Eine Herberge der Geächteten

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Autor: Otto Henne-Am Rhyn
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Titel: Eine Herberge der Geächteten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 42–44
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Die Schweiz, ein Asyl für politische Flüchtlinge
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Eine Herberge der Geächteten.


Es ist ein eigener poetischer Reiz, der trotz alles Elends und Kummers der Verbannung Diejenigen umschwebt, welche ihrer Gesinnungen wegen ihr Vaterland fliehen müssen. Solcher Unglücklichen und doch um ihres Leidens für eine gerechte Sache willen Beneidenswerthen hat seit bald tausend Jahren kein Land mehr gesehen, als die kleine Schweiz, die es von jeher nicht nur als eine Pflicht betrachtete, sondern als ein Recht förmlich in Anspruch nahm, politische Flüchtlinge zu beherbergen und gegen Verfolgungen zu schützen. Erst in neuester Zeit hat ihr in dieser Beziehung Amerika, und theilweise auch England, den Rang abgelaufen, während die monarchischen Staaten des europäischen Festlandes wohl schon viele Flüchtlinge geliefert, aber noch wenig oder keine solche aufgenommen haben – Beides aus sehr naheliegenden Gründen. Namentlich theilen Deutschland und Rußland sich in den wenig beneidenswerthen Ruhm, niemals einem politischen Flüchtling Asyl gewährt zu haben. Es ist gewiß nicht sehr übertrieben, wenn wir sagen, daß die Geschichte der in der Schweiz Zuflucht suchenden politischen Verbannten eine kleine Weltgeschichte bilden würde; denn in einer solchen Flüchtlingsgeschichte müßten nothwendig alle irgendwie wichtigen politischen Umwälzungen der europäischen Staaten Erwähnung finden. Einige Beispiele sollen dies über allen Zweifel erheben.

Der erste Flüchtling von Bedeutung, den die Schweiz aufnahm, war der berühmte italienische Reformator und Märtyrer Arnold von Brescia. Wegen seines Eiferns gegen die Fäulniß der Kirche auf einem Concil in Rom als Ketzer verdammt, floh er im Jahre 1141 über die Alpen, wurde in Zürich aufgenommen und beschützt und fand mit seinen hellsinnigen Lehren großen Anklang in Stadt und Landschaft. Als er aber nach vier Jahren die Rückkehr in sein Vaterland wagen zu dürfen glaubte und in Rom eine Republik errichtete, befleckte der große Friedrich Barbarossa, vom Papste zu Hülfe gerufen, seinen Ruhm dadurch, daß er den Mann des Volkes verbrennen und seine Asche in die Tiber werfen ließ. Wahrlich, wenn der vielbelobte Hohenstaufe nach der Volkssage wieder aus dem Kyffhäuser erstünde, er würde sicherlich ganz anders handeln, als gutmüthige Schwärmer sich denken. Die „Gartenlaube“ würde er jedenfalls sofort vernichten! Und vom Standpunkte mittelalterlichen Kaiserwahnes hätte er ganz Recht!

In der Reformationsperiode empfing die Schweiz zwei Flüchtlinge von sehr verschiedenem Charakter, obschon von demselben Vornamen. Beide gehörten dem deutschen Adel an, nur war der Eine ein durch Aussaugung des Volkes reichgewordener Fürst, der Andere ein durch die Verfolgungen von Seiten Vornehmer arm gewordener Ritter. An Geist war dagegen der Fürst sehr arm, der Ritter sehr reich. Es waren, um uns kurz zu fassen: Herzog Ulrich von Württemberg, der sich umsonst anstrengte, mit Hülfe der Schweizer sein Land wieder zu erobern, und Ulrich von Hutten, dessen kranker Leib und müder Geist auf der lieblichen Insel Ufenau im Zürchersee eine Ruhestätte fanden. Den beiden Extremen, deren Aufenthalt in der Schweiz eine besondere Darstellung reichlich beschäftigen könnte, folgten die Opfer der französischen Hugenottenkriege, unter ihnen der von der katholischen Inquisition seines Vaterlandes vertriebene und in seinem Asyle Genf selbst zum protestantischen Inquisitor gewordene dämonische Charakter des Reformators Calvin. Fernere Glaubensgenossen dieser Flüchtlinge trieb unter Ludwig des Vierzehnten eiserner und blutiger Despotie die Aufhebung des Edicts von Nantes nach Helvetiens Gauen. Als dann in Frankreich die revolutionären Ideen aufzuflammen begannen, mußte auch ihr größter Prophet auf der Insel eines Schweizersees, wenn auch nicht sterben, doch das Brod der Verbannung essen, und noch jetzt ist J. J. Rousseau’s Zimmer auf der St. Peters-Insel im Bieler-See der Wallfahrtsort aller Bewunderer jenes Apostels der Demokratie. Wie er, der die Grundsätze der französischen Revolution in seinem „Contrat Social“ zuerst ausgesprochen, ein Schweizer (Genfer), so war dies auch der, welcher umsonst den Ausbruch des Vulcans zu dämmen suchte, der Finanzminister Necker; ja einer der blutigsten Schreckensmänner der französischen Revolution, Marat, war ebenfalls Schweizer, er stammte aus dem jetzigen Canton Neuenburg. Manche Verfolgte der Schreckenszeit, Märtyrer des Königthums, Märtyrer der Freiheit und Märtyrer der Anarchie (unter ihnen nicht zu vergessen der Sohn eines berüchtigten Schreckensmannes, des proteusartigen Egalité, Louis Philipp, der spätere König), flohen nach der Festung zwischen Alpen und Jura, und hart an ihren Grenzen, die ihm leider zu erreichen nicht vergönnt war, starb im dumpfen Kerker des Schlosses Joux der Neger Toussaint Louverture, der Hayti zu befreien versucht hatte.

Während aber im Westen Europas ein Volk seinen Monarchen tödtete, wurde im Osten ein Volk gemordet. Der edelste Held desselben, der ahnend „Finis Poloniae“ gerufen, fand bei Solothurn ein Asyl, und zu Kosciuszko’s Grab wallen noch fort und fort trauernde Söhne dieses unglücklichsten der Völker. Die Zahl der Flüchtlinge endlich, welche die Revolutionen des gegenwärtigen Jahrhunderts nach der Schweiz getrieben, ist Legion; wer zählt die Völker, nennt die Namen? Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier, Griechen, Polen, Russen, Ungarn etc., auch ein Schwede, nur einer, aber ein König. Und ein anderer dieser Flüchtlinge lenkt jetzt die europäische Politik!

Gelangen wir endlich zum Gegenstande, der uns heute speciell beschäftigen soll. Die englische Revolution ist eine eigenthümliche Erscheinung; mir kommt sie vor wie ein Steinrelief, während die [43] französische Revolution an ein farbensattes, vorherrschend blutrothes Gemälde erinnert. Jene hartgesottenen, Psalmen singenden und Bibelsprüche hersagenden und wieder wie das Donnerwetter dreinschlagenden Krieger Cromwell’s mit ihren Kanonenstiefeln, Büffelkollern, Korbdegen und Knebelbärten, wie stechen sie ab von den ebenso todverachtenden, aber die Marseillaise und das Ça ira kreischenden, rasirten Sansculotten mit unaussprechlicher Costumirung! Ueber ein Jahrzehnt herrschte in England dies republikanische Muckerthum, mit den unaussprechlichen ellenlangen Namen seiner Bekenner. Doch zählen die englischen Republikaner auch eine Reihe der edelsten und ehrenwerthesten Charaktere zu den Ihrigen – so den unsterblichen Milton, den nordischen Dante – die sich vom pietistischen Schwindel fern hielten. Zu ihnen gehörte auch der Generallieutenant Edmund Ludlow, ferner Say, Lisle, Broughton u. A. Alle hatten im Gerichte über Carl den Ersten gesessen, Say als Vicepräsident, Broughton als Secretär, der dem gestürzten Könige das Todesurtheil vorlesen mußte.

Als der Verräther Monk sein Vaterland wieder den wortbrüchigen Stuarts und namentlich dem sitten- und charakterlosen Carl dem Zweiten überlieferte, flohen die überzeugungstreuen Männer, während die Masse, die das Muckerspectakel mitgemacht, dem gekrönten Wüstlinge zujubelte, theilweise nach dem Auslande; die, welche dies nicht thun konnten oder wollten, verfielen dem Henkerbeile. Ludlow gelangte mit einigen Genossen 1660 nach Genf. Die größte Besorgniß um ihr Schicksal erfüllte sie, als sie vernehmen mußten, daß einige ihrer Schicksalsgenossen von der Republik (!) Holland aus Handelsrücksichten an das englische Königthum ausgeliefert worden seien. Die Nachbarschaft des ihren Grundsätzen feindlichen und den Stuarts ergebenen Frankreichs verstärkte ihre Besorgniß. Genf war damals von einem engherzig calvinistischen Krämergeiste beherrscht und theilte seine Bevölkerung auf indisch-ägyptische Weise in mehr und weniger berechtigte Kasten. Der Syndik (Bürgermeister) versprach zwar den englischen Flüchtlingen, wenn etwa Reclamationen in Bezug auf sie einlaufen sollten, sie sogleich davon zu benachrichtigen und, wenn es etwa gerade Nacht wäre, sie durch das Wasserthor (das auf den See führende) hinaus zu lassen. Von einem Schutze der Verfolgten aber war keine Rede. Ein Schutzgesuch, das wider ihren Willen von ihren Genfer Freunden dem Rathe eingegeben wurde, scheiterte an dem Widerstande eines hochgestellten Bankiers, dem die Krone Englands bedeutende Summen schuldete. Die Flüchtlinge, denen der Syndik nun auch jene erste Zusage länger zu halten sich weigerte, fuhren jetzt auf dem schönen Leman nach dem Gebiete des Cantons Bern. Dieser umfaßte zwar von seinem jetzigen Gebiete blos den südlich von der Jurakette liegenden Theil, dafür aber die westliche Hälfte des jetzigen Cantons Aargau, welche die Berner im fünfzehnten Jahrhundert Oesterreich, und den ganzen jetzigen Canton Waadt, den sie im sechszehnten Savoyen abgenommen hatten. Dieses gesammte Gebiet gehorchte einer Anzahl „regimentsfähiger“ Geschlechter der Stadt Bern. Ursprünglich war diese demokratisch organisirt, aber die Räthe hatten nach und nach dem Volke die Besetzung ihrer Stellen abgeschwindelt und mit der Zeit dieselben sogar in ihren Familien erblich und lebenslänglich zu machen gewußt. Solcher „regimentsfähigen“ Familien gab es dreihundertundsechszig; in der That befanden sich jedoch damals blos achtzig im Besitze der Rathstellen, die durch Todesfälle auf zweihundert herabschmelzen, aber nicht mehr als zweihundertneunundneunzig betragen durften und ganz ungescheut von Vätern an Söhne und Schwiegersöhne, von Brüdern an Brüder vergeben wurden. Trotz dieser herrschenden Corruption thaten die Berner Patricier so viel für das materielle Wohl des Volkes und für Kunst und Wissenschaft, daß sich daran manche Demokratieen oder constitutionelle Monarchieen ein Beispiel nehmen könnten. Auch bezüglich des Schutzes, den Flüchtige suchten, sind jene Patricier mit Recht in neuerer Zeit manchen im Jahre 1849 gegen fremde Mächte allzu geschmeidigen Staatsmännern als Muster entgegengestellt worden.

Unsere englischen Flüchtlinge, deren sich namentlich der Berner Prediger, Dekan Heinrich Hummel, welcher in Oxford und Cambridge studirt hatte und daher die Sprache seiner Schützlinge vollkommen verstand, und der „Seckelmeister“ (Finanzminister) Steiger energisch annahmen, ließen sich nun theilweise in Vevey, theilweise in Lausanne, den berühmten Glanzpunkten des unvergleichlichen Sees, nieder. Die Stadtbehörden und das Volk wetteiferten, ihnen mit Wohlwollen, ja mit Begeisterung entgegen zu kommen.

Nach altschweizerischer Sitte wurde ihnen der beim Empfange eidgenössischer Gesandtschaften übliche „Ehrenwein“ gereicht, und die Beamten versicherten sie, „daß die Leiden, welche sie für die Freiheit ihres Vaterlandes erduldet haben, der Hauptbeweggrund der ihnen bewiesenen Dienstbeflissenheit seien.“ In den Kirchen wurden ihnen besondere Ehrenplätze angewiesen. In diesem freundlichen Asyle überraschte sie der Besuch eines der berühmtesten und ehrenwerthesten ihrer Gesinnungsgenossen, der für seine Liebe zur Freiheit später im Vaterlande seinen Kopf dem Henkerbeile darbieten mußte. Es war der gefeierte Algernon Sidney, der aus Italien, wo er seit der Restauration der Stuarts Zuflucht gesucht, durch die Schweiz reiste, um nach Flandern zu gelangen und in der Nähe Englands zu gewärtigen, ob er seinem Vaterlande von Nutzen sein könne. In Bern stattete er persönlich der Regierung seinen wärmsten Dank für den seinen Landsleuten gewährten Schutz ab und forderte diese auf, dasselbe ebenfalls zu thun. Ludlow begab sich deshalb mit zweien seiner Genossen nach Bern und drückte der Regierung, da er weder Französisch noch Deutsch geläufig sprechen konnte, in einem französisch abgefaßten Briefe seinen Dank aus. Mit dem guten Prediger Hummel konnten die Verbannten dagegen in ihrer geliebten Muttersprache verkehren. Der Schultheiß, das Haupt Berns, an Rang und Macht damals wohl nur dem Dogen von Venedig vergleichbar, empfing die Fremdlinge freundlich und die Regierung gab ihnen ein Ehrengastmahl, bei welchem sie selbst sich durch drei ihrer Mitglieder vertreten ließ. Die Engländer mußten diesen Würdenträgern die Geschichte des Sturzes ihrer Partei erzählen, die mit großem Interesse angehört wurde, und an ihrer Seite öffentlich die Kirche besuchen, wobei der „Großwaibel“ (eine Art Herold der Republik) mit dem Amtsstabe voranschritt.

In Vevey am Genfersee wieder angekommen, erfuhren die Flüchtlinge, daß ein Irländer, Namens Riardo, angeblich im Gefolge der Herzogin von Orleans, in Turin angelangt sei, um einen Anschlag gegen ihr Leben auszuführen. Zugleich gab sich die französische Regierung dazu her, von Bern die Auslieferung der englischen Republikaner zu verlangen. Briefe aus Turin, Genf und Lyon setzten diese wiederholt von „Mordanschlägen kecker Banditen“ in Kenntniß. Nun wurde Riardo auch im Waadtlande gesehen. Als der Hauswirth Ludlow’s und seiner Gefährten am 15. November 1663 früh in die Kirche ging (es war Sonntag), bemerkte er am Seeufer ein Boot mit vier Schiffern, das, die Ruder gerüstet, wie zur Abreise bereit war. In der Nähe standen und saßen sechs Männer in Mänteln. Er erzählte dies sofort seinen Gästen und hatte inzwischen auf dem Wege auch erfahren, daß zwei Menschen von verdächtigem Aussehen sich in der Nähe seines Hauses aufgestellt und vier andere scheu herumblickend den Marktplatz durchstreift hätten. Ludlow besichtigte ohne Furcht das Schiff selbst, dessen Boden er dicht mit Stroh bedeckt fand, unter welchem sein Wirth Waffen versteckt witterte. Zugleich erfuhr man, daß an allen anderen Kähnen des Städtchens die Weidenschlingen zum Festhalten der Ruder durchschnitten seien. Ehe man jedoch eine Maßregel ergreifen konnte, waren die Banditen in dem verdächtigen Boote nach dem savoyischen Ufer hinüber gefahren. In der Folge erfuhr man, daß Riardo diese Bande angeführt, Nachts nach Vevey gebracht, in verschiedenen Wirthshäuser logirt und für sie Alle bezahlt habe. Die Behörden der Stadt waren im höchsten Grade entrüstet über dieses Attentat und boten den Engländern Nachen und alle möglichen Sicherheitsmaßregeln an. Die Wirthe mußten täglich alle die bei ihnen ankommenden Fremden genau angeben und den Privatleuten wurde die Beherbergung jedes Menschen, für den sie nicht gut stehen konnten, untersagt. Auch die Regierung von Bern befahl den Landvögten des Leman-Ufers, die Engländer auf jede Weise zu schützen und alle aus Savoyen kommenden Schiffe untersuchen zu lassen.

Bald gelangten neue Warnungen an Ludlow und die Mittheilung, daß die Meuchelmörder sich öffentlich äußerten, ihr Werk der Schande abermals zu versuchen, und daß es hauptsächlich auf ihn abgesehen sei. Er verschmähte indeß den ihm ertheilten Rath, ein anderes Asyl zu suchen, und vertraute unbedingt den Behörden von Vevey, die seine Wohnung sogar befestigen ließen und im Nothfalle Sturm zu läuten versprachen. Aus England erhielt er Briefe mit der Meldung: „Riardo sei an den Hof gekommen, um über das Mißlingen seines Unternehmens zu berichten; der König habe ihn nicht nur sehr gut empfangen, sondern ihm auch den Auftrag [44] gegeben, weitere Versuche hierin zu machen; auf seiner Reise durch Frankreich habe derselbe die Herzogin von Orleans besucht.“ Auch aus Frankreich wurde an Ludlow berichtet, „der König von England habe an den von Frankreich geschrieben, er werde sich niemals in Sicherheit glauben, so lange die Hauptverräther am Leben seien, und ihn daher ersucht, daß er ihm behilflich sein möchte, Jene, die sich über das Meer, und besonders die, welche sich in die Schweiz geflüchtet haben, verhaften oder tödten zu lassen.“ Als sich dann einer der Meuchelmörder nach Morges am Genfersee wagte, ließ ihn der Berner Landvogt verhaften und in dem bekannten Schlosse Chillon verwahren. Am Neujahrstage 1664 wurde er dort in Gegenwart der dazu eingeladenen Bedrohten verhört und bekannte, daß sich die beiden savoyardischen Edelleute de la Broette und du Fargis unter der in Vevey gelandeten Bande befunden hätten und daß einer der von ihnen gedungenen Schiffer die Weidenbänder der Kähne durchschnitten habe, um jede Verfolgung der nach gelungener That Fliehenden unmöglich zu machen.

Von den Gönnern der englischen Flüchtlinge in Bern hierauf gewarnt, das gefährlich gelegene Vevey zu verlassen, wo Ludlow hartnäckig blieb, siedelte dessen Freund und Schicksalsgenosse Lisle nach Lausanne über und rannte in sein Verhängniß. Nachdem er erst wenige Tage dort geweilt, verfügte er sich eines Morgens nach der Kirche St. François. Eben wollte er eintreten, als ihn auf der Schwelle der Dolch des auf ihn lauernden Banditen in’s treue Herz traf und ihn sogleich todt niederstreckte. Mit dem Rufe: „Es lebe der König!“ entfloh der Mörder. Ungeachtet des Preises von dreihundert Pfund Sterling, den die Berner Regierung auf seinen Kopf setzte (derselben Summe, die von der englischen Regierung auf Ludlow’s Kopf gesetzt war), konnte man seiner nicht habhaft werden. Dafür wurde ein anderer der Bande ergriffen und in Yverdon enthauptet.

Von da an lebte Ludlow unbelästigt in Vevey. Mit inniger Freude vernahm. der gesinnungstüchtige Patriot, wie im Jahre 1688 der letzte in England regierende Stuart, Jakob der Zweite, mit seinem Volke in unheilbaren Widerspruch gerathen, verdienter Weise gestürzt wurde. Von dem siegreichen Nachfolger (zugleich Schwiegersohn und Neffen) desselben, Wilhelm dem Dritten von Oranien, hoffte der Verbannte Gerechtigkeit und kehrte in sein inniggeliebtes England zurück; achtundsechszig Lebensjahre hatten bereits sein Haupt gebleicht, neunundzwanzig Jahre Verbannung seine Kräfte erschöpft, aber noch schwärmte sein Herz jugendlich für die Göttin seiner Träume, die Freiheit. Doch, er rechnete umsonst auf Fürstengunst für einen – Demokraten. Es wurde gegen ihn intriguirt, und Eduard Seymour, ein Hauptbeförderer der Revolution zu Gunsten König Wilhelm’s, übergab diesem eine Zuschrift der Kammer der Gemeinen, worin die Verhaftung des „Königsmörders“ Ludlow verlangt wurde. Schmerzlich enttäuscht und mit gebrochenem Herzen mußte der siebenzigjährige verfolgte Patriot zum zweiten Male dem Vaterlande den Rücken wenden und gelangte nach mannigfachen Mühen und Gefahren wieder in sein treues Vevey. Nicht lange überlebte er seine Enttäuschung. Im Jahre 1693 empfing die dortige Kirche St. Martin seine müden Gebeine, benetzt von den Thränen seiner im Elende treu ausharrenden Gattin Elisabeth Oldsworth und seiner treuen Freunde vom Genfersee. Seine ehrenvolle Grabschrift ist noch heute zu sehen. Eine über der Thür seines Wohnhauses angebrachte Inschrift dagegen wurde im Jahre 1821 von einer fanatischen monarchischen Engländerin, welche das Haus kaufte, vernichtet. Ludlow’s im Exile verfaßte und der Regierung von Bern gewidmete Memoiren in drei Bänden erschienen bald nach seinem Tode zu Vevey im Druck.

Indessen hatte die Nemesis nicht versäumt, die Stuarts zu treffen. Der Enkel des gestürzten Jakob, Eduard, welcher sein Exil, das er in Frankreich zubrachte, zu verändern wünschte, wurde von der französischen Regierung, derselben, welche das Asyl der Republikaner in der Schweiz angefochten hatte, im Jahre 1748 an die Regierung von Freiburg im wärmsten Tone und angelegentlich zur Gewährung eines Asyls empfohlen. Der Canton Freiburg, dessen Hauptstadt, wie die gleichnamige im Breisgaue, und wie später Bern, den Herzogen von Zähringen, welche damals beinahe die ganze heutige Schweiz beherrschten, ihren Ursprung verdankte, war von dem Gebiete Berns auf allen Seiten umgeben. Die Verfassung war derjenigen der letztgenannten Stadt ähnlich, oder vielmehr eine Carricatur von ihr; denn die regierenden Familien thaten nicht nur nichts für geistige Ausbildung ihrer Unterthanen, sondern sogen diese auf die unverschämteste Weise aus und reizten sie auch gegen das Ende des Jahrhunderts hin zu einem blutigen Aufstande.

Kaum hatte der englische Gesandte in der Schweiz, Furenby, vernommen, daß sein französischer College den Sohn des englischen Kronprätendenten in Freiburg unterzubringen suchte, ja daß die Regierung des letztern den fürstlichen Flüchtling „königliche Hoheit“ titulirte, so beschwerte er sich bei dieser Regierung schriftlich und verwahrte sich gegen den Aufenthalt „dieses jungen Menschen“ in der Schweiz und gegen die Aufnahme eines „den britischen Unterthanen verhaßten und durch Großbritanniens Gesetze geächteten“ Geschlechtes. Auf den langen und breiten Brief des Gesandten, aus dem wir nur wenige Sätze anführten, erwiderte aber die Regierung von Freiburg, trotz ihres kleinen Gebietes und trotz ihrer politischen Corruption, kurz und bündig folgende Zeilen: „Monsieur! Der Brief, den Sie unterm 8. dieses Monats, unserem Kleinen und Großen Rathe zu schreiben sich die Mühe gaben, schien uns in seinen Ausdrücken so wenig angemessen und gegen einen selbstherrlichen Staat so wenig schicklich, daß wir ihn nicht beantworten zu sollen glauben, um so mehr, als die Art und Weise, wie dieser Brief sich ausdrückt, uns gar nicht bewegen kann, Sie, Monsieur, über die Verfassung unseres Staates und seine Souveränetät zu berathen. Ihre dienstwilligsten Schultheiß, Klein und Großer Rath der Stadt und Republik Freiburg.“ (Datum 10. Sept. 1748.)

So wahrte selbst in der verstocktesten Aristokratenzeit die kleine Schweiz ihr Asylrecht gegen die mächtigsten Reiche zu Land und zur See, und zwar zu Gunsten von Flüchtlingen der verschiedensten Parteien. Und wir sind überzeugt, wenn heute das riesige Rußland gegen das Asyl der zahlreich in unsern Städten Zuflucht suchenden Polen einschreiten wollte, es erhielte denselben Bescheid. Möge aber einst eine Zeit erscheinen, in welcher Freiheit und Recht überall so herrschend geworden sind, daß es weder Flüchtlinge, noch Exile mehr giebt und daß dann auch folgerichtig keine Asyle mehr nöthig sind!

Otto Henne-Am Rhyn.