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Eine Theaterprobe

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Textdaten
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Autor: A. H.
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Titel: Eine Theaterprobe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 120–123
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Theaterprobe.

Hercules, einer der berühmtesten Heroen der griechischen Fabelwelt, hat die ihm aufgebürdeten zwölf Strafarbeiten mit ziemlicher Leichtigkeit vollbracht. Hätte Eurystheus ihm das Einstudiren eines sogenannten „Ausstattungs-Stückes“ an einem großen Residenztheater als dreizehnte Aufgabe gestellt, wer weiß, ob die Kraft des Ahnherrn der Herakliden sich nicht daran gebrochen hätte.

Von der Mühe und Arbeit unter Anspannung aller Kräfte, von der Menge der Verdrießlichkeiten, des Aergers und wiederum der Langmuth und Geduld, die beim Einstudiren einer „Féerie“, wie das echte Zauber- und Spectakelstück in der Kunstsprache heißt, mit in den Kauf geht, hat die große Mehrheit der Theaterbesucher keine Ahnung. Eine einzige Scene wird oft zwanzig Mal wiederholt, bevor Alles in ihr, nach dem technischen Ausdrucke, „klappt“. Aber auch manche heitere Scene spielt sich bei solchen Proben ab und Manches, wovon des Sängers Höflichkeit zu schweigen hat.

Wir wollen es versuchen, eine solche Theaterprobe anschaulich zu machen, obgleich die minutiöseste Beschreibung hinter der Wirklichkeit immer noch weit zurückbleiben wird. Zuvor geben wir in Kürze ein Verzeichniß derjenigen Personen, die für einen theatralischen Flitterstaat erforderlich sind; wir greifen zu diesem Zwecke aus der Reihe der Berliner Bühnen das Victoria-Theater heraus, und nun höre und staune man, wer und was Alles aus einem einzigen Directionssäckel Gagen und Gehalt bezieht: Dramaturg, Ober-Regisseur, Theater-Arzt, Syndicus, zweiter Regisseur, Cassen-Rendant, Bureau-Vorsteher, Buchhalter, Inspicient, Cassirer, Bibliothekar, Haus-Inspector, Requisiteur, Orchesterdiener, Cassendiener, Theaterdiener, Capellmeister, Concertmeister, Ballet-Dirigent, Orchester-Mitglieder, Souffleur, Haus-Statisten, Logendiener, Decorationsmaler, Farbenreiber, ein Hof-Friseur mit vier Gehülfen, Maschinenmeister, Theatermeister, Schnürmeister, Beleuchtungs-Inspector, Dirigent der elektrischen Apparate, Illuminateure, Schlosser, Klempner, Tischler, Zimmerleute, Asphaltarbeiter, Ober-Garderobier und Garderobiere mit zwanzig Gehülfen und Gehülfinnen, Theater-Feuerwerker, Hülfsarbeiter, Gärtner, Portier, Fegefrau und Nachtwächter.

Dazu kommen: Dramatische Künstler und Künstlerinnen, zweiundzwanzig an der Zahl, der größte Theil dotirt mit bedeutenden Gagen, Chorpersonal, bestehend aus vierzig Mitgliedern, Balletmeister, acht Solotänzerinnen, vierundzwanzig Tänzerinnen vom Corps de Ballet, hundert Figurantinnen und dreißig Ballet-Eleven.

Außer diesen Gagen und Gehältern braucht das Victoria-Theater an Extra-Ausgaben für Zeitungsannoncen, Zetteldruck, Säulen-Anschlag, Beleuchtung etc. täglich vierzig Thaler. Der Selbstherrscher eines solchen kostspieligen Staates muß, wenn er keinen Zaubersäckel hat, bei seinen Stücken die Goethe’schen Worte beherzigen:

„Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen!
Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden,
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehl’ es nicht.“

Glückt es dem Director, sein Stück dem Geschmacke des großen Publicums anzupassen, dann trifft auch ein, daß

„… wie in Hungersnoth um Brod an Bäckerthüren,
Um ein Billet das Volk die Hälse bricht.“

Dann kann er „wegen der großen Kosten“ erhöhte Preise eintreten lassen und die Billethändler machen nebenbei noch brillante Geschäfte.

Wir wollen hier eine Theaterprobe schildern. Was muß aber mit einem Stücke erst Alles geschehen, bevor es zur ersten, der sogenannten Arrangir-Probe gelangt! Versuchen wir dies unsern Lesern einigermaßen klar zu machen. Zuerst geht das vom Dichter der Direction eingereichte Stück durch das Fegefeuer eines Prüfungs-Comité’s; wird es von diesem als schlackenrein befunden, so wandert es zum Rollenschreiber; dann folgt eine Conferenz zwischen Director, Dramaturg, Verfasser und Regisseur wegen Besetzung der einzelnen Partien, darauf Leseprobe unter Vorsitz des Ober-Regisseurs, wobei jeder Schauspieler seine Rolle in geordneter Scenenreihe abliest. Nach der Leseprobe hat sich der Verfasser erst einiger Privat-Scenen zu erfreuen. Er will sich entfernen, doch der zweite Liebhaber hält ihn zurück, zeigt ihm ein Heft und redet ihn an: „Haben Sie diese Rolle für mich geschrieben? Wissen Sie, Herr! daß ich in Anclam den Othello und in Züllichau den Franz Moor gespielt habe? – Und mir eine Rolle von vier Bogen? – Hört mich und dann geht heim,“ declamirt er aus Shakespeare; „mir ist Verräthers Urtheil heut’ gesprochen, und dies giebt mir den Tod.“ Noch einen Blick tiefster Geringschätzung wirft er auf den Dichter, dann geht er mit Heldentritt ab durch die Mitte. Von der andern Seite kommt die niedliche Soubrette und bittet gar süß: „Ach, lieber Herr Doctor, schreiben Sie doch ein Liedchen für meine Rolle. Fräulein Süßmund hat eine große Bravour-Arie und ich gehe musikalisch ganz leer aus.“ Der Dichter verspricht galant dem Wunsche nachzukommen und verschwindet eiligst.

Nach acht Tagen ungefähr legen die Decorationsmaler ihre Skizzen und der Maschinenmeister seine Modelle dem Director vor, der Gardrobier nimmt Maße zu den drei- bis vierhundert neuen Costümen, die Modewaaren-Handlungen senden Proben ihrer Wollen-, Sammet- und Seidenstoffe an die Direction, Gold- und Silbertressen werden herangefahren und die Fingerchen einiger Dutzend Nähterinnen in Bewegung gesetzt. Der Componist arbeitet Tag und Nacht, um liebliche Melodien, rauschende Märsche und sinnenbestrickende Tänze zu erfinden, die Notenschreiber arbeiten sich an den Orchester-Stimmen die Finger wund, durch Aufrufe in den Zeitungen werden achtzig junge und „wohlgebaute“ Mädchen zur Mitwirkung verlangt; es melden sich aber deren wohl tausend. Diese Mädchen werden nun in kleinen Trupps nach dem Theater-Bureau beschieden und einzeln gemustert. Der Dramaturg, ein früherer Arzt, vertritt hierbei die Rolle der „Probirmamsell“. Die erste ist ihm zu klein, die zweite zu groß, die dritte zu jung, die vierte zu alt, die fünfte zu rund, die sechste zu eckig, die siebente endlich hat das Glück, vom Secretär in die Liste der Mitwirkenden aufgenommen zu werden.

Ist nach einigen Wochen das nöthige Contingent herausgefunden, so werden sämmtliche achtzig Mädchen dem Balletmeister als Rohmaterial überliefert, um Figurantinnen daraus zu formen, nebenbei bemerkt, eine der schwierigsten Aufgaben bei der ganzen [121] Unternehmung. Auf dem Malersaal fliegen indeß die Pinsel wie die Schwalben im Frühling, ganze Eimer, gefüllt mit Himmelblau, werden auf der am Boden ausgespannten Leinwand umgeschüttet, und die Farbe mit einem Reisigbesen nach allen Richtungen vertheilt; das heißt in der Kunstsprache „Luft malen“, auch „grundiren“. Bestellte eiserne Walzen kommen aus verschiedenen Fabriken, Modelle aus Darmstadt, wo der Maschinenmeister, einer der ersten seines Fachs, domicilirt; Tischler, Zimmerleute, Klempner und Schlosser hobeln, sägen, löthen und feilen, daß es eine Lust ist für Jeden – der seine Ohren davon fern halten darf. Bei dem Allem ist der Geldschrank der Direction das belebende Princip. – Die ganze Ausstattung eines solchen Stückes kostet gewöhnlich fünfzehn- bis zwanzigtausend Thaler, doch nach den ersten dreißig Vorstellungen ergiebt sich im günstigen Falle schon ein Ueberschuß für die Casse des Directors. Wir sprechen hier speciell von dem Victoria-Theater zu Berlin, welches dort allein in großen Féerien und gewinnbringend nur noch in Hermann Hendrichs’ Gastspielen macht.

Das Wallner-Lebrun-Theater führt dem Publicum Possen und Volksstücke vor, die letzteren oft von wirklich poetischem Werth. Das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater hält sich mehr zu dem leichtblütigen Offenbach; am Woltersdorff-Theater ist die Posse dominirend; Kroll’s Etablissement executirt im Sommer eine recht gute Oper, und im Winter bringt es mit großer Pracht und großen Kosten Weihnachts-Ausstellungen – soweit es die französische Gesandtschaft erlaubt. Die nach Aufhebung der Concessionen neu hinzugekommenen Dutzend-Theater sind als Kunst-Institute noch von keiner besonderen Bedeutung; einzelne zeigen jedoch schon, daß aus ihnen noch Etwas werden kann.

Kommen wir nun endlich zur Theaterprobe! Sämmtliche Leser der Gartenlaube mögen sich vom Herrn Director Cerf als eingeladen betrachten und zwar ganz gegen die Hausordnung, denn nach dieser darf während der Proben kein Uneingeweihter die Räume des Theaters betreten. Es muß sich aber ein Jeder nach seinem Platze hin fühlen, denn in den Proben, mit Ausnahme der Generalprobe, die einer wirklichen Aufführung gleichkommt, ist der Zuschauerraum nicht beleuchtet. Auf der Bühne jedoch bemerkt man einen schwachen Versuch von Nachbildung heiteren Sonnenglanzes, da eine theilweise Costümprobe gleichzeitig in Aussicht steht. Kurz vor Beginn der Probe erscheint auch noch der Präses der Berliner Theaterliteratur in Zettelform, die Säule der dramatischen Kunst in Typen, Herr Ernst Litfaß, und zwar in Begleitung eines tüchtigen Zeichners, der von ihm den Auftrag erhalten hat, nach den prächtigen Costümbildern des Hof-Photographen Herrn Graf ein illustrirtes Riesenplacat anzufertigen, durch welches an einem schönen Morgen der werdenden Weltstadt die freudige Nachricht verkündet werden soll, daß die Feen, Elfen und Gnomen mit ihrem ganzen lustigen Märchengefolge in die Räume des an der Straße der Münzen gelegenen Musentempels eingezogen sind, um dort Abend für Abend wieder ihre lustigen Capriolen zu machen. Und wie der Militärarzt seinem Regiment in die Schlacht folgt, um bei Verwundungen und Erkrankungen gleich hülfreich bei der Hand zu sein, so sehen wir hier den Theater-Agenten mit einem contractgefüllten Besteck, um etwaige durch Krankheit, Caprice oder Unbrauchbarkeit entstehende Lücken im Personal durch neue Engagements sofort wieder aufzufüllen. –

Endlich, nachdem ein Jeder seinen Platz eingenommen, beginnt die Probe.

Der Oberregisseur kommt mit gedankenvoller Miene, das Regiebuch unter dem Arm, die Klingel in der Hand, und setzt sich an einen Tisch neben dem Souffleurkasten; ein zweiter Stuhl ist für den Director gestellt, auch nimmt wohl der Verfasser oder Bearbeiter des gerade zu probirenden Stückes ab und zu diesen Platz ein; der Capellmeister hat sich’s auf dem Dirigirstuhl im Orchester bequem gemacht und plaudert mit dem neben ihm sitzenden Concertmeister, der zugleich ein trefflicher Violinvirtuose ist; der Orchesterdiener legt Noten auf die Pulte für die Musiker; der Decorationsmaler rennt nach vorn und hinten, er taucht unter in die Tiefen der Versenkung, von da schwingt er sich wieder auf zur schwindelnden Höhe des Schnürbodens, überall die Theaterarbeiter zurechtweisend, denn Jeder von diesen hat seine besonderen Taue zu ziehen oder Coulissen zu schieben. Der Balletmeister instruirt ein paar schwer capirende Balleteusen, und belehrt sie, wie sie die Beine zu werfen, was sie für Attitüden, Pirouetten und Entrechats zu machen haben; die Prima-Ballerina sitzt unter altem Gerümpel auf einem Pappthron im tiefsten Hintergrunde der Bühne und überreicht mit vielverheißendem Lächeln dem zu ihren Füßen kauernden Grafen „Confiturini“ den Wunschzettel für ihren in wenigen Tagen eintreffenden Geburtstag (der nämlich alle zwölf Wochen wiederkehrt); und mit prüfenden Blicken mustert der Requisiteur seine „Erfordernisse“, da das Fehlen selbst einer Stecknadel die heilloseste Verwirrung hervorzurufen im Stande wäre. Gegen die Brüstung einer Prosceniumsloge lehnt der Dramaturg und schäkert mit der Soubrette, die dabei ungenirt eine Caviarsemmel verzehrt; forschend blickt der Theaterinspector überall umher, ob sich auch kein Unberufener mit eingeschlichen hat, der die Geheimnisse der Theaterprobe verrathen könnte. Und während der Maschinenmeister schweißtriefend unter dem Podium herumkeucht, die Walzen, Räder und Taue prüfend und den Arbeitern in der Unterwelt gemessene Instructionen ertheilend, fliegen auf der Bühne Coulissen und Setzstücke von und nach allen Seiten, vom Schnürboden herab senkt man Gardinen, die mit Centnergewichten behängt sind, um die bemalte Leinwand immer glatt und straff zu erhalten, Versenkungsklappen öffnen sich, Zaubermöbel steigen auf, so daß die auf dem Theater Stehenden immer nach unten und oben, nach hinten und nach beiden Seiten zugleich ihr Augenmerk richten müssen, wenn sie nicht urplötzlich versinken, einen Wolkenwagen mit einer Fee auf den Kopf oder ein hölzernes Rosengebüsch in die Weichtheile bekommen wollen.

Jetzt kommt der Director, langsam und gemessen wie ein Feldherr überblickt er das Terrain, dann setzt er sich auf seinen Stuhl; der Souffleur, ein intelligenter Mann, der in seiner Jugend die Hörsäle der Universität und den Fechtboden besucht hat, steigt hinab in den Orcus; auf einen Wink des Oberregisseurs läutet der Theaterdiener die große Glocke, die im Garten und durch das ganze Haus erschallt, und in wenigen Minuten ist der Bühnenraum dicht angefüllt mit Menschendarstellern und solchen, die es zu sein vermeinen.

Schmiegen wir uns nun still in die Logenecken und lassen die Leutchen auf der Bühne selbst reden.

Ober-Regisseur (geht mit der gedämpften Klingel auf dem Theater herum): „Die Damen und Herren, die in der ersten Scene nichts zu thun haben, ersuche ich die Bühne zu räumen. – Aber, Herr Seppel, lassen Sie doch jetzt die Farce, aus Ihrem Taschentuch Springemäuschen zu machen. Wir sind ja nicht zum Spaße hier. – Also: Act eins, erste Scene. – Chor! – Was ist denn das da hinten für ein Gesumme? – Fräulein Rosenthal, wollen Sie endlich der Ansicht Raum geben, daß Sie sich hier in keinem Bienenkorbe befinden?! Heran hier! – Stellen Sie sich aber nicht Alle auf einen Haufen wie die Schafe, wenn es blitzt. Breiten Sie sich ein wenig aus; schließen Sie einen Halbkreis!“

Capellmeister (klopft ungeduldig mit dem Dirigirstab auf den Souffleurkasten): „Ich dächte, wir singen an. Um ein Uhr möchte ich zu Trarbach, meinen Mosel trinken, sonst bin ich morgen krank.“

Regisseur: „Vorwärts! – Chorgesang, Nummer eins: Welche Lust –“

Chor (singt): „Welche Lust gewährt das Reißen –“

Regisseur (springt wüthend von seinem Stuhle auf): „Haaalt! – Haben Sie nicht einmal so viel in der Schule gelernt, daß Sie Reisen von Reißen zu unterscheiden verstehn? – Ich wünsche Ihnen nur so einen Rheumatismus, wie ich ihn manchmal habe, damit Sie erkennen lernten, daß das Reißen keine Lust gewährt. – Herr Uhlich, Sie zahlen fünfzehn Silbergroschen Strafe für’s Lachen. – Jetzt sprechen Sie die Worte hübsch so, wie sie in der Rolle stehn. – Bitte, Herr Capellmeister, noch einmal!“

Chor (singt): „Welche Lust gewährt das Reisen –“

Regisseur: „So ist’s gut! – Nach Beendigung des Chors blicken Sie nach rechts und schreien, mit dem Ausdruck des Entsetzens: ‚Zu Hülfe! Die Schlange!‘ Dann fliehen Sie nach links hinüber; von rechts kommt die böse Fee Dämona, in Gestalt einer Schlange. Also –“

Chor (schreit): „Zu Hülfe! Die Schlange!“ (Laufen bunt durcheinander nach links hinüber.)

Regisseur: „Noch einmal zurück! – So mögen die Chordamen wohl um Hülfe schreien, wenn sie geküßt werden; in dem Aufschrei ist nichts von Entsetzen bemerkbar. Blicken Sie auf mich! Das machen Sie so (giebt seinem Gesicht einen entsetzlichen Ausdruck): „Zu Hülfe! Die Schlange!“

[122] (Allgemeines Gelächter.)

Regisseur (streng): „Was lachen Sie?“

Fräulein Rosenthal: „Ach, Herr Regisseur, Sie sehen zu komisch aus!“

Regisseur (ärgerlich): „Na ja, Sie halten das Alles hier für Spaß. (Schreit:) Requisiteur, wo ist denn die Schlange?“

Requisiteur (aus tiefstem Hintergrunde): „Ich leime ihr eben den Kopf an. Die Katze ist wieder dabei gewesen.“

Inspicient (halblaut: „Das ist Kahlbaums Zibethkatze vom Nachbarhofe. Wenn ich die einmal erwische, hat sie ausgemaust.“

Regisseur: „Probiren wir jetzt erst den Aufzug der Königin Furibunda mit ihrem Gefolge. Herr Petermann, ist der Zug gestellt?“

Petermann: „Alles in Reih’ und Glied. Nur Musik, dann marschiren wir los!“

Director: „Aber Sonnenfeld, stehen Sie doch nicht da wie ein Bäckergesell’ mit Ihren schiefen Beinen! Sie sind nicht hier, um Teig zu kneten, sondern einen Reichsgrafen in voller Würde zu repräsentiren. (Zum Orchester:) Worauf warten Sie denn noch?“

Capellmeister: „Die Königin, Fräulein Süßmund, fehlt an der Spitze des Zuges.“

Director: „Wo ist denn Fräulein Süßmund?“

Regisseur: „Fräulein Süßmund, wo sind Sie?“

Inspicient (ruft in die Coulissen): „Fräulein Süßmund!“

Alle: „Fräulein Süßmund!“

Theaterdiener (kommt vorgestürzt): „Herr Director, ich komme eben von dem Fräulein; sie läßt sich krank melden und meint, die nächsten vier Wochen werde sie wohl das Bett hüten müssen.“

Director (in halber Verzweiflung): „Krank? – Da haben wir’s. – Das hat sie sich in der vergangenen Nacht auf dem Corps de Ballet-Ball bei Kroll geholt, wo sie mit dem Banquier Ephraim Potsdamer bis drei Uhr Morgens champagnert hat. Das gehört so mit zu den Annehmlichkeiten des Theaterdirectorthums! – Wo nehmen wir nun gleich eine böse Stiefmutter für Sneewittchen her, von der der Zauberspiegel sagt, sie sei die Schönste im ganzen Land?“

Theater-Agent (aus der Loge): „Dafür lassen Sie mich sorgen. Sie wissen, man nennt mich den Mann, der Alles kann. In vierundzwanzig Stunden haben Sie eine Furibunda, von deren Schönheit der Zauberspiegel nicht lügen soll.“

Director: „Darf ich mich auf Ihr Wort verlassen?“

Theater-Agent (mit Selbstgefühl): „Was ich bisher versprochen, war ich noch immer gewohnt zu halten. Stelle Ihnen zugleich meine Tochter Mila vor.“

Director: „Habe die Ehre! – Nun weiter!“

Regisseur: „Wo sind die Zwerge?“

Sieben kleine Mädchen (kommen angetrippelt): „Hier sind wir, Herr Regisseur!“

Regisseur: „Habt Ihr auch Eure Rollen tüchtig gelernt?“

Die Zwerge: „Der Herr Souffleur hat sie uns einstudirt.“

Regisseur: „Ida, wirst Du heut’ besser aufpassen als gestern?“

Ida (sehr naiv): „Nein.“

Regisseur (aufhorchend): „Nein? – Warum denn nicht?“

Ida: „Meine Mutter sagt, für drei Silbergroschen Gage an jedem Abend wäre das lange gut genug.“

(Große Heiterkeit auf allen Bänken.)

Director: „Rasch nur weiter, daß wir zum Schlusse kommen. Unser Capellmeister lechzt nach Mosel.“

Regisseur: „Sneewittchen, beginnen Sie mit den Worten: ‚Wie nennt Ihr Euch?‘“

Sneewittchen: „Wie nennt Ihr Euch, Ihr kleinen Männer?“

Die Zwerge (nach einander): „Ich bin der Sonntag, ich der Montag, ich der Dienstag, der Mittwoch, der Donnerstag, der Freitag –“

Der kleine Zwerg (sehr gravitätisch): „Und ich bin der Schabbes. Ich vertrete hier gewissermaßen das Judenthum in der Romantik. Sneewittchen, wenn Du kannst Mazze backen und Schalent bereiten, werden wir uns schon vertragen.“

Alle: „Bravo! Bravo!“

Director: „Hier, mein Töchterchen, hast Du einen Silbergroschen. Wenn das Stück zweihundert Mal gegeben ist, und Du hast Deine Rolle allabendlich so gut gespielt wie heute, sollst Du noch einen Silbergroschen haben.“

Capellmeister: „Aber lieber Director, wollen Sie durch solche Verschwendung sich selbst ruiniren?“

Alle lachen. Der Director verläßt in heiterer Stimmung seinen Stuhl, um ein Glas bairisch Bier, durch Selterwasser verdünnt, zu trinken.

Regisseur: „Prinz Artus! – Gehe wir jetzt Ihre Scene im Felsenthal einmal durch. – Also Sie kommen aus der dritten Coulisse links, schleppen sich mit Anstrengung bis zu dieser Rasenbank im Vordergrunde rechts, und hier sinken Sie mit dem Schmerzensschrei: ‚Ich sterbe!‘ zusammen.“

Prinz Artus: „Erlauben Sie mal, alle früheren Todescandidaten habe ich links umgebracht; warum soll ich denn als Prinz Artus grade rechts sterben?“

Regisseur: „Ganz einfach, weil ich es so angeordnet habe. Sie sterben rechts.“

Prinz: „Ich sterbe links.“

Regisseur (wüthend): „Ich sage rechts!“

Prinz: „Ich sage links!“

Regisseur (stampft mit dem Fuße): „Rechts!“

Prinz (ebenso): „Links!“

Regisseur (nachdem er einige Male mit weiten Schritten die Bühne gemessen): „Aber zum Kukuk, Sie sind ja blos scheintodt. Sobald Sneewittchen sichtbar wird, erwachen Sie blitzschnell zu neuem Leben.“

Prinz: „Das ist etwas Anderes. – Positiv mir den Tod holen werde ich immer nur links, denn rechts ist die Hofloge; sterbe ich auf jener Seite, so sieht Niemand von den hohen Herrschaften etwas von meiner künstlerischen Verendung.“

Regisseur: „Thun Sie mir nur den Gefallen und lassen Sie das ewige, Lächeln andeuten sollende Grinsen; wir wissen ja aus Fränkel’s ‚Neue Coulisse‘, daß Sie vier Reihen weißer Zähne haben. Und Sie, Fräulein Steffansky, sprechen Sie nicht immer ‚ö‘ statt ‚ü‘, ‚e‘ statt ‚ie‘ und ‚ü‘ statt ‚i‘“ – (Sieht nach der Uhr:) „Fünf Minuten Pause. – Nachher Ballet.“

Tänzerin (zum Grafen Confiturini, der die specielle Erlaubniß hat, sich hinter den Coulissen aufzuhalten): „Lieber Graf, haben Sie auch Blumen zur ersten Vorstellung besorgt vor mir?“

Graf: „‚Für mich‘ heißt es, liebes Kind, nicht ‚vor mir‘. Fünfzig Bouquets sind bestellt.“

Tänzerin: „Und wie ist es mit der Handarbeit?“

Graf: „Dem Chef der Claque, dem mit dem goldenen Hundekopfe am Stocke, zahlte ich sechs Friedrichsd’or.“

Tänzerin: „Wie jut Du bist, Hujo!“ (Küßt ihn zärtlich.)

Komiker (im Vorübergehen): „Wünsche allerseits gesegnete Mahlzeit!“

Charakterspieler (zum Souffleur): „Lieber Herr Bläser, ich habe noch nicht eine einzige Sylbe von meiner Rolle gelernt. – Gestern wieder etwas durchgefallen – Kopfschmerz – Ach! – Souffliren Sie doch so laut und deutlich wie nur möglich.“

Souffleur: „Ich werde nach Kräften Ihre Abneigung gegen Alles, was lernen heißt, zu stärken suchen.“

Zärtliche Mutter: „Bitte, Herr Souffleur, mir nur die Stichwörter leise anzuschlagen. Ich habe meine Rolle studirt und kenne sie auf’s Jota. Wenn Sie laut souffliren, verwirren Sie mich.“

Souffleur: „Sobald Sie auftreten, schlag’ ich das Buch zu.“ (Ruft einen Komiker an:) „Sie, Herr Kallipsky! Ihre Couplets sind von der Censur zur Hälfte gestrichen.“

Komiker: „Wie das? Ich denke, die Censur in Preußen ist aufgehoben und darf für ewige Zeiten nicht wieder eingeführt werden?“

Souffleur: „Lieber Freund, man nennt das jetzt auch nur ‚Präventiv-Maßregel‘. Es ist eine dankenswerthe Fürsorge von Seiten der Polizei, um den Staat und die Direction vor Schaden zu bewahren.“

Komiker: „Aber das Couplet ist so harmlos.“

Souffleur: „Dafür halten Sie es. Es kommt jedoch etwas darin vor von der Isabella. Die Spanierin wird von Ihm mit freundlichen Augen angesehen. Darf der Norddeutsche Bund es ruhig geschehen lassen, daß Diejenige von uns bewitzelt wird, die Er protegirt? – Winzigere Umstände in der Weltgeschichte haben [123] schon blutige Kriege hervorgerufen. Wollen Sie das Vaterland dadurch an den Rand des Verderbens führen, daß Sie einen Coupletvers auf Madame Marfori singen?“

Komiker: „Gott soll mich behüten! Erstlich bin ich ein viel zu guter Patriot, und zweitens erlangte dann unser Director niemals den Titel Commerzienrath, den er schon lange verdient hat. Machen wir unsere Ausfälle gegen den Magistrat, dagegen ist noch selten Einspruch erhoben worden. Aber wie Sie das Alles so aneinander zu reihen verstehen!“

Souffleur: „Ja lieber Freund, um so geistreiche Combinationen machen zu können, muß man Logik studirt haben, oder mit so großem Scharfsinn wie die Berliner Theater-Präventiv-Maßregler von der Natur begnadet sein.

Theatermeister (ruft durch das Sprachrohr nach dem Schnürboden hinauf): „Anton, lassen Sie den Prunksaal der Königin herunter!“

Stimme vom Schnürboden: „Bin schon dabei. – Kopf weg, da unten!“

(Ein prachtvolle Decoration kommt von oben herab.)

Regisseur (mit der gedämpften Klingel): „Bühne frei für das Ballet!“

Capellmeister (tritt seinen Stuhl dem Ballet-Dirigenten ab): „Gott sei Dank, daß ich endlich zu Trarbach komme!“ (Nimmt seinen Hut und entfernt sich eiligst.)

Director setzt sich auf seinen Stuhl. Eine gefällige Ballet-Musik beginnt. Man hört im Hintergrunde plötzlich einen sehr lauten und heftigen Wortwechsel.

Director: „Still mit der Musik! – Was geht denn wieder da hinten vor?“

Decorationsmaler und Balletmeister kommen beide furioso nach vorn gestürzt.

Balletmeister: „Ich sage Ihnen, die Säulen müssen fort, oder ich lasse keinen Pas tanzen; nicht die halbe Wendung einer Pirouette wird gemacht.“

Decorationsmaler (ein Böhme, sehr heiser): „Und ich sag’ Ihnen, die Säulen bleib’n! Ob Sie tanzen lassen, oder nicht, dös ist mir völlig gleichgült’g.“

Director: „Aber meine Herren, was haben die Säulen mit dem Tanze und was hat der Tanz mit den Säulen zu thun?“

Maler: „Herr Director! Ich hab’ den Prunksaal mit besonderer Vorliebe g’malt. Die zwei Säulen rechts und links im Vordergrunde müssen mir’s Ganze halten –

Balletmeister (schiebt ihn zur Seite): „Herr Director! Die zwei Säulen rechts und links im Vordergrunde verdecken mir’s ganze Ballet, das grad’ an dieser Stelle die schönsten Aufzüge und Evolutionen zu machen hat. Ich lasse mir die mühsam einstudirten Tänze nicht verderben durch solche Farbenkleckserei!“

Maler: „Ach, was reden Sie von Farbenkleckserei! Sie werden mit Ihrer kurzröckigen Garde den Kohl a nit fett machen!“

Director: „Ich bitte um Ruhe! Bei der Decorations- und Ballet-Probe werde ich selbst prüfen und danach, keinem zu lieb oder zu leid, entscheiden. – Für heut’ wollen wir uns nach Hause verfügen; kühlen Sie sich über Nacht ein wenig ab. Adieu, meine Herren!“

Regisseur: „Schreiben Sie an’s schwarze Brett, Theaterdiener: ‚Morgen Vormittag um neun Uhr Chor- und Scenen-Probe‘. – Empfehl’ mich, Herr Director!“

Zehn Minuten darauf herrscht tiefe Dunkelheit auf der Bühne und in dem eben noch geräuschvollen Raume hört Nachbars Zibethkatze die Promenadentritte der Mäuschen. Unten auf der Straße aber vor dem Theater stehen die Statisten, Choristen und Musikanten in hellen Haufen, die Ereignisse der eben geendeten Probe noch einmal durchzusprechen oder die durch ihre Mitte schlüpfenden Figurantinnen und Ballerinen mit wohlgemeintem Scherze zu verfolgen; in der Einsamkeit seiner vier Wände aber sieht sich der Director, wie er den Verlauf der Probe noch einmal überdenkt, plötzlich von neuen Sorgen und neuen Befürchtungen überfallen. Wie, wenn der zuversichtliche Theateragent die versprochene Fee Furibunda nun doch nicht zu schaffen vermöchte –? Was dann? Dann sind alle Leiden und Widerwärtigkeiten einer Probe, wie wir sie heute geschildert haben, umsonst gewesen.

A. H.