Die christliche Blutzeugin
[787] Die christliche Blutzeugin. (Mit Illustration S. 777.) Da steht sie, die zarte Jungfrau, die Tochter eines Konsularen, die Christin, die ihr Zeugniß mit ihrem Blute besiegeln will, auf der Arena des römischen Amphitheaters, angesichts ihres Exekutors, eines afrikanischen Löwen, schaudernd und doch entschlossen. Gefesselt steht sie da: der riesige, wie aus Erz gegossene Scherge scheint sie vorwärts zu drängen, während ein anderer rechts den Körper eines bereits verendeten zum Todesthor hinausschleift. Noch ein Augenblick, und das Gatter des Käfigs geht auf, die hungrigen Bestien stürzen heraus, und der Leib der Unglücklichen ist zerfleischt. Die Thörin! Sie betet einen Gekreuzigten als Gott an; man hat ihr große Versprechungen gemacht, wenn sie ihrem Wahn entsagen und dem Apollo Opfer bringen wollte, aber ihre Antwort ist Nein! und immer Nein! gewesen. Nie werde sie vor einem Geschöpfe die Kniee beugen; diese Ehre gebühre nur dem Einen Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Dabei blieb sie standhaft. So hat man sie denn in die unterirdischen Gewölbe des Flavischen Amphitheaters, des sogenannten Kolosseums, abgeführt.
Hinrichtungen durch wilde Thiere gehörten bekanntlich zu den Schauspielen dieses Hauses, und die Arena war zugleich Bühne und Schaffot. Die Verbrecher wurden bald wehrlos, bald bewaffnet Löwen, Tigern, Bären, Stieren preisgegeben, welche gewissermaßen die Rolle der Folterknechte und Scharfrichter übernahmen und die, wie die „Erscheinungen“ in unseren Theatern, durch eine Maschinerie aus den Versenkungen der Bühne emporgehoben, in ihren Käfigen aufstiegen. Diese Art Exekution, die so vielen Glaubenshelden die Krone des Martyriums gebracht hat, war eine Zugabe zu den großartigen Thierhetzen, die neben den Zweikämpfen der Gladiatoren in diesen blutigen, ungeheuren, furchtbaren und doch wunderbaren und märchenhaften Räumen regelmäßig abgehalten zu werden pflegten.
Wir wollen unsere Märtyrerin oder, wie die Süddeutschen sagen, unsere Martyrin, Prisca nennen, weil diese für die erste Blutzeugin des Abendlandes gilt und in der christlichen Kunst aus einer ähnlichen Darstellung bekannt ist. Sie wird abgebildet mit einem oder zwei Löwen, die sich ihr aber gezähmt und schweifwedelnd vor die Füße legen, da sie im entscheidenden Moment von denselben verschont wurde – eine Wendung, wie sie sich in vielen Heiligenlegenden findet, in denen die Märtyrer nach vielen mißlungenen Versuchen, sie umzubringen, erst durch das Schwert getödtet werden. Ich will nur an den heiligen Januarius erinnern, der im Amphitheater zu Pozzuoli den wilden Thieren gleichfalls vergeblich
[788] vorgeworfen ward; die rührende Geschichte des Sklaven Androklus, der einst einem Löwen in der Libyschen Wüste einen Dorn aus dem Fuße gezogen hatte und nachmals in der römischen Arena von dem dankbaren Thiere nicht angegriffen wurde, ist freilich besser verbürgt. Die Hoffnung, daß die Bestien ihre Wildheit vergessen und sich schmeichelnd der Jungfrau zu Füßen legen werden, mag uns über das Entsetzen hinweghelfen, das uns beim Anblick dieser antiken Löwenbraut ergreift. „Virtus Christianorum non nisi in ferro vincitur“, sagt die Legenda aurea im Leben der heiligen Euphemia: die Kraft der Christen erliegt nur dem Schwerte, unter dem das Haupt Pauli gefallen ist. Rudolf Kleinpaul.