Die Tochter des Schulzen und der Kirchensänger

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Autor: Raimund Friedrich Kaindl
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Titel: Die Tochter des Schulzen und der Kirchensänger
Untertitel:
aus: Sagen und Märchen aus der Bukowina, in: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 25–27
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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4. Die Tochter des Schulzen und der Kirchensänger.
(Galizisch.)

In einer Ebene, weit fort in Galizien lag ein Dorf hinter einem grossen Walde. In diesem Dorfe lebte ein Schulze, der eine wunderbar schöne Tochter hatte, von der man aber nur mit Furcht und Grauen sprach, denn sie sollte eine mächtige Zauberin sein.

In diesem Dorfe stand ein Kirchlein auf einem schönen, grünen Hügel. Jedes Kirchlein, und ist sie noch so klein, muss aber Pfarrer und Kirchensänger haben; letzterer muss ein junger, hübscher Bursch sein, an dem jede Menschenseele Freude und Gefallen findet.

Kein Wunder also, wenn die Schulzentochter gerade diesem Kirchensänger ihre besondere Aufmerksamkeit schenkte und jeden dieser Sänger in ihre Netze zu ziehen suchte. Schon mehreren dieser Burschen hatte sie die Köpfe verdreht und dann nie wieder zurechtgesetzt. Die jungen Männer starben nämlich immer bald darauf, nachdem sie sich mit ihr in näherem Verkehr eingelassen hatten.

So kam es denn, dass das Dorf bald keinen Kirchensänger mehr hatte. Keiner konnte und mochte mehr das Amt übernehmen, über das ein so böses Verhängnis waltete.

Da kam eines Tages weit über die Berge her ein Wanderer gezogen, welcher seine helle Stimme von weither erschallen liess. Wie er in die Nähe jenes Dorfes kam, da umringten ihn die Leute, bewunderten seinen Sang und fragten ihn endlich, ob er nicht geneigt wäre, bei ihnen Dienst als Kirchensänger zu nehmen; er werde es bei ihnen gut haben und brauche nur dann und wann ein wenig zu singen. Dem Wanderer leuchteten die Vorteile ein, welche die Stellung mit sich brachte und da er gerade auf dem Wege war, um in der nahen Stadt einen Dienst zu suchen, so kam ihm das Anerbieten hier glücklich in den Wurf. Er schlug also freudig ein, und die wackeren Dorfleute waren zufrieden. Der Wanderer, der über die Berge gekommen war, wurde nun Kirchensänger im Dorfe, in dem dort hinter dem Walde. Er nahm Wohnung bei einem alten Weibe und liess sich das Nachtessen wohlschmecken. Dann zündete er seine Pfeife an und sah gedankenlos in das Feuer.

„Bursch,“ sprach zu ihm das alte Weib, die ihn eine lange Weile aufmerksam betrachtet hatte, „du gefällst mir, und ich muss dich bedauern.“

„Was sagst du Mütterchen?“

„Ach! es ist bei uns so und so im Dorfe,“ entgegnete die Alte, [26] und dabei erzählte sie ihm alles, was sie über die junge Hexe und ihre Verhältnisse zu den Kirchensängern wusste, und das war sicherlich alles, was man überhaupt wusste, denn die Frau war alt und überdies hatte es ihr die Junge mit eigenem Munde erzählt; das Mütterchen war nämlich auch eine böse Zauberin.

„Was thun?“ sprach der Bursche.

„Ich will dir helfen,“ sprach die Frau, „und wenn du meinen Ratschlägen Folge leistest, wird dir auch geholfen sein. Wenn du nämlich morgen zum Brunnen gehst, um dich zu waschen, so wirst du einem wunderbar schönen Mädchen begegnen, das dich anlächeln wird, dir ihren Krug zum Gebrauche anbietet und dir noch anderes liebes erweisen möchte. Doch du musst streng und ernst bleiben und alles dies zurückweisen. Wenn du dann über die weite Wiese nach dem Kirchlein gehst, wird dir ein prächtiges Pferd begegnen, das dir nach läuft und dich so zum Aufsitzen locken will. Das darfst du aber auf keinen Fall thun, denn das Pferd ist das Mädchen, das dich auf diese Weise zu verderben sucht. Und wenn du endlich den Hügel zur Kirche emporsteigst, da wird an der steilsten Stelle dir ein Pflock aus dem Boden entgegenragen, ganz so, als ob er da wäre, damit der Wanderer sich auf ihn stütze. Doch du darfst ihn nicht berühren: sobald deine Finger ihn nämlich umklammern, giebt er nach und du stürzest mit ihm in die Tiefe, denn die junge Zauberin nahm auch diese Gestalt an, um dich zu vernichten. Thust du aber alles, mein Sohn, wie ich es dir sage, so wirst du gut fahren.“ So schloss die Alte ihre Belehrung.

Als nun am nächsten Tage der Kirchensänger sich zum Ausgehn rüstete, da sah ihn die alte Frau noch einmal aufmerksam an und begann dann: „Sänger, du bist es wirklich wert, dass ich dich für immer aus der Macht jenes Mädchens rette. Nimm diese Gerte und schlage unbarmherzig damit auf den Holzpfahl los; lass dich durch nichts bewegen, davon abzulassen, bis du müde und matt die Hände sinken lässt.“ Damit schickte sie ihren Gast aus dem Hause.

Dem Sänger begegnete auch wirklich alles, wie es ihm seine Wirtin vorausgesagt hatte. Er handelte auch ganz genau nach ihren Vorschriften und als der Pflock unter den Rutenschlägen jammerte und heulte, kehrte er sich keinesfalls daran, sondern hieb darauf los, bis die Gerte in Splitter ging und er kaum noch die Hände regen konnte. Da verschwand denn der übel zugerichtete Ast.

Wenige Tage nach dieser Begebenheit überraschte die Dorfbewohner die Kunde, die schöne Tochter des Schulzen sei tot. Kein Mensch wusste anzugeben, welcher Krankheit sie erlegen wäre, aber der Kirchensänger stellte in seinem Kopfe Vermutungen an; nur seine Wirtin hatte den Schlüssel zu dem Geheimnisse, den sie aber wohlweislich niemandem leihen wollte. Vor ihrem Tode hatte die schöne Sünderin noch gebeten, dass der neue Kirchensänger die drei Nächte, während der sie in der Kirche liegen würde, Gebete über ihrem Sarge sprechen sollte, was dieser zu thun bereit war.

Als nun der junge Mann zur Kapelle hinaufgehen sollte, um seine Pflicht zu verrichten, da gab ihm seine Beschützerin die Warnung mit [27] auf den Weg, um die Mitternachtsstunde ja nicht neben der Toten sitzen zu bleiben, vielmehr die erste Nacht hinter dem Altar, die zweite unter dem Altartuch, die dritte aber in dem Kasten zuzubringen, in welchem die Kirchengeräte waren. Der Bursche merkte sich die Vorschrift wohl und ging hin, wo er das Kirchlein fand.

Als nun der Abend nahte, zündete er eine dicke Wachskerze an, nahm ein grosses Gebetbuch zu Händen und betete und sang fleissig über den starren Leichnam. Als aber Mitternacht nahte, da kroch er schnell hinter den Altar und harrte der Dinge, die da kommen würden.

Kaum war der schwere dumpfe Schlag der Turmuhr, welche die zwölfte Stunde verkündet hatte, verklungen, da kratzte und bewegte es sich in dem Sarge, nach und nach hob sich die Tote langsam empor und sah sich nach dem Sänger um. Als sie ihn nicht gewahr wurde, begann sie wütend die Kirche zu durchstöbern, nur vom Altare hielt sie sich fern. Als sie den Gesuchten nicht fand, stieg sie wieder in den Sarg und versank in ihren früheren Zustand. Der Gerettete kam nun aus seinem Verstecke hervor und setzte seine Andachtsübungen bis zum hellen Morgen fort.

So ging es auch in der nächsten Nacht zu. Gefährlicher sollte aber die Lage des Kirchensängers in der letzten Nacht werden. Er war nämlich, wie es ihm die Alte vorgeschrieben hatte, in den heiligen Kasten gestiegen und hatte denselben von innen fest verschlossen; dann drückte er sein Auge an ein Astloch und beobachtete den Sarg bei den Schein der Kerze.

Da erhob sich genau um dieselbe Zeit, wie in den früheren Nächten, die Tote aus ihrem engen Gehäuse, sucht mit ihren starren Blicken nach dem Sänger, streifte in dem öden Raume umher, bis sie sich endlich auch dem Kasten näherte und an dem Geruche merkte, dass ein lebendes Wesen darin verborgen sei. Doch der geweihte Kasten war ihrer Macht entrückt. Da sprach sie eine furchtbare Zauberformel vor sich hin: plötzlich begann es von allen Seiten zu schwirren und zu brausen und durch Fenster und Thüren kamen junge und alte Hexen herbei, begrüssten die tote Schulzentochter als ihre Meisterin und Königin und stellten sich um sie im Kreise herum. Diese legte nun den Hexen die Frage vor, wie man dem Verborgenen beikommen könnte. Doch jede schüttelte verneinend den Kopf, keine wusste Rat.

Da plötzlich kam jenes alte Weib herein, welches den Sänger beherbergte; auf ihren Armen trug sie ein neugeborenes Kind, bei dessen Anblick die anwesenden Hexen ehrfurchtsvoll erzitterten. Das Kind war nämlich die neue Königin alle der Zauberweiber; dasselbe sollte die Hingeschiedene vertreten: obgleich noch ein Kind, war es keinesfalls so harmlos, wie man erwarten mochte. Kaum hatte es nämlich die Thatsache, um die es sich handelte, erfahren, so befahl es vor dem Astloche des heiligen Kastens dies und jenes Hexenkraut in Flammen zu setzen. Schnell stoben die Hexen auseinander, um das gewünschte zu holen, ehe sie aber wieder kamen, krähte der Hahn, die Hexen verschwanden, die Tote kehrte in ihren Sarg zurück und der Kirchensänger war gerettet.

Wann er gestorben ist, wissen wir nicht, denn man vergass zuletzt die Zeit, wann er geboren war.