Diskussion:Die Dresdener Gemälde-Galerie

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Sehr schön. Die Kür wäre nun natürlich noch eine zweite bebilderte Version. Unsere Commons dürften so einiges hergeben. --FA2010 (Diskussion) 22:12, 19. Feb. 2013 (CET)[Beantworten]

Gibt so manches her, aber vieles fehlt noch. Da wird dran gearbeitet. Hier erst mal ein Imbiss:
Ninus und Semiramis.
Es ist die Scene vorgestellt, wo Semiramis ihrem verweichlichten Sohne die Krone und in ihr die Herrschaft des Reiches nimmt. Sie sitzen nebeneinander auf dem Polster. Vertieft in die Politik des Reiches mochte ihr die Unfähigkeit des Sohnes zum Herrschen unabweisbar klar geworden sein. Im Instincte ihres Genies durchblitzt sie der entscheidende Gedanke. Sie hat die Krone mit einem sicheren Griffe ihm abgenommen, mit der Linken hält sie die schöne Last über ihr Haupt, mit der rechten drängt sie seine Hand zurück. Der Weichling im Purpurgewande, dessen Haupt- und Barthaar von Salben trieft, scheint zaghaft zu fragen: Scherz oder Ernst? Ihr scharfer Blick in sein zurückzuckendes Gesicht und der herbe Mund gibt ihm die Antwort.
Das Hauptgericht dauert noch. Grüße --A. Wagner (Diskussion) 23:13, 19. Feb. 2013 (CET)[Beantworten]

Die
Dresdener Gemälde – Galerie
in ihren
bedeutungsvollsten Meisterwerken,
erklärt
von
Dr. Julius Mosen.
Dresden und Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1844.
Vorwort.




Schon vor vielen Jahren trat mir in Italien bei der Betrachtung alter und neuer Kunst immer entschiedener der Gedanke entgegen, daß hinter der formellen Bildung eines bestimmten Kunstwerkes die Seele der Weltgeschichte in dem Künstler thätig gewesen ist, durch ihn in seinen Werken bestimmte Höhenpuncte ihrer Entwickelung zur Erscheinung gebracht und so in der Reihe der aufeinanderfolgenden Kunstwerke ihre Jahrbücher in Bilderschrift dictirt hat. Diese Betrachtungen konnte ich später jahrelang auf der Dresdener Galerie fortsetzen. Es war dabei zuerst nur auf meine eigene Belehrung abgesehen. Als ich jedoch im vorigen Sommer meine Freunde aus Oldenburg, Baron Ferdinand von Gall und Dr. Adolf Stahr, auf die Galerie begleitete und ihnen bei verschiedenen Gemälden meine Bemerkungen mittheilte, machten sie mir es zur Pflicht, sie dem größeren Publicum nicht vorzuenthalten. So entstand dieses Werk, und ich übergebe es dem Publicum, mit dem Wunsche, daß es nützen und gefallen möge. Die Werke der Dresdener Künstler auf der Galerie mußte ich bei der Besprechung übergehen, da von den Lebenden dort keine vorhanden sind und die älteren keine neue Idee verwirklicht haben, auf welche es hier allein ankommen konnte. Die großen Träger der Idee, welche Chursachsen zu der Fortbildung des Menschengeistes gestellt hat, unter anderen glänzenden Namen: Thomasius, Leibnitz, Lessing, Fichte und Schubert, fanden in ihrer Heimath kein Obdach; durch das Thor, welches sie hinauswandern sah, zog nicht die ideenverwirklichende Kunst herein. Ueber die neuen Regungen und Bestrebungen, welche ich hier nach Kräften zu fördern gesucht habe, besonders zu sprechen, dazu giebt die Galerie keine Gelegenheit. Möge ein guter Genius in Sachsen das Edle und Schöne gedeihen und mir die Liebe meiner Freunde in meine neue Heimath an der Nordsee nachfolgen lassen.

Geschrieben bei meiner Abreise von
Dresden im Mai 1844.
Dr. Julius Mosen.     
Einleitung.




Die königliche Gemäldegalerie in Dresden enthält in ihren Meisterwerken die vertrautesten und geheimsten Memoiren des Seelenlebens des 16., 17. und 18. Jahrhunderts für den, welcher Bilderschrift zu lesen versteht. Diese drei Jahrhunderte umschließen die Periode des Unterganges der altchristkatholischen Welt und der Uebergangszeit durch die Reformation bis an die Schwelle der Gegenwart.

Auf Gebirgsreisen erhält man wohl bei’m Ersteigen einer Anhöhe von dem Führer zuweilen den guten Rath, nicht eher die Augen aufzuschlagen, als bis der Gipfel und die Aussicht in das ferne blaue Land erreicht ist. Wer aber mit mir die Galerie durchwandern mag, der lasse sich von mir gleich auf den Gipfel der christkatholischen Malerei führen, ohne sich von den übrigen Meisterwerken, welche in den Zwischensälen zur Betrachtung auffordern, schon jetzt fesseln zu lassen.

Im Vorübergehen wollen wir einen muthigen Blick in die Tiefe der Geschichte werfen, in welche die langen, zarten Wurzelfäden der Kunstblüthe sich hinunterziehen, um oben mit der Fülle der Farben uns zu entzücken; denn was wir nicht im Zusammenhange mit dem Allgemeinen, können wir auch nicht im Besonderen verstehen.

Die alte, vorchristliche Welt begriff die Gottheit als Offenbarung der in der Natur zur Erscheinung kommenden Elementarkräfte. Die Natur, als ein belebtes und im Lebendigen erscheinendes Wesen gedacht, hat keinen anderen Zweck, als die Erscheinung ihres zur äußeren Form sich herausbildenden Gemüthes. Demnach würde das plastische Ideal in der unbedingt vollkommensten Aufhebung der schaffenden Idee in ihrer Form und dieser wieder in ihrer Idee bestehen. Da aber zwischen der Idee der schaffenden Natur und der durch die Materie vermittelten Form immer ein Bruch bleiben muß, welcher die ideale Erscheinung unmöglich macht, so konnte die Natur nur durch den Menschen in der Kunst zu sich selbst erlöst werden. Diese Erlösung zum Ideale der Schönheit hat sie bei den alten Griechen gefunden. An ihrem Ziele mußte jedoch der idealen Natur der ihr feindliche Gegensatz von selbst entgegentreten. Dieser war das Christenthum, welches die Natur und ihre Vergötterung im Idealen als das teuflische, sinnliche Princip zu Boden trat. Mythisch hat das Christenthum diesen Sieg im Erzengel Michael gefeiert, welcher die zum Satan verfratzte Natur unter seine Füße geworfen hat.

So trat mit dem Christenthume der Zwiespalt zwischen dem sinnlichen und dem geistigen Menschen in die Welt und mit ihm die Sünde in das Bewußtsein der Menschheit. Thomas a Kempis in der Nachfolge Christi ist am innigsten auf diese Frage im christlichen Sinne eingegangen. Dieser Kampf stellte sich im Mittelalter äußerlich dar in dem weltlichen Kaiser und dem geistlichen Papste.

Mit geheimer und öffentlicher Abneigung hatte das spirituelle Christenthum in seinen ersten Jahrhunderten die sinnlichste Kunst, die plastische, in ihre Dienste genommen. Die Kunst verrichtete auch bei dem altchristlichen Dogma dasselbe Werk, welches sie in der Naturreligion vollendet hatte. Sie brachte es allmählig zur sinnlichen Erscheinung und überwand es, wie Alles überwunden ist, was aus dem Himmel auf die Erde und in die rollende Geschichte hineintritt. Es verbanden sich in der Mitte des zweiten christlichen Jahrtausends mit der Kunst ihre alten Lehrerinnen, die griechische Poesie und Philosophie, welche in ihren ewig neuen Evangelien, Homer und Plato, bei der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanli nach Florenz zu den Mediceern geflüchtet wurden, um von hier aus von Neuem die Menschheit zu erwärmen und zu begeistern.

Florenz war im Mittelalter eine aus Burgen zusammengerückte Stadt, in welcher ritterliche Familien römischer und deutscher Herkunft hausten. Solche Städte, wo sich gewaltige Menschenelemente durcheineinander mischen, sind wie ein Brennglas, in welchem sich alle Strahlen der Sonne zum zündenden Puncte zusammenfassen. So in Florenz. Die Kämpfe und Krämpfe des Mittelalters waren hier zusammengepreßt in den Kreis einer Stadtringmauer. Ich habe diesen Gedanken in einer Tragödie: „die Bräute von Florenz,“ zum Thema genommen. In Florenz steigerten sich die Gegensätze des mittelalterlichen Lebens in ununterbrochenen Revolutionsgährungen empor bis zu ihrer Vernichtung und Verklärung in der Poesie und Kunst. Wir sehen dieselbe Entwickelung in dem Leben der Pflanze; nur dadurch, daß es sich selbst zu überbieten sucht, drängt es sich in eine Knospe zusammen und verklärt sich sterbend in der Blüthe. So die alte Welt in Athen, so das Mittelalter in Florenz.

Wie von hier aus hellenische Kunst und Wissenschaft heimlich unterwühlend den Kampf mit dem mittelalterlichen Geiste begonnen und als feines Gift die damaligen Weltzustände bis in die feinsten Adern durchdrungen haben, davon zeugt der zu gleicher Zeit eingetretene Verfall aller jener Lebensformen. Damals schien jegliche Gottheit aus der Welt gewichen zu sein, in welcher nur noch die sinnliche Schönheit, die verwegene Leidenschaft, zügellose Begier und das mordlustige Verbrechen allmählig Raum gewannen.

Einen tiefen Blick in die Verworrenheit und Verworfenheit jener gesellschaftlichen Zustände im späteren Verlaufe dieser Zeit mitten in der feingeschliffensten Bildung läßt uns die Geschichte der „Vittoria Accorombona“ thun, welche Ludwig Tieck in seinem bekannten Romane auseinandergelegt hat.




Ob wir vom Eingange rechts oder links uns durch die

Säle der äußeren Galerie

wenden, so kommen wir doch an der entgegengesetzten Seite in das

Raphael- und Coreggio-Zimmer
und
zu dem Meister der römischen Schule,
Raphael Sanzio von Urbino.

Er war nach Vasari am Charfreitag 1483 geboren und starb am Charfreitage 1520. Sein Vater war Giovanni Sanzio de’ Santi von Urbino, ein Maler von geringer Bedeutung; sein eigentlicher Lehrer wurde Pietro Perugino. In seinem zwanzigsten Jahre verließ er die Schule seines Meisters. Im Jahre 1504 treffen wir Raphael in Florenz, wo die toskanische Kunst ihre höchste Blüthe eben erreicht. Durch sie wird Raphael von der Manier seines Lehrmeisters gänzlich befreit. Vier Jahre darauf, 1508, neun Jahre vor dem Augenblick, wo Luther die 95 Theses und in ihnen die Kriegserklärung gegen Rom anschlug, wird Raphael an den Hof des prächtigen Papstes Julius II. berufen, um die Prachtgemächer des Vaticans mit Frescogemälden zu schmücken. So sollte in ihm und seiner Kunst die Allgewalt der römischen Kirche ihre höchste Verklärung in derselben idealen Form erhalten, in welcher die hellenische Welt vor ihrem Untergange ihre Erfüllung gefunden hatte.

Wir stehen hier vielleicht vor dem gewaltigsten Bilde, welches Raphael geschaffen hat. Wir schlagen davon die zwei Hälften des grünen Vorhanges zurück, und vor uns erscheint

Madonna di San Sisto.

Aus dem lichtblauen Himmel der Cherubim, welcher uns aus unzähligen Kindergesichtern anblickt, erscheint Marie mit dem Jesusknaben. Zu ihrer Rechten unten knieet der heilige Sixtus in weißer Tunica, darüber ein Pallium von Goldstoff, neben ihm unten auf dem Proscenium, welches die Zuschauer von dem heiligen Schauspiele trennt, seine Tiara. Zur Linken Maria’s knieet die heilige Barbara. Unter der Wolke, auf welcher die schwebenden Füße Maria’s zu ruhen scheinen, vollenden zwei Engelknaben, welche bis unter die aufliegenden Arme zu sehen sind, die großartig einfache Composition. Erheben wir den Blick zur Muttergottes empor! Wie im heftigen, wolkenzertheilenden Windeswehen, in welchem das blaue Uebergewand über ihr Haupt wie ein Segel links hinüberweht, trägt sie in ihren Armen den aufrecht sitzenden Knaben herunter. Er sitzt weniger auf ihren Armen, als in dem Gewande, welches sich zwischen ihren Händen zu einem Tragsessel spannt. Er thront darauf in göttlicher Ruhe, auf das linke Knie den rechten Fuß und um das Fußgelenk die linke Hand gelegt, während er die rechte weder zum Segnen noch zu irgend einer Bewegung gebraucht, sondern sie nur an sich hält. Er erscheint hier nicht als der Sohn der Mutter, durch welche wir ihm brüderlich nahe gestellt sind, sondern als der Sohn Gottes. Wer ist so rein im Herzen, um den entsetzenden Blick seiner Augen ertragen zu können? Es ist der Blick, mit welchem der junge Gott des fleischtödtenden Christenthums mit innerstem Abscheu zuerst die Niedertracht einer in Sündenlust versunkenen Welt erblickt. Dieser Knabe wird sie einst richten und verdammen. – Auch Maria trägt den Knaben nicht wie eine Mutter, sondern als eine Jungfrau, welche nie die Liebe zu einem Manne in dem Herzen gefühlt hat. Sie kennt in der Strenge übermenschlicher Unschuld keine Sünde, sie ist auch hier keine Vermittlerin der sündhaften Menschheit, deren Qualen sie nicht begreift. Die Verdammniß derselben wird vor ihr zur Nothwendigkeit. So unerbittlich blicken Mutter und Sohn aus dem Himmel des Gemäldes heraus. Selbst die heilige Barbara ist in die Kniee gesunken, knittert beklommen das Gewand zwischen den Händen vor der Brust und blickt seitwärts über die linke Schulter herunter. Zu dieser Mutter mit diesem Sohne können nur das sündenverlassene Greisenalter, der heilige Sixtus, und die unschuldige Kindheit, die beiden geflügelten Engelknaben unten, ruhig emporblicken. Das Erdenleben zerdampft unter den Füßen der Gottreinen in ängstlich durcheinanderqualmenden Nebelwolken.

Dieses Bild ist in seiner Wirkung so gewaltig, weil die hellenische Kunst hier auf ihrem Gipfel, ganz von dem ascetischen Geiste des Christenthums überwältigt, ihr eigenes Gesetz, die Sinnlichkeit, verdammen muß. Dieß ist der alte, fleischtödtende Geist des Christenthums, welcher hier, kaum noch von sinnlich schöner Form umschrieben, nur noch die feinste Linie zu durchbrechen braucht, um in den bilderstürmenden Fanatismus der ebräischen Dichter und Propheten des alten Testamentes und in den paulinischen Geist der anbrechenden Reformation überzugehen. Die Reformation bedurfte zu ihrem Zwecke bloß das gemütherschütternde Wort der ebräischen Bußpsalmen. Sie fand es zunächst in Savonarola, welcher hier in grimmigem Ernste dem hellenischen Leben in Florenz, wie früher Sokrates in Athen der alten Götterwelt, den Krieg ankündigte. Beide hatten Recht im Geiste der Zukunft und Unrecht dem Gegebenen gegenüber, und beide erlitten den Tod. Beide hatten darin ein ähnliches Schicksal mit Johannes dem Täufer, welcher, Buße predigend, dem Christenthum voraus und in den Tod ging.

Wir sehen hier

aus der florentinischen Schule

Leonardo’s da Vinci

Herodias mit dem Haupte Johannes.

Ein bleiches, grausam entschlossenes Weib trägt in der Schüssel den Kopf des Enthaupteten. Ihre Augen haben einen versteinernden Blick; ihre Pupillen sind in die linken Augenwinkel zurückgedrängt, so daß sie seitwärts herunterblickt, während sie ihr Gesicht rechtshin neigt. So steht sie vor uns in reichfaltigem, grünen Sammetgewande mit blutrothen Aufschlägen, unter welchen hervor feine Manschetten die Handgelenke umschließen. Man sieht es ihr an, daß sie etwas Entsetzliches vollbracht, daß sie den Propheten der Zukunft und ihrer eigenen Seele ermordet hat. Ihr Mund ist fein geschnitten, ein bitterer, harter Schmerz zuckt in der Linie zwischen den Lippen und sinkt in den Mundwinkeln herunter. Dieser Mund kennt die Wollust der Liebe, er hat ihren Kelch bis auf die Hefe ausgetrunken; schon beginnt die Linie der Jugend in den Conturen ihres Gesichtes verrätherisch von der Wellenform sich zurückzusenken. So hat diese Herodias Alles im Hofleben verloren – Jugend, Schönheit, Unschuld und das gute Gewissen; ihr ist nicht einmal die Reue, nur das Entsetzen und Grauen vor sich selbst übriggeblieben.

Sie trägt um die runde, entschlossene Stirne, welche nicht mehr erröthet, eine Ferroniere mit einem Rubin in der Mitte, welcher darauf wie ein heller Blutstropfen steht. Ihre dunkelblonden Haare rollen in kurzgeringelten Locken wie grimmige Nattern um Schulter und Nacken. Sie ist die männermordende Medusa jener Zeit. Sie trägt eine doppelte Gnadenkette zur Anerkennung ihrer verschwiegenen Hofverdienste, ein schwarzes Schnürchen mit feindurchflochtenen Drahtkügelchen, welche wie kleine Grillen aussehen, um den Hals, und am Ende der reichgestickten Einfassung des Gewandes zwischen dem Busen eine große Perle. Der Hintergrund des Bildes ist ein dunkelrother Vorhang. Was mag dahinter stehen? Vielleicht der Mann der Zukunft mit dem Schwerte.




Ein Gesicht aus derselben Zeit tritt uns entgegen im

Brustbilde der Herzogin Eleonore, Gemahlin Cosmo’s I., Herzogs von Florenz,

angeblich von

Angelo Bronzino,

es scheint jedoch von einem älteren Meister zu sein.

Dieses Gesicht ist der sprechendste Ausdruck jener Zeit, aus deren Schmerzen die Reformation hervorging. Wie schmerz- und gramvoll sind die Züge in diese länglichen Gesichtsformen eingeschrieben. Wie schwermüthig verhüllen unter der hohen, fürstlichen Stirne die Augenlider den betrübten Blick! – Ein heimlicher Gram hat selbst die Bogen der Augenbrauen geknickt, er drängt sich mit verrätherischen Fältchen aus den Augenwinkeln heraus, sinkt die steile Nase herab und zuckt in ihren Odemflügeln verrätherisch auf. Ein bitteres Weh schwebt und webt um ihren Mund, tiefe Wehmuth ruht in ihren unvergeßlichen Augen. Sie wird nie klagen, dazu ist sie zu stolz, aber man muß um sie klagen. Ihre dunkeln, gescheitelten Haare sind in einem goldenen Netze gefangen, wie vielleicht sie selbst. Sie trägt in den Ohrgehängen prächtige Diamanten vom reinsten Wasser, große Perlen hängen daran, und „Perlen bedeuten Thränen.“ Sind sie der Preis, um welchen man brillantene Verhältnisse kauft? Sie liebt die Perlen sehr; am Halse, um den kleinen Spitzenkragen, welcher den schwarzen Flor vor dem Busen durchscheinen läßt, trägt sie eine doppelte Perlenschnur, und selbst noch große Perlen, im Schlosse des goldgestickten Obergewandes, welches um ihren Nacken sich mit seinem kleinen, weißgefütterten Kragen umschlägt. In ihr erscheint uns das schmerzensvolle Verhängniß des Unterganges der florentinischen Herrlichkeit vor der hereinbrechenden neuen Zeit verleiblicht.




Durch Raphael hatte der wiedergeborene altebräische, spirituelle Geist des Christenthums die schöne Form des Heidenthums überstiegen; wie er sich dadurch von selbst aus ihr erlöste, so suchte sich auch wieder von ihm das sensuelle Leben zu befreien. Raphael’s großer Schüler

Giulio (Pippi) Romano

versuchte diese Befreiung in überschwellender Sinnlichkeit; dieses Bestreben tritt schon deutlich genug hervor in einem seiner beßten Bilder:

Maria mit dem Waschbecken.

Es ist ein Kniestück. Ein vollsaftiger Knabe steht, von seiner Mutter gehalten, im Wasserbecken auf dem Tische, ein anderer Knabe, meinetwegen Johannes, gießt ihm Wasser aus einer Kanne auf den Leib. Die alten Aeltern der jungen Mutter und der Vater des Kindes stehen dabei. So weltlich muß man dieses Bild auffassen, soll es eine Bedeutung haben. Die Sinnlichkeit packt hier das Heilige derb an, aber noch unbeholfen, fast unschön. Die von Leidenschaft durchglühte Fleischhülle sollte nicht hier, sondern in der späteren Kunstrichtung der flämischen Malerschule ihr Recht erhalten. Hier ist sie zwar von der Poesie der christlichen Religion verlassen, sie hat aber noch nicht ihre eigene gefunden. Diese Poesie sollte auf einem anderen Wege ermittelt werden. Ihr mußte die zartere Poesie des allmähligen Losringens von dem Dienste der Geistlichkeit in mildem Uebergange zur freien Weltlichkeit vorausgehen.

Diese Poesie des Ueberganges tritt in bunten Farben in den Meisterwerken Coreggio’s liebreizend und lockend uns entgegen. Die Göttin der Sinnlichkeit blickt uns hier mit süßer Coquetterie an, wir wenden uns weg und müssen doch wieder zu ihr zurückkehren, bis sie uns bestrickt und verführt.

Antonio Allegri,

von seinem Geburtsorte Coreggio genannt, war 1494 geboren und starb 1534.

Er hat seine Richtung von den Werken Leonardo’s da Vinci erhalten. Begreift man diesen großen Meister und seinen herrlichen Schüler Luini, so versteht man auch Coreggio. Ihr Ideal war, wie das Göthische, das weibliche. Ich erlaube mir das süße Geheimniß in ihren weiblichen Gesichtern, welches ihre Lippen in einem zauberischen Lächeln umwebt, nur in einem Gleichniß anzudeuten. Ein in strenger Klosterascetik erzogenes Mädchen ist zum ersten Male in die Welt und auf einen Ball gekommen. Dort hat es den ersten weltlichen Tanz getanzt und das erste Liebeswort gehört. Oder will man lieber an Shakespeare’s Julie und ihre Lippen denken, zu welchen das erste Mal Romeo’s Lippen als Pilger gewallfahrtet sind, so wird man das Lächeln des Leonardomädchen verstehen. Sie stehen auf der zarten Linie, wo jenes süße Lächeln den Augenblick zwischen dem ersten Erröthen und dem ersten Erbleichen ausfüllt.

In Coreggio befreit sich das weibliche Naturideal so weit von der Kirchensatzung, daß diese nur ein Reiz für das lüsterne Begehren mehr wird. Dadurch kommt dasselbe Element in diese Kunstrichtung, wie es kurz vor Coreggio mit Macchiavelli’s Buch vom Fürsten in der Politik, und später mit Loyola in der christkatholischen Kirche sich feststellte.

Der heilige Franciscus vor der Madonna.

In einer offenen Säulenhalle mit Aussicht in das grüne Land sitzt die Madonna auf einem phantastisch emporgegipfelten Thronstuhle, die feinen Füße auf einem zierlichen Schemel; ihre Linke hält das auf ihrem Knie sitzende Christuskind, während sie sich anmuthig lächelnd herab zum niederknieenden heiligen Franciscus neigt und ihre Rechte segnend über ihn hält. Das Christuskind hilft freundlich mitsegnen. Sie ist von einer Glorie umgeben, aus welcher im Halbkreise Engelköpfchen tauchen; ein Engelknabe schwebt oben zu ihrer Rechten, ein zweiter zu ihrer Linken, beide sie anbetend. Zunächst am Throne unten zu ihrer Linken steht die heilige Katharina mit Schwert und Palme, im schmachtenden Neigen des Köpfchens zu ihrer Königin emporblickend, den linken Fuß auf die hohe Achse des kleinen Martyrrades zierlich aufgestützt. Neben dem Rade unten am Fuße des Thrones liegt die Krone. Die Bewegung der heiligen Katharina entspricht der Haltung des heiligen Franciscus auf der anderen Seite, ebenso der hinter ihm stehende heilige Antonius von Padua dem neben der Katharina stehenden Johannes dem Täufer. Beide, Antonius und Johannes, blicken zur Verehrung der Himmelskönigin auffordernd aus dem Bilde heraus, während die beiden Anderen, Franciscus und Katharina, zu ihr emporblicken. Es bilden sich über’s Kreuz folgende Gegensätze weiter: Katharina mit dem Schwerte, Antonius mit der Wunde in der Brust; der vor Katharina stehende Täufer mit dem Kreuzstabe im rechten Arme und mit der empordeutenden Linken, und der hinter Franciscus stehende Antonius mit dem Lilienzweig in der Linken und dem, auf den Cultus deutenden Buche in der Rechten, während dennoch wieder die Bewegung des Täufers in dem Emporhalten des Gewandes der des heiligen Franciscus entspricht.

So leicht und gefällig rundet sich diese Composition ab wie eine Kirchenmusik, welche mit dem strengsten Fugenstyle die heiterste Weltlichkeit verbindet.

Der heilige Sebastian.

In goldener Glorie sitzt Maria auf einer Wolke, über den zurückgezogenen linken den rechten Fuß gesetzt, so daß der Schoos dem Knaben Raum giebt, auf dem festgestemmten Kniee rittlings zu sitzen. Wie er, so reitet ein Engel rechts und ein anderer links, und zwei kleinere ebenso zu Maria’s Füßen auf Wolken. Unten auf der Erde, an den Baum gebunden, steht fast in ähnlicher Stellung süßlächelnd und emporschmachtend Sebastian. Bis auf das um seine Hüften geschlungene Hemde entkleidet, gab er dem Meister Gelegenheit, die lieblichsten, süßgerundeten Glieder eines Jünglings zu zeigen, welcher kaum das Knabenalter zurückgelegt hat. Ihm gegenüber sieht man den Pestheiligen, Rochus, halb liegend, halb sitzend in gleicher Bewegung der entkleideten Beine in süßem Schlummer hingegossen, zwischen Rochus und Sebastian knieend in ähnlicher Beinbewegung den heiligen Gemianus im Pallium von Goldstoff, darunter eine weiße Tunica, in rothen Stiefelchen, den Kopf wendend und schmachtend herunterblickend, indem er zugleich mit der Rechten empor und mit der Linken herunterdeutet. Zu seinen Füßen in der Ecke sitzt ein halbentkleidetes Mädchen, fast noch in kindlichem Alter, welches das Nachbild der von Gemian der Mutter Gottes in Modena geweiheten Kirche trägt. Dieses Gemälde heißt scherzweise: die Reitschule. Nur ein protestantischer Mucker kann vielleicht die feinen, aus dem religiösen Gemüthe emporprickelnden, heimlichen Entzückungen und Ergießungen dieses Bildes nachempfinden und das süße Krampflächeln in den hinaufgezogenen Mundwinkeln verstehen. Es ist die in der Andacht schlummernde Sinnlichkeit, welche sie zur heimlichen Orgie werden läßt! Durch die feine Zeichnung und Rundung der halbverhüllten, halbentkleideten Gliedmaßen von Personen in der Entwickelungsperiode des Geschlechtes schleicht ein hermaphroditisches Lüsteln wie der Glasharmonikaklang einer Kastratenstimme. In diesem Bilde ist die Jungfräulichkeit der christlichen Kunst geknickt. Sie hat nun nichts mehr mit dem Himmel der Unschuld zu thun. Doch auch das gefallene Weib richtet sich unter der segnenden Hand der göttlichen Natur wieder empor und wird geheiligt als Mutter des Kindes, in welchem sie irdisch fortlebt. Das verlorene Paradies gewinnt sie wieder in der Mutterfreude. So fallen unsere Blicke in

die heilige Nacht.

In diesem Gemälde hat die Naturseele ihre Freiheit von der Ascetik und ihren Verheißungen des Jenseits völlig errungen. Sie hat jede Form, welche ihr der Geist der Satzung aufgeprägt hatte, von sich gethan. Sie wirkt hier unmittelbar auf das Gefühl im Augenblick, wo die junge Mutter zuerst ihr Kind erblickt. Hier prangt die Natur im leuchtenden Kinde im eigenen Lichte. Sie hat hier ganz das christliche, jenseitige Himmelreich und selbst den irdischen Himmel mit seiner Sonne entbehren gelernt, sie ist selig in sich selbst und zugleich ihre eigene Sonne, in der sie sich selbst die Nacht ihres Daseins erhellt.

Unter den Trümmern einer untergegangenen Zeit liegt auf einer Krippe im Stroh das zarte Neugeborene, von den Armen der Mutter liebend umzirkelt. Die junge Mutter hat sich tief zu dem Kinde herabgeneigt, sie kann das schöne, lebendige Räthsel nicht fassen, es ist zu groß und wunderbar! Ihr eigenes Leben, ihre Liebe selbst liegt außer ihr, vor ihr da in der Gestalt eines lieblichen Kindes. Das süße Ermatten löst sich in ihrem Gesichte in ein seliges Lächeln auf. Keine Seele ist jetzt rein genug, der Mutterfreude in die entzückten Augen zu sehen; ihre Blicke gehören ganz dem neugeborenen Kinde, sie sind zu ihm herabgesenkt, von den Augenlidern sanft verschleiert; wie sie, so erblickt ja jede Mutter den Gott, den sie in sich trug, in ihrem Kinde menschgeworden. Können wir doch selbst den Blick von dem rosig leuchtenden Kinde nicht abwenden. Da liegt es so hilflos und doch so reich an Liebe und in ihr an Hilfe! Das junge Leben empfindet die Nähe der mütterlichen Brust, die zarte linke Schulter, das Händchen zwischen den Wickelbändern und die rosigen Füßchen haben sich herausgebohrt wie Blumen aus den aufbrechenden Knospen. Das Bild heißt mit mehr Recht, als man gewöhnlich meint, „die Nacht.“ Die gebärende Nacht ist hier zur Mutter Maria geworden und hat den jungen Gott des Tages geboren, welcher von nun an die Welt mit einem neuen Lichte erleuchten wird. Noch blendet es die Hirten, welchen sich draußen auf den Feldern die Natur zuerst offenbart, zumeist das blinzelnde Mädchen, welches im Körbchen die der Liebe geheiligten Tauben zum Geschenke gebracht hat. Ein junger Hirte ist daneben bei der Krippe auf die Knie niedergesunken und hat sein Gesicht herüber zu seinem Vater gewendet, welcher im Begriffe ist, sich das Umwurffell gegen die Blendung über den Kopf zu ziehen; er gehört der alten Zeit an, welche nicht sehen will.

Oben über dieser Gruppe wälzen sich entzückt die schönsten Engelgliedmaßen durcheinander und feiern die Auferstehung des Fleisches.

Im Durchblicke in das Freie und auf die Gebirge, über welchen der erste Morgen graut, hält hinter der Krippe Joseph den Esel zurück, welcher die Geburt des Kindes im jungen Morgen austrompeten will; denn was kann ein Esel verschweigen? –

Magdalena.

„Vom Laube fast verstecket,
Vom Goldhaar ganz umwallt,
Ruht auf das Moos gestrecket
Des Waldweibs schöne Gestalt.

Es ruht mit gewalt’gen Gliedern,
Und singt aus voller Brust
In unbekannten Liedern
Von übersel’ger Lust.“

(Das Waldweib von Julius Mosen.)

Unter dem Namen der heiligen Magdalena sehen wir hier ein schönes Weib in zauberischer Walddämmerung auf das Moos gelagert, über ihre Gestalt das reiche, dunkelblaue Gewand geworfen, welches zugleich über ihren Kopf gezogen ist. Darunter quellen die reichen Lockenwogen herunter, in welche die Hand, worauf sie ihr Köpfchen stützt, tief hineingreift. Licht und Schatten spielen lieblich durcheinander auf Gesicht, Armen und Busen, während die verhüllte Gestalt in das Walddunkel sich zurücklagert, aus welchem noch im rosigen Lichte die bloßen Füße hervorleuchten. Sie hat ein Buch in dem rechten Arme liegen. Neben dem Buche steht die silberne Balsambüchse, aus welcher sie des Geliebten Füße gesalbt hat. Hier ruht sie im milden Schatten des grünen Waldes und denkt lesend an den geliebten Freund. – Es ist die Musa der romantischen Poesie in der Waldeinsamkeit.

Der heilige Georg.

Wir stehen vor der Halle eines fürstlichen Lustschlosses, deren Oeffnung von oben, im Halbkreise gesehen, von Korbgeflechte und darin von einem reichen Orangenkranz umgeben ist. Die warme Bläue des italienischen Himmels blickt oben durch die Oeffnung im Halbkreise und unten durch den offenen Bogen der Halle herein. Davon hebt sich die Gestalt der Madonna mit dem Kinde rosig ab. Sie ist hier nicht mehr Königin des Himmels, nur die liebreizende Fürstin auf Erden mit ihrem Hofstaate. Hier ist aller Inhalt in den schönen Schein aufgegangen. Der heiterste Schimmer der Farben muß uns für den verlorenen Geist entschädigen. Selbst die Sinnlichkeit ist entschieden zurückgetreten in das Conventionelle gezierter Stellungen und Mienen und in rosiges, stereotypes Hoflächeln, welches doch nur der schönen Königin so reizend steht. Auf ihrer Linken, welche über ihren Schoos herüberlangt, ruht das Kind, dessen Leib zugleich ihre rosenfingrige Rechte hält. Sie neigt sich huldvoll zu dem Hofgeistlichen, dem Märtyrer Petrus, welcher sie von ihren Verehrern, aus dem Bilde herausdeutend, mit zierlichem Lächeln unterhält; das Kind dagegen interessirt auf der anderen Seite der heilige Gemianus. Er ist im Begriff, ein zierliches Kirchenmodell, welches ein himmlischer Engelpage auf dem Kopfe trägt, in die Hände zu nehmen und das niedliche Spielzeug dem darnach verlangenden Kinde zu überreichen. Die Idee der Composition geht hier wie früher aus der Kreuzform im Gegenspiel ihrer Bewegungen hervor. Der hinter Georg stehende Petrus deutet heraus, der auf der anderen Seite vorstehende Johannes hinein auf Mutter und Kind; in diesem Hinein und Heraus entsprechen sich wieder einander Gemianus und Georg, welcher hier in farbenleuchtender Gestalt mit gedrehten Hüften und Gliedern, den linken Fuß auf den Drachenkopf gestemmt, vor seiner Königin prangt und den fröhlichen, nackten Knaben Helm und Schwert zum Spiele gewährt.

So hat die sinnliche Richtung der Kunst sich in diesem Bilde abgedämpft, um noch piquanter zu werden im schönen Scheine höfisch religiösen Ceremoniels.

In der gegenseitigen Anbequemung der Religion und der Höfe reichten sich später der machiavellistische Fürst und der Jesuit persönlich die Hände, verbunden auf Leben und Tod gegen Reformation in Kirche und Staat.

Diese höfische, von Coreggio angebahnte Kunstrichtung in der katholischchristlichen Malerei zieht sich tief herunter bis in das 17. und 18. Jahrhundert, nur daß sie bei ihm noch heiter ist und noch Kraft zu einer frischen Coquetterie hat, bei den späteren aber immer kränklicher und süßelnder, bis zur Sentimentalität unserer Tage heruntersinkt. So kommt es, daß der schwächliche

Carlo Dolci,

welcher in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts in Florenz blühte, noch jetzt der Liebling des zartsinnigen, gebildeten Publikums ist. Hier bewundert man seine

heilige Cäcilie,

welche freilich ein Vorbild aller Claviervirtuosinnen mit dem berühmten Augenniederschlage der Henriette Sonntag ist. Die Attitüde, in welcher sie dem Instrumente harmonische Töne entlockt, ist des Einstudirens werth. Sie kann kaum ihre Wirkung verfehlen, zumal in einem ästhetischen Salon. Wir würden nicht so ungalant sein, an ihrer Unschuld zu zweifeln, selbst wenn der Maler den großen Lilienzweig neben ihr anzubringen vergessen hätte.

In gleicher Sentimentalität stellt sich seine

Tochter der Herodias

mit dem Haupte Johannis auf der Schüssel dar. Man vergleiche diese Herodias mit der oben besprochenen, angeblich aus der Schule des Leonardo da Vinci, um den Contrast zwischen dem unmittelbaren und dem durch Sentimentalität erkünstelten Kunstsinn sich zu Bewußtsein zu bringen.

Carlo Dolci nimmt so bei dem Ausgange der italienischen Kunst einen ähnlichen Standpunkt ein, wie Adriaan van der Werff bei dem Ende der niederländischen Malerei.




Ehe wir aus dem Raphael- und Coreggio-Zimmer uns hinwegwenden, wollen wir noch einen Blick auf die Sixtinische Madonna in ihrer Hoheit und Strenge thun – und uns dann zur

älteren deutschen Schule

im anstoßenden Zimmer begeben. Bei den germanischen Völkern hatte das Christenthum keine zum idealen Bewußtsein in der Kunst hinaufgesteigerte, sondern die in sich phantastisch träumende und in sich befangene Natur, mithin in ihr kein feindliches Princip vorgefunden. Die Seele der deutschen Natur glich mehr einem Mädchen, welches zwischen Kind und Jungfrau mitten inne steht und zuerst von der Liebe ergriffen dem himmlischen Bräutigam weinend in die Arme sinkt. So mußte sie auch nur ihr Gemüth in der Kunst abspiegeln; die Schönheit der Form ist dabei von keiner wesentlichen Bedeutung, da Alles auf die Empfindung ankommt. Desto willkührlicher konnte das traumbewegte Gemüth sich phantastisch zur Erscheinung bringen. Die deutsche Kunst hat daher einen ganz anderen Anfang und Ausgang, als die italienische. So läßt der deutsche Maler in den Portraitgestalten seiner Lieben, welche täglich um ihn herum sind, die Figuren des christlichen Himmels in das deutsche Leben befreundet hereintreten. Einer der größten deutschen Maler ist

Hans Holbein, der Jüngere,

in Grünstadt oder Augsburg 1495 geboren. Mit seinem Vater, Hans Holbein dem Aelteren, wendete er sich in früher Jugend von Augsburg nach Basel, wo sich noch jetzt bedeutende Werke von ihm auf dem Rathhause befinden. Er war ein weinseliges Gemüth, welches den Verkehr in Wirthshäusern liebte und dadurch mit Weib und Kindern in große Armuth gerieth. Aus dieser Noth befreite ihn Graf Arundel, der britische Gesandte in Basel, welcher ihn mit nach London zu Heinrich VIII. nahm. Holbein erhielt und bewahrte sich die Gunst dieses launenhaften Königs bis zu dessen Tode. Er selbst starb im Jahre 1554 dort an der Pest. Der Tod schien damals in großen Schwaden die zum Verderben reife Zeit abzumähen. Pest und Bürgerkrieg waren seine Handlanger. Und doch hat das deutsche Gemüth dieses Entsetzen noch humoristisch und phantastisch verarbeitet. Das Grauenhafte jener Zustände gestaltet sich ihm zu einem tödtlich foppenden Fastnachtspiel, – zum Todtentanz. Holbein’s Holzschnitte unter diesem Namen sind bekannt. In dem großen Bilde hier:

Jacob Meyer mit den Seinen vor der Jungfrau Maria

bändigt sich dieser phantastische Zug des deutschen Gemüthes zu ernster Anmuth in der Gestalt Maria’s und ruht fast nur in der phantastischen Form einer mährchenhaften Krone auf ihrem Haupte. Das Bild stellt die Familie des Baseler Bürgermeisters Jacob Meyer mit den Seinen auf den Knieen vor der heiligen Jungfrau mit dem Christkinde vor. Maria erscheint hier als die Schutzheilige der Familie. Zu ihrer Linken knieet die Mutter mit zwei Töchtern, zu ihrer Rechten der Vater mit zwei Söhnen. Man glaubt, daß der Knabe auf den Armen der Jungfrau das Portrait eines Kindes aus dieser Familie sei, welches verstorben war. Man darf noch einen Schritt weiter gehen und in Maria selbst das Portrait einer verstorbenen Tochter des Bürgermeisters Meyer sehen. Hat sie doch die sprechendste, wenn auch verklärte Aehnlichkeit mit dem älteren Sohne des Bürgermeisters, welcher neben ihm knieet.

Sie erscheint nicht wie die sixtinische Madonna auf Wolken und in himmlischer Glorie, sondern auf demselben Boden und auf demselben Teppich, auf welchem die Familie vor ihr knieet und um ihre Fürbitte betet. Die Nische, in welcher sie steht, wölbt sich oben in Muschelform ab, welche in dunkelgoldener Farbe von selbst zur Glorie wird und davor das deutsche, jungfräuliche Antlitz Maria’s klar sich abheben läßt. Es scheint für jeden nachbildenden Künstler, sei es auf Stein oder Kupfer, eine Unmöglichkeit zu sein, den holdseligen Ausdruck dieses Gesichtes wiederzugewinnen. Es ist ein unwiderstehlicher Zauber darauf hingehaucht. Sie trägt eine Krone, welche im Kreise aus goldenen, aneinander gestellten gleichen Blumenblättern zusammengesetzt und mit Perlen verziert ist; auf jedem Blättchen sieht man die Figur eines Heiligen angedeutet. Ein Karfunkel steht wie ein Blutstropfen auf dem vordersten Blättchen über der todesklaren Stirn. Ihre goldenen Haare fluthen unter der Krone zu beiden Seiten einfach herunter, ihre niedergeschlagenen Augen bedecken sich mildverschleiernd mit den weichen Wimpern. Sie trägt ein dunkelgrünes Gewand, welches, um die Armgelenke zurückgeschlagen, das um die Vorderarme eng anliegende Untergewand und die feinen Manschetten, welche die schönen Hände umgeben, erscheinen läßt. Um die Hüfte hat sie eine nachlässig geschlungene, rothe, schmale Schärpe, welche mit den Enden herabhängt. Das Kind, von ihren Händen getragen, hat sein Köpfchen auf sein rechtes Händchen und dieses auf die linke Schulter der schwesterlichen Jungfrau gelegt. Es blickt und streckt sein linkes Händchen aus nach den Knieenden herunter. Es bedarf nicht der Aufforderung ihres jüngeren Bruders, des frischen Knaben zu ihren Füßen, sie abzubeten; diese in der deutschen Kunst verklärte Jungfrau wird ewig vor unserer Seele stehen.

Wie die italienische Kunst in der sixtinischen Madonna groß im idealen Geiste, so ist hier die deutsche tief im innigen Gemüthe zur Erscheinung gebracht. Auch hier ist das Irdische, doch nicht durch die Strenge, nur durch die Milde des fleischgewordenen Christenthums überwunden und geheiligt.

Vielleicht bezeichnet dieses Bild den Höhenpunct der deutschen Malerei, wie die sixtinische Madonna den Gipfel der römisch-christlichen Kunst.




Wie die deutsche Malerkunst auf ihren Gipfelpuncten sich gemüthvoller Auffassung des individuellsten Lebens mit innigster Treue an die Persönlichkeit hingibt, so mußte sie von selbst im Portrait das Höchste zu leisten vermögen. Vielleicht war so Hans Holbein der größte Portraitmaler in der wahren Abspiegelung der Seele auf den Gesichtern ohne Stylisirung und Idealisirung derselben. Unter seinen Portraits finden wir hier zwei der ausgezeichnetsten:

Weibliches Portrait.

Es ist ein blühendes Matronengesicht in sauberem, weißem Häubchen, in schwarzem Obergewande, welches die rothen Aermel des Untergewandes freiläßt, mit einer goldenen Kette um den Leib; daran hängt der Rosenkranz, mit welchem nachlässig ihre mit feinen Manschetten umkräuselten Hände spielen.

Portrait des Londoner Goldschmiedes,

welches von dem Galeriekatalog für das Bildniß des Herzogs Sforza von Mailand und für ein Werk Leonardo’s da Vinci ausgegeben wird. Wir müssen dieses ausgezeichnete Werk des deutschen Fleißes und Genies unserem Holbein wieder heimgeben. Es ist das Spiegelbild eines reichen, verdienstlichen, anspruchsvollen Londoner Bürgers, dessen Gewerbe und Reichthum es zu einer Möglichkeit machen, daß er bei der nächsten Wahl zum Lord-Mayor erhoben werden wird. Er war der Mann darnach, welcher das feinste Tuch und die sauberste Naht haben und bezahlen konnte; so auch sein eigenes Gesicht nach seiner eigenen Weise!

Lassen wir so von Holbein die gesammte deutsche Schule dargestellt sein; denn die übrigen Werke, welche hier von anderen Meistern vorhanden sind, bezeichnen nicht das Besondere in seiner Vollendung.