Die Streichgarnspinnerei und Tuchappretur der Gebrüder Eckhardt
[82] Wenden wir uns wieder nach Großenhain, so begegnet uns dort vor Allen ein hochgelegenes und deshalb schon von fern in die Augen fallendes pallastartiges Gebäude, überragt von mächtigem, stets schwarze Dampfwolken ausströmendem Rauchfang, welcher sogleich verräth, daß dieses Gebäude industriellen Zwecken dient. Es ist
Dieses Etablissement zerfällt in ein größeres mit Dampfmaschine und in ein kleineres mit Wasser- und Dampfkraft.
Das größere Etablissement besteht aus
- einem Hauptgebäude – dem früheren Schloß Großenhain – und
- sechs Nebengebäuden, in denen die Streichgarnspinnerei und die Tuchappretur betrieben wird; auch befindet sich hier das Comptoir.
[83] Das kleinere Etablissement, welches von dem größeren nur durch die Straße getrennt ist und an dem Ufer der Röder liegt, umfaßt
- ein Hauptgebäude und fünf Nebengebäude. Im ersteren wird die Streichgarnspinnerei betrieben, in den Nebengebäuden befindet sich die Färberei, die Tischler- und Schmiedewerkstatt, sowie eine Gasbereitungsanstalt mit Gasometer von 8000 Kubikfuß Inhalt.
Das Etablissement beschäftigt sich mit der Streichgarnspinnerei und Tuchappretur, und sind seine berühmtesten und gangbarsten Erzeugnisse, außer den Tuchen, welche hier für andere Etablissements appretirt werden, die Streichgarne in reiner Wolle, sowie in Vigogne, welche letztere auch die Haupterzeugnisse bilden und ihren Absatz nach mehreren europäischen Staaten finden.
Diese Erzeugnisse befanden sich außer auf den sächsischen Ausstellungen, auch auf den zu München und Paris und erhielten
- 1836 in Dresden die goldene Medaille für Tuche,
- 1854 in München die Ehrenmedaille für Streichgarne und
- 1855 in Paris die Medaille zweiter Classe ebenfalls für Streichgarne.
In dem größeren Etablissement sind an Maschinen aufgestellt
- sieben Satz breite Krämpeln mit erforderlicher Feinspinnerei,
- vierzehn Rauhmaschinen mit erforderlichen Scheermaschinen und
- eine Dampfmaschine nach Woolfeschem System, an 45 Pferdekraft;
und in dem kleineren
- drei Satz schmale Krämpeln mit erforderlicher Feinspinnerei, in Bewegung gesetzt durch acht Pferdekraft ausübende Wasserkraft und
- zur Aushülfe befindet sich hier noch eine Dampfmaschine von 8 Pferdekraft, welche auch mit in der Färberei benutzt wird.
Beschäftigt sind hier ein Procurist, Herr Theodor Müller, vier Comptoiristen und circa 200 Personen.
Das Etablissement wurde von den Herren Friedrich Michael und Ferdinand Sigismund Eckhardt gegründet, welche anfangs in dem kleinern Etablissement nur die Streichgarnspinnerei für Tuche, um Lohn für die in Großenhain etablirten Fabrikanten betrieben, bis 1836, wo sie das gegenüber liegende, damals als Ruine dastehende, sogenannte alte Schloß ausbauten und die Tuchappretur dort begründeten, so wie daselbst noch mehr Maschinen zur Streichgarnspinnerei aufstellten. Von dieser Zeit an vergrößerte sich das Geschäft fortwährend und bald gesellte sich zu der Lohnspinnerei die Spinnerei für eigene Rechnung, welche Letztere sich nach und nach so ausdehnte, daß die Lohnspinnerei endlich ganz aufgegeben werden mußte. Am 10. Januar 1856 brach in dem alten Schloße Feuer aus und zerstörte es fast gänzlich, worauf noch in demselben Jahre von dem jetzigen Besitzer des Etablissements, Herrn Eduard Adolph Michael Eckhardt, die Gebäude in größerem Maßstabe und geschmackvollem, großartigem Styl wieder aufgebaut wurden, wobei der überaus feste, noch aus dem zwölften Jahrhundert herstammende Schloßthurm, welcher auch jetzt dem Brande siegreich widerstanden, wieder mit verbaut wurde und fortfuhr, wie früher als Schornstein der Dampfmaschine zu dienen.
Es sei uns vergönnt, hier noch Einiges über die frühere Geschichte des Schlosses zu sagen, um ein deutlicheres Bild von den Umwandlungen zu geben, welche im Laufe der Zeit eine Oertlichkeit erleiden kann.
Auf dem Platz, wo jetzt die Spindel schnurrt, Tag und Nacht die Dampfmaschine keucht und braust und ihre Rauchwolken zum Himmel sendet, wo Hunderte geschäftiger Hände zu friedlichen Zwecken sich regen von früh bis spät, erhob sich einst ein sorbischer Vertheidigungswall, von dem Opferbrände loderten, und wenn der Feind sich nahte, Signalfeuer die Umwohner von der drohenden Gefahr unterrichteten und zur Vertheidigung aufriefen. Als im zehnten Jahrhundert die Wenden von deutschen Kriegern überwältigt wurden, legten die Sieger hier – um das Jahr 928 – eine Burg an, wohl als Grenzveste gegen die benachbarten, noch nicht unterworfenen Landschaften dienend. Von der unter ihrem Schutz schnell entstandenen Stadt [84] war die überaus feste Burg durch Graben und Mauern getrennt. Die Burg gehörte in frühern Zeiten den Bischöfen von Naumburg, von welchen sie als Lehn die hier oft residirenden Markgrafen von Meißen besaßen. Auch der König Wratislaw von Böhmen war einige Zeit als Lehnsträger des Bischofs im Besitz der Burg und benutzte sie als böhmische Grenzfestung, sowie als Sitz eines Burggrafens.
Später kam die Burg – gleich der Stadt – gänzlich an die Markgrafen von Meißen und vorzüglich Friedrich mit der gebissenen Wange nahm bisweilen hier seinen Aufenthalt. Seine Festigkeit bekundete das Schloß damals gegen den Markgrafen Hans von Brandenburg, welcher es 1292 lange und vergeblich belagerte und bestürmte. Doch kam es 1312 als Auslösung für den gefangenen Friedrich an die Markgrafen Woldemar und Johann von Brandenburg, welche es aber in Folge des Friedensschlusses von 1316 an seinen ehemaligen Herrn zurückerstatten mußten.
In den damaligen unruhigen Zeiten mußte das Schloß Großenhain viele Drangsale und manche harte Belagerung aushalten, namentlich im fünfzehnten Jahrhundert durch die Hussiten; aber von des Feindes Waffen blieb es unbesiegt und nur erst die Gewalt des Feuers überwand es. Als den 29. Juli 1540 die Maria-Magdalenen-Nonnen ihr Kloster selbst in Brand steckten, weil es aufgehoben werden sollte, sank ein großer Theil der Stadt und mit ihr das Schloß in Asche. Das Schloß wurde wieder hergestellt und zwar fest genug, um während des dreißigjährigen Krieges allen Angriffen und namentlich einer Belagerung durch die Schweden widerstehen zu können.
Später wurde das Schloß von Kurfürst Johann Georg II. an das Rittergut Naundorf vererbt, von dem es erst in neuerer Zeit an die Stadt zurückkam. Es ward immer mehr zur Ruine und zuletzt blieb außer einigen Mauern nur noch der uralte Schloßthurm stehen, welcher durch die Festigkeit seiner fünf und eine halbe Elle dicken Mauern jedem Sturm der Zeit trotzte und – wie schon erwähnt – endlich als Rauchfang einer Dampfmaschine dienen mußte, als 1836 die Ruine zu einem industriellen Etablissement umgewandelt wurde.