Die Wüstenmetropole am Nigerstrom

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Autor: August Woldt
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Titel: Die Wüstenmetropole am Nigerstrom
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 430–432
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Wüstenmetropole am Nigerstrom.

Etwas von der Dr. Lenz'schen Expedition nach Timbuctu.
Von A. Woldt.

Zu den mächtigen Städten, welche der Muhamedanismus im Laufe der Zeiten am fruchtbaren Südrande der großen Wüste, quer durch Afrika, gründete, gehört auch die seit Jahrhunderten in den Schleier des Geheimnisses gehüllte Wüstenmetropole am Nigerstrom – Timbuctu.[1] Vor etwa achthundert Jahren gegründet, entwickelte sich die interessante Stadt in Folge der gewaltigen Energie der islamitischen Machtentfaltung im Mittelalter zu einem der bedeutendsten Culturcentren Afrikas, aber auch an dem stolzen Timbuctu hat sich das Wort vom Zahn der Zeit erfüllt – die Stadt ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Vor fünf oder sechs Jahrhunderten wußten trotz der großartigen Hindernisse, welche ihnen die wilde Wüstennatur entgegensetzte, die islamitischen Herrscher zwischen dem Nordrand von Afrika und den mohammedanischen Städten südlich von der Sahara fortdauernde Handelsbeziehungen zu unterhalten. Dieser lebhafte Verkehr erreichte seinen Gipfelpunkt unter dem mächtigen Sultan El Kahal in Marokko, von dem ein arabischer Schriftsteller berichtet, durch sein Machtgebot sei jenes gigantische Werk ausgeführt worden, welches in der Bepflanzung der ganzen ungeheuren Wegstrecke zwischen Marokko und Timbuctu mit hölzernen Pfählen bestand, die den hin und her fluthenden Handelskarawanen als Wegweiser dienten.

Es spricht sehr für die siegende Gewalt des Muhamedanismus, daß er Jahrhunderte hindurch seine Jünger so zu begeistern verstand, daß sie die Schrecknisse der Wüste kaum beachteten und daß die Sonnengluth der erhitzten Sandflächen und Thäler nichts vermochte gegen den glühenden Religionseifer der Anhänger des Propheten. Ungeachtet aller Sandstürme und Einöden wanderten namentlich die Gelehrten des Islam in großen Schaaren nach der „heiligen“ Stadt Timbuctu, um dort in tiefster Versenkung und Hingebung an Allah aufzugehen und die Grundlehren ihrer Religion zu berathen. Selbstverständlich mußte das „Athen der Wüste“ den „Ungläubigen“, gleichviel ob Christen oder Juden, für immer unzugänglich bleiben; als daher mit dem Erwachen des geographischen Forschungsgeistes Versuche gemacht wurden, die märchenhafte Stadt, welche eine Einwohnerschaft von 100,000 Personen in sich bergen sollte, der wissenschaftlichen Untersuchung zu erschließen, wurden alle dahin zielenden Bestrebungen durch den Fanatismus der Bewohner zurückgewiesen. Vergebens bemühte sich in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts der kühne Reisende Mungo Park die Stadt Timbuctu zu erreichen; denn einige Tagereisen von ihr entfernt, mußte er umkehren und arm und elend den Rückweg antreten, während er auf seiner zweiten heldenmüthigen Reise im Jahre 1805 den Hafenort von Timbuctu, nicht aber die Stadt selbst erreichte und bald darauf, stromabwärts fahrend, bei Bussa ein ruhmvolles, doch unfruchtbares Ende fand. Der erste Europäer, welcher Timbuctu erreichte, war der englische Major Alexander Gordon Laing, der sie am 18. August 1826 betrat, dann aber verjagt und einige Tagereisen landeinwärts ermordet wurde. Glücklicher waren später der Franzose Réné Caillié, welcher vierzehn Tage in Timbuctu verweilte, und nach ihm zwei deutsche Forscher, Dr. Heinrich Barth, der den Winter des Jahres 1853 und das Frühjahr 1854 daselbst zubrachte, sowie Dr. Oscar Lenz aus Leipzig, der vom 1. bis 17. Juli 1880 Timbuctu durchforschte. Die Beschreibungen unserer deutschen Landsleute sind das Einzige, was wir über die gegenwärtigen Verhältnisse der interessanten Nigerstadt mit Sicherheit wissen.

Dr. Lenz ist kein Neuling mehr in der Afrikaforschung; denn bereits in der Mitte des vorigen Jahrzehnts bereiste er im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland eine andere Region Afrikas, und zwar das äquatoriale Stromgebiet des Ogowe, aus dem er manche bemerkenswerthe Entdeckung und vor Allem die echten Eigenschaften eines Afrikareisenden, treue Hingebung an die Idee, zielbewußtes unentwegtes Streben, festes Handeln, sowie Klugheit und Geduld im Verkehre mit den Menschen mitbrachte. Nach seiner Rückkehr vom Ogowegebiet verwaltete er einige Jahre lang die Stelle als Adjunct an der kaiserlich königlich geologischen Reichsanstalt in Wien und rüstete sich, im Alter von noch nicht zweiunddreißig Jahren – Dr. Lenz ist am 13. April 1848 geboren – im Herbst 1879 zu seiner zweiten Reise im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft. Das Ziel derselben war ursprünglich das Atlasgebirge und die geologische Erforschung des Gebietes von Marokko; durch eine Reihe von günstigen Verhältnissen gelang es ihm jedoch, Timbuctu zu erreichen. Die Einzelheiten dieser ruhmvollen Expedition sind durch die Zeitungen überall bekannt geworden, und wir wollen dieselbe hier nur in ihren Hauptzügen verfolgen.

Das große Geheimniß, auf dem auch hier wieder, wie ehemals bei Barth, der Erfolg der Reise beruhte, bestand darin, daß Lenz den besondern Verhältnissen Rechnung trug und nicht nur seine Stellung als Christ verleugnete, sondern direct als Muselmann reiste. Ja, er wählte sogar eine ziemlich exponirte Stellung als Bekenner des Islam, indem er sich für den Leibarzt eines der angesehensten priesterlichen Gelehrten des Islam ausgab. Dieser Gelehrte war ein sogenannter Scherif, das heißt einer der wirklichen direkten Nachkommen des Propheten Mohammed, und genoß als solcher eine ganz außerordentliche Hochachtung bei allen seinen Glaubensgenossen. Den Augen der afrikanischen Welt stellte sich das Verhältniß also folgendermaßen dar: Der hochgelehrte Scherif Hadj Ali, ein naher Verwandter des in Damaskus lebenden berühmten alten Kriegshelden Abd el Kader, hat, den Vorschriften des Islam zufolge, die Wallfahrt nach der heiligen Stadt Mekka vollendet und auf der Weiterreise in Constantinopel, der Hauptstadt des Padischah, einen sehr tüchtigen türkischen Militärarzt „Hakim Omar ben Alian“ (Dr. Oscar Lenz) kennen gelernt und ihn wegen seiner Geschicklichkeit in seine Dienste genommen. Da nun der Scherif begierig ist, den Lehren seiner Religion zufolge, auch die übrigen heiligen Städte des Islam kennen zu lernen und überall mit den Gelehrten zu disputiren, so hat er beschlossen, auch Timbuctu zu besuchen und seinen Leibarzt dorthin in seinem Gefolge mitzunehmen. In Wirklichkeit verhielt es sich aber anders: Dr. Lenz hatte diesen Scherif Hadj Ali, der natürlich eine ebenso käufliche Natur war, wie alle Anderen, um den Preis von dreitausend Franken als Dolmetsch gemiethet, wofür dieser ihn unversehrt von Tanger bis Timbuctu und wieder zurück nach Tanger zu bringen hatte. Falls Jener dies nicht vollständig erfüllte, so erhielt er überhaupt kein Geld. Dr. Lenz verkleidete sich als Muselmann und trat als Leibarzt des Scherif auf. Es glückte ihm besser als Dr. Barth, sein Incognito zu bewahren; denn während Dieser in Timbuctu sofort als Christ erkannt wurde und deshalb während seines langen Aufenthalts endlosen Verfolgungen der fanatischen Einwohnerschaft ausgesetzt war, blieb das Geheimniß des Dr. Lenz, wenigstens äußerlich, bewahrt, und wenn die vornehmen Kreise in Timbuctu es auch zu durchschauen schienen, so ignorirten sie doch vornehm, daß sie darum wußten, und ließen unsern Landsmann unbehelligt. Zudem verstand es der Scherif, sich das Ansehen eines ganz besonderen Heiligen zu geben und den „Gläubigen“ durch ein barsches, selbstbewußtes Auftreten zu imponiren; er spielte seine Rolle mit solcher Ueberzeugung, daß er zuletzt selber daran glaubte.

Als die kleine Karawane des Dr. Lenz von Norden her über [431] Tenduf, Taudeni und Arauan Timbuctu erreichte, kam eine beträchtliche Menschenmenge den Reisenden entgegen und begrüßte sie mit endlosen „Salams“, vornehmlich aber wurde dem Scherif, als der Hauptperson, von den biederen Bekennern des Islam Ehrerbietung gezollt. Der schlaue Hadj Ali, dessen handgreifliche Lüge, daß er der vierundzwanzigsten Generation der directen Nachkommen des Propheten angehöre, von Jedermann geglaubt wurde, obgleich bereits 1250 Jahre seit dem Tode Mohammed's verflossen sind, nahm ohne Weiteres die Gastfreundschaft des Oberhauptes der Stadt, der den Titel Kahia führt, für sich und sein Gefolge in Anspruch. Nur zu gern gewährte der hochgestellte Mann diesen Wunsch; denn es fiel ja dadurch auf sein Haus ein Strahl jener Herrlichkeit, die der Scherif durch sein bloßes Erscheinen verbreitete; auch brannten die einheimischen Gelehrten schon darauf, sich in endlosen Discussionen mit Hadj Ali zu messen.

So kam es denn, daß während des fast dreiwöchentlichen Aufenthaltes der Reisegesellschaft in Timbuctu fast täglich das Haus des Kahia der Sammelpunkt der gelehrtesten Moslemin wurde, die sich über die tiefsten Probleme und äußersten Geheimnisse des Islam in schreiendster Debatte unterhielten. Da sich der Scherif Hadj Ali einer ausnehmend gesunden Lunge erfreute, so gelang es ihm, wie dies auch sein Ansehen vorschrieb, regelmäßig die Anderen in den Discussionen niederzuschreien, und Abends theilte er dann dem Dr. Lenz triumphirend mit, daß er doch ein viel größerer Gelehrter als jene sei, die er im Wortgefechte besiegt habe. Der Scherif nutzte übrigens das große Renommée, dessen er sich erfreute, noch in anderer Weise aus, indem er den Gläubigen in Timbuctu zahlreiche Amulette, bestehend aus niedergeschriebenen Koranversen, die in Lederkapseln am Arm oder um den Hals getragen werden, anfertigte und dafür reiche Geschenke an Kleiderstoffen, Straußenfedern, Goldringen u. dergl. m. einheimste.

Inzwischen benutzte Dr. Lenz die ihm unter seinem hochangesehenen Schutze gewährte Sicherheit nach besten Kräften dazu, um wissenschaftliche Studien über Timbuctu und seine Bewohner anzustellen. Während Dr. Barth gelegentlich seines Aufenthaltes in Timbuctu sich, fast wie ein Gefangener, im Wesentlichen darauf beschränken mußte, von der Terrasse des Hauses seines Wirthes aus das Häusergewirr der Stadt mit den drei darüber hinwegragenden Moscheen zu besichtigen und zu skizziren, und nur hin und wieder sich einer gewissen Sorglosigkeit hingeben durfte, streifte Dr. Lenz frei und ungehindert, theils allein, theils mit seinem Scherif durch die engen Straßen der Stadt; er betrat das Gewühl des Marktes, die Wohnungen der verschiedenfarbigen Einwohner und die Verkaufsläden der Händler. Außerdem eröffneten sich ihm, dem Leibarzt des berühmten heiligen Mannes, noch ganz andere Thüren und Geheimnisse, die ihm sonst natürlich vollständig verschlossen gewesen wären. Zahlreiche Kranke consultirten ihn, und es gelang ihm auch einen Einblick in die sanitären Verhältnisse der Stadt zu gewinnen. Die Mehrzahl der Fälle, die er zu curiren hatte, betrafen das bekannte Uebel der Wüstenbewohner, nämlich Augenkrankheiten.

Die Beschreibung, welche Dr. Barth bereits 1854 von Timbuctu gemacht hatte, ist mit wenigen Modificationen auch heute noch zutreffeud, vielleicht ist der breite Gürtel von Ruinen und Häuserresten, welcher die überall offene, dreieckige Stadt als Ueberbleibsel ehemaliger Größe und Herrlichkeit rings umgiebt, noch ein klein wenig breiter geworden. Wenn man die Stadt von Norden her betritt, trifft man zunächst einen aus niederen flachen Zelten bestehenden Stadttheil, dessen Bewohner nomadisirende Araber sind, dahinter einen anderen Stadttheil, der aus höheren, spitzeren Hütten besteht und in dem die ärmere Bevölkerung ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat; dann erst folgt das Häusergewirr der eigentlichen Stadt mit den quadratischen flachen, oft nur ein Stockwerk hohen Gebäuden, deren dicke Lehmmauern trotz der kolossalen Hitze draußen den Räumen im Innern eine angenehme Kühlung verschaffen. Vielfach finden sich an den Häusern Spuren von Ornamentirung; namentlich sind hübsche schwarze hölzerne Fenster nicht selten und in der Mitte zwischen zwei Häuserreihen befinden sich gewöhnlich Rinnen für das von den Dächern herabfließende Regenwasser. Die Straßen selbst sind fast überall so breit, daß sich zwei entgegenkommende Reiter ausweichen können. Die Einwohner von Timbuctu bestehen im Wesentlichen aus Arabern und Souray-Negern, sowie einem bunten Völkergewirr aus allen Theilen Afrikas, und ihre Gesammtzahl beträgt nach Schätzung des Dr. Lenz kaum mehr als zwanzigtausend. Hierzu kommt noch während der Karawanenzeit eine flottante Bevölkerung von mehreren Tausend Personen.

Die Karawanen und der Handel — das ist von Alters her der Hauptgedanke des handeltreibenden Theiles der Bevölkerung von Timbuctu. War es auch für die ehrgeizigen Herrscher früherer Jahrhunderte eine Ehrensache, recht viele Gelehrte in's Land zu ziehen, so vergaßen sie darum doch nicht, die Metropole am Nigerstrom zum Hauptzielpunkt des westlichen Sudan zu machen und es in enge Wechselwirkung mit Marokko zu bringen.

Bei alledem ist Timbuctu durchaus keine Stadt, in welcher eine eigene Industrie sich hervorragend entwickelt hätte. Jedes Gespräch, jede That bezieht sich dort entweder auf den Mohammedanismus, auf Hersagen von Gebeten und religiöse Unterhaltungen oder auf den Handel. Man handelt mit dem Sudan und den Negerreichen im Süden und kauft deren Producte an, um sie gegen die Waaren des Nordens umzutauschen, wobei die große Bedürfnißlosigkeit der Leute es erklärlich macht, daß sie sich mit verhältnißmäßig bescheidenem Gewinne begnügen.

Unter den von Norden herkommenden Karawanen ist diejenige von Tenduf, welche den Namen „Akbar“, das heißt die „Große“, führt, die bedeutendste. Diese wird gewöhnlich nur einmal des Jahres unternommen und zählt selten weniger als 300 bis 400 gut bewaffnete Leute und 1000 bis 2000 Kameele. Die Transportkosten betragen für eine Ladung von 162 Kilo von Timbuctu bis Tenduf 375 Franken, von Tenduf bis Mogador 40 Franken. Als Exportartikel von Timbuctu bilden Negersclaven immer noch einen Hauptartikel; diese Leute kommen aus den Bambarraländern und werden nach Marokko, Tunis und Tripolis geführt; außerdem führen die Karawanen aus Timbuctu Straußenfedern, im ungefähren Werthe von 400,000 Franken, etwas Gummi, Goldwaaren und Goldstaub für 100,000 Franken, Elephantenzähne für 150,000 Franken aus, und der Gesammtwerth aller Exportartikel nach dem Norden beträgt noch nicht eine volle Million Franken. Der Import nach Timbuctu enthält blaue englische Baumwollenstoffe, Korallen, Thee aus London, Zucker aus Marseille und Salzstücke aus Taudeni, welcher letztgenannte Ort etwa fünf geographische Breitengrade nördlich von Timbuctu liegt und einen bedeutenden Theil Centralafrikas mit Salz versorgt.

Dr. Lenz, welcher auf seiner Expedition den Ort berührte, berichtet von den uralten Steinsalzminen, welche hier von den Arabern ausgebeutet werden, Folgendes: Man bricht das Steinsalz in meterlangen Platten, deren vier eine Kameelladung ausmachen; Tausende von Kameelen gehen jährlich, mit diesen Platten beladen, nach Timbuctu. Sehr merkwürdig sind bei Taudeni die Reste einer längst untergegangenen Stadt, deren Mauern aus Erde und Steinsalz bestehen und zwischen deren Trümmern die Karawanenführer und Kameeltreiber nach prähistorischen Steinwerkzeugen suchen, die sie mit nach Timbuctu nehmen, wo die Negerweiber diese Steine sehr gern für den Hausgebrauch benutzen.

Die Nahrungsmittel in Timbuctu sind ganz vorzüglich; man findet dort vortreffliches Weizenbrod, gute Butter und Honig, Fleisch vom Rind, Schaf, Ziege, Wildpret und Hühner; auch giebt es vortreffliche kleine Boutiken an den Straßenecken, in denen außer diesen Lebensmitteln noch getrocknete Fische, Früchte, namentlich Melonen, Milch, Eier, Süßigkeiten etc. verkauft werden. Was die Münzverhältnisse betrifft, so bedient man sich zur Bezahlung des Goldes, und — wie an vielen Stellen der Erde — der Schalen der Kaurischnecken. Als Einheit für das Gold dient ein „Mitkal“, dessen Werth gegenwärtig in Timbuctu 11 bis 12 Franken beträgt; für die Hälfte dieses Preises erhält man etwa 5000 Kauris. Mit der letztern Münze werden alle kleineren Bedürfnisse bezahlt; beispielsweise erhält man für etwa 20 Kauris ein Ei. Man kann sich über den Werth des Muschelgeldes noch eine weitere Anschauung durch die Nachricht Dr. Barth's verschaffen, der mittheilte, daß er für 10,000 Kaurischnecken ein großes Boot zu ausschließlichem Gebrauche miethete, welches ihn während der letzten Woche seiner Fahrt auf dem Niger bis nach dem Hafen von Timbuctu zu fahren hatte. Timbuctu liegt nämlich nicht selbst an diesem Strome, sondern es befindet sich etwa eine Tagereise davon entfernt und hat nur zur nassen Jahreszeit eine Wasserverbindung dorthin. Sehr auffällig war es Dr. Lenz, daß er von der arabischen Bevölkerung in Timbuctu den Niger ausschließlich als „Nil“ bezeichnen hörte, und er erklärte sich dies dadurch, daß sich hier die alten Traditionen der römischen und griechischen Schriftsteller noch erhalten [432] haben. Da der Niger bei Timbuctu östlich fließt und Aegypten, der Nil und Mekka in dieser Richtung liegen, so glaubt man noch heute an die Identität beider großen Ströme. Es giebt in Timbuctu mehrere Schulen und auch Bibliotheken, das heißt Sammlungen von Manuscripten, mit deren Hülfe die Gelehrten ihre endlosen Unterhaltungen über den Koran führen.

Timbuctu hat im Laufe der Jahrhunderte mehrfach seine Herren gewechselt und ist wiederholt im Mittelalter geplündert und zerstört worden; auch neuerdings hat es vielfach als Spielball zwischen den streitenden Parteien, namentlich zwischen den Tuareg im Norden und den Tulani im Süden gedient. Die stete Furcht, in der es als offene Stadt schweben mußte, hat sich der Bewohnerschaft so unauslöschlich eingeprägt, daß das fortwährende Waffentragen der Einwohner geradezu eine typische Erscheiuuug für Timbuctu ist. Nähert sich beispielsweise eine Karawane, so eilen ihr wohl zahlreiche Neugierige entgegen, um die Ankömmlinge herzlich zu begrüßen, aber jeder Einzelne trägt gewohnheitsmäßig einen etwa sieben bis acht Fuß langen Speer in der Hand. Einen König giebt es in Timbuctu gegenwärtig nicht, wohl aber wohnen daselbst sehr einflußreiche Häuptlinge. Neben der Familie der Kahia, der das Stadtoberhaupt angehört, spielt eine alte hochangesehene Scheriffamilie El Bakey eine Hauptrolle; ihr gegenwärtiges Haupt ist Abadin, ein junger, sehr gelehrter Mann, von großem Ehrgeize, welcher in der Entwickelung der politischen Verhältnisse jener Gegend noch eine große Rolle spielen wird; er ist der Sohn jenes Scherifs, welcher dem Dr. Barth eine ausgezeichnete Gastfreundschaft erwiesen hat. Er genießt bei den Tulani so großes Vertrauen, daß diese ihn, als zur Zeit von Dr. Lenz’ Anwesenheit wieder ein Krieg auszubrechen drohte und sie bereits die ganze Communication auf dem Niger abgeschnitten hatten, zu ihrem Anführer wählten. Aber die Tuareg, deren Anführer der große Sultan Fandagumu war, der auch seinen Wohnsitz in Timbuctu hatte, besaßen vorläufig noch das Uebergewicht, sodaß, wenn es zum Kampfe gekommen wäre, im Wesentlichen die Stadt selbst darunter gelitten haben würde.

Ansicht von Timbuctu.

Diese allerersten Kreise von Timbuctu hielten sich gegenüber dem „Scherif“ und seinem „türkischen Militärarzt“ zuerst in kühler[WS 1] Reserve, namentlich konnte es der stolze Scheich der Tuareg nicht mit seiner Hoheit und Würde vereinbaren, dem „Abkömmling des Propheten“ zuerst seinen Besuch zu machen. Aber auch der Scherif gab nicht nach und hatte, wie sich später herausstellte, ganz richtig gerechnet; denn sein Stolz erfocht über den des Fandagumu einen glänzenden Sieg.

Dies geschah am Tage der Abreise, welcher sich für Dr. Lenz und seine Genossen zu einem großartigen Feste gestaltete, indem nämlich mehrere Tausend Einwohner von Timbuctu die Reisenden begleiteten. Der imposante Auszug aus der Stadt geschah hierbei nach landesüblicher Sitte folgendermaßen: Zuerst kam als die Hauptperson der Scherif, und zwar wurde er von zwei Männern am Arme geführt, nämlich von dem Bürgermeister und dem größten islamitischen Gelehrten Timbuctus; als Zweiter folgte Dr. Lenz, der „Leibarzt“ – dessen Curen meist in der unschuldigen Verabreichung von Englisch Salz bestanden hatten –, geführt von dem Sohne des Kahia und einem anderen großen Gelehrten. So wandelte man langsamen Schrittes zur Stadt hinaus, begleitet von den unzähligen Salam-Rufen der Eingeborenen. Da nahte ein überaus stattlicher Zug mit vielen Reitern zu Pferde und zu Kameel; es war das Gefolge des mächtigen Tuaregsultans Fandagumu, welcher dem Scherif auf diese Weise noch in der letzten Minute des Abschieds seine Huldigung darbrachte. Es war prächtig anzusehen, wie jedes Thier von zwei Männern beritten war, dem Herrn und seinem Diener, welcher Letztere die Waffen, Schild, Lanze und Schwerter, trug.

Nach mehrmonatlicher Reise langte Dr. Lenz mit seinem Scherif wohlbehalten, wenn auch fast ganz ausgeplündert, in St. Louis in Senegambien an und erreichte von dort aus die Heimath. Timbuctu aber geht als Karawanenstadt seinem allmählichen Untergange mehr und mehr entgegen. Wenn es dem wachsenden modernen Handelsverkehr gelingen wird, die reichen Producte des Sudan vom atlantischen Ocean aus an sich zu ziehen, wenn ferner der Export von Negersclaven aufgehört haben wird und das Salz dem Sudan auf andere Weise zugeführt werden kann, als durch tausende von Kameelladungen aus Taudeni, dann wird die märchenhafte Wüstenkönigin sich auch allmählich in den Schleier der Vergessenheit hüllen und die frommen Moslemin auf ihren Trümmern sich fügen in das unvermeidliche Kismet.



  1. Wir verweisen bei dieser Gelegenheit auf das vor Kurzem im Verlage von A. Hartleben erschienene Werk „Die Sahara oder von Oase zu Oase“ von Dr. J. Chavanne, welches wegen seiner klaren und allgemein verständlichen Schilderungen aus dem Natur- und Volksleben der großen afrikanischen Wüste die besondere Aufmerksamkeit unserer Leser verdient. Auch entnehmen wir dem mit vielen Illustrationen geschmückten Buche unsere heutige Abbildung.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ühler