Die wilden Frauen im Unterberge

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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Die wilden Frauen im Unterberge
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aus: Deutsche Sagen, Band 1, S. 63–66
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1816
Verlag: Nicolai
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Erscheinungsort: Berlin
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[63]
50.
Die wilden Frauen im Unterberge.
Brixener Volksbuch.

Die Grödicher Einwohner und Bauersleute zeigten an, daß zu diesen Zeiten (um das Jahr 1753.) vielmals die wilden Frauen aus dem Wunderberge zu den Knaben und Mägdlein, die zunächst dem Loche innerhalb Glanegg das Waidvieh hüteten, herausgekommen und ihnen Brot zu essen gegeben.

Mehrmals kamen die wilden Frauen zu der Ährenschneidung. Sie kamen früh Morgens herab und Abends, da die andern Leute Feier-Abend genommen, gingen sie, ohne die Abend-Mahlzeit mitzuessen, wiederum in den Wunderberg hinein.

Einstens geschah auch nächst diesem Berge, daß [64] ein kleiner Knab auf einem Pferde saß, das sein Vater zum Umackern eingespannt hatte. Da kamen auch die wilden Frauen aus dem Berge hervor und wollten diesen Knaben mit Gewalt hinweg nehmen. Der Vater aber, dem die Geheimnisse und Begebenheiten dieses Berges schon bekannt waren, eilte den Frauen ohne Furcht zu und nahm ihnen den Knaben ab, mit den Worten: „was erfrecht ihr euch, so oft herauszugehen und mir jetzt sogar meinen Buben wegzunehmen? was wollt ihr mit ihm machen?“ Die wilden Frauen antworteten: „er wird bei uns bessere Pflege haben und ihm besser bei uns gehen, als zu Haus; der Knabe wäre uns sehr lieb, es wird ihm kein Leid widerfahren.“ Allein der Vater ließ seinen Knaben nicht aus den Händen und die wilden Frauen gingen bitterlich weinend von dannen.

Abermals kamen die wilden Frauen aus dem Wunderberge nächst der Kugel-Mühle oder Kugelstadt genannt, so bei diesem Berge schön auf der Anhöhe liegt und nahmen einen Knaben mit sich fort, der das Waidvieh hütete. Diesen Knaben, den jedermann wohl kannte, sahen die Holzknechte erst über ein Jahr in einem grünen Kleid auf einem Stock dieses Bergs sitzen. Den folgenden Tag nahmen sie seine Eltern mit sich, Willens, ihn am Berge aufzusuchen, aber sie gingen alle umsonst, der Knabe kam nicht mehr zum Vorschein.

Mehrmals hat es sich begeben, daß eine wilde Frau aus dem Wunderberg gegen das Dorf Anif ging, [65] welches eine gute halbe Stunde vom Berg entlegen ist. Alldort machte sie sich in die Erde Löcher und Lagerstätte. Sie hatte ein ungemein langes und schönes Haar, das ihr beinahe bis zu den Fußsohlen hinabreichte. Ein Bauersmann aus dem Dorfe sah diese Frau öfter ab- und zugehen und verliebte sich in sie, hauptsächlich wegen der Schönheit ihrer Haare. Er konnte sich nicht erwehren zu ihr zu gehen, betrachtete sie mit Wohlgefallen und legte sich endlich in seiner Einfalt ohne Scheu zu ihr in ihre Lagerstätte. Es sagte eins zum andern nichts, viel weniger, daß sie etwas ungebührliches getrieben. In der zweiten Nacht aber fragte die wilde Frau den Bauern, ob er nicht selbst eine Frau hätte? Der Bauer aber verläugnete seine Ehefrau und sprach nein. Diese aber machte sich viel Gedanken, wo ihr Mann Abends hingehe und Nachts schlafen möge. Sie spähete ihm daher nach und traf ihn auf dem Feld schlafend bei der wilden Frau. „O behüte Gott, sprach sie zur wilden Frau, deine schönen Haare! was thut ihr da miteinander?“ Mit diesen Worten wich das Bauersweib von ihnen und der Bauer erschrak sehr hierüber. Aber die wilde Frau hielt dem Bauern seine treulose Verläugnung vor und sprach zu ihm: „hätte deine Frau bösen Haß und Ärger gegen mich zu erkennen gegeben, so würdest du jetzt unglücklich seyn und nicht mehr von dieser Stelle kommen; aber weil deine Frau nicht bös war, so liebe sie fortan und hause mit ihr getreu und untersteh dich nicht mehr daher zu kommen, denn es [66] steht geschrieben: „ein jeder lebe getreu mit seinem getrauten Weibe“, obgleich die Kraft dieses Gebots einst in große Abnahme kommen wird und damit aller zeitlicher Wohlstand der Eheleute. Nimm diesen Schuh voll Geld von mir, geh hin und sieh dich nicht mehr um.“