Die vier Stationen der Grausamkeit. Erstes Blatt – Erste Stufe der Grausamkeit

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Die vier Stationen der Grausamkeit. Vier Blätter – Einleitung W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die vier Stationen der Grausamkeit. Erstes Blatt – Erste Stufe der Grausamkeit
Die vier Stationen der Grausamkeit. Zweites Blatt – Zweite Stufe der Grausamkeit
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Die


vier Stationen der Grausamkeit.


Erstes Blatt.
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DIE VIER STATIONEN DER GRAUSAMKEIT.
THE FOUR STAGES OF CRUELTY.
I.

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Die vier Stationen der Grausamkeit.
(The four stages of cruelty.)




Erstes Blatt.
Erste Stufe der Grausamkeit.
(First stage of cruelty.)

Das erste Blatt, dessen Kunstwerth wegen der Scheuslichkeit der Handlung mit Recht in Zweifel gezogen wird, bietet eine Scene aus der Jugend des Helden, welcher wie Tom Idle in verschiedenen Thaten auf seinem Lebenswege zum Galgen dargestellt wird. Er ist vorerst als Straßenjunge mit einer Anzahl junger Genossen von demselben Schlage in Belustigungen der grausamsten Thierquälerei begriffen, welche die vollkommenste Anlage zur Bösartigkeit genügend andeuten. Der Held dieser Blätter ragt jedoch hierin selbst vor den Andern hervor, denn er hat eine wahrscheinlich von ihm selbst erfundene Methode zur Ausübung gebracht, welche die höchste und zugleich die langsamste Qual gemarterter Thiere bewirkt. Er stößt einen Pfeil in den Darmcanal eines Hundes, [748] den ein Genosse mit ihm an den Pfoten hält, während ein Anderer einen Strick um den Hals des Thieres geschlungen hat[1]. Der Bube, in Lumpen gehüllt, ist ein vom Kirchspiel ernährter Waisenknabe, und zwar aus S. Giles, demjenigen Stadttheile Londons, welcher damals vorzugsweise das Quartier des Pöbels bildete. Man bemerkt dies aus dem Schilde der Armenschule (Charity-school) von S. Giles an seinem Arme, mit dem Zeichen S. G. Aus seinen Lumpen und seinen Neigungen erkennt man das damalige Verfahren des aristokratischen Englands, dessen Bildungsanstalten, in so weit sie vom Staat oder von den Municipalitäten abhingen, ausschließlich auf die höheren und mittleren Stände berechnet waren, während auf die Erziehung des niederen Volkes ganz allein durch die blutige Strenge der Gesetze eingewirkt wurde, ein Verfahren, welches seit den letzten zwanzig Jahren zur Ehre der Briten von allen Parteien gänzlich aufgegeben wurde. Uebrigens werden auch zwei andere Knaben durch das Verfahren jenes Buben empört. Der eine, ein Sohn aus besserem Hause, wie man aus der Kleidung und Haltung sieht, bietet ihm voll Mitleid für das gemarterte Thier einen Kuchen an, im Fall er die Folter nicht fortsetzen wolle, während er ihm die rechte Hand mit dem Pfeile zu halten sucht. Jener bekümmert sich nicht darum. Hogarth hat übrigens einem aristokratischen Geschlechte in dieser Figur ein Compliment gemacht, und sich deßhalb von seinen Zeitgenossen den Vorwurf eines Toad-eaters (Krötenfressers), wie man die Schmeichler des Adels nennt, zugezogen. Der Knabe war nämlich das Porträt eines ältesten Sohnes und vermuthlichen Erben der Pairie, welcher bei Herausgabe dieser Blätter dreizehn Jahre alt war. – Der andere Knabe, welchem jene Thierquälerei zuwider ist, zeichnet das Porträt des Helden, wie er mit der Armensündermütze am Galgen hängt, in kindischer Art an die Wand, [749] und setzt den Namen „Tom Nero“ darunter, wobei er zugleich das zukünftige Schicksal des Knaben, den Lohn der Grausamkeit, andeutet.

Obgleich Tom Nero durch die raffinirte Marter der Verletzung von Eingeweiden den ersten Rang unter den hier dargestellten Gruppen einnimmt, bleiben auch seine Spielkameraden nicht zurück. Hinter ihm sind zwei Knaben damit beschäftigt, einen Dompfaffen oder einen Hänfling mit einer Stricknadel zu blenden, ein Verfahren, welches einige Liebhaber der genannten Singvögel als zweckmäßig empfehlen, weil jene Thiere besser und häufiger singen sollen, so bald ihre Aufmerksamkeit durch äußere Gegenstände nicht in Anspruch genommen wird. Der eine Knabe scheint das Verfahren handwerksmäßig zu betreiben, ohne irgend ein Gefühl dabei zu empfinden; der andere, welcher die Fackel hält, freut sich über die Qual des armen Thieres. – Seitwärts haben andere Knaben ein Vergnügen erfunden, welches den Hahnenkämpfen, Bärbeißen u. s. w., woran Erwachsene sich erfreuen, gewissermaßen entspricht. Sie haben zwei Katzen an einem freistehenden Pfahle, in der Luft schwebend, mit dem Schwanze festgebunden, so daß die beiden Thiere bis zur Erschöpfung mit einander kämpfen müssen. Die Zuschauer, die sich an der Brüstung drängen, zeigen eben so viel Aufregung, Kennerschaft und hitzige Theilnahme an dem grausamen Gefecht der beiden Thiere, wie das Publikum von Männern auf dem von Hogarth dargestellten Hahnengefechte. – Im Hintergrunde treiben zwei Knaben mit einer Katze ein eben so grausames Spiel. Sie haben zwei mit Luft gefüllte Blasen über ihr festgebunden und sie dann in die Luft geschleudert, um sie vom Winde forttreiben zu lassen.

Im Vordergrunde vergnügt sich ebenfalls die hoffnungsvolle Jugend mit Thierquälerei. Drei Knaben treiben das grausame Spiel des Hahnenwerfens (Throwing at cocks), welches auch jetzt, nach alter Sitte um Pfingsten gewöhnlich, durch eine Parlamentsacte und durch die Wachsamkeit der Polizei, wenigstens auf dem Lande, noch nicht ausgerottet ist. Ein Anderer hat einen englischen Bulldogg auf eine Katze gehetzt und erfreut sich des Gefechtes. Der Hund hat die Katze bereits so sehr zerfleischt, daß ihr die Eingeweide [750] aus dem Leibe hängen; wahrscheinlich wird er jedoch selbst ein bleibendes Mal davontragen und seine Augen verlieren, denn Puss wehrt sich tapfer. Endlich hat ein Geistesverwandter Tom Nero’s eine mehr raffinirte Grausamkeit bei einem Hunde in Anwendung gebracht. Er bindet einen Knochen an den Schwanz des Thieres, das ihm in treuer Anhänglichkeit die Hand beleckt, und erschafft dem Hunde dadurch eine doppelte Qual. – Auf die Gesichtszüge dieses letzteren Knaben, wie auf die der andern, braucht ein Erklärer wohl nicht aufmerksam zu machen.




  1. Hogarth nahm die Idee zu dieser Thierquälerei aus der Versuchung des heil. Antonius von Callot, einem Meister, der ihm überhaupt bei seiner Geistesrichtung besonders zusagen mußte.