Ein Volksschwur

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Autor: Unbekannt
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Titel: Ein Volksschwur
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 180–183
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Volksschwur.


Die wilde Jagd und die deutsche Jagd
     Auf Henkersblut und Tyrannen!
D’rum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt;
Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt,
     Wenn wir’s auch nur sterbend gewannen!
Und von Enkeln zu Enkeln sei’s nachgesagt:
Das war Lützow’s wilde, verwegene Jagd!
 Theodor Körner.

Am Morgen des 28. März 1813 läutete in dem schlesischen Dorfe Rogau die Glocke. Sie rief nicht zum gewöhnlichen Gottesdienste, denn es war Sonnabendmorgen. Der Geistliche des Orts, der Pfarrer Peters, stand im Amtsgewande erwartend vor der Thür des Gotteshauses, das ganze Dorf war in begeisterter Erregung. Einer ernsten, schönen Feier galt es, der Einsegnung, der Todesweihe einer herrlichen Schaar von Jünglingen und Männern, welche entschlossen waren, Blut und Leben dem Vaterlande zu opfern. Es galt der Einsegnung des Lützow’schen Freicorps.

Und vor dem Dorfe war die Cavallerie des Corps, 260 Pferde stark, aufmarschirt, um ihre Cameraden der Infanterie zu erwarten, welche 900 Mann zählend von dem nahen Dorfe Zobten herankamen. Das waren feste, herrliche Gestalten. Aus ihren Augen

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Die Einsegnung der Lützow’schen Freicorps in der schlesischen Dorfkirche zu Rogau.

[182] sprach Begeisterung und der Muth des Todes. In ihrer Uniform, dem schwarzen Waffenrocke, Litewka genannt, mit rothem Vorstoß an Kragen, Aermelaufschlag und Achselklappen und den gelben Knöpfen, trugen sie die deutschen Farben: Schwarz-Rot-Gold. Wohl wurden sie amtlich als „königlich preußisches Freicorps“ aufgeführt, aber an dem Tschacko trugen sie das preußische Zeichen nicht. Eine größere Idee lebte in ihnen. Ein deutsches Freicorps wollten sie sein, denn dem ganzen deutschen Vaterlande galt ihr Blut und Leben.

Dies waren die ersten Männer der „schwarzen Jäger“ oder der „Racheschaar“, der Anfang von Lützow’s wilder, verwegener Jagd. Wie die thebanische Schaar im Alterthum wollten sie ausziehen, um die Schmach und Knechtschaft ihres Vaterlandes zu rächen. In Schwarz hatten sie sich gekleidet, denn Schwarz ist die Farbe der Trauer und des Todes.

Unter Glockengeläute zogen sie alle in Rogau ein und in die Kirche. Sie war gefüllt bis zum Uebermaß. Von über tausend Kehlen wurde mit Begeisterung ein Lied, ein Choral gesungen. Wir lassen ihn hier folgen, denn Theodor Körner, der schon am 19. März in das Freicorps eingetreten war und der Einsegnung mit beiwohnte, hatte ihn für diese Feier nach der Melodie: „Ich will von meiner Missetat etc.“ gedichtet.

Wir treten hier in Gottes Haus
Mit frommem Muth zusammen.
Uns ruft die Pflicht zum Kampf hinaus,
Und alle Herzen flammen.
Denn was uns mahnt zu Sieg und Schlacht,
Hat Gott ja selber angefacht.
Dem Herrn allein die Ehre!

Der Herr ist unsre Zuversicht,
Wie schwer der Kampf auch werde;
Wir streiten ja für Recht und Pflicht,
Und für die heil’ge Erde.
Drum, retten wir das Vaterland,
So that’s der Herr durch unsre Hand.
Dem Herrn allein die Ehre!

Es bricht der freche Uebermuth
Der Tyrannei zusammen;
Es soll der Freiheit heil’ge Gluth
In allen Herzen flammen.
D’rum frisch in Kampfes Ungestüm!
Gott ist mit uns, und wir mit ihm!
Dem Herrn allein die Ehre!

Er weckt uns jetzt mit Siegeslust
Für die gerechte Sache;
Er rief es selbst in unsre Brust:
Auf, deutsches Volk, erwache!
Und führt uns, wär’s auch durch den Tod,
Zu seiner Freiheit Morgenroth.
Dem Herrn allein die Ehre!

„Nach Absingung des Liedes,“ mit diesen Worten schildert Körner selbst in einem Briefe die erhebende Feier, „hielt der Prediger des Orts, Peters mit Namen, eine kräftige, allgemein ergreifende Rede. Kein Auge blieb trocken. Zuletzt ließ er uns den Eid schwören, für die Sache der Menschheit, des Vaterlandes und der Religion weder Blut noch Gut zu schonen und freudig zum Siege oder Tode zu gehen. Wir schworen! Drauf warf er sich auf die Kniee und flehte Gott um Segen für seine Kämpfer an. Bei dem Allmächtigen, es war ein Augenblick, wo in jeder Brust die Todesweihe flammend zuckte, wo alle Herzen heldenmüthig schlugen. Der mit Würde vorgesagte und von allen nachgesprochene Kriegseid, auf die Schwerter der Officiere geschworen, und „Eine feste Burg ist unser Gott!“ machte das Ende dieser herrlichen Feierlichkeit.“

Der erhabene Augenblick ist es werth, im Bilde verewigt zu werden. Denn dort sah man nicht blos trotzige Männer und glühende Jünglinge die Hand zum Schwur erheben, man sah den Vater sich losreißen von Weib und Kind, und das Weib war nicht zerknirscht und kleinmüthig, ihr treuer Arm umschlang den gerüsteten Gatten zum Abschied, er hielt ihn nicht zurück vom großen Entschluß, der ein Volk begeistert. Bräute und Geliebte erfüllte, ihrer Tapferen würdig, kein anderes Gefühl, als der Stolz auf sie. Und wie die Mütter und Bräute hatte selbst Knaben der heilige Sturm des deutschen Geistes erfaßt und auch sie erhoben die zarten Hände zum Schwur der Männer.

Ja, eine erhebende Feier, eine wirkliche Todesweihe! Und der Tod hat viele von ihnen im Kampfe erreicht und unter ihnen Deutschlands beste Söhne, über deren Verlust wir noch jetzt, nach einem halben Jahrhundert, mit frischem Schmerze klagen müssen. Unter ihnen fiel Theodor Körner, der Sänger von Leyer und Schwert, Carl Friedrich Friesen aus Magdeburg, von dem F. L. Jahn sagt: „Keinem zu Lieb’ und Keinem zu Leide! aber wie Scharnhorst unter den Alten, so ist Friesen unter den Jungen der Größte unserer Gefallenen,“ von dem E. M. Arndt sang:

„War je ein Ritter edel,
Du warst es tausend Mal!“

unter ihnen fiel Friedrich Eckardt aus Rothenburg, Christian Graf zu Stolberg, und der edle Oberjäger von Berenhorst aus Dessau, der den Tod seines Freundes Körner nicht überleben mochte. Er stürzte sich wenige Tage später (am 16. Sept.) im Kampfe an der Göhrde mit dem Rufe: „Körner, ich folge Dir!“ auf den Feind und sank von zwei Kugeln getroffen todt nieder. Unter ihnen fielen Gottlieb Schnelle und die drei an Jugendgaben reichen Grafen Gröben, Canitz und Dohna, deren Heldentod Max von Schenkendorf in einem Liede feiert.

Das sind nur wenige Namen unter den Hunderten und Tausenden, aber ihnen gleiche gab es viele unter ihnen; wie sie gingen alle mit freudigem Muthe dem Tode entgegen.

Schon am 9. Februar hatte der Major von Lützow und der Major Friedrich von Petersdorff, beide Waffengefährten Schill’s, den König Friedrich Wilhelm um die Erlaubniß, ein Freicorps errichten zu dürfen, ersucht und ihm den Plan desselben gleichzeitig mitgetheilt. In einem Schreiben des Königs aus Breslau vom 18. Februar wurde ihnen die Erlaubniß ertheilt. Die vorzüglichsten Bedingungen waren, daß Lützow und Petersdorff die Mannschaft selbst durch Freiwillige, vorzüglich vom Auslande, anwerben, einkleiden und remontiren sollten; von Seiten des Staats sollten nur die Waffen für diejenigen geliefert werden, welche sich keine brauchbaren Büchsen und Cavallerie-Seitengewehre anschaffen könnten. Nach dem ursprünglichen Plane Scharnhorst’s sollte das Lützow’sche Freicorps einen Vereinigungspunkt für alle Deutschen bilden, besonders aus denjenigen Ländern, deren Regierungen, sei es gehindert oder eigensüchtig, der großen nationalen Sache noch nicht beigetreten waren. Das Corps sollte seinen Schauplatz auf den Flanken des französischen Heeres nehmen, die Verbindungen desselben stören, seine Operationen erschweren und überall die Volkserhebung zu fördern streben. Ohne an den Befehl eines Höhercommandirenden gewiesen zu sein, sollte das Corps als ein völlig selbstständiger Truppenkörper handeln. Ein kleines Bild von Deutschlands Einheit und Einigkeit sollte in diesem Corps gegeben werden; gewiß ein schöner – Traum!

Der Aufruf zum Eintritt in das Corps und zu Gaben für die Freiwilligen wurde erlassen, und in heiliger Begeisterung flammten Aller Herzen auf. Petersdorff leitete die Bildung des Corps in Breslau, während Lützow bald hier, bald dort war, um überall anregend und ordnend zu wirken. Die, welche sich zur Infanterie meldeten, wurden nach dem Dorfe Zobten gesandt, die Cavallerie nach dem nahegelegenen Rogau.

Und die Namen Lützow’s und Petersdorff’s erweckten Vertrauen, die Idee einer deutschen Schaar der Rache gleich jener alten thebanischen fand in Tausenden von Jünglingsherzen einen lauten Wiederklang. Nach wenigen Wochen, als das Corps in der Kirche zu Rogau eingesegnet wurde, bestand es bereits aus 900 Mann Infanterie (4 Musketier-Compagnien und 1 Jäger-Detachement) und aus 260 Mann Cavallerie (1 Husaren-Escadron unter dem Premierlieutenant von Helden, 1 Uhlanen-Escadron unter dem Premierlieutenant von Kropf und 1 reitenden Jäger-Detachement unter dem Premierlieutenant von Aschenbach). Später führte noch ein Rittmeister von Bismarck[1] aus der Altmark dem Corps eine zweite Husaren-Escadron, welche er gebildet hatte, zu.

Zu dem Allem hatte die Regierung nicht mehr als 200 Gewehre hergegeben. Aus dem Volke war dies Corps hervorgegangen, das Volk hatte es freiwillig ausgerüstet.

Es war eine große, eine heilige Zeit! Die Regierungen waren ohnmächtig, die Fürsten muthlos und zum Theil verjagt aus [183] ihren Ländern. Da nahm das Volk des Vaterlandes Sache in die Hand und hat sie herrlich durchgeführt. Kein Opfer war ihm zu groß, kein irdisches Gut zu theuer, sein eigenes Blut nicht zu lieb, es hat dies Alles willig dargebracht zum Kampfe für die Freiheit.

Ohne daß wir weich sind, treten uns unwillkürlich die Thränen in die Augen, wenn wir die Gaben für die Freiwilligen lesen, welche in den Berliner und Breslauer Blättern unter der Ueberschrift „Vaterlandsliebe“ verzeichnet wurden. Der Jüngling verließ die Schule oder den Hörsaal oder die Werkstätte, der Verlobte riß sich aus den Armen seiner Braut und aus allen Träumen seines Glückes los, der Mann ließ Weib und Kind im Stich, um für das Vaterland und die Freiheit zu kämpfen. Selbst Mädchen traten als Männer verkleidet in die Reihen der freiwilligen Kämpfer ein. Wir nennen hier nur Leonore Prohaska (bei den Lützowern unter dem Namen August Renz, fiel und starb mit Heldenmuth in dem Gefechte an der Göhrde), Charlotte Krüger und Dorothea Sawosch. Und die, welche nicht selbst mit in den Kampf ziehen konnten, wetteiferten in Gaben für das Vaterland. Die Wittwen und Waisen gaben ihr Letztes her, Kinder schickten ihre Sparbüchsen, Dienstmädchen ihre zurückgelegten Pfennige. Es war, wie Niebuhr einem Freunde schreibt, „die Hingabe des Einzelnen an das Ganze grenzenlos.“ Der spanische Gesandte in Berlin, Don Pizarro, schrieb damals nach Madrid, daß ihm in Preußen jetzt Alles ganz spanisch vorkomme, so begeistert sei die Stimmung des Volkes. „Es ist unmöglich, nicht elektrisirt zu werden,“ sagte er, „wenn man das Feuer sieht, mit welchem hier das Volk seinem Nationalgeiste Luft macht.“

Es war eine heilige Zeit. Die Frauen schickten ihre Trauringe, die Bräute ihre Verlobungsringe ein und trugen dafür eiserne Ringe mit der Inschrift: „Gold gab ich für Eisen. 1813.“ Kein Schmuck wurde mehr getragen, kein Andenken aufbewahrt, welches irgend welchen Werth hatte, Alles, Alles wurde hingegeben für das Vaterland. Ueber einhundertundsechzigtausend goldene Ringe, Ketten, Ohrgehänge etc. sind damals freiwillig gegeben. Ein junges Mädchen schickte ein auf 75 Thaler taxirtes goldenes Halsband ein mit den Worten: „Dies Halsband ist das Geschenk meines in den Krieg gezogenen Bräutigams. Ich habe das theuerste Andenken geopfert, welches ich besaß.“ Ein blinder Harfenspieler erbot sich, die Hälfte seines kümmerlichen Verdienstes zur Unterstützung eines verwundeten Kriegers herzugeben. Drei Dienstmädchen sandten einen silbernen Becher, eine silberne Nadelbüchse, sieben Medaillen und 25 Thaler ein; ein Invalid eine Huldigungsmedaille, mit den Worten: „mir ein theueres Andenken, ich bringe es dennoch dar“; ein zehnjähriger Knabe zwei silberne Medaillen und sieben Groschen – er hatte nicht mehr. Eine arme Frau hatte zehn Thaler zu einem Ueberrock erspart, sie sandte sie ein mit der Bemerkung: „die Jäger brauchen es nothwendiger als ich.“

Noch Seiten könnten wir mit Aufzählung solcher Gaben füllen, und wer nichts zu geben hatte, wem durch die harten vorhergegangenen Jahre bereits Alles genommen war, der nähte und strickte zum Wenigsten für die in den Kampf Ziehenden.

Ein Beispiel möge hier indeß noch genannt werden, es wird den Wenigsten bekannt sein. Ein junges, sechzehnjähriges, reizend schönes Mädchen, Ferdinanda von Schmettau, deren Vater, Oberst a. D., mit 11 Kindern, im Alter von 21 bis 1 Jahre, von 600 Thalern Pension in einer Erbpacht im Klostergut Bergel nahe bei Ohlau in bedrängten Umständen lebte und bereits seine aufbewahrte Staatsschabrake und die Ringe und kleinen Pretiosen seiner Frau gegeben hatte, war untröstlich, daß sie nichts besaß, was sie als Gabe darbringen konnte. Da ließ sie ihr schönes, reiches Haar, für welches ihr ein Friseur 10 Thaler bot, abschneiden und schickte dasselbe für die Freiwilligen ein. Und ihr schöner Zweck wurde vollkommener erreicht, als sie geahnt hatte. Ihre That blieb nicht verschwiegen, das Haar wurde aufgekauft, Ketten, Ringe und Armbänder wurden daraus angefertigt, und das Verlangen nach denselben war so groß, daß aus ihrem Haar 1200 Thaler gelöst wurden, die zur Einkleidung von mehreren Freiwilligen hinreichten. Die Opferbereitwilligkeit des ganzen Volkes war großartig, erhebend.

Fragen wir jetzt nach fünfzig Jahren, welcher Lohn ist dem Volke für die großen Tage und Thaten von 1813 geworden? Wir müssen erröthen, wir haben nur die eine Antwort: sie sind nicht mit Dank gelohnt! – Wohl denen, die in dem Freiheitskampfe gefallen, sie haben eine schöne und reine Idee mit sich in’s Grab genommen, sie haben die Schmach nicht kennen gelernt, die jenen Tagen gefolgt ist! Und jetzt macht man dem Volke von oben herab noch den Vorwurf, daß es das Vertrauen verloren habe!


  1. Sollte der jetzige Ministerpräsident Preußens ein Nachkomme dieses Rittmeisters von Bismarck sein? Welche Empfindungen würden dann den Mitkämpfer Lützow’s erfüllen, wenn er jetzt seinen Nachkommen schauen könnte? Wohl ihm, daß sein Auge längst geschlossen ist!