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Die Reliefs für das deutsche Cadettenhaus

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Textdaten
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Autor: Max Ring
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Titel: Die Reliefs für das deutsche Cadettenhaus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 151–153
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Reliefs für das deutsche Cadettenhaus.


Vor wenigen Jahren noch ein unansehnliches Dorf, hat sich das in der Nähe von Berlin gelegene, kaum genannte Lichterfelde in kurzer Zeit zu einer nie geahnten Bedeutung emporgeschwungen. Aus der wüsten Sandfläche sind eine Reihe der schönsten Villen emporgestiegen und traurige Kartoffelfelder haben sich in die reizendsten Anlagen verwandelt. Diesen Aufschwung verdankt der Ort zunächst der Eisenbahn, der Speculation verschiedener Baugesellschaften, vor Allem aber dem Baue des neuen deutschen Cadettenhauses, das seiner baldigen Vollendung entgegensieht. Nachdem die damit beauftragten Architekten einen Complex palastähnlicher Gebäude hergestellt haben, ist eine Anzahl der hervorragendsten Künstler damit beschäftigt, die inneren Räume mit Bildern, Statuen und Reliefs in würdiger Weise zu schmücken. Den größten Wurf hat dabei ein junger Bildhauer mit einem Fries für den großen Saal von zweihundertsechszehn Fuß Länge gethan – der Schöpfer des „Stein-Denkmals“ in Nassau, Johannes Pfuhl, dessen Freundlichkeit wir die beiliegende Zeichnung, eine Episode aus seinem großartigen Werke, zu danken haben.

Selten hat wohl ein Künstler in so kurzer Frist eine so bedeutende Laufbahn durchgemacht. Johannes Pfuhl wurde im Jahre 1846 zu Löwenberg in Schlesien geboren, wo sein Vater noch jetzt als Rector der dortigen Stadtschule lebt. Frühzeitig schon verrieth der aufgeweckte Knabe Talent und Liebe für die bildende Kunst. Vor Allem zog ihn schon damals die Schönheit der menschlichen Gestalt an, weshalb er auch Bildhauer werden wollte, womit sein Vater, wenn auch mehr aus praktischen Gründen, einverstanden war. Mit fünfzehn Jahren kam Johannes nach Berlin, wo er in dem Atelier des bekannten Professors Schievelbein längere Zeit arbeitete. Da sich aber der väterliche Zuschuß kaum auf hundert Thaler jährlich belief, so mußte sich der hoffnungsvolle Eleve auf das Aeußerste einschränken und sich die größten Entbehrungen auferlegen. Mit zwei Brüdern, von denen der eine gegenwärtig Stabsarzt, der andere Beamter ist, bewohnte er zusammen eine einfensterige Stube. Durch gegenseitige Unterstützung und ihren unverwüstlichen Humor suchten sich die Geschwister redlich durchzuhelfen und einander den Kampf um das Dasein zu erleichtern, wobei sie allerdings nach dem Studentenausdrucke zuweilen „krumm liegen“ mußten.

Nachdem Pfuhl den Unterricht seines Meisters mehrere Jahre genossen, fühlte er den Wunsch und die Kraft zu selbstständigem Arbeiten. Er miethete sich zu diesem Zwecke eine Stube in einem einsamen, abgelegenen Häuschen, wo er wie ein Verschollener lebte und in strengster Zurückgezogenheit von der Welt sich ausschließlich nur mit Zukunftsplänen trug. Hier beschäftigte er sich zunächst mit Entwürfen zu verschiedenen Concurrenz-Skizzen für das Uhland-, Goethe- und Stein-Denkmal, die er an die betreffenden Comités sandte, freilich ohne jede Aussicht auf Erfolg, da er gänzlich unbekannt war. Mit banger Spannung harrte er von Tag zu Tag auf einen günstigen Bescheid, an den er selbst nicht mehr glaubte. Eines Tages aber, als er bereits jede Hoffnung aufgegeben hatte, klopfte es an seine Thür; auf seinen Ruf trat der Briefträger mit einem Schreiben aus Heidelberg ein, das er mit zitternden Händen öffnete. Es war die Anzeige des dortigen Stein-Comités, daß Pfuhl den Preis gewonnen. Die frohe und für ihn so bedeutungsvolle Nachricht wurde ihm bald darauf von dem bekannten Landtags-Abgeordneten Braun aus Wiesbaden bestätigt, der als Mitglied des Comités mit Pfuhl wegen der Ausführung des Denkmals verhandelte. Braun war sichtlich von der Jugendlichkeit des damals erst einundzwanzigjährigen Künstlers überrascht, sodaß er, als er ihn vor sich sah, kaum seinen eigenen Augen trauen wollte.

„Sie haben wohl,“ sagte Braun, „in dem Heidelberger Comité einige Gönner gehabt, die sich für Sie interessirten?“

„Nicht daß ich wüßte!“

„Aber wenigstens einen guten Freund, der sich Ihrer angenommen und Sie so warm empfohlen hat?“

„Allerdings!“ versetzte Pfuhl lächelnd. „Ich hatte in Heidelberg den besten Freund –“

„Und der ist?“

„Meine Skizze zu dem Denkmale,“ entgegnete der junge Künstler.

Von diesem Augenblicke an verbreitete sich schnell der Ruf des bisher unbekannten Bildhauers. Mit der ihm eigenen Energie und rastlosem Fleiße ging er sogleich an die Ausführung der ihm übertragenen Arbeit, welche die davon gehegten Erwartungen noch bei Weitem übertraf. Nicht nur das Comité und die gesammte Berliner Kritik sprach ihre höchste Zufriedenheit über das vollendete Werk aus, sondern auch der Kaiser Wilhelm fällte bei dem Anblicke der Statue das schmeichelhafte Urtheil: „Ja, das ist der alte Stein, wie er leibte und lebte.“

Bei der feierlichen Enthüllung des Denkmals in Nassau wurden auch dem Künstler wohlverdiente Ehren und Auszeichnungen zu Theil; wichtiger noch für ihn war der Umstand, daß in Folge der gelungenen Arbeit sich der Kaiser bewogen fand, ihm die Ausschmückung des großen Saals in dem neuen deutschen Cadettenhause zu Lichterfelde anzuvertrauen. Vier Wochen genügten ihm, die Skizze, welche zweiundfünfzig Fuß lang ist, zu entwerfen und vorzulegen. Nach der ihm vorschwebenden Idee soll das Ganze die in Folge der letzten Ereignisse stattgefundene Umwandlung der preußischen Militärbildung in eine allgemeine deutsche darstellen. Der vollendete Fries, in einer Länge von zweihundertsechszig und einer Höhe von vier bis fünf Fuß, zerfällt in dreizehn Theile, welche im innigsten Zusammenhange mit einander stehen. Zunächst dem Eingange des Saales erblickt man das Relief, welches die Einführung, die Ausbildung und den Abgang der Zöglinge zeigt; den Hintergrund des Reliefs bildet das alte Berliner Cadettenhaus in der Neuen Friedrichsstraße. Dem entsprechend sieht man auf der anderen Seite die Uebergabe des deutschen Reichscadettenhauses in Lichterfelde durch den Kaiser an den Corpscommandanten mit den sprechend ähnlichen Gestalten eines Bismarck, Moltke etc.

Es liegt in der Natur der dargestellten Gegenstände, daß der Künstler sich dabei streng an seine Aufgabe halten mußte. Um so kühner und freier durfte sich sein Genius in den übrigen Reliefs entwickeln, welche den letzten französischen Krieg in den verschiedensten Phasen künstlerisch wiedergeben. In einer Reihe [152] lebenswahrer, oft tiefergreifender Scenen und Gestalten wird zunächst der Beginn des Kampfes uns vorgeführt: der Auszug der Truppen, der Abschied des Freundes von dem Freunde, des Sohnes von den Eltern, des Familienvaters von Weib und Kindern, des Geliebten von der Braut. Alle Stände und Lebensalter sind hier vertreten, der patriotische Schusterjunge, der fidele Bursche, welcher mit dem ausziehenden Landwehrmanne den Abschiedstrunk leert, der würdige Greis, der den tapferen Sohn segnet, die Matrone, welche die zurückbleibenden Kinder tröstet, die weinende Gattin, die noch einmal, vielleicht zum letzten Male, den geliebten Mann umschlingt und die treue „Rieke“, welche ihrem „Aujust“ die Hand zum Lebewohl reicht.

Die folgenden Reliefs zeigen uns den Krieger im Felde, das Abkochen des bescheidenen Mahles, wobei ein Soldat seinen Cameraden die Zeitung vorliest, die Fahnenwache, die originelle Lagertoilette und den Rapport an einen Officier. Hieran schließen sich die äußerst wirksame Feldschlächterei, belebt von dem sich sträubenden Ochsen, der von kräftigen Männern festgehalten wird,

Aus dem Pfuhl’schen Fries im Cadettenhause zu Lichterfelde.

ferner die Feldpost mit ihren frohen und traurigen Nachrichten aus der Heimath und den willkommenen Liebesgaben. – Die Lage wird immer ernster; ein Posten bringt auf dem nächsten Bilde Nachricht von dem Anrücken des Feindes. Der Commandoruf erschallt; das Signal zum Sammeln und zum Aufbruche wird gegeben. Darauf eröffnet die Artillerie den blutigen Reigen; eine platzende Granate verbreitet Tod und Schrecken. An der Erde wälzt sich ein verwundetes Pferd, und getroffen sinkt ein tapferer Soldat nieder. Bald greift auch die Infanterie in’s Gefecht; der Künstler stellt mit größter Treue den Sturm auf den Geißberg dar; die elfte Compagnie der Königsgrenadiere unter Anführung des Majors von Kaiserberg, der in seiner Hand die Fahne hoch erhebt, wirft sich mit unwiderstehlichem Ungestüme auf die vor ihnen fliehenden Zuaven. Ulanen eilen herbei und erobern die feindlichen Geschütze; die französischen Gefangenen werden abgeführt. Das nächste Bild bringt ein Gefecht zwischen preußischen Husaren und den Rückzug deckenden Kaiserkürassieren. Rosse und Reiter zeigen sich in bewundernswürdiger, lebendiger Action des wilden Kampfgewühls.

Auf dem nächsten Relief erblicken wir die schmerzlichen Opfer des Krieges, das Begräbniß der Gefallenen, welchen die trauernden Cameraden die letzte Ehre erweisen, den Verbandplatz der Verwundeten, mit Aerzten, Trägern, freiwilligen Krankenpflegern und liebevollen, barmherzigen Frauen unter dem Banner des rothen Kreuzes, endlich die erschütternde Gruppe des todten Dragoners mit dem treuen Pferde, das sich schnuppernd zu der Leiche des gefallenen Herrn herniederbeugt. Das Gegenstück zu diesen ergreifenden Scenen bildet der Sieg bei Sedan mit dem Kaiser auf dem Schlachtfelde, umringt von seinen tapferen Kriegern, der Jubel der Truppen bei dem Anblicke des geliebten Kriegsherrn, die Freude über den glücklichen Erfolg. Zum Schlusse kehrt das siegreiche Heer in die Heimath zurück, empfangen von dem begeisterten Volke. Der Freund ruht in den Armen des Freundes; der Gatte an dem Herzen der glücklichen Gattin, umgeben von den jauchzenden, Blumen und Kränze darbringenden Kindern. Zu den Füßen der seligen Braut knieet der Geliebte, während an der Bahre des von tödtlicher Krankheit ergriffenen Sohnes die gebeugten Eltern weinend stehen, an die für das Vaterland Gestorbenen mahnend.

Schon diese flüchtige Aufzählung der verschiedenen Situationen und Gruppen dürfte einen wenn auch nur schwachen Begriff von der Größe eines solchen Werkes und den Schwierigkeiten der dem Künstler gestellten Aufgabe geben. Mit seltenem Talente und Geschick hat er es verstanden, dieselbe zu lösen und die naheliegende Gefahr einer allzugroßen Einförmigkeit, eines nüchternen Realismus und einer im eigentlichen Sinne monotonen und starren Uniformität zu vermeiden. Vor Allem ist es ihm gelungen, die poetischen und rein menschlichen Seiten des Soldatenlebens, die Momente der höchsten Begeisterung und des tiefsten Gefühls, der männlichen Thatkraft und der keineswegs ausgeschlossenen Rührung hervorzuheben, die rauhe Wirklichkeit zu verklären, die strenge Wahrheit zu idealisiren, ohne sie darum abzuschwächen. – Wir haben es hier mit keinen blos akademischen Acten und Modellen, sondern mit dem wahren Leben und mit echten Menschen zu thun, nicht mit schönen Typen und hergebrachten Schablonen, sondern mit charakteristischen Individuen, welche bis in die kleinsten Einzelheiten, in ihren Zügen und Bewegungen, in ihrer Haltung und ihrem ganzen Wesen treu nach der Natur gebildet sind, ohne die Gesetze der Schönheit zu verletzen.

Auf den ersten Blick erkennt man den jungen Rekruten, den pommerschen Landwehrmann, den strammen Unterofficier, den intelligenten Führer; ja selbst die verschiedenen Stände und Berufsarten, selbst die provinziellen Stammes- und Landeseigenthümlichkeiten. Ebenso klar tritt die zu Grunde liegende Idee des Ganzen in den einzelnen Reliefs hervor. Einen ganz besonderen Reiz verleiht den Bildern auch die sorgfältige Behandlung des Hintergrundes und die eigenthümliche, stets der Situation angepaßte locale Farbe der Landschaft. Die Reliefs [153] bedürfen keines gelehrten Commentars; sie sprechen für sich selbst, sind allgemein verständlich und daher auch im besten Sinne – volksthümlich.

Trotz dieser großen Arbeit hat Pfuhl noch die Zeit zu verschiedenen, mehr oder minder bedeutenden Arbeiten behalten. In seinem in der Fasanenstraße bei Charlottenburg gelegenen Atelier finden wir die Büsten des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, des Generals Hiller von Gaertringen[WS 1], des Generalmajors von Döring, des Obersten von Auerswald, der Frau Krug von Nidda und seiner Braut, des Fräulein Clara Meyer. Vor Allem aber dürften die nach der Todtenmaske gearbeitete Goethe-Büste durch ihre würdige Auffassung und die von einem Engländer bestellte Büste des berühmten Chemikers Hofmann durch ihre sprechende Aehnlichkeit und geistreiche Behandlung die Aufmerksamkeit des Beschauers erregen und den Kenner befriedigen. Aber auch die reinen Idealgestalten des Künstlers verdienen unsere Anerkennung und Bewunderung, besonders das Modell eines „Neugierigen [153] Mädchens“, welches gleich einer Pandora die verschlossene Büchse öffnet; ein Bild weiblicher Grazie, das sich durch Weichheit der Formen, Feinheit der Linien und Eigenthümlichkeit auszeichnet, ebenso wie das anmuthige „Mädchen mit den Tauben“. Augenblicklich hat der junge Meister die reizende Figur eines lieblichen Kindes vollendet, das gleich einer modernen Flora in dem aufgeschürzten Kleidchen eine Fülle der schönsten Blumen trägt und sich ganz besonders zum Schmucke eines fürstlichen Gartens eignen dürfte. Zur Erholung von seinen Anstrengungen hat Pfuhl vor Kurzem mit der Familie seiner Braut einen Ausflug nach Ober-Italien unternommen – die erste größere Reise, welche er sich gegönnt hat. Kaum zurückgekehrt, arbeitet er von Neuem mit rastlosem Fleiße an seinem großen Fries, welcher noch mehrere Jahre seine Thätigkeit beansprucht.

Eine wohlthuende Frische, eine gesunde Natürlichkeit, ein kräftiger Realismus, dem jedoch keineswegs Poesie und Idealität mangelt, sind die charakteristischen Eigenschaften des erst neunundzwanzigjährigen Künstlers, von dem wir noch eine Reihe neuer und bedeutender Schöpfungen erwarten dürfen, da er mit seinem Talente jenen Fleiß verbindet, den Goethe „die Hälfte des Genies“ nennt.

Max Ring.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hillern von Grätringen