Ein italienisches Künstlerheim

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein italienisches Künstlerheim
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 383–384
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[383] Ein italienisches Künstlerheim. Der Komponist des „Troubadour“ und der „Traviata“, dessen neueste Oper „Othello“ so viel von sich sprechen macht, Giuseppe Verdi, gehört nicht zu den Musenjüngern, welche in einer Dachstube den ewigen Rhythmen lauschen, die sich durch ihre Seele bewegen: er ist einer der reichsten italienischen Künstler. Arthur Pougin giebt uns in seiner soeben erschienenen Biographie Verdi’s[1] eine anziehende Beschreibung der Villa Sant-Agata, einer prächtigen, in der Nähe von Busseto gelegenen Domaine, in welcher Verdi jeden Sommer ohne Ausnahme verweilt. Landschaftliche Reize fehlen der Gegend, wo Sant-Agata liegt; es ist eine eintönige, aber fruchtbare Ebene. Seitwärts von einer langen Pappelallee stehen zwei Trauerweiden, riesige [384] Bäume, die zu beiden Seiten einer Thür stehen. Zu dieser gelangt man über eine Brücke, die einzige Verbindung zwischen der Wohnung des Künstlers und der übrigen Welt.

Das dichte Laub der Bäume schützt das Haus nach der Landstraße zu gegen neugierige Blicke, während auf der andern Seite ein heller und freundlicher Garten sich bis zu den Ufern eines kleinen Sees ausdehnt. Wer sich von der Pappelallee aus zur Zeit der Abenddämmerung dem einsamen Hause nähert, dem ist es, als ob ihm aus den schwermüthig herabhängenden Zweigen der Bäume der Todessang des Troubadour’s oder die letzte Klage einer sterbenden Violetta entgegenklänge.

Jenseit des Sees breiten sich, von einer endlos langen Allee durchschnitten, hier und da mit kleinen freundlichen Bauernhäusern geschmückt, die weiten Besitzungen des Meisters aus. Verdi ist nicht bloß ein Künstler mit überschäumender Phantasie und lebhaftem, reizbarem Temperament; er ist auch ein tüchtiger Landwirth mit praktischem Ordnungssinn, der sich den Fortschritt der englischen und französischen Landwirthschaft angeeignet hat. Auch in der Architektur des Hauses, der Wahl der Möbel, der ganzen komfortabeln Einrichtung giebt sich der gesunde Geschmack des Komponisten kund. Er komponirt gewöhnlich in seinem Schlafzimmer, welches, im Erdgeschoß gelegen, geräumig, luft- und lichtreich und mit künstlerischem Luxus ausgestattet ist. Das Zimmer enthält ein prächtiges Piano, eine Bibliothek und ein riesiges, seltsam geformtes Möbel, welches den Raum in zwei Hälften theilt und den Blicken eine prachtvolle Sammlung von Statuetten, Vasen und künstlerischen Phantasiegegenständen darbietet.

In der Stille der Nacht erheben sich aus diesem Zimmer die ergreifenden Harmonien, welche dem schöpferischen Geist des Künstlers entspringen. Hier wurde auch „Don Carlos“ geschrieben und zwar in einem Zeitraum von sechs Monaten. Wie das Künstlerheim, wird uns auch der hervorragende Komponist selbst geschildert, allerdings aus der Zeit, wo er fünfundfünfzig Jahre alt war, während er jetzt die Siebzig überschritten hat. Hochgewachsen, lebhaft, kräftig ist er mit eiserner Gesundheit, großer Energie begabt; sein ganzes Aussehen zeugt von Kraft und Festigkeit; er ist nicht nur gesunder als früher, sondern auch eindrucksfähiger, herzlicher und mittheilsamer. Die Villa Sant-Agata ist sein liebster Aufenthalt. Um fünf Uhr Morgens durchwandelt er die Alleen des Parkes, besucht die Felder und Pachthöfe und zerstreut sich durch eine Spazierfahrt auf dem See, wobei er seinen kleinen Nachen als gewandter Steuermann selbst lenkt. Nicht einen Augenblick ist er müßig. Um sich von der Musik auszuruhen, nimmt er seine Zuflucht zur Poesie, und um ihre starken Eindrücke zu mäßigen, flüchtet er zur Geschichte und Philosophie. Es giebt kein Gebiet menschlichen Wissens, in welches sein unruhiger, wissensdurstiger Geist sich nicht mit Eifer vertieft hätte.

So tritt das Bild des bedeutenden Musikers vor uns hin, der durch seine Melodienfülle auch bei uns einen Boden gefunden und zum Theil deutscher Dichtung seine Stoffe entlehnt hat, wie er sich auch neuerdings den durch Richard Wagner eingeschlagenen Bahnen der dramatisch-musikalischen Kunst etwas genähert hat.

  1. Uebersetzt von Adolf Schulze (Leipzig, Karl Reißner).