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Ein Denkmal treuer Liebe

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Textdaten
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Autor: Rudolf Scipio
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Titel: Ein Denkmal treuer Liebe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 198–200
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vergl. Eginhard und Emma – ein Märchen
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Ein Denkmal treuer Liebe.

Es war ein sonnig klarer Septembernachmittag, als der Dampfwagen uns keuchend und stöhnend die steile Steigung zu der Höhe des Aachener Waldes hinanführte. Immer weiter und prächtiger breitet die Landschaft zu beiden Seiten sich aus. Tief unten beginnt jetzt die alte Kaiserstadt mit ihren Thürmen und Häusermassen im Dufte der Ferne zu verschwinden; noch ein letzter Blick hinab auf das herrliche, im warmen, goldigen Sonnenscheine daliegende Thal, dann dringt der Zug donnernd in die Tiefe des Berges ein und die Nacht der Unterwelt breitet ihren Mantel über uns aus.

Als wir nach einigen Minuten das Licht des Tages auf’s Neue erblicken, befinden wir uns in einer einsamen, wilden Gebirgslandschaft. Es ist das ehemalige Jagdrevier jenes alten Riesen, der, wie die Sage erzählt, mit seinem Wunderschilde hier „tief im Ardennerwalde“ hauste, bis jung Roland sich durch seine Besiegung die Rittersporen verdiente.

Auf den Flügeln des Dampfes geht’s nun durch den stillen Forst dahin, den einst bei Sonnenschein und Mondenlicht die kühnen Degen von der Tafelrunde des großen Karl bei der Verfolgung des Riesen durchstreiften. Zum zweiten Male bahnt unser Zug sich den Weg durch die Tiefe des Berges, eilt dann über Thäler und Schluchten dahin und bringt uns rasch zu dem Dörfchen Astenet, wo wir ihn verlassen, um von hier zu Fuß einen Streifzug in die Berge zu unternehmen.

Ein bequemer Fußpfad führt von dem Stationsgebäude dem nahen Walde zu, und nachdem wir hier etwa eine Viertelstunde weitergeschritten sind, sehen wir, aus dem unter den Bäumen herrschenden grünen Dämmerlichte in’s Freie hinaustretend, ein herrliches Bergpanorama vor uns aufgerollt: steile Gebirgskuppen wechseln mit reich bewaldeten Höhenzügen, und zur Rechten schaut, von einer jäh in die enge Waldschlucht abfallenden Bergwand halb zwischen dunkeln Tannenwipfeln versteckt, das graue Gemäuer eines alten Burgbaues in das Land hinaus.

Dieses urkundlich erst gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts unter dem Namen „Eyneburg“ erwähnte, im Volksmunde als „Emmaburg“ bekannte Schloß wird von der Sage mit Karl dem Großen und dessen Tochter Emma in Verbindung gebracht.

Die schöne Kaisertochter hatte dem stattlichen, ritterlichen und klugen Eginhard, dem Geheimschreiber und Rath des Vaters, wie alle Welt weiß, ihr junges Herz geschenkt. Wohl wußten Beide, daß eine weite, unübersteigliche Kluft ihre Wege trennte; dennoch vermochten sie nicht mehr von einander zu lassen, und da am Tage das strenge Hofceremoniell ihren Verkehr und ihre Blicke bewachte, so gestattete Emma dem Geliebten von Zeit zu Zeit, daß er sie nächtlicher Weile in ihrem Gemach in der alten Kaiserburg zu Aachen besuchte und dort in allen Ehren ein Stündchen mit ihr plauderte.

So hatten sie auch einst eine Herbstnacht in seliger Liebe miteinander verbracht, und der dämmernde Tag mahnte Eginhard daran, daß es Zeit sei, den Heimweg anzutreten; mit Schrecken gewahrte er aber, daß über Nacht Schnee gefallen war, der seine Fußstapfen dem Schloßgesinde sogleich verrathen und einen argen Verdacht rege machen mußte. Doch wo selbst der kaiserliche Rath einen Ausweg zu finden verzweifelte, wußte Emma’s kluger Frauensinn bald das Rettungsmittel zu finden, indem sie den Geliebten auf ihren Schultern über den Schloßhof trug. Zum Unglück für die beiden Liebenden hatte der Kaiser sich schon früh von seinem Lager erhoben und sah nun, am Fenster stehend, mit Erstaunen und Zorn auf das seltsame Paar hinab. Wohl liebte auch er den trefflichen Jüngling, der das Herz der Tochter gewonnen, doch solcher Frevel mußte gestraft und gesühnt werden. Noch an demselben Morgen ließ Karl seine Räthe versammeln; legte ihnen, ohne Namen zu nennen, den Fall vor und verlangte ein Urtheil über eine Königstochter, welche nächtlicher Weile ihrem Buhlen Einlaß zu ihrem Gemache gestatte. Die Räthe waren der Ansicht, daß man in Sachen der Liebe milde urtheilen und Verzeihung gewähren müsse. Auch dem Brecher der Hausehre waren sie geneigt Vergebung angedeihen zu lassen. Nur Eginhard, der als der jüngste von ihnen zuletzt seine Meinung abzugeben hatte, stimmte dafür, daß ein solcher den Tod verdient habe.

„Sie haben beide den Tod verdient,“ entschied der Kaiser; „doch anstatt des Rechtes will auch ich Milde walten lassen; aber nimmer will ich die Schuldigen vor meinen Augen sehen; für immer seien sie aus meiner Nähe verbannt!“ Mit blutendem Herzen fügte sich Emma in den harten Spruch und wanderte in geringer Kleidung, damit Niemand sie erkenne, aus der Kaiserburg in den Wald hinaus, wo sie nach längerem Umherirren mit einem einsamen Pilger zusammentraf, in welchem sie alsbald Eginhard erkannte. Nachdem das Schicksal so die Liebenden ohne ihren Willen wieder zusammengeführt hatte, vermochten sie sich nicht mehr von einander zu trennen. Gemeinsam wanderten sie tiefer in den Wald hinein und unweit eines Baches, an welchem Emma kraftlos zu Boden gesunken war, erbauten sie sich eine Hütte.

„Er hieb die Aest’ und Zweige, sie sammelte und trug,
Und sieh, ein Dach war fertig, für zweie groß genug.“

Rasch schwanden ihnen hier im Genusse stillen Glücks die Tage und Jahre dahin, während der Kaiser einsam zu Aachen in seiner Hofburg weilte und mit Wehmuth seines verschollenen Kindes gedachte, welches sein Zorn aus dem Vaterhause in die Ferne getrieben.

„Der Becher, den er leerte, er mundete ihm nicht,
Er that nichts recht aus Freude, er that es nur aus Pflicht.
Und selbst das frohe Jagen, das sonst war seine Lust,
Erlabte nicht wie ehmals des alten Kaisers Brust.
Er ließ die Hunde jagen, weitab wohl durch den Tann,
Er selbst ging trüb’ und einsam, der kaiserliche Mann.“

So hatte er sich, seinen schwermüthigen Gedanken nachhängend, eines Tages wiederum von seinem Jagdgefolge entfernt [199] und weitab in den stillen Forst verloren, wo er sich ermüdet unter einem Baume in’s weiche Moos streckte und die Augen zum Schlummer schloß. Als er erwachte, erblickte er einen in schlichte Kleider gehüllten, hübschen blondlockigen Knaben, der sich während des Schlafes seines Schwertes als eines guten Spielzeuges bemächtigt hatte. Auf den Ruf des Kaisers floh der Knabe mit der schweren Waffe, um daheim bei der Mutter Schutz zu suchen. Karl folgte ihm bis zu jener Hütte, in welcher er eine wunderschöne junge Frau mit einem Säugling an der Brust fand. Als bald darauf der Besitzer des kleinen Waldhauses, mit reicher Jagdbeute beladen, heimkehrte, lud dieser den Fremden ein, an dem Familienmahle theilzunehmen. Man tischte dem Gaste auf, was der Wald und der Bach an Gaben nur spendete.

Die Emmaburg im Ardennerwalde.
Nach einer Skizze von K. S.

„– und Emma schnitt das Wildpret, kunstrecht, wie sich’s gehört,
Und wie es einst der Vater zu Aachen sie gelehrt.
Er schaute zu und freute sich über jeden Schnitt. –
Doch plötzlich eine Thräne des Kaisers Aug’ entglitt.“

Karl hatte die lange verloren geglaubte Tochter erkannt und zog nun die Wiedergefundene, der er im Herzen längst verziehen, freudig bewegt an seine Brust. Auch dem Eidam, dem alten Freunde, wurde volle Vergebung zu Theil, und nachdem der Kaiser seine lieblichen Enkel sattsam geherzt und geküßt, brachen Alle mit ihm auf gen Aachen, um hinfort wieder bei dem Vater in der Kaiserburg zu wohnen. An der Stelle jener Hütte aber ließ Eginhard zur Erinnerung an die hier verlebten glücklichen Tage ein festes Schloß erbauen.

Ein steiler Fußpfad führt den Wanderer hinauf zu der Burg, aus deren Fenstern man einen herrlichen Blick über das Geulthal und die dasselbe einschließenden Höhenzüge genießt. Das Innere der Burg mit ihren engen Kammern und Gemächern, in denen jetzt ein schlichter Landmann als Pächter waltet, macht es dem Beschauer leicht, sich um eine Reihe von Jahrhunderten zurückzuversetzen. Die kleinen alterthümlichen Fenster mit den mächtigen Steinkreuzen, der einfache aus einem Holztisch und einigen altmodischen Stühlen bestehende Hausrath, der trauliche Kamin, Alles erinnert an eine ferne Zeit.

Leider weiß uns die Chronik aus der früheren Geschichte der Burg nichts Näheres zu berichten. Sie beginnt erst mit dem Ritter Johann von Eyneburg, welcher um 1280 hier hauste, und zählt dann durch mehrere Jahrhunderte dessen Nachkommen auf, von denen sie jedoch wenig mehr zu erzählen vermag, als daß sie lebten, heiratheten und starben.

Ein Blick durch das Fenster führt uns aus der Vergangenheit rasch in die Gegenwart zurück. Er zeigt uns am Ausgang der von dem Geulbach durchrauschten Waldschlucht die modernen Bauten eines ausgedehnten Berg- und Hüttenwerkes und dahinter ein augenscheinlich zum größten Theil der jüngsten Zeit angehörendes belebtes Oertchen – Vieille Montagne, Altenberg, auch Kelmis oder Neutral-Moresnet genannt.

Außer durch seine reichen Galmeigruben und seine zahlreichen Namen ist dieser Ort dadurch merkwürdig, daß er bis heute noch keinen Herrn hat. Das Dorf, nebst der dazu gehörigen Feldmark ist, so seltsam es klingen mag, ein vergessenes Stück Land und die glücklichen Bewohner desselben, etwa dreitausend an der Zahl, können, so lange sie nicht selbst irgend einer Macht den Krieg erklären, ruhig von ihrem neutralen Boden in die Welt hinaussehen. Mögen Deutsche, Franzosen, oder wer es sonst sein mag, in blutigem Kampfe ihrem Gegner gegenüberstehen, den Bewohner des neutralen Landes stört das nicht; er gräbt und schmilzt sein Zink, welches die Tiefe der Erde in reichem Maße ihm spendet, und wartet ruhig ab, bis man es für gut hält, wieder Frieden zu machen.

Dieser kleine, von einem Bürgermeister regierte Freistaat hat seine Unabhängigkeit einer unklar gefaßten Stelle des Wiener Friedensvertrages zu verdanken, welche derart unbestimmt gehalten war, daß sowohl Preußen als Holland sich darauf hin als Herren von Altenberg betrachteten. Da man zur Zeit nicht die nöthige [200] Muße hatte, um die Sache zu entscheiden, so wurde die Grenzregulirung einstweilen vertagt, bis im Jahre 1816 beide betheiligte Staaten Commissare ernannten, welche den Streit schlichten sollten. Doch auch diese vermochten sich nicht zu einigen, und so blieb der Ort nach wie vor unabhängig.

Um jedoch die biederen Altenberger vor dem Neide der Götter zu bewahren, mußten dieselben es sich gefallen lassen, daß ihnen, wie allen übrigen Menschenkindern, Steuern auferlegt wurden, in deren Ertrag die beiden Nachbarstaaten sich brüderlich theilten. Das einzige Vorrecht, welches man ihnen ließ und welches sie noch heute besitzen, ist die Befreiung vom Militärdienst, die sich jedoch nur auf diejenigen jungen Männer erstreckt, deren Eltern auf neutralem Boden geboren sind, während solche, deren Eltern aus Preußen oder Holland, jetzt Belgien, dorthin ziehen, in dem betreffenden Staate militärpflichtig sind, was erst bei ihren Kindern wieder erlischt.

Bis vor etwa zwanzig Jahren war das „neutrale Land“ das Paradies aller Derer, welche in irgend einem Nachbarstaate mit den Strafgesetzen in Berührung gekommen waren, und der Ort stand deshalb in einem etwas zweifelhaften Rufe. Doch auch dieses hat aufgehört und sowohl Preußen als Belgien weiß heute, wenn ihm irgend ein „theures Haupt“ abhanden gekommen ist, dieses auch auf neutralem Boden schon bald wieder zu finden. Dagegen können auch die Bewohner des neutralen Landes, bei den preußischen wie bei den belgischen Gerichten Recht suchen. Daß ein derartiger Zustand zu endlosen Verwirrungen und Weitläufigkeiten Anlaß giebt, liegt auf der Hand, und da nebenbei auch die von beiden Ländern geübte strenge Grenzsperre dem Aufblühen des betriebsamen Ortes in gewerblicher Beziehung überaus nachtheilig ist, so würden die Altenberger, unter denen das deutsche Element vorwiegt, sich bereitwilligst von Preußen annectiren lassen. Auch bei ihnen gilt der Spruch:

„Mein Vaterland muß größer sein.“

Der Blick durch die Fenster der alten Burg hat uns von dieser hinweggeführt zu einem ihr, wenn auch räumlich nahen, so doch dem Wesen nach um so ferner liegenden Gegenstande. Man kann sich in der That nicht wohl größere Gegensätze denken, als hier, inmitten des stillen duftigen Waldes, die von dunkeln Tannen umrauschte alte Burg mit ihrem romantischen Sagenkreise, und dort drüben, von grünlich-gelben, qualmenden Galmeidämpfen eingehüllt, die modernen Ziegelsteinbauten der Hüttenwerke mit ihren lärmenden Maschinen und ihrer dem Leben eines Ameisenhaufens zu vergleichenden Betriebsamkeit. – Es ist das treue Bild der alten und der neuen Zeit.

Rudolf Scipio.