Ein deutsches Normal-Rettungsboot

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Titel: Ein deutsches Normal-Rettungsboot
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 501–502
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch: Petersen’s Rettungsboot erprobt! in Heft 35, 1868
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Ein deutsches Normal-Rettungsboot.

In den vier Artikeln,[1] welche die Gartenlaube bis jetzt den Bestrebungen der „Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger an den deutschen Nordküsten“ gewidmet hat, und namentlich in dem „Mahnruf an das deutsche Volk“ in Nr. 23 des Jahrgangs 1865, ist dargethan, welche wichtige Rolle bei diesen kühnen Unternehmungen der Menschenliebe dem sogenannten Rettungsboote zufällt. Es ist die Hülfe des Augenblicks, für die es gerüstet sein muß: es muß dem furchtbarsten Aufruhr desjenigen Elements, dem der Mensch am schwersten entrinnt, Trotz bieten; es muß auf alle Tücken desselben vorbereitet sein in jedem Augenblick, denn schon der nächste gehört ihm nicht mehr, wenn es einem einzigen unterliegt. Darum hat man es als nächste, unerläßlichste Anforderung an ein solches Boot aufgestellt, daß es dem Anprall der stärksten Wogen widerstehe, dem Winde wenig Spielraum biete, nicht leicht umschlage (kentere), nach jedem Kentern sich leicht wieder aufrichte und von dem eingedrungenen Wasser sich selbst entleere.

Vorderansicht von Petersen’s Rettungsboot.

Diesen Anforderungen entsprachen bis jetzt am nächsten die Rettungsboote des Engländers Peake, des Amerikaners Francis und des Deutschen F. Devrient (Schiffsbaumeisters in Danzig). Dem ersteren ist durch Luftkästen an beiden Enden des Bootes große Tragfähigkeit, und durch Wasserballast, den man im unteren Theile des Centrums des Bootes angebracht hat, sowie durch einen Schwerkiel (wie der gewöhnliche Kiel genannt wird, wenn er mit Blei oder Kupfer beschlagen oder ganz von Eisen ist) die Fähigkeit verliehen, dem Umschlagen Widerstand zu leisten. Ist aber daß Boot mit vielen Geretteten belastet, die bei einem Kentern sich an den Ruderbänken (Duchten) anklammern, so geschieht es leicht, daß die niederziehende Menschenwucht das Wiederaufrichten des Bootes unmöglich macht. Nur wenn beim Umschlagen die meisten Insassen hinausfielen, würde es sich sofort wieder aufrichten, aber jene wären größtentheils verloren.

Längendurchschnitt von Petersen’s Rettungsboot.

Das zweite Boot behauptet vor dem ersteren den Vorzug geringerer Schwere und größerer Tragfähigkeit, weil es außer den beiden Luftkästen an den Enden noch an beiden Seiten des Bootes dergleichen hat, die dem Umschlagen ziemlichen Widerstand leisten; geschieht aber letzteres, so sind diese Luftkästen auch das Hinderniß gegen das Wiederaufrichten des Bootes, und seine ganze Bemannung ist unrettbar verloren. – Das Danziger Rettungsboot, vorläufig in den Rettungsstationen der Ostsee eingeführt, vereinigt die Vorzüge der beiden vorigen, leidet aber wohl auch unter deren Nachtheilen mit.

Die Rettungsboote Wilhelm Bauer’s sind zweierlei Art: solche, die, ohne Gefahr des Zerschellens, sich zwischen Klippen wagen dürfen, weil er sie aus dem Material seines Schiffhebeballons bauen will, und solche, welche zu seinen unterseeischen Fahrzeugen gehören und da Anwendung finden, wo das Meer die nöthige Tiefe bietet, um unter dem Wogenschlag weg zum bedrohten Schiff und auf demselben Wege mit den Geretteten zurückzufahren. Beide sind bis jetzt unausgeführt geblieben.

Dagegen macht das so eben im Bau begriffene Boot neuester Construction von C. W. Petersen aus Hadersleben den Anspruch, ein deutsches Normal-Rettungsboot zu werden. Die mit dem drei Fuß langen Modell desselben in der Elbe bei Hamburg vor Sachverständigen angestellten Proben haben allen Anforderungen entsprochen, und da Petersen mit dem ersten Boote dieser Construction, das auf der Werfte von Nibbe in Neumühlen bei Altona gebaut ist, Fahrten nach London und New-York unternimmt, so wird dasselbe ohne Zweifel ein oft besprochener Gegenstand der Tagespresse, über welchen unsere Leser Mittheilung auch in diesem Blatte suchen; um so mehr freut es uns, derselben eine Abbildung von dem Durchschnitt und dem Vordertheil des Bootes, in Figur 1 und 2, hinzufügen zu können.

Petersen’s Boot unterscheidet sich von den genannten dadurch, daß es dem Kentern allerdings ebenfalls möglichsten Widerstand leistet, nach jedem Umschlagen aber sich sofort von selbst wieder ausrichten muß, und zwar ohne dazu eines Schwerkiels oder des Ballastes zu bedürfen.

Nehmen wir die beiden Abbildungen des Längendurchschnitts (Fig. 1) und der Vorderansicht (Fig. 2) des Bootes zu Hülfe, so sehen wir, daß unter dem Kiel, L, noch ein sogenannter Loskiel, M, angebracht ist. Der Kiel ist bekanntlich das Rückgrat des Bootes, von welchem die Rippen desselben ausgehen. Der lose Kiel liegt unter dem eigentlichen Kiel, an diesen zwischen dem Vorder- und Hinter- (oder Achter-) Steven – N und O – durch Bolzen befestigt. Er tritt, wie M Fig. 2 zeigt, an jeder Seite des Kiels sechs Zoll hervor und wird als Kielwasserregulator bezeichnet, weil er, wenn der Seegang quer durchschnitten werden muß, das Abtreiben des Bootes von seiner nothwendigen Richtung und zugleich das Kentern mit verhindert; er soll, weil er so tief unter dem Luftraum des Bootes liegt, zum Theil den Schwerkiel sowie den Ballast der anderen Boote ersetzen und dem Hauptkiel Schutz geben.

Den Raum an beiden Enden des Bootes, welchen bei den früheren Booten die Luftkästen einnehmen, sehen wir hier zu Cajüten – E und D – benutzt, in welchen je sechs Gerettete Platz finden. Die Vordercajüte (D) enthält einhundert und fünfzehn, die Hintercajüte (E) einhundert Kubikfuß Raum. Die Hauptcajüte ist aber im Mittelpunkt des Bootes angebracht, bei C; ihre beiden Seitenwände – B und B – ragen hoch über den Bord hinaus und bieten dem Kentern ebensoviel Widerstand, als sie im Fall des völligen Umschlagens des Bootes zur Wiederaufrichtung desselben beitragen. Diese Cajüte enthält einen Raum von dreihundert und achtzig Kubikfuß und hat Sitze (i) für vierundzwanzig Mann, und zwar auf vier je neun Fuß neun Zoll langen Bänken. Sämmtliche Cajüten sind mit Fenstern (c) und mit Luftröhren (d) versehen; die letzteren bestehen aus Guttapercha-Schläuchen, welche anderthalb Fuß über die Cajütendecke hervorragen und vor jedem Wogenschlag sich auf die Seite legen. Beim Umschlagen des Bootes würde der Gegendruck des Wassers sie fest zusammenkneifen, und da sie nur wenige Secunden unter Wasser bleiben können, so kann schwerlich durch sie Wasser in die Cajüten eindringen. Sollte dies dennoch geschehen, so wird dasselbe durch eine in den Cajüten angebrachte Pumpe sofort wieder entfernt.

Die Einsteigeluken zu den Cajüten sind bei b, also zugleich als Fenster benutzt, deren Scheiben aus halbzölligem grönländischem Glase bestehen. Der große Vortheil, den diese Cajüten für die Sicherheit der Rettungsmannschaft und der Geretteten selbst bieten, besteht hauptsächlich darin, daß letztere nicht, wie bei den anderen Booten, die Matrosen in ihrer Arbeit beengen und stören und beim Kentern des Bootes durch das Anklammern an den [502] Bord die Wiederaufrichtung desselben unmöglich machen können; diese Sicherheit wird noch dadurch erhöht, daß sämmtliche Insassen des Bootes, Gerettete wie Ruderer, an ihre Sitzplätze durch Riemen festgeschnallt werden. Die Geretteten bilden durch ihr Gewicht den besten Ballast des Bootes, und je größer ihre Zahl, desto stärker wird die Aufrichtungsfähigkeit des Bootes. Im Nothfall können in der Mittelcajüte, statt vierundzwanzig, sogar zweiunddreißig Menschen Platz finden. „Dann geht es freilich sehr eng zu,“ bemerkte hier Prinz-Admiral Adalbert, aber Capitain Petersen versicherte dagegen, „daß Schiffbrüchige auch keine Ansprüche auf Bequemlichkeiten eines Hotels machten.“

Die Lufträume sind zwischen den beiden End- und der Mittelcajüte, bei F und G, angebracht; der Hinterboden-Luftraum (F) enthält achtzig, der Vorderboden-Luftraum (G) neunzig Kubikfuß. Der Platz der Rettungsmannschaft ist das Hinterdeck – J – und das Vorderdeck – K –; die Ruderbänke (Duchten), auf welchen, wie bereits bemerkt ist, die Matrosen ebenfalls festgeschnallt sind, bezeichnen die Buchstaben a, und bei f sind die Ruder- (in der Semannssprache Riemen-) Dollen zum Einlegen der Ruder während der Handhabung derselben.

Zwischen beiden Decks J und K und den beiden Cajütenwänden B und B (vergl. auch Fig. 2) befindet sich ein wesentlicher Theil der neuen Construction des Rettungsboots: eine bewegliche Hebekraft, – A, in Fig. 1 und 2 – welche in einem eiförmigen Ballon aus Korkholz besteht und im Centrum des Bootes der Länge nach auf Charnieren liegt, die an den beiden Seitenwänden der Mittelcajüte befestigt sind. Bei einem Umschlagen des Bootes zieht sich dieser Ballon nach der entgegengesetzten Seite und bewirkt, mit Hülfe dieser Seitenwände, ein schnelleres und sichereres Wiederaufrichten desselben, als dies den Endluftkästen, den Schwerkielen und dem Wasserballast anderer Rettungsboote möglich ist.

Auch für die Selbstentleerung des Bootes von dem auf das Deck hereingeschlagenen Wasser ist zweckmäßiger gesorgt, als bei den anderen Booten; letztere haben die Wasserentleerungsöffnungen im Centrum und sind daher genöthigt, sämmtliches eingeschlagene Wasser so lange zu tragen, bis sie in die normale Lage zurückgebracht und es auszupumpen im Stande sind, und schaffen sich dadurch ein Hinderniß des Wiederaufrichtens mehr. Petersen wies diesen Oeffnungen ihren Platz an den Seiten – vergleiche die Buchstaben e in beiden Figuren – an und bewirkt damit, daß das Wasser gleich nach dem Einschlagen auf der Leeseite, das heißt der dem Windstrich abgewendeten Seite des Bootes wieder abläuft; die dem Windstrich zugekehrte nennt der Seemann bekanntlich die Luvseite.

Da möglichst fester Zusammenhalt aller Theile ein Haupterforderniß dieser Boote ist, so müssen wir noch auf zwei dazu beitragende Vorrichtungen hinweisen. Figur 1 zeigt uns eine durch die Vordercajüte D laufende Stange – g –, welche das Oberende des Vorderstevens N mit dem äußersten Vorderende des Kiels und Loskiels, L und M, verbindet. Diese „Klammerstange“ verleiht dem Vorderende des Bootes eine bedeutende Stärke und gestattet am Oberende des Vorderstevens eine sogenannte „Kreuzklampe“ (Fig. 1 und 2 h) anzubringen, welche dazu dient, vom Wrack aus Trossen (Taue von wenigstens achtzehn Garnen) und anderes Tauwerk zu befestigen, um eine Verbindung mit demselben herzustellen, ohne daß das Boot dadurch gefährdet wird. – Die andere Vorrichtung führt uns an das entgegengesetzte Ende des Bootes: zum Steuer H. Petersen’s neuer Einhakungsapparat befähigt das Steuerruder, sich bei jedem Aufstoßen auf dem Grund in die Höhe zu heben; sobald das Boot wieder flott wird, fällt es von selbst in seine gehörige Lage zurück; bei einem Umschlagen hebt es sich bis zwanzig Zoll, nimmt aber beim Aufrichten gleich wieder seine alte Lage ein, ohne auszuhaken. Das Einhaken desselben ist bei dunkler Nacht wie bei schwerem Seegange sehr leicht auszuführen.

Endlich ist es noch ein Vorzug von Petersen’s Boot, daß es kaum die Hälfte der Last der bis jetzt bekannten Boote hat: es wiegt etwa zweitausendfünfhundert Pfund und eignet sich deshalb ganz besonders zum Transport an den Küsten.

Wenn wir bedenken, daß ein solches Boot nicht allein zur Rettung Schiffbrüchiger zu verwenden ist, sondern daß es sich auch für den gefahrvollen Beruf der Lootsen längst als unentbehrlich herausgestellt hat, so muß man die möglichste Vervollkommnung, aber dann auch die möglichste Verbreitung desselben auf das Dringendste wünschen. Noch am dritten Februar dieses Jahres haben bei der Boesch (Lootsenstation) an der Elbe sieben Lootsen, zwei Hannoveraner und fünf Holsteiner, sämmtlich Familienväter, durch Kentern ihres Bootes das Leben verloren. Die Wohlthätigkeit hat freilich in Hamburg und Altona für die Wittwen und Waisen eine beträchtliche Summe aufgebracht, aber die Todten bleiben todt. Für dieselbe Summe hätten zehn Petersen’s-Boote gebaut werden können, deren eines genügt hätte, die braven Männer den Ihrigen zu erhalten.

Der Capitain Karl Wolfgang Petersen aus Hadersleben ist seit seinem dreizehnten Jahre praktischer Seemann, hat viele Meere befahren und Vieles von Dem gesehen und geprüft, was anderwärts für das Rettungswesen Schiffbrüchiger geschieht. Sein Boot ist das Werk jahrelangen Nachdenkens und vielfacher Versuche. Möge ihm, wenn sein Werk gelungen ist, dafür Anerkennung und Lohn werden, wie er Beides verdient hat!


  1. In den Jahrgängen 1861, 1862, 1865 und 1867.