Eine übertausendjährige Stiftung

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Autor: Fr. Hofmann
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Titel: Eine übertausendjährige Stiftung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 482–485
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[482]
Eine übertausendjährige Stiftung.

Die Ufer des Sees prangten in der Lichterpracht der festlichen Illumination. Vom Curhaus und anderen Gebäuden der Stadt, die dem Gestade entlang sich in schönem Bogen hinziehen, strahlten in den Wellen Lichtsäulen und bunte Lampenreihen in endlos gebrochenen flimmernden Linien wider, und von dunklen Booten auf der Mitte des Sees prasselte ein Feuerwerk auf, das die rings am Ufer wogende Menschenmenge doppelt entzückte durch die Wirkung all der Kunststücke von „treibendem und stillem Funken- und Flammenfeuer“ in der Luft und der herrlichen Täuschung des Widerscheins im Wasserspiegel. Wenn auch ein Regenschauer der Herrlichkeit noch vor ihrem Ende ein Ziel steckte, so war doch in allem Volke die festliche Stimmung gesichert und hielt unter Dach und Fach bei Trunk und Tanz aus bis zum Schluß.

Welches Ereigniß hatte alle Herzen der Stadt zu einer so gemeinsamen Freude zu erheben vermocht? Man feierte – es war 1875 – einen geschichtlichen Festtag der so echt deutschen Heimathsliebe: Salzungen, die sachsen-meiningische Landstadt, hat ein Zeugniß aufzuweisen, daß der Ort und das Salzwerk, welches dem Ort den Namen gegeben, schon über elfhundert Jahre bestehen.

Folgendermaßen sieht, photographisch verkleinert, dieses Zeugniß aus:

Das königliche Archiv zu Marburg besitzt diese, am 5. Januar 775 auf der Reichspfalz Crecy ausgestellte Urkunde, in welcher „Karl, von Gottes Gnaden König der Franken und Longobarden“, dem Stifte Hersfeld („Haereulfisfeldi“) „um seines Seelenheiles willen“ den Zehnten an seinem Reichsgute Salzungen („Salsunga super fluuium Uuisera“) an Aeckern und Obstanlagen, Wässern und Wasserleitungen und an den Stätten, die zur Salzbereitung errichtet sind, als Schenkung vermachte.

[483] Des Lateinischen kundige Leser mögen mit dem Schriftstück nachfolgende Entzifferung eines in Stil und Orthographie wahrhaft barbarischen Wortlauts vergleichen, an welche wir die deutsche Uebersetzung schließen:

(C.) Carolus gratis. Dei rex Francorum et Langobardorum omnibus fidelibus nostris presentibus et futuris illud nobis ad eterna beatitudine retribuere confidemus quicquid ad loca sanctorum uel in stipendia seruorum dei conferimus igetur notum sit omnibus fidelibus nostris qualiter nos ob amore Christe et stabelitate regni nostri caedimus ad monastherio cuius uocabolum est Haereulfisfeldi quem sanctissimus uir Lullo episcopus in honore beatissimorum apostolorum Simonis et Thathei uel citerorum sanctorum cuius pignora ibidem uenerantur uisus est aedificasse cessumque in perpetuo mansurum esse uolemus hoc est decima parte de uilla nostra in pago Torrinziae que dicetur ad Salsunga super fluıuum Uuisera id est cum terris mansis campis pratis siluis pumiferis uuatriscapis aquis aquarumque decursebus gressis et ingressis communiis peruiis sessis salinariis ubi patellas ad sale facere ponuntur cum omnibus aisgenciis ibidem pertinentis quantumcumque ad ipsa decima parte de ipsa curte pertinet et Lullo episcopus antea in nostro beneficio habuit ad die presenti ad prefato loco sancto pro anime nostre remedium ut ipsi apostoli Christe pro nobis in die iudicii intercessores adsistant trademus donamus adque confirmamus perpetualiter ad possedendunı habendi tenendi domenandi commutandi uel quicquid exinde ipsi rectoris ipsius monastherii uel successoris eorum facere decreuirent pro oportunetate ipsius monastherii in omnebus in dei nomine perfruatur eis arbitrius propterea presentem preceptum ordinandum decreuimus quod nos propter nomen Domini et reuerencia loci illius et stabelitate monachorum in eodem monastherio ad sepe dicto monastherio deleganimus nec seua cupiditas nec nulla iudiciaria potestas nullum umquam tempore augeat uiolare sed ut Christo adiouante ad nos uel ad successoribus nostris progenieque nostrorum omnique tempore aelimosina nostra salua et inconuulsa stabelis permaniat manum propriam subter eam decreuimus adfirmari et de annulo nostro siggillare precipemus.

(C.) Hitherius recognoui et (subscripsi S. R.) Signum (Karolus) Caroli gloriosissimi Regis. (L. S.)

Dataui in anno VII regni nostri sub die nonas Ianoarias hactum ad Cariciaco palatii publici in Dei nomine feliciter.


(J. N. Chr.) Karl von Gottes Gnaden König der Franken und Longobarden allen unsern gegenwärtigen und zukünftigen Getreuen! Was wir für die Stätten der Heiligen und zum Unterhalt für die Diener Gottes beitragen, dies wird uns, wie wir vertrauen, zur ewigen Seligkeit verhelfen. Deswegen thun wir allen unsern Getreuen kund, welche Schenkung wir aus Christi Liebe und zur Wohlfahrt unseres Reiches an das Kloster Hersfeld machen, welches der allerheiligste Bischof Lullus zur Ehre der allerseligsten Apostel Simon und Thaddäus, sowie der übrigen Heiligen, deren Reliquien daselbst verehrt werden, mit großer Mühe erbaut hat; und wir wollen, daß die Schenkung für beständig demselben verbleiben soll: das heißt, der Zehnte von unserm Reichsorte Salzungen im Thüringer Lande am Flusse Werra; und zwar vom Grund und Boden, den Hufen, den Feldern, den Wiesen, den Wäldern, den Obstgärten, den Canälen, den Gewässern und Wasserläufen, den abhängigen und unabhängigen Gemeinden, den vorhandenen Salzstätten, wo Siedepfannen zum Salzmachen stehen, sammt allen daran haftenden Nutznießungen. Ueberhaupt Alles, was zum Zehnten des Herrenhofes selbst gehört, und der Bischof Lullus vorher von uns zu Lehn gehabt hat, übergeben wir, schenken wir und beurkunden wir am heutigen Tage der vorhergenannten heiligen Stätte unsers Seelenheiles wegen, damit die Apostel Christi selbst am Tage des Gerichts als Fürbitter uns beistehen, zum beständigen Besitz: es zu haben, zu behalten, zu verwalten, zu vertauschen, oder was auch später die Obern des Klosters selbst oder ihre Nachfolger zum Gedeihen ihres Klosters zu thun für gut befinden; in Allem mögen sie in Gottes Namen nach ihrem Gutdünken schalten. Deswegen haben wir gegenwärtige Urkunde auszustellen beschlossen, und überweisen dieselbe im Namen des Herrn, und aus Ehrfurcht vor jener Stätte und zur Wohlfahrt der Mönche in eben jenem Kloster an das oft genannte Kloster, und es soll weder böse Lust, noch irgend welche richterliche Gewalt es jemals wagen, sie zu verletzen, sondern, damit unser Gnadengeschenk mit Christi Hülfe bei uns sowie unsern Nachfolgern und unsern Nachkommen und für alle Zeiten unversehrt und unverrückt bestehen bleibe, haben wir beschlossen, unsere eigenhändige Unterschrift zum Zeugniß dessen herunterzusetzen, und befohlen, es mit unserm Ringe zu untersiegeln.

(J. N. Chr.) Beglaubigt (und des Königs Namenszug geschrieben): Hitherius. Namenszug (Karolus) des allerglorreichsten Königs Karl. (L. S.)

Gegeben im siebenten Jahre unserer Regierung am 5. Januar; vollzogen auf der Reichspfalz Crecy im Namen Gottes zum Glück und Heil.

In dem wunderlich aufgebauten Namenszuge des großen Kaisers rührt übrigens von dessen Hand, wie die Kundigen wissen, nur das mittlere Stück her, welches a, o und u zusammenfaßt; die übrigen Buchstaben fügte die Kanzlei hinzu. Es wird für nicht wenige unserer Leser von Interesse sein, diesen wenn auch nur kleinen Zug von der Hand des gewaltigen Mannes zu erblicken, den wir an den Anfang der deutschen Geschichte zu stellen gewohnt sind; und die Urkunde ist alt genug, wenn auch eine Anzahl noch älterer aus Karl’s Regierungszeit und selbst deren aus der Zeit Pipin’s und der Merowinger sich erhalten haben. Das Archiv auf dem alten Hessenschlosse zu Marburg (vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1873 S. 395), welches das Document bewahrt, verdankt dem preußischen Regime seine Begründung als Sammelpunkt für die zahlreichen Urkundenreste namentlich der Klöster in und um Hessen.

Salzungen verdient indeß nicht blos seines Alters, sondern auch seiner Saline und Bade-Anstalt, der Sulzberger’schen Stiftung und der anmuthigen Umgebung wegen nähere Beachtung. Wir bemerken gleich hier, daß die von etwa vierthalbtausend Seelen bewohnte Stadt zwischen Meiningen und Eisenach an der Werrabahn, am linken Ufer der Werra und am Zusammenfluß der Silge und Armbach liegt; hier war die uralte Südgrenze Thüringens, hier stießen einst der fränkische, obersächsische und oberrheinische Reichskreis zusammen, und noch heute bildet das Salzunger Weichbild den Grenz- und Uebergangspunkt von fränkisch-hennebergischer und thüringischer Sprache und Volksart, gerade wie die Ausläufer des Thüringerwald- und des Rhöngebirgs sich hier über die Werra hinüber begrüßen.

Das Alter des Salzwerks und die Anfänge des Orts würden vielleicht noch um sieben Jahrhunderte weiter zurückzuführen sein, wenn der römische Geschichtsschreiber Tacitus (XII, 57) die Oertlichkeiten, wo er im Jahre 59 nach Christi Geburt die deutschen Völkerschaften der Katten und Hermunduren sich um die Salzquellen an ihrem Grenzflusse hart bekämpfen läßt, deutlicher bezeichnet hätte. Da aber Hessen-Allendorf und Kreuzburg an der Werra mit demselben Rechte jene Stelle des Tacitus auf sich beziehen können, so ist Salzungen mit seiner feststehenden elfhundertjährigen Ehre zufrieden. Dagegen ist bemerkenswerth und durch viele Ausgrabungen bewiesen, daß das Verfahren, das Salz dadurch zu gewinnen, daß die Soole über einen in Brand gesetzten Holzhaufen geschüttet und verdampft wird, genau wie Tacitus es beschreibt, in ältester Zeit in Salzungen stattfand.

Die Entwickelungsgeschichte des Salzunger Salinenwesens kann nicht Gegenstand dieses Artikels sein; im Allgemeinen lehrt sie uns, daß das starre Festhalten am Alten auch hier für jede Verbesserung, jeden Fortschritt einen harten Kampf nöthig machte, und daß auch hier der Lohn des Sieges den Besiegten zu Gute kam. Die Theilhaber an der Pfännerschaft wie die Arbeiter befanden sich so wohl, daß vor dem Dreißigjährigen Kriege Salzungen von seinen Nachbarn „das Silberstädtchen“ genannt werden konnte. Eine dreizehnmalige Plünderung und Verheerung während dieses deutschen Elends richtete Stadt und Salzwerke zu Grunde. Die Stadt hat erst jetzt, nach mehr als zweihundert Jahren, die vormalige Einwohnerzahl wieder erreicht; sie erholte sich hauptsächlich an den wiedererstandenen und mit jeder neuen Verbesserung bedachten Salinen, deren Erzeugniß in letzter Zeit bis auf zweihundertdreißigtausend Centner gestiegen war. Die Gründerzeit ging auch an dieser altehrwürdigen Pfännerei nicht ohne Einwirkung vorüber: seit 1872 ist die Saline im Besitze einer Actiengesellschaft.

Derselbe Widerstand, welcher sich so lange Zeit den Fortschritten des Salinenbetriebs entgegenstemmte, war auch bei der Anlegung der Badeanstalt zu überwinden. Erst im Jahre 1801 wagte es ein tapferer Mann, der bekannte weimarische General von Seebach, angelockt von der Schönheit der Gegend, sich Salzungen zum Ort einer Badecur zu wählen. Diesmal glückte es der einen Schwalbe, einen Sommer herbeizurufen, an welchem die Stadt sich noch heute erwärmt. Da aber Berichte über Bäder grundsätzlich aus dem Gebiete der „Gartenlaube“ ausgeschlossen sind, so verweisen wir unsere Leser hinsichtlich dieses Gegenstandes auf R. Hertel’s und Dr. Wagner’s Schriften über das „Soolbad Salzungen“. Die reizende Lage des Curhauses deutet unsere Illustration genügend an.

Wenn das Städtchen selbst auch nicht mit besonderen Sehenswürdigkeiten [484] aufwarten kann, so besaß es doch und besitzt noch Männer, deren Wirken und Wesen allgemeine Beachtung verdient.

Als ersten derselben nennen wir den Dr. Johann Christian Sulzberger. Der Mann hat das Seltene geleistet, ein von ihm erfundenes Geheimmittel nicht zu seinem, sondern zum Besten einer in ihrer dermaligen Entwickelung bedeutenden wohlthätigen Stiftung auszubeuten. Er war dreißig Jahre lang (seit 1773) Stadt- und Landphysikus in Salzungen. Seine Landpraxis mochte ihn in manchen einsamen Waldort geführt haben, wo er die Noth der Leute kennen lernte, die in Krankheitsfällen stundenweit nach Arzt und Apotheke schicken müssen. Hier war ein Bedürfniß zu befriedigen, welches in früher Zeit auch schon die Olitätenfabrikanten und Balsamsträger in’s Leben gerufen und den „Hoffmännischen Tropfen“ zur weiten Verbreitung geholfen hatte. Er erfand seine sogenannte „allgemeine Flußtinctur“, die als „Salzunger Tropfen“ noch jetzt zu den

Der Hünische Hof in Salzungen.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von H. Heubner.

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beliebten Hausmitteln gehört und, wie er selbst in seiner „Gebrauchs-Anweisung“ auseinandersetzt, „zur Erhaltung einer guten Gesundheit durch Beförderung der Verdauung, Absonderung und Abführung, sowie durch Verhütung und Heilung aller aus einer Störung derselben entspringenden Krankheiten“ bestimmt sind. Das Recept dieser Tropfen ist, als Geheimniß bis heute bewahrt, bei der Stadtbehörde niedergelegt und wird für die „Sulzberger’sche Stiftung“ verwerthet, ein Krankenhaus, in welchem einheimische und fremde Arme unentgeltlich Pflege und ärztliche Behandlung erhalten und mit welchem neuerdings eine Kleinkinderbewahranstalt verbunden worden ist. An der Straße nach Lengenfeld liegt das massive Gebäude mitten in einem Garten und zeugt von der einzig würdigen Benutzung eines Geheimmittels.

Auch für die Freunde der Tonkunst ist in der kleinen Stadt ein großer Genuß erwachsen: der „Salzunger Kirchenchor“ unter der Leitung des Musikdirectors Bernhard Müller, ein Seitenstück zu dem „Riedel’schen Verein“ in Leipzig (vergleiche „Gartenlaube“ 1869, S. 564 f.) und, wie dieser, durch die Aufführung der schwierigsten Stücke von der altitalienischen Schule bis zu den jüngsten deutschen Meistern der Kirchenmusik in weiter Ferne hoch gewürdigt. Der kunstsinnige Herzog von Meiningen gewährte seiner Zeit dem Begründer des Chors die Mittel, nicht nur alle hervorragenden musikalischen Kunstinstitute Deutschlands kennen zu lernen, sondern auch in Rom den Gesang der Sixtinischen Capelle zu studiren. Gleich dieser singt der Salzunger Kirchenchor nur a capella, das heißt ohne obligate Instrumentalbegleitung. Müller ist gegenwärtig auch mit der Oberleitung über alle Kirchenchöre des Landes betraut.

Sollen wir neben diesen beiden Männern, Sulzberger und Müller einen dritten verschweigen, weil nicht ragende Gebäude und bewunderte Töne für ihn sprechen? Hat doch die „Gartenlaube“ schon vor dreizehn Jahren ihn ihrem Leserkreise genannt und sein tragisches Schicksal erzählt. Noch lebt der „blinde Wegweiser, Sagenforscher und Dichter“, der einundsiebenzigjährige Ludwig Wucke, der, nun achtundvierzig Jahre lang blind, nachdem er vorher mit ganzer Seele in der Farbenwonne der Landschaftsmalerei geschwelgt, in seinem treuen Gedächtniß das Bild seiner Heimath noch heute so bestimmt in sich trägt, daß er für ihre Schönheit sich und Andere zu begeistern vermag. Unserem Artikel von 1865 (S. 496) über ihn haben wir nachzutragen, daß er seitdem seine Sagenforschung auch über das Rhöngebiet ausgedehnt hat. Auch diese ihm wildfremden Gegenden durchwanderte er meist ohne Führer, nur auf seinen langen Stab sich verlassend und freilich auch von manchem Abenteuer überrascht. Seine in Henneberger Mundart erschienenen Poesien sichern ihm einen hohen Rang unter den deutschen Dialektdichtern.

Folgen wir nun unserm „Wegweiser“ in die Umgebung der Stadt! Der schönste Schmuck derselben ist im Südosten der Burgsee. Man sieht es den Anlagen und Gärten, Villen und öffentlichen Gebäuden, welche die Ufer umrahmen, an, daß dieses „schönste lebengebende Auge der Stadt und Umgegend“ als ein Kleinod betrachtet wird. Der Wasserspiegel des Sees nimmt 10,5 Hektare ein; man umwandelt denselben binnen einer Viertelstunde auf einem Wege, welcher bei jeder Wendung ein neues reizendes Landschaftsbild vor uns entrollt, sowohl hinsichtlich der Formen, wie der Farben.

Eine eigenthümliche Erscheinung dieses „Burgsees“, der, nebenbei gesagt, nirgends die Tiefe von hundert Fuß erreicht und seine Entstehung einem gewaltigen Erdfall verdankt, ist sein sogenanntes „Kochen“ und „Blühen“. Jenes soll von Schwefelwasserstoffgas herrühren, ist besonders an der Westseite bemerkbar und zu allen Zeiten möglich, während das Blühen nur von Juni bis August stattfindet, wo eine Algenbildung die Seefläche mit einer grünen, dünnen Haut überdeckt. Mancherlei Vermuthungen über einen unterirdischen Zusammenhang des Sees mit dem Meer rief die Wahrnehmung hervor, daß derselbe an dem großen Erdbeben von Lissabon, am 1. November 1755, betheiligt gewesen zu sein schien. Wie die Quellen von Teplitz und der Mühlstädtersee in Kärnthen, gerieth auch der Salzunger Burgsee zur Zeit jenes Erdbebens in starke Bewegung. Das Wasser wurde nach der Mitte hin in einem trichterförmigen Wirbel so weit hinabgerissen, daß aus der Tiefe die Felsen des Grundes emporstarrten, und als es wieder heraufdrang, war es mit einem schwarzen Schaum bedeckt.

Niemand sieht es dem klaren Auge der im Sonnenlicht spielenden Wasserfläche an, daß so Seltsames mit ihr geschehen konnte. Wer aber eine Strecke südwärts vom See in der sogenannten „Grube“, einem in lauschige Anlagen umgewandelten ehemaligen Sandsteinbruch, ein kleines Seitenstück desselben, die Teufelskutte, und eine, halbe Stunde weiter, bei Wildprechtsrode, einen dritten Erdfall, den Buchensee, besucht und ihre unheimlichen dunklen Gewässer gesehen hat, den wird die Nachricht von geheimnißvollen unterirdischen Beziehungen ihres freundlicheren Nachbars nicht mehr befremden. Jetzt zeigt uns sein Friedensbild auf unserer Illustration zur Linken das Curhaus, rechts davon einige Villen, dann auf dem Plateau der steil zum Gestade abfallenden Felswand, der Stätte einer ehemaligen sehr starken Burg, der „Schnepfenburg“, gegen welche sogar deutsche Kaiser, wie Otto der Vierte und Adolph von Nassau, hart zu ringen [485] hatten, ein modernes, nun als Sitz oberer Behörden dienendes Schloß; dahinter die Stadtkirche. Wieder einige Villen und Häuser, dann der auch in besonderer Abbildung beigegebene sogenannte Hünische Hof. Zur Vertheidigung der Schnepfenburg waren in frühester Zeit vier Burgmänner (milites burgenses) bestellt, welche ihre Wohnsitze in Kemenaten neben der Burg hatten. Der Hünische Hof, die einzige noch stehende dieser Burgmännerheimstätten, hat seinen Namen von einem seiner Besitzer oder Erbauer erhalten; durch seine Bauart und die üppigste Epheuberankung fesselt er leicht den Blick. Vom Schloß bis hierher ist am Ufer die tiefste Stelle des Sees.

Salzungen mit dem Burgsee.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von H. Heubner.

Durch die düsterromantische „Grube“ führt ein anmuthiger Weg zur heitersten Stätte Salzungens, zum Gesellschaftsgarten des „Seebergs“ hinan. Hier, zwischen reizenden Parkanlagen und unter dem Schatten breitästiger Kastanien rollt sich ein farbenreiches Landschaftsbild vor dem Beschauer auf, dessen Hauptschmuck See und Stadt, der Werragrund mit dem schimmernden Fluß und den fruchtbaren Hügeln und hohen langgestreckten Waldbergen hinter ihm bildet, sowie den Gruppen von Dörfern und Gehölzen auf dem grünen Plan der Thäler. Bedeutend weiter in die Runde und Ferne greifend wird die Aussicht, wenn man die höhere „Schanze“ (vom Dreißigjährigen Kriege her so genannt) ersteigt, aber den schönen Bildern des Mittelgrundes zu weit entrückt, bleibt sie an Anmuthigkeit immer hinter der des Seebergs zurück. Auch die Einsicht ist hier gut. Hier perlt der Gerstensaft aus den eisigen Felsenkellern der „Grube“; hier dampfen die Thüringer Rostbratwürste, und wenn das Musikcorps jenes Musiktalents (Mühlfeld’s), das sich vom einfachen Maurergesellen zum Director einer der besten Stadtcapellen aufschwang, das berühmte Echo des Sees erweckt, so gestehen die Gesunden und doppelt freudig die Genesenden aus der Heimath wie der Fremde dankbar ein, daß dieser anspruchslose Winkel Deutschlands zu denen gehört, die man ungern verläßt und immer gern wieder begrüßt.

Fr. Hofmann.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Photographie ist von einem Bilde abgenommen, welches Herr O. von Alvensleben gemalt hat. Vergl. Nachträgliches in Heft 49.