Der Ryswyker Friede
Der Ryswyker Friede.
In der Provinz Südholland, zwischen dem Haag und Delft, liegt das Dorf Ryswyk; seine Häuser schauen so freundlich, so schmuck und sauber aus den grünen Bäumen hervor, wie man dies eben nur in Holland findet. In unmittelbarer Nähe des Ortes, auf dem Wege nach Delft hin, ragt ein hoher Obelisk in die Luft, welcher lange Zeit hindurch gar traurige Erinnerungen in deutschen Herzen weckte: auf dieser Stelle ging Straßburg dem deutschen Reiche verloren, aber nicht ganz zwei Jahrhunderte lang sollte des vierzehnten Ludwig stolzes Wort sich erfüllen, daß „er und seine Nachkommen im unstörbaren Besitz der Stadt bleiben wollten“.
Da, wo jetzt die steinerne Nadel des Obelisks in die Lüfte zeigt, stand einst das Luftschloß Huis te Niewburg, welches unser heutiges Bild wiedergiebt, so genannt, weil ein Herzog, von Niewburg den ersten Stein zu dem Bau gelegt hat. Aber schon 1783 wurde es, wie die Inschrift des sechszig Fuß hohen Obelisken besagt, niedergelassen, weil es eine „Ruinosa Aedes“, ein „baufälliges Haus“ war. 1792 ließ der Erbstatthalter Wilhelm der Fünfte das erwähnte Denkmal auf der Stelle des alten Schlosses errichten.
Auf drei Stufen gelangt man zu der circa fünfzehn Fuß hohen Basis, auf welcher in lateinischer Sprache zu lesen: „Zu Ehren des großen und guten Gottes, der uns den Frieden geschenkt hat, und zum Gedächtniß des Friedens zu Ryswyk hat Wilhelm der Fünfte von Oranien und Nassau auf dem Boden des baufälligen Hauses diese große Nadel errichtet im Jahre des Herrn 1792.“ Ueber dieser Inschrift sieht man das von Laubwerk umgebene und in Stein gehauene Wappen des Prinzen; darüber befindet sich die kaiserliche Krone und noch höher ein Mercur-Stab mit Schlangen, das Symbol des niederländischen Handels; rechts sieht man das Sinnbild der Schifffahrt: ein Ruder, umgeben von Kornähren, als Zeichen des Reichthums, auf der Rückseite des Obelisken ein Bündel Pfeile, links ein Füllhorn.
Als ich das ernste Gedenkzeichen zum ersten Mal sah, rauschte durch die Wipfel der umschattenden Bäume noch nicht die tröstliche Botschaft herüber, daß die alte Schmach gesühnt sei, daß, wie einst Athen die Säule zerschmettert, auf welcher der Friedensvertrag mit Philipp stand, so auch Deutschland jenen Paragraphen sechszehn aus dem Friedensvertrage zu Ryswyk herausgerissen und sich sein Straßburg, seine verlorene Braut, wieder errungen habe im unehrlichen Kampfe. Und da wir erst vor Kurzem, trauernd um die gefallenen Helden und über die wiedergewonnene Einheit triumphirend, den zehnten Gedenktag des Frankfurter Friedens, der uns Elsaß wiedergab, feierlich begingen, so dürfte jetzt der richtige Moment gekommen sein, uns den Ryswhker Frieden durch den wir Elsaß einst verloren, in’s Gedächtniß zurückzurufen.
Kaum war vor zwei Jahrhunderten das Reich im Osten von der Türkennoth befreit, als schon der übermüthige, westliche Nachbar gegen die Reichsritterschaft und die Städte im Elsaß Gewaltthaten verübte und auf andere deutsche Gebiete freche Ansprüche erhob.
Zur Abwehr solcher Uebergriffe traten zu Augsburg am 9. Juli 1686 der Kaiser mit seinem ganzen Hause, Baiern und andere deutsche Stände, Spanien und Schweden in den sogenannten großen Bund zusammen. Jahrelang kämpften die Alliirten in blutigem Ringen und mit wechselndem Kriegsglücke gegen die französischen Heere, bis am 9. Mai 1697 unter Schwedens Vermittlung die Gesandten sämmtlicher kriegführenden Mächte zusammen kamen, um über Europas Ruhe zu entscheiden. Ryswyk ward zum Versammlungsort gewählt, und so tagten die Vertreter der betheiligten Staaten gerade hier, auf der Stelle des Obelisken. Hier rollten vor fast 200 Jahren die Sechsspänner der Gesandten; hier wölbte sich der stolze Bau des Hauses zu Neuburg; vielleicht gerade über uns, hier wo wir eben stehen, schmückten die Gemälde des Malers Plonthorst die Decke des Hauptsaales; hier etwa ist die Stelle, an der sich das Balconzimmer mit dem grünbehangenen Tische befand, an welchem am 30. October 1697, Morgens vier Uhr der Frieden unterzeichnet wurde.
Welch ein merkwürdiges, lautes Leben herrschte damals monatelang in den Räumen dieses Schlosses! Nach unsern heutigen Begriffen ein kleinliches, ja, lächerliches Treiben! Während es sich um Wohl und Wehe großer Völker handelte, stritten und zankten sich die Herren Gesandten vom ersten Tage, ab um recht untergeordnete Fragen einer Zeit und Geld stehlenden Etiquette. Die kaiserlichen Gesandten ließen sich z. B. die Mühe nicht verdrießen, zu jeder Conferenz vor der anberaumten Zeit in Ryswyk zu erscheinen, nachdem der schwedische Friedensvermittler Lillieroot nach langen Streitigkeiten entschieden hatte, daß die zuerst kommenden Wagen den ersten Platz im Schloßhofe einnehmen sollten. Sobald die übrigen Verbündeten dies merkten, ließen sie ihre Wagen gar nicht mehr im Hofe warten, sondern schickten sie in den Park zurück. Es wäre nicht zu verwundern gewesen, wenn Frankreich, der übermüthige Friedensgewährer, übertriebene Ansprüche gemacht hätte, aber die kaiserlichen Gesandten gaben ihm nichts nach: sie verlangten ihre eigene Conferenztafel, abgesondert von derjenigen der Alliirten, ja sogar ihr eigenes Versammlungszimmer; die alte Uneinigkeit und Ueberhebung schwand auch in den Stunden der Entscheidung nicht. Es gemahnt uns wahrlich wie eine Scene aus einem Kotzebue’schen Lustspiel, wenn uns erzählt wird, welche Schwierigkeiten Schweden zu besiegen hatte, um die gegenseitigen Besuche des französischen und kaiserlichen Gesandten zu regeln. Die Thüren zu den Gemächern Beider öffneten sich auf den großen Empfangssaal. Beide Gesandte, so lautete der schwedische Richterspruch, sollten zu gleicher Zeit aus ihren Gemächern heraustreten, damit keiner sagen könne, er habe den ersten Besuch gemacht. Der französische Gesandte drohte, er würde sich sofort zurückziehen, sobald er bemerke, daß die Rosette auf dem Schuh des kaiserlichen Gesandten nicht ebenso weit auf der Schwelle vorgeschritten sei, wie die seine. Glücklicher Weise vermied Schweden die Möglichkeit einer solchen Scene, indem es die gegenseitige Begrüßung der Gesandten so regelte, daß der später Angekommene stets von dem früher Anwesenden besucht wurde.
Am 9. Mai, Nachmittags 3 Uhr begann der feierliche und über alle Maßen pompöse Einzug der Gesandten. Zuerst erschien in sechsspännigem Wagen der Friedensvermittler; obgleich er selbst und die mit ihm im Wagen Sitzenden wegen des Todes Karl’s des Ersten Trauer trugen, waren doch Equipage und Dienerschaft ohne entsprechende Abzeichen, was um so auffälliger war, da Frankreich, das die Trauer um die Königin Wittwe von Spanien längst abgelegt hatte, die Dienerschaft in Trauerkleidern erscheinen ließ. Hierauf folgten die Bevollmächtigten der andern Staaten in Sechsspännern und mit zahlreicher Dienerschaft, während ein Detachement Schweizergarden zur Aufrechterhaltung der Ordnung bei dem überaus großen Andrange von Zuschauern beordert war.
Oben im großen Saal des Schlosses war feierlicher Empfang van Seiten der Hochmögenden der Republik. Die Franzosen hatten ausdrücklich verlangt, daß mit ihrem Empfang eine Persönlichkeit betraut werde, die denselben Rang bekleide wie diejenige, welche die Verbündeten zu begrüßen habe. Die Generalstaaten fügten sich dem Wunsche und ernannten die sich im Range gleichstehenden Herren Roosenboom und Hessel zu diesen Ehrenämtern; jeder Rangstreitigkeit wurde noch dadurch die Spitze abgebrochen, daß die beiden zur Begrüßung Erkorenen loosen mußten, wer die Verbündeten und wer die Franzosen zu empfangen habe. Dem Letzteren, weil er weniger Personen zu begrüßen hatte, fiel noch die Ehre zu, die schwedischen Gesandten, die Friedensvermittler, zu becomplimentiren.
Der erste Gesandte Schwedens eröffnete den Congreß, indem er zuerst in die Gemächer der Verbündeten, gleich darauf in die der Franzosen mit kurzer Ansprache eintrat. In der ersten Sitzung, die bis gegen 7 Uhr währte, wurden alle Beglaubigungsschreiben dem Vermittler überreicht, und dieser legte sie gleich darauf den beiden Parteien zur Einsicht vor. In der zweiten Zusammenkunft setzte man die Sitzungstage auf Mittwoch und Sonnabend fest; Montag und Donnerstag wurden zu Versammlungstagen der Verkündeten im Haag bestimmt, und Dienstag und Freitag waren die Posttage nach Frankreich, Deutschland und Großbritannien.
Während das Herz Europas in fieberhafter Aufregung der Entscheidung entgegenklopfte, die aus Ryswyks stillem Walde Krieg oder Frieden bringen sollte, ergingen sich die Herren Gesandten, allen voran die kaiserlichen, wie sie es von Anfang [429] an gethan, in Erörterungen der nebensächlichsten Art, sodaß man bis zum 1. Juni eigentlich noch keinen Schritt vorwärts gekommen war. Die Kaiserlichen beanspruchten, außer den früher genannten Forderungen, die Schriften der übrigen Verbündeten durch ihre Hände gehen zu sehen; die wachehabenden Soldaten sollten vor ihnen unter die Waffen treten etc. Der Streit über die Rangordnung war geradezu peinlich, und kaum glaublich würden die sich abspielenden Scenen sein, wenn sie nicht geschichtlich verbürgt wären. So fuhren die Gesandten der Hochmögenden vom Plein nach dem Spuy (Plätze im Haag); in der ziemlich engen Zwischenstraße begegneten sie dem leeren Staatswagen des Grafen Kaunitz. Da die zwei Carossen nicht an einander vorbeifahren konnten, ließen die Gesandten dem Kutscher sagen, er möge ausweichen, damit man an einander vorbeifahren könne, aber der wahrscheinlich gut instruirte Kutscher machte Miene, seinen Wagen zuerst vorüberfahren zu lassen, ohne den Hochmögenden Platz zu machen. Die Gesandten beklagten sich unverzüglich, so lange in der engen Straße zwischen den Häusern harrend, bis die Antwort des Herrn von Kaunitz angekommen war. Dieser gebot dann seinem Kutscher, Platz zu machen; da das einmal festgestellte Reglement es so verlange, wolle er nachgeben.
Ein eigenthümliches Bild jener Tage liefert auch die Beschreibung der öffentlichen Audienz des Grafen von Lillieroot bei den Generalstaaten. Politische Bedenklichkeiten hatten früher die officielle Anzeige vom Tode des schwedischen Königs zurückgehalten; jetzt war die Zeit gekommen, die verspätete Meldung zu machen. Der Gesandte wurde in der großen Staatscarosse zur Audienz abgeholt, und ihm folgte in zwanzig Vier- und in elf Zweispännern, eine große Anzahl von niederländischen Adligen. Das Gefolge des Gesandten fuhr in drei mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen Carossen, denen wiederum eine ganze Reihe von schwedischen Pagen, Dienern zu Fuß und jungen Edlen folgte. Von den fremden Gesandten hatte keiner, wieder des leidigen Rangstreites wegen, seinen Wagen geschickt, nur die holländischen Gesandten, als Mitglieder der die Trauerbotschaft empfangenden Nation, ließen drei Sechsspänner zugleich hinter dem Staatswagen des Gesandten fahren. An derartigen Schilderungen höfischer Kleinigkeiten und zopfiger Marotten ist das französisch geschriebene Werk unseres Gewährsmannes – A. Moetjen’s „Actes et Memoires des Negociations de la Paix de Ryswyk“ – reich. Viel des Traurigen, Kleinlichen und Lächerlichen berichtet dieses Buch. Aber ein Wort, ein ernstes, erhebendes, kehrt doch immer wieder: in allen Verhandlungen, Protestationen, Antworten erklingt das eine dringende Verlangen der Alliirten, Straßburg zurückzuhaben; ebenso erklärt der kaiserliche Gesandte, Graf von Starhemberg, durch die Vermittelung Schwedens, daß der Congreß nicht beginnen würde, wenn Frankreich nicht vorher die Rückgabe Lothringens verspräche, und Schweden gelobt, Sorge für die Erfüllung dieses gerechten Wunsches zu tragen. Hatten Kaiser und Reich Straßburg früher Unrecht zugefügt, indem sie es dem Feinde überlassen, beim Congreß haben sie Alles aufgeboten, das Schmerzenskind wieder zu erringen. Aber vergebens! Ludwig der Vierzehnte sprach immer drohender. Zuerst sollte der Kaiser das von Frankreich gebotene Aequivalent selbst wählen, dann aber bestimmte es der König allein; er bot Stadt und Schloß Freiburg, die Dörfer de l’Heu, Metzhausen, Kircksand und Breisach, deren Neustadt zerstört werden sollte, damit in Zukunft der Rhein die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich bilde.
Aber die Reichsfürsten bestanden auf der Rückgabe ohne Aequivalent. Da kam schließlich Frankreichs letzter Bescheid: Straßburg blieb sein ohne Aequivalent.
Endlich entschied sich das Loos Europas und des verlassenen Kindes Straßburg. Schweden zog sich gegen Mitternacht des denkwürdigen Tages zurück, ohne die Unterschriften der contrahirenden Mächte abzuwarten, weil der abzuschließende Friede die Bedingungen des westfälischen Friedens schädigte, für welche der schwedische König einst Garantie übernommen hatte, und gleich nach der Unterzeichnung ließ der Friedensvermittler durch seinen Secretär von Friesendorf den kaiserlichen und französischen Gesandten seine Widerspruchsurkunde überreichen.
Der Friede war nun geschlossen – aber um welchen Preis? Paragraph 16 des Friedensvertrages zwischen Deutschland und Frankreich am 30. Oktober 1697 strich Straßburg von der Reichsmatrikel. In Deutschland erscholl bei der Kunde davon, ein lautes Klagen. und der allezeit schlagfertige Volksmund sprach es treffend im Wortspiel aus: „Was uns der Friede von Nimmweg (Nymwegen) nicht weggenommen, hat uns der Friede von Reißweg (Ryswyk) weggerissen.“
Eine glanzvollere Correctur konnte der für Deutschland so schmachvolle Vertrag von 1697 nicht finden, als durch den vor nunmehr zehn Jahren geschlossenen Frieden von Frankfurt: Straßburg ist wieder unser und wird unser bleiben. Im Interesse der Cultur und Gesittung ist es dringend zu wünschen, daß zwischen der deutschen und französischen Nation aus einer wirklichen Versöhnung der Gemüther sich mehr und mehr freundnachbarliche Beziehungen gestalten möchten. Sollte aber dieses innig zu wünschende Band freundschaftlicher Gesinnungen von jenseits des [430] Rheins sich nicht knüpfen, so giebt es ja ein prophetisches Wort Leibnitzen’s, das deutsche Männer stets beherzigen mögen: „Wer den Schlüssel zu seinem Hause seinem Nachbarn, seinem Feinde, seinem formidabeln Feinde, einem Feinde, der eine ewige Ambition und Jalousie gegen das römische Reich unterhält und nimmermehr quittiren wird, überlassen muß, der kann gewiß nicht ruhig schlafen.“