Die Mammuthbäume Kaliforniens
[19] Die Mammuthbäume Kaliforniens. (Mit Illustration Seite 12.) Eine halbe Tagereise von dem herrlichen Yosemitethal in Kalifornien entfernt, ragen aus dem Urwalddickicht zahlreiche Wunder der Pflanzenwelt auf, riesige Sequoien, welchen die Amerikaner den Namen Mammuthbäume beigelegt haben.
Wie leuchtende, zimmtfarbene Thürme, steigen die kalifornischen Baumgiganten aus dem Waldesdunkel empor, an Umfang, Höhe, Massenhaftigkeit und Alter Alles hinter sich lassend, was die Erde bisher an Pflanzenwundern kennt. Neben die Pyramiden gestellt, würden manche der noch stehenden Baumriesen mit ihren Wipfeln die Spitzen dieser Bauwerke beschatten. Und doch lassen einzelne im Dickicht modernde Baumruinen darauf schließen, daß sie dereinst noch gewaltigere Maßverhältnisse aufzuweisen hatten. In Calaveras Grove liegt, durch sein eignes Gewicht halb in die Erde gesunken, der „Vater des Waldes“, an der Basis einen Umfang von 112 Fuß aufweisend. Zweihundert Fuß hat man an dem Stamme hinzuschreiten, bis man die Stelle erreicht, wo er seinen ersten Seitenast – einen Riesenbaum für sich – entsandte. Obschon der Baum seines Wipfels längst beraubt ist, lassen doch alle Maßverhältnisse erkennen, daß er zur Zeit seiner Glorie eine Höhe von gegen 450 Fuß gehabt haben muß. Nahe diesem gefallenen Monarchen stand ein zweiter Riesenbaum, den zu Anfang der fünfziger Jahre ein spekulativer Yankee zu Falle brachte. Der Stumpf ward sauber geglättet und zu einem Tanzboden umgewandelt, auf welchem 32 Personen bequem einen Kotillon abhalten können. Eine Zeit lang befand sich hier auch eine Druckerei, aus welcher ein Wochenblatt, das „Big-tree-bulletin“ hervorging.
Gleichfalls im Calaveras-Haine erhebt sich ein anderer Mammuthbaum, grünend in voller Pracht, trotzdem ein Urwaldfeuer eine Höhlung in seinen Fuß hineingefressen hat, welche groß genug ist, um 16 Reitern auf einmal Obdach zu gewähren.
Im Mariposa-Haine sind es die kolossalen Maßverhältnisse des 93 Fuß im Umfange zählenden „Grizzly Giant“ und des „Ohio“, welche den Besucher in Erstaunen versetzen; hier auch finden wir den auf unserer Abbildung wiedergegebenen, wohl einzig dastehenden Thorweg, durch welchen der Reisende sammt seinem von sechs feurigen Pferden gezogenen Gefährt wie durch einen Triumphbogen hindurchsaust.
Einen weiteren Begriff von der Massigkeit der Mammuthbäume mag eine Berechnung des amerikanischen Professors Whitney geben, der zufolge ein einziger Baum 537 000 Fuß zolldicker Bretter liefern würde, die einem Werthe von 25 000 Dollars gleichkämen.
Zu den Taxus-Nadelhölzern gehörend, werden die Riesenbäume botanisch Sequoia gigantea genannt; man findet sie allein am westlichen [20] Abhange der Sierra Nevada und kennt gegenwärtig neun verschiedene, zusammen mehrere tausend Exemplare zählende Haine, unter welchen diejenigen von Calaveras und Mariposa am zugänglichsten und besuchtesten sind. Angesichts des außerordentlich langsamen Wachsthums der Sequoien haben manche Reisende den Pflanzenkolossen ein Alter von drei- ja viertausend Jahren beilegen wollen, doch sind dies Hypothesen, die sich nicht leicht beweisen lassen. Kühn aber darf man das Alter der kalifornischen Riesenbäume auf mindestens 1500 bis 1800 Jahre bemessen, neben welchem Zeitraum ein Menschenalter nur als eine kaum in Betracht kommende Zeitspanne erscheint.
Wie die amerikanische Regierung im Jahre 1871 den weltberühmten Yellowstone-Park in Wyoming als unantastbares Nationaleigenthum erklärte, so hat sie auch das Yosemitethal und die Sequoienhaine von jeder Besiedlung ausgeschlossen, damit der ursprüngliche Reiz dieser Gebiete unvermindert sich bis auf späte Geschlechter erhalten möge. Rudolf Cronau.