Eine Geschichte aus der Mitte Frankens vom Jahr 1791
Mitten in Franken, in dem reichsritterschaftlichen Ort M. ist der Schauplatz dieser Geschichte. Die Einwohner sind theils protestantisch, theils katholisch. Ein protestantischer Reichsfürst ist Lehnherr, setzt den Pfarrer seiner Religion, und behauptet daselbst alle Rechte der geistlichen Hoheit. Nach einem besondern Receß gehört auch die Entscheidung der Ehesachen, sogar der katholischen Religionsverwandten dahin. Die katholischen Einwohner werden übrigens von einem Geistlichen ihrer Religion aus der Nachbarschaft besorgt, der von einem katholischen Reichsfürsten und Bischoff abhängt; der Vasall- und Gerichtsherr, der mit diesem Ort beliehen ist, bekennt sich zu eben dieser Religion und hat die weltliche Gerichtbarkeit über die Einwohner des Orts, einem in der Nähe wohnenden Beamten katholischer Religion, übertragen.
| Daß unter diesen Umständen leicht eine Collision der verschiedenen Rechte und Absichten entstehen könne, läßt sich leicht denken.Hier lebte Caspar S. protestantischer Religion, ein Mann von ziemlich beträchtlichem Vermögen. Seine einzige Tochter gefiel dem im Wirthshaus dienenden katholischen Knecht F. S. Fünf Jahre lang bewarb er sich vergeblich um das Mädchen, indem er die Freundschaft ihrer Mutter suchte und erhielt. Der Vater versagte sie ihm, nicht ohne Grund, und blieb hartnäckig auf seiner Gesinnung.
F. S. drang in seine Geliebte, ihre Religion mit der katholischen zu vertauschen; aber vergeblich. Sie erklärte ihre Abneigung selbst vor Gericht bey dem katholischen Beamten; dieser äusserte: die Religion gehöre zur Gewissensfreyheit, wies aber beyde zum katholischen Pfarrer, welcher die Achseln zuckte, da er die Verweigerung des Vaters erfuhr.
Der Vater des Mädchens, erzürnt über eine heimliche Begünstigung des Liebhabers, gibt im Eifer seiner Frau eine Ohrfeige. Sie verklagt ihn bey dem Beamten. Er wird in den Thurm geworfen, und in| drey Wochen nur einmahl verhört; man hält ihm die Aussage eines Zeugen, der sein Feind ist, vor: daß er seine Frau habe ermorden wollen. Seine Rechtfertigung, sein Flehen ist vergeblich. Er wird verurtheilt, als Recrut auf vier Jahre nach Brabant zu wandern. Schon stehen Wagen und Pferde zum Transport bereit, der 54 jährige Mann, der Gatte, Vater, und dessen Lebenswandel unsträflich, dessen Vermögen ziemlich ansehnlich ist, soll wegen einer gerechten Züchtigung seiner Frau, und zwar, weil die Werber auf sechs Jahre in der Folge bestehen, so lange des Landes verwiesen seyn. – Aber plötzlich bewirkte ein Befehl des Gerichtsherrn, der durch die Verwendung der Frau des Verurtheilten erweicht wurde, dessen Loslassung.F. S. wollte nun, wie er sich ausdrückte, seinen Schimpf bezahlt haben. Der katholische Pfarrer trug darauf an, daß der evangelische mit dem Aufgebot des neuen Paares inne halten sollte. Dieser berichtete die Sache an sein geistliches Untergericht, welches auf diese Veranlassung beyde Theile, und zwar den F. S. bey Verlust seines Widerspruchs, zur rechtlichen Erörterung der Sache vorlud. F. S. blieb aus, und wurde seiner Ansprüche für verlustig erkannt.
Inzwischen erließ der katholische Beamte an den evangelischen Pfarrer nachfolgenden Brief:
„Was ich bey Deroselben gestern werthesten Visit zu vernehmen hatte, im Betreff der von F. S. daselbst machenden Rückforderung von jenen an des C. S. Tochter ausgehändigten oder an derselben verwandten Kosten wird es immer darauf bestanden, bis der klagende Theil wird befriediget seyn, welcher ohnvermeidlich wird hinterlegt werden können, um so mehr Beklagtin den F. S. durch sechs Jahre lang angedauerte| Verwandschaft veranlaßet, und sogar ohnlängst in Beyseyn 2er Männer bey mir im Hause gegenwärtig wortdeutlichen sich erlassen, nicht von ihm F. S. zu bleiben. Wie denn diese zu diesseitigen Herrn Pfarrer sich verfüget, wo sich dorten das nähere ergeben wird. Ich lege Ewr. etc. „das inhibitorium vor, nicht zu copuliren, bis die Befriedigung des F. S. quoad acquitatem restitutionis und die Mitgab der C. S. wird schriftlich zum Amt eingebracht worden seyn. Womit nebst vorzüglichster Veneration die Ehre hat zu seyn“ etc. etc.Zugleich stellte der katholische Pfarrer folgendes so betiteltes Zeugniß aus:
„Auf geziemendes Ansuchen des F. S. habe ich aus aufhabender Seelsorglicher Pflicht attestiren sollen, daß die Ehrbare Barbara S. von M. in meinem Pfarrhause, und in meiner Gegenwart ihm F. S., auf meine Frage: „Ob sie ihn denn zur Ehe nehmen wolle“ mit einem gedoppelten Ja geantwortet – – – richtig und wirklich genommen habe, und sogar sich bey mir als eine Proselytin unsers catholischen Glaubens gemeldet, und ihr gethanes Eheversprechen mit dem Siegel eines neuen Glaubensbekenntnißes bekräftigen| wollte. Was für eine Gewissensverbindlichkeit ein so feyerliches Versprechen in Gegenwart eines Pfarrers, der in seiner Eigenschaft gewiß die gewöhnlichen Zeugen überwieget, auf beyden Theilen der Eheverlobten nach sich ziehe, und wozu der refilirende Theil müße angehalten werden, wissen Sie Herr Pfarrer und ich zu unsrer beyderseitigen Überzeugung. Übrigens gratulire ich Ihnen zu ihrer gemachten Beute, die ich schon lange hätte erobern können, wenn ich ein Liebhaber von Proselytenmacherey wäre. Bey uns muß man geprüft werden, und wer die Probzeit nicht aushalten kann, ist eben darum unsers Glaubens nicht würdig. Und so ist gegenwärtiger Fall. Doch belieben Sie zu merken, daß inter refilientem proselytam und sponsam ein sehr großer Unterschied sey.“Ein Protestations-Schreiben des geistlichen Untergerichts an ihn, worinnen jene Forderungen unter vorliegenden Umständen für unstatthaft und erloschen erklärt wurden, blieb unbeantwortet, unter der Äusserung: „Man müßte zehn Köpfe und sechs Hände haben, wenn man auf Alles antworten wollte.“
Es erging von Seiten des Lehnherrn eine Aufforderung an den Gerichtsherrn als Vasallen, die bischöfflichen Gerechtsame zu M. in diesem und einigen andern Vorfällen, nicht länger kränken zu lassen; und zugleich erging eine Beschwerde an die Regierung, unter welche der katholische Pfarrer gehörte, über dessen Eingriffe und auf einen Gewissenszwang abzielende Zudringlichkeiten.
Letztere blieb, wie sehr häufig der Fall ist, unbeantwortet. Jener aber erklärte das Verbot der Trauung also: F. S. habe vorgestellt: das Schneiderhandwerk wolle ihn nicht als Meister annehmen, wenn er nicht für die ihm abgehende Wanderjahre 10 fl. zahlen würde, er bitte also, ihm dieses Geld zu erlassen. Aus Polizeyursachen sey das Gesuch abgeschlagen worden, und| dieses möge den Beamten zu dem Verbot veranlaßt haben. Er sey aber angewiesen, zu keiner Sache mit zu wirken, welche die bischöfflichen Rechte des Lehnherrn schmälern könne, auch das Vergangene, so viel nur von der weltlichen Obrigkeit abhänge, wieder gut zu machen.Die Stelle des katholischen Beamten wurde nach diesem einem andern anvertrauet, von dessen Geschicklichkeit und billiger Denkungsart sich jedermann ein nachbarliches Betragen verspricht.
Die Verlobten waren inzwischen, der Hindernisse und Kosten überdrüßig, wieder auseinander gegangen, der Vater der Braut hatte dem Bräutigam die Draufgabe zurückgegeben; sie selbst die Braut aber verdingte sich als Magd, kam zu dem katholischen Pfarrer, wurde von ihm in den Grundsätzen dieser Religion unterrichtet, und schwur vor dem Altar, mit der brennenden Wachskerze in der Hand, ihren evangelischen Glauben ab!
Sollte der Anschein von Proselytensucht, welcher dem unparteyischen Leser dieser seltsamen Geschichte in die Augen fällt, sollte der wohl gegründet, mehr als ein bloßer Schein seyn? Sollte die Absicht, die| wankelmüthige Dirne, wider ihres Vaters und ihres Verlobten Wunsch, zu dem Entschluß zu bestimmen, den sie endlich noch ergriff, wirklich die geheime Triebfeder mancher, sonst schwer zu erklärenden Auftritte gewesen seyn?Und läßt sich wohl ein solches Verfahren mit den ächten Grundsätzen der Religion, mit der Aufklärung unsrer Zeiten, mit der duldenden und edeln Gesinnung des erhabenen Fürsten vereinigen, unter dessen bischöfflichen Sprengel jener Geistliche gehöret, der in dieser ganzen Geschichte die Hauptrolle gespielt zu haben scheinet? –
Dieß sind die Fragen, welche mir bey Durchlesung einer umständlicheren Erzählung meines Freundes einfielen, aus welcher ich diesen kurzen Auszug genommen habe, den ich dem unbefangenen Publicum zur Prüfung und Beurtheilung, den von der schlimmen Seite dabey befangenen Personen aber zur etwanigen Berichtigung vorlege.