen beizuzählen. Nicht allein, weil der Puritanismus die große englische Revolution durchkämpfte, welche mit der Hinrichtung Karls des Ersten, des meineidigen Stuarts, ihre Höhepunkt erreichte, sondern auch und noch mehr darum, weil der Puritanismus es war, welcher die politischen Konsequenzen der Reformation zog, indem er die transatlantische Demokratie stiftete.

Es gibt bekanntlich wenige Dinge, die schmutziger wären als Ursprung und Verlauf der Reformation in England. Ein wüster Tyrann, der Weibermörder Heinrich der Achte, vollzog aus Wüstlingsmotiven den Bruch mit dem päpstlichen Stuhl, welchen er noch kurz zuvor gegen Luther vertheidigt hatte. Das ganze Reformwerk beschränkte sich vorerst darauf, daß der dicke Heinz sich zum englischen Papste machte. Denn im übrigen wurde so ziemlich der ganze römisch-katholische Apparat noch beibehalten: Fegfeuer, Anrufung der Heiligen, Abendmahl in einer Gestalt, Bilderverehrung, Ohrenbeichte, Todtenmessen, Priestercölibat. Erst unter Heinrichs Nachfolger Edward dem Sechsten wurde das Reformwerk weiter geführt. Dann kam der große katholische Rückschlag unter der Regierung der „blutigen“ Mary und diesem folgte wiederum der reformistische Vorschritt unter der Königin Elisabeth. Im ganzen und großen macht die englische Reformation einen sehr unerquicklichen Eindruck. Sofern sie in Gestalt der Umbildung des Katholicismus zum Anglikanerthum, d. h. zur Hochkirche, zur englischen Hof- und Staatskirche, sich darstellt, war sie in dogmatischer Beziehung eine Halbheit, in socialer geradezu eine Gemeinheit. Denn die sklavenhafte Ergebung, die kriechende Schmeichelei, die lumpige Heuchelei, womit wir in dieser Periode die ungeheure Mehrheit der Engländer, vorweg aber die englische Aristokratie, die Aussprüche und Ansprüche ihrer jeweiligen Könige und Königinnen als unfehlbar anerkennen und religiöse Grundsätze oder wenigstens Bekenntnisse wechseln sehen wie Handschuhe, haben in der ganzen Geschichte des Christenthums an Schmach kaum ihres Gleichen. Es war den Puritanern vorbehalten, ihre Landsleute jenes Heldenthum des Glaubens und der Ueberzeugung zu lehren, welches nicht allein, so es sein muß, freudig in den Tod geht, sondern auch alle Kräfte des Lebens aufbietet, um über entgegenstehende Meinungen und Mächte den Sieg zu erlangen.

Der Puritanismus hatte übrigens nicht England zur Geburtsstätte. Sein Ursprung war vielmehr ein festländischer. Unter dem Schreckensregiment der blutigen Maria waren mehrere Hunderte von Engländern, welche sich nicht zum römischen Papismus zurückbekehren lassen wollten, nach dem Festland entwichen und diese Flüchtlinge, worunter sich Männer von hoher Bildung, von Rang und Reichthum befanden, hatten in Frankfurt a. M., in Straßburg, Basel, Zürich und Genf die Anschauungen und Lehren Luthers, Zwingli’s und Kalvins kennen gelernt. Demzufolge waren sie einer tieferen und strengeren Auffassung der Reform in Lehre und Kult zugeneigt worden, als der Anglikanismus sie bekannte und wollte. Unter der Regierung Elisabeths wieder heimgekehrt, fanden sie sich demzufolge bald im Widerspruch zur Hochkirche. Sie ihrerseits forderten eine kirchliche Genossenschaft, welche, wie sie sich ausdrückten, „pur und simpel“, nach den Vorschriften des Urchristenthums, des apostolischen Christethums eingerichtet und geleitet werden sollte. Heißsporne unter ihnen standen auch nicht an, die Hof- und Staatskirche als antichristlichen Papismus zu bezeichnen und dieselbe ein „prälatisches Mastschwein“ zu schelten. Man kann sich leicht vorstellen, wie die Ausschlachter dieses „Mastschweins“, die anglikanischen Erzbischöfe, Bischöfe und Dechanten, unter sothanen Umständen gegen die Puritaner gesinnt sein mußten. Denn also nannte man die Sektirer, vonwegen [411] ihres „pur und simpel“, oder auch hieß man sie Non-Konformisten, weil sie mit der Hochkirche nicht übereinstimmend, nicht konform waren.

In demselben Maße nun, in welchem der Puritanismus in den bürgerlichen Mittelklassen der Städte und unter den bäuerlichen Freisassen auf dem Lande größeren Anhang fand, ging die High-Church, welche ja an Unduldsamkeit keiner der übrigen christlichen Kirchen nachstand, alsbald mit Verfolgungen gegen ihn vor. Die Päpstin der Hof- und Staatskirche aber, die „jungfräuliche“ Königin Elisabeth, ließ diese Verfolgungen um so lieber und um so nachdrücklicher betreiben, als der Puritanismus von Anfang an große Neigung verrieth, wie das Verhältniß des Menschen zu Gott, so auch das Verhältniß der Völker zu den Königen näher zu untersuchen und in einem Sinn aufzufassen und zu bestimmen, welcher von dem herkömmlichen, gläubig-kritiklosen bedeutend abwich. Um es kurz zu sagen: im Puritanismus lagen starke Keime des Republikanismus, und Elisabeth, die richtige Tochter ihres Vaters, d. h. Despotin durch und durch, hatte das bald herausgewittert. Sie fuhr daher auf’s schärfste gegen die puritanische Sekte vor und bestellte, um die Konformität in Glaubenssachen zu erzwingen, einen sogenannten „Geistlichen Hohen Gerichtshof“, welcher mit gränzenloser Willkür, die Landesgesetze gänzlich mißachtend, amtete und geradezu ein protestantisches Inquisitionstribunal war. Der Druck, unter welchem die Puritaner demzufolge schmachteten, währte auch unter Jakob dem Ersten fort. Dieser Jämmerling von König, an dessen Hof ein solches Lotter- und Lasterleben im Schwange ging, daß nicht nur die Hofherren, sondern auch die Hofdamen am hellen Tage betrunken in Whitehall herumtaumelten, betrieb die Verfolgung der Nichtkonformisten, die Peinigung des „Puritaner-Gesindels“, so recht wie eine persönliche Liebhaberei. Sein Sohn Karl zahlte dann am 30. Januar von 1649 auf dem vor den Fenstern des Bankettsaals von Whitehall errichteten Schaffot die Buße dafür, wie für die eigenen Sünden. Doch für den Puritanismus

„War Verfolgung nur die Kelter,
In die das Schicksal alles Große presst“ –

und das Produkt dieser Kelterung ist die transatlantische Demokratie gewesen, obzwar erst nach einem langen und schweren Gährungsproceß gewonnen. Zunächst war dieser trüb genug. Denn wenn allerdings die Verfolgung den Puritanismus stärkte und härtete, so verdunkelte sie ihn auch, indem sie ihm eine düster-fanatische Färbung gab, ihn mit einer einseitigen Vorliebe für alttestamentliche Anschauungen und mit einer blinden Feindseligkeit gegen das Freudige und Schöne im Leben wie in der Kunst erfüllte.

Aber die finstere Grübelei, in welcher die Puritaner sich gefielen, beraubte sie keineswegs der Thatkraft. Das bewiesen sie, sobald mit der Thronbesteigung Karls des Ersten (1625) der große Kampf zwischen Königswillkür und Volksrecht in England zum Ausbruch kam. Puritanische Thatkraft war es, welche dann auf dem Marstonmoor und bei Naseby den falschen Stuart und dessen „Kavaliere“ zu Boden schlug. Noch früher war die Energie der Puritaner zu einem Entschluß gelangt, dessen Ausführung von weltgeschichtlicher Bedeutung werden sollte, zu dem Entschluß der Auswanderung nach der Neuen Welt. Diese Absicht zu verwirklichen war aber nicht so leicht. Denn, seltsam zu sagen, auf die Verweigerung der „Konformität“ war zwar die Strafe der Verbannung gesetzt, allein die Selbstverbannung, die freiwillige Auswanderung der Nichtkonformisten wurde für höchst strafbar angesehen und demzufolge mit allen Mitteln zu verhindern gesucht. Die Tyrannei, ob von oben- oder von untenher geübt, hat sich zu keiner Zeit um die Logik gekümmert. Die Puritaner mußten also ihre Vorkehrungen zur Auswanderung mit größter Heimlichkeit treffen, sie mußten sich unter mancherlei Gefahren geradezu fortstehlen aus ihrem Heimatland. Hierbei war ihnen die Nähe der Küsten von Holland sehr von Nutzen. Dort suchten und fanden viele Puritaner eine Zufluchtstätte; auch solche, welche keinen bleibenden Aufenthalt daselbst beabsichtigten, sondern nur auf sicherem Boden ihre letzten Vorbereitungen zur Uebersiedelung nach Amerika ins Werk richten wollten.

Und auf welchen Landstrich jenseits des Oceans zielten die Wünsche und Pläne dieser Heimatflüchtigen? Auf die nördlicheren Gegenden des nördlichen Kontinents von Amerika. Dort war der erste von engländischer Seite gemachte Versuch, eine Ansiedelung zu gründen, mißlungen und infolge dieses Mißlingens hatten die Engländer jene weiten Küstenstriche dem Unternehmungseifer anderer Völker, namentlich der Franzosen und Holländer, überlassen. Erst zur Zeit der Königin Elisabeth geschah es, daß in England die transatlantischen Besitzergreifungsabsichten und Besiedelungspläne wieder ernstlich aufgenommen und vor allen durch die beiden energischen Brüder Gilbert und Walter Raleigh theilweise zur Ausführung gebracht wurden. Nachdem Gilbert 1583 Neufundland im Namen der Königin Elisabeth in Besitz genommen hatte, that Walter im folgenden Jahre das Gleiche inbetreff des gewaltigen Landstrichs, welcher jetzt einen großen und wohl den schönsten Theil der Vereinigten Staaten ausmacht. Diesem ganzen ungeheuer ausgedehnten, zwischen dem 34. und 45. Grad nördlicher Breite gelegenen Gebiete gab die Königin Elisabeth in selbstgefälliger Eitelkeit ihrer „Jungfräulichkeit“ zu Ehren den Namen Virginia. Vorerst blieb es bei dieser Besitzergreifung und Benamsung und erst unter der Regierung Jakobs des Ersten bildete sich i. J. 1606 in London eine aus Edelleuten und Kaufleuten bestehende Aktiengesellschaft behufs der Kolonisirung von Virginien. Das Unternehmen, schlecht geleitet, mißlang und es blieb den Puritanern vorbehalten, in jenen Gegenden nicht nur die Flagge Englands, sondern auch das Banner der Civilisation aufzupflanzen und aufrechtzuhalten.

Die Grundleger aber dieser in die Neue Welt verpflanzten angelsächsisch-germanischen Civilisation, die Pfadfinder der puritanischen Emigration waren die Insassen der „Maiblume“, welche am 9. November von 1620 in der Bai vom Kap Cod vor Anker ging oder, genauer gesprochen, lavirte, um einen sichern Ankergrund zu finden, was erst zwei Tage später gelang.



Dieser 11. November von 1620 war ein Sonnabend und er ist Zeuge eines höchst unscheinbaren und dennoch weltgeschichtlichen Vorgangs gewesen.

Nachdem nämlich die „Maiblume“ endgiltig Anker geworfen hatte, hielten die Puritaner am Bord vor allem einen Gottesdienst ab. Natürlich in ihrer schlichten Weise. Sie versammelten sich mit ihren Frauen und Kindern auf dem Deck des Schiffes, stimmten einen Psalm an, knieten dann nieder, um in inbrünstigem Gebet Gott für ihre glücklich vollbrachte Ueberfahrt in die Neue Welt zu danken, und beschlossen die Feier wiederum mit einem Psalm. Hierauf verschritten sie zur Erledigung eines großen weltlichen Geschäfts. Denn das ja war das Auszeichnende dieser Idealgläubigen oder, wenn man will, dieser Fanatiker, daß sie mit ihrer religiösen Begeisterung einen offenen Sinn für das Reale, einen scharfen Blick und eine praktische Hand für das Nothwendige und Zweckdienliche verbanden.

Das Nothwendige und Zweckdienliche war nun zuvörderst die Feststellung der Grundsätze und Normen, welche bei der beabsichtigten Gründung einer Ansiedelung ihnen zur Wegleitung dienen sollten. Es mußte hierüber eine feste Vereinbarung getroffen werden, um so mehr, als während der langen Meerfahrt allerlei Verstimmungen und Uneinigkeiten in die kleine Schar sich hatten einschleichen wollen. Die Führer, welche solche nur waren infolge vorragender Eigenschaften wie infolge stillschweigender Anerkennung vonseiten ihrer Gefährten, sie hatten erkannt, daß vor allem für die Kolonisten eine feste Ordnung aufgerichtet werden müsse. Diese Gründer der amerikallischen Demokratie waren keine unreifen Lotterbuben, wie sie in unseren Tagen unter demokratischer Maske massenhaft grassiren, sondern vielmehr ernste Männer, welche gar wohl wußten, daß nicht in der Anarchie, sondern nur in der Ordnung die Freiheit zu suchen und zu finden wäre.

Die 41 Männer traten in der Kajüte zusammen und verfassten und beriethen einen Verfassungsentwurf, welcher schließlich einstimmig angenommen und von allen unterzeichnet wurde in dieser Form: – „Im Namen Gottes, Amen. Wir, deren Namen unterschrieben sind, die loyalen Unterthanen unseres furchtbaren (dread) Königs Jakob, die wir zur Ehre Gottes, zur Verbreitung des Christenglaubens, zum Ruhm auch unseres Königs und unseres Landes eine Fahrt unternommen haben, um die erste Ansiedelung in den nördlichen Theilen von Virginia zu gründen, wir vereinigen und verbinden uns kraft dieser Urkunde in Gegenwart Gottes und eines jeden von uns vor dem andern feierlich zu einem [412] bürgerlichen Gemeinwesen, um die Ordnung zu erhalten und alle Mittel aufzubringen, welche zur Förderung der oben angegebenen Absichten dienlich sind. Zu diesem Zwecke werden wir nach Erforderniß der Zeit und Umstände solche gerechte und billige Gesetze, Beschlüsse, Verfügungen und Aemter aufstellen; ergehen lassen, festsetzen und einrichten, welche für das allgemeine Beste der Kolonie werden für nöthig und passend erachtet werden und denen wir hiermit allen gebührenden Gehorsam und alle pflichtmäßige Unterwerfung geloben.“

Prüfen wir das Aktenstück genau, so werden wir finden, daß wir es in dieser „ersten demokratischen Verfassungsurkunde der Neuen Welt“, wie man ja wohl dasselbe genannt hat, nicht mit hochklingenden Phrasen zu thun haben, sondern mit der schlichten Herzensmeinung praktischer Männer, welche das, was sie dachten und sagten, auch zu thun entschlossen waren. Ebenso, daß der berühmte Geschichtschreiber der Vereinigten Staaten berechtigt war, über das Geschehniß vom 11. November 1620 zu bemerken: „Dies war die Geburt der volksthümlichen Freiheit. Das Mittelalter hatte auch Charten und Verfassungen gekannt, allein das waren bloße Verträge über Steuerbefreiungen, besondere Freiheiten oder Bevorzugungen, Adelspatente, Gewährungen städtischer Vorrechte oder Einschränkungen der fürstlichen Gewalt zu Gunsten von feudalen Instituten gewesen. In der Kajüte der ‚Maiblume‘ dagegen gewann die Menschheit ihre Rechte wieder und wurde eine Gesellschaftsordnung aufgerichtet, welche auf gleiche Rechte und Pflichten aller gegründet war und das ‚allgemeine Beste‘ zum Zwecke hatte.“[3] Zum erstenmal in der Weltgeschichte erschien hier als Staatsbasis die absolute Rechtsgleichheit und als Staatszweck das allgemeine Wohl. Im übrigen betrachteten sich die Pilgrime der „Maiblume“ noch als Unterthanen der englischen Krone und war das in dem Dokument auch ausdrücklich erwähnt. Allein es war, wie die Sachen lagen, eine Naturnothwendigkeit, daß dieses Verhältniß nur eine theoretische Bedeutung haben konnte und daß in der Praxis die neue Ansiedelung von Jahr zu Jahr mehr im demokratisch-republikanischen Sinne sich entwickeln mußte. Von diesem Sinn und Geist lieferten die Einundvierzig der „Maiblume“ sofort einen thatsächlichen Beweis, indem sie einen aus ihrer Mitte, den John Carver, zu ihrem Oberhaupt wählten und zum „Governor“ der zu gründenden Kolonie auf Jahresdauer bestellten. Den Rest des Tages verbrachten sie damit, ihre Waffen in Stand zu setzen, ihr Gepäck zu lüften und überhaupt alles zur Landung vorzubereiten. Doch hatte diese am nächstfolgenden Tage noch nicht statt, wie sehr sich auch alle aus der Enge des Schiffes an’s Land sehnen mochten. Denn dieser Tag war ein Sonntag oder, wie die Puritaner lieber sagten, ein Sabbath, dessen strenge und stille Feier die gewissenhaften Sektirer unter allen Umständen zu halten für eine unumgängliche religiöse Pflicht ansahen[4].

Am Montag machte sich nun zunächst eine Schar entschlossener Männer auf, an’s Land zu gehen und dasselbe auszukundschaften. Sie thaten dies unter der Führung von Miles Standish, der früher Officier gewesen, ein erfahrener Kriegsmann war und in seinem kleinen unansehnlichen Körper, welcher ihm den Spitznamen Hauptmann Knirps (eigentlich Schrumpf, captain Shrimp) eintrug, doch Raum hatte für eine heldische Seele. Man hat ihn mit Fug den Ritter der ersten neuenglischen Kolonie genannt, denn überall, wo es Gefahren zu bestehen galt, war er voran und Führer, ebenso entschlossen und tapfer, als kaltblütig und umsichtig. Die Kundschafter streiften etliche Tage lang an den Küsten hin und landeinwärts durch die Wälder. Auf diesen Streifzügen gelangten sie auch, wie einer gemeldet hat, in „ein tiefes Thal, wo wir nur mühsam durch das hohe Gras und das dichte Buschwerk dringen konnten. Ein Reh sprang auf und eine schöne Wasserquelle sprudelte empor. Das machte uns herzliche Freude. Wir setzten uns nieder, tranken das erste Wasser aus dem Boden von Neu-England und niemals hatte uns ein Wassertrunk also geschmeckt.“ Im übrigen war es ein schwieriges Wandern in der winterlichen Wildniß, die schneebedeckten Hügel auf und ab oder durch pfadlosen Urwald. Mehr als einer der muthigen Männer hat sich bei diesen mehrere Wochen lang fortgesetzten Erkundungen nach zur Ansiedelung geeigneten Oertlichkeiten den Keim zu frühzeitigem Tode geholt. Einmal hatten sie auch den mit einem Pfeilhagel eröffneten Angriff eines schweifenden Indianerhaufens abzuweisen, welchen aber eine einzige Salve aus den Feuergewehren in die Flucht sprengte.

Das Gesammtergebniß der Auskundschaftungen war nicht gerade sehr ermuthigend, doch auch nicht gerade abschreckend. Viel Wald überall. Auch Anzeichen, daß der Boden nicht eben gar fruchtbar. In den Gewässern der Bai jedoch eine Fülle von Fischen und in den Wäldern am Gestade eine Fülle von Jagdwild. Spärliche Spuren von indianischer Bevölkerung, welche früher hier zahlreicher gewesen sein mußte, wie verschiedene Begräbnißplätze anzeigten. Jetzt nur da und dort ein indianischer Wigwam sichtbar und in der Nähe dieser Hütten mit Mais bepflanzte Felder. Endlich allenthalben vortreffliches Quellwasser, worauf die nüchternen Puritaner großen Werth legten. Da nun die rauhe Jahreszeit längeres Forschen, Besinnen und Zaudern verbot, beschloß die Gemeinde, die endgiltige Landung zu bewerkstelligen und auf einer erhöhten Bodenfläche am Ufer die erste neuenglische Kolonie zu gründen.

Am 11. December alten oder am 21. neuen Stils wurde gethan, wie beschlossen. Dieser Decembertag, ein Montag, heißt in Neu-England und in der ganzen Union der „Pilgerväter- oder Vorvätertag“ und gilt für einen Feiertag. Der Felsvorsprung, auf welchen die Pilgrime zuerst die Füße setzten, galt und gilt noch jetzt für heiligen Boden und heißt der „Vorväterfels“. Nach einem Dankgottesdienst für glücklich vollbrachte Landung begannen sofort die Besiedelungsarbeiten, welche sich vor allem auf die Erbauung eines gemeinsamen Vorraths- und Versammlungshauses richteten. Die Umgränzung und Ausmessung der Ansiedelung wurde vollzogen. Sie sollte den Namen Neu-Plymouth tragen in dankbarer Erinnerung an die Hafenstadt Plymouth daheim, von welcher die Pilgrime ausgesegelt waren. Ein Hügel, an der Peripherie des besetzten Stück Landes gelegen, wurde zur Anlage eines Fort bestimmt. Die ganze Genossenschaft theilte der Governor und seine Aldermen in 19 Familien, denen sich „zur Wahrung guter Sitte“ auch die einzelnen Ledigen anzuschließen hatten. Jeder Familie wurde sodann ein der Zahl ihrer Mitglieder entsprechender Bauplatz sammt dazu gehörigem Grund und Boden angewiesen und zwar durch das Loos. Auf der ihr durch dieses zugetheilten Stätte mußte jede ihr Haus bauen, d. h. aufblocken; denn nur von primitiven Blockhäusern konnte ja zunächst die Rede sein.

So hob, an der Schwelle des Jahres 1621, die Gründung von Neu-Plymouth an. Das von einem der vorragendsten der Pilgerväter, William Bradford, geführte Tagebuch gewährt uns einen deutlichen Einblick in die furchtbaren Mühsale, Anstrengungen und Leiden, welche über die kleine Schar muthiger Männer und wackerer Frauen hereinbrachen, die es unternahmen, der Wildniß eine neue Heimat abzuringen. Ihre schwerste Prüfungszeit waren die drei erste Monate des neuen Jahres. Viele erkrankten, manche starben. Mitunter waren die Ueberlebenden und Gesunden so schwach, daß sie kaum Kraft genug besaßen, die Todten zu begraben. Aber sie hielten aus. Sie setzten all der Sorge, Noth und Erschöpfung einen Heldenmuth entgegen, dessen unerschöpfliche Quelle ihre religiöse Ueberzeugung war. Hier, wenn irgendwo und irgendwann wurde die Wahrheit offenbar, daß zur Schaffung von Großem immer ein Stück Fanatismus erforderlich ist. Nur Puritaner des 17. Jahrhunderts vermochten mit so kärglichen Mitteln die ersten Kolonien von Neu-England zu gründen. Ohne die kräftige Seelenspeise, welche ihm sein felsenfester Glaube gab, hätte der nachmalige Riese der transatlantischen Republik seine drangsälige Kindheit nicht durchzukämpfen und durchzuleiden vermocht. Alles angesehen, war die puritanische Gründung der Pflanzstaaten von Neu-England ein Triumph des Idealismus, wie es einen zweite kaum gibt.

[434]
II.

Zwischen der Art und Weise, wie Mittel- und Südamerika durch Eroberer und Ansiedler von romanischer Rasse und Nordamerika durch Einwanderer und Ansiedler von germanischer Rasse kolonisirt worden sind, bestand ein schroffer Gegensatz. Man hat denselben auf die bündige Formel gebracht: Gold und Weizen – und ich erweitere diese Formel um etwas, indem ich ihren drei Worten drei andere anfüge: Abenteuer und Arbeit.

Bei den Spaniern und Portugiesen – theilweise auch bei den Franzosen, wenigstens in Westindien – war alles auf waghalsige Abenteuer und auf rasche, glänzende Erfolge gestellt, welche hinwiederum die Erraffung von möglichst viel Gold als höchstes Ziel verfolgten. Die germanischen Kolonisten dagegen steckten sich von Anfang an Ziele, welche nur mittels dauerhafter Arbeit erreicht werden können. Sie gingen auf die Gründung von Ackerbaustaaten aus, und weil der Ackerbau allzeit und überall die solideste Basis von Staatsgebilden war und ist, so überholten die in ihren Anfängen so ärmlichen germanischen Kolonieen im Verlaufe der Zeit an wirklich großen und bleibenden Erfolgen ihre romanischen Mitbewerber weit. Man sehe nur, was die Spanier aus Mittel- und Südamerika gemacht haben und was die Angelsachsen aus Nordamerika zu machen verstanden. Die Losung: Arbeit und Weizen! mußte es über die Losung: Abenteuer und Gold! davontragen. Es konnte gar nicht anders kommen.

In der Zeit von 1621 bis 1627 war die Kolonie Plymouth in langsamem, aber stätigem Vorschritt begriffen. An mancherlei Drang- und Trübsalen fehlte es freilich nicht, und im ganzen war die Existenz der Ansiedler ein unausgesetztes und hartes Ringen um des Lebens Nothdurft. Die Tag- und Jahrbücher dieser und der anderen ältesten Ansiedelungen überhaupt haben etwas Rührendes und Herzgewinnendes, wenn sie die täglichen Geschehnisse in diesem schweren Kampf ums Dasein erzählen. Das Wollen und Thun, alle die schlichten Erlebnisse und Erfahrungen der Pilgrime, dieser trefflichen, aufrichtig und wahrhaft, wenn auch einseitig und fanatisch frommen Männer und Frauen, treten uns menschlich viel näher als alle die farbenprunkenden Abenteuer der spanischen „Conquistadoren“ in Mexiko und Peru. Mitunter spricht uns in den Aufzeichnungen der Pilgerväter auch ein idyllisch-schalkhafter Zug wohlthuend an. So, wenn der tapfere Standish, nachdem er seine Gattin Rose durch den Tod verloren, sich nach einem Ersatz umsieht und als seinen Brautwerber den stattlichen jungen John Alden zur schönen Jungfrau Priscilla Mullins schickt. John entledigt sich gewissenhaft seines Auftrags und spricht warm für seinen Freund, den Captain Shrimp. Priscilla nimmt in Gegenwart ihres Vaters den ehrenden Antrag entgegen, blickt zu Boden und schweigt eine Weile. Dann hebt sie die Augen, sieht den Freiwerber lächelnd an und sagt: „Aber, John, warum sprecht Ihr denn nicht lieber für Euch selbst?“ Der glückliche John schreibt sich das hinter die Ohren, überbringt den abschlägigen Bescheid des Mädchens seinem Auftraggeber und verheiratet sich unlange darauf mit Priscilla. Captain Shrimp speit Feuer und Flamme, ergibt sich aber in die vollendete Thatsache, findet unter den neuen Ankömmlingen aus dem Mutterland ebenfalls eine passende Gattin und später haben er und John Alden ihre Kinder einander zur Ehe gegeben. Auch an komischen Zügen fehlte es nicht, obgleich dieselben nur uns Nachgeborenen komisch vorkommen mögen. So waren z. B. die Hergänge, als die Puritaner von Plymouth mit dem Sachem (Häuptling) des ihnen zunächst wohnenden Indianerstannnes in Verbindung traten, wobei ein Indianer, Squanto geheißen, den Dolmetscher machte. (Er war nämlich durch die Mannschaft eines englischen Schiffes, welches früher diese Küsten angelaufen, entführt worden, hatte in England englisch gelernt und war mit den Pilgrimen in sein Heimatland zurückgekehrt.) Der gemeinte Sachem, Massasoit benamset, stand dem Stamme der Wampanogen vor, einem Zweige der Pokanoketen. Eines Tages, im Frühling von 1621, erschien er mit einem Gefolge von 20 „Kriegern“ in der jungen Ansiedlung. Sein An- und Aufzug hatte nicht die geringste Aehnlichkeit mit der prunkvollen Erscheinungsweise der Herrscher von Mexiko und Peru, wie diese dem Cortez und dem Pizarro entgegentraten. Massasoits Erscheinung entsprach ganz dem Unterschiede zwischen den indianischen Völkerstämmen von Nordamerika und den indianischen Kulturstaaten der Azteken und der Inkas. Dem bettelhaften Auftreten des Sachems durchaus analog waren die ärmlichen Veranstaltungen der Pilgerväter, dem „rothen Heidenkönig“, wie sie ihn betitelten, einen „imponirenden“ Empfang zu bereiten. Die feierliche Aufnahme des mit rothem Ocker bemalten und in ein Büffelfell gehüllten „Königs“ in einer Blockhütte, wo ein verschossener grauer Teppich und vier mangelhafte Kissen zurechtgelegt waren, als der Governor der Kolonie mit seinem Gaste eintrat, während draußen etliche puritanische Jünglinge sich abmühten, mittels einiger alten Trompeten und Trommeln einen erschrecklichen Lärm zu machen – diese Haupt- und Staatsaktion hatte etwas Hochkomisches. Um so mehr, als der rothe Heidenkönig vor Verwunderung und Verblüffung am ganzen Leibe zitterte und, als ihm ein Glas „Feuerwasser“ (Branntwein) kredenzt wurde, einen so herzhaften Schluck that, daß ihm die Schweißtropfen über das rothbemalte Gesicht rollten und er sich vor Angst nicht zu fassen und zu lassen wußte. Im übrigen war diese Zusammenkunft sehr ernst zu nehmen; denn während derselben kam ein Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen den Kolonisten von Plymouth und dem Sachem zustande, dessen Wohnsitz, d. i. Standlager Montaup auf einer Landzunge sich befand, welche weit in eine Nebenbucht der Narragansettbai hineinreicht.

Die Urwälder und Prairieen von Neu-England – und weiterhin von Nordamerika überhaupt – waren von größeren und kleineren Völkerschaften der rothen Rasse bewohnt, deren Vorschreiten in der Kultur und deren Bestand sogar gehemmt und selbst in Frage gestellt wurde durch die unaufhörlichen Fehden, welche sie unter einander führten. Ihre Hauptnahrung lieferten Jagd und Fischerei, doch verbanden sie damit einen dürftigen Ackerbau, Maisbau, welchen jedoch die Frauen ausschließlich besorgten. Denn der rechte rothe Mann kümmerte sich ja bloß um Jagd und Krieg. Ihre religiösen Anschauungen waren sehr unbestimmt, doch hatten sie die Vorstellung von einem guten Geist („Manitu“) und von einem bösen („Machinito“), der, wie jener, auch andere Namen führte. Ihr Gottesdienst erhob sich nicht über die Stufe läppischer Zauberei. Ihre politische Verfassung konnte mehr eine aristokratisch-republikanische als eine despotisch-monarchische heißen. Denn die Macht der Sachems oder Sagamors war durch den aus Unterhäuptlingen bestehenden Rath sehr beschränkt. Die sogenannten indianischen „Nationen“, von welchen in der Geschichte Nordamerikas häufig die Rede ist, waren Bündnisse, zu welchen mehrere verwandte Stämme sich zusammenthaten, Eidgenossenschaften, deren es bei der Ankunft der Puritaner in Neu-England daselbst fünf gab: die Pokanoketen, unter denen der Stamm der Wampanogen die Führung hatte, die Narragansetter, die Connecticuter (Pequoden und Mohikaner), die Massachusetter und die Pawtuketter. Mit allen diesen „Nationen“ hatten die Kolonisten während der ersten fünfzig Jahre des Bestehens der Neu-Englandstaaten zu thun, in Freundschaft und Feindschaft. Aber vornehmlich waren es die Wampanogen, die Pequoden und die Narragansetter, welche in die Geschicke dieser angelsächsischen Gemeinwesen eingegriffen haben.

Neu-Englandstaaten? Ja wohl. Denn bald gab es solche. Mit dem Wachsthum der Kolonie Neu-Plymouth verbreitete sich auch ihr Ruf. Drüben im Mutterlande ließ die verschönernde Ferne den bescheidenen jungen Pflanzstaat im Lichte eines „neuen Kanaans“ erscheinen und demzufolge machten sich Scharen von Puritanern, gegen welche ja unter der Regierung Karls des Ersten die Verfolgung nicht rastete, nach dem „Lande der Verheißung“ jenseits des Weltmeers auf die Wanderfahrt. Schon i. J. 1630 wurde von solchen puritanischen Auswanderern mit verhältnißmäßig nicht unbedeutenden Mitteln die Kolonie Massachusetts gegründet, welche ihre ältere Schwester Plymouth bald überflügelte und ihren Hauptort Boston rasch zu einer mächtigen Hafen- und Handelsstadt aufblühen sah. Von dieser epochemachenden [435] Gründung an war die Einwanderung stets im Wachsen. In der Zeit von 1633 bis 1640 liefen jährlich durchschnittlich 20 mit Ansiedlern beladene Schiffe die Küsten von Neu-England an. Im Sommer von 1635 allein stiegen dort 3000 neue Einwanderer an’s Land. Im folgenden Jahre kamen nahezu 4000. In den Sommer von 1635 fiel eine der bedeutsamsten Gründungen, die von Rhode-Island mit dem Hauptort Providence an der Narragansettbai durch Roger Williams. Das war einer der hellsten Geister und, edelherzigsten Menschen seines Jahrhunderts, in Wahrheit eine der Grundsäulen, auf welchen die religiösen und politischen Einrichtungen der großen transatlantischen Republik ruhen. Mit nur 13 Gefährten that der Treffliche, den die starr-orthodoxen Puritaner von Massachusetts verfolgt und vertrieben hatten, unter Hunger und Kummer Providence auf als eine Zufluchtsstätte der Glaubens- und Denkfreiheit, der religiösen Duldsamkeit, fünfzig Jahre früher, als William Penn seine Kolonie Pennsylvanien ebenfalls zu einem Asyl der Toleranz machte[5]. Weiterhin wurden die Ansiedlerstaaten Connecticut, New-Hampshire und Maine gestiftet. Und mehr und mehr erstarkten diese sämmtlichen Gemeinwesen in ihrem Innern, mehr und mehr erweiterten sie ihre Gebiete nach außen, mehr und mehr wuchs in ihnen das Gefühl der Kraft und Selbstständigkeit. In diesen der Wildniß abgerungenen, auf religiöse Begeisterung, harte Arbeit und strenge, ja herbe Sittlichkeit begründeten Pflanzstaaten entwickelte sich immer zuversichtlicher der demokratische Geist und bildeten sich die Formen des Selfgovernments immer entschiedener und kräftiger aus.

Zur Zeit, als daheim im Mutterlande der große Streit zwischen Absolutismus und Konstitutionalismus, zwischen König und Parlament durchgekämpft wurde und mit der Niederlage des Königthums endigte, waren die Kolonien von Neu-England bereits fähig, auf eigenen Füßen zu stehen, zu gehen und sogar tüchtig auszuschreiten. Trotzdem hat es zu ihrem weiteren Gedeihen natürlich mächtig mitgewirkt, daß der große Protector Oliver Cromwell, der gewaltigste Herrscher, den Großbritannien gehabt, die Kolonisten, seine puritanischen Glaubensgenossen, mit hohem Wohlwollen ansah und sich ihnen in jeder Beziehung huld- und hilfreich erwies.

Aber das Meiste und Beste für ihr Emporkommen haben die Kolonisten selber gethan und zwar unter der Leitung und Führung von so ausgezeichneten Männern, wie die Carver, Bradford, Winslow, Winthrop, Eaton, Endecott, Hooker und andere mehr gewesen sind. Man darf sie die Patriarchen des „neuen Kanaan“ nennen. Die Strenge, womit sie die puritanischen Anschauungen und Principien in religiöser und sittlicher Beziehung aufrechtgehalten, blieb dauernd bestehen, und wenn die Neu-Engländer in bürgerlichen Dingen vom Anfang an und unablässig die Ideen und Formen der Selbstregierung bekannten und handhabten, so war die Gesetzgebung dieses Selfgovernments eine so ernste und unnachsichtige, daß anarchische Gelüste in den Pflanzstaaten niemals auftauchen, geschweige platzgreifen konnten. Diese zähen Männer, welche der Civilisation eine neue Welt eroberten, hielten auf feste Zucht und waren sehr geneigt, die Strenge, welche sie gegen sich selber übten, auch gegen andere walten zu lassen. Es ist ja bekannt genug, daß die Puritaner von Neu-England, nachdem sie kaum aufgehört hatten, Verfolgte zu sein, schon angefangen haben, Verfolger von Andersdenkenden zu werden. Das traurigste Beispiel solcher Unduldsamkeit bot ihr schnödes Verfahren gegen Roger Williams. Freilich darf man nicht übersehen, daß der Puritanismus nur mittels seiner eisernen Folgerichtigkeit sein großes Gründungswerk durchzusetzen vermochte. Aber dieses Werk hatte eben wie alles Menschliche auch seine Schattenseite. Eine Kirchenzucht, welche, dem theokratischen Fanatismus der Puritaner entsprungen, weltliche Strafgewalt sich angeeignet hatte, regelte und controlirte das ganze Dasein. Sie drückte freilich der Lebensführung der Kolonisten den Stämpel der Eintönigkeit, der Entsagung, der finsteren Grübelei, der Schwermuth und Herbigkeit auf, aber sie erzog auch mittels ihrer harten Disciplin häusliche und öffentliche Tugenden und lehrte Männer und Frauen jene Selbstbeherrschung, Thatkraft, Beherztheit und Standhaftigkeit, kraft welcher sie vollbringen konnten, was sie vollbracht haben.

Von großer Wichtigkeit mußte vom Anfang an für die jungen Pflanzstaaten das Verhältniß zu den Eingeborenen sein. Der Verkehr mit denselben war, einzelne Zwischenfälle abgerechnet, lange Zeit ein friedlicher und freundlicher, obzwar in den Beziehungen zwischen „Blaßgesichtern“ und „Rothhäuten“ der natürliche Keim zu heftigen Zerwürfnissen lag. Man muß den Puritanern nachrühmen, daß sie im ganzen und großen ihr Verhalten gegen die Indianer auf die Vorschriften strenger Rechtlichkeit basirten und namentlich die Eigenthumsrechte der Eingeborenen gewissenhafter achteten, als andere Europäer zu thun pflegten. In den puritanischen Ansiedelungen galt der Grundsatz, daß der Grundbesitz der Indianer nur mittels Kaufes oder Tausches in die Hände der Weißen übergehen dürfe. Freilich hinderte das nicht, daß ungeheure Strecken indianischer Jagdgründe von ihren Eigenthümern häufig um kindisches Spielzeug an die Kolonisten verhandelt wurden. Aber hinwiederum möchte dabei doch auch zu beachten sein, daß diese so spottwohlfeil erworbenen Landstrecken aus Prairie und Urwald bestanden und demnach von dem weißen Erwerber zum zweitenmal mit Axt und Hacke, mit Pflug und Spaten erworben, mit der harten Arbeit seiner Hände und dem heißen Schweiß seines Angesichts bezahlt werden mußten. Der erste große feindliche Zusammenstoß zwischen den Weißen und den Rothen hatte im Jahre 1637 in der Kolonie Connecticut statt. Der kluge und beherzte Sachem der Pequoden, also der ursprünglichen Eigenthümer des Landes, Sassakus, erkannte deutlich, daß von dem immer weiteren Vordringen der Kolonisten seinem Volke der Untergang drohte. Ebenso, daß diesem Vordringen nur ein Damm gesetzt werden könnte mittels einer festen Eidgenossenschaft aller indianischen Stämme von Neu-England. Er bemühte sich, wie wir später den Wampanogen-Sachem Metakom thun sehen werden, eine solche Eidgenossenschaft zu stiften. Aber vergebens. In dem zwischen den Pequoden und den Kolonisten vom Connecticut losbrechenden Kampfe erhoben die Mohikaner unter Führung ihres Sachems Unkas den Tomahawk gegen ihre rothen Brüder und für die Weißen, zu deren Gunsten und Unterstützung auch der Sachem der Narragansetter, Miantonomo, zweihundert seiner Leute auf den Kriegspfad schickte. So wurden die Pequoden überwältigt, ja geradezu vernichtet.

Diese erste große Gefahr, welche vonseiten der „rothen Heiden“ die puritanischen Pflanzstaaten bedroht hatte, verursachte oder beschleunigte wenigstens die Verwirklichung eines Gedankens, dessen Naturgemäßheit, Räthlichkeit und Nothwendigkeit von den Häuptern der Kolonisten schon lange erkannt worden war. Nämlich die Zusammenfassung der Pflanzstaaten von Neu-England zu gegenseitigem Schutz und Trutz mittels freier Vereinbarung. Diese älteste nordamerikanische Konföderation wurde i. J. 1643 glücklich gestiftet und damit eine mächtige neue, Bürgschaft für die gedeihliche Weiterentwickelung der neuenglischen Gemeinwesen hergestellt.




Das Riesenkind war zum Knaben erstarkt, war zum Jüngling aufgewachsen, der sich bald schon als ein ganzer Mann erweisen sollte.

Es muß als geradezu erstaunlich bezeichnet werden, was bis gegen das Jahr 1660 hin die Puritaner aus der Wildniß von Neu-England gemacht hatten. Unter ihren rastlos schaffenden Händen hatte sich das Wald- und Prairieland in ein fruchtbares Ackerbauland verwandelt, welches, mit Städtchen, Dörfern, Weilern und Farmen besetzt, mittels seines ganzen Aussehens erfreuliches Zeugniß ablegte von dem Fleiß, der Ausdauer, der Intelligenz, der Sparsamkeit und dem Wohlstand seiner Bewohner. Hier war gezeigt, was eine nicht auf schwindelhaft-utopische Theorieen, sondern auf das praktische Evangelium der Arbeit begründete Demokratie zu unternehmen und zu vollbringen vermöge. Auch die gewerbliche Thätigkeit und der Handel hatten einen vielversprechenden Aufschwung genommen und trugen zur Erleichterung und zum Behagen des Daseins bei.

Nun aber kamen Zeiten schwerer Störungen und Prüfungen, welche zu überstehen und zu überwinden der Puritanismus seine junge Manneskraft einsetzen mußte und eingesetzt hat.

[436] Eine große Störung brachte in die rüstige Entwickelung der Pflanzstaaten von Neu-England die Wiederherstellung des Königthums in England in der Person Karls des Zweiten (1660). Eine schwere Prüfung für die Kolonieen sodann war der große Indianerkrieg, welcher in den Jahren 1675–76 währte und ihre ganze Existenz bedrohte.

Karl der Zweite, dieses abschreckende Beispiel von einem leichtsinnigen, lüderlichen und gewissenlosen König, konnte, soweit er überhaupt seinen Vergnügungen und Ausschweifungen dann und wann eine flüchtige Stunde der Beschäftigung mit ernsthaften Dingen abgewann, die puritanischen Pioniere von Neu-England nur mit Uebelwollen ansehen. Es gab auch in seiner Umgebung Leute genug, welche die über England hereingebrochene Reaktion aus selbstsüchtigen Absichten auf die transatlantischen Kolonieen auszudehnen strebten. Demzufolge hatten die Kolonisten jahrelange schwere und wechselvolle Kämpfe um ihren Besitz, ihre Rechte und Freiheiten mit der Regierung des Mutterlandes zu bestehen. In diese Kämpfe war gleich zum Anfang noch ein starkes Element der Verbitterung hineingekommen durch den Umstand, daß die Puritaner sich weigerten, dem König und seinen racheschnaubenden Höflingen einen Gefallen zu thun. Nämlich diesen, die beiden Obersten Whalley und Goffe, welche im Rathe Cromwells und in dem Hohen Gerichtshof gesessen, der Karl den Ersten verurtheilt hatte, und welche jetzt, für vogelfrei erklärt, nach Neu-England herübergeflohen waren, zu greifen und auszuliefern. Die beiden geächteten „Königsrichter“ haben unter dem Schutz ihrer religiösen und politischen Gesinnungsgenossen jahrelang erst in einem Versteck unweit von Neu-Haven und dann wieder jahrelang bis zu ihrem Tode im Predigerhause zu Hadley unweit vom Connecticutfluß eine Zuflucht gefunden. Noch bei ihren Lebzeiten hatte sich um ihre Personen her ein ganzer Sagenkreis gebildet, dessen Ueberlieferungen mehrfach novellistisch ausgenützt wurden[6]. Die Weiterungen und Zerwürfnisse mit dem Regimente der Stuarts machten einem besseren Verhältnisse erst dann wieder Platz, als diesem Regiment durch die zweite englische Revolution des 17. Jahrhunderts ein Ende bereitet ward (1688–89).

Aber der vielfältige und mitunter nicht wenig gefährliche Hader mit dem Mutterlande war noch im Gang, als die schwere Heimsuchung durch den sogeheißenen „König-Philipps-Krieg“ über die Kolonieen erging.

Im Verlaufe der Jahre hatten sich in Neu-England zwischen den Ansiedlern und den Eingeborenen Verhältnisse herausgebildet, wie sie überall eintreten mußten oder müssen, wo eine gesunde, kräftige und verhältnißmäßig gebildete Menschenrasse mit einer barbarischen in Berührung kam oder kommt. Die Kultur ist in Verfolgung ihrer Zwecke ebenso erbarmungslos wie die Natur. Beide wissen nichts von Sentimenlalität. Beide ziehen mit unbeugsamer Logik die Schlußfolgerungen aus ihren Voraussetzungen. Es ist ein logisches Gesetz der Natur wie der Geschichte, daß Macht vor Recht gehe. Das ist sehr traurig, aber sehr wahr. Jede Seite im Buche der Natur- wie der Menschheitgeschichte bezeugt es. Hier wie dort fressen die großen Fische die kleinen. Grausam das, aber unabänderlich. Es ist eben der unerbittliche „Kampf ums Dasein“, dessen nimmer rastende Motive Hunger und Konkurrenz heißen.

„Der Rauch vom Herdfeuer der Blaßgesichter tödtet den rothen Mann.“ Dieses unter den Indianern von Neu-England umgehende Wort bezeichnete eine traurige Thatsache. Denn in demselben Verhältniß, in welchem die angelsächsischen Ansiedelungen sich vervielfältigten und an Ausdehnung und Volkszahl zunahmen, schwand die indianische Bevölkerung dahin. Die weiße Rasse zehrte so oder so die rothe auf, und was sie davon nicht aufzehrle, drängte sie mehr und mehr westwärts in die Wildnisse zurück. Büchse und Schwert trugen nicht wenig zur Vernichtung der Rothhäute bei, aber mehr noch thaten dies zwei aus Europa eingeschleppte Uebel: eine Seuche, die Blattern, und ein Laster, das Feuerwassertrinken. Als ein Halbjahrhundert vergangen seit dem Tage, wo die Pilgerväter ihre Füße auf die Felsplatte bei Plymouth gesetzt hatten, waren schon mehrere der indianischen Völkerschaften von Neu-England ganz verschwunden oder im Aussterben begriffen. Andere waren aus den Jagdgründen ihrer Väter und damit von ihren Nahrungsquellen verdrängt und wieder andere in naher Gefahr, daraus und davon verdrängt zu werden. Die Grundsätze strenger Rechtlichkeit, welche die Pilgerväter in [438] ihrem Verkehr mit den Rothhäuten zur Richtschnur genommen, hatten sich im Verlaufe der Zeit abgeschwächt, und es gab jetzt nicht wenige Kolonisten, welche gegenüber den Indianern viel, vielleicht alles für erlaubt hielten, weil es ja nur „blinde Heiden“ wären. Genug, unaufhaltsam rückten die Herdfeuer der Weißen den Rothen immer näher, und bald sahen sich diese in einer so gefährlichen und bedrängten Lage, daß die Gefühle, womit sie auf die Kolonisten blickten, naturnothwendig immer erbittertere und feindseligere werden mußten. Dieser Haß schwärte und gährte viele Jahre im Stillen fort und nahm zu an Tiefe und Glut. Es fehlte daher nur ein Mann, welcher das Zeug hätte, demselben die Ziele zu weisen und die Wege zu zeigen, und ein solcher Mann erstand den Rothen in dem Sohne des 1656 gestorbenen Sachems Massasoit, in dem Wampanogen Metakom oder Metakumet, dem Bundeshäuptling der Eidgenossenschaft der Pokanoketen, welchen die Kolonisten den König Philipp zu nennen pflegten.

Wir wissen von ihm nur, was seine Feinde, die Kolonisten, über ihn berichtet haben. Aber auch diesen feindlichen Berichten zufolge muß er ein Mann von imposanter Erscheinnng und großen Gaben gewesen sein, ein Kenner der Rothen und der Weißen, ein rechter Fürst der Wildniß, Patriot, Krieger, Diplomat, so daß ich, alles erwogen, nicht anstehe, ihn als den bedeutendsten Schössling zu bezeichnen, welchen, die Azteken und Tolteken beiseite gelassen, das nordamerikanische Indianerthum hervorgetrieben hat.

Unter Metakoms „Skalp“ brütete zweifelsohne die Vorstellung, das einzige Mittel, sein Volk vor zunehmender Noth und voraussichtlichem Untergang zu wahren, sei nicht so fast die Einschränkung der Kolonieen auf ihren dermaligen Besitzstand, als vielmehr die Vertilgung oder Vertreibung der Blaßgesichter vom Boden der rothen Männer. Der Sagamor erkannte auch unschwer, was die Ueberlegenheit der Kolonisten ausmachte: ihr Zusammenhalten und ihre Bewaffnung. Beide Vorzüge suchte er darum seinen Volksgenossen anzueignen. Er nahm den Gedanken des unglücklichen Sassakus wieder auf, alle rothen Männer von Neu-England in einen großen Kriegsbund gegen die Weißen zusammenzufassen, in eine indianische Eidgenossenschaft, welche der von den Kolonisten 1643 gestifteten gewachsen wäre, und jahrelang hat er mit der ganzen Schlauheit und Geduld seiner Rasse an der Verwirklichung dieses Gedankens gearbeitet. Ebenso an der Aufgabe, seine Landsleute mit Feuergewehren zu versorgen und sie im Gebrauche derselben zu üben. Nach beiden Richtungen hin gewann seine geduldige und geschickte Arbeit Erfolge und um das Jahr 1670 begannen die Wirkungen von Metakoms patriotischer Thätigkeit die Aufmerksamkeit der Kolonialbehörben zu erregen. Ein bewegteres Thun und Treiben machte sich unter den Rothhäuten bemerkbar. Läufer eilten geschäftig von einem Stamm zum andern, Botschaften hin und her zu tragen. Man hörte auch von großen indianischen Rathsversammlungen, in welchen heftige Reden gegen die Blaßgesichter geführt wurden, und endlich mußte es für ein sehr bedrohliches Merkmal gelten, daß immer mehr Indianer in den Besitz von Feuerwaffen gelangten und mit denselben sehr geschickt zu handiren verstanden.

Schon 1671 drohte der Ausbruch der Krisis. Doch war Metakom mit seinen diplomatischen und kriegerischen Vorkehrungen noch nicht zu Rande und darum ließ er sich herbei, den Kolonisten wiederholt Freundschaft zu versprechen, was so wenig aufrichtig gemeint als geglaubt wurde. Der faule Friede zog sich bis zum Jahre 1674 hin, wo das Vorspiel zum „König-Philipps-Krieg“ in Scene ging. Sasamon, ein getaufter Indianer, suchte als Missionär unter seinen Stammesgenossen zu wirken. Auf einem seiner Bekehrungsgänge an der Gränze des Pokanoketenlandes mit dem Sagamor zusammengetroffen, errieth er aus diesem und jenem hingeworfenen Worte die feindseligen Absichten Metakoms gegen die Kolonisten und hielt es für seine Pflicht, diese zu warnen. Der Häuptling erfuhr durch seine Späher von diesem Verrath, als welchen er Sasamons Hinterbringung ansehen durfte, ließ durch drei seiner Leute dem Verräther auflauern, denselben überfallen und umbringen. Die Behörden von Plymouth aber, auf deren Gebiet der Mord geschehen, ließen die Mörder verfolgen, ergreifen, processiren und hängen.

Sowie nun Metakom das in Erfahrung gebracht hatte, brach er los. Er sah wohl ein, daß ihm keine andere Wahl mehr bleibe, als alles zu wagen und den Anfang zu machen. Er mochte die nicht grundlose Hoffnung hegen, daß seine Schilderhebung wenigstens die Mehrzahl seiner rothen Rassegenossen mit sich fortreißen würde. Er grub das Kriegsbeil aus und rief seine Mannschaften auf den Kriegspfad. Am 24. Juni von 1675 kam der Kampf zwischen den Rothen und Weißen zum hellen Ausbruch, ein langwieriger Entscheidungskampf, ein Kampf um Leben oder Tod. Ein Bewohner von Swanzey, einem an der Gränze der Ansiedelungen gelegenen Dorfe, hatte, gereizt durch die Drohungen und Raubversuche der Rothhäute, einen Wampanogen niedergeschossen. Unlange darauf, am genannten Junitag, einem Sabbath, als die ganze Bewohnerschaft im Bethause versammelt war, wurde Swanzey von den Wampanogen überfallen, die Bewohnerschaft niedergemetzelt oder gefangen weggeschleppt, das Dorf dem Feuer überliefert.

Das war ein erstes Muster der furchtbaren indianischen Kriegsweise, zusammengesetzt aus Hinterhalten, Ueberfällen, Mordbränden und schonungslosem Gemetzel. Wie gefährlich und verderblich diese Kriegsweise den Kolonisten werden mußte, namentlich unter der Leitung eines so ungewöhnlich beanlagten Führers, wie Metakom fraglos gewesen, ist klar. Noch viel höher stieg aber für die Kolonieen diese Indianergefahr, als es der Diplomatie König Philipps gelungen war, den großen Häuptling der Narragansetter, Canonchet, zur Erhebung des Kriegsbeils gegen die Blaßgesichter zu bewegen und zu seinem Bundesgenossen zu machen. Der Narragansett hatte eine schwere Blutschuld der Kolonisten zu rächen, welche seinen Vater Miantonomo schnöder Weise an dessen Todfeind, den Mohikaner-Sachem Unkas, zur Tödtung ausgeliefert hatten. Canonchet war, wie uns seine angelsächsischen Feinde bezeugt haben, von Gestalt „ein Apoll der Wildniß“, ein Mann „mit einer Römerseele“, ein wahrhaft reiner und großer Charakter, ein wirklicher Held, von Begeisterung für die Sache seines Volkes erfüllt. Vor dieser heldische Erscheinung ist dann auch Metakom etwas in den Hintergrund getreten.

Vierzehn volle Monate währte, wüthete und wüstete der mörderische Krieg. Nachdem schon zu Anfang Septembers von 1675 Sendboten der Kolonieen zur Berathung zusammengetreten waren und beschlossen hatten, den Kampf als eine gemeinsame Sache zu fassen und zu führen, stand es bis zur Mitte Decembers an, bis ihre Rüstung vollendet und eine ausreichende Streitmacht beisammen war. Dann ging es mit der ganzen Energie puritanischen Enthusiasmus’ los gegen die „rothen Heiden“, gegen welche die Kolonisten denselben wilden Grimm und Groll hegten, welchen vordem die Kinder Israel gegen die Völker von Moab und Amalek gehegt hatten. Es war ein zähes und blutiges Ringen zwischen den Weißen und den Rothen. Im März von 1676 lachte das Kriegsglück den Indianern unter Canonchets Führung am freundlichsten. Nun aber folgte ein jäher Umschlag. Bei den Fällen des Connecticut wurde ein Treffen geliefert, in welchem die Narragansetter vollständig unterlagen. Der Sachem wollte sich mit den Resten seiner Krieger südwärts gen Montaup zum Metakom durchschlagen. Allein beim Uebergang über den Nipmuk ward er von den Freiwilligen von Connecticut, mit welchen auch die Mohikaner unter ihrem Sachem Unkas zogen, umzingelt, angegriffen und gefangen. Den unglücklichen Mann traf das Loos seines Vaters und von derselben Hand. Die puritanischen Sieger forderten den Tod des höchst gefährlichen Feindes. Sie übergaben ihn dem Unkas, der ihn niederschießen und hierauf den Todten mit allen indianischen Ehren bestatten ließ. Es wird erzählt, die Puritaner hätten dem großen Sachem das Leben angeboten, unter der Bedingung, daß er sich den Kolonieen unterwürfe. Das verweigerte er aber stolz und standhaft. Es kennzeichnet die Rohheit der Zeit, daß dem todten Helden der Kopf abgeschnitten und derselbe als Siegestrophäe an die Behörde von Connecticut geschickt wurde.

Bis zum August hielt Metakom, obgleich von allen Seiten mehr und mehr eingeengt und bedrängt, den Kampf noch aufrecht und zwar von seinem Stammland in der Umgebung von Montaup aus. Es gelang ihm immer wieder, neue Streitgenossen zu werben und zu sammeln, bis ihn noch ein vernichtender Schlag traf. Dieser, daß der Hauptmann Church von Connecticut, der Besieger Canonchets, seine beste Mannschaft überfiel und niedermachte und bei dieser Gelegenheit die Squaw des Sachems und seinen neunjährigen Sohn fing. Jetzt irrte der von den Kolonialregierungen geächtete Häuptling unstät umher, auf den Jagdgründen seiner Väter wie ein Wildthier gejagt. Dann kam das Bitterste, der [439] Tod von der Hand eines Mannes seiner eigenen Farbe. Einer der wenigen Krieger, die ihm noch folgten, wagte es, dem Sachem von der Nothwendigkeit zu sprechen, mit den Blaßgesichtern Frieden zu machen. Metakom erschlug den Mahner. Aber ein Bruder desselben übte Blutrache, suchte und fand den Sachem in seinem letzten Versteck, einem auf der Landzunge von Montaup gelegenen Swamp (Sumpf), und erschoß ihn.

Mit König Philipps Tod war der Krieg zu Ende und hob das Rachewerk der Sieger an. Mit ganz alttestamcntlichem Furor gingen die Kolonisten gegen die Söhne Moabs und Amaleks, d. h. gegen die niedergeworfenen Indianer vor. Wehe allen Rothen, welchen es nicht gelang, zeitig genug gen Canada oder westwärts gegen die großen Seeen hin zu entweichen! Unter den Puritanern wurde alles Ernstes die Frage aufgeworfen und erörtert, ob es nicht rathsam und gottgefällig wäre, die ganze Brut der rothen Heiden mit Stumpf und Stiel auszurotten. In Plymouth und Boston fanden massenhafte Hinrichtungen rother Männer statt. Scharen von solchen wurden nach Westindien in die Sklaverei verkauft und dieses schreckliche Loos traf auch den armen gefangenen Knaben Metakoms. Die Rothhäüte, welche nach diesem Strafgerichte in Neu-England noch übriggeblieben, vegetirten unter hartem Druck in dumpfer Ergebung fort, bis sie allmälig ausstarben, was nicht sehr lange auf sich warten ließ.

Das Wort von der Tödtung des rothen Mannes durch den Rauch vom Herdfeuer der Blaßgesichter war also in Erfüllung gegangen. Der weltgeschichtliche Vorschritt hatte auch hier zertreten, was sich ihm auf seinem Wege entgegengestellt. Auf dem Kriegspfad gegen die Eingebornen hatte das transatlantische Riesenkind die Kinderschuhe ausgetreten und stand nun als ein Mann da, der seine Kraft sammelte, um gerade hundert Jahre später mit seinem Rufe die Welt zu erfüllen. Denn am 4. Juli von 1776 wurde jene Urkunde der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika ausgestellt und im Congreß zu Philadelphia unterzeichnet und besiegelt, jene Urkunde, welche an ihrer Spitze die „Erklärung der Menschenrechte“ trug, den Prolog zu einem neuen Akt des großen Drama’s der Menschheit.



  1. Therese Adolfine Robinson, geb. Jakob aus Leipzig, genannt Talvj: „Geschichte der Kolonisation von Neu-England“ 1847.
  2. Massachusetts, New-Hampshire, Vermont, Maine, Rhode-Island, Connecticut.
  3. G. Bancroft, History of the United States, I, 310.
  4. Wir sind bis in alle Einzelheiten hinein über die Erlebnisse der „Pilgerväter“ unterrichtet durch die Tagebücher und anderen Aufzeichnungen, welche mehrere derselben hinterlassen haben. Diese höchst werthvollen Quellenschriften sind gesammelt und gedruckt in den „Chronicles of the Pilgrim Fathers“, Boston 1841.
  5. Ueber Roger Williams vgl. meinen Essay „Ein Prophet“, Menschl. Tragikomödie, 3. Aufl. Bd. 4, S. 64 fg. Dieser Mann ist schon darum eine weltgeschichtliche Gestalt, weil er es gewesen, welcher zuerst den großen Grundsatz einer vollständigen Trennung von Staat und Kirche nicht nur theoretisch lehrte, sondern auch praktisch durchführte.
  6. Auch vom Verfasser dieses Essay in seiner historischen Novelle „Die Pilger der Wildniß“, 2. Aufl. „Novellenbuch“, Bd. 7–8, 1875.