Ein Spaziergang durch das Thüringer Spielwaarenland

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Ein Spaziergang durch das Thüringer Spielwaarenland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, 18, S. 279–282, 295–298
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Fleischmann, Adolf: Gewerbe, Industrie und Handel des Meininger Oberlandes in ihrer historischen Entwickelung, Hildburghausen : Kesselring, 1876. MDZ München
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Ein Spaziergang durch das Thüringer Spielwaarenland.

Um nicht Erwartungen anzuregen, welche in dem Folgenden nicht befriedigt werden könnten, will ich sofort den Zweck enthüllen, dem ich mit dieser keinen Arbeit nachstrebe. Wir gehen in das Spielwaarenland, nicht um schwerwiegende, mit statistischen Gerüsten ausgestattete Belehrungen über ehe-, und dermalige Zustände von Industrie und Handel zu empfangen; nicht um uns in die technischen Einzelheiten der vielgestaltigsten Gewerkthätigkeiten einweihen zu lassen; auch nicht, um in den uralten Krieg über das Mein und Dein von Arbeitern und Arbeitgebern mit einzutreten und in dem Wirrsal von Recht und Unrecht Licht und Ausgang zu finden – nein, nichts von alledem, sondern wir benutzen die Frühlingszeit, um Alle, welchen das Glück des Christbaumes mit Kinderlust bescheert ist, zu verlocken, mit den fußreisefähigen Kindern einmal die Berge und Thäler zu besuchen, wo die Tausende von Menschen wohnen, welche fast das ganze Jahr hindurch für den einen Tag arbeiten, an dem Millionen Kinder rings um die Erde ihr erstes und höchstes Freudenfest feiern.

Wir gehen in das Spielwaarengebiet des meininger Oberlandes, weil dasselbe auf engem Raume den Augen der Kinder Alles darbietet, was ihr Herz erfreut, ohne ihre Füße zu sehr zu ermüden. Natürlich meinen wir damit Kinder von zehn bis vierzehn Jahren; die Kleinen, welche noch im vollen Glauben an das Christkindlein selig sind, gehören nicht in die Werkstätten, wo die Tausende von Bescheerungsgegenständen gemacht werden. Mit den größeren und kräftigeren Kindern aber diesen Spaziergang auszuführen, ist eine vielfach belohnende Lust. Den Kindern kann eben Alles, was sie einst als Spielzeug entzückte, im ganzen Laufe seiner Entstehung, bis zur Vollendung gezeigt werden. Da steht vor ihnen der Wald, bald auf hohem Berge, bald an steilen Abhängen, bald in tiefen, wasserdurchrieselten Thälern und Schluchten, aber überall erinnert er an die Holzspielwaaren, und jede der vielen Schneidemühlen sagt ihnen, wie er klein gemacht wird. Da schreiten sie an den Gruben und Brüchen vorüber, aus welchen die Masse genommen wird, welche sie später zu Glas oder zu Porcellan verarbeiten sehen. Wir wandern mit ihnen von Fabrik zu Fabrik, bald durch den ewig herrlichen Wald, bald über lichte Höhen, die uns mit ihrer Fernsicht entzücken; wir gehen auch in die keinen Waldhäuser, wo die Familien bei der Arbeit sitzen. Und wenn da den Kindern auch die Bilder der Armuth nicht erspart werden, so kann das ihren Herzen nur zum Segen gereichen. Ueberall aber begegnen wir freundlichen Menschen; gar manche Arbeit, im Wald und im Hause, begleitet schöner Gesang, und die müden Wanderer nimmt am Abend überall im Gebirg ein gastliches Haus mit guter Bewirthung auf. Eine Kinderreise kann nirgends mit mehr Nutzen und Vergnügen für Alt und Jung vollbracht werden, als in unserem Thüringer Spielwaarenlande.

Am Thor zu diesem Spielwaarenlande stehen wir, wenn wir vom Norden, von Saalfeld oder Schwarzburg her kommen, schon in Wallendorf-Lichte. Wallendorf ist ein meiningischer, Lichte ein schwarzburg-rudolstädtischer Marktflecken. In jedem derselben besuchen wir Porcellanfabriken, welche 800 bis 1000 Arbeiter beschäftigen und in Güte des Porcellans, Schönheit und Mannigfaltigkeit der Form und Trefflichkeit der Malerei Mustergültiges liefern. Vor Allem aber führen wir die Kinder in die hier von den Regierungen von Meiningen und Rudolstadt gegründete und erhaltene Kunstschule für Freihandzeichnen, Modelliren und Malen. Die über 200 Schüler sind arme Knaben vom neunten Lebensjahre an, und die Lehrlinge und Arbeiter in den Fabriken. Der Unterricht geschieht natürlich unentgeltlich. Wenn aber unsere Kinder die Berge und steilen Gebirgspfade sehen, welche diese armen Waldjungen passiren müssen, um im rauhesten Winter über Schnee und Eis in ihre Schule zu gelangen, so werden sie die Wege und die Jungen gewiß mit aufmerksameren Augen und letztere recht theilnehmend ansehen. Der Leiter dieser Schulen ist der Maler Louis Hutschenreuter. Er hat sich durch sein opferfreudiges Walten offenbar vielen Dank verdient, und es ist nur zu wünschen, daß derselbe ihm auch immer zu Theil werde.

Wir müssen nun, jedoch auf bequemen Wegen, einen tüchtigen Berg ersteigen; oben aber, in einer Höhe von 2500 Fuß über dem Meere, genießt das Auge einen prächtigen Blick auf die malerischen Gebirgsdörfer ringsum, die alle im Dienst der Glas- und Porcellanfabrikation stehen, denn der Boden läßt höchstens Kartoffeln und Sommergetreide reifen. Wir begrüßen zuerst den höchsten bewohnten Ort Thüringens, das Dorf Igelshieb. Jetzt, im Frühling, werden unsere Kinder kaum glauben, daß in harten Wintern die Bewohner von Igelshieb, meist Glasarbeiter, es erleben können, daß sie sich den Ausweg aus ihren verschneiten Häuschen durch eine Art Tunnel im Schnee graben müssen, wenn sie es nicht vorziehen, den Ausgang durch das Bodenloch zu suchen.

Gleich neben Igelshieb liegt der große Ort Neuhaus am Rennstieg. Hier eilen wir in die Glasfabrik von L. u. S. Müller, um ein Meisterstück der Glasbearbeitungskunst zu betrachten: ein Kriegsschiff von etwa zwei Fuß Länge, das in allen Theilen, selbst mit Ausrüstung und Bemannung nur aus Glas besteht, und zwar Alles frei über der Lampe, ohne alle mechanische Beihülfe hergestellt, gewiß eine reizende Kinderlust!

Und nun winken uns die drei wichtigsten Industriestätten Thüringens, die unser Bild zeigt: Lauscha, als die Geburtsstätte der Glas-, Limbach als die der Thüringer Porcellanindustrie, und Sonneberg, das aus einer „Tochter Nürnbergs“ (vergl. „Gartenlaube“ 1865, S. 712) durch die Vermählung mit dem Großhandel zur Mutter der heimischen Hausindustrie geworden ist.

Einmal auf der Höhe, eilen wir zuerst nach Limbach, nicht ohne auf unserm Gange im gemüthlichen Forstwarthaus Bernhards-Thal [280] zu einem stärkenden Trunke eingekehrt zu sein. An großen Porcellanerdbrüchen vorüber gelangen wir zu dem Orte, wo Gotthelf Greiner, ein ebenso origineller wie genialer Mann, der zweite Erfinder des Porcellans geworden ist. A. Fleischmann, der Sonneberger Commerzienrath und Geschichtschreiber der Industrie des Oberlandes, hat in seinen „Culturhistorischen Bildern“ (Hildburghausen, Kesselring) eine Selbstbiographie des alten Herrn abgedruckt, die zu dem Belehrendsten, aber auch Erquicklichsten gehört, das man in unserer Urgroßväter Schreibart lesen kann. Niemand versäumt es, vor das Denkmal zu treten, das in Limbach dem Vater der gesammten Thüringer Porcellanindustrie gesetzt worden ist. Die von ihm gegründete Fabrik besteht noch, des alten Rufs würdig; sie producirt hauptsächlich kleine freistehende, trefflich modellirte und gemalte Thiere, ein belehrendes und unterhaltendes Spielzeug für Kinder.

Limbach liegt auf einer so schroffen Wasserscheide, daß es hierin eine Merkwürdigkeit aufzuweisen hat: vom Gasthause sendet die vordere Dachrinne ihr Wasser dem Elbegebiet durch die hier entspringende Schwarza, die hintere Rinne aber durch die Grümpen, einen Quellbach der Itz, dem Rheingebiet zu. Im Kranz seiner Aussicht liegen Scheibe mit einer im Figurenfache ausgezeichneten Porcellanfabrik, ferner die beiden höchsten Berge Meiningens, der Kieferle und der Bleß, und endlich Steinheide, ein trauriges Denkmal des Dreißigjährigen Krieges, vorher eine florirende Bergstadt und seitdem ein armer Flecken, auf dessen einstigen Marktplatz jetzt Gras wächst.

Und nun schlagen wir den Weg nach Lauscha, oder, wie es im Volksmund heißt, nach „der Lausche“, ein. Auf demselben haben wir die schönste Gelegenheit zu der Betrachtung: wie übergroß schon der Tribut war, den die Menschen von den Waldungen forderten. Die Eisenwerke allein verbrannten jede Woche den Bestand einer sieben Morgen haltenden Waldung, und die Glashütten verbrauchten zusammen jährlich 1200 Klafter. Und während die Groß- und Kleinindustrie des Oberlandes fast ganz auf Holz beruhte, wurden auch noch „vom Fiscus“ große Holzmengen in das Ausland verflößt. Schon Martin Luther äußerte über diese Waldverwüstung: „Es werde noch vor dem jüngsten Tage wie an guten Freunden so an wildem Holze Mangel sein.“ Auf Kosten des Waldes vermehrten sich die Kartoffeläcker, während die Poesie der Köhlerhütte vor der Prosa der Steinkohlenhütte erblich, aber wenigstens zum Besten des Waldes.

Wir kommen auf unserm Bergweg nach etwa zweistündigem Waldgang bei der Göritzmühle in dem düster-romantischen Steinachgrunde an, und wandern wieder straßauf, um uns nach abermals einer halben Stunde des Anblicks der lustigen Lausche zu erfreuen; denn so und nicht anders verdient der seltsame Ort genannt zu werden.

Wohl wird das Thal, je höher hinauf, um so schluchtartiger; eng an einander drückt Haus an Haus sich die schmale Straße entlang, und wo eine Seitengasse unentbehrlich wird, da hängen die Häuschen wie Schwalbennester am Abhang – und doch ist keine Spur von Trübsinn und Mißmuth in den Augen zu lesen: im Gegentheil, die Heiterkeit lacht nirgends so gerade heraus, als ob Musikantenblut in allen Adern flösse, und der neckische Geist ist landläufig dort.

Aber kann es denn da anders sein, wo einst böhmisches und schwäbisches Blut sich vereinigten? Die Gründer der ersten Glashütte in Thüringen waren zwei aus ihrer Heimath ihres protestantischen Glaubens wegen im Jahre 1595 vertriebene Männer, Christoph Müller aus Böhmen und Hans Greiner aus Schwaben, kurzweg der „Schwabenhans“ genannt. Beide erhielten gemeinsam am 10. Januar 1557 in einem „Erbbrief“ vom Herzog Johann Kasimir in Coburg ein kostbares Privilegium zum Anbau an der Lauscha. Noch im selben Jahre begann die Arbeit, und hat also unweigerlich am selben Tage in vierzehn Jahren die Lausche ihr dreihundertjähriges Glasjubiläum zu begehen. Ihre ersten Arbeiter brachten sie mit sich, sämmtlich wie wilde Thiere aus den katholischen Landen fortgehetzte Leute. Sie begannen ihre Arbeit mit Gesang eines Chorals und Gebet und halfen durch ihre Hauptarbeit selbst der lutherischen Lehre im Volke zu immer weiterer Verbreitung, indem sie die damals beliebten bemalten Trinkgläser mit biblischen Sprüchen in Luther’s Sprache schmückten.

Die Einübung immer neuer Choräle führte von selbst auch zu gemeinsamer Uebung in musikalischen Instrumenten, und bald ward es Sitte, daß jeder „Gläser“ (so hießen die Glasbläser) wenigstens eines Instrumentes Herr sein mußte. Hatten die braven, fleißigen und frommen Leute in der Lausche schon an sich, da ihre Arbeit gesegnet war, alle Ursache zu einem gesunden Frohsinn, so setzte diese Pflege der Musik und die vom Coburger Herzog gestattete Anlegung einer eigenen Bierbrauerei der Lauschaer Heiterkeit die Krone auf.

Merkwürdiger Weise ist sogar der Dreißigjährige Krieg, der in Südthüringen und Nordfranken so furchtbar wüthete (vergleiche mein „Bild aus Deutschland im Elend“, Jahrgang 1865, Seite 825), an der Lausche spurlos vorübergegangen. In die Thalzwiesel der alten und der faulen Lauscha verirrte sich weder Pandur noch Kroat, während der Glasbedarf sogar zunahm und die Waaren durch Händler auf den Schleichwegen des Gebirges hinausgetragen wurden.

Unter so glücklichen Umständen gedieh auch die Volkspoesie der Glasmaler, die später nicht blos mit Bibel-, sondern auch mit selbsterfundenen Reimsprüchen ihre formen- und farbenreichen Trink- und sonstigen Gefäße verzierten. Ein Beispiel von 1684 lautet:

„Ich bin schön hell und klar aus Sand und Asch gemacht,
Durch Menschenkunst und Wind in solche Form gebracht.
Setzt man mich unsanft hin, so brech ich gleich entzwei:
Mich dünkt, ein Mensch und ich – das ist fast einerlei.“

Wenn drei Jahre darnach (1687) die erste Postkutsche, die zwischen Coburg und Gräfenthal über den Wald fuhr, die Lausche weit links liegen ließ, so winkt ihr dagegen in unseren Tagen die Gewißheit, daß die Locomotive durch den Steinachgrund dampfen und vor der Hand wenigstens Sonneberg und Lauscha mit einander verbinden wird.

In Lauscha steckt eine kerngesunde Triebkraft. Die Häusergruppe von neun Familien zu Ende des Dreißigjährigen Krieges war vor dreißig Jahren schon zu einem Dorfe von nahe an vierzehnhundert Seelen angewachsen, und jetzt zählt das Dorf Lauscha dreitausend Einwohner und könnte alle Tage eine Stadt werden.

Die erste Sehenswürdigkeit des Ortes ist die alte Glashütte, kurzweg „die Hütt“ genannt. Die beiden Gründer hatten sie zu zwölf Ständen eingerichtet, von welchen die sechs auf der Abendseite dem Greiner, die sechs auf der Morgenseite dem Müller gehörten. Diese Einrichtung besteht noch, auch die beiden Namen haben sich erhalten, ja es giebt fast nur Müller und Greiner in der Lausche (die durch Abstammungs- oder Scherz-Anhängsel an die Namen sich von einander unterscheiden); nur der Besitz dieses Dutzends ist insofern geändert, als jetzt je sechs Glasmeister einen ganzen, sechs je einen halben Stand und zwei zusammen drei Stände inne haben. An jedem Stand arbeiten zwei Gesellen.

Die Hauptbeschäftigung ist das Röhrenziehen. Aus dem Hafen in der Ofengluth heraus holt der eine Geselle mittelst der sogenannten eisernen Rohr- oder Hohlglaspfeife flüssiges Glas und dreht es, Luft durch das Rohr einblasend, auf einer Platte, bis es eine Walze von bestimmter Länge und Stärke bildet; dann heftet der andere Geselle die Glaswalze mit dem andern Ende an ein sogenanntes Bindeisen, und nun laufen Beide, der mit der Pfeife fortwährend Luft einblasend, aus einander und ziehen so das Glas zu Röhren von jeder beliebigen Stärke, die lang hingestreckt auf dem Boden liegen. In Stücke zerkleinert, gehen dieselben in die Hände der Lampenarbeiter über. Außerdem stellt man in er Hütte noch Glasdraht zum Spinnen der Glaswolle, Glaskugeln aller Art, dagegen Trink- und Arzneigläser nur noch selten her. In der Hütte herrscht, trotz der nicht leichten Arbeit, immer munteres Leben, erleichtert durch das allgemeine „Du“, das in den Kreisen der Arbeiter alle Vornehmigkeitsgelüste Einzelner unmöglich macht.

Die Lampenarbeiter vertreten die Hausindustrie. Früher war die Arbeitslampe auf dem Werktische erst mit Talg gespeist, dann mit Paraffin, abwechselnd mit Petroleum gefüllt, das Gesicht des Arbeiters kam möglichst nahe an die Flamme, weil er die nöthige Stichflamme selbst blasen mußte – für Augen und Lungen eine schwere Aufgabe. Dies dauerte bis 1867, wo der Segen einer Gasanstalt nach Lauscha kam. Seitdem laufen die Gasröhren durch den ganzen Ort, zu jedem der Schwalbennester an den Bergen hinan, und sogar zu den Nachbarorten Igelshieb, Ernstthal und Neuhaus a. R. hinauf, die alle bei Lauschaer Gas arbeiten. Wie es jetzt so reinlich am Werktische ist, sehen wir

[281]

Im Thüringer Spielwaarenland.
Zeichnung von Louis Hutschenreuter in Lichte, zum Theil nach Photographien von C. Hirsch in Lauscha.

[282] an demjenigen, an welchem auf unserer Illustration uns der Zeichner (nach einer Photographie von C. Hirsch) Herrn Ludwig Müller-Uri mit seinen Söhnen vorführt.

An der Lampe werden jetzt vorzugsweise Glasperlen, Puppen-, Thier-, und Menschenaugen und Spielzeug, reizende Früchte und farbenprächtiger Christbaumschmuck hergestellt; die ehedem vielproducirten Glasfiguren haben jedoch der billigeren und massenhafteren Herstellung aus Porcellan weichen müssen. In diesem Augenblicke florirt der Glasperlenvertrieb in wahrhaft großartiger Weise, beschäftigt alle Hände von den ältesten bis zu denen der Kinder und und bringt ansehnliches Geld und vermehrte Fröhlichkeit in den Ort. Besonders sind’s die mattierten Hohlperlen und die sogenannten Fischperlen, welche jetzt verlangt werden, deren Perlmutterglanz dadurch erzeugt wird, daß man in die Krystallperle mittelst einer Pipette eine Gallerte von Fischsilber und Gelatine einbläst und dann die Perlen auf einer Wiege so lange in rollender Bewegung erhält, bis die Färbung in der Perle sich auf alle Seiten vertheilt hat. Diese Manipulation besorgen meistens Mädchen. Es ist eine Lust, in eine solche Stube zu treten und zu beobachten, mit welch neckischer Unterhaltung hier die Langeweile der Beschäftigung vertrieben wird. Nur Eins fehlt: das Singen geht nicht, weil Alle das hübsche Mundwerk zum Blasen brauchen.

Zum Verkaufe werden die Perlen auf Fäden von zehn und zwölf Zoll Länge angereiht, welche je nach deren Größe zwanzig bis hundert Stück fassen; das ist eine Schnur, zwölf Schnüre bilden eine Masche. Die oben genannten Bergorte bringen Tausende von „Maschen“ zu den Grossisten nach Lauscha, sodaß der Perlenbetrieb allein jetzt nach Hunderttausenden zu schätzen ist.

Eine Berühmtheit besitzt Lauscha in dem obengenannten Ludwig Müller-Uri, der die Kunst der Herstellung von Menschenaugen zur höchsten Vollendung gebracht und alle Concurrenten, selbst die früher alleinherrschenden Pariser, aus dem Felde geschlagen hat. Anderswo, als in der Lausche, würde man eine solche Kunstindustriegröße, welche mit den goldenen Medaillen der größten Ausstellungen geschmückt ist, wenn auch nicht gleich in einem Palaste, doch einem stattlichen Hause suchen. Hier führte mein Lauschaer Freund mich den steilen Pfad zu einer der hohen Seitengassen hinauf und richtig zu einem der Schwalbennester hinan, die am Berge hängen. Ueber eine Steintreppe steigen wir in’s Innere. Hier erfreut uns allerdings im Wohnzimmer die freundlich bürgerliche Einrichtung, die allezeit wohlthut. Wir verstehen aber die Harmonie des Aeußern und Innern dieses Hauses erst, wenn uns der Hausherr selbst begrüßt hat: der einfache, bescheidene Mann, der gleichwohl weiß und fühlt, was er geleistet hat. Nachdem wir seine reiche Sammlung eigener und fremder Augenmuster gesehen, folgten wir ihm und seinem jüngeren Sohn auf einer geländerlosen schmalen Stiege in sein – Atelier, hätte ich beinahe geschrieben – nein, in seine Werkstatt, die an Schmucklosigkeit nicht übertroffen werden kann. Und in diesem Raume hatte Müller-Uri sein Leben lang gearbeitet, um ein deutsches Vorurtheil durch einen deutschen Sieg niederzukämpfen. Müller’s Sohn setzte sich sofort an den Werktisch, entzündete die Gasflamme desselben und stellte, während sein Vater jede einzelne Hantirung und Glasröhrenwahl erklärte, ein Auge mit so prachtvoller blauer Iris her, daß es dem schönsten Frauenantlitz zur Zierde hätte gereichen können.

Wir beschränken uns hier auf diese wenigen Mittheilungen, weil der Gegenstand einen besonderen Artikel verdient und erhalten soll. Zur Erklärung unseres Bildchens sei nur noch gesagt, daß der alte Müller-Uri über der Gasflamme ein Stück Rohr schmilzt, während der ältere Sohn, Reinhold, dem jüngeren, Albin, für ein neues Auge das Vorbild auf einer Musterkarte zeigt. Beide Söhne sind des Vaters würdig. Ein verwandter Zweig des Hauses besteht bekanntlich in Wiesbaden.

Steigen wir nun wieder von unserer Höhe hinab, um noch einen raschen Blick auf die Arbeit und schließlich auf die Vergnügungen der Lauschaer zu werfen.

Ein Ort, für dessen Hauptindustrie noch ein halb Dutzend andere Ortschaften fast Haus für Haus thätig sind, und dessen Productionswerth in Glaswaaren allein auf 1,200,000 Mark zu veranschlagen ist, kann selbstverständlich nicht für die nächste Umgebung arbeiten, sondern muß seinen Absatz in der ganzen Welt suchen. Das verleiht den großen Exportgeschäften ihre Wichtigkeit, aber auch ihren Werth. Ohne die Rührigkeit, mit welcher dieselben nach immer neuen Absatzgebieten[WS 1] ausforschen und zugleich die heimische Production durch immer neue Verbesserungen und Muster immer concurrenzfähiger zu machen suchen, würde diese Hausindustrie ihre Lebensfähigkeit verlieren. Eine Aufzählung der Firmen würde hier zwecklos sein, da die Geschäftswelt sie längst kennt und die Kinder, die wir zu ihnen führen, doch keine Geschäfte eingehen wollen.

Neben der Glasindustrie bestehen in Lauscha zwei Porcellanmalereien. Im Besitz der älteren, von Ens und Greiner, befindet sich eine Gemälde- und Skizzensammlung von Jagd- und Schlachtstücken, die kein Besucher des Orts ungesehen lassen sollte. Eine neue Porcellanfabrik ist im Aufblühen begriffen.

Lauscha hat zwei Schulen und eine Kirche; in jenen wirken sechs Lehrer und ein Zeichenlehrer, in dieser unterstützt den Geistlichen ein musterhafter Kirchenchor in der Erbauung der Gemeinde; ein Beweis, daß mit Fleiß und Fröhlichkeit sich gar wohl bei diesen Waldleuten auch die Frömmigkeit vereinen kann. Trotzdem heißt es dort nicht „Ora et labora“, sondern umgekehrt „Arbeite und bete“. Als einmal bei einer Kirchenvisitation der Obergeistliche die Stände der Frauen ziemlich leer fand und fragte: „Wo sind denn diese?“ erhielt er die laute Antwort: „Sie sitze derhem und schneide Schmehlz.“[1]

Da gegen den Fabrik- und Hausarbeiter des Waldes oft der (leider nicht immer ungerechte) Vorwurf erhoben wird, daß es bei ihm „wie gewonnen, so zerronnen“ heiße, so ist hier die Bemerkung am Ort, daß in Lauscha ein Spar- und Vorschußverein besteht, dessen Gesammtumsatz im Jahr 1881 sich auf 1,106,680 Mark belief.

Der heitere Geist, der in dem Dorfe seit den Tagen seiner Begründer herrscht, äußert sich nicht blos bei der Arbeit, auf der Straße und im Wirthshaus nach üblicher Landbewohnerweise, sondern der gesellige Sinn hat sich auch höhere Aufgaben gestellt, und es ist für ein Dorf wohl aller Ehre werth, daß dort zwei Musikvereine, zwei Gesangvereine, zwei Turnvereine, ein Bildungsverein und sogar eine Theatergesellschaft mit ständiger Bühne ein geistig frisches Leben führen. So lebt in seinem Waldwinkel dieses intelligente, fleißige, gemüthliche Völkchen und ist mit Recht stolz darauf, wenn es rings umher heißt: „Die Lausche bildet eine kleine Welt für sich.“

Sollte es nicht werth sein, einen solchen Ort aufzusuchen?

[295] Wir steigen von Lauscha nun thalabwärts und gelangen aus dem Lauschagrund, an der „Wiesleinsmühl“, mit einer Bierwirthschaft, an welcher ein durstiger Mann nur schweren Herzens vorüber geht, und an Unterlausche vorbei in den Steinachgrund. Nachdem wir mehrere Märbel- und Mahlmühlen passirt, verengt sich derselbe so, daß selbst im Hochsommer die Sonne nur wenige Stunden bis zu der Poststraße herabdringt und ehedem bei der Nacht die Feuer eines Eisenwerks am Ende dieser Schlucht prachtvoll an den steilen Bergwänden leuchteten. Endlich treten die Wände zurück, und wir stehen vor einem breiten, von Waldhergen begrenzten Thal, das uns wirklich anlacht, und vor einer so freundlich daliegenden größeren Ortschaft, daß wir unwillkürlich an die im Vergleich damit düstere Lausche und ihre heiteren Menschen zurückdenkend, ausrufen: wie müssen sie erst hier lachen können, wo die Natur selbst so offenbar dazu auffordert!

Allerdings hat die Natur hier, und zwar auf und unter dem Boden, Alles gethan, um den Fleiß des Menschen mit Glück und Freude zu lohnen: das Holz auf den Bergen, in den Bergen ein besonders segensreiches Gestein, und außerdem nach Ocker, Umbra und Eisenstein in Fülle.

Das genannte Gestein ist ein wahrhaft gottgesegnetes, denn als nach dem Beispiele von Luther und Melanchthon die Männer der Reformation überall in Deutschland, und meist auf Kosten der aufgehobenen Klöster, Volksschulen gründeten, wie schlimm würde es da, bei der Kostspieligkeit des Papiers zu jener Zeit, mit dem Unterricht im Schreiben und Rechnen bestellt gewesen sein ohne das steinerne Papier und die steinerne Feder, die ohne Tinte schreibt!

Der Schiefertafel und dem Schiefergriffel verdankt die deutsche Nation ihren frühzeitigen Aufschwung in der Volksbildung. Der Marktflecken Steinach aber, vor welchem wir hier stehen, ist nicht nur der Hauptsitz der Schachtelmacher im Meininger Oberlande, sondern auch der der Griffelmacher und ist’s lange Zeit ganz allein für die ganze Welt gewesen. Warum aber der Segen, den diese Arbeit verbreitete, nicht auch auf die jetzt etwa 4000 Bewohner von Steinach selbst zurückwirkt, das haben wir unseren Lesern bereits ausführlich aus einander gesetzt in dem Artikel „Zwei Hauptwerkzeuge der Elementarbildung“ (Jahrg. 1878, Nr. 20), dem wir auch die Abbildung eines Schieferbruchs (bei Lehesten im Meininger Verwaltungsamt Gräfenthal, nicht Oberland) beifügten.

Der Weg van Steinach bis zum nächsten Schieferbruch ist nicht so weit, daß man die Kinder nicht dahin führen könnte; die Brüche bieten einen selbst älteren Augen überraschenden Anblick dar, und auch die Herstellungsweise der Griffel werden die Kinder gern kennen lernen wallen. Dürfen doch, wo man den Weihnachtstisch für kleine ABCschützen herrichtet, die mit buntem Papier überzogenen Griffel so wenig fehlen, wie die verschiedenen Schachteln, deren Deckel so viel ersehntes Spielzeug verbergen. Somit arbeiten die Steinacher ganz vorzüglich für die Freuden und für den Nutzen unserer Kinderwelt. Auch die Steinacher sind ein originelles, erfinderisches und mit Kunstsinn begabtes Völkchen, außerordentlich fleißig und auch gern einmal fröhlich, nur daß nicht viele von ihnen auch, wie die Lauschaer, dabei auf einen grünen Zweig kommen.

Und nun schlagen wir den Gang zur Hauptstadt des Meininger Oberlandes, nach Sonneberg, ein. Wir haben zwei Straßen vor uns, die alte Poststraße, die rechts hin über den Berg, und die neue, die gerade aus durch den sogenannten „Hüttengrund“, an einer Reihe industrieller Anlagen und mehreren Industriedörfern vorüber, eine Tour voll Leben und Naturreiz, zum Ziel führt.

Was ist es, das dem Namen dieser Stadt einen so guten Klang und ihrem Wachsthum solches Gedeihen gebracht hat? Die Ueberschrift unseres Artikels giebt bereits die Antwort: „Sonneberger Spielwaaren“ das ist das Zauberwort, das uns im Herzen lacht, so oft wir einen Christabend erleben. Mag den Bescheerungstisch noch so viel Kostbares und Nützliches bedecken, die wahre Welhnachtsstimmug bringt doch erst das Spielzeug. Nach ihm greifen die Kinderhändchen zuerst, nach ihm suchen die Eltern am liebsten auf dem Christmarkt, und es ist die höchste und letzte Freude der Großeltern, wenn sie’s ihren Enkeln bescheeren können. Dieser Zusammenhang der Sonneberger Arbeit mit den Herzen aller Kinderglücklichen läßt auch den Namen der Stadt mit einem Weihnachtsschimmer beleuchten. Darum haben wir auch unsere Abbildung (auf Seite 281 der vorigen Nummer) mit einem Weihnachtsbaum geschmückt, er ist das richtige Wappen des Spielwaarenlandes. Wollen wir uns aber von der unendlichen Inhaltsfülle dieses Industriegebiets überzeugen, so müssen wir uns die Waarenvorräthe eines größeren Geschäfts zeigen lassen.

Ein solcher „Mustersaal“ wirkt für den ersten Blick verblüffend. Wir wissen nicht, wohin wir die Augen zuerst richten sollen. Haben wir doch nicht weniger als zwölf- bis achtzehntausend einzelne Stücke Spielzeugs vor uns, von denen jedes für sich eine große Kinderfreude werth ist. Selbst mit der kühnsten Phantasie ausgerüstet steht man überrascht vor den Erzeugnissen üppigster Gestaltungskraft. Was das Auge nur irgend in Leben und Natur erschauen kann, hier haben wir’s im Kleinen nachgemacht, eine neu erschaffene Welt für die Kinder.

Wie ist’s möglich, all diese Gegenstände, und wieder viele davon oft in vielen hundert, ja tausend Dutzenden für jede Christbescheerung neu herzustellen? Der größte Theil der Einwohnerschaft von Sonneberg und von zwanzig bis dreißig Dörfern in den nächsten Thälern und auf den Bergen des „Waldes“ ist mit dieser Arbeit beschäftigt. Sie geschieht theils in Manufacturen um bestimmten Lohn bei bestimmter Arbeitszeit, zum großen Theil aber in den Häusern als Famlienerwerb, und auch da wird derselbe insofern fabrikmäßig betrieben, als jeder Gegenstand durch so viel Hände geht, als die Familie zur Arbeit aufzuwenden hat. Nehmen wir das einfachste und billigste Pferdchen von Holz zum Beispiel. Der Vater schnitzt die Körper, alle in gleicher Größe und gleich haufenweis, ein Sohn schnitzt ebenso viele Köpfe, ein Anderer oder mehrere die Beine und die kurzen Schwänze, ein Paar andere Hände leimen die Theile zusammen, wieder andere befestigen sie auf die Brettchen, und nun kommen die jüngsten Kinder aus der Schule und setzen sich sogleich zu den Großeltern an die Farbentöpfe und bemalen die Pferdchen, und wenn sie nun getrocknet und zu vielen Dutzenden eingepackt sind, werden sie zu dem Kaufmann getragen, der sie bestellt hat und sofort bezahlt.

Die Preise sind sehr schwankend, je nach der Nachfrage und den Zeitumständen, aber immer gering genug, um Massenlieferungen nöthig zu machen. Feinere Arbeiten, die sich schon den Kunstleistungen nähern, oder diese selber, lohnen natürlich besser. Die Arbeitstheilung erstreckt sich im Großen wieder auf ganze Ortschaften, in einem Orte werden zum Beispiel vorzugsweise Trommeln, in anderen Trompeten, Pfeifen, Posthörnchen, wieder in anderen Geigen gemacht, und von diesen sagt man, daß sie fast siebenzig Mal durch die Hände laufen müssen, ehe sie fertig sind. Viele Arbeiten sind an den Ort gebunden, der ihnen das Material dazu liefert, wie wir das bei den Porcellan-, Glas- und Schieferarbeiten gesehen haben. Denn das ist ein Vorzug des Meininger Oberlandes, daß der Boden fast Alles liefert, was die Industrie braucht.

Interessant ist die Entwicklungsgeschichte dieser Industrie. Sonneberg mußte dazu von den Nürnbergern erst entdeckt werden. Es lag in seiner Thalenge abseits von allem Verkehr, trieb vorzüglich [296] Ackerbau und Viehzucht (es hielt drei Hirten), und nebenbei Pechsieden und Kienrußbrennen, als schon Jahrhunderte lang die große Heer- und Handelsstraße von Nürnberg nach Sachsen über Coburg und das Bergdorf Judenbach, anderthalb Stunden östlich von Sonneberg, dahinzog. Den lebhaften Straßen- und Ortsverkehr von Judenbach haben wir im Jahrg. 1874, S. 486 ausführlich geschildert. Hier wurden die Nürnberger eines vorzüglichen Wetzsteines ansichtig, forschten nach dessen Ursprung, kamen so nach Sonneberg und knüpften sofort Geschäftsverbindungen an. Kienruß, Pech und Wetzsteine waren somit die ersten Artikel, mit welchen Sonneberg durch Nürnberg auftrat. Als erst die Nürnberger die Anstelligkeit der Leute und den Reichthum des Bodens in diesem Lande genauer kennen gelernt, machten sie beides sich immer mehr dienst- und nutzbar, und auch die Spielwaren-Industrie verpflanzten sie dorthin. So wurde Sonneberg in der That die „Tochter Nürnbergs“ und blieb es getreulich, bis Zeiten kauten, wo die Mutter schwach wurde, während die Tochter sich schon stark genug fühlte, um auf eigenen Füßen zu stehen. Diese Zeiten kamen mit dem Kipper- und Wipperunfug der Münzverfälschung und dem Dreißigjährigen Kriege, die Nürnbergs Handel vollständig lahm legten. Die Sonneberger mußten den Selbstvertrieb ihrer eigenen Waare wagen, und da sie nicht vergeblich in die Nürnberger Schule gegangen waren, so ist ihnen dies auch im ausgiebigsten Maße gelungen.

Den Gesammtwerth aller deutschen jährlich producirten Spielwaaren schätzt man auf 70 Millionen Mark. Auf das Meininger Oberland allein kommen für etwa 20 Millionen, von denen Sonneberg für nahezu 15 Millionen in das Ausland, in Europa und in alle übrigen Erdtheile versendet.

Wenn man nun bedenkt, daß noch zu Anfang dieses Jahrhunderts die Holzspielwaaren die unterste Rangstufe im Sonneberger Handel bildeten – daß sie als Luxusgegenstände galten, für die es außer der Weihnachtszeit nur selten einen Markttag gab – und daß der Gesammtwerth ihrer Produktion noch nicht den der Nägel, auch nicht den der Wetzsteine und Schiefer- oder der rohen und bemalten Holzwaaren erreichte, so muß man wohl fragen: wie war es möglich, gerade diese Industrie auf einen solchen Stand zu erheben?

Das hat der schon damals hochangesehene Sonneberger Handel gethan.

„Nur dadurch, daß die Kaufleute es nicht versäumten, ihren Sendungen Muster von all den neuen Handelsartikeln hineinzupacken, die jetzt im Spielwaarenfach rasch hinter einander auftauchten, ward bald auch dem Spielzeug der Weg in alle Welttheile angebahnt, und mit dem Begehr darnach wuchs die Zahl der Verfertiger.“[2]

Schon vor zwanzig Jahren hatte sich der Versand auf etwa 5 Millionen Mark gehoben; heute hat er den dreifachen Werth erreicht.

Diese unleugbare Thatsache berechtigt uns zu dem Ausspruch, daß der eigentliche Heber und Förderer des Sonneberger Geschäfts in erster Reihe der Kaufmann, der Exporteur ist, der den Vertrieb der Waaren in der Hand hat. Wie weit aber der Kreis reicht, für welchen Sonneberg den Mittelpunkt des Spielwaaren-Exportgeschäftes bildet, ist jedes Jahr acht bis zehn Wochen vor Beginn der Leipziger Ostermesse an Ort und Stelle am anschaulichsten. Da stellen sich die Einkäufer aus Nordamerika bis nach San Francisco, aus Frankreich, Italien, Spanien etc. in Sonneberg so zahlreich ein, daß sich ein geschäftliches Leben und Treiben entwickelt, wie man es nur an den größeren Handelsplätzen gewöhnt ist. Da wird gehandelt, gefeilscht, gemessen, gekauft. Und nicht genug an den Einheimischen, eilen auch andere deutsche Geschäftsleute herbei, um den Ausländischen, die sie hier an einem Orte vereinigt finden, ihre Waaren vorzulegen. Da kann man englische, französische, italienische, spanische und auch andere Zungen und viele deutsche Mundarten durch einander hören, und überall ist es der sprachenkundige Sonneberger Kaufmann, der die vermittelnde Rolle übernimmt. Den Abschluß des Geschäfts bildet dann die Leipziger Messe, die selbstverständlich auch von Sonneberg aus stark besucht wird.

Dagegen muß nach England, Oesterreich-Ungarn, auch nach Frankreich und besonders in Deutschland der Sonneberger Kaufmann selbst reisen ober reisen lassen, wenn er sein geschäftliches Interesse wahren, die Concurrenz nicht aufkommen lassen, wohl aber neue Kundschaft erwerben will. In der Hauptsache werden die Geschäfte mit Grossisten, nur in seltenen Fällen auch mit Kleinhändlern abgemacht. Gegenwärtig sind es fünfzig bis sechszig kaufmännische Firmen, welche den Vertrieb der Erzeugnisse der Fabrik,- und Hausindustrie Sonnebergs und seiner Umgebung besorgen. Die großen Firmen sind in aller Welt dem Geschäftsmann bekannt, sodaß wir es unterlassen können, hier eine Anzahl der hervorragendsten derselben namentlich aufzuführen, auch abgesehen von der Schwierigkeit, diese Anzahl gerecht zu bestimmen.

Wie die Entwicklung der vielgestaltigen Hausindustrie des Meininger Oberlandes unmöglich gewesen wäre ohne die Rührigkeit des Sonneberger Großhandels, so würde dieser jetzt unmöglich sein ohne die Hausindustrie. Beide sind aus das Engste ebenso auf einander angewiesen, wie der im Gebirge wohnende Theil der Bevölkerung wiederum auf die Ausbeutung der Gaben des Gebirges durch diese Industrie angewiesen ist, um sich zum Leben die Mittel zu erwerben, die ihm Ackerbau, Viehzucht und andere Arbeit nicht bieten können. Man muß daher annehmen, daß beide sich gegenseitig nach allen Kräften zu stützen und zu heben suchen.

Daß dies nicht stets und früher oft noch weniger als in unseren Tagen immer der Fall war, wird durch den Umstand verschuldet, daß einen besonderen Einfluß auf den Arbeitspreis der „Kampf der Concurrenz“ beim Verschleiß sowohl als auch in der Fabrikation durch größeren Fabrikbetrieb oder Hausarbeit ausübt, und dies wirft oft einen tiefen Schatten ganz besonders auf einzelne Theile der Hausindustrie und ist in jüngster Zeit zu heftigem öffentlichem Ausspruche gekommen. Die Klagen der Arbeiter sind, wie die immer von Zeit zu Zeit ausbrechenden Nothzustände aus dem Thüringerwalde, schon oft Gegenstand öffentlicher Verhandlungen gewesen, doch so scharf, wie jetzt, noch nie auf den Kampfplatz gezogen worden. Wie sehr aber diese wichtige Angelegenheit uns auch mit aufregt, so dürfen wir dem Versprechen, das wir an dem Eingange dieses „Spaziergangs“ gestellt, nicht untreu werden. Die Darlegung dieses Kampfes gehört auf ein anderes Blatt, als auf dieses friedliche, das wir der Freude unserer Kinder gewidmet haben. Die Vernünftigen jeder Partei werden uns darin Recht geben.

Wir werden es daher vorziehen, wenn wir die Kinder in einige Mustersäle, Fabriken und namentlich einige Puppenmachereien der Hausindustrie geführt und wenn sie eine Anschauung von der Vielgestaltigkeit und Großartigkeit des Spielwaarengeschäfts gewonnen haben, mit ihnen an der zweithürmigen neuen Stadtkirche vorbei am Schönberg bis zu dem sogenannten „Luther-Wirthshaus“ hinaufzusteigen. Dieses alte Haus hat Jahrhunderte lang zu Judenbach an der Heerstraße gestanden und Kaisern und Fürsten, und auch dem Dr. Luther als Herberge gedient. Als es abgebrochen werden sollte, kaufte es Ad. Fleischmann, ließ es auf dieser Höhe wieder aufrichten und im Innern genau so ausstatten, wie es zu Luther’s Zeit gewesen. Und da im November dieses Jahres das vierhundertjährige Geburtsfest Luther’s gefeiert wird, so ist’s für die Kinder gewiß anziehend und lehrreich, zu sehen, wie einfach sich damals die mächtigsten Herren auf ihren Reisen oft behelfen mußten, und wie ein Haushalt für die Männer der Reformation eingerichtet war (vergl. übrigens auch hier den schon oben citirten Jahrg. 1874, Nr. 30 der „Gartenlaube“).

Vor diesem Wirthshause wird es den Kindern auch klar, welch reizender und gesunder Lage sich die Stadt Sonneberg erfreut. Gegen Norden von den südlichsten Ausläufern des Thüringerwaldes, an die sie sich anlehnt und zwischen die sie einst hineinkroch, geschützt, und gegen Süden die gesegneten Fluren Frankens vor sich und von der herrlichsten Waldluft umgeben, war diese Stadt von Anbeginn zum Luftcurort berufen, der sie auch wirklich in diesem Jahrhundert[3] noch geworden ist. Nicht weniger anlockend ist von jeder der umliegenden Höhen der Blick in die Ferne: dort ist in der That „wie ein Garten das Land zu schauen“, geschmückt mit Wäldern und Höhen, belebt von Städten und Dörfern und begrenzt von Gebirgszügen vom Fichtelgebirge bis zur Rhön, aus denen Schlösser, Capellen und Burgen emporragen; [297] dort winkt die Veste Coburg mit ihrem hohen Mauernkranz und weit zur Linken vom Maingrund her Schloß Banz und die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen, lauter Perlen des Frankenlandes.

Noch aber liegt uns die Spielwarenhauptstadt näher, und wir möchten gern auch einen raschen Blick in ihre Vergangenheit werfen. Den ältesten Theil derselben zeigt unsere Abbildung nicht; er verliert sich in die Schlucht, welche die Berge des Hintergrundes bilden: dort hat die enge lange Gasse sich in den „Grund“ versteckt. Dieser am frühesten angebaute Theil hört jetzt da auf, wo die heute blühende Stadt anfängt.

Sonneberg ist keine alte Stadt von geschichtlicher Denkwürdigkeit. Erst zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts wird es als [298] „Städtlein an der Röthen unter dem Haus Sonneberg“ genannt. So hieß das feste Schloß, an das jetzt noch der „Schloßberg“ erinnert (unsere Abbildung zeigt uns die neue thurmgeschmückte Vergnügungsanlage auf demselben), und zwar hat es seinen Namen von der freien sonnigen Lage, nicht nach einem angeblichen fabelhaften Erbauer, der ein Frankenkönig Suno gewesen sein soll. Trotz der versteckten Lage fanden sowohl die Hussiten (1430 bis 1432), wie die Wütheriche des Dreißigjährigen Krieges das Städtchen, das von 1628 bis 1653 dreimal niedergebrannt und elfmal ausgeplündert wurde. Die Burg war schon 1505 durch Feuer zerstört und der Name längst auf das Städtchen übergegangen, das nach dem Krieg etwa 600 Seelen zählte. Bis 1735 gehörte es zu Coburg. Nachdem der beste Theil desselben sammt der alten Kirche am 27. August 1840 abgebrannt war, erhob es sich um so stattlicher und genießt seitdem eines so steigenden Wachstums, daß es jetzt über 10,000 Einwohner zählt und nahe daran ist, aus der zweiten an Einwohnerzahl die erste Stadt des Herzogtum zu werden.

Und nun scheiden wir vom ganzen waldesprächtigen Spielwaarenland und von seiner Hauptstadt. Wenn wir aber noch einmal an all die Berge und Thäler voll erfrischender Schönheit und die Menschen mit ihrem Fleiß, ihrem rastlosen Schaffen zurückdenken, so will in den Herzen der Alten und der Kinder ein tief empfundener Wunsch sich laut machen:

Möge dieser Industrie, die so recht einzig und allein im Dienste des höchsten Festes der Liebe und des Friedens steht, es beschieden sein, daß ein hochherziges Zusammenwirken von Vaterlands- und Menschenliebe den alten Kampf der Interessen mildere, wo nicht endlich beseitige! Möge diese herrliche Industrie immer frischer aufblühen, und wie sie am Weihnachtsabend bis in die ärmste Hütte Licht und Freude trägt, so möge Licht und Freude auch bei den Tausenden wohnen, die ihr tägliches Brod durch die Arbeit für unser beglückendstes Fest erwerben! Mögen nie in diesem Lande arme Eltern trauern und arme Kinder weinen müssen am heiligen Christfest! Möge eine dunkle Weihnacht unmöglich sein im Thüringer Spielwaarenlande! Friedrich Hofmann.     


  1. Schmelz, kleine bunte Glasröhrchen zur Ausschmückung von Frauengewändern, die eben als Mode-Artikel stark begehrt werden.
  2. Vergl. „Gewerbe, Industrie und Handel des Meininger Oberlandes in ihrer historischen Entwickelung.“ Von Commerzienrath A. Fleischmann. (Hildburghausen 1878, S. 156)
  3. Durch Sanitätsrath Dr. Richter, dessen Anstalt die Curen auch im Winter fortsetzt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Absatzgebiesen