Die vier Tageszeiten. Viertes Blatt – Die Nacht

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Die vier Tageszeiten. Drittes Blatt – Der Abend W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp
Die vier Tageszeiten. Viertes Blatt – Die Nacht
Der Weg der Buhlerin. Erstes Blatt
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Die


vier Tageszeiten.


Viertes Blatt.
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DIE TAGESZEITEN.
THE TIMES OF THE DAY
IV.
Die Nacht. – Night.

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Die vier Tageszeiten.


(The times oft the day.)




Viertes Blatt.


Die Nacht.


(Night.)


Hogarth hat für gut befunden, hier eine Nacht vorzustellen, die nur dem Stand der Sonne nach diesen Namen verdient, denn man sieht hier so gut in die Ferne, als bei den drei übrigen Tages-Zeiten, und kann sogar die kleinste Schrift auf Schildern und Postkutschen etc. lesen. Denn erstens brennt hier im Vorgrunde ein Freuden-Feuer (bonfire); zweitens ist gleich dabei eine Handlaterne; drittens werden Schwärmer geworfen, wovon einer den Passagieren in der Kutsche zu Grabe leuchtet; viertens werden diese von einem Knaben an einer Fackel angezündet, die ihr Licht in einen tiefen Winkel sendet, um der Polizei etwas vorzuweisen; fünftens hat ein Kerl, der da bei einem Fasse lucubrirt, sein eignes Stümpfchen Licht, mit seinem lehmenen Leuchter auf [206] das Faß geklebt[1]; sechstens sind mehrere Häuser illuminirt; siebentens scheint der Mond; und achtens brennt am andern Ende des Prospects, dem Freuden-Feuer gegenüber, ein großes Trauer-Feuer, nämlich ein Haus ab. Vielleicht zur nützlichen Lehre als Folge eines Freudenfeuers. Also Natur, Kunst und Zufall, leihen hier dem Künstler ihr Licht. Bourseault, wenn er seiner Babet dieses Blatt hätte erklären sollen, würde vermuthlich gesagt haben: „hier fehlte nichts als noch der Glanz deiner Augen, um völlig Tag zu machen.“

Dieses ist die Nacht nach dem 29sten Mai, als dem Tage, an welchem die Wiederbringung der Monarchie und Carls II. (King Charles’s restoration) von den Freunden dieser großen Begebenheit, (und wer sollte der nicht seyn?) mit Freudenfeuern und Illuminationen gefeiert wird. Daher kommen hier die Eichenblätter an die Häuser und auf die Hüte, zum Andenken der berühmten Carls-Eiche[2], die sogar unter den Sternen steht. In dieser Rücksicht ist wirklich der Schauplatz [207] von dem Künstler gut, und mit einem Gefühl gewählt, wovon die Spuren in diesem Werke eben nicht häufig vorkommen. Denn man muß wissen, daß dieses die Gegend von Charing-Croß in London ist, wo ein Meisterstück der Bildgießerei, die Bildsäule des unglücklichen Königs Carls I. aufgestellt ist, die man auch hier in der Ferne erblickt, und die also unser Künstler gleichsam Theil an diesen Freuden nehmen läßt. Welcher unter unsern Lesern würde wohl nicht mit Sehnsucht wünschen, daß künftige Bildsäulen des gleich unglücklichen Ludwigs XVI. dereinst Zeugen von ähnlichen Freudenfesten seyn möchten? Man muß sich den Eindruck, den dieser Gedanke des Künstlers auf jeden gefühlvollen Menschen machen muß, nicht durch den Muthwillen verwischen lassen, den er im Vorgrunde angebracht hat. Bei den öffentlichen Freuden eines großen und gesunden Volks geht es nicht anders. Jedes Wesen freuet sich nach seiner Art; der Metzgerjunge (hier stehen welche) anders als der Kammerherr, und der Zechbruder, der ebenfalls hier steht, anders als der Erzbischof; und in einem solchen Falle handelt gewiß der Künstler, der diese Freuden darstellen will, am weisesten, der sich nur diejenigen wählt, denen er gewachsen ist.

Der Alte im Vorgrunde ist ein schwer betrunkener und verwundeter Freimaurer, noch in vollem Anzuge, mit Winkelhaken und Schurzfell. Seine Stirn trieft von Blut, so wie sein Mund von Wein. Er glüht über und über, und würde aufbrennen, wenn er nicht glücklicher Weise dem Strome einer künstlichen Pisse-vache[3] aus einer obern Etage begegnete. Er wird von dem Logenwärter und Lichtputzer der Gesellschaft, der ihm den Degen abgenommen, aber den Stock gelassen hat, nach Haus geführt. Solche signirte und resignirte Schädel und Stirnen, wie diese, fürchten keinen Stock, aber gegen den Degen wird die Weisheit selbst zu Schanden. Der Alte soll das Porträt von einem gewissen Sir Thomas de Veil seyn. Sir John Hawkins, der den [208] Sir Thomas gekannt hat, hat Herrn Nichols versichert: es sey gar keine Aehnlichkeit. Indessen versichert Herr Ireland von neuem, es gleiche einem Porträt dieses Edelmanns, das er gesehen habe, sehr. Grammatici certant. Genug, wir sehen den betrunkenen Freimaurer unter der Pisse-vache. – Satyre auf den Orden ist es aber sicherlich nicht, wenigstens nicht auf den wahren. Es scheint vielmehr auf die Saufgelage- und Beutelschneider-Clubs zu gehen, die sich Logen nennen, und womit London in allen Winkeln überschwemmt ist. Vermuthlich geht der Hieb gar auf das hier bezeichnete, berüchtigte Haus, the Rummer tavern, den Gasthof zum Römer[4], wo auch ehemals Logen gehalten wurden, aber das zweite Schild, das er trägt: The new Bagnio (das neue Bad-, Schwitz- und **Haus) giebt deutlich zu erkennen, was für welche.

In dem Hause linker Hand ist eine Barbierstube mit einem Schilde, worauf ein Kopf abgebildet ist, dem eine Hand einen Zahn sanft ausziehen wird, wenn er anders die Hand nicht vorher selbst auffrißt, mit der Unterschrift: Shaving, bleeding and teeth drawn with a touch. Ecce signum. Rasiren, Aderlassen und Zahnausziehen (sollte heißen ausbrechen) mit einem Ruck; wie hier zu sehen. Durch das aufgeschobene Fenster sieht man in die Stube selbst, wo wirklich an einem alten Kopfe zwei von den Operationen in Erfüllung gehen, die das Schild verheißt, nämlich Rasiren und Aderlassen mit demselben Ruck. Zähne werden nicht ausgezogen, aber dafür fast die Nase, die Dulderin! Der Geselle, der die Execution verrichtet, ist, wie man an dem Kamme sieht, zugleich Friseur. Vergleicht man den überströmenden Mund des Kerls und sein in einen rechten Winkel gebogenes Scheermesser mit dem Munde und Winkelhaken des Sir Thomas; so wird man fast geneigt zu glauben, er gehöre mit zur Loge im Römer, und sey nur ein wenig abgerufen worden, um dem alten Herrn aufzuwarten. Wozu auch der alte Herr so spät in der Nacht seinen Bart zu entbehren nöthig hat? [209] — Unter dem Ausstell-Laden des Barbiers entdeckt man ein öffentliches Dormitorium, dergleichen es in London ehemals viele gegeben haben soll; wahre Diebs-Caravansereien, wo Jung und Alt beiderlei Geschlechts, mit Hühner-Gleichheit und Hahnen-Rechten öffentlich durch einander schlief. – Also auch hier ein Bagnio, so wie gegenüber noch ein drittes.

Zur Linken ist die fliegende Postkutsche von Salisbury (the Salisbury flying Coach)[5] so eben Willens, von ihrem Fluge auszuruhen, und sich auf die Fußbank niederzusetzen, da alsdann selbst die langsamste und schwerste deutsche Diligence (Negligenzen sollte man sie hier und da nennen) Zeit gewinnen würde, ihr vorzukriechen. An der Seite, wo sie sich hinlegt, ist die Gosse, und auf der andern das Freudenfeuer, welches schon das eine Rad ergriffen zu haben scheint. Die armen Passagiere haben sich mehr auf sanften Schlaf als auf das Dilemma geschickt, das hier schnelle Entschließung fordert, ob sie sich wollen wässern oder sengen lassen. Der kleine Bösewicht beim Dormitorio hat vermuthlich Schwärmer nach den Pferden geworfen, und bläst mit fast platzender Ungeduld an einem zweiten. Die Knaben vor der Kutsche sind Fleischerjungen, die das Feuer unterhalten. Sie scheinen sehr fröhlichen Antheil an der glücklichen Ankunft der Reisenden zu nehmen, und sie bei der Gosse zu bewillkommnen. Einer unter ihnen hält einen Wischer, womit man die Fußböden naß reinigt und wieder abtrocknet (a mop), vermuthlich die Reisegesellschaft naß damit zu reinigen oder abzutrocknen. Dieses Instrument könnte wohl dem Schwärmer gegenüber stehen, so wie die Gosse dem Freudenfeuer.

[210] Wer sollte nun nicht glauben, daß hiermit alle Satyre, bei dieser Scene wenigstens, abgethan wäre? Allein das ist sie bei weitem noch nicht halb, ja sie geht eigentlich erst jetzt an. Da oben hängt nämlich auf dem Schilde ein etwas breit und stolz ausgefallener, statiöser Herr, und unten darunter liest man seinen Namen the Earl of Cardigan (der Graf Cardigan). Dieses ist der Erfinder der fliegenden Kutschen, der also hier hängt, die Execution da unten mit anzusehen, und gleichsam als Epitaphium über dem Grabe seines eigenen Werks. Andere ziehen den Hieb bloß auf das schnelle und oft unvorsichtige Fahren dieses Mannes. Was es aber auch seyn mag, so ist die Lehre für ihn herrlich. So etwas hätte sein Bild in einem marmornen Pantheon nie erlebt.

Zum Beschluß einen nicht sehr bemerklichen Zug, aber so bald man ihn auch bemerkt hat, einen der schönsten auf dem ganzen Blatt. Dort, vor der Statue, sieht man einen Karren mit Hausrath. Das sind Leute, die sich aus dem Staube machen wollen, und daher des Nachts ausziehen, sind aber so unglücklich, weil Plan und Abrede vielleicht schon einige Zeit voraus festgesetzt worden war, nicht allein in eine Nacht zu gerathen, da eine Illumination ist, sondern auch noch zwischen diese Feuer: so, daß man, wie bei den Lichtkugeln von Belagerten, die Silhouetten ihrer Betten und Stühle und ihrer ganzen Machinationen auf ein Paar hundert Schritte sehen kann. Sollten sie von ihren Gläubigern gefunden werden, so wird es auch da ohne Restoration nicht abgehen.

Von den Original-Gemälden hat der Herzog von Ancaster den Morgen und Mittag für 57, und Sir William Heathcote den Abend und die Nacht für 64 Guineen gekauft.




  1. Man hat diesen Mann für einen von den nützlichen Leuten gehalten, die sich dem schmutzigsten Geschäft im Staate widmen, und die man aus Scherz im Englischen zuweilen Goldfinders, Goldfinder nennt. Sonst heißen sie Nightmen und ihre Karren Nightcars; Nachtmänner, Nachtkarren. Diese Namen, und die diesem Geschäfte gemeiniglich gewidmete Zeit, hätten (aber freilich sonst nichts in der Welt) wohl einen Mann wie Hogarth verleiten können, so etwas hierher zu stellen. Aehnliche Mängel an Delicatesse finden sich wohl bei ihm, und wirklich selbst auf diesem Blatte. Aber es ist gewiß was anderes: die beträchtliche Größe des Fasses, und daß ganz und gar keine Spur von einem Karren da ist, läßt schon etwas Reinlicheres vermuthen. Herr Ireland ist hier sehr richtig: Man ist hier Willens, dem Volk an diesem, wie wir gleich hören werden, freudigen Abend ein Faß mit starkem Bier zum Besten zu geben, und das wird hier gefüllt. Aerger können doch Scholiasten nicht leicht gegen einander laufen. Hier indessen nicht ganz ohne des Autors Schuld; man kennt den Schalk, und vermuthet nicht viel Gutes von ihm, zumal im Düstern.
  2. Von dieser Eiche wird an einem andern Orte, wo sie auch abgebildet erscheint, mehr gesagt werden.
  3. Der honorable Name einer berühmten natürlichen Cascade in der Schweiz.
  4. Bekanntlich einc Art geräumiger, bauchiger Trinkgläser.
  5. Wenn die Engländer flying auf dem Schlage ihres Postfuhrwerks sprechen: so kann man auch auf flying rechnen. Es ist kein cito citissime auf einem Briefcouvert. Sie halten Wort. Nur muß man sich zuweilen kleine Pausen, wie diese, nicht verdrießen lassen. Die Spanier machen es daher besser, sie setzen auf ihre Postwagen, die von Maulthieren gezogen werden: seguridad y celeridad, sicher und schnell, und halten ebenfalls Wort. Der Deutsche Postwagen ist der klügste, er verspricht nichts, und kann daher thun was er will.