Dr. Friedrich Dittes – Ein Kämpfer für die Volksschule

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Autor: Heinrich Ernst Stötzner
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Titel: Dr. Friedrich Dittes – Ein Kämpfer für die Volksschule
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 797–799
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Dr. Friedrich Dittes – ein Kämpfer für die Volksschule.

Eine stürmische, gewaltige Zeit rief einst eine Vereinigung in’s Leben, welche für den Hort der deutschen Bildung, für die deutsche Schule, von größter Bedeutung werden sollte. Im Jahre 1848 trat in Eisenach die erste Allgemeine deutsche Lehrerversammlung zusammen. Aus allen Theilen Deutschlands waren Lehrer herbeigekommen, um gegenseitig in lebendiger Rede ihre Gedanken und Meinungen auszutauschen und gemeinschaftlich zu berathen, was der deutschen Schule förderlich und dienlich sei.

Obwohl vielfach geschmäht, theilweise sogar verfolgt, haben diese Versammlungen Großes geleistet, denn ein hoher, idealer Zug belebte dieselben. Mit Recht erklärt daher die „Allgemeine deutsche Lehrerzeitung“, das Organ dieser Vereinigungen, daß der Einfluß der allgemeinen Lehrerversammlungen zwar nicht statistisch nachweisbar sei, daß sie aber unleugbar eine mächtige Wirkung selbst über Deutschlands Grenzen hinaus ausgeübt haben.

„Viel haben sie dazu beigetragen, den Lehrerstand aus dem Dunkel, in das niederdrückende Verhältnisse ihn hüllten, hervorzuziehen, sein Ansehen zu heben und ihm eine achtungswerthe Stellung zu schaffen. Sie haben die Schäden bloßgelegt, an denen die Schule und ihre Lehrer krankten, ohne sich Uebertreibungen und Ausschreitungen, die der unbefangene Beurtheiler hätte mißbilligen müssen, zu Schulden kommen zu lassen. Ihre Forderungen, die sie für die Lehrer und die Schule zu stellen sich verpflichtet fühlten, sind maßvoll gehalten. Sie sind es auch gewesen, die den Riß haben schließen helfen, der die deutschen Volksstämme von einander trennte. Auf diesen Versammlungen reichten sich die Lehrer von Nord und Süd, von Ost und West die Bruderhand.“

Dr. Friedrich Dittes.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Und Vieles von Dem, was die Lehrerversammlungen erstrebten, ist zur That geworden, die neuere Schulgesetzgebung fußt zum großen Theile auf ihren Verhandlungen. Waren es doch auch die besten und tüchtigsten Männer des Lehrerstandes, die hier das Wort ergriffen und aus dem reichen Schatze ihrer Erfahrungen Rath und Belehrung spendeten. Aus der langen Reihe für die deutsche Schule bedeutungsvoller Namen sei hier nur auf Diesterweg und Fröbel, die Hamburger Theodor Hoffmann und Dr. Wichard Lange, Dr. Gräfe aus Kassel, Berthelt aus Dresden, Dr. Schulze aus Gotha, Lüben aus Bremen, Dr. Karl Schmidt aus Köthen, Dr. Friedrich Dittes hingewiesen. Der Letztgenannte, der durch seine Schriften weithin berühmte vormalige Director des Wiener Pädagogiums, war es besonders, der auf der fünfundzwanzigsten Versammlung, welche in der Pfingstwoche dieses Jahres in Bremen tagte, die Aufmerksamkeit aller Theilnehmer im höchsten Grade fesselte. Er verdient es, auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden, ist er doch in Oesterreich in den höheren clericalen Regionen einer der bestgehaßten Männer, während er in der Lehrerschaft als einer der ersten Pädagogen der Gegenwart gefeiert wird. Eines seiner Werke, sein Lehrbüch der Psychologie, ist vom Papste verdammt worden und hat doch eine Verbreitung in vielen Tausenden von Exemplaren gefunden. Als es in Wien bekannt wurde, daß Dittes von der Leitung des Lehrerpädagogiums zurücktreten werde, da richteten mehr als tausend Lehrer und Lehrerinnen der Residenz ein Gesuch an den Wiener Gemeinderath, in welchem sie erklärten:

„Nachhaltig sind die Wirkungen, welche Dr. Dittes durch das Pädagogium insbesondere auf die Lehrer Wiens ausübte. Waren seine bahnbrechenden Gedanken auf dem Gebiete des Erziehungs- und Unterrichtswesens durch seine Schriften in die gesammte pädagogische Welt getragen worden, so wirkte sein überzeugungskräftiges Wort um so zündender auf jede Individualität seiner Hörer. Und aus dem Hörsaale pflanzte sich der empfundene Eindruck in das Stillleben der Schulstube fort, segensreich wirkend auf Gemüth und Verstand der Kinder. Die Lehrer fühlten sich erfaßt von jenem Geiste erziehlicher Liebe, es durchglühte sie jene Hoheit der Gesinnung, welche allein den Lehrer zur idealen Auffassung seines Berufes führt.“

Der Lebensgang dieses Mannes, den wir hier auch im Bilde unsern Lesern vorführen, ist der eines Gelehrten, der aus dürftigen Verhältnissen sich mit Anstrengung aller Kräfte emporgearbeitet hat zu wissenschaftlicher Thätigkeit und echter Humanität. Ein solches Leben ist schlicht und einfach; aber es erzieht feste, unbeugsame Charaktere. Schlicht und einfach ist auch Dittes geblieben, von dem aber, was er für gut und recht erkannt, weicht er nicht um die Breite eines Haares ab, und diese Zähigkeit giebt seinem Wesen oft etwas Schroffes und Herbes, was heutzutage um so mehr auffällt, als aalglatte, geschmeidige Charaktere unsere Zeit kennzeichnen. Er sagt in dieser Beziehung: „Wenn man auf sich selbst angewiesen ist, um vorwärts zu kommen, muß man leider oft hartnäckig und widersetzlich sein, weil die Schablonen des Lebens, die Anderen zum Vortheile dienen, dem einsamen Pfadsucher den Weg verlegen. So wird er freilich zur Hartnäckigkeit gezwungen, wenn er vorwärts kommen will, und häufig wird ihm dies als Fehler angerechnet, weil man denkt, er liebe den Kampf um des Kampfes willen. Aber man sollte doch billiger urtheilen. Wer auf seinem Wege Rosen findet, kann leicht mit Jedermann in Frieden leben; wer aber überall durch Dornen [798] und über Felsengeröll sich den Weg bahnen muß, kann nicht jederzeit ein gehorsamer Diener sein, wenn er sich nicht selbst aufgeben will. Zum bloßen Vergnügen verfeindet man sich doch nicht einmal mit einem Kinde, geschweige denn mit Regierungsräthen, Ministern und sonstigen einflußreichen Herren. Aber da nun einmal unter dem Monde nicht alle Dinge nach Recht und Billigkeit geordnet sind, so lasse man doch dem Individuum dasjenige Maß von Freiheit, welches ihm nöthig ist, um sein Ziel zu erreichen, vorausgesetzt, daß sein Streben ein rechtschaffenes ist und Niemandem schadet.“

Friedrich Dittes stammt aus dem sächsischen Vogtlande, er wurde in Irfersgrün bei Lengenfeld – man muß schon eine vorzügliche Specialkarte haben, um das Dörfchen zu finden – am 23. September 1829 geboren. Seine Eltern waren einfache Landleute, die sich tüchtig zu regen hatten, um die zahlreiche Familie mit Ehren durchzubringen. Da mußten auch die Kinder frühzeitig zur Arbeit herangezogen werden. Bei alledem herrschte aber ein gesundes, herzliches Familienleben im Hause, das namentlich durch die Mutter die rechte Weihe erhielt. „Mein Vater“ – erzählt Dittes selbst – „war ein durchaus wackerer, rechtschaffener, thatkräftiger Mann; aber sehr streng, ohnehin weniger im Hause als die Mutter, weil stets an harte Arbeit gebunden, weshalb wir Kinder, zusammen sieben Geschwister, besonders in und mit ihr lebten, die durch ihre unerschöpfliche Geduld und rastlose Thätigkeit die zahlreiche und wenig bemittelte Familie in bester Ordnung erhielt, uns Kinder in den Mußestunden zum Lernen der Schulpensa und zum Vorlesen aus Bibel und Gesangbuch anleitete und uns ohne alle Kunst, fast nur durch ihr eigenes Beispiel einen unverbrüchlichen Sinn für alles Gute einflößte. Zum Glück ist auch keines ihrer Kinder mißrathen. Meine Geschwister sind zwar in einfachen Lebensverhältnissen geblieben, aber rechtschaffene Leute geworden und haben sich stets der Achtung ihrer Umgebung erfreut. Mich haben sie stets gefördert, wo sie nur konnten, nicht selten auch, so lange ich’s bedurfte, mit ihren kleinen Ersparnissen freudig unterstützt. Und so habe ich reichlich erfahren, welcher Schatz von Herzensgüte und Rechtschaffenheit in den breiten Schichten des kleinen Volkes ruht, und das ist der Ursprung meiner Liebe zum Volke oder, wenn man will, meiner demokratischen Gesinnung.“

Der lebhafte, geweckte Knabe besuchte die Schule seines Ortes, fand aber auch im Pfarrhause die freundlichste Aufnahme. Der würdige Pastor ertheilte ihm Privatunterricht und beredete die Eltern, ihren Friedrich für den Lehrerstand ausbilden zu lassen. Er hielt den lebendigen Knaben in strenger geistiger Zucht, sodaß dieser die lateinische Grammatik, Geschichtstabellen und andere Bändigungsmittel munterer Burschen immer mit sich herumtrug, wenn er auf dem Felde oder in der Scheune mit helfen mußte, um in den kleinen Arbeitspausen die Unterrichtspensa einzuüben. War aber doch einmal eine harte Nuß nicht geknackt worden, so hatte der Pastor auch Nachsicht mit den schwachen Zähnen, und wenn er einmal die Geduld verlor, so brachte ihn seine Frau durch ihre Thränen wieder zur Güte. „Diese alte Dame“ – schreibt Dittes – „ein wahrer Engel des Dorfes, steht neben meiner Mutter unter allen Frauengestalten, die mir im Leben begegnet sind, in oberster Reihe und fehlt niemals, wenn die heiligsten Jugenderinnerungen in mir auftauchen.“

Im Jahre 1844 bezog Dittes das Proseminar zu Plauen. Der Dorfknabe paßte noch wenig in die Welt, war linkisch und schüchtern und hatte deshalb von seinen lustigen Cameraden im Anfang manche Neckerei zu ertragen. Aber das gab sich bald, und schließlich blieb doch der unscheinbare Kern, den er aus dem Elternhause mitgebracht, das Grundcapital für sein ganzes Leben. Nach kurzer Zeit übersprang er das Proseminar und trat in das wirkliche Seminar ein. Hier arbeitete er tüchtig, ohne sich aber von seinen andern Schulgenossen zu trennen. Diese sahen gar bald, daß er wacker zum Ganzen hielt, und so sind ihm aus dieser Zeit viele brave Freunde geblieben. Dittes hat überhaupt das Glück gehabt, daß er keinen Ort seines Lebens und Wirkens verlassen hat, ohne sich der freundlichsten Anerkennung seiner Genossen und Collegen zu erfreuen. Wo es galt, tüchtig zu arbeiten, war er nicht der Letzte, und wo sich Gelegenheit fand, für die Ehre der Schule und des Lehrstandes einzutreten, scheute er sich nicht, zu den Ersten zu gehören.

Nach vier Jahren verließ er das Seminar, um in dem bei Chemnitz gelegenen Dorfe Thalheim als Schulvicar einzutreten. Hier hatte er das erste Mal Gelegenheit, einmal energisch „nein“ zu sagen. Er fand dort den Brauch vor, daß der Lehrer auch das Läuten der Glocken besorgte, das heißt durch Schulknaben besorgen ließ, die er überwachte. Nun kam dabei einmal ein Kunstfehler vor, es wurde bei einer Leiche mit einer Glocke zu wenig geläutet. Darüber machte der „Kirchvater“ dem jungen Lehrer so heftige, zu weitläufigen Auseinandersetzungen führende Vorwürfe, daß dieser erklärte, der Lehrer habe ohnehin von Gesetzeswegen mit dem Glockenläuten nichts zu thun, er würde sich von nun ab auch nicht mehr darum kümmern und auch nicht dulden, daß Schulknaben während der Unterrichtszeit dazu verwendet würden. Eine solche Anmaßung war damals unerhört; es gab einen heftigen Sturm und lange Erörterungen in verschiedenen Instanzen. Pfarrer und Superintendent meinten zwar, „die Vogtländer seien etwas hartnäckig“; sie standen aber dem jungen Lehrer kräftig bei, und so wurde der Glöcknerdienst vom Lehrdienste für immer getrennt. Bald nachher kam Dittes als Lehrer an die Bürgerschule in Reichenbach. Da er sich entschlossen hatte, die Universität Leipzig zu besuchen, so beschäftigte er sich angelegentlich mit Gymnasialstudien.

Im Jahre 1851 benutzte Dittes einen anderthalbjährigen Urlaub, um diesen Lieblingswunsch zur Ausführung zu bringen. Er mußte sich in Leipzig oft recht kümmerlich behelfen, aber mit eiserner Energie überwand er alle Schwierigkeiten, und je mehr ihn hungerte, desto eifriger trieb er Mathematik, Naturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Als der Urlaub vorüber war, kehrte er in seine frühere Stellung zurück.

Jetzt trat er auch als Schriftsteller auf. Schon seine beiden ersten Schriften wurden mit Preisen gekrönt und auf das Günstigste aufgenommen. Sie behandelten psychologische Fragen und hatten den Zweck, die Wissenschaft der Pädagogik aus naturwissenschaftliche Psychologie zu gründen. 1857 ging Dittes nach Leipzig, um an der unter Director Vogel’s Leitung stehenden ersten Bürgerschule eine Lehrerstelle zu übernehmen. Dann, nach wohlbestandener Maturitätsprüfung trat er abermals in die Universität ein, um seine wissenschaftlichen Studien nun zum Schluß zu bringen. Er bestand 1860 das Examen für das höhere Schulamt und promovirte bald nachher bei der philosophischen Facultät.

Ein sprechendes Zeugniß für seine wissenschaftliche Tüchtigkeit war es, daß eine in dieser Zeit von ihm verfaßte Schrift von der Universität mit dem ersten Preise ausgezeichnet wurde. Nun wollte der junge Doctor sich ganz der Wissenschaft hingeben und ging ernstlich damit um, sich als Docent für Philosophie und Pädagogik zu habilitiren. Da aber kam ein Ruf aus Chemnitz, Dittes folgte diesem und trat als Subrector in die mit einem Progymnasium verbundene Realschule ein. Nun kamen glückliche Jahre. In der Tochter eines Gesinnungsverwandten, des Seminardirector Dreßler in Bautzen, fand er eine treue, sein Wirken wohl verstehende Lebensgefährtin; ein Kreis braver Collegen umgab ihn, mit denen er nach Herzenslust weiter studirte. Von Bedeutung war sein Auftreten in der 1864 in Chemnitz abgehaltenen sächsischen Lehrerversammlung; seine dort abgegebene Kritik der Lehrerseminare bewirkte eine Reorganisation derselben und gab zugleich Veranlassung, daß er als Schulrath und Director des Lehrerseminars nach Gotha berufen wurde. Er ging schwer von Chemnitz fort; aber der größere und schönere Wirkungskreis, der RuF, Lehrerbildner zu werden, zog ihn mächtig an.

Das Gothaer Seminargebäude hatte früher verschiedenen Zwecken gedient. In seiner Einweihungsrede ermahnte Dittes nun dazu, daß das Seminar die Hinterlassenschaft des Klosters, des Gymnasiums und der Volksschule, welche vordem hier Obdach gefunden hätten, antreten und in Folge dieses Erbes eine Heimstätte warmer Religiosität, wissenschaftlichen Strebens und tüchtiger pädagogischer Bildung werden möge. Er selbst hat mit aller Treue geholfen, diese Ideale zu verwirklichen, und der von ihm geschaffene Lehrplan, durch den er seine Zöglinge „nicht zu routinirten Stundengebern und Schulhaltern abrichten, sondern zu erziehenden Lehrern heranbilden will, deren gesammte Berufsthätigkeit auf die harmonische Entwickelung, auf die leibliche und geistige Wohlfahrt der ihnen anvertrauten Kinder gerichtet ist“, wird als mustergültig bezeichnet. Schon nach drei Jahren schied Dittes von Gotha, um nach Wien zu gehen.

Um einen tüchtigen, den Ansprüchen der Gegenwart gewachsenen Lehrerstand zu gewinnen, hatte die Gemeindevertretung [799] Wiens beschlossen, ein Pädagogium zu errichten. Dieses Institut sollte namentlich zur weiteren Fortbildung der in der Residenz bereits angestellten Volksschullehrer dienen. Das Pädagogium war also eine Hochschule für Lehrer und nur solche, die auf derselben mit Erfolg weiter studirt, hatten auf Weiterbeförderung zu rechnen.

Als Hochschule mußte das Pädagogium frei von confessionellem Zwange sein. Das Ministerium machte Schwierigkeiten, es wollte die Rechte der Kirche und der Staatsregierung wahren, aber der klare, feste Wille und die Einmüthigkeit des aus 120 Mitgliedern bestehenden Wiener Gemeinderathes überwanden alle Hindernisse, und bei Gelegenheit eines Ministerwechsels wurde die Genehmigung zur Errichtung des Pädagogiums ertheilt. Natürlich sollten an dieser Anstalt nur Lehrkräfte ersten Ranges wirken, namentlich war die Wahl des Directors von größter Wichtigkeit.

Viele hervorragende Schulmänner bewarben sich um diese Stellung, aber nach langem Erwägen und genauen Erkundigungen wählte man keinen, der sich gemeldet, sondern den Gothaer Schulrath und Seminardirector Dr. Dittes. Man wählte ihn mit allen gegen zwei Stimmen. Dittes nahm die Wahl an, die wichtige und schwierige Aufgabe fesselte ihn, und am 12. October 1868 trat er in seine neue Stellung ein. Die liberale Presse begrüßte freudig die neue Anstalt und ihren Leiter, aber die Clericalen waren empört, daß ein Ketzer Director eines solchen wichtigen Instituts geworden, und begannen ihre Maulwurfsarbeit gegen ihn, noch ehe er den Boden Wiens betreten hatte.

Im fernen Westen jenseits des Oceans tragen die am weitesten vorgedrungenen Ansiedler, diese Pionniere der Cultur, während sie das Feld bauen, immer die blanke Waffe bei sich. So stand auch Dittes mitten in seiner amtlichen Thätigkeit immer in hellem Kampfe gegen offene und heimliche Widersacher des Pädagogiums. Dreizehn Jahre hindurch währte dieser Kampf. Dittes mußte endlich weichen, aber sein Schild ist rein geblieben, und die Saat, welche er ausgestreut, wird reiche Früchte bringen. Er selbst erklärt:

„Ich blicke ohne Bitterkeit auf die in Wien verlebten Jahre zurück. Ich bedaure nicht, daß ich dem Rufe hierher gefolgt bin, und es reut mich nichts, was ich hier gethan habe. Müßte und könnte ich diesen Abschnitt meines Lebens nochmals beginnen, ich würde genau wieder so handeln, wie ich gehandelt habe. Und mit meinem Schicksale bin ich zufrieden. Wenn es mir versagt blieb, meine Berufsthätigkeit fortzusetzen, so wird dies wohl gut gewesen sein, da ich es unter den gegebenen Verhältnissen kaum noch lange vermocht hätte. Daß es mir aber vergönnt war, eine lange Reihe von Jahren, weit länger als zu hoffen war, auf einem wichtigen und gefährlichen Posten zu stehen, werde ich stets als eine Gunst des Schicksals preisen. Und wenn meine Gegner sich freuen sollten, endlich erreicht zu haben, was sie so lange angestrebt hatten, so sage ich ihnen: Zu spät! Ihr könnt nicht mehr vernichten, was ich geschaffen habe. Möge die Zukunft entscheiden, welche Aussaat kräftigere Halme treiben wird, die eurige oder die meinige. Gewiß ist, daß auf dem Boden, den ich bearbeitet habe, euer Unkraut gründlich ausgerottet ist und niemals wieder gedeihen wird. Mit Beruhigung nehme ich den Waffenstillstand an. Benützen wir ihn, um unsere Wunden zu heilen und unsere Schwerter zu schleifen. Wir werden blanke Waffen noch brauchen.“

Wir können hier nicht weiter auf den Kampf eingehen, den Dittes mit der scharfen Waffe des Geistes für Volkswohl und Volksbildung gegen Aberglauben, Dummheit und Böswilligkeit so glänzend bestand. Er selbst erzählt dies in dem von ihm herausgegebenen „Pädagogium“ – einem Fachblatte ersten Ranges – unter dem Titel „Wiener Geschichten“ in interessanter Weise. Trotz der glänzendsten Erfolge sollte die von Dittes geleitete Anstalt umgestaltet werden; man wußte nur noch nicht, in welcher Weise. Da nun aber Dittes seine wohlgelungene Arbeit nlcht selbst zerstören konnte, so mußte er eben gehen. Und weiter hatte die beabsichtigte Reorganisation keinen Zweck.

Daß auch der Wiener Gemeinderath sich von ihm zurückzog, hatte seinen Grund namentlich in politischen Rücksichten. Dittes war 1873 in den Reichsrath gewählt worden. Da er von der demokratischen Partei gewählt war, so hielt er es für Pflicht, sich im Reichstage derselben anzuschließen. Er gerieth dadurch in Gegensatz zu der großen liberalen Partei, welcher auch die Mehrheit des Gemeinderathes angehörte. Leider hatte diese Parteistellung auch die Folge, daß Dittes im Reichsrathe nicht den Einfluß gewann, den er sonst unbedingt gewonnen hätte. Er wurde in keinen Ausschuß gewählt; trotzdem sind aber seine Reden, z. B. zum Tiroler Schulaufsichtsgesetze, zum Unterrichtsbudget 1875 etc., von großer Bedeutung gewesen. Dittes ist überhaupt ein ganz vorzüglicher Redner. Man wird bei seinem Auftreten in mancher Hinsicht an die Schilderung erinnert, die Heine von dem englischen Parlamentsredner Henry Brougham entwirft. Man kann sich kaum denken, daß dieser so schlicht, fast gedrückt aussehende Mann mit seinen Worten so fesseln, so hinreißen kann. Er spricht ruhig und klar, nach und nach aber erhebt sich seine Gestalt wie getragen von der Wucht der Gedanken, die ihn bewegen. Seine Rede gleicht nun einem vollen, aber bis zum Grunde klaren Strom. Er fesselt uns durch die Ueberzeugungstreue, die aus jedem seiner Worte herausklingt, durch die Macht seiner Beweise, durch die Einfachheit seiner Darstellung. Wo er auch gesprochen, im Reichsrathe, in behördlichen Kreisen, in Lehrer-, in Volksversammlungen, zuletzt bei Gelegenheit der Luther–Feier in Wien – seine Rede hat stets einen mächtigen, lang nachwirkenden Eindruck hinterlassen. Welchen Einfluß er als Lehrer ausgeübt, davon ist das im Anfange dieses Artikels erwähnte Gesuch der Wiener Lehrer an den Gemeinderath beredtes Zeugniß.

Den größten Einfluß hat aber Dittes durch seine schriftstellerische Thätigkeit gewonnen. Es dürfte in der Gegenwart nur wenig Lehrer geben, in deren Büchersammlung nicht ein oder einige seiner Werke Platz gefunden hätten. Seine pädagogischen Lehrbücher haben vielfache Auflagen erlebt und sind in Tausenden von Exemplaren verbreitet. In neuerer Zeit sind dieselben unter dem Titel „Schule der Pädagogik“ in einem Bande vereinigt worden. Eine pädagogische Revue ersten Ranges hat Dittes mit der seit 1878 erscheinenden Monatsschrift „Pädagogium“ (Leipzig, Julius Klinkhardt) geschaffen. Es ist dies ein Unternehmen, welches nicht nur von Seiten der Lehrer, sondern auch von Seiten des gebildeten Publicums die größte Beachtung verdient. Dieser Zeitschrift widmet sich jetzt der in Ruhestand versetzte Dittes mit ganzer Seele. Wie er spricht, so schreibt er auch – schlicht und einfach, ohne Phrase, aber klar und schneidig, und so handelt er auch. Er stellt die höchsten Forderungen, er zieht die schärfsten Consequenzen und dem entsprechend ist auch sein Thun.

Mag man auch nicht immer mit seinen Ansichten sich einverstanden erklären – er ist Idealist, der Menschen und Dinge nicht nimmt, wie sie sind, sondern wie sie sein sollten – so stimmen doch Freund und Feind darin überein, daß er in Wort, Schrift und That ein ehrlicher Charakter, ein ganzer Mann ist.

E. Stötzner.