Eine Lehrerbildungsanstalt für den deutschen Handfertigkeitsunterricht
[467] Eine Lehrerbildungsanstalt für den deutschen Handfertigkeitsunterricht.
„Bllde das Auge, übe die Hand,
Fest wird der Wille, scharf der Verstand."
Dieser Spruch der Leipziger Schülerwerkstatt charakterisirt scharf genug die Bedeutung des Handfertigkeitsunterrichts, die Frage der Erziehung der männlichen Jugend zur praktischen Arbeit. Das Streben, diese Erziehung zu fördern, hat sich trotz aller Gegnerschaft behauptet und sich mit unglaublicher Raschheit über alle Kulturländer verbreitet. Im Herbste des Vorjahres ward in Stuttgart ein deutscher Verein für Knabenhandarbeit begründet, der sich bald über das ganze Reich wie über die deutschen Länder Oesterreichs erstreckt hat und heute eine große Anzahl von Mitgliedern in allen Gauen unseres Vaterlandes zählt. Zugleich ward in Stuttgart beschlossen, eine Anstalt zu begründen, die solche Lehrer, welche sich für die wichtige Erziehungsfrage interessiren, zeitweise vereinigen und durch tüchtige Werkmeister zur Ertheilung des Arbeitsunterrichts befähigen soll: die unter die Leitung Dr. W. Götze’s gestellte Lehrerbildungsanstalt des deutschen Vereins für Knabenhandarbeit.
Am 1. Juli ist sie in Leipzig ins Leben getreten, das sächsische Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrlchts hat dieser Lehrerbildungsanstalt durch die Gewährung der Mittel zu einer Bibliothek der gesammten Handfertigkeitslitteratur und zur Anschaffung sämmtlicher Werke und Vorlagen eine willkommene Aussteuer gewährt; eine Bitte an die deutschen Schülerwerkstätten, Arbeitsschulen und Knabenhorte um Ueberlassung von Arbeitsmodellen verspricht nach den bereits eingegangenen Gaben einen guten Erfolg, so daß die künftigen Besucher des Handfertigkeitsseminars einen Ueberblick über die verschiedenen Formen des Arbeitsunterrichts durch eigene Anschauungen erhalten werden, während sie in der Leipziger Schülerwerkstatt die Praxis desselben durch Lehrproben geübter Lehrer kennen lernen sollen. Hervorragende Vertreter der Idee haben freundlich zugesagt, den im Seminar vereinigten Lehrern Vorträge über die verschiedenen Seiten des Arbeitsunterrichts zu halten; so der würdige Veteran der ganzen Bewegung auf diesem Gebiete, Professor Karl Biedermann, der schon im Jahre 1852 sein unübertreffliches Buch „Erziehung zur Arbeit“ schrieb, Medicinalrath Dr. Birch-Hirschfeld, der für die praktische Arbeit der Knaben aus hygienischen Gründen von Anfang an in glänzender Weise eingetreten ist, ferner der Künstler Fedor Flinzer, Emil von Schenckendorff, einer der begeistertsten Kämpfer für die Knabenhandarbeit. Das Wichtigste jedoch wird die angestrengte, mühevolle, aber auch erfolgreiche Arbeit der Lehrer selbst sein, zu der sie von tüchtigen Fachmännern Anleitung empfangen werden. Man darf einer Anstalt, die mit solchen Mitteln und Kräften so bedeutsame Ziele verfolgt, gewiß eine glückliche Entwickelung wünschen. Jedenfalls erhält jetzt erst die Bewegung für den Arbeitsunterricht in Deutschland festen Grund und Boden.